REPTILIEN‐LEBENSRAUM RHEINDAMM | FLÄSCH VERSION 2.0 ÖFFENTLICH | © PETER HERMANN, 7306 FLÄSCH & ROLAND BODENMANN, 5246 SCHERZ Lebensraum Rheindamm Fläsch Roland Bodenmann, Peter Hermann Reptilien‐Lebensraum Rheindamm Fläsch Pflegekonzept für die Aufwertung und langfristige Sicherung des Reptilien‐Lebensraums des Rheindamms Fläsch Titelbild: Obere Reihe von links ‐ Mauereidechse‐Männchen (Podarcis muralis), Schlingnattern (Coronella austriaca), Blindschleichen (Anguis fragilis). Untere Reihe: Ringelnatter (Natrix natrix helvetica), Rheindamm (Betrachtungsperimeter) gesehen vom Elltal Pt. 686. Fotografien und Illustration: Roland Bodenmann ([email protected]) Das vorliegende Werk ist einschliesslich aller seiner Teile urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung der Autoren unzulässig. 2015_07_21 Pflegekonzept Rheinufer öffentlich.docx | © Peter Hermann, Fläsch & Roland Bodenmann, Scherz | Ausgabe 21. Juli 2015 correlate.ch Lebensraum Rheindamm Fläsch KONZEPT 3 8 1 VORWORT Die beiden Projekt‐Verantwortlichen haben eine enge Bindung zur Gemeinde Fläsch. Peter Hermann bewirtschaftet als Wein‐ bauer mit seiner Familie den Weinberg Badguet und ist Ver‐ antwortlicher der Aktion Natur und Landschaft Fläsch. Roland Bodenmann ist Freizeit‐Herpetologe mit familiären Fläscher Wurzeln und verbringt seit Mitte der sechziger Jahre einen we‐ sentlichen Teil seiner Ferien in Fläsch. Beide sind Mitglieder der Bündner Interessengemeinschaft für Reptilien und Amphibien (BIGRA). Dies änderte sich mit Beginn der ersten Arbeitsetappen in der Allmend radikal: «In einem ersten Arbeitsgang mussten einige Feldgehölzgruppen gerodet sowie Steinhaufen und Mauern im Ausmass von 7‘000 m³ abgetragen werden.» (LIPS, BATTAGLIA, BROGLI, 1981). Nach vollbrachtem Werk teilten sich die Landwir‐ te noch 465 Parzellen. Neue Erschliessungswege waren gebaut, die Rüfen in gemauerten Rinnen kanalisiert. Im Nachruf des gemeinsamen Grossvaters Leonhard Hermann (1881 bis 1959) ist zu lesen: «Als kleiner Weinbauer sah der in‐ telligente Jüngling ein, dass einzelnstehende, ärmliche Leute nicht vorwärts kommen können, wenn sie die Erzeugnisse des kargen Bodens nicht gemeinsam rationell verwerten. Fläsch war doch ein vom Verkehr abgeschnittenes, man möchte sagen welt‐ vergessenes Dörfchen am Fuße des Fläscher Berges, mit viel verwildertem Buschwerk und zerstückelten kleinen Feldern. Ur‐ barisierung (Sic!) und Güterzusammenlegung bildeten für den weitsichtigen Mann die ersten Grundlagen für ein Vorwärts‐ kommen des Dorfes ...» (Neue Bündner Zeitung 3. Juli 1959). Fläsch muss damals für Reptilien ein Paradies gewesen sein! Nach dem zweiten Weltkrieg brach die Zeit der «Inneren Koloni‐ sation und industriellen Landwirtschaft» an, die die Güterzusam‐ menlegung vorantrieb. Vor der Gesamt‐Melioration waren die Rebberge in Fläsch zerstückelt, kleinräumig und mit einer Viel‐ zahl von Kleinstrukturen (Trockensteinmauern, Lesehaufen, unverbauten Rüfen, Büschen und Bäumen) durchsetzt. 25 Be‐ triebe teilten sich 1‘843 Parzellen, meist ohne Erschliessung. Denkbar ungeeignet für eine maschinelle und rationelle Bearbei‐ tung. (Quelle: Schweizerische Vereinigung Industrie und Landwirtschaft SVIL, 1969). Abbildung 1 ‐ Die zerstückelten kleinen Parzellen werden ausgeräumt, planiert und neu bepflanzt (Autor unbekannt, undatiert, ca. 1973) Das vorliegende Konzept setzt sich das Ziel, den Lebensraum Rheindamm als Rückzugsgebiet für Reptilien – insbesondere der Schlingnatter – zu erhalten, aufzuwerten und zu erweitern. Es wird verstanden als Ergänzung des bereits bestehenden Pflege‐ konzepts Amphibiengewässer Fläsch. Roland Bodenmann, 21. Juli 2015 2015_07_21 Pflegekonzept Rheinufer öffentlich.docx | © Peter Hermann, Fläsch & Roland Bodenmann, Scherz | Ausgabe 21. Juli 2015 correlate.ch Lebensraum Rheindamm Fläsch KONZEPT 4 8 2 SUMMARY Der Rheindamm ist ein wertvoller Reptilienlebensraum mit ho‐ her Individuendichte. Er vernetzt Lebensräume und hat, entsprechend bewirtschaftet, Erweiterungspotential. Nicht zu‐ letzt kann ein gut austariertes Pflegekonzept Vorbild sein für vergleichbare Dammabschnitte Rheinaufwärts. 3 EINFÜHRUNG In über 100 Feld‐Begehungen in den verschiedenen Amphibien‐ und Reptilienlebensräume der Gemeinde Fläsch im Zeitraum von Juli 2010 bis September 2014 wurde auch ein 2.8 km langer Rheindamm‐Abschnitt untersucht. Bei den Begehung konnten Schlangen der beiden Gattungen Ringelnatter (Natrix natrix helvetica; NN) und Schlingnatter (Coronella austriaca; CA) nachgewiesen werden. Die allochthone Mauereidechse (Podarcis muralis; PM) wird häufig angetroffen, wurde aber nicht numerisch erfasst. Nicht ganz so oft konnte die versteckter lebende Blindschleiche (Anguis fragilis; AF) gefun‐ den werden. Im Beobachtungszeitraum wurde keine einzige Zauneidechse (Lacerta agilis; LA) festgestellt. Tabelle 1 ‐ Ausgewählte Resultate Feldbegehungen Begehung NN CA AF Nr. 11 05.09.2010 13 7 1 Nr. 42 15.07.2011 11 6 5 Nr. 63 14.05.2012 11 1 1 Nr. 92 21.07.2013 12 ‐ ‐ Nr. 101 29.05.2014 14 4 ‐ Die geografische Ausdehnung des untersuchten Rheindamms (Wuhr) erstreckt sich von Punkt 494 (Mündung Mühlbach in den Rhein) im Norden bis zur Weggabelung nördlich des Restaurants Mühle (2‘800 m). Da das Wuhr in etwa von Südosten nach Nordwesten verläuft, werden die gegen Südwesten ausgerichteten Lebensräume erst gegen Mittag direkt besonnt. Eine hohe Vegetation und dichtes Strauch‐ und Laubwerk reduziert zusätzlich die Besonnung. Bei höchster Vegetationsdichte im Sommer wird dieser Nachteil durch längere Tage und höhere Durchschnittstemperaturen teilweise kompensiert. Die relativ «mobilen» Ringelnattern fin‐ den meist eine Stelle mit genügend Besonnung. Für die «stationären» Schlingnattern ist diese Einschränkung existenziel‐ ler. Gerade die ovoviviparen Weibchen sind im Sommer auf gute Sonnenplätze angewiesen. 4 ZIELE DER PFLEGEMASSNAHMEN Die vorgeschlagenen Massnahmen zielen darauf ab: Die bestehenden Reptilien‐Lebensräume vor Sukzession zu bewahren. Die bestehenden Reptilien‐Lebensräume in ihre Struktur zu verbessern und durch geeignete periodische Eingriffe lang‐ fristig zu sichern. Die bestehenden Reptilien‐Lebensräume wo möglich und sinnvoll untereinander zu vernetzen (Längsvernetzung). Die bestehenden Reptilien‐Lebensräume wo möglich mit den in den letzten Jahren auf der Dammrückseite neu ange‐ legten Amphibien‐Lebensräumen zu vernetzen (Querver‐ netzung). Wo möglich neue Lebensräume zu erschliessen. Im Beson‐ deren sollen für die Schlingnatter zusätzliche Areale ge‐ schaffen werden. 5 ORGANISATION Die erstmaligen grösseren Eingriffe werden durch den Zweck‐ verband Falknis ausgeführt werden. Ansprechpartner: Gion Willi. 2015_07_21 Pflegekonzept Rheinufer öffentlich.docx | © Peter Hermann, Fläsch & Roland Bodenmann, Scherz | Ausgabe 21. Juli 2015 correlate.ch Lebensraum Rheindamm Fläsch KONZEPT 5 8 Die wiederkehrenden Pflegearbeiten an den vorgeschlagenen Standorten, wie das jährliche Rückschneiden von Jungwuchs und die zeitgerechte Elimination von Neophyten (Sommerflieder, Robinien) sollen durch die Aktion Natur und Landschaft Fläsch ausgeführt werden. Ansprechpartner: Peter Hermann. 6 LEITARTEN 6.1 Schlingnattern Bei den Schlingnatter‐Beobachtungen konnten während der ge‐ samten Aktivitätsperiode immer wieder dieselben Tiere angetroffen werden. Die Literatur weist zwar darauf hin, dass Schlingnattern zwei Teilhabitate im Laufe der Aktivitätsperiode benötigen. Erfüllt aber ein Habitat alle Anforderungen (frostfrei und vor Staunässe oder Hochwasser geschütztes Winterquartier, das im Frühjahr und im Spätherbst stark besonnt ist und zudem eine hohe Dichte an Beutetieren aufweist), verbleibt die Schlingnatter ganzjährig an diesem Ort (VÖLKL & KÄSEWIETER 2003). Diese Annahme wird auch gestützt durch Beobachtungen aus dem Liechtensteiner Rheintal. Dort lagen und liegen die Winter‐ quartiere grösstenteils in der unmittelbaren Umgebung des während des ganzen Jahres bevorzugten Sonnenplatzes (KÜHNIS 1996). Die gegebenen Strukturen im Rheinwuhr scheinen also ein idea‐ ler Lebensraum für die Schlingnattern zu sein. Die beobachteten Individuenzahlen (2010 wurden drei trächtige Weibchen am sel‐ ben Ort angetroffen) und die reichlich vorhandenen Mauer‐ eidechsen lassen zudem hoffen, dass eine Besiedlung von zusätzlichen geschaffenen Lebensräumen möglich ist. 6.2 Ringelnattern Während der gesamten Aktivitätsperiode wurden Ringelnattern auf offenen, gut besonnten Flächen angetroffen, im Hochsom‐ mer zusätzlich auch in den mit Bäumen bewachsenen Arealen. Zweimal konnte die Überquerung der Dammkrone beobachtet werden. Im Frühling wurden mehrmals Werbungen beobachtet. Ein Paarungs‐Nachweis fehlt aber ebenso, wie der Nachweis auf einen Eiablageplatz. Ringelnattern besiedeln ein klar umgrenztes Areal dessen Grösse abhängig ist von der Struktur und dem Nahrungsangebot. Sie bevorzugen „naturnahe, ausreichend grosse, reich strukturierte Feuchtgebiete mit genügend Deckung und Versteckmöglichkei‐ ten, geeigneten Plätzen zur Eiablage, zum Sonnen und Ruhen, eng vernetzt mit geeigneten Jagdrevieren (hohe Amphibiendich‐ te) sowie mit trockenen und frostfreien Winterquartieren“ (KABISCH 1999). Diese Beschreibung deckt sich nur teilweise mit dem untersuch‐ ten Lebensraum «Rheindamm». Trotzdem scheint das Rhein‐ wuhr ausgezeichnete Bedingungen zu bieten, denn in der Beobachtungsperiode zwischen Mitte März und Anfang Oktober konnten häufig Ringelnattern – teilweise in hoher Individuen‐ dichte – beobachtet werden. Der Bewegungsradius der Ringelnattern ist relativ gross und kann bis zu 500 m betragen (MERTENS 1992). Auf der Damm‐ Aussenseite verläuft der Mühlbach, der verschiedene Amphibi‐ enlebensräume untereinander vernetzt und geeignete Jagdreviere aufweist. An drei Stellen wurden mehrfach Ringel‐ nattern nachgewiesen, eine Migration über die Dammkrone scheint wahrscheinlich. Bei der Beurteilung der Pflegemass‐ nahmen muss deshalb auch die Quervernetzung mit diesen angrenzenden Lebensräumen einbezogen werden. 7 SYSTEMATIK 7.1 Bezeichnung der Lebensräume Beim Beginn des Monitorings wurden die damals bekannten Le‐ bensräume numerisch gekennzeichnet. Die im Laufe der inten‐ 2015_07_21 Pflegekonzept Rheinufer öffentlich.docx | © Peter Hermann, Fläsch & Roland Bodenmann, Scherz | Ausgabe 21. Juli 2015 correlate.ch Lebensraum Rheindamm Fläsch KONZEPT 6 8 sivierten Untersuchung zusätzlich gefunden Lebensräume wur‐ den in Abhängigkeit zur Lage, der Distanz oder der Funktion zu den bekannten Fundorten neu benannt. Dieses empirische Vor‐ gehen führte zu einer teilweise nicht ganz nachvollziehbaren «unordentlichen» Bezeichnungsstruktur. 2014 wurde ein kommunales Pflegekonzept für die Amphibien‐ lebensräume in Fläsch verabschiedet. Eine Angleichung an dessen Bezeichnungs‐Systematik ist sinnvoll und muss noch ge‐ leistet werden. 7.2 Kategorisierung der Lebensräume Neu eingeführt wurde eine Kategorisierung der Lebensräume mit dem Ziel, die möglichen Pflegeeingriffe zu priorisieren. Fol‐ gende Kategorien werden unterschieden. 7.2.1 Lebensraum Typ A: Reptilien‐Hot‐Spots Typ‐A‐Lebensräume haben sich bei den Feldbegehungen als Schwerpunkte (Hotspots) herausgestellt. Sie bilden vegetations‐ arme Wärmeinseln im ansonsten stark bewachsenen Wuhr. Hier liegen die groben, nicht gefügten Blocksteinen frei, aus denen der Damm besteht. Diese Stellen sind eigentlich Schadstellen oder Neuaufschüttungen, die mutmasslich auf Hochwasserer‐ eignisse oder Erosionen in den letzten Jahren oder Jahrzehnten zurückzuführen sind. 7.2.2 Kategorie Typ B: Bestehende Schneisen Schneisen sind offengehaltene Zugänge zum Rhein in regelmäs‐ sigem Abstand (ca. 200m), die der Kontrolle des Wuhrs dienen (Querprofile). Sie sind unterschiedlich strukturiert (offene Block‐ steine oder bewachsen). Etwa ein Viertel dieser Schneisen werden häufig als Zugang zu den permanenten Kiesbänken ge‐ nutzt. Je nach Lage und Strukturen haben sie ebenfalls eine wichtige Funktion als Reptilienlebensraum. Diese Schneisen sind mit einer gelben Markierung versehen. Aus Sicht der Verfasser macht es Sinn, diese Schneisen zu verbrei‐ tern. Der Pflegeaufwand scheint – da ohnehin periodisch einge‐ griffen werden muss – angemessen. Eine Verbreiterung auf durchschnittlich 10 m erhöht die Besonnungszeit und schafft zu‐ sätzlichen Lebensraum für Schlingnattern. 7.2.3 Lebensraum Typ C: Potentielle Längsvernetzungen Bereiche mit geringer bis mittlerer Vegetationsdichte, die das Potential neuer Lebensräum haben und geöffnet werden könn‐ ten. 7.2.4 Lebensraum Typ D: Potentielle Quervernetzungen Bereiche mit Quervernetzungspotential über die Dammkrone zum «Hinterland». Die östliche Dammflanke mit dem parallel fliessenden Mühlbach wird früher besonnt und schliesst an die neu geschaffenen Amphibienlebensräumen an. 2015_07_21 Pflegekonzept Rheinufer öffentlich.docx | © Peter Hermann, Fläsch & Roland Bodenmann, Scherz | Ausgabe 21. Juli 2015 correlate.ch Lebensraum Rheindamm Fläsch KONZEPT 7 8 8 BETRACHTUNGSPERIMETER Abbildung 2: Betrachtungsperimeter (Quelle: Swiss Map online 2/2015) 2015_07_21 Pflegekonzept Rheinufer öffentlich.docx | © Peter Hermann, Fläsch & Roland Bodenmann, Scherz | Ausgabe 21. Juli 2015 correlate.ch Lebensraum Rheindamm Fläsch KONZEPT 8 8 LITERATUR Kabisch, K. (1999): Natrix natrix (Linnaeus, 1758) – Ringelnatter. In: Böhme, W. (Hrsg.): Handbuch der Reptilien und Amphibien Europas. Band 3/IIA: Schlangen II. – Wiebelsheim (Aula). Kühnis, J. (1996) Verbreitung und Biologie der Schlingnatter (Coronella austriaca L.) entlang des Liechtensteinischen Bahngeländes. – Berichte der Botanisch‐Zoologischen Gesellschaft Liechtenstein‐Sargans‐Werdenberg 23. – Vaduz. Lips, P., Battaglia, F., Brogli (1981): Gesamtmelioration Fläsch. – Buchdruckerei AG Schiers. Mertens, D. (1992): Natrix natrix (Linnaeus, 1758) – Ringelnatter. In: Böhme, W. (Hrsg.): Handbuch der Reptilien und Amphibien Europas. Band 3/IIA: Schlangen II. – Wiebelsheim (Aula). Völkel, W. & Käsewieter, D. (2003): Die Schlingnatter. – Bielefeld (Laurenti). 2015_07_21 Pflegekonzept Rheinufer öffentlich.docx | © Peter Hermann, Fläsch & Roland Bodenmann, Scherz | Ausgabe 21. Juli 2015 correlate.ch
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