Michel Abdollahi Der Aufbruch – Innerer Monolog Ja, ich wußte

Michel Abdollahi
Der Aufbruch – Innerer Monolog
Ja, ich wußte, wohin mich das Schicksal führte. Aber konnte ich mir wirklich so sicher sein? Ja, ich konnte es, denn nun hatte ich eine Ebene des
Wissens erreicht, welche mir das Tor in die Zukunft öffnete. Mein Entschluß
stand, ich mußte hier weg. Ich wollte mich mit der Natur verbinden, mit ihr
eins werden. Seit Jahren quälte mich schon mein trostloses Dasein in dieser
Welt. Ich fühlte mich wie ein Vulkan, der ausbrach, ich fühlte mich wie eine
südamerikanische Kuh, die gerade Junge bekam. Das Schicksal hatte seinen
Lauf genommen. Irgendwann mußte ich von den Drogen loskommen. Wenn
nicht jetzt, dann nie. Mein Weg führte mich ins Ungewisse. Ich wußte, daß
sieben Tagesritte von hier entfernt eine kleine Oase lag. Doch der Weg dorthin war mühsam und beschwerlich. Das gewohnte Palastleben, die Diener,
meine südamerikanische Kuh, all dies mußte ich aufgeben. Ich ritt auf dem
Rücken meines Pferdes, und manchmal ritt mein Pferd auf meinem Rücken.
Ich freute mich auf meine Oase, ich freute mich auf die schattenspendenden
Kokospalmen, ich freute mich auf die durstlöschende Kokosmilch, ich freute
mich auf eine fruchtige Kokosnuß, ich freute mich auf ein Gramm Kokain.
Der Schweiß tropfte auf den heißen Sand, langsam verließen mich meine
Kräfte, und es kam mir vor, als ob das Pferd auf meinem Rücken von Schritt
zu Schritt schwerer wurde. Ich konnte diese Last nicht mehr ertragen. Der
seelische Druck wurde immer größer. Doch ich merkte, daß nicht meine Probleme mich bedrückten, sondern daß mich mein Pferd erdrückte. Ich brach
zusammen und fiel in einen Dämmerzustand, wie ich es in meinen schlimmsten Szenezeiten nicht erlebt hatte. Was sollte ich machen? Hatte ich den
richtigen Weg gewählt, hatte ich diese hohe Ebene der Weisheit tatsächlich
erreicht oder versuchte mich das Pferd nur zu überreden, es noch weiter zu
tragen? Ich wußte es nicht. Als ich erwachte, war mein Pferd schon weg. Es
war mit meinem Rucksack Kokain durchgebrannt. Wie konnte ich ihm nur so
vertrauen? Wie konnte ich ihm nur das kostbare Gut anvertrauen? Erst im
Nachhinein erfaßte mich die Gesamtheit meines Fehlers. Erst nach Stunden
konnte ich diesen gewaltigen Fehler in seiner Gesamtheit erfassen, doch nun
war es zu spät. Ich hatte einen Fehler gemacht, und ich fühlte mich stark
genug, es zuzugeben. Doch wem sollte ich es erzählen? Ein grüner Käfer
wurde zu meinem einzigen Freund in der Steppe. Ihr Name war Maria, sie
kam aus Südamerika. Wir hatten unseren Spaß zusammen, wir tanzten und
sangen alte Lieder am Lagerfeuer. Wir erzählten uns Geschichten und badeten zusammen im Fluß. Es lag in meiner Natur. Ich war ein leichtgläubiger
Mensch. Viel zu leichtgläubig. Eines Nachts erwachte ich schweißgebadet,
während ich mir Gedanken über den Sinn des Lebens machte und sah, daß
auch Maria durchgebrannt war. Der Aufbruch war ein Fehler gewesen, und
ich machte mich auf den Weg zurück nach Hause. Unterwegs begegnete ich
auch meinem Pferd und sah, wie es mit Maria Kokain verkaufte. Zu einem
viel zu teuren Preis erkaufte ich mir einen Trip. Es sollte mein letzter werden,
denn im Rausch verirrte ich mich in der Steppe und fiel von einer Klippe ins
Meer. Aber ich hatte mein Ziel erreicht. Meine geplagte Seele zerschellte
auf dem Boden des Meeres, die Wellen schmiegten sich sanft an meinen
geknechteten Körper, und eine Eule weinte ...