Carl Nielsen zum 150. Geburtstag

Samstag, 6. Juni 2015
20.04 – 23.00 Uhr
Carl Nielsen
Eine Sendung zum 150. Geburtstag
von Kai Luehrs-Kaiser
Guten Abend, meine Damen und Herren. Mein Name ist Kai Luehrs-Kaiser.
Im kulturradio hören Sie eine Sendung zum 150. Geburtstag des dänischen
Komponisten Carl Nielsen. In der kommenden dreistündigen Sendung streben wir
einer endgültigen Beantwortung der Frage zu: Wer in aller Welt war – Carl Nielsen?
Und warum!
1
Naxos
LC 05537
8.557164
Track 001
Carl Nielsen
“The Festival March” aus “Aladdin Suite” op. 34
FS89
South Jutland Symphony Orchestra
Ltg. Niklás Willén
2002
2’56
I
Fast wie eine Mischung aus Janáček und Sibelius: kantig, naturbildlich und so, dass
die Sonne des Nordens sticht – der Festmarsch aus der „Alladin Suite“ von Carl
Nielsen, hier zum 150. Geburtstag des Komponisten, gespielt vom South Jutland
Symphony Orchestra 2012 unter Niklás Willén. Entlegene Interpreten – und um
einen leicht entlegenen Komponisten handelt es sich ja auch.
Carl Nielsen, dessen 150. Geburtstag sich am kommenden Dienstag jährt, ist einer,
um den sich bei uns in Deutschland nicht allzu viele Leute kümmern.
In den kommenden drei Stunden holen wir zu einem umfassenden musikalischen
Portrait des größten dänischen Komponisten aus. Wenn Sie sich, während Sie diese
Sendung hören, im Internet über Leben und Werk dieses Mannes parallel ein Bild
machen wollen, so können Sie dies auf der Seite www.carlnielsen.org tun. Auf
dieser Seite sehen Sie, gleich zu Anfang, auch die wohl einzigen Filmaufnahmen, die
es von dem dänischen Bürstenkopf gibt.
Zunächst aber: Was, meine Damen und Herren, fällt Ihnen überhaupt zu Carl
Nielsen ein – angenommen, Sie sind nicht schon ein Fan dieses Komponisten, der in
seiner Heimat Dänemark zu Recht als Nationalkomponist gehandelt wird.
Nun, er hat einige Sinfonien komponiert; es sind sechs an der Zahl. Einige
Bläserkonzerte, namentlich das Flöten- und das Klarinettenkonzert verirren sich
von Zeit zu Zeit in die Konzertprogramme. Berühmtheit hat das Violinkonzert von
Carl Nielsen erlangt. Dann gibt es – wie bei fast allen Komponisten – noch eine Reihe
wichtiger Kammermusikwerke. Und, richtig, von seinen zwei Opern hat zumindest
„Maskarade“ relative Bekanntheit erreicht. Und zwar vor allem wegen der
fulminanten, im Sturm erobernden Ouvertüre:
Carl Nielsen zum 150. Geburtstag
2
Decca
LC 00171
425 857-2
Track 001
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Carl Nielsen
Ouvertüre zu “Maskarade”
San Francisco Symphony
Ltg. Herbert Blomstedt
1990
4’20
II
Die Ouvertüre zu “Maskarade“, der Oper von Carl Nielsen, für man sich eine Weile
recht wacker engagierte – und der auch die wichtigste Neuerscheinung dieses
Nielsen-Jahres gilt: in Gestalt einer neuen Gesamtaufname mit Johan Reuter unter
der Leitung von Michael Schønwandt.
Hier hörten Sie das San Francisco Symphony 1990 unter seinem damaligen Chef
Herbert Blomstedt.
Wir wollen nicht verhehlen, daß Carl Nielsen in früheren Jahrzehnten – zumindest
mit einigen Werken – durchaus zum Kernrepertoire einer nachzügelnden Romantik
gezählt wurde. Also, er wurde geschätzt als ein Vertreter der Moderne, die – an den
Rändern Europas – auch dann noch auf integre Weise tonal komponieren konnte,
als es in Deutschland und Österreich und natürlich auch in Amerika längst eine
Hardcore-Moderne gab, die auf Dissonanz in der Musik setzte.
Auf diese Weise gibt es ganz selbstverständlich eine frühe Aufnahme des eben
gehörten Werkes, dirigiert von Sergiu Celibidache.
Und Karajan, dem wir als Nielsen-Dirigenten gleich noch begegnen werden, war
keineswegs der einzige, für den Nielsens 4. Symphonie, betitelt „Das
Unauslöschliche“, ganz selbstverständlich auf der breiten Straße lag, die er
wandelte. Für den bis heute spürbaren Durchbruch, der für Nielsen in den USA
bewirkt wurde, war allerdings Leonard Bernstein verantwortlich. Der Impuls dafür
ging übrigens interessanterweise von Dänemark selber aus; ein Lehrstück, das uns
zeigt, was Eigeninitiative und Engagement wirken können.
In den 60er Jahren verlieh man nämlich den Carl Nielsen-Preis, den es bis heute
gibt, an Bernstein, der bis dahin gar nicht viel mit Nielsen am Hut hatte; so erzählt
man es jedenfalls bis heute in Kopenhagen. Zum Bestandteil des Preises gehörte es,
dass man im Konzertsaal des Tivoli, dem traditionsreichen Vergnügungspark von
Kopenhagen, eine Nielsen-Sinfonie dirigierte; eine Pflicht, der sich auch der damals
noch recht junge Bernstein freudig unterzog. Bei welcher Gelegenheit er die Werke
des Komponisten derart schätzen lernte, dass er zuhause in New York einen ganzen
Nielsen-Zyklus aufs Programm setzte und auf Schallplatten einspielte – was für
Nielsen den entscheidenden Durchbruch bedeutete. Das wirkt bis heute.
Hier kommt noch einer, der sich in den 60er Jahren von der aufkommenden
Nielsen-Mode „anfixen“ ließ: John Barbirolli mit dem 2. Satz: Poco allegretto aus
der Vierten. Das Hallé Orchestra live am 30. Juli 1965.
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Carl Nielsen zum 150. Geburtstag
3
BBC Music
LC 10552
BBCL 42232
Track 002
Carl Nielsen
Sinfonie Nr. 4 “Das Unauslöschliche” op. 29
II. Poco allegretto
Hallé Orchestra
Ltg. Sir John Barbirolli
1965
Seite 3 von 16
4’33
III
Das Hallé Orchestra live 1965 unter Leitung von John Barbirolli mit dem 2. Satz:
Poco Allegretto aus der Sinfonie Nr. 4 “Das Unauslöschliche” op. 29.
Dieses Werk, bis heute das Aushängeschild schlechthin des Sinfonikers Carl Nielsen,
wurde 1916 vollendet – mitten im I. Weltkrieg – und kann durchaus auch als
Reaktion auf diesen verstanden werden.
Es ist, abgesehen von dem hier gehörten heiteren Scherzo, das dramatischste, man
könnte sagen: existenzialistischste Werk des Komponisten. Bei dem, was dort als
„unauslöschlich“ übersetzt wurde – und zwar nicht ganz glücklich, denn gemeint ist,
weniger pathetisch, das Nichtendende – hierbei also handelt es sich um die Kraft
des Lebens selber, welche überdauert, egal welchen Blessuren und Torturen es
ausgesetzt wird.
Die Existenz geht der Essenz voraus, so wird es später im Existenzialismus heißen,
und zwar bei Jean-Paul Sartre. Wohlgemerkt, Nielsen konzipierte seine 4. Sinfonie,
als dergleichen philosophiegeschichtlich noch sehr fern lag. Selbst für einen
Dirigenten wie Karajan dürfte “Das Unauslöschliche”, Nielsens 4. Sinfonie op. 29,
als ein Werk der Reflexion des Krieges virulent geworden sein. Dies wäre nun also
der Augenblick, um Karajans berühmte Aufnahme mit den Berliner Philharmonikern
zum Vergleich heranzuziehen. Die Aufnahme entstand in Berlin 1981. Wir hören
den 4. Satz: Allegro – mit dem berühmten Paukenduell.
4
DG
LC 00173
445 518-2
Track 004
Carl Nielsen
Sinfonie Nr. 4 “Das Unauslöschliche” op. 29
IV. Allegro
Berliner Philharmoniker
Ltg. Herbert von Karajan
1981
8’48
IV
4. Satz: Allegro aus der Sinfonie Nr. 4 “Das Unauslöschliche” op. 29, einem
unbestrittenen Hauptwerk von Carl Nielsen, der am kommenden Dienstag vor 150
Jahren geboren wurde. Herbert von Karajan dirigierte die Berliner Philharmoniker
im Jahr 1981 – und man muss ihm lassen, dass er das Werk, trotz aller LegatoFreude keineswegs verzärtelt.
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Carl Nielsen zum 150. Geburtstag
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Carl Nielsen, geboren am 9. Juni 1865 auf der Insel Fünen im Süden Dänemarks,
und zwar in Sortelung bei Nørre Lyndelse, war das Kind eines erfolglos
kunstliebenden Anstreichers, der zugleich malte und Geige spielte.
Das Geburtshaus steht nicht mehr, dafür aber, um wenige Meter versetzt von der
originalen Stelle, das sogenannte „Kindheitshaus“, in dem Nielsen etliche Jahre
seiner Adoleszenz verbrachte: ein weiß angestrichenes, freistehendes
Satteldachhaus mit Garten, in dessen kleinen, puppenstubenartigen Räumen
tatsächlich noch der Geist einer anderen Zeit zu wehen scheint.
Der Haushalt der Nielsens war kinderreich, Carl war das siebte von zwölf Kindern.
Trotz Bedingungen, die scheinbar wenig aussichtsreich waren, unterrichtete der
Vater seinen Sohn frühzeitig – nämlich ab dem Alter von acht Jahren – im
Geigenspiel. Was uns gleichfalls eine Lehre sein soll: Es gibt keine aussichtslosen
Lagen!
Der Knabe lernte schnell, so dass man eine Berufstätigkeit als Militärmusiker für ihn
ins Auge fassen konnte, die er auch tatsächlich bereits mit 14 Jahren in nahen
Odense für einige Zeit versah. Die Fähigkeit, Militärisches anklingen zu lassen,
haben wir vorhin schon hören können.
Auch eine Vorliebe für Blasinstrumente scheint Nielsen ein Leben lang für sich
erhalten zu haben. Wovon nicht nur einige seiner Solisten-Konzerte zeugen,
sondern auch die folgende, ganz köstliche „Seranata in vano“, zu Deutsch soviel
wie: Serenade für nichts, für die Katz...
Dieses „vergebliche Ständchen“ spielt darauf an, dass sich am nächtlichen Fenster,
vor dem die Serenade aufgeführt wird, keine Dame zeigt, für die sie aufgeführt
wurde.
5
Dacapo
LC 09158
8.206003
Track 304
Carl Nielsen
Serenata in vano
DiamantEnsemblet (Søren Elbo, Klarinette; Henning
Hansen, Horn; Jens Tofte-Hansen, Fagott, Øistein
Sonstad, Violoncello; Katrine Øigaard, Kontrabass)
2006
7’33
V
Sie hören eine Sondersendung zum 150. Geburtstag des dänischen Komponisten
Carl Nielsen – mit Kai Luehrs-Kaiser am Mikrophon. Die „Serenata in vano“, hier
aufgeführt vom DiamantEnsemblet, 1914 komponiert; ein humoristisches
Auftragswerk des Königlichen Theaters in Kopenhagen, mit dem man auf Tournee
durch die Provinzen gehen wollte. Das Werk enstand unmittelbar vor der 4.
Sinfonie, die wir zuvor gehört haben.
Eine gewisse schöne Abgeschiedenheit Dänemarks, die freilich nie ganz
ungefährdet klingt, die hören Sie hier deutlich.
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Carl Nielsen zum 150. Geburtstag
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Wie sich Nielsens Kindheit auf Fünen gestaltet hat, das wiederum lässt sich
nachlesen in einer bestrickend schönen Autobiographie, die Carl Nielsen
insbesondere seinen Anfangsjahren auf der Insel widmete. Und die gibt’s sogar auf
Deutsch: „Meine fünische Kindheit“ heißt sie. Lieferbar ist das Buch im Handel nicht
mehr. Es ist ein umso besserer Grund, gutsortierte Bibliotheken aufzusuchen, die
das Werk noch haben – wie hier im Haus des Rundfunks.
Dass die Kindheit Nielsens vielleicht behaglich war, aber auch Schwierigkeiten
verhieß, lässt sich daran ablesen, dass sich gleich fünf der Geschwister Nielsens
aufgrund der schwierigen Berufsaussichten für eine Emigration nach Amerika
entscheiden sollten.
Nicht so Carl Nielsen, dessen Schulkarriere nachgesagt wird, er sei zwar schlecht in
Mathematik, dafür aber ein umso besserer Kletterer gewesen. Er war unverdrossen,
und das spricht aus allen seinen Werken. Von den beschaulichen, wenn auch nicht
reich gebutterten Anfängen, von denen man vielleicht nichts ahnte, klingt einiges
noch nach im op. 1, das Nielsen 1887-88, nun schon als Student in Kopenhagen,
komponierte. Es blieb eines seiner populärsten Werke.
Die „Kleine Suite“ für Streicher op. 1. Für den Schallplattenmarkt entdeckt hat das
köstliche Werk – wie so oft – Neville Marriner mit der Academy of St. Martin-in-theFields. Im Jahr 1977.
6
Decca
LC 00171
478 6883
Track L04,
L05, L06
Carl Nielsen
„Kleine Suite“ op. 1
I. Praeludium
II. Intermezzo
III. Finale
Academy of St. Martin-in-the-Fields
Ltg. Sir Neville Marriner
1977
VI
2’55
4’52
6’04
13’51
====
Kleine Suite für Streicher op. 1 von Carl Nielsen, hier gespielt 1977 von der
Academy of St. Martin-in-the-Fields unter Neville Marriner.
Nielsen komponierte das Werk 1887/88. Hier waren Niels Wilhelm Gade und
Johann Peter Emilius Hartmann, zwei heute noch bekannte Namen, seine Lehrer.
Suiten haben beide nicht komponiert, woran sich nicht nur Eigenständigkeit,
sondern vielleicht sogar Bescheidenheit und ein heiterer Traditionalismus ablesen
lässt – als Rückbesinnung auf leichte, barocke Formen.
Nielsen scheint nicht unbedingt von riesigen Ambitionen getrieben gewesen zu
sein, als er auf diese Weise begann. Entsprechend nahm er 1889 eine schlichte
Orchesterstelle als Geiger am Königlichen Theater an. Das Haus, in dem Nielsen
später auch oft dirigiert hat, steht noch, direkt in der Innenstadt von Kopenhagen
am Kongens Nytorv; Fontane-Leser kennen den Platz aus dem Roman
„Unwiederbringlich“, wo man in „Vincents Restaurant“ am Kongens Nytorv
verschiedentlich Essen geht.
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Carl Nielsen zum 150. Geburtstag
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Nielsens bescheidene Anfänge als Orchestermusiker bedeuten allerdings nicht,
dass sein Werkverzeichnis nicht trotzdem an Umfang gewann. Und dass der
Schwung des Anfängers nicht von außerordentlicher Überzeugungskraft gewesen
wäre.
Wenn man heutzutage in Kopenhagen Radiomacher fragt, was von den Werken
Nielsens hier eigentlich im Tagesprogramm des dortigen Klassiksenders noch ganz
selbstverständlich vorkommt, dann wird einem geantwortet: „höchstens das
Bläserquintett“ – dem werden wir noch begegnen... „Und Klaviermusik!“
Dies letztere ist eine Sparte, die man in Deutschland wenig mit dem Namen
Nielsens assoziiert. Zu Unrecht! Schon die frühen 5 Klavierstücke op. 3 (von
1890/91) gehören zu den am häufigsten aufgenommenen Klavierwerken des
Komponisten.
Wir hören drei davon mit einem Pionier seines Fachs. Dem Pianisten Herman D.
Koppel werden wir später noch als Begleiter des großartigen dänischen Tenors
Aksel Schiøtz wiedergegegnen.
Koppel hat Nielsen noch persönlich gekannt, der Komponist saß in der
Zulassungskommission der Musikhochschule in Kopenhagen, an der Koppel 1925
aufgenommen wurde. Auch Koppel genießt in Dänemark bis heute einen
legendären Ruf; sein Enkel Nikolaj Koppel, gleichfalls Pianist, ist Musikdirektor des
Tivoli.
Berühmt von den folgenden vier der fünf Klavierstücke op. 3 ist vor allem das erste,
das wir jetzt hören: die Humoreske. Herman D. Koppel in einer späten Aufnahme
von 1981.
7
Dacapo
LC 09158
8.206003
Track 615618
Carl Nielsen
Fünf Klavierstücke op. 3
II. Humoreske
III. Arabeske
IV. Mignon
V. Elfentanz
Herman D. Koppel
1981
1’47
1’05
0’48
1’40
5’20
VII
Humoreske, Arabeske, Mignon und Elfentanz, vier der fünf Klavierstücke op. 3 von
Carl Nielsen, gespielt von Herman D. Koppel, dem mit Nielsen noch persönlich
bekannt gewesenen, 1998 verstorbenen dänischen Pianisten.
Nielsen, wie Sie hören, war kompositorisch ein, wenn auch leiser Senkrechtstarter.
Bereits in das Jahr 1890 fällt die Komposition eines zweiten Streichquartetts in fMoll op. 5 (ein früheres Streichquartett wurde später von ihm umgearbeitet,
weshalb sich eine Zählung der vier Quartette nie wirklich durchgesetzt hat).
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Carl Nielsen zum 150. Geburtstag
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Hier machte sich sein Violinstudium bemerkbar und unmittelbar bezahlt.
Dass man den vier Streichquartetten, auch diesem zweiten, so selten im Konzert
begegnet, lässt sich mit ihrer Qualität nicht begründen.
Es sind Meisterwerke. Beim Musikfest Berlin, bei dem es in diesem Jahr einen
Nielsen-Schwerpunkt gibt, werden denn auch im September alle vier
Streichquartette aufgeführt, und zwar von dem vorzüglichen Danish String Quartet,
von dem es auch eine der wichtigen Aufnahmen gibt.
Nielsen als Streichquartett-Klassiker zu etablieren, sollte eigentlich eine der
vornehmsten Aufgaben dieses Nielsen-Jahres sein. Wir hören den Kopfsatz aus
dem besagten Streichquartett in f-Moll op. 5: Allegro non troppo ma energico. Hier
spielt 1978 das – nach dem Komponisten benannte – Carl Nielsen String Quartet.
8
DG
LC 0173
431 156-2
Track 101
Carl Nielsen
Streichquartett f-Moll op. 5
I. Allegro non troppo ma energico
Carl Nielsen String Quartet
1978
8’58
VIII
1. Satz: Allegro non troppo ma energico aus dem Streichquartett in f-Moll op. 5, der
nur gelegentlich eingehaltenen Zählung nach wäre dies das 2. Streichquartett von
Carl Nielsen, gespielt 1978 vom Carl Nielsen String Quartet.
Das Werk stammt von 1890, der Komponist war Mitte 20. Ein Jahr später ging er
die – ein Leben lang andauernde – Verbindung mit Anne Marie Brodersen ein, eine
bekannte Bildhauerin des Landes. Die Ehe war turbulent, und zwar wegen der
zahlreichen Affairen, die dem gutausssehenden Nielsen ein Leben lang nachgesagt
wurden.
Die Zahl von mehr als einem halben Dutzend unehelicher Kinder ist zwar, wie
neuere Forschungen zeigen, maßlos übertrieben. Dennoch führte die Tatsache,
dass Nielsen anderen Frauen gegenüber nicht abgeneigt war, später offiziell zur
Scheidung von Anne Marie.
Man ging allerdings trotzdem wieder zusammen. Das letzte gemeinsame Wohnhaus,
ein orangefarben lagerhausartiger Bau unweit des Kopenhagener Stadtschlosses,
beherbergte zugleich das Atelier der sehr renommierten Künstlerin, die nach
Nielsens Tod sogar seinen ganzen Namen annahm und sich fortan Anne Marie Carl
Nielsen nannte. Mit ihr gemeinsam ging er schon früh auf Reisen. Sie bewirkte auch
eine spontane Erweiterung seiner kompositorischen Formate. Ihr widmete er die 1.
Sinfonie.
Und wie immer bei diesem stilistisch schwer fassbaren Mann: der Aplomb, der feste
Zugriff, ja der Biss seiner Werke ist unfehlbar.
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Carl Nielsen zum 150. Geburtstag
9
Dacapo
LC 09158
6.22062
4
Track
008
Seite 8 von 16
Carl Nielsen
Sinfonie Nr. 1 op. 7 FS 16
IV. Finale. Allegro con fuoco
New York Philharmonic
Ltg. Alan Gilbert
1992
8’47
IX
Finale. Allegro con fuoco, der 4. Satz aus der Sinfonie Nr. 1 op. 7 von Carl Nielsen –
zum 150. Geburtstag des dänischen Komponisten am kommenden Dienstag. Und
ob Sie es glauben oder nicht: Wir haben jetzt hintereinander von diesem
Komponisten op. 1, op. 3, op. 5 und op. 7 (bzw. Ausschnitte aus den betreffenden
Werken) gehört – und stehen betroffen vor nicht nur der formalen, sondern auch
thematischen Kraft dieses Komponisten, dessen sakrosankter Status in Dänemark
denn auch kaum verwundern kann.
Von 1904 bis 1914 wirkte Nielsen, der seine Violinistenstelle inzwischen gekündigt
hatte, noch als Dirigent am Königlichen Theater von Kopenhagen. Weil man ihm ein
Dirigat von Wagners „Tristan” versagte, ging die Beziehung zur Oper zu Bruch.
Nielsen dirigierte fortan noch beim Kopenhagener Musikverein (einer Organisation
ähnlich dem Wiener Musikverein; also eine bürgerliche Initiative zur Aufführung vor
allem sinfonischer Werke).
Als Dirigent debütiert hatte er 1902 bei seiner ersten Oper, „Saul og David“ – ein
vornehm biblisches Thema, für das Nielsen zwischen Oratorium und Szene nicht
recht entscheiden konnte. Ich habe das Werk vor einigen Wochen in Kopenhagen
gesehen – in einer Neuinszenierung von David Pountney; es macht im Grunde
genommen den Eindruck, als habe der Komponist ein Händel-Oratorium auf die
Bühne bringen wollen.
Der Parlando-Charakter verleiht dem Werk im Dänischen allerdings eine weit
flüssigere, sogar leichtere Faktur als dies bei Werken der Nach-Wagner-Zeit in
Deutschland der Fall sein sollte, so etwa bei Busoni, Schreker und Hindemith.
Eine epochale Aufnahme erfuhr „Saul og David“ 1972 in Kopenhagen unter der
Leitung des bedeutenden Dirigenten Jascha Horenstein. Dass man nicht Dänisch
sang, sondern Englisch, war offenbar der internationalen Besetzung geschuldet:
immerhin Boris Christoff, Alexander Young, Kim Borg und Elisabeth Söderström.
Wir hören die Sänger der Titelpartien: Boris Christoph und Willy Hartmann.
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Carl Nielsen zum 150. Geburtstag
10 Opera
d’Oro
LC o.A.
OPD-1233
Track 104
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Carl Nielsen
“I would rebel against Thy Word” aus “Saul og David”, 1.
Akt
Boris Christoff, Bass (Saul), Willy Hartmann, Tenor
(Jonathan)
Danish Radio Symphony Orchestra
Ltg. Jascha Horenstein
1972
4’45
X
Boris Christoff als Saul und Willy Hartmann als sein Sohn Jonathan im 1. Akt der
Oper “Saul og David” von Carl Nielsen.
Über Nielsens Fähigkeiten als Komponist von Vokalmusik wird man sich nicht weiter
wundern, wenn man bedenkt, das sein Ruhm in Dänemark selber vor allem auf der
Volksläufigkeit seiner sage und schreibe 290 Lieder basiert. Dieser Punkt ist so
wichtig, dass einem kein Däne je verzeihen würde, dass man sich über Nielsen
verbreitet, wenn man dies auslässt. Wir werden uns dem deshalb gleich noch
zuwenden.
Zuvor bleibt festzustellen, dass sich auch Nielsens Bekanntheit außerhalb seines
Heimatlandes, soweit vorhanden, nicht so sehr dem Rang seiner sinfonischen oder
seiner Klavier-Werke verdankt – und erst recht nicht seinen Liedern. Wohl aber der
Tatsache, dass Nielsen sein Talent, für menschliche Stimmen zu komponieren,
erstaunlich bruchlos auf Solistenkonzerte übertragen konnte, von denen drei
Weltruhm erlangten: sein Violinkonzert von 1911, das späte Klarinettenkonzert aus
dem Jahr 1928 (drei Jahre vor seinem Tod) und – kurz zuvor – vielleicht das Beste
aus dieser Werkreihe: das Flötenkonzert von 1926/27.
Von bekannten Flötisten wird das Werk durch die Lande getragen und auch gerne
eingespielt. Ob Aurèle Nicolet, Emmanuel Pahud oder Patrick Gallois: die meisten
haben es aufgenommen.
Tatsächlich legt Nielsen hier ein Maß an Liebenswürdigkeit an den Tag, das ihn als
das kennzeichnet, was er eigentlich war: ein kompositorischer Darling und ein
Chamäleon zugleich, das sich um Stilzuordnungen und eine eindeutige Position
innerhalb der Musikgeschichte wenig kümmerte. Das hat es ihm in der
Musikgeschichte umso schwerer gemacht, denn es gibt zu wenig potente Anwälte
dieses Komponisten.
Zugleich ist es nicht unmöglich, es zu erklären. Nielsen ging originellerweise davon
aus, dass Musik nicht aus Tönen besteht, sondern aus Gestalten. Nicht aus
einzelnen Elementen, sondern aus Komplexen, zu denen sich diese Elemente
zusammengefunden haben.
Musikalischer Sinn ergibt sich nur aus dem in sich Verbundenen, und darum war
ihm ein Komponist wie Arnold Schönberg – die beiden schätzten einander übrigens
– von der Sache total fremd.
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Carl Nielsen zum 150. Geburtstag
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Schönberg, der sowohl in seiner Phase der freien Atonalität, erst recht aber als
Schöpfer der Zwölftonmusik, eine Dissoziation der Musik in ihre Einzelteile
beschwört, ist das Gegenteil eines Komponisten wie Carl Nielsen, der eher als
musikalischer Repräsentant der Gestalttheorie angesehen werden muss.
Es gibt eine ganz erstaunliche „Gestaltgewissheit“ in der Musik von Carl Nielsen –
und die zeigt sich nicht zuletzt in der gesicherten Tonalität seiner Werke. Dem
Appeal seines Flötenkonzertes aber hat das genützt. Wir hören den 2., zugleich
Schlusssatz: mit James Galway und dem Dänischen Rundfunk-Sinfonieorchester
1985.
11 RCA
LC 00316
88697828
122
Track C05
Carl Nielsen
Flötenkonzert FS119
II. Allegretto – Adagio ma non troppo – Allegretto
Sir James Galway, Flöte
Danish Radio Symphony Orchestra
Ltg. Sir James Galway
1985
7’13
XI
Allegretto – Adagio ma non troppo – Allegretto, der 2. und letzte Satz aus dem
Flötenkonzert von Carl Nielsen. James Galway mit dem Danish Radio Symphony
Orchestra, das er hier auch dirigierte, im Jahr 1985.
Das Werk war dem Flötisten Holger Gilbert Jespersen zugedacht. Ursprünglich
wollte Nielsen all jenen Musikern ein Solo-Konzert widmen, die sein Bläserquintett
op. 43 ursprünglich aufgeführt hatten. Dem Werk werden wir gleich begegnen; dem
besagten Plan verdankt sich auch das berühmte, übrigens sehr viel herbere
Klarinettenkonzert. Bevor wir das tun, blicken wir aber noch einmal kurz auf das
Klavier-Œuvre dieses Komponisten zurück, für das sich in den letzten Jahren eine
ganze Reihe guter Pianisten eingesetzt haben, allen voran Martin Roscoe und Leif
Ove Andsnes.
Die gesammelten Klavierwerke Nielsens füllen nicht mehr als eine CD. Die
gleichmäßige Verteilung der eigenen Arbeitskraft auf alle möglichen Genres verrät
ganz typisch die Vorgehensweise eines ökonomisch freischaffenden Komponisten
im bürgerlichen Zeitalter. Er versucht alle Marktsegmente nach Kräften zu
bedienen und zu besetzen. Auch hier bemerken wir unschwer das gestaltweise
Komponieren, also das Denken in Tonverbindungen, die den Eindruck der
Vorfindlichkeit und Organik erwecken. Das meistaufgenommene Klavierwerk von
Carl Nielsen sind bis heute die humoresken Bagatellen aus dem Jahren 1894-97.
Es spielt Leif Ove Andsnes.
12 Virgin
LC 07873
5 45129 2
Track 016021
Carl Nielsen
Humoreske-Bagateller op 11 FS22
Leif-Ove Andsnes, Klavier
(P) 1996
© kulturradio vom Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb)
6’00
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Carl Nielsen zum 150. Geburtstag
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XII
Humoreske-Bagateller op. 11 von Carl Nielsen, gespielt von Leif Ove Andsnes auf
der insgesamt wohl prominentesten CD mit Klavier-Solowerken von Nielsen.
Jetzt ist es aber an der Zeit, dass wir hier nicht nur Beispiele der Musikhochkultur
vorweisen, die Carl Nielsen im Ausland bekannt gemacht haben, sondern auch eines
der Werke, für das er in Dänemark populär ist. Denn das zweite, wesentliche
ästhetische Merkmal Nielsens – neben der Gestaltgewissheit seiner Werke – ist die
Doppelfunktion als Komponist seriöser wie volksläufiger Werke. Die Aufhebung der
Grenze zwischen von U- und E-Musik, für die sich nicht zufällig gerade Leonard
Bernstein später stark macht, ist in der Person Nielsens vollkommen in die Tat
umgesetzt.
Hier kommt der größte Hit, den Nielsen in Dänemark landete. Das Lied wird noch
heute schon auf der Schule gesungen – die Dänen können es alle auswendig. “Jens
Vejmand” ist sein Titel, “Der alte Steinklopfer” heißt eine deutsche Übersetzung.
Richtig heißt der Titel im Original “Hvem sidder der bag skaermen”. Es stammt von
1907, kann sowohl solistisch wie vor allem auch im Chor gesungen werden.
Wir hören das Ensemble Ars Nova Copenhagen in einer Neuaufnahme.
13
Dacapo
LC 09158
6.220569
Track 018
Carl Nielsen
„Hvem sidder der bag skaermen” („Jens Vejmand”)
Ars Nova Copenhagen
Ltg. Michael Bojesen
2014
XIII
3’49
„Jens Vejmand”, das 1907 uraufgeführte, bis heute vielleicht erfolgreichste der
meist strophischen „Kunst-Volkslieder“ (denn darum handelt es sich) von Carl
Nielsen. Ars Nova Copenhagen in einer Neuaufnahme unter Michael Bojesen.
So wenig verbindlich man sich heute in Deutschland um sein Werk noch kümmert,
so nötig scheint es mir, die Haupt- und Nebenwerke innerhalb von Nielsens Oeuvre
deutlich zu unterscheiden – in unserer heutigen Sondersendung im kulturradio zum
bevorstehenden 150. Geburtstag des amtierenden dänischen Nationalkomponisten.
Von den sechs Sinfonien Nielsen sind wir der bekanntesten, nämlich der vierten,
hier schon begegnet. Wichtiger noch ist die jetzt folgende großartige Fünfte.
Die Symphonien Nielsens existieren heute in diversen zyklischen Einspielungen,
darunter die wichtigsten von Herbert Blomstedt, Paavo Berglund, Osmo Vänskä und
von Colin Davis.
Am Frischesten, Modernsten und vielleicht Ambioniertesten: der Zyklus, den EsaPekka Salonen mit dem Schwedischen Radio-Symphonieorchester in den 80er
Jahren realisierte. Aus der Fünften (im Jahr 1987) hören wir den Beginn des 2.
Satzes: Allegro.
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Carl Nielsen zum 150. Geburtstag
14
Sony
LC 06868
88697
58423 2
Track 003
Seite 12 von 16
Carl Nielsen
Sinfonie Nr. 5 op. 50
II. (Beginn): Allegro
Swedisch Radio Symphony Orchestra
Ltg. Esa-Pekka Salonen
1987
5’47
XIV
Allegro, der Beginn des 2. Satzes aus der Sinfonie Nr. 5 op. 50 von Carl Nielsen.
Esa-Pekka Salonen 1987 am Pult des Swedisch Radio Symphony Orchestra, wo er
alle Sechse, ich würde sagen: mustergültig eingespielt hat.
Trotzdem war dies nur der Beginn des 2. und letzten Satzes, und schon aus dieser
Tatsache können Sie die formale Besonderheit dieses Werkes schließen, das
harmonisch changiert und seine Bedeutung ändert, je nach dem aus welchem
Blickwinkel man es betrachtet. Fast – um noch einmal mit einem Ausdruck der
Gestalttheorie zu operieren – wie eine Kippfigur: also wie eine Zeichung, die
einerseits wie Hasenkopf und andererseits wie ein Entenkopf aussieht.
1974 verströmte die folgende Aufnahme des Schlusses der Fünften mit dem
Bournemouth Symphony Orchestra die Gewalt und Naturkraft einer
Erstbezwingung. Dirigent war Paavo Berglund. Dieser ist – ein schöner Gegensatz –
viel stärker um eine Klassizität der Darbietung bemüht.
Mit Erfolg.
15 Sony
LC 06868
88697
58423 2
Track B27B29
Carl Nielsen
Sinfonie Nr. 5 op. 50
II. (Schluss): Presto – Andante un poco tranquillo Allegro
Bournemouth Symphony Orchestra
Ltg. Paavo Berglund
1974
2’58
4’44
2’46
10’28
====
XV
Presto – Andante un poco tranquillo – Allegro, das Finale aus Carl Nielsens
Meisterstück, der Sinfonie Nr. 5 op. 50. Paavo Berglund am Pult des Bournemouth
Symphony Orchestra 1974.
Dass das sinfonische Werk Nielsens demjenigen seines Zeitgenossen Jean Sibelius
in nichts nachsteht, das ahnt man, wenn man diese Aufnahme hört. Diese
Erkenntnis im Konzertleben realisiert zu sehen, davon sind wir allerdings noch weit
entfernt.
Schon angedeutet habe ich, dass der Ruhm Nielsens in Dänemark sich nicht allein
der überschaubaren Konkurrenzlage unter den Komponisten des Landes verdankt.
Die Verankerung Nielsens in seinem Heimatland ist die Folge der fast 300 Lieder,
die – überaus singbar – schon den Alltag der Kinder im Schulunterricht prägen.
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Carl Nielsen zum 150. Geburtstag
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Eine aus Dänemark stammende Mitarbeiterin des kulturradios behauptete im
Vorfeld dieser Ausstrahlung lässig, etwa 200 Lieder Nielsens auf Verlangen
anstimmen zu können. Es sind Kunstlieder, die die Grenze zum Volkslied dynamisch
überschritten haben. Phantastisch daneben die Solo-Gesänge.
Auch diese gilt es bei uns noch zu entdecken. Etliche dänische Sänger wie Bo
Skovhus oder Tina Kiberg haben sich daran erprobt, während die berühmsten wie
Lauritz Melchior und Vilhelm Herold, weil sie für ihre Stimmen nicht dramatisch
genug waren, an ihnen vorbeigegangen zu sein scheinen. Marschieren wir daher
zum besten Sänger durch, der für dieses Repertoire überhaupt nur denkbar ist –
und der viele von Nielsens Liedern gesungen hat. Sein Name ist vor allem
Eingeweihten ein Begriff: Aksel Schiøtz, hier wiederum begleitet von Herman D.
Koppel mit drei Liedern auf Texte von Ludvig Holstein – im Jahr 1938.
16 Danacord
LC o.A.
DACOCD 460
Track 006008
Carl Nielsen (Text: Ludvig Holstein)
„5 Holstein Poems” (Schauspielmusik zu „Tove”)
III. „Jaegersang. Glenten styrter fra Fjeldets Kam”
IV. I Aften. Det gyldenhvide Himmellys
V. Sommersang
Aksel Schiøtz, Tenor
Herman D. Koppel, Klavier
1938
3’01
3’11
2’20
8’32
====
XVI
Aksel Schiøtz war es, von dem der Tenor Nicolai Gedda mir sagte, seine
„Dichterliebe” von Robert Schumann sei die wohl „schönste Platte aller Zeiten”.
Das kann man sich wohl vorstellen, wenn man die drei Holsteinischen Gedichte aus
der Schauspielmusik zu „Tove“ von Ludvig Holstein hört. Die Lieder stammen von
Carl Nielsen. Aksel Schiøtz hier im Jahr 1938, begleitet von Herman D. Koppel.
Zu den in Dänemark besonders populären Werken wäre hier auch noch die Kantate
„Frühling auf Fünen” zu rechnen – das absolute Hauptwerk innerhalb der
Chormusik des Komponisten, welche wir hier, ebenso wie seine Orgelmusik, für die
sich in später der Schriftsteller (und Organist) Hans Henny Jahnn stark engagierte,
sträflich ausgeklammert haben.
Auf einem kommoden, wenn auch nicht luxuriösen Level war Nielsen bereits seit
1901 finanziell etwas unabhängiger geworden. Zunächst erhielt er eine staatliche
Pension, die es ihm erlaubte, seine Violinistenstelle – und schließlich auch seine
Dirigentenstelle – am Königlichen Theater aufzugeben und die Zahl seiner privaten
Geigenschüler zu reduzieren. Ab 1916 unterrichtete er am Königlichen
Konservatorium in Kopenhagen, dessen Direktor er in seinen letzten Lebensjahren
war. Aus demselben Jahr 1922, in dem Nielsen mit „Frühling auf Fünen” sein in
Dänemark bekanntestes Chorwerk schrieb und ein Liederbuch mitherausgab, das
fortan als Basis für die volksläufige Popularität dieses Komponisten in Skandinavien
diente, entstand auch ein kammermusikalisch populärstes Werk: das Bläserquintett
op. 43. Wir hören den 2. Satz: Menuett. Mit dem Vestijysk Chamber Ensemble.
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Carl Nielsen zum 150. Geburtstag
17 DG
LC 00173
449520-2
Track 002
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Carl Nielsen
Bläserquintett op. 43
II. Menuett
Vestijysk Chamber Ensemble (Henrik Brandt, Flöte,
Frederik Gislinge, Oboe, Albert Perlstein-Grøn,
Klarinette, Jesper Allin, Horn, Henning Folmer
Jensen, Fagott)
(P) 1974
4’40
XVII
Innerhalb unserer kleinen Carl-Nielsen-tour d’horizon war dies das Menuett, der 2.
Satz, aus dem Bläserquintett op. 43 – mit dem Vestijysk Chamber Ensemble (mit
Henrik Brandt, Flöte, Frederik Gislinge, Oboe, Albert Perlstein-Grøn, Klarinette,
Jesper Allin, Horn, und Henning Folmer Jensen, Fagott). Die Produktion stammt aus
dem Jahr 1974.
Im Jahr 1925, zu seinem 70. Geburtstag, wurden Nielsen in seiner Heimat
umfangreiche Ehrungen zuteil, die darauf hindeuten, dass seine Bedeutung in
vollem Umfang erkannt worden waren und er den Ruhm seines Werkes zu
Lebzeiten genießen konnte. Er erlitt zu diesem Zeitpunkt auch einen zweiten
Herzinfarkt, was ihn zur Reduzierung seiner Aktivitäten zwang. Aus derselben Zeit
stammt seine letzte, reizvolle, aber auch paradoxe Sinfonie, die unter dem Titel
„Sinfonia semplice“ den Hang vieler Spätwerke zur Vereinfachung zum Programm
erhebt.
Der Dirigent Michael Schønwandt, einer der besten lebenden Nielsen-Dirigenten,
der nicht zuletzt auch einen überzeugenden Sinfonien-Zyklus eingespielt hat, sagte
mir unlängst, die letzte Sinfonie Nielsens ende auf ihre abbrechende, wenn nicht
abgebrochene Weise so, als wolle Nielsen zum Ausdruck bringen: „Ihr könnt mich!“
Gewiss sprach daraus auch ein gewisses Hadern mit der musikalischen Moderne,
wie es ihn mit etlichen tonal arbeitenden Komponisten verband. Béla Bartók,
offenbar von derselben Sorge getrieben, etwa wandte sich an Nielsen bei einem
Treffen der beiden mit der unsicheren Frage: „Was meinen Sie? Bin ich modern
genug?“
Wir hören die kurze „Humoreske“, das ist der 2. Satz (Allegretto) aus Nielsens
Sechster, und zwar in einer Aufnahme, die 1952 eine absolute Pionierleistung war:
mit dem Dänischen Radio-Sinfonieorchester unter Leitung von Thomas Jensen.
Jensen, ein unmittelbarer Schüler Nielsens, ist hier unüberhörbar darum bemüht,
den modernen Nielsen zu seinem Recht kommen zu lassen.
18 Dutton
LC o.A.
CDBP 9796
Track 006
Carl Nielsen
Sinfonie Nr. 6 “Sinfonia semplice”
II. Humoreske: Allegretto
Danish State Radio Symphony Orchestra
Ltg. Thomas Jensen
1952
© kulturradio vom Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb)
4’01
www.kulturradio.de
Carl Nielsen zum 150. Geburtstag
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XVIII
Humoreske: Allegretto, der 2. Satz aus der Sinfonie Nr. 6, genannt: „Sinfonia
semplice” von Carl Nielsen, 1952 mit dem Dänischen Radio-Symphonieorchester
unter Thomas Jensen, einem der grundlegenden Pioniere und direktem Schüler
dieses Komponisten. Nielsen war der Harmonielehrer von Jensen, außerdem wirkte
dieser bei den Uraufführungen von Nielsens Sinfonien Nr. 4 und 5 als Cellist im
Orchester mit. Von Nielsens Tochter Irmelin Johanne Nielsen wird die Ansicht
kolportiert, Jensens Interpretationen seien denjenigen ihres Vaters am nächsten
gekommen.
Eine Pionierarbeit war 1998 auch die Veröffentlichung der wichtigeren von zwei
Opern Carl Nielsens: „Maskarade“. Nicht absolut, denn bereits aus dem Jahr 1952
datierte ein älterer Aufführungsmitschnitt aus Kopenhagen. Dennoch kann man die
Aufnahme unter Ulf Schirmer als eine Großtat bezeichnen, zumal hier erstmals jene
Neuedition des Werkes verwendet wurde, die 1993 den Anstoß für eine NielsenRenaissance überhaupt gab. Damals nämlich wurde anlässlich eines
Aufführungsplanes von „Maskarade“ in Innsbruck überhaupt erst festgestellt, dass
es von Nielsens bedeutendster Oper nicht einmal geeignetes Orchestermaterial,
sprich: Noten für eine Aufführung gebe. Der Fall sorgte beinahe für einen
politischen Skandal in Kopenhagen – mit der Folge, dass sich das Kultusministerium
offiziell an die Königliche Bibliothek, wo die meisten Nielsen-Autographen lagern,
mit den Auftrag wandte, hier Abhilfe zu schaffen. Inzwischen ist die Gesamtausgabe
abgeschlossen.
Ungewöhnlich genug, handelt es sich bei „Maskarade“ um eine komische Oper nach
einer in Skandinavien klassischen Vorlage – wiederum von Ludvig Holberg. Obwohl
es sich um die dänische Nationaloper schlechthin handelt, besteht die Handlung in
kaum mehr als einem gespielten Witz: Auf einem Maskenball verlieben sich Leander
und Leonora ineinander, reichlich Ärger verursachend durch die Tatsache, dass sie
von ihren Familien jeweils schon einem Ehepartner versprochen sind; bevor sie
schließlich realisieren, dass sie die beiden, einander versprochenen Ehepartner
sind.
Wir hören die Lösung des Ganzen, das Finale.
19 Decca
LC
00171
460
227-2
Track
215, 216
Carl Nielsen
„Tramtara! Tramtara!” aus „Maskarade”, 3. Akt (Finale)
Johan Reuter, Bass-Bariton (Maskarademesteren),
Aage Haugland, Bass (Jeronimus), Susanne Resmark,
Mezzo-Sopran (Magdelone), Gert-Henning Jensen,
Tenor (Leonard), Henriette Bonde-Hansen, Sopran
(Leonora), Bo Skovhus, Bariton (Henrik), Kurt Ravn
(Leonard), u. a.
Danish National Radio Symphony Orchestra & Choir
Ltg. Ulf Schirmer
1996
6’16
2’50
9’06
====
XIX
© kulturradio vom Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb)
www.kulturradio.de
Carl Nielsen zum 150. Geburtstag
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Das heitere Finale aus „Maskarade“, der komischen Oper von Carl Nielsen, hier
1996 in der maßgeblichen Gesamtaufnahme mit Aage Haugland, Susanne
Resmark, Gert-Henning-Jensen, Henriette Bonde-Hansen, Johan Reuter und Bo
Skovhus. Danish National Radio Symphony Orchestra & Choir unter Leitung von Ulf
Schirmer.
Nominell bekannte Werke, aber trotzdem unbekannte Klänge und eine Welt von
Dingen, die sich entdecken lässt – das ist die Bilanz einer Stippvisite beim
Gesamtwerk von Carl Nielsen, heute in unserer Sondersendung aus Anlass des
bevorstehenden 150. Geburtstages des dänischen Komponisten – am kommenden
Dienstag. Am 3. Oktober 1931 starb der Komponist in Kopenhagen. Seine Frau, die
Bildhauerin Anne-Marie Carl-Nielsen, überlebte ihn bis 1945. Von ihr stammt das
König-Christian-Reiterstandbild in der Kopenhagener Innenstadt.
Die Fürsprecher des Werkes von Carl Nielsen ließen nicht lange auf sich warten.
Von dem letzten Werk für heute, dem Violinkonzert op. 33, gibt es wichtige
Aufnahmen mit Yehudi Menuhin, Vilde Frang – und Maxim Vengerov. Ihn hören wir
zum Schluss für heute – mit dem 4. Satz: Rondo. Allegretto scherzando; indem wir
hoffen, dass die herbe Unverdrossenheit, die aus sämtlichen Werken dieses
Komponisten sprechen, nicht dazu führen mag, dass er eben deswegen so wenig
aufgeführt wird. Im Fall des Violinkonzerts war eine gewisse Sprödigkeit, die dem
Werk als Modernität genützt hat – und die mit der neoklassizistischen
Umstandslosigkeit einen schönen Gegensatz bildet.
Nielsen begann das Werk 1911 im norwegischen Ort Bergen, wo sich der
Komponist auf Einladung der Witwe von Edvard Grieg aufhielt, welcher nur vier
Jahre früher gestorben war. Das Chicago Symphony Orchestra 1996, dirigiert von
Daniel Barenboim. Mein Name ist Kai Luehrs-Kaiser. Ihnen noch einen schönen
Abend.
20 Warner
LC 04281
2564
63780-2
Track 807
Carl Nielsen
Violinkonzert op. 33
IV. Rondo: Allegretto scherzando
Maxim Vengerov, Violine
Chicago Symphony Orchestra
Ltg. Daniel Barenboim
1996
© kulturradio vom Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb)
10’10
www.kulturradio.de