Betriebs-Berater 2015, Seite 1814

Steuerrecht | Aufsätze
Martin Riegel, RA/StB, und Michael Walke, RA
Informationsaustausch nach § 117 AO zur bloßen
Analyse von Unternehmensstrukturen?
Die wirtschaftlichen Verflechtungen der Staaten untereinander haben
in den vergangenen Jahrzehnten zugenommen. Die Finanzverwaltungen der Staaten sind dagegen grundsätzlich auf Ermittlungen innerhalb ihres Staatsgebietes beschränkt. Die Finanzminister der G20Staaten haben daher die OECD in 2012 aufgefordert, einen Aktionsplan zu erarbeiten, um das Thema Base Erosion and Profit Shifting
(BEPS) anzugehen. Am 19.7.2013 wurde der BEPS-Aktionsplan durch
die OECD veröffentlicht, in dem 15 Aktionspunkte zur Bekämpfung
von BEPS aufgestellt werden. – Dabei sieht Aktionspunkt 1 des BEPSAktionsplans die Auseinandersetzung mit den Besonderheiten der
Unternehmen der digitalen Wirtschaft vor. Zur Umsetzung des Aktionspunktes 1 sind Australien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Japan und Kanada (E6-Gruppe) bestrebt, weitreichende Informationen über diverse Unternehmen der digitalen Wirtschaft ohne
Anonymisierung und unabhängig von der konkreten Besteuerung der
einzelnen Gesellschaften auszutauschen. Das Ziel dieses Informationsaustauschs besteht darin, die Geschäftsmodelle und Strukturen der
Unternehmen besser zu verstehen. Auf der Grundlage der ausgetauschten Informationen wollen die Staaten die Anpassung des jeweils geltenden Rechts abstimmen. Aktuell ist ein erstes Eilverfahren
gegen das BZSt anhängig, dem diese Frage zu Grunde liegt. Streitig
sind sowohl die beabsichtigte Weitergabe von Informationen an ausländische Staaten als auch beabsichtigte Anfragen der deutschen
Finanzverwaltung an diese zur Erlangung von Informationen. – Die
deutsche Finanzverwaltung stützt sich für die Informationsweitergabe
auf die Vorschriften über die zwischenstaatliche Amtshilfe (§ 117 AO).
Diese stellen allerdings nur eine Rechtsgrundlage für einen Informationsaustausch vor dem Hintergrund einer möglichen Besteuerung de
lege lata im konkreten Einzelfall dar, können aber den avisierten
breitgefächerten Informationsaustausch nicht rechtfertigen. Gegen
diesen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung
stehen den betroffenen Steuerpflichtigen die Unterlassungsklage und
der einstweilige Rechtschutz in Form der einstweiligen Anordnung
offen. – Der Beitrag setzt die Folge von Beiträgen zum Thema
„Finanzgerichtsprozesse erfolgreich führen“ (BB 2014, 3100 und BB
2015, 796) fort.
I.
Einführung
In der Vergangenheit lag einem Informationsaustausch regelmäßig
das Ziel zugrunde, die zu übermittelnden Daten zur Prüfung der zutreffenden Besteuerung im Empfängerland zu verwenden. Dafür boten sich etwa Kontrollmitteilungen hinsichtlich grenzüberschreitender Zahlungen an.1 Die angefragten und zu übermittelnden Informationen sollten einer Besteuerung im konkreten Einzelfall2 und bei
Sammelauskunftsersuchen einer konkreten Besteuerung in einer
Mehrzahl von Einzelfällen3 dienen. Auf Grund der Divergenz von
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materieller Universalität und formeller Territorialität ist die Finanzverwaltung für Zwecke der Besteuerung auf Auskünfte von Steuerpflichtigen oder ausländischen Staaten angewiesen.4
Der derzeit auf der Grundlage des BEPS-Aktionsplans5 beabsichtigte
Informationsaustausch hat eine andere Qualität: Es sollen Informationen von Steuerpflichtigen ausgetauscht werden, ohne dass konkrete Anhaltspunkte für irgendeine steuerliche Auswirkung sprechen
oder eine Auswirkung auf die Besteuerung des Steuerpflichtigen oder
dessen Geschäftspartner überhaupt erwartet wird. Auswirkungen sollen sich höchstens durch etwaige Gesetzesänderungen nach der Analyse der Geschäftsmodelle ergeben.6
Einem Austausch von Informationen steht dabei grundsätzlich das
aus Art. 1 und 2 Abs. 1 GG abgeleitete Recht auf informationelle
Selbstbestimmung entgegen.7 Einfachgesetzlich stellt dies grundsätzlich das Steuergeheimnis nach § 30 AO sicher. Dieses greift nur dann
nicht, wenn es sich nicht um bereits offenbarte Informationen handelt oder eine Ausnahme – also eine Offenbarungsbefugnis – vorgesehen ist.
Das Bundeszentralamt für Steuern ist bestrebt, die bei der deutschen
Finanzverwaltung vorhandenen Informationen zu einzelnen Unternehmen der digitalen Wirtschaft an die anderen beteiligten Staaten
(der E6-Gruppe) über den Weg der zwischenstaatlichen Amtshilfe
nach § 117 AO zu übermitteln sowie entsprechende Informationen
zu erhalten.8 Die Informationsweitergabe zielt dabei weder auf bestimmte steuerlich erhebliche Sachverhalte noch auf einzelne Steuerarten oder Zeiträume ab. Vielmehr sollen sämtliche der Finanzverwaltung zu dem jeweils betroffenen Unternehmen der digitalen
Wirtschaft vorliegenden Informationen weitergegeben werden, die
Aufschluss über deren Geschäftsmodelle im Ganzen und ihre Struktur geben könnten. Auch Informationen über die konkrete Besteuerung des jeweiligen Steuerpflichtigen sollen uneingeschränkt ausgetauscht werden. Es werden keine Anhaltspunkte benannt, die für die
ernstliche Möglichkeit einer Besteuerung in den anderen am Informationsaustausch beteiligten Staaten sprechen. Außerdem sollen die
1 FG Köln, 20.8.2008 – 2 V 1948/08; FG Köln, 24.9.2008 – 2 V 2821/08; BFH, 29.4.1992 – I
B 12/92, BB 1992, 1203 Ls.
2 BFH, 29.2.2012 – I B 88/11; FG Köln, 30.4.2008 – 2 V 1158/08.
3 Sammelauskunftsersuchen; vgl. BFH, 16.1.2009 – VII R 25/08, BB 2009, 1284 m. BBKomm. Geuenich.
4 Seer/Gabert, StuW 2010, 3; Biesgen/Noel, SAM 2014, 5; Statistiken zur Häufigkeit der Auskunftsersuchen vgl. Grotherr, ISR 2015, 193.
5 OECD, Aktionsplan zur Bekämpfung der Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung –
Base Erosion and Profit Shifting (BEPS), s. u. www.oecd-ilibrary.org/taxation/aktionsplanzur-bekampfung-der-gewinnverkurzung-und-gewinnverlagerung_9789264209688-de).
Für sieben der 15 Schlüsselprobleme hat die OECD bereits konkrete Empfehlungen ausgesprochen (http://www.oecd.org/berlin/publikationen/beps-berichte.htm).
6 S. 13 des Aktionsplans der OECD.
7 Lampert/Meickmann, ISR 2014, 305.
8 Das BMF hat seine Zuständigkeit für die zwischenstaatliche Amtshilfe bei der Steuerfestsetzung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 5 FVG durch Erlass vom 20.6.2011 – IV B 5 – O 1000/09/
10507-04, BStBl. I 2011, 674, auf das BZSt übertragen.
Betriebs-Berater | BB 31.2015 | 27.7.2015
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Riegel/Walke · Informationsaustausch nach § 117 AO zur bloßen Analyse von Unternehmensstrukturen?
Informationen wortgleich an alle beteiligten Staaten weitergegeben
werden.
II.
OECD-Aktionsplan: Informationsbeschaffung für Studien und
Gesetzgebungsvorschläge
Die OECD bzw. die aktuell an den Informationsaustauschen beteiligten Staaten (E6-Gruppe) versuchen, die Voraussetzungen für eine
Steigerung der (derzeitig als zu niedrig wahrgenommenen) Steuerbelastung der Unternehmen der digitalen Wirtschaft durch eine nahezu
unbeschränkte Weitergabe von Daten, deren anschließende Auswertung und darauf aufbauende Studien sowie Gesetzgebungsvorschläge
zu schaffen.
Die OECD-Bemühungen resultieren aus der Überlegung, dass
Staaten aktuell geringere Einnahmen und höhere Kosten für die
Sicherung der Gesetzestreue verkraften müssten. Bekanntlich haben die Industriestaaten im Rahmen des G20-Gipfels im Juni
2012 die OECD daher zur Ausarbeitung eines Lösungsansatzes beauftragt.9
Nach Einschätzung der OECD stellt gerade die Ausdehnung der digitalen Wirtschaft die internationale Besteuerung vor Herausforderungen. Daher sei eine genaue Prüfung der Unternehmen dieser Branche
erforderlich, insbesondere wie diese Mehrwert schaffen und Gewinne
erzielen. Anhand dieser Prüfung könne sodann festgestellt werden,
inwieweit aktuelle Regelungen angepasst werden müssen.10 Der Aktionsplan führt hierzu aus:
„Um festzustellen, inwieweit die aktuellen Regelungen angepasst werden müssen,
damit die besonderen Merkmale der digitalen Wirtschaft berücksichtigt sind und
BEPS vermieden wird, ist es wichtig, genau zu prüfen, wie Unternehmen dieser Branche Mehrwert schaffen und ihre Gewinne erzielen.“11
Im Aktionspunkt 1 wird sodann das Vorgehen dargestellt:
„Lösung der mit der digitalen Wirtschaft verbundenen Besteuerungsprobleme
Ermittlung der Hauptschwierigkeiten, die sich durch die digitale Wirtschaft für die
Anwendung bestehender internationaler Steuervorschriften ergeben, und Erarbeitung detaillierter Möglichkeiten zur Lösung dieser Schwierigkeiten unter Zugrundelegung eines holistischen Ansatzes und Berücksichtigung sowohl direkter als auch indirekter Besteuerung. Dabei sind u. a. folgende Problemfelder zu untersuchen: die
Möglichkeit, dass ein Unternehmen über eine erhebliche digitale Präsenz in der
Wirtschaft eines anderen Landes verfügt, ohne steuerpflichtig zu sein, da nach den
derzeitigen internationalen Vorschriften kein Anknüpfungspunkt vorhanden ist; die
Zurechnung von Wert, der durch die Erzeugung von marktfähigen standortrelevanten Daten infolge der Nutzung digitaler Produkte und Dienstleistungen entsteht; die
III. Steuergeheimnis als notwendiges Korrelat
zu Mitwirkungspflichten der
Steuerpflichtigen
Einer freien Weitergabe von Informationen steht das Steuergeheimnis
nach § 30 AO entgegen. Vom Steuergeheimnis geschützt sind sämtliche Verhältnisse eines anderen, die Amtsträgern im Rahmen ihrer
dienstlichen Tätigkeit bekannt geworden sind, § 30 Abs. 2 Nr. 1 a-c
AO. Umfasst ist alles, was über eine Person bekannt werden kann, also
sämtliche persönlichen, wirtschaftlichen, rechtlichen, öffentlichen
und privaten Merkmale, die eine natürliche oder juristische Person
betreffen.13 Lediglich allgemein zugängliche Daten unterliegen nicht
dem Steuergeheimnis. Auf die steuerliche Bedeutung der Verhältnisse
oder ihre nach den Verhältnissen des Einzelfalls zu vermutende
Schutzbedürftigkeit kommt es nicht an.14 Mit dem Steuergeheimnis
hat der Gesetzgeber für das Steuerrecht bereits vor Erlass datenschutzrechtlicher Normen organisatorische und verfahrensrechtliche Vorkehrungen getroffen, die der Schutzrichtung der späteren Datenschutzgesetze entsprechen.15
Das Recht auf Wahrung des in § 30 AO gesetzlich umschriebenen
Steuergeheimnisses ist zwar kein Grundrecht.16 Es ist jedoch Ausfluss
des Art. 1 Abs. 1 GG und gewährleistet als Bestandteil des Rechts auf
informationelle Selbstbestimmung, Art. 2 Abs. 1 GG, einen das gesamte Besteuerungsverfahren umfassenden Schutz.17 Das Recht auf
informationelle Selbstbestimmung schützt jedermann vor unbegrenzter Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe von Daten,
die die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eines Einzelnen
betreffen.18 Dieses Recht darf nur im überwiegenden Interesse der
Allgemeinheit und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt
werden.19 Die Einschränkung darf aber nicht weiter gehen, als es zum
Schutze öffentlicher Interessen unerlässlich ist.20 Der Umfang der Offenbarung ist auch bei zwingendem öffentlichen Interesse auf das
notwendige Maß beschränkt.21
Den zur Amtsermittlung verpflichteten Finanzbehörden sind grundsätzlich sämtliche für eine Besteuerung erhebliche Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß offenzulegen, § 90 Abs. 1 S. 2 AO.22 Das
Steuergeheimnis bildet damit einen Gegenpart zu den bestehenden
Offenbarungs- und Mitwirkungspflichten, die ein Steuerpflichtiger
im Besteuerungsverfahren zu erfüllen hat.23 Mit dem Steuergeheimnis
wird der Zweck verfolgt, durch besonderen Schutz des Vertrauens in
die Amtsverschwiegenheit die Bereitschaft zur Offenlegung der steuerlich relevanten Sachverhalte zu fördern, um eine gesetzmäßige,
Einstufung von Einkünften aus neuen Geschäftsmodellen; die Anwendung einschlägiger Quellenregeln; die Sicherstellung der wirksamen Erhebung von Mehrwertsteuer/ Waren- und Dienstleistungssteuer im Zusammenhang mit der grenzüberschreitenden Lieferung bzw. Erbringung digitaler Waren und Dienstleistungen. Dafür ist
eine gründliche Analyse der verschiedenen Geschäftsmodelle in diesem Sektor erforderlich.“12
Eine (gründliche) Analyse der Geschäftsmodelle diverser Unternehmen der digitalen Wirtschaft ist aus Sicht des Aktionsplans allein deshalb erforderlich, weil eine mögliche „niedrige“ Steuerbelastung im
Einklang mit dem geltenden Recht steht. Der Aktionsplan beantwortet allerdings selbst noch nicht die Frage, woher das Datenmaterial
für die gründliche Analyse der verschiedenen Geschäftsmodelle in
diesem Sektor kommen soll. Offenbar wollen die E6-Staaten dafür
den Informationsaustausch nutzen.
Betriebs-Berater | BB 31.2015 | 27.7.2015
9 Information der OECD zum BEPS-Programm unter www.oecd.org/forum/what-the-bepsare-we-talking-about.htm.
10 S. 12 des Aktionsplans der OECD.
11 S. 13 des Aktionsplans der OECD.
12 S. 17 des Aktionsplans der OECD.
13 Alber, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, ¼ Stand: Mai 2015, § 30 AO Rn. 32.
14 Rüsken, in: Klein, AO, 12. Aufl. 2014, § 30 AO, Rn. 43.
15 BFH, 8.2.1994 – VII R 88/92, BB 1994, 1413.
16 BVerfG, 17.7.1984 – 2 BvE 11/83.
17 BFH, 29.7.2003 – VII R 39/02, BB 2003, 2216; BFH, 29.7.2003 – VII R 43/02, BB 2003,
2216; Alber, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: Mai 2015, § 30 AO, Rn. 49.
18 BFH, 27.10.1993 – I R 25/92, BB 1994, 624, RIW 1994, 267.
19 BVerfG, 15.12.1983 – 1 BvR 209/83.
20 BVerfG, 17.7.1984 – 2 BvE 11/83.
21 Drüen, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, ¼ Stand: März 2015, § 30, Rn. 122.
22 Gleiches gilt für sonstige Auskunftsverpflichtete nach § 93 Abs. 1 S. 1 AO.
23 Alber, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: Mai 2015, § 30 AO Rn. 8; Tully,
JbFfStR 2014/2015, 247.
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insbesondere auch gleichmäßige Besteuerung sicherzustellen.24 Das
Verlangen des Staates nach steuerlichen Angaben begründet sich aus
dem Umstand, dass der Betroffene am staatlichen Leben teilnimmt.
Deshalb darf ihm ein Anteil an den finanziellen Lasten zur Aufrechterhaltung des staatlichen Lebens auferlegt werden. Daher rechtfertigen sich Gesetze, die eine Pflicht zu steuerlichen Angaben auferlegen,
die Zwecken einer Besteuerung dienen.25
Daneben ist das Steuergeheimnis, also die Vertraulichkeit der mitgeteilten Daten, zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der Mitwirkungspflichten erforderlich. Schließlich stellen auch diese einen
Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung
dar. Die Sicherstellung der gesetzmäßigen Besteuerung rechtfertigt
als legitimer Zweck die Auferlegung von Mitwirkungspflichten nur,
soweit diese geeignet, erforderlich und angemessen zur Zielerreichung sind. „Erforderlich“ als das mildeste geeignete Mittel ist aber
nur die Auferlegung von Mitwirkungspflichten unter Wahrung der
Vertraulichkeit von übermittelten Informationen; dieses ist ein milderes Mittel als der Zwang zur öffentlichen Preisgabe von Informationen durch Übermittlung an eine nicht zur Verschwiegenheit verpflichtete Verwaltung. Zu einer Erhebung, Speicherung, Verwendung oder Weitergabe individualisierter oder individualisierbarer
Daten zu anderen Zwecken ermächtigen die Steuergesetze hingegen
nicht.26
IV. Durchbrechung des Steuergeheimnisses
Eine Durchbrechung des Steuergeheimnisses kommt vor allem in Betracht, soweit sie der Durchführung der inländischen Besteuerung
dient (§ 30 Abs. 4 Nr. 1 AO) oder dies gesetzlich zugelassen ist (§ 30
Abs. 4 Nr. 2 AO).
Für Inlandsfälle, d. h. für die Offenbarung zum Zwecke der inländischen Besteuerung fordert der Bundesfinanzhof einen unmittelbaren
funktionalen Zusammenhang zwischen der Offenbarung und der
Durchführung eines Verfahrens in Steuersachen.27
Die Offenlegung von Verhältnissen gegenüber ausländischen Staaten
ist unter den Voraussetzungen des § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO i.V. m. § 117
Abs. 2, 3 AO zugelassen. Der zwischenstaatliche Informationsaustausch soll bei grenzüberschreitenden Sachverhalten den deutschen
Finanzbehörden eine den deutschen Steuergesetzen sowie den Finanzbehörden des anderen Staates eine den dort geltenden Steuergesetzen
entsprechende gleichmäßige und wettbewerbsneutrale Besteuerung
ermöglichen. Auch die Finanzverwaltung geht in dem von ihr veröffentlichten Merkblatt zum Informationsaustausch nicht von weitergehenden Zwecken aus.28 Das Merkblatt des BMF spricht insoweit
zutreffend von „Auskünften auf Ersuchen in Einzelfällen“, welche
dann mit diversen Beispielen unterfüttert werden.29
Nach § 117 Abs. 2 AO können Finanzbehörden zwischenstaatliche
Rechts- und Amtshilfe auf Grund innerstaatlich anwendbarer völkerrechtlicher Vereinbarungen, innerstaatlich anwendbarer Rechtsakte der Europäischen Union sowie des EU-Amtshilfegesetzes leisten.30 Es ist damit festgeschrieben, dass steuerliche Amtshilfe nur
dann geleistet werden darf, wenn eine völkerrechtliche oder europarechtliche Grundlage dafür besteht.31 Die Bundesrepublik
Deutschland hat mit einer Vielzahl von Staaten Auskunftsklauseln
vereinbart (in der Regel durch Doppelbesteuerungsabkommen),
die zur gegenseitigen Auskunftserteilung in Steuersachen verpflichten.32 Die EU-Mitgliedstaaten sind dazu nach der Richtlinie 2011/
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16/EU über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung zur gegenseitigen Auskunftserteilung verpflichtet.
Gemäß § 117 Abs. 3 AO steht es im Ermessen der Finanzbehörden,
zwischenstaatliche Rechts- und Amtshilfe auf Ersuchen auch in anderen Fällen zu leisten. Die Finanzverwaltung hat ihr Ermessen auf
Amtshilfe im Kulanzwege zu Recht eingeschränkt, indem sie die Regelung nur auf Ausnahmefälle angewendet wissen will.33
V.
Steuerliche Erheblichkeit als Voraussetzung
des Informationsaustausches
§ 117 Abs. 2 AO (in Verbindung mit den jeweiligen völkerrechtlicher
Vereinbarungen, sowie dem EU-Amtshilfegesetz34) und § 117 Abs. 3
AO setzen voraus, dass die zu übermittelnden Informationen voraussichtlich steuerlich erheblich sind.
Bereits im Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Abgabenordnung heißt es zum damaligen § 124 AO, dass ausländische Rechtsund Amtshilfeersuchen nach der internationalen Übung in Steuersachen so erledigt würden, als ob es inländische Rechts- und Amtshilfeersuchen wären.35 Mithin war bereits dieser Regelung die ausschließliche Zielsetzung der Hilfe in konkreten Besteuerungsverfahren
– „in Steuersachen“ – immanent.
Klarstellend formulierte auch der Finanzausschuss zur Einfügung des
§ 117 Abs. 3 AO, dass die Neufassung daran anknüpfe, dass der ersuchende Staat Gegenseitigkeit verbürgt und gewährleistet, dass übermittelte Auskünfte und Unterlagen nur für die Zwecke seines Besteuerungs- oder Steuerstrafverfahrens verwendet und geheim gehalten
werden.36
Auch die völker- und gemeinschaftsrechtlichen Regelungen verlangen
eine voraussichtliche Erheblichkeit.37
1.
EU-Amtshilfe
Nach Art. 5 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2011/16/EU über die
Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung sind die Informationen zu übermitteln, die für die Anwendung
und Durchsetzung des innerstaatlichen Rechts der Mitgliedstaaten
über die in Art. 2 genannten Steuern voraussichtlich erheblich sind.38
24 BVerfG, 17.7.1984 – 2 BvE 11,15/83.
25 BVerfG, 17.7.1984 – 2 BvE 11,15/83.
26 BVerfG, 17.7.1984 – 2 BvE 11,15/83. Nach vielfacher Einschätzung wird das Steuergeheimnis durch den BEPS-Aktionsplan und dessen nationale Umsetzung deutlich eingeschränkt bzw. „abgeschafft“; vgl. auch www.stiftung-marktwirtschaft.de/uploads/
tx_ttproducts/datasheet/Tagungsbericht_Rechtsstaat_07.11.2014.pdf.
27 BFH, 10.2.1987 – VII R 77/84, BB 1987, 1659.
28 BMF, Merkblatt vom 25.5.2012 – IV B 6 – S 1320/07/10004:006, Abschnitt 1.1.
29 BMF, Merkblatt vom 25.5.2012 – IV B 6 – S 1320/07/10004:006, Abschnitt 2.1. und 2.2;
auch der Erlass des BMF vom 20.6.2011 – IV B 5 – O 1000/09/10507-04, BStBl. I 2011,
674, zur Übertragung der Zuständigkeit auf das BZSt spricht ausdrücklich von Einzelfällen.
30 Ausführliche Darstellung zum Ganzen Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO,
Stand: Mai 2015, § 117 AO, Rn. 33 ff.
31 Czakert, ISR 2013, 177.
32 Auflistung der bestehenden DBA auf der Internetpräsenz des BMF abrufbar unter
www.bundesfinanzministerium.de/Web/DE/Themen/Steuern/Internationales_Steuerrecht
/Staatenbezogene_Informationen/staatenbezogene_info.html.
33 BMF, Merkblatt vom 25.5.2012 – IV B 6 – S 1320/07/10004:006, Abschnitt 1.3.5. „Fälle
mit besonderer Bedeutung.“
34 Art. 26 Abs. 1 S. 1 OECD-MA; § 1 Abs. 1 S. 1 und § 4 Abs. 1 S. 1 EUAHiG.
35 Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 19.3.1971, BT-Drs. VI/1982.
36 Bericht des Finanzausschusses vom 7.11.1975, BT-Drs. 7/4292.
37 FG Köln, 23.8.2007 – 2 K 3911/06; Czakert, ISR 2013, 177.
38 Art. 17 RL 2011/16/EU verlangt darüber hinaus, dass die ersuchende Behörde die üblichen Informationsquellen ausgeschöpft hat, die sie unter den gegebenen Umständen
zur Erlangung der erbetenen Informationen genutzt haben könnte, ohne die Erreichung
ihres Ziels zu gefährden.
Betriebs-Berater | BB 31.2015 | 27.7.2015
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Riegel/Walke · Informationsaustausch nach § 117 AO zur bloßen Analyse von Unternehmensstrukturen?
Die Regelung wurde in Deutschland durch das Gesetz über die
Durchführung der gegenseitigen Amtshilfe in Steuersachen zwischen
den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU-Amtshilfegesetz –
EUAHiG) umgesetzt.
Nach § 1 Abs. 1 S. 1 EUAHiG regelt das Gesetz den Austausch von voraussichtlich erheblichen Informationen in Steuersachen zwischen
Deutschland und den anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Auf Ersuchen erfolgen sodann die Antworten, die für die Festsetzung von Steuern voraussichtlich erheblich sind, § 4 Abs. 1 EUAHiG.
Damit entsteht durch den Vorrang des Gemeinschaftsrechts hier kein
Spannungsfeld,39 da gleichlautend eine Pflicht zur Weitergabe von Informationen, die für eine Besteuerung ohne Bedeutung sind, nicht
besteht.
2.
Auskunftsklauseln der DBA
Auch die für die vorliegend avisierten Auskunftsübermittlungen maßgeblichen Doppelbesteuerungsabkommen enthalten vergleichbare
Regelungen. Hierbei ist unerheblich, ob es sich um große Auskunftsklauseln handelt, wie sie in neuerer Zeit verwendet werden (so auch
im OECD-Musterabkommen) – diese erlauben Auskünfte sowohl für
Zwecke des Abkommens als auch für eine innerstaatliche Besteuerung
der im Abkommen genannten Steuerarten (so DBA-Kanada, DBAAustralien, DBA-Frankreich und DBA-Großbritannien40) – oder um
kleine Auskunftsklauseln, die Auskünfte lediglich zur Durchführung
des Abkommens erlauben (so DBA-Japan41). Allen ist gemein, dass
die Auskünfte voraussichtlich erforderlich sein müssen.
3.
Amtshilfe aus Kulanz
§ 117 Abs. 3 Nr. 2 AO stellt auch für die sonstigen Fälle klar, dass zwischenstaatliche Rechts- und Amtshilfe nach pflichtgemäßem Ermessen auf Ersuchen auch in anderen Fällen geleistet werden kann, wenn
– neben sonstigen Voraussetzungen – gewährleistet ist, dass die übermittelten Auskünfte und Unterlagen nur für Zwecke eines
Besteuerungs- oder Steuerstrafverfahrens (einschließlich Ordnungswidrigkeitenverfahren) verwendet werden.
VI. Erforderlichkeit der Informationen
Es ist einhellige Auffassung, dass eine Übermittlung der Informationen nur dann in Betracht kommt, wenn die Erteilung der Auskünfte
für die Steuerfestsetzung in den beteiligten Staaten erheblich sein
kann.42 Die Auskunftsersuchen unterliegen damit einem Erforderlichkeitsvorbehalt.43 Zwar wird nicht verlangt, dass die inländischen
Finanzbehörden den genauen Inhalt des ausländischen Steuerrechts
ermitteln, da dies die Umsetzung von Auskunftsersuchen unpraktikabel machen würde.44 Gleichwohl muss eine ernstliche Möglichkeit bestehen, dass der andere Vertragsstaat ein Besteuerungsrecht hat und
ohne die Auskunft von dem Gegenstand dieses Besteuerungsrechts
keine Kenntnis erlangt.45 Der Finanzverwaltung wird damit zumindest eine Schlüssigkeitsprüfung auferlegt.46 Ins Blaue hinein gerichtete Anfragen47 reichen ebensowenig aus wie die bloße Behauptung der
steuerlichen Erheblichkeit ohne konkrete Anhaltspunkte.48
Wenn vollumfänglich Informationen ohne Bezug zu einem konkreten Sachverhalt oder gar den Ansatz einer etwaig zu korrigierenden
Besteuerung inhaltsgleich an diverse Staaten verbreitet werden sollen, kann diese Weitergabe nicht für die Durchführung der Besteuerung erforderlich sein. Schließlich fehlt es an konkreten Be-
Betriebs-Berater | BB 31.2015 | 27.7.2015
steuerungsverfahren und hinreichend konkreten steuerlichen Auswirkungen.
Weiter muss sichergestellt werden, dass die zu übermittelnden Steuerdaten nur für steuerliche Zwecke verwendet werden.49 Die Informationen dürfen nur Personen offenbart werden, die mit dem zulässigen
Verwendungszweck unmittelbar befasst sind. Untersagt ist damit
jegliche sonstige Verwertung.50 Dass zur sonstigen Verwertung auch
die bloße Nutzung für Studien – und sei es der OECD – zählt, sollte
auf der Hand liegen. Diese Nutzung erfordert zwangsläufig die Beteiligung einer Vielzahl von nicht mit der Besteuerung der einzelnen
Unternehmen betrauten Personen. Dabei soll das Steuergeheimnis im
Inland den Betroffenen bereits vor unbefugter Offenbarung auch innerhalb ein- und derselben Behörde schützen51 und damit erst recht
vor der Offenbarung gegenüber nicht mit der Durchführung der Besteuerung betrauten ausländischen Stellen.
Ein beliebtes Gegenargument gegen das Interesse an informationeller
Selbstbestimmung lautet sinngemäß: Wer nichts zu verbergen habe,
brauche nichts zu befürchten. Wer schon einmal selbst Auseinandersetzungen aufgrund einer Betriebsprüfung miterlebt hat, der weiß,
wie hartnäckig sich schon Fehlinterpretationen aufgrund banaler
Dinge wie bspw. Namensähnlichkeiten in Behördenakten halten. Man
muss sich hierzu vor Augen halten, dass die Finanzverwaltung nicht
gewährleisten kann, dass die ausgetauschten Informationen inhaltlich
zutreffend sind. Außerdem führt ein Informationsaustausch in der
Regel im Nachgang zu hohem Verwaltungsaufwand bei dem betroffenen Steuerpflichtigen, der selbst ohne Rückfragen von Informationsempfängern den Weg der Informationen nachverfolgen muss.
Schließlich muss er jederzeit in der Lage sein, den Schaden durch die
Weitergabe insbesondere unzutreffender Informationen an Dritte in
Grenzen zu halten. Daher ist es wesentlich, dass die Informationsübermittlung nur erfolgt, soweit sie für die Durchführung der Besteuerung erforderlich ist.
VII. Verhältnismäßigkeit als
verfassungsrechtliche Grenze
Die Übermittlung von Informationen nach § 117 Abs. 2, 3 AO muss
sich auch am verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgebot messen lassen.
Zwar mag die Kenntniserlangung von den Geschäftsmodellen und
Strukturen von Unternehmen der digitalen Wirtschaft zur Prüfung
der Notwendigkeit der Anpassung aktuell bestehender Gesetzgebung
ein legitimes Ziel sein – dies gerade und vor allem vor dem Hinter39 Seer/Gabert, StuW 2010, 3. Der Vorrang gemeinschaftlicher Rechtsgrundlagen bestünde
sowohl gegenüber nationalen Regelungen als auch gegenüber DBA. Sonstige bilaterale
Rechts- und Amtshilfeabkommen sind – sofern nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist – nebeneinander anwendbar.
40 DBA-Kanada vom 19.4.2001; DBA-Großbritannien vom 30.3.2010; DBA-Australien vom
24.11.1972; DBA-Frankreich vom 21.7.1959.
41 DBA-Japan vom 22.4.1966.
42 FG Köln, 23.8.2007 – 2 K 3911/06; Czakert, IStR 2013, 596.
43 Seer/Gabert, StuW 2010, 3.
44 BFH, 10.5.2005 – I B 218/04; BFH, 8.2.1995 – I B 92/94, BB 1995, 918 Ls, RIW 1995, 532.
45 BFH, 10.5.2005 – I B 218/04; Bozza-Bodden, Internationale Zusammenarbeit – Informationsaustausch, DStJG 36 (2013), S. 133.
46 Bozza-Bodden, DStJG 36 (2013), S. 133.
47 BFH, 29.10.1986 – VIIR 82/85; BFH, 24.10.1989 – VII R 1/87, BB 1990, 269, sowie BFH,
21.3.2002 – VII B 152/01, BB 2002, 1076.
48 Vgl. Bozza-Bodden, DStJG 36 (2013), S. 133.
49 Czakert, ISR 2013, 177.
50 Bozza-Bodden, DStJG 36 (2013), S. 133.
51 Rüsken, in: Klein, AO, 12. Aufl. 2014, § 30 AO, Rn. 58.
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grund des Gebots der Gleichmäßigkeit der Besteuerung. Offensichtlich ist das Mittel der Weitergabe weitreichender Informationen – die
jeweiligen Unternehmen betreffend – geeignet, um die Strukturen im
Speziellen wie im Allgemeinen zu ermitteln, um aufbauend auf einer
nachfolgenden Analyse Studien ausarbeiten zu können.
Der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung des Auskunftsaustauschs
stehen unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit jedoch erhebliche
Bedenken entgegen, wenn Informationen aller Art über Unternehmen
der digitalen Wirtschaft ausgetauscht werden, ohne dass es auf die unmittelbare Verwendung im Besteuerungsverfahren ankommen soll.
Selbst wenn das einfache Recht den Informationsaustausch ohne konkreten Anlass zuließe, wäre dieser als nicht gerechtfertigter Eingriff in
das Recht auf informationelle Selbstbestimmung rechtswidrig.
Bei einer flächendeckenden Weitergabe sämtlicher Informationen wäre auch kaum gewährleistet, dass die weitergegebenen Daten vertraulich behandelt werden.52 Ohne eine an Sacherfordernissen orientierte
Begrenzung des Empfängerkreises lässt sich die Vertraulichkeit nicht
sicherstellen. Aufgrund des avisierten breit gestreuten Informationsaustauschs würde zwangsläufig eine nicht überschaubare Anzahl von
Personen Zugang zu den ausgetauschten Informationen erhalten.
Dies erhöht das Risiko der weiteren Verbreitung der Informationen,
weil sich bei einem Durchsickern der Informationen an die Öffentlichkeit das Leck nicht lokalisieren ließe.
VIII. Keine sonstigen Offenbarungsbefugnisse
Mangels sonstiger Offenbarungsbefugnisse käme de lege ferenda eine
Änderung des innerstaatlichen Rechts in Betracht. Eine neugeschaffene
Grundlage für die Durchführung eines so weitgehenden Informationsaustausches müsste sich in gleicher Weise an den verfassungsrechtlichen Voraussetzungen messen lassen. Unserer Auffassung nach würde
eine Übermittlung umfassender Informationen ohne Bezug zu einem
konkreten Besteuerungsverfahren aber einen unverhältnismäßigen Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung bedeuten.
IX. Gleiches Ergebnis für Auskunftsersuchen
der deutschen Finanzverwaltung
Die Inanspruchnahme von Auskünften durch die deutsche Finanzverwaltung ist im Ergebnis ebenfalls nur dann zulässig, wenn die erbetene Auskunft für die Durchführung der Besteuerung erforderlich ist.
Gemäß § 117 Abs. 1 AO können Finanzbehörden zwischenstaatliche
Rechts- und Amtshilfe (nur) nach Maßgabe des deutschen Rechts in
Anspruch nehmen. Die Vorschriften zur innerstaatlichen Amtshilfe
sind in § 111 ff. AO enthalten. Nach § 111 Abs. 1 Satz 1 AO müssen
die Auskünfte zur Durchführung der deutschen Besteuerung erforderlich sein. Dies ist nur dann der Fall, wenn sie für die Besteuerung
rechtlich erheblich und vom ersuchenden Staat auch nach Ausschöpfung eigener Auskunftsquellen nicht erreichbar sind.53 Daher sind
auch Auskunftsersuchen an das Ausland unzulässig, wenn sie ersichtlich ins Blaue gerichtet sind.
X.
Fazit
Die Zielsetzung des OECD-Aktionsplans korreliert nicht mit der geforderten Erheblichkeit im Rahmen des zwischenstaatlichen Informationsaustausches. Da es an einer steuerlichen Erheblichkeit unter
1818
Anwendung der bestehenden Regelungen scheitert, ist der avisierte
Informationsaustausch unzulässig. Mangels Offenbarungsbefugnis
des § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO würde ein Informationsaustausch zur Erarbeitung von Vorschlägen für Rechtsänderungen gegen das Steuergeheimnis verstoßen. Angesichts der verfassungsrechtlichen Bedenken
gegen einen solchen Informationsaustausch halten wir auch eine
Änderung des einfachen Rechts zur Ermöglichung eines solchen ungezügelten Informationsaustauschs für ausgeschlossen. Letztlich gibt
es keinen vernünftigen Grund, warum es Steuerpflichtige hinnehmen
müssen, dass ihre nicht anonymisierten Daten frei zwischen verschiedenen Staaten zirkulieren sollen.
Müssten die Steuerpflichtigen der betreffenden Branche einen solchen
ungezügelten Informationsaustausch hinnehmen, würde eine immer
weitergehende Aushöhlung des Steuergeheimnisses und damit des
Rechts auf informationelle Selbstbestimmung drohen. Schließlich
steht zu erwarten, dass sich die Begehrlichkeiten der beteiligten Staaten auch auf umfassende Informationen über Unternehmen klassischer Wirtschaftszweige richten werden.
XI. (Einstweiliger) Rechtsschutz gegen
den Informationsaustausch
Statthafte Klageart gegen den drohenden Informationsaustausch ist
die vorbeugende Unterlassungsklage als Unterfall der allgemeinen
Leistungsklage nach § 40 FGO, weil die Weitergabe von Informationen keinen Verwaltungsakt, sondern rein tatsächliches Verwaltungshandeln darstellt.54 Der Unterlassungsanspruch ergibt sich dabei
aus § 1004 BGB analog i.V. m. § 30 AO.55 Sofern der Informationsaustausch schon erfolgt ist, ist die allgemeine Feststellungsklage
nach § 41 Abs. 1 FGO statthaft.56 Die Klage ist als Antrag auf Feststellung eines Bruchs des Steuergeheimnisses aufgrund des Genugtuungsinteresses des Steuerpflichtigen zulässig.57 Das besondere
Feststellungsinteresse kann sich dazu auch aus einer Wiederholungsgefahr ergeben.
Für den vorläufigen Rechtsschutz sieht die FGO zwei Wege vor, die
Aussetzung der Vollziehung und die einstweilige Anordnung, die sich
aufgrund der in § 114 Abs. 5 FGO angeordneten Subsidiarität der
einstweiligen Anordnung gegenseitig ausschließen. Die Abgrenzung
erfolgt grundsätzlich nach dem jeweiligen Hauptsacheverfahren.58 Ist
in der Hauptsache Anfechtungsklage zu erheben, ist die Aussetzung
der Vollziehung das richtige Nebenverfahren.59 Ist in der Hauptsache
Verpflichtungs-, Leistungs- oder Feststellungsklage zu erheben – wie
im Fall des Informationsaustauschs – ist die einstweilige Anordnung
das richtige Nebenverfahren.60
Sofern aktuell eine Informationsweitergabe droht, sollte daher zeitnah
ein Antrag auf einstweilige Anordnung nach § 114 Abs. 1 S. 3 FGO
beim zuständigen Finanzgericht gestellt werden wegen der Gefahr
52 Zum Missbrauch von Steuerdaten und der damit einhergehenden Verweigerung des
Auskunftserteilung Lampert/Meickmann, ISR 2014, 305.
53 Bozza-Bodden, DStJG 36 (2013), S. 133.
54 Grotherr, ISR 2015, 193.
55 BFH, 29.4.1992 – I B 12/92, BB 1992, 1203.
56 FG Köln, 26.2.2004 – 2 K 1993/02.
57 FG Köln, 23.8.2007 – 2 K 3911/06, m. w. N.
58 Seer, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand: März 2015, § 69 FGO, Rn. 17.
59 Koch, in: Gräber, FGO, 7. Aufl. 2010, § 69 FGO, Rn. 5,
60 Amler/Riegel, BB 2015, 796.
Betriebs-Berater | BB 31.2015 | 27.7.2015
Aufsätze | Steuerrecht
Streit · Grundlegende Neuordnung der Reihengeschäfte: Auf den Zeitpunkt der Verschaffung der Verfügungsmacht kommt es an!
einer nicht mehr rückgängig zu machenden Verletzung des subjektiven Rechts auf Wahrung des Steuergeheimnisses.61 Für den Rechtschutz gegen den Informationsaustausch ist regelmäßig das FG Köln
zuständig.62
Wie der Beitrag zeigt, liegt der absolute Schwerpunkt der Verfahren
bei der Prüfung der Erforderlichkeit der Informationsweitergabe. In
solchen Verfahren ist es daher entscheidend, sich mit den konkret für
den Austausch vorgesehenen Informationen auseinanderzusetzen und
die fehlende steuerliche Erheblichkeit der Informationen darzulegen.
Martin Riegel ist Executive Director bei der Ernst & Young
GmbH in Eschborn und verantwortlich für Tax Litigation. Er
ist spezialisiert auf die gerichtliche und außergerichtliche
Vertretung in Steuerstreitsachen, insbesondere in Finanzgerichtsprozessen. Vor seiner Tätigkeit bei der Ernst & Young
GmbH war Herr Riegel Richter beim Finanzgericht BadenWürttemberg.
Michael Walke ist Rechtsanwalt bei der Ernst & Young
GmbH in Eschborn im Bereich Tax Litigation. Er war zuvor
im Justiziariat des BZSt tätig und dort insbesondere für finanzgerichtliche Verfahren zuständig.
61 BFH, 15.2.2006 – I B 87/05, BB 2006, 930 Ls.
62 Dort weiterhin ausschließlich der 2. Senat – nach dem Geschäftsverteilungsplan vom
29.6.2015.
Thomas Streit, LL.M. Eur., RA/FAStR
Grundlegende Neuordnung der Reihengeschäfte:
Auf den Zeitpunkt der Verschaffung der
Verfügungsmacht kommt es an!
In einem grenzüberschreitenden Reihengeschäft ist es von Bedeutung,
die umsatzsteuerfreie Lieferung zu bestimmen. Maßgebliches Kriterium
war bisher, wer den Transport der Ware vorgenommen oder veranlasst
hat. In zwei aktuellen Entscheidungen distanziert sich der BFH von
diesem Kriterium. Er hat für Recht erkannt, dass es auf die Transportverantwortlichkeit nicht ankommen kann. Stattdessen ist entscheidend,
wann der letzte Abnehmer Verfügungsmacht an der Ware erhalten hat.
I.
Einleitung
Der BFH hat am 8.4.2015 zwei wegweisende Urteile zu umsatzsteuerrechtlichen Reihengeschäften veröffentlicht. Es handelt sich um
die Verfahren XI R 30/13 und XI R 15/14. Das Urteil XI R 15/14
ist die zweite Folgeentscheidung des BFH in der Rechtssache
VSTR1, die damit im Sinne der Klägerin ihren positiven Abschluss
findet. Der XI. Senat setzt darin seine Linie fort, die er bereits in der
ersten Folgeentscheidung2 in der Rechtssache VSTR eingeschlagen
hatte. Die warenbewegte Lieferung ist aus seiner Sicht danach zu bestimmen, zu welchem Zeitpunkt der Ersterwerber (= mittlerer Unternehmer) dem Zweiterwerber (= letzter Abnehmer) im Reihengeschäft
Verfügungsmacht an der Ware verschafft – bei einem Reihengeschäft
mit drei Beteiligten A, B und C also der B dem C. Nach diesem Maßstab ist die bisherige deutsche Sichtweise des Reihengeschäfts überholt. Die Frage, wer die Ware befördert oder versendet, verliert ihre
Bedeutung.
Betriebs-Berater | BB 31.2015 | 27.7.2015
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II.
Rechtlicher Hintergrund der aktuellen
Entscheidungen
Ein Reihengeschäft liegt vor, wenn mehrere Unternehmer Umsatzgeschäfte über denselben Gegenstand abschließen und der Gegenstand
unmittelbar vom ersten Unternehmer an den letzten Abnehmer gelangt, § 3 Abs. 6 S. 5 UStG.3 Bei einer grenzüberschreitenden Warenbewegung im Reihengeschäft kann nur eine der Lieferungen die sog.
(waren)bewegte Lieferung sein.4 Nur die warenbewegte Lieferung
kann als Ausfuhr gem. § 4 Nr. 1 Buchst. a i.V. m. § 6 UStG oder als
innergemeinschaftliche Lieferung gem. § 4 Nr. 1 Buchst. b i.V. m. § 6a
UStG umsatzsteuerfrei sein.5 Die übrigen Lieferungen im Reihengeschäft sind die sog. ruhenden Lieferungen.6
Folglich hängt die Beurteilung der einzelnen Lieferungen maßgeblich
von der Zuordnung der warenbewegten Lieferung ab. Die Zuordnung
muss dabei für alle Beteiligten im Reihengeschäft einheitlich erfol1 EuGH, 27.9.2012 – C-587/10, VSTR, ECLI:EU:C:2012:592, RIW 2012, 887.
2 BFH, 28.5.2013 – XI R 11/09, BFH/NV 2013, 1524, Ziff. II 3 c) cc) dd), BB 2013, 2273 m.
BB-Komm. Demuth, RIW 2013, 648.
3 Im Unionsrecht ist das Reihengeschäft bislang nicht gesondert geregelt, vgl. EuGH,
16.12.2010 – C-430/09, Euro Tyre Holding, ECLI:EU:C:2010:786, Slg. 2010, I-13335, Rn. 27;
BFH, 25.2.2015 – XI R 30/13, BFH/NV 2015, 769, Ziff. II 4 b) cc).
4 Abschn. 3.14 Abs. 2 S. 2 UStAE; EuGH, 6.4.2006 – C-245/04, EMAG Handel Eder,
ECLI:EU:C:2006:232, Slg. 2006, I-3227, Rn. 40, 41; BFH, 11.8.2011 – V R 3/10, BFH/NV
2011, 2208, Ziff. II 2 a), RIW 2011, 896 Ls.
5 Abschn. 3.14 Abs. 2 S. 3 UStAE; EuGH, 6.4.2006 – C-245/04, EMAG Handel Eder, Slg.
2006, I-3227, Rn. 45; BFH, 11.8.2011 – V R 3/10, BFH/ NV 2011, 2208, Ziff. II 2 a), RIW
2011, 896 Ls.
6 Vgl. Abschn. 3.14 Abs. 2 S. 4 UStAE.
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