Europäische Bürgerinitiative „Stop Vivisection“ scheitert mit ihrem Begehren, Tierversuche in Europa vollständig abzuschaffen - DPG eine von über 140 wissenschaftlichen Fachgesellschaften und Organisationen, die sich für die Beibehaltung der Richtlinie 2010/63/EU (zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere) ausgesprochen haben Die EU ist dem Tierschutz ebenso verpflichtet wie der Verbesserung der öffentlichen Gesundheit und dem Umweltschutz. Das EU-Recht schreibt vor, dass die Sicherheit von Arzneimitteln, Chemikalien und Lebensmitteln getestet werden muss, um ihre Unbedenklichkeit für Mensch, Tier und Umwelt zu prüfen, bevor sie in den Verkehr gebracht werden. Die Richtlinie 2010/63/EU sollte die rechtlichen Rahmenbedingungen festlegen, die das Wohlergehen der für die wissenschaftliche Forschung benötigten Tiere sicherstellen, gleichzeitig aber auch eine Vermeidung, Verringerung und Verbesserung des Einsatzes von Tieren („replace, reduce, refine“, das sogenannte 3R-Prinzip) vorantreiben. Nach „One of Us“ (Thema: Finanzierung von Forschung an menschlichen Embryonen) und „Right2Water“ (Thema: Recht auf und Zugang zu Wasser und sanitärer Grundversorgung) war „Stop Vivisection“ die dritte Europäische Bürgerinitiative, die mit 1,17 Millionen Unterschriften, davon gut die Hälfte aus Italien, das notwendige Quorum (insgesamt wenigstens eine Million Unterzeichnende aus mindestens 7 der 28 EU-Mitgliedsstaaten) erreicht hat. Die Petition mit der Forderung an die Europäische Kommission, die Richtlinie 2010/63/EU außer Kraft zu setzen und einen Vorschlag zur endgültigen Abschaffung von Tierversuchen vorzulegen, wurde der Europäischen Kommission am 3. März 2015 vorgelegt, die drei Monate Zeit hatte, um auf die Initiative zu reagieren. Am 11. Mai 2015 veranstaltete das Europäische Parlament eine öffentliche Anhörung zu der Europäischen Bürgerinitiative. Im Vorfeld dieser Anhörung wandte sich die DPG mit einem Brief, den Prof. Rüdiger Köhling als Ständiger Sekretär und Prof. Rolf-Detlef Treede als zukünftiger Präsident der DPG sowie Prof. Markus Hecker als zukünftiger Präsident der Federation of Physiological Societies (FEPS) unterzeichnet hatten, direkt an den Präsidenten des Europaparlaments, Martin Schulz, der am 1. Juni 2015 mit einem ausführlichen Schreiben antwortete. Darüber hinaus wurde ein Aufruf zur Beibehaltung der Richtlinie 2010/63/EU auf den Webseiten der beiden Gesellschaften veröffentlicht. Beide Aktionen waren von vielen Mitgliedern der Gesellschaft im Rahmen einer Online-Befragung ausdrücklich gebilligt worden. Die Europäische Kommission hat in einer Mitteilung vom 3. Juni 2015 die Maßnahmen dargelegt, die sie als Reaktion auf die Europäische Bürgerinitiative „Stop Vivisection“ zu ergreifen gedenkt. Zwar ist sie ebenfalls der Überzeugung, dass Tierversuche in Europa (langfristig) eingestellt werden sollten, glaubt aber, dass „ein vollständiges Verbot von Forschungsarbeiten mit Tieren in der EU … verfrüht ist ... und die Gefahr birgt, dass die biomedizinische Forschung in Länder außerhalb der EU verlagert wird“. Insofern wird die Kommission „als Reaktion auf die Bürgerinitiative … eine Reihe von Maßnahmen ergreifen, mit denen schnellere Fortschritte bei der Einführung und beim Einsatz alternativer Ansätze erzielt werden sollen.“ Gerade die Richtlinie 2010/63/EU sei notwendig, um ein hohes Schutzniveau für Tiere gewährleisten zu können, so die Kommission. Sie werde die Richtlinie überprüfen, sobald sie lange genug in Kraft gewesen sei, um ihre Wirksamkeit bewerten zu können. 2016 soll dann auf einer Konferenz mit der wissenschaftlichen Gemeinschaft und einschlägigen Interessenvertretern ein Fortschrittsbericht über die bereits ergriffenen Maßnahmen vorgelegt werden. Trotz bahnbrechender Entwicklungen bei neuartiger Testmethoden für die biomedizinische Forschung in den letzten 10 Jahren - dazu zählen alternative Tests, bei denen vor allem Zell- oder Gewebekulturen eingesetzt werden, aber auch computergestützte Verfahren, die den Bedarf an Tierversuchen verringern - lassen sich viele komplexe physiologische und toxikologische Abläufe und Wirkungen nicht adäquat mit in vitro- oder Computer-Modellen darstellen bzw. durch derartige Verfahren bewerten. Daher werden nach wie vor Tierstudien benötigt, um Fortschritte in der Forschung zu erzielen und die Gesundheit von Mensch und Tier sowie die Umwelt zu schützen. Genau dieses Argument, fokussiert auf die biomedizinische Forschung, wurde von DPG und FEPS in ihrem gemeinsamen Schreiben an den Präsidenten des Europäischen Parlaments besonders hervorgehoben. In ihrer Mitteilung macht die Kommission deutlich, dass sie auch in Zukunft die Entwicklung und Validierung alternativer Konzepte für Testmethoden unterstützen werde und dass bei der Vermeidung, Verringerung und Verbesserung von Tierversuchen auch durch den Austausch von Wissen schnellere Fortschritte erzielt werden müssten. Der Dialog werde mit allen Beteiligten, vor allem mit den Wissenschaftlern, fortgesetzt, um dem Ziel einer Einstellung von Tierversuchen näher zu kommen. Die DPG ist der Überzeugung, dass gerade im Zeitalter systembiologischer Ansätze neue physiologische und pathophysiologische Erkenntnisse mehr denn je auf verantwortlich geplanten und hoch professionell durchgeführten Versuchen an dafür eigens gezüchteten Modellorganismen, meistens kleinen Nagetieren wie Mäusen, basieren werden. Dies gilt insbesondere für die Entwicklung neuer Therapiekonzepte, denn komplexe Erkrankungen erfordern komplexe, spezifische Tiermodelle. Gleichzeitig unterstützt die DPG aber auch im Sinne des 3R-Prinzips jeden Versuch, diese Tiermodelle soweit wie möglich zu vereinfachen bzw. durch die Entwicklung komplementärer bzw. alternativer Methoden langfristig zu ersetzen. Es ist eine zentrale Aufgabe der DPG darauf hinzuweisen, dass Tierversuche in der physiologischen Forschung derzeitig unverzichtbar sind, und Öffentlichkeit wie politische Entscheidungsträger von deren Notwendigkeit zu überzeugen, indem sie auf den daraus resultierenden bedeutsamen wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn verweist, von dem langfristig auch die Menschen als mögliche Patienten profitieren werden. Insofern wird dies ein regelmäßig wiederkehrendes Thema dieses Newsletters sein.
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