Steuerrecht | Aufsätze Martin Riegel, RA/StB, und Michael Walke, RA Informationsaustausch nach § 117 AO zur bloßen Analyse von Unternehmensstrukturen? Die wirtschaftlichen Verflechtungen der Staaten untereinander haben in den vergangenen Jahrzehnten zugenommen. Die Finanzverwaltungen der Staaten sind dagegen grundsätzlich auf Ermittlungen innerhalb ihres Staatsgebietes beschränkt. Die Finanzminister der G20Staaten haben daher die OECD in 2012 aufgefordert, einen Aktionsplan zu erarbeiten, um das Thema Base Erosion and Profit Shifting (BEPS) anzugehen. Am 19.7.2013 wurde der BEPS-Aktionsplan durch die OECD veröffentlicht, in dem 15 Aktionspunkte zur Bekämpfung von BEPS aufgestellt werden. – Dabei sieht Aktionspunkt 1 des BEPSAktionsplans die Auseinandersetzung mit den Besonderheiten der Unternehmen der digitalen Wirtschaft vor. Zur Umsetzung des Aktionspunktes 1 sind Australien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Japan und Kanada (E6-Gruppe) bestrebt, weitreichende Informationen über diverse Unternehmen der digitalen Wirtschaft ohne Anonymisierung und unabhängig von der konkreten Besteuerung der einzelnen Gesellschaften auszutauschen. Das Ziel dieses Informationsaustauschs besteht darin, die Geschäftsmodelle und Strukturen der Unternehmen besser zu verstehen. Auf der Grundlage der ausgetauschten Informationen wollen die Staaten die Anpassung des jeweils geltenden Rechts abstimmen. Aktuell ist ein erstes Eilverfahren gegen das BZSt anhängig, dem diese Frage zu Grunde liegt. Streitig sind sowohl die beabsichtigte Weitergabe von Informationen an ausländische Staaten als auch beabsichtigte Anfragen der deutschen Finanzverwaltung an diese zur Erlangung von Informationen. – Die deutsche Finanzverwaltung stützt sich für die Informationsweitergabe auf die Vorschriften über die zwischenstaatliche Amtshilfe (§ 117 AO). Diese stellen allerdings nur eine Rechtsgrundlage für einen Informationsaustausch vor dem Hintergrund einer möglichen Besteuerung de lege lata im konkreten Einzelfall dar, können aber den avisierten breitgefächerten Informationsaustausch nicht rechtfertigen. Gegen diesen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung stehen den betroffenen Steuerpflichtigen die Unterlassungsklage und der einstweilige Rechtschutz in Form der einstweiligen Anordnung offen. – Der Beitrag setzt die Folge von Beiträgen zum Thema „Finanzgerichtsprozesse erfolgreich führen“ (BB 2014, 3100 und BB 2015, 796) fort. I. Einführung In der Vergangenheit lag einem Informationsaustausch regelmäßig das Ziel zugrunde, die zu übermittelnden Daten zur Prüfung der zutreffenden Besteuerung im Empfängerland zu verwenden. Dafür boten sich etwa Kontrollmitteilungen hinsichtlich grenzüberschreitender Zahlungen an.1 Die angefragten und zu übermittelnden Informationen sollten einer Besteuerung im konkreten Einzelfall2 und bei Sammelauskunftsersuchen einer konkreten Besteuerung in einer Mehrzahl von Einzelfällen3 dienen. Auf Grund der Divergenz von 1814 materieller Universalität und formeller Territorialität ist die Finanzverwaltung für Zwecke der Besteuerung auf Auskünfte von Steuerpflichtigen oder ausländischen Staaten angewiesen.4 Der derzeit auf der Grundlage des BEPS-Aktionsplans5 beabsichtigte Informationsaustausch hat eine andere Qualität: Es sollen Informationen von Steuerpflichtigen ausgetauscht werden, ohne dass konkrete Anhaltspunkte für irgendeine steuerliche Auswirkung sprechen oder eine Auswirkung auf die Besteuerung des Steuerpflichtigen oder dessen Geschäftspartner überhaupt erwartet wird. Auswirkungen sollen sich höchstens durch etwaige Gesetzesänderungen nach der Analyse der Geschäftsmodelle ergeben.6 Einem Austausch von Informationen steht dabei grundsätzlich das aus Art. 1 und 2 Abs. 1 GG abgeleitete Recht auf informationelle Selbstbestimmung entgegen.7 Einfachgesetzlich stellt dies grundsätzlich das Steuergeheimnis nach § 30 AO sicher. Dieses greift nur dann nicht, wenn es sich nicht um bereits offenbarte Informationen handelt oder eine Ausnahme – also eine Offenbarungsbefugnis – vorgesehen ist. Das Bundeszentralamt für Steuern ist bestrebt, die bei der deutschen Finanzverwaltung vorhandenen Informationen zu einzelnen Unternehmen der digitalen Wirtschaft an die anderen beteiligten Staaten (der E6-Gruppe) über den Weg der zwischenstaatlichen Amtshilfe nach § 117 AO zu übermitteln sowie entsprechende Informationen zu erhalten.8 Die Informationsweitergabe zielt dabei weder auf bestimmte steuerlich erhebliche Sachverhalte noch auf einzelne Steuerarten oder Zeiträume ab. Vielmehr sollen sämtliche der Finanzverwaltung zu dem jeweils betroffenen Unternehmen der digitalen Wirtschaft vorliegenden Informationen weitergegeben werden, die Aufschluss über deren Geschäftsmodelle im Ganzen und ihre Struktur geben könnten. Auch Informationen über die konkrete Besteuerung des jeweiligen Steuerpflichtigen sollen uneingeschränkt ausgetauscht werden. Es werden keine Anhaltspunkte benannt, die für die ernstliche Möglichkeit einer Besteuerung in den anderen am Informationsaustausch beteiligten Staaten sprechen. Außerdem sollen die 1 FG Köln, 20.8.2008 – 2 V 1948/08; FG Köln, 24.9.2008 – 2 V 2821/08; BFH, 29.4.1992 – I B 12/92, BB 1992, 1203 Ls. 2 BFH, 29.2.2012 – I B 88/11; FG Köln, 30.4.2008 – 2 V 1158/08. 3 Sammelauskunftsersuchen; vgl. BFH, 16.1.2009 – VII R 25/08, BB 2009, 1284 m. BBKomm. Geuenich. 4 Seer/Gabert, StuW 2010, 3; Biesgen/Noel, SAM 2014, 5; Statistiken zur Häufigkeit der Auskunftsersuchen vgl. Grotherr, ISR 2015, 193. 5 OECD, Aktionsplan zur Bekämpfung der Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung – Base Erosion and Profit Shifting (BEPS), s. u. www.oecd-ilibrary.org/taxation/aktionsplanzur-bekampfung-der-gewinnverkurzung-und-gewinnverlagerung_9789264209688-de). Für sieben der 15 Schlüsselprobleme hat die OECD bereits konkrete Empfehlungen ausgesprochen (http://www.oecd.org/berlin/publikationen/beps-berichte.htm). 6 S. 13 des Aktionsplans der OECD. 7 Lampert/Meickmann, ISR 2014, 305. 8 Das BMF hat seine Zuständigkeit für die zwischenstaatliche Amtshilfe bei der Steuerfestsetzung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 5 FVG durch Erlass vom 20.6.2011 – IV B 5 – O 1000/09/ 10507-04, BStBl. I 2011, 674, auf das BZSt übertragen. Betriebs-Berater | BB 31.2015 | 27.7.2015 Aufsätze | Steuerrecht Riegel/Walke · Informationsaustausch nach § 117 AO zur bloßen Analyse von Unternehmensstrukturen? Informationen wortgleich an alle beteiligten Staaten weitergegeben werden. II. OECD-Aktionsplan: Informationsbeschaffung für Studien und Gesetzgebungsvorschläge Die OECD bzw. die aktuell an den Informationsaustauschen beteiligten Staaten (E6-Gruppe) versuchen, die Voraussetzungen für eine Steigerung der (derzeitig als zu niedrig wahrgenommenen) Steuerbelastung der Unternehmen der digitalen Wirtschaft durch eine nahezu unbeschränkte Weitergabe von Daten, deren anschließende Auswertung und darauf aufbauende Studien sowie Gesetzgebungsvorschläge zu schaffen. Die OECD-Bemühungen resultieren aus der Überlegung, dass Staaten aktuell geringere Einnahmen und höhere Kosten für die Sicherung der Gesetzestreue verkraften müssten. Bekanntlich haben die Industriestaaten im Rahmen des G20-Gipfels im Juni 2012 die OECD daher zur Ausarbeitung eines Lösungsansatzes beauftragt.9 Nach Einschätzung der OECD stellt gerade die Ausdehnung der digitalen Wirtschaft die internationale Besteuerung vor Herausforderungen. Daher sei eine genaue Prüfung der Unternehmen dieser Branche erforderlich, insbesondere wie diese Mehrwert schaffen und Gewinne erzielen. Anhand dieser Prüfung könne sodann festgestellt werden, inwieweit aktuelle Regelungen angepasst werden müssen.10 Der Aktionsplan führt hierzu aus: „Um festzustellen, inwieweit die aktuellen Regelungen angepasst werden müssen, damit die besonderen Merkmale der digitalen Wirtschaft berücksichtigt sind und BEPS vermieden wird, ist es wichtig, genau zu prüfen, wie Unternehmen dieser Branche Mehrwert schaffen und ihre Gewinne erzielen.“11 Im Aktionspunkt 1 wird sodann das Vorgehen dargestellt: „Lösung der mit der digitalen Wirtschaft verbundenen Besteuerungsprobleme Ermittlung der Hauptschwierigkeiten, die sich durch die digitale Wirtschaft für die Anwendung bestehender internationaler Steuervorschriften ergeben, und Erarbeitung detaillierter Möglichkeiten zur Lösung dieser Schwierigkeiten unter Zugrundelegung eines holistischen Ansatzes und Berücksichtigung sowohl direkter als auch indirekter Besteuerung. Dabei sind u. a. folgende Problemfelder zu untersuchen: die Möglichkeit, dass ein Unternehmen über eine erhebliche digitale Präsenz in der Wirtschaft eines anderen Landes verfügt, ohne steuerpflichtig zu sein, da nach den derzeitigen internationalen Vorschriften kein Anknüpfungspunkt vorhanden ist; die Zurechnung von Wert, der durch die Erzeugung von marktfähigen standortrelevanten Daten infolge der Nutzung digitaler Produkte und Dienstleistungen entsteht; die III. Steuergeheimnis als notwendiges Korrelat zu Mitwirkungspflichten der Steuerpflichtigen Einer freien Weitergabe von Informationen steht das Steuergeheimnis nach § 30 AO entgegen. Vom Steuergeheimnis geschützt sind sämtliche Verhältnisse eines anderen, die Amtsträgern im Rahmen ihrer dienstlichen Tätigkeit bekannt geworden sind, § 30 Abs. 2 Nr. 1 a-c AO. Umfasst ist alles, was über eine Person bekannt werden kann, also sämtliche persönlichen, wirtschaftlichen, rechtlichen, öffentlichen und privaten Merkmale, die eine natürliche oder juristische Person betreffen.13 Lediglich allgemein zugängliche Daten unterliegen nicht dem Steuergeheimnis. Auf die steuerliche Bedeutung der Verhältnisse oder ihre nach den Verhältnissen des Einzelfalls zu vermutende Schutzbedürftigkeit kommt es nicht an.14 Mit dem Steuergeheimnis hat der Gesetzgeber für das Steuerrecht bereits vor Erlass datenschutzrechtlicher Normen organisatorische und verfahrensrechtliche Vorkehrungen getroffen, die der Schutzrichtung der späteren Datenschutzgesetze entsprechen.15 Das Recht auf Wahrung des in § 30 AO gesetzlich umschriebenen Steuergeheimnisses ist zwar kein Grundrecht.16 Es ist jedoch Ausfluss des Art. 1 Abs. 1 GG und gewährleistet als Bestandteil des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, Art. 2 Abs. 1 GG, einen das gesamte Besteuerungsverfahren umfassenden Schutz.17 Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung schützt jedermann vor unbegrenzter Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe von Daten, die die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eines Einzelnen betreffen.18 Dieses Recht darf nur im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden.19 Die Einschränkung darf aber nicht weiter gehen, als es zum Schutze öffentlicher Interessen unerlässlich ist.20 Der Umfang der Offenbarung ist auch bei zwingendem öffentlichen Interesse auf das notwendige Maß beschränkt.21 Den zur Amtsermittlung verpflichteten Finanzbehörden sind grundsätzlich sämtliche für eine Besteuerung erhebliche Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß offenzulegen, § 90 Abs. 1 S. 2 AO.22 Das Steuergeheimnis bildet damit einen Gegenpart zu den bestehenden Offenbarungs- und Mitwirkungspflichten, die ein Steuerpflichtiger im Besteuerungsverfahren zu erfüllen hat.23 Mit dem Steuergeheimnis wird der Zweck verfolgt, durch besonderen Schutz des Vertrauens in die Amtsverschwiegenheit die Bereitschaft zur Offenlegung der steuerlich relevanten Sachverhalte zu fördern, um eine gesetzmäßige, Einstufung von Einkünften aus neuen Geschäftsmodellen; die Anwendung einschlägiger Quellenregeln; die Sicherstellung der wirksamen Erhebung von Mehrwertsteuer/ Waren- und Dienstleistungssteuer im Zusammenhang mit der grenzüberschreitenden Lieferung bzw. Erbringung digitaler Waren und Dienstleistungen. Dafür ist eine gründliche Analyse der verschiedenen Geschäftsmodelle in diesem Sektor erforderlich.“12 Eine (gründliche) Analyse der Geschäftsmodelle diverser Unternehmen der digitalen Wirtschaft ist aus Sicht des Aktionsplans allein deshalb erforderlich, weil eine mögliche „niedrige“ Steuerbelastung im Einklang mit dem geltenden Recht steht. Der Aktionsplan beantwortet allerdings selbst noch nicht die Frage, woher das Datenmaterial für die gründliche Analyse der verschiedenen Geschäftsmodelle in diesem Sektor kommen soll. Offenbar wollen die E6-Staaten dafür den Informationsaustausch nutzen. Betriebs-Berater | BB 31.2015 | 27.7.2015 9 Information der OECD zum BEPS-Programm unter www.oecd.org/forum/what-the-bepsare-we-talking-about.htm. 10 S. 12 des Aktionsplans der OECD. 11 S. 13 des Aktionsplans der OECD. 12 S. 17 des Aktionsplans der OECD. 13 Alber, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, ¼ Stand: Mai 2015, § 30 AO Rn. 32. 14 Rüsken, in: Klein, AO, 12. Aufl. 2014, § 30 AO, Rn. 43. 15 BFH, 8.2.1994 – VII R 88/92, BB 1994, 1413. 16 BVerfG, 17.7.1984 – 2 BvE 11/83. 17 BFH, 29.7.2003 – VII R 39/02, BB 2003, 2216; BFH, 29.7.2003 – VII R 43/02, BB 2003, 2216; Alber, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: Mai 2015, § 30 AO, Rn. 49. 18 BFH, 27.10.1993 – I R 25/92, BB 1994, 624, RIW 1994, 267. 19 BVerfG, 15.12.1983 – 1 BvR 209/83. 20 BVerfG, 17.7.1984 – 2 BvE 11/83. 21 Drüen, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, ¼ Stand: März 2015, § 30, Rn. 122. 22 Gleiches gilt für sonstige Auskunftsverpflichtete nach § 93 Abs. 1 S. 1 AO. 23 Alber, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: Mai 2015, § 30 AO Rn. 8; Tully, JbFfStR 2014/2015, 247. 1815 Steuerrecht | Aufsätze Riegel/Walke · Informationsaustausch nach § 117 AO zur bloßen Analyse von Unternehmensstrukturen? insbesondere auch gleichmäßige Besteuerung sicherzustellen.24 Das Verlangen des Staates nach steuerlichen Angaben begründet sich aus dem Umstand, dass der Betroffene am staatlichen Leben teilnimmt. Deshalb darf ihm ein Anteil an den finanziellen Lasten zur Aufrechterhaltung des staatlichen Lebens auferlegt werden. Daher rechtfertigen sich Gesetze, die eine Pflicht zu steuerlichen Angaben auferlegen, die Zwecken einer Besteuerung dienen.25 Daneben ist das Steuergeheimnis, also die Vertraulichkeit der mitgeteilten Daten, zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der Mitwirkungspflichten erforderlich. Schließlich stellen auch diese einen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung dar. Die Sicherstellung der gesetzmäßigen Besteuerung rechtfertigt als legitimer Zweck die Auferlegung von Mitwirkungspflichten nur, soweit diese geeignet, erforderlich und angemessen zur Zielerreichung sind. „Erforderlich“ als das mildeste geeignete Mittel ist aber nur die Auferlegung von Mitwirkungspflichten unter Wahrung der Vertraulichkeit von übermittelten Informationen; dieses ist ein milderes Mittel als der Zwang zur öffentlichen Preisgabe von Informationen durch Übermittlung an eine nicht zur Verschwiegenheit verpflichtete Verwaltung. Zu einer Erhebung, Speicherung, Verwendung oder Weitergabe individualisierter oder individualisierbarer Daten zu anderen Zwecken ermächtigen die Steuergesetze hingegen nicht.26 IV. Durchbrechung des Steuergeheimnisses Eine Durchbrechung des Steuergeheimnisses kommt vor allem in Betracht, soweit sie der Durchführung der inländischen Besteuerung dient (§ 30 Abs. 4 Nr. 1 AO) oder dies gesetzlich zugelassen ist (§ 30 Abs. 4 Nr. 2 AO). Für Inlandsfälle, d. h. für die Offenbarung zum Zwecke der inländischen Besteuerung fordert der Bundesfinanzhof einen unmittelbaren funktionalen Zusammenhang zwischen der Offenbarung und der Durchführung eines Verfahrens in Steuersachen.27 Die Offenlegung von Verhältnissen gegenüber ausländischen Staaten ist unter den Voraussetzungen des § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO i.V. m. § 117 Abs. 2, 3 AO zugelassen. Der zwischenstaatliche Informationsaustausch soll bei grenzüberschreitenden Sachverhalten den deutschen Finanzbehörden eine den deutschen Steuergesetzen sowie den Finanzbehörden des anderen Staates eine den dort geltenden Steuergesetzen entsprechende gleichmäßige und wettbewerbsneutrale Besteuerung ermöglichen. Auch die Finanzverwaltung geht in dem von ihr veröffentlichten Merkblatt zum Informationsaustausch nicht von weitergehenden Zwecken aus.28 Das Merkblatt des BMF spricht insoweit zutreffend von „Auskünften auf Ersuchen in Einzelfällen“, welche dann mit diversen Beispielen unterfüttert werden.29 Nach § 117 Abs. 2 AO können Finanzbehörden zwischenstaatliche Rechts- und Amtshilfe auf Grund innerstaatlich anwendbarer völkerrechtlicher Vereinbarungen, innerstaatlich anwendbarer Rechtsakte der Europäischen Union sowie des EU-Amtshilfegesetzes leisten.30 Es ist damit festgeschrieben, dass steuerliche Amtshilfe nur dann geleistet werden darf, wenn eine völkerrechtliche oder europarechtliche Grundlage dafür besteht.31 Die Bundesrepublik Deutschland hat mit einer Vielzahl von Staaten Auskunftsklauseln vereinbart (in der Regel durch Doppelbesteuerungsabkommen), die zur gegenseitigen Auskunftserteilung in Steuersachen verpflichten.32 Die EU-Mitgliedstaaten sind dazu nach der Richtlinie 2011/ 1816 16/EU über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung zur gegenseitigen Auskunftserteilung verpflichtet. Gemäß § 117 Abs. 3 AO steht es im Ermessen der Finanzbehörden, zwischenstaatliche Rechts- und Amtshilfe auf Ersuchen auch in anderen Fällen zu leisten. Die Finanzverwaltung hat ihr Ermessen auf Amtshilfe im Kulanzwege zu Recht eingeschränkt, indem sie die Regelung nur auf Ausnahmefälle angewendet wissen will.33 V. Steuerliche Erheblichkeit als Voraussetzung des Informationsaustausches § 117 Abs. 2 AO (in Verbindung mit den jeweiligen völkerrechtlicher Vereinbarungen, sowie dem EU-Amtshilfegesetz34) und § 117 Abs. 3 AO setzen voraus, dass die zu übermittelnden Informationen voraussichtlich steuerlich erheblich sind. Bereits im Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Abgabenordnung heißt es zum damaligen § 124 AO, dass ausländische Rechtsund Amtshilfeersuchen nach der internationalen Übung in Steuersachen so erledigt würden, als ob es inländische Rechts- und Amtshilfeersuchen wären.35 Mithin war bereits dieser Regelung die ausschließliche Zielsetzung der Hilfe in konkreten Besteuerungsverfahren – „in Steuersachen“ – immanent. Klarstellend formulierte auch der Finanzausschuss zur Einfügung des § 117 Abs. 3 AO, dass die Neufassung daran anknüpfe, dass der ersuchende Staat Gegenseitigkeit verbürgt und gewährleistet, dass übermittelte Auskünfte und Unterlagen nur für die Zwecke seines Besteuerungs- oder Steuerstrafverfahrens verwendet und geheim gehalten werden.36 Auch die völker- und gemeinschaftsrechtlichen Regelungen verlangen eine voraussichtliche Erheblichkeit.37 1. EU-Amtshilfe Nach Art. 5 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2011/16/EU über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung sind die Informationen zu übermitteln, die für die Anwendung und Durchsetzung des innerstaatlichen Rechts der Mitgliedstaaten über die in Art. 2 genannten Steuern voraussichtlich erheblich sind.38 24 BVerfG, 17.7.1984 – 2 BvE 11,15/83. 25 BVerfG, 17.7.1984 – 2 BvE 11,15/83. 26 BVerfG, 17.7.1984 – 2 BvE 11,15/83. Nach vielfacher Einschätzung wird das Steuergeheimnis durch den BEPS-Aktionsplan und dessen nationale Umsetzung deutlich eingeschränkt bzw. „abgeschafft“; vgl. auch www.stiftung-marktwirtschaft.de/uploads/ tx_ttproducts/datasheet/Tagungsbericht_Rechtsstaat_07.11.2014.pdf. 27 BFH, 10.2.1987 – VII R 77/84, BB 1987, 1659. 28 BMF, Merkblatt vom 25.5.2012 – IV B 6 – S 1320/07/10004:006, Abschnitt 1.1. 29 BMF, Merkblatt vom 25.5.2012 – IV B 6 – S 1320/07/10004:006, Abschnitt 2.1. und 2.2; auch der Erlass des BMF vom 20.6.2011 – IV B 5 – O 1000/09/10507-04, BStBl. I 2011, 674, zur Übertragung der Zuständigkeit auf das BZSt spricht ausdrücklich von Einzelfällen. 30 Ausführliche Darstellung zum Ganzen Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: Mai 2015, § 117 AO, Rn. 33 ff. 31 Czakert, ISR 2013, 177. 32 Auflistung der bestehenden DBA auf der Internetpräsenz des BMF abrufbar unter www.bundesfinanzministerium.de/Web/DE/Themen/Steuern/Internationales_Steuerrecht /Staatenbezogene_Informationen/staatenbezogene_info.html. 33 BMF, Merkblatt vom 25.5.2012 – IV B 6 – S 1320/07/10004:006, Abschnitt 1.3.5. „Fälle mit besonderer Bedeutung.“ 34 Art. 26 Abs. 1 S. 1 OECD-MA; § 1 Abs. 1 S. 1 und § 4 Abs. 1 S. 1 EUAHiG. 35 Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 19.3.1971, BT-Drs. VI/1982. 36 Bericht des Finanzausschusses vom 7.11.1975, BT-Drs. 7/4292. 37 FG Köln, 23.8.2007 – 2 K 3911/06; Czakert, ISR 2013, 177. 38 Art. 17 RL 2011/16/EU verlangt darüber hinaus, dass die ersuchende Behörde die üblichen Informationsquellen ausgeschöpft hat, die sie unter den gegebenen Umständen zur Erlangung der erbetenen Informationen genutzt haben könnte, ohne die Erreichung ihres Ziels zu gefährden. Betriebs-Berater | BB 31.2015 | 27.7.2015 Aufsätze | Steuerrecht Riegel/Walke · Informationsaustausch nach § 117 AO zur bloßen Analyse von Unternehmensstrukturen? Die Regelung wurde in Deutschland durch das Gesetz über die Durchführung der gegenseitigen Amtshilfe in Steuersachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU-Amtshilfegesetz – EUAHiG) umgesetzt. Nach § 1 Abs. 1 S. 1 EUAHiG regelt das Gesetz den Austausch von voraussichtlich erheblichen Informationen in Steuersachen zwischen Deutschland und den anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Auf Ersuchen erfolgen sodann die Antworten, die für die Festsetzung von Steuern voraussichtlich erheblich sind, § 4 Abs. 1 EUAHiG. Damit entsteht durch den Vorrang des Gemeinschaftsrechts hier kein Spannungsfeld,39 da gleichlautend eine Pflicht zur Weitergabe von Informationen, die für eine Besteuerung ohne Bedeutung sind, nicht besteht. 2. Auskunftsklauseln der DBA Auch die für die vorliegend avisierten Auskunftsübermittlungen maßgeblichen Doppelbesteuerungsabkommen enthalten vergleichbare Regelungen. Hierbei ist unerheblich, ob es sich um große Auskunftsklauseln handelt, wie sie in neuerer Zeit verwendet werden (so auch im OECD-Musterabkommen) – diese erlauben Auskünfte sowohl für Zwecke des Abkommens als auch für eine innerstaatliche Besteuerung der im Abkommen genannten Steuerarten (so DBA-Kanada, DBAAustralien, DBA-Frankreich und DBA-Großbritannien40) – oder um kleine Auskunftsklauseln, die Auskünfte lediglich zur Durchführung des Abkommens erlauben (so DBA-Japan41). Allen ist gemein, dass die Auskünfte voraussichtlich erforderlich sein müssen. 3. Amtshilfe aus Kulanz § 117 Abs. 3 Nr. 2 AO stellt auch für die sonstigen Fälle klar, dass zwischenstaatliche Rechts- und Amtshilfe nach pflichtgemäßem Ermessen auf Ersuchen auch in anderen Fällen geleistet werden kann, wenn – neben sonstigen Voraussetzungen – gewährleistet ist, dass die übermittelten Auskünfte und Unterlagen nur für Zwecke eines Besteuerungs- oder Steuerstrafverfahrens (einschließlich Ordnungswidrigkeitenverfahren) verwendet werden. VI. Erforderlichkeit der Informationen Es ist einhellige Auffassung, dass eine Übermittlung der Informationen nur dann in Betracht kommt, wenn die Erteilung der Auskünfte für die Steuerfestsetzung in den beteiligten Staaten erheblich sein kann.42 Die Auskunftsersuchen unterliegen damit einem Erforderlichkeitsvorbehalt.43 Zwar wird nicht verlangt, dass die inländischen Finanzbehörden den genauen Inhalt des ausländischen Steuerrechts ermitteln, da dies die Umsetzung von Auskunftsersuchen unpraktikabel machen würde.44 Gleichwohl muss eine ernstliche Möglichkeit bestehen, dass der andere Vertragsstaat ein Besteuerungsrecht hat und ohne die Auskunft von dem Gegenstand dieses Besteuerungsrechts keine Kenntnis erlangt.45 Der Finanzverwaltung wird damit zumindest eine Schlüssigkeitsprüfung auferlegt.46 Ins Blaue hinein gerichtete Anfragen47 reichen ebensowenig aus wie die bloße Behauptung der steuerlichen Erheblichkeit ohne konkrete Anhaltspunkte.48 Wenn vollumfänglich Informationen ohne Bezug zu einem konkreten Sachverhalt oder gar den Ansatz einer etwaig zu korrigierenden Besteuerung inhaltsgleich an diverse Staaten verbreitet werden sollen, kann diese Weitergabe nicht für die Durchführung der Besteuerung erforderlich sein. Schließlich fehlt es an konkreten Be- Betriebs-Berater | BB 31.2015 | 27.7.2015 steuerungsverfahren und hinreichend konkreten steuerlichen Auswirkungen. Weiter muss sichergestellt werden, dass die zu übermittelnden Steuerdaten nur für steuerliche Zwecke verwendet werden.49 Die Informationen dürfen nur Personen offenbart werden, die mit dem zulässigen Verwendungszweck unmittelbar befasst sind. Untersagt ist damit jegliche sonstige Verwertung.50 Dass zur sonstigen Verwertung auch die bloße Nutzung für Studien – und sei es der OECD – zählt, sollte auf der Hand liegen. Diese Nutzung erfordert zwangsläufig die Beteiligung einer Vielzahl von nicht mit der Besteuerung der einzelnen Unternehmen betrauten Personen. Dabei soll das Steuergeheimnis im Inland den Betroffenen bereits vor unbefugter Offenbarung auch innerhalb ein- und derselben Behörde schützen51 und damit erst recht vor der Offenbarung gegenüber nicht mit der Durchführung der Besteuerung betrauten ausländischen Stellen. Ein beliebtes Gegenargument gegen das Interesse an informationeller Selbstbestimmung lautet sinngemäß: Wer nichts zu verbergen habe, brauche nichts zu befürchten. Wer schon einmal selbst Auseinandersetzungen aufgrund einer Betriebsprüfung miterlebt hat, der weiß, wie hartnäckig sich schon Fehlinterpretationen aufgrund banaler Dinge wie bspw. Namensähnlichkeiten in Behördenakten halten. Man muss sich hierzu vor Augen halten, dass die Finanzverwaltung nicht gewährleisten kann, dass die ausgetauschten Informationen inhaltlich zutreffend sind. Außerdem führt ein Informationsaustausch in der Regel im Nachgang zu hohem Verwaltungsaufwand bei dem betroffenen Steuerpflichtigen, der selbst ohne Rückfragen von Informationsempfängern den Weg der Informationen nachverfolgen muss. Schließlich muss er jederzeit in der Lage sein, den Schaden durch die Weitergabe insbesondere unzutreffender Informationen an Dritte in Grenzen zu halten. Daher ist es wesentlich, dass die Informationsübermittlung nur erfolgt, soweit sie für die Durchführung der Besteuerung erforderlich ist. VII. Verhältnismäßigkeit als verfassungsrechtliche Grenze Die Übermittlung von Informationen nach § 117 Abs. 2, 3 AO muss sich auch am verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgebot messen lassen. Zwar mag die Kenntniserlangung von den Geschäftsmodellen und Strukturen von Unternehmen der digitalen Wirtschaft zur Prüfung der Notwendigkeit der Anpassung aktuell bestehender Gesetzgebung ein legitimes Ziel sein – dies gerade und vor allem vor dem Hinter39 Seer/Gabert, StuW 2010, 3. Der Vorrang gemeinschaftlicher Rechtsgrundlagen bestünde sowohl gegenüber nationalen Regelungen als auch gegenüber DBA. Sonstige bilaterale Rechts- und Amtshilfeabkommen sind – sofern nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist – nebeneinander anwendbar. 40 DBA-Kanada vom 19.4.2001; DBA-Großbritannien vom 30.3.2010; DBA-Australien vom 24.11.1972; DBA-Frankreich vom 21.7.1959. 41 DBA-Japan vom 22.4.1966. 42 FG Köln, 23.8.2007 – 2 K 3911/06; Czakert, IStR 2013, 596. 43 Seer/Gabert, StuW 2010, 3. 44 BFH, 10.5.2005 – I B 218/04; BFH, 8.2.1995 – I B 92/94, BB 1995, 918 Ls, RIW 1995, 532. 45 BFH, 10.5.2005 – I B 218/04; Bozza-Bodden, Internationale Zusammenarbeit – Informationsaustausch, DStJG 36 (2013), S. 133. 46 Bozza-Bodden, DStJG 36 (2013), S. 133. 47 BFH, 29.10.1986 – VIIR 82/85; BFH, 24.10.1989 – VII R 1/87, BB 1990, 269, sowie BFH, 21.3.2002 – VII B 152/01, BB 2002, 1076. 48 Vgl. Bozza-Bodden, DStJG 36 (2013), S. 133. 49 Czakert, ISR 2013, 177. 50 Bozza-Bodden, DStJG 36 (2013), S. 133. 51 Rüsken, in: Klein, AO, 12. Aufl. 2014, § 30 AO, Rn. 58. 1817 Steuerrecht | Aufsätze Riegel/Walke · Informationsaustausch nach § 117 AO zur bloßen Analyse von Unternehmensstrukturen? grund des Gebots der Gleichmäßigkeit der Besteuerung. Offensichtlich ist das Mittel der Weitergabe weitreichender Informationen – die jeweiligen Unternehmen betreffend – geeignet, um die Strukturen im Speziellen wie im Allgemeinen zu ermitteln, um aufbauend auf einer nachfolgenden Analyse Studien ausarbeiten zu können. Der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung des Auskunftsaustauschs stehen unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit jedoch erhebliche Bedenken entgegen, wenn Informationen aller Art über Unternehmen der digitalen Wirtschaft ausgetauscht werden, ohne dass es auf die unmittelbare Verwendung im Besteuerungsverfahren ankommen soll. Selbst wenn das einfache Recht den Informationsaustausch ohne konkreten Anlass zuließe, wäre dieser als nicht gerechtfertigter Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung rechtswidrig. Bei einer flächendeckenden Weitergabe sämtlicher Informationen wäre auch kaum gewährleistet, dass die weitergegebenen Daten vertraulich behandelt werden.52 Ohne eine an Sacherfordernissen orientierte Begrenzung des Empfängerkreises lässt sich die Vertraulichkeit nicht sicherstellen. Aufgrund des avisierten breit gestreuten Informationsaustauschs würde zwangsläufig eine nicht überschaubare Anzahl von Personen Zugang zu den ausgetauschten Informationen erhalten. Dies erhöht das Risiko der weiteren Verbreitung der Informationen, weil sich bei einem Durchsickern der Informationen an die Öffentlichkeit das Leck nicht lokalisieren ließe. VIII. Keine sonstigen Offenbarungsbefugnisse Mangels sonstiger Offenbarungsbefugnisse käme de lege ferenda eine Änderung des innerstaatlichen Rechts in Betracht. Eine neugeschaffene Grundlage für die Durchführung eines so weitgehenden Informationsaustausches müsste sich in gleicher Weise an den verfassungsrechtlichen Voraussetzungen messen lassen. Unserer Auffassung nach würde eine Übermittlung umfassender Informationen ohne Bezug zu einem konkreten Besteuerungsverfahren aber einen unverhältnismäßigen Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung bedeuten. IX. Gleiches Ergebnis für Auskunftsersuchen der deutschen Finanzverwaltung Die Inanspruchnahme von Auskünften durch die deutsche Finanzverwaltung ist im Ergebnis ebenfalls nur dann zulässig, wenn die erbetene Auskunft für die Durchführung der Besteuerung erforderlich ist. Gemäß § 117 Abs. 1 AO können Finanzbehörden zwischenstaatliche Rechts- und Amtshilfe (nur) nach Maßgabe des deutschen Rechts in Anspruch nehmen. Die Vorschriften zur innerstaatlichen Amtshilfe sind in § 111 ff. AO enthalten. Nach § 111 Abs. 1 Satz 1 AO müssen die Auskünfte zur Durchführung der deutschen Besteuerung erforderlich sein. Dies ist nur dann der Fall, wenn sie für die Besteuerung rechtlich erheblich und vom ersuchenden Staat auch nach Ausschöpfung eigener Auskunftsquellen nicht erreichbar sind.53 Daher sind auch Auskunftsersuchen an das Ausland unzulässig, wenn sie ersichtlich ins Blaue gerichtet sind. X. Fazit Die Zielsetzung des OECD-Aktionsplans korreliert nicht mit der geforderten Erheblichkeit im Rahmen des zwischenstaatlichen Informationsaustausches. Da es an einer steuerlichen Erheblichkeit unter 1818 Anwendung der bestehenden Regelungen scheitert, ist der avisierte Informationsaustausch unzulässig. Mangels Offenbarungsbefugnis des § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO würde ein Informationsaustausch zur Erarbeitung von Vorschlägen für Rechtsänderungen gegen das Steuergeheimnis verstoßen. Angesichts der verfassungsrechtlichen Bedenken gegen einen solchen Informationsaustausch halten wir auch eine Änderung des einfachen Rechts zur Ermöglichung eines solchen ungezügelten Informationsaustauschs für ausgeschlossen. Letztlich gibt es keinen vernünftigen Grund, warum es Steuerpflichtige hinnehmen müssen, dass ihre nicht anonymisierten Daten frei zwischen verschiedenen Staaten zirkulieren sollen. Müssten die Steuerpflichtigen der betreffenden Branche einen solchen ungezügelten Informationsaustausch hinnehmen, würde eine immer weitergehende Aushöhlung des Steuergeheimnisses und damit des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung drohen. Schließlich steht zu erwarten, dass sich die Begehrlichkeiten der beteiligten Staaten auch auf umfassende Informationen über Unternehmen klassischer Wirtschaftszweige richten werden. XI. (Einstweiliger) Rechtsschutz gegen den Informationsaustausch Statthafte Klageart gegen den drohenden Informationsaustausch ist die vorbeugende Unterlassungsklage als Unterfall der allgemeinen Leistungsklage nach § 40 FGO, weil die Weitergabe von Informationen keinen Verwaltungsakt, sondern rein tatsächliches Verwaltungshandeln darstellt.54 Der Unterlassungsanspruch ergibt sich dabei aus § 1004 BGB analog i.V. m. § 30 AO.55 Sofern der Informationsaustausch schon erfolgt ist, ist die allgemeine Feststellungsklage nach § 41 Abs. 1 FGO statthaft.56 Die Klage ist als Antrag auf Feststellung eines Bruchs des Steuergeheimnisses aufgrund des Genugtuungsinteresses des Steuerpflichtigen zulässig.57 Das besondere Feststellungsinteresse kann sich dazu auch aus einer Wiederholungsgefahr ergeben. Für den vorläufigen Rechtsschutz sieht die FGO zwei Wege vor, die Aussetzung der Vollziehung und die einstweilige Anordnung, die sich aufgrund der in § 114 Abs. 5 FGO angeordneten Subsidiarität der einstweiligen Anordnung gegenseitig ausschließen. Die Abgrenzung erfolgt grundsätzlich nach dem jeweiligen Hauptsacheverfahren.58 Ist in der Hauptsache Anfechtungsklage zu erheben, ist die Aussetzung der Vollziehung das richtige Nebenverfahren.59 Ist in der Hauptsache Verpflichtungs-, Leistungs- oder Feststellungsklage zu erheben – wie im Fall des Informationsaustauschs – ist die einstweilige Anordnung das richtige Nebenverfahren.60 Sofern aktuell eine Informationsweitergabe droht, sollte daher zeitnah ein Antrag auf einstweilige Anordnung nach § 114 Abs. 1 S. 3 FGO beim zuständigen Finanzgericht gestellt werden wegen der Gefahr 52 Zum Missbrauch von Steuerdaten und der damit einhergehenden Verweigerung des Auskunftserteilung Lampert/Meickmann, ISR 2014, 305. 53 Bozza-Bodden, DStJG 36 (2013), S. 133. 54 Grotherr, ISR 2015, 193. 55 BFH, 29.4.1992 – I B 12/92, BB 1992, 1203. 56 FG Köln, 26.2.2004 – 2 K 1993/02. 57 FG Köln, 23.8.2007 – 2 K 3911/06, m. w. N. 58 Seer, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand: März 2015, § 69 FGO, Rn. 17. 59 Koch, in: Gräber, FGO, 7. Aufl. 2010, § 69 FGO, Rn. 5, 60 Amler/Riegel, BB 2015, 796. Betriebs-Berater | BB 31.2015 | 27.7.2015 Aufsätze | Steuerrecht Streit · Grundlegende Neuordnung der Reihengeschäfte: Auf den Zeitpunkt der Verschaffung der Verfügungsmacht kommt es an! einer nicht mehr rückgängig zu machenden Verletzung des subjektiven Rechts auf Wahrung des Steuergeheimnisses.61 Für den Rechtschutz gegen den Informationsaustausch ist regelmäßig das FG Köln zuständig.62 Wie der Beitrag zeigt, liegt der absolute Schwerpunkt der Verfahren bei der Prüfung der Erforderlichkeit der Informationsweitergabe. In solchen Verfahren ist es daher entscheidend, sich mit den konkret für den Austausch vorgesehenen Informationen auseinanderzusetzen und die fehlende steuerliche Erheblichkeit der Informationen darzulegen. Martin Riegel ist Executive Director bei der Ernst & Young GmbH in Eschborn und verantwortlich für Tax Litigation. Er ist spezialisiert auf die gerichtliche und außergerichtliche Vertretung in Steuerstreitsachen, insbesondere in Finanzgerichtsprozessen. Vor seiner Tätigkeit bei der Ernst & Young GmbH war Herr Riegel Richter beim Finanzgericht BadenWürttemberg. Michael Walke ist Rechtsanwalt bei der Ernst & Young GmbH in Eschborn im Bereich Tax Litigation. Er war zuvor im Justiziariat des BZSt tätig und dort insbesondere für finanzgerichtliche Verfahren zuständig. 61 BFH, 15.2.2006 – I B 87/05, BB 2006, 930 Ls. 62 Dort weiterhin ausschließlich der 2. Senat – nach dem Geschäftsverteilungsplan vom 29.6.2015. Thomas Streit, LL.M. Eur., RA/FAStR Grundlegende Neuordnung der Reihengeschäfte: Auf den Zeitpunkt der Verschaffung der Verfügungsmacht kommt es an! In einem grenzüberschreitenden Reihengeschäft ist es von Bedeutung, die umsatzsteuerfreie Lieferung zu bestimmen. Maßgebliches Kriterium war bisher, wer den Transport der Ware vorgenommen oder veranlasst hat. In zwei aktuellen Entscheidungen distanziert sich der BFH von diesem Kriterium. Er hat für Recht erkannt, dass es auf die Transportverantwortlichkeit nicht ankommen kann. Stattdessen ist entscheidend, wann der letzte Abnehmer Verfügungsmacht an der Ware erhalten hat. I. Einleitung Der BFH hat am 8.4.2015 zwei wegweisende Urteile zu umsatzsteuerrechtlichen Reihengeschäften veröffentlicht. Es handelt sich um die Verfahren XI R 30/13 und XI R 15/14. Das Urteil XI R 15/14 ist die zweite Folgeentscheidung des BFH in der Rechtssache VSTR1, die damit im Sinne der Klägerin ihren positiven Abschluss findet. Der XI. Senat setzt darin seine Linie fort, die er bereits in der ersten Folgeentscheidung2 in der Rechtssache VSTR eingeschlagen hatte. Die warenbewegte Lieferung ist aus seiner Sicht danach zu bestimmen, zu welchem Zeitpunkt der Ersterwerber (= mittlerer Unternehmer) dem Zweiterwerber (= letzter Abnehmer) im Reihengeschäft Verfügungsmacht an der Ware verschafft – bei einem Reihengeschäft mit drei Beteiligten A, B und C also der B dem C. Nach diesem Maßstab ist die bisherige deutsche Sichtweise des Reihengeschäfts überholt. Die Frage, wer die Ware befördert oder versendet, verliert ihre Bedeutung. Betriebs-Berater | BB 31.2015 | 27.7.2015 Powered by TCPDF (www.tcpdf.org) II. Rechtlicher Hintergrund der aktuellen Entscheidungen Ein Reihengeschäft liegt vor, wenn mehrere Unternehmer Umsatzgeschäfte über denselben Gegenstand abschließen und der Gegenstand unmittelbar vom ersten Unternehmer an den letzten Abnehmer gelangt, § 3 Abs. 6 S. 5 UStG.3 Bei einer grenzüberschreitenden Warenbewegung im Reihengeschäft kann nur eine der Lieferungen die sog. (waren)bewegte Lieferung sein.4 Nur die warenbewegte Lieferung kann als Ausfuhr gem. § 4 Nr. 1 Buchst. a i.V. m. § 6 UStG oder als innergemeinschaftliche Lieferung gem. § 4 Nr. 1 Buchst. b i.V. m. § 6a UStG umsatzsteuerfrei sein.5 Die übrigen Lieferungen im Reihengeschäft sind die sog. ruhenden Lieferungen.6 Folglich hängt die Beurteilung der einzelnen Lieferungen maßgeblich von der Zuordnung der warenbewegten Lieferung ab. Die Zuordnung muss dabei für alle Beteiligten im Reihengeschäft einheitlich erfol1 EuGH, 27.9.2012 – C-587/10, VSTR, ECLI:EU:C:2012:592, RIW 2012, 887. 2 BFH, 28.5.2013 – XI R 11/09, BFH/NV 2013, 1524, Ziff. II 3 c) cc) dd), BB 2013, 2273 m. BB-Komm. Demuth, RIW 2013, 648. 3 Im Unionsrecht ist das Reihengeschäft bislang nicht gesondert geregelt, vgl. EuGH, 16.12.2010 – C-430/09, Euro Tyre Holding, ECLI:EU:C:2010:786, Slg. 2010, I-13335, Rn. 27; BFH, 25.2.2015 – XI R 30/13, BFH/NV 2015, 769, Ziff. II 4 b) cc). 4 Abschn. 3.14 Abs. 2 S. 2 UStAE; EuGH, 6.4.2006 – C-245/04, EMAG Handel Eder, ECLI:EU:C:2006:232, Slg. 2006, I-3227, Rn. 40, 41; BFH, 11.8.2011 – V R 3/10, BFH/NV 2011, 2208, Ziff. II 2 a), RIW 2011, 896 Ls. 5 Abschn. 3.14 Abs. 2 S. 3 UStAE; EuGH, 6.4.2006 – C-245/04, EMAG Handel Eder, Slg. 2006, I-3227, Rn. 45; BFH, 11.8.2011 – V R 3/10, BFH/ NV 2011, 2208, Ziff. II 2 a), RIW 2011, 896 Ls. 6 Vgl. Abschn. 3.14 Abs. 2 S. 4 UStAE. 1819
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