Geburtserlebnis aus meiner Sicht In der Nacht vom 24. auf den 25. November setzten die Wehen ein. Es war halb eins als ich aufwachte. Die Wehen waren noch gut erträglich und so wie es Inge im Geburtsvorbereitungskurs vorgeschlagen hatte, legte ich mich wieder ins Bett und versuchte zu schlafen. Ob ich geschlafen habe weiß ich nicht mehr. Ich war froh, dass das Kind sich auf den Weg zu machen schien. Der Bauch war unerträglich schwer und ich hatte hohen Blutdruck und andere Anzeichen, die sagten, dass mein Körper nun in großen Stress geriet. Ich hatte mich sehr weinerlich gefühlt in den letzten Tagen und die Aussicht, dass das Kind geboren würde stimmte mich zuversichtlich. Mit meinem neunjährigen Sohn machte ich am nächsten Morgen einen Spaziergang zur Apotheke um die Wehen anzuregen und mir einen Wehen fördernden Tee zu kaufen. Wir hatten ein nettes Gespräch mit dem Apotheker und nach Hause zurückgekehrt nahm ich Kontakt zu Inge auf um ihr zu sagen, dass ich Wehen hatte. Sie kam auch sofort vorbei und stellte fest, dass sich der Muttermund noch nicht weit geöffnet hatte. Sie ging wieder und ich veratmete den Rest des Tages Wehen. Nachts um halb eins war ich verzweifelt. Ich hatte das Gefühl, dass nichts voran ging. Nichts vor und nichts zurück. Ich hatte Hemmungen Inge anzurufen, doch tat ich es um sie um Rat zu fragen. Sie kam sofort zu mir und stellte auch fest, dass sich noch nicht viel getan hatte. Der Muttermund war noch fast auf dem selben Stand wie vor zwölf Stunden. Inge riet mir während der Wehen nur einfach weiterzuatmen und nicht zu „veratmen“, mich wieder ins Bett zu legen und noch auszuruhen. Sie blieb im Wohnzimmer und versuchte auch noch etwas zu schlafen. Ich war aufgeregt und sehr sehr froh, dass Inge im Haus war. Gegen Morgen kam sie wieder an mein Bett, schrieb ein weiteres CTG und sah nach mir. Die Wehen waren etwas stärker geworden. Ich musste mich festhalten oder setzen um sie zu verarbeiten. Inge machte mich darauf aufmerksam, dass ich dabei den Atem anhielt und die Schultern hochzog. Ich fand es ungeheuer schwierig dies nicht zu tun. Auf die Frage „Was hält dich davon ab das Kind loszulassen?“ wusste ich lange keine Antwort. Es schien wie vernagelt. Schließlich kam mir eine Antwort. „ Angst! Ich habe Angst wieder zu reißen“ antwortete ich. Ich hatte mir bei meiner ersten Geburt einen Scheidenriss zugezogen, als hormonhaltiges Nasenspray in der Endphase eingesetzt wurde. Ein schwächer werden der Wehen oder gar eine Wehenpause hatte man damals nicht geduldet. Nach dieser Antwort richteten wir irgendwann das Frühstück. Mein Mann war inzwischen aufgestanden und auch mein Sohn kam aus seinem Zimmer. Während des Frühstücks konnte ich mich nur noch in den Wehenpausen unterhalten und diese wurden immer kürzer. Inge entschied zu bleiben. Ihre Worte „ Dann werden wir dein Gebären wohl in den Alltag integrieren müssen“ hatten mich doch sehr erschreckt gehabt. Die Wehen wurden stärker und meine Erinnerungen beginnen zu verschwimmen. Ich durfte mich zum Wehenverarbeiten an Inges Hals hängen und sie hielt mich fest das hat sehr geholfen. Irgendwann verlor ich nach Inges Untersuchung viel Schleim. Ich kann mich an den Geruch erinnern und daran dass ich sehr schwitzte es begann nun grässlich weh zu tun. Inge und mein Mann brachten mich ins Bad und Inge ließ mich auf der Toilette Wehen veratmen. Ich glaube das war als Vorübung für den Gebärhocker gedacht. Auf der Toilette ging es, auf dem Gebärhocker überhaupt nicht. Ich legte mich aufs Bett. Wir versuchten die Seitenlage. Inge erklärte mir, dass der Muttermund bis auf ein kleines Stückchen geöffnet sei. Dieses letzte Stückchen würde den Kopf des Kindes noch zurückhalten und sie versuchte dieses Stückchen mit den Fingern weg zu schieben. Sie tat mir damit schrecklich weh. Ich sollte in der Seitenlage den Rücken rund machen und während der Wehe versuchte Inge des letzte Stück Muttermund weg zu schieben. Die Schmerzen wurden für mich unerträglich. Ich bat Inge aufzuhören. Sie tat es widerwillig. Ich konnte so nicht! Es ging nicht! Inge schimpfte ich sei im Hohlkreuz. Sie wusste nicht dass mein Lendenwirbelbereich sehr steif ist. Ich hatte zuvor nicht mit ihr darüber gesprochen. Es tat zu weh. Ich konnte nicht mehr. Ich wollte eine Pause. Ich musste nachdenken. Mein Körper tat was ich wollte und die Wehen setzten aus. Ich wusste, ich musste nun selbst die Initiative in die Hand nehmen. Nur wie? Wie aufstehen mit diesen Schmerzen? Ich musste das Kind loslassen, die Wehen wieder in Gang bringen! Aufstehen! Ich erinnerte mich an das Gespräch mit Inge im Wohnzimmer. Ich glaube mein Mann sagte „Es ist genug Platz, lass es raus.“ Ich erinnerte mich daran, dass mir die Hebamme bei der Geburt meines ersten Sohnes einen Spiegel gegeben hatte, damit ich das haarige Köpfchen des Kindes auftauchen sehen konnte. Ich erinnerte mich an dieses Bild. Es war so schön. Mein Mann half mir eine Affirmation zu formulieren:“ Es ist viel Platz. Ich werde nicht reißen! Es ist weit! Es ist viel Platz.“ Ich murmelte es mehrmals vor mich hin und stärkte mich am Bild des in der Scheide auftauchenden Köpfchens. Dann stand ich auf und begann mit Inge die Phasen der Geburt zu besprechen und den aktuellen Stand der Geburt zu analysieren. Ich glaube ich habe sie unglaublich genervt. Sie hatte mehrfach gesagt ich sei sehr kopflastig und solle aufhören die Luft anzuhalten und mich endlich meinem Körper überlassen. “Einfache Frauen haben es einfacher als du“, waren ihre Worte. Für mich war es jedoch wichtig mich auf mich selbst zu besinnen. Ich wollte ja eine selbst bestimmte Geburt. Ich probierte nochmals den Gebärhocker. Es war nicht gut. Inge erkannte treffend.“ Das geht nicht, dir schwillt ja alles an.“ Ich versuchte den Vierfüßerstand über dem Ball liegend auf dem Bett. Unmöglich. Das fühlte sich so ungeschützt an. Ich wollte in die Badewanne. Bei meiner ersten Geburt hatte mir ein Wehenbad sehr geholfen. Im Stehen kamen starke Wehen. Mein Mann begann die Badewanne zu füllen. Irgendwie kam ich in einer Wehenpause ins Bad. Ich bekam Zweifel ob es gut war das Kind zu Hause bekommen zu wollen. Ich dachte: “Ich kann nicht mehr.“ Jetzt veränderten sich die Wehen. Ich saß auf der Toilette und begann nach unten mit schieben zu wollen und tat es auch. Mein Mann sollte an meinen Armen ziehen um mir beim Wehenverarbeiten zu helfen. Er tat es zu lasch. Ich beschimpfte ihn. Inge ermahnte mich die Füße weiter vor zu stellen um einen runden Rücken zu machen. Ich brauchte den Fuß aber genau da wo er war um mit Kraft schieben zu können und antwortete sie solle mich lassen. Inge drohte mir mit dem Klinikum falls ich ihr nicht gehorchen wolle. Mein Mann erzählte mir später, dass sie dabei gegrinst hat. Sie wollte wohl meine Wut weiter herausfordern. Endlich war genug Wasser in der Wanne. In der kurzen Wehenpause kam ich bis in die Wanne. Ich kniete in der Wanne und legte den Kopf auf den Wannenrand. Es tat so weh. Mein Mann wollte mir ein Handtuch unter den Kopf schieben. Ich lehnte es ab. Der Schmerz war so groß. Ich konnte keine Hätschelei vertragen. Inges Stimme war jetzt wieder ruhig und angenehm. Sie sagte: Denk dran, das Baby braucht Platz. Während der nächsten Wehe konnte ich mich nicht bewegen. Der Schmerz war zu groß. Danach versuchte ich die Knie weiter auseinander zu schieben. Die nächste Wehe rollte heran. Ich stöhnte: „ Ich kann nicht mehr, ich kann nicht mehr.“ Da geschah das Loslassen und das Herauspressen. Wie eine große Kugel begann das Baby sich durch den Geburtskanal zu schieben. Ich hörte das Platzen der Fruchtblase wie einen Knall. Brennende Schmerzen. Inge sagte: „Ja, es brennt in der Scheide“. Ich sah das freudig aufgeregte Gesicht meines Mannes. Das gab mir Kraft. Alles schien zu verschwimmen. Ich wollte nur überleben. Plumps! Erleichterung! Mein Bauch fühlte sich so leicht an! Inge fischte das Kind aus dem Wasser. Ich stöhnte: “Das Kind ist da! Das Kind ist da!“ Ich war so froh. Inge rieb das Kind und pustete es an. Ein Augenblick der Sorge. Es begann zu atmen. Gott sei Dank, der erste Schrei. Es atmete - es lebte. Es war wohl erschrocken weil alles am Ende so schnell ging. Die Nachgeburt kam auf dem Bett. In einem Moltontuch trug mein Mann das Baby herum, wie einen kostbaren Schatz. Ich war froh es ihm überlassen zu können, während der ersten Nachwehen. Inge half mir dann beim ersten Anlegen an die Brust. Die Gefühle um Schwangerschaft und Geburt sind schwer zu beschreiben. Hingabe, Wunder, Teil des Urknalls, Gotteserfahrung. Mir gefällt ein Gedicht von Hans Bouma sehr gut: dein Kind nicht dein Besitz ganz abhängig ganz frei nicht gemacht sondern geschaffen Gebärde des Schöpfers Glück dir nur so in den Schoß gefallen Und die Worte von Khalil Gibran: Wenn Dir jemand erzählt, dass die Seele mit dem Körper zusammen vergeht und dass das, was einmal tot ist, niemals wieder kommt, so sage ihm: Die Blume geht zugrunde, aber der Same bleibt zurück und liegt vor uns, geheimnisvoll, wie die Ewigkeit des Lebens. Liebe Inge, ich danke Dir, dass Du mich am Ende der Schwangerschaft, als es schwierig wurde, nicht im Stich gelassen hast. Ich danke Dir, dass Du gefragt und zugehört hast, dass Du meine Eigenheiten respektiert hast und auf sie eingingst. Ich danke Dir, dass Du mir diese Hausgeburt ermöglicht hast. In herzlicher Verbundenheit Mariette
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