Syntax: Grammatik des deutschen Verbs

Syntax: Grammatik des deutschen Verbs
Gereon Müller
Institut für Linguistik
Universität Leipzig
WiSe 2015
www.uni-leipzig.de/∼muellerg
Gereon Müller (Institut für Linguistik)
04-006-1006
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Verb-Zweit
Bewegungen im deutschen Hauptsatz
(1)
Finitumvoranstellung:
a. dass Karl das schöne Auto kauft.
b. Kauft Karl das schöne Auto?
c. weil Maria den Plan ablehnt.
d. Lehnt Maria den Plan ab?
(2)
Topikalisierung:
a. Kauft Karl das schöne Auto?
b. Das schöne Auto kauft Karl.
c. Karl kauft das schöne Auto.
d. Lehnt Maria den Plan ab?
e. Den Plan lehnt Maria ab.
f. Maria lehnt den Plan ab.
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Bewegung mit Transformationen
Transformationen
Frage: Wie kann Bewegung abgeleitet werden?
Antwort: durch Transformationen
(3)
Transformationen:
Eine Transformation T nimmt einen Phrasenstrukturbaum P1 und bildet ihn auf einen
anderen Phrasenstrukturbaum P2 ab.
1 SB steht für Strukturbeschreibung, engl. ‘Structural Description’, SD
2 SV steht für Strukturveränderung, ‘Structural Change’, SC.
3 X, Y, Z sind Variablen über beliebigen (auch leeren) Ketten von Wörtern.
4 tn steht für eine von der Bewegung des n-ten Elements zurückgelassene Spur. (Spur und
bewegtes Element werden koindiziert.)
(4)
Finitumvoranstellung (obligatorisch, per Adjunktion)):
SB:
SV:
(5)
X
1
1
C[Ø]
2
42
Y
3
3
V
4
t4
Z
5
5
⇒
Topikalisierung (obligatorisch, per Substitution):
SB:
SV:
X
1
1
[expl]
2
5
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C[dekl]
3
3
Y
4
4
XP
5
t5
Z
6
6
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⇒
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Bewegung mit Transformationen
Finitumvoranstellung
(6)
(7)
CP
C
CP
IP
C
[Ø] NP
VP
N
I
NP
V
V1
[präs,3.sg]
IP
C NP
VP
kauft [Ø] N
I
NP
t1 [präs,3.sg]
⇒
N′
Karl DP
das
kauft
AP
N′
schöne
N
N′
Karl DP
das
Auto
AP
N′
schöne
N
Auto
Bemerkung:
Die Bewegung von V an C heißt Adjunktion. Adjunktion kann Strukturen erzeugen, die nicht von
den Phrasenstrukturregeln generiert werden können.
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Bewegung mit Transformationen
Topikalisierung
(8)
CP
C′
[expl]
C
V1
IP
C NP
VP
kauft [Ø] N
I
NP
Karl DP
t1 [präs,3.sg]
N
(9)
′
AP
N′
schöne
N
das
CP
C′
NP2
Auto
⇒
N
C
Karl V1
C
kauft
[Ø]
IP
t2
VP
NP
N′
DP
das
AP
N′
schöne
N
Auto
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Restrukturierung
Evidenz für Monoklausalität: Extraposition
Lit.:
Stechow & Sternefeld (1988), Grewendorf (1988), Fanselow (1991), Bayer &
Kornfilt (1994).
(10)
Extrapositionsverbot:
a. Sie hatte [ nicht gestört zu werden ] gewünscht
b. Sie hatte gewünscht [ nicht gestört zu werden ]
c. Sie hatte [ nicht gestört werden ] wollen
d. *Sie hatte wollen/gewollt [ nicht gestört werden ]
Bemerkung:
Manche Verben (und Verbtypen) lösen obligatorisch Restrukturuierung aus;
reguläre Kontrollverben wie versuchen tun dies optional
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Restrukturierung
Evidenz für Monoklausalität: Weiter Negationsskopus
(11)
Negationsskopus:
a. Sie musste nichts tun
b. Sie bedauerte nichts gesagt zu haben
(12)
Zwei Lesarten für (12-a), eine für (12-b):
a. “Sie was forced to do nothing.”
b. “Sie did not have to do anything.”
c. “Sie regretted that she had not said anything.”
d. *“She did not regret that she said something.”
Bemerkung:
Die Verschmelzung von nicht und einem Indefinitum, wie in nichts or niemand,
eine sog. “kohäsive Verbindung”, ist auf Satzgenossenschaft beschränkt.
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Restrukturierung
Evidenz für Monoklausalität: Scrambling vor
Matrixmaterial
(13)
Langes Scrambling:
a. weil sich1 der Oberförster1 t1 rasieren wollte
b. weil der Oberförster1 [ sich1 rasiert zu haben ] bezweifelte
c. *weil sich1 der Oberförster1 [ t1 rasiert zu haben ] bezweifelte
d. *weil sich1 der Oberförster1 bezweifelte [ t1 rasiert zu haben ]
Bemerkung:
Scrambling im Deutschen ist strikt satzgebunden.
(14)
Verbot des langen Scramblings aus finiten Sätzen im Deutschen:
a. *dass ihn1 der Oberförster sagte [ dass Peter t1 treffen soll ]
b. *dass ihn1 der Oberförster sagte [ solle Peter t1 treffen ]
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Restrukturierung
Evidenz für Monoklausalität: Statusrektion
(15)
Statusrektion (‘Zuweisung von verbalem Kasus):
a. als wir Ede singen hörten
b. weil Beate Ede anrufen will
c. weil Beate Ede angerufen haben wird
d. weil das Wetter gut zu werden scheint
(16)
Status (‘verbal cases’) (Bech (1955/1957)):
a. Erster Status: aufessen (bloßer Infinitiv)
b. Zweiter Status: aufzuessen (zu-Infinitiv)
c. Dritter Status: aufgegessen (Partizip II)
Annahme:
Statusrektion ist wie alle anderen Arten der Rektion strikt satzgebunden.
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Restrukturierung
Evidenz für Monoklausalität: Rattenfang
(17)
Rattenfang (pied piping) von Infinitiven:
a. die Ratten, die zu fangen Hubert sich vorgenommen hatte
b. *die Ratten, die Hubert fangen Günther ließ
c. *die Ratten, die zu fangen Günther scheint
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Restrukturierung
Evidenz für Monoklausalität: Verb(projektions)anhebung
(18)
Verb(projektions)anhebung und Ersatzinfinitiv:
a. weil wir Ede hatten singen hören
b. weil Beate Ede wird anrufen wollen
c. weil er das Land nicht wird haben verlassen dürfen
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Restrukturierung
Evidenz für Monoklausalität: Intonation
(19)
Intonation (‘Grenzpause’):
a. weil
sie ihn zu küssen versuchte
because she him to kiss
tried
ihn zu küssen
b. weil
sie versuchte
him to kiss
because she tried
(20)
Konsequenz: Entstehen struktureller Ambiguitäten:
a. weil Regine mich anzurufen versucht
b. weil mich Regine anzurufen versucht
nur Restrukturierung möglich
c. weil Regine versucht mich anzurufen
keine Restrukturierung möglich
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Restrukturierung
Evidenz für Biklausalität: Uniformität der Einbettung
(21)
Uniformität der Einbettung von optional restrukturierenden Verben:
a. dass der Oberförster versuchte [ CP dem Peter einen Film zu
empfehlen ]
b. dass sie [ CP dem Peter einen Film zu empfehlen ] versuchte
c. dass ihn1 der Oberförster [ dem Peter zu empfehlen ] versuchte
Bemerkung:
Es gibt keine Kontrollverben, die restrukturieren können, aber kein
CP-Komplement nehmen können.
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Restrukturierung
Evidenz für Biklausalität: Unregiertes PRO
(22)
Unregiertes PRO in Infinitiven
a. dass der Oberförster versuchte [ CP PRO ein Buch zu lesen ]
b. dass der Oberförster [ CP PRO ein Buch zu lesen ] versuchte
c. *dass der Oberförster [ vP PRO ein Buch zu lesen ] versuchte
d. *dass der Oberförster [ VP ein Buch zu lesen ] versuchte
Bemerkung:
Dies setzt voraus, dass lesen seine beiden θ-Rollen in der Syntax zuweisen muss,
dass die externe θ-Rolle durch PRO getragen wird, und dass PRO nicht regiert
werden darf (‘PRO theorem’, Chomsky (1981)).
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Restrukturierung
Evidenz für Biklausalität: Überlappende Bindungsdomänen
(23)
Überlappende Bindungsdomänen mit ECM im Englischen (Büring
(2005)):
a. O’Leary1 believes himself1 to deserve the crown of England
b. O’Leary1 wants Georgina2 to protect herself2
c. *O’Leary1 wants Georgina2 to protect himself1
(24)
Keine neuen Bindungsdomänen bei Restrukturierung im Deutschen:
a. Der Oberförster1 hat ihm2 sich1 zu waschen versprochen
b. *Der Oberförster1 hat ihm2 sich2 zu waschen versprochen
c. ?Der Oberförster1 hat ihm2 sich2 im Spiegel gezeigt
(Sternefeld &
Featherston (2003))
Das Restrukturierungsverb versprechen ist ein Subjektkontrollverb. Ein eingebettetes
Objekt-Reflexivpronomen kann von PRO lokal gebunden werden; (24-a). Das Matrix-Objekt ihm
kann nicht als Antezedens für das Reflexivpronomen fungieren; (24-b). Dies ist bei
Monoklausalität unerwartet: Wenn es keine lokale Bindungsdomäne gibt, die die Argumente des
eingebetteten Prädikats (PRO, sich) von den Argumenten des Matrixprädikats (der Oberförster,
ihm) separiert, sondern im Gegenteil alle Argumente zur selben Domäne gehören, dann sollte
sich frei seine Antezedentien aussichen können, ebenso wie in Doppelobjektkonstruktionen der
Art in (24-c) (Sternefeld & Featherston (2003)).
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Restrukturierung
Ersatzinfinitiv
(25)
Ersatzinfinitiv im Deutschen:
a. dass er das Buch gewollt hat
b. *dass er das Buch hat wollen
c. ??dass er das Buch lesen gewollt hat
d. dass er das Buch hat lesen wollen
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Restrukturierung
Skandalkonstruktion
(26)
a. (Er ging,) ohne ihn haben sehen zu können
b. *(Er ging,) ohne ihn sehen gekonnt zu haben
(27)
a. (Sie bedauert,) es nicht verhindert haben zu können
b. *(Sie bedauert,) es nicht verhindern gekonnt zu haben
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Restrukturierung
Literatur
Bayer, Josef & Jaklin Kornfilt (1994): Against Scrambling as an Instance of Move Alpha. In:
N. Corver & H. van Riemsdijk, eds., Studies on Scrambling. Mouton de Gruyter, Berlin,
pp. 17–60.
Bech, Gunnar (1955/1957): Studien über das deutsche Verbum Infinitum. Niemeyer, Tübingen.
Reprint 1983.
Büring, Daniel (2005): Binding Theory. Cambridge University Press, Cambridge.
Chomsky, Noam (1981): Lectures on Government and Binding. Foris, Dordrecht.
Fanselow, Gisbert (1991): Minimale Syntax. Habilitation thesis, Universität Passau.
Grewendorf, Günther (1988): Aspekte der deutschen Syntax. Narr.
Stechow, Arnim von & Wolfgang Sternefeld (1988): Bausteine syntaktischen Wissens.
Westdeutscher Verlag, Opladen.
Sternefeld, Wolfgang & Sam Featherston (2003): The German Reciprocal Einander in Double
Object Constructions. In: L. Gunkel, G. Müller & G. Zifonun, eds., Arbeiten zur
Reflexivierung. Niemeyer, Tübingen, pp. 239–265.
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