Sehr geehrte Damen und Herren der Politik, ich möchte Ihnen eine Geschichte erzählen, die meine ist, aber auch die vieler anderer Menschen, denen es wie mir geht. Über Menschen, die nichts für ihre Situation können. Aber auch über Menschen, die Hilfe brauchen und dankbar sind, wenn sie sie bekommen, aber oft mit der Angst leben, diese zu verlieren. Meine Mutter sagte immer zu mir: „Misch dich nicht ein, halt deinen Mund.“ Aber ich kann einfach nicht mehr auf diese Worte hören. Schweigen ändert nichts. Und wer könnte Ihnen besser von unseren Ängsten, von unserem Leben erzählen als ich – eine Betroffene. Wie sollen Sie wissen, wie es mir und den vielen anderen Menschen geht, die mein Schicksal teilen? Aber lesen Sie selbst: Ich möchte mit einem Zitat von der Internetseite des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales beginnen. Ich bitte sie, beim Lesen meines Berichts immer an diese Worte zu denken. Worte, die viel versprechen, aber leider in der Realität nicht oder nur kaum Beachtung finden: „Menschen mit Behinderungen wollen genauso leben wie nichtbehinderte Menschen auch. Sie möchten mobil sein und ihren Alltag ohne fremde Hilfe meistern können. Und sie haben ein Recht darauf. Denn niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden - so steht es im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Daher ist es eine wesentliche Aufgabe des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, als federführendes Ressort, Chancengleichheit für Menschen mit Behinderung herzustellen und ihnen eine gleichberechtigte berufliche und gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen…“ Nun meine Geschichte: Solange ich denken kann, schlage ich mich nun schon mit Depressionen herum. Als Kind hat sie keiner beachtet. Ich war einfach nur ein Sonderling, der sich nicht in die Gesellschaft einfügen „wollte“. Aber ich kämpfte mich durch, versuchte meinen Platz im Leben zu finden. Jeder Tag war für mich ein neuer Kampf – gegen meine Ängste, gegen Ablehnung, gegen Ausgrenzung, gegen den Wunsch einfach aufzugeben und aus diesem Leben zu gehen. Jeden Tag versuchte ich mir eine neue Chance auf ein halbwegs erträgliches Leben zu geben. Ich fand einen Partner, bekam Kinder, kämpfte für sie und mich. Schwere Schicksalsschläge verdunkelten mein Leben – aber ich kämpfte weiter. Irgendwann nur noch für meine Kinder. Dann kam der Tag, an dem ich einfach nur noch aufgeben wollte. Für mich hatte das ganze Leben seinen Sinn verloren. Meine Kraft war am Ende. Niemand in meiner Familie sah, wie es mir erging. Oder wollten sie es nicht erkennen? Ich weiß nicht, ob es so war. In meiner damaligen Situation war es mir nicht möglich zu erkennen, ob ich irgendjemandem noch etwas bedeutete. Ich fühlte mich alleine, gefangen in schweren Gedanken, Traurigkeit, Schmerz und Einsamkeit. Das Leben hatte keine Farben mehr, die Sonne schien nicht mehr für mich. Alles was mich noch beseelte, war der Wunsch zu gehen, mich aufzulösen. Aber ich hatte Glück. Meine Psychologin erkannte, was mit mir los war. Ich begann Antidepressiva zu nehmen, jedoch ohne Besserung. Sie legte mir ans Herz, ins Krankenhaus zu gehen. Ich tat es und fand dort Menschen, die mir helfen wollten. Ich lernte erstmals in meinem Leben andere Menschen kennen, denen es genauso erging wie mir. Ich war nicht mehr der Sonderling, für den mich meine Mitmenschen ein Leben lang gehalten hatten. Ich war schlichtweg krank: Nicht mein Körper, sondern meine Seele. In dieser Gesellschaft zählt jedoch leider nur das, was man sieht. Einem körperlich oder geistig Behinderten - sieht man vielleicht noch an, dass sie nicht „normal“ sind. Aber jemandem, dessen Seele krank ist? Körperlich sehen wir „seelisch Kranken“ ja gesund aus. Aber trotzdem sind wir nicht in der Lage, unseren Lebensunterhalt mit Arbeit zu bestreiten. Da sind Ängste, die uns ausbremsen, und viel zu oft hindern, uns Hilfe zu suchen oder diese auch nur anzunehmen. Wir ziehen uns zurück, kapseln uns ab. Niemand kann in uns hineinsehen, niemand kann erfassen, wie sehr wir leiden. Das kann nur jemand verstehen, der das alles selbst erlebt hat oder jemand, der schon sehr viele Jahre mit Menschen wie uns verbracht hat. Eine seelische Krankheit ist unberechenbar wie ein Krebsgeschwür. Jemand sprach einmal von Seelenkrebs. Ich kenne die Meinung, dass Depressionen gut heilbar sind nur zu gut. Auf Menschen, die durch ein schlimmes Erlebnis erkrankt sind, mag das ja auch zutreffen. Aber was ist mit den anderen Fällen? Ich denke nicht, dass ich jemals „normal“ sein werde. Das muss und möchte ich wahrscheinlich auch nicht. Aber ich will wieder die Kraft finden zu leben. Dazu gehört das Gefühl, anderen und sich selbst etwas wert zu sein und meinen Beitrag zur Gesellschaft leisten zu können. Und dabei hilft mir mein Besuch einer Tagesstätte für psychisch Kranke und seelisch behinderte Menschen. Hier gibt es Menschen, die meine Schwächen und Ängste akzeptieren, meine Fehler verzeihen, meine Tränen trocknen. Menschen, die mich so annehmen wie ich bin, die versuchen mir zu helfen, die mir beistehen und die mir jeden neuen Tag Mut machen. Hier sind Menschen, denen es genauso ergeht wie mir, aber nicht ausschließlich. Menschen mit verschiedenen Krankheitsbildern kommen hier zusammen. Was zählt ist, dass wir uns gegenseitig Mut machen. Und da sind unsere Betreuer. Sie sind immer für uns da, hören zu. Es muss anstrengend sein, sich jeden Tag in so viele Menschen mit so verschiedenen Schicksalen hineinzudenken und für deren Probleme Lösungen zu finden. Dennoch bemühen sie sich stets, dass wir wieder Vertrauen finden, ganz besonders zu uns selbst. In der Tagesstätte lernen wir, dass wir etwas wert sind. Mit der Anleitung der Betreuer wird es möglich, herauszufinden, was wir können, Fähigkeiten auszubauen und neue zu entdecken. Ich weiß nicht, ob ich jemals mit dem Malen begonnen hätte, wenn ich nicht das große Glück gehabt hätte, diesen Platz hier in unserer Tagesstätte zu bekommen. Zu wissen, dass man zu etwas nützlich ist, ist für Menschen wie uns sehr wichtig. Zu oft geben wir uns selbst das Gefühl, nichts zu können, Versager zu sein. Und die Gesellschaft tut ihr Übriges dazu. Jeder kennt die Meinung: Wer nichts leisten kann, ist nichts wert. Die Welt wird daran gemessen, wie viel Geld man verdient oder hat. Aber wir verdienen kein Geld, wir kosten nur. Manche schaffen es irgendwann wieder, ein sogenanntes „normales“ Leben zu führen. Andere können irgendwann in einer Werkstatt für Behinderte arbeiten und so einen kleinen Beitrag leisten. Aber da ist der große Teil von uns, der das nicht schafft. Wir sind auf Hilfe angewiesen, wie wir sie hier in der Tagesstätte bekommen. Immer dieses Zittern und Bangen, wenn wir den Platz neu beantragen müssen. Kommt die neue Kostenübernahme? Wie viele Tage der Woche dürfen wir hier her kommen? Dürfen wir überhaupt noch kommen? Diese Zeit der Ungewissheit wirft uns in dem, was wir mit Hilfe der Betreuer und der Tagesstätte erreicht haben, weit zurück. Schon das Wissen, dass da jemand kommt und uns begutachtet, macht uns Angst. Was macht ein Sachbearbeiter aus dem, was der Gutachter sagt? Ein Sachbearbeiter, der nichts von unseren Ängsten und Problemen weiß? Wie kann jemand über unser Schicksal entscheiden, der uns nie gesehen, geschweige denn je mit uns gesprochen hat? Die Angst vor diesen Wochen der Ungewissheit wird zusätzlich durch das Wissen gesteigert, dass überall nur noch gespart werden soll. Und gespart wird ja immer bei denen, die keine Leistung erbringen. Aber eben jene Menschen haben sich so ein Leben, diese Krankheit nicht ausgesucht. Jeder von uns wäre froh, wenn er gesund wäre und selbst seinen Lebensunterhalt bestreiten könnte. Und hier möchte ich eine Sorge ansprechen, die bei vielen von uns weitere Ängste generiert. Die Vergangenheit hat uns gezeigt, dass das Amt Beteiligungen an den Kosten verlangt, die keiner aufbringen kann. Haben kranke Menschen nicht auch das Recht auf ein paar kleine Freuden im Leben? Und was ist mit unseren Lebenspartnern, unseren Familien? Deren Einkommen wird zum Bezahlen des Tagesstättenplatzes auch mit einbezogen. Haben diese Menschen nicht schon oft genug durch uns zu leiden? Die Leute, die nicht mit einem Menschen wie uns leben müssen, können nicht erahnen, was es bedeutet, jeden Tag Angst zu haben dass wir eine „Dummheit“ machen, jeden Tag aufs Neue unseren „Launen“ ausgesetzt zu sein. Ist das Leben für uns schon ein ständiger Kampf, wie schlimm muss diese Krankheit für einen Menschen sein, der mit uns lebt und uns liebt? Für uns und unsere Familien ist schon die Behandlung unserer Krankheit sehr teuer. Da sind die vielen teuren Medikamente, die bezahlt werden müssen, die oft notwendigen Krankenhausaufenthalte, die immer viele Wochen dauern. Bitte nehmt uns nicht die Möglichkeit, in die Tagesstätte zu gehen und hier Hilfe und Verständnis zu finden. Sehen sie sich an, was wir hier leisten. Schauen sie sich die Dinge an, die in Einrichtungen wie meiner entstehen. Diese Arbeit gibt uns die Kraft, wieder an uns zu glauben. Aber der Besuch der Tagesstätte bedeutet für uns auch die Möglichkeit, soziale Kontakte zu finden und mit anderen Menschen zusammen zu kommen. Viele von uns haben nämlich nicht die Kraft, soziale Kontakte zu knüpfen oder überhaupt raus zu gehen. Und jetzt denken Sie bitte noch einmal an das eingefügte Zitat. Für mich und all die anderen, denen es genauso ergeht wie mir, besteht die „gleichberechtigte berufliche und gesellschaftliche Teilhabe“ darin, eine Einrichtung wie eine Tagesstätte für psychisch Kranke und seelisch behinderte Menschen zu besuchen. Wir sind uns bewusst, dass solche Einrichtungen ihr Geld kosten und jeder von uns ist bereit dazu auch seinen Teil beizutragen - jeder nach seinen Möglichkeiten. Doch leider besteht unsere Möglichkeit nicht in einer finanziellen Beteiligung – jedenfalls nicht in dem Rahmen, wie es von uns und unseren Familien durch die Politik und das Amt gefordert wird. Das Leben besteht nicht nur aus Arbeit, Essen und Trinken. Für Menschen wie uns ist der einzige Lichtblick oft nur der Besuch einer Tagesstätte. Nicht einmal das Wissen um die Zuneigung unserer Partner kann uns aus unserem Gefängnis befreien. Ich möchte aber nicht enden, ohne Ihnen meine Beweggründe für mein Schreiben zu nennen: Leider mussten uns in der Tagesstätte Klienten verlassen, weil sie nicht in der Lage sind, die hohen Kosten für ihren Platz bei uns selbst zu zahlen. Wir bekommen oft EU-Rente. Wir sind auch sehr dankbar dafür, dass unser Staat uns diese Lebensgrundlage ermöglicht. In vielen anderen Ländern sieht es anders aus. Im Grunde können wir uns glücklich schätzen, dass wir in einem Land mit einem sozialen Netz leben, in dem jeder, der es zulässt, aufgefangen wird. Dennoch leiden die, welche uns verlassen mussten sehr darunter. Bitte sorgen Sie dafür, dass diesen Menschen geholfen wird und keiner von uns mehr die Angst haben muss, wieder in sein seelisches Gefängnis und damit in ein gesellschaftliches Aus verbannt zu werden. Bitte gedenken sie Ihrer eigenen Worte. Da Sie nun bei diesen Zeilen angekommen sind möchte ich mich bei Ihnen bedanken, dass sie sich die Zeit genommen haben, meine Worte zu lesen. Und ich möchte noch einmal in aller Deutlichkeit sagen: Ich und alle anderen, die wir das große Glück haben, in einer Tagesstätte für psychisch Kranke und seelisch behinderte Menschen, einen Platz gefunden zu haben, sind dankbar dafür. Es bedeutet so viel für uns, zu erfahren, dass auch wir noch Menschen mit Wert und Nutzen sein können, die nicht nur Kosten verursachen. Nochmals vielen Dank für Ihre Geduld. Mit freundlichen Grüßen
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