Ablenkung durch Handy und Internet am Steuer sowie Müdigkeit

DGSM AG Netzwerk 3 (Diagnostik, Geriatrie, Standards und Methoden) und
ASG Veranstaltung mit dem Vorsitzenden des
Bundestagsverkehrsausschusses Martin Burkert (SPD)
Ablenkung durch Handy und Internet am Steuer sowie Müdigkeit
überholen die Klassiker Alkohol und überhöhte Geschwindigkeit als
häufigste Unfallursachen
Bad Aibling. Trotz des sehr ungünstigen Termins am Gründonnerstagabend kamen 70
Interessierte zu einer Informationsveranstaltung des Arbeitsgruppen Netzwerks 3 (Geriatrie,
Diagnostik, Standards und Methoden) der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und
Schlafmedizin und der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokraten im Gesundheitswesen (ASG)
rund um das Thema EU Führerscheinnovelle und Müdigkeit als Unfallursache mit dem
Vorsitzenden des Bundestags-Verkehrsausschusses Martin Burkert (SPD) und dem
Verkehrsexperten Roland Popp von der Universität Regensburg als Referenten ins Kurhaus
Bad Aibling. Dort wurden sie vom Landesvorsitzenden der ASG Bayern, dem
Allgemeinmediziner Dr. med. Armin Rüger und dem Schlafmediziner und Sprecher des
DGSM AG Netzwerks 3, Univ. Prof.med. Nikolaus Netzer begrüßt und durch die
Veranstaltung geführt.
Nach dem Bahnunglück in Bad Aibling, das möglicherweise zu früher Morgenstunde auch
mit Unkonzentriertheit durch Müdigkeit zu tun hatte und dem schweren Busunglück in
Barcelona, das von der Polizei eindeutig auf Übermüdung und Sekundenschlaf
zurückgeführt wird, hatte das Veranstaltungsthema zusätzlich ungewollte Aktualität
bekommen, was Martin Burkert, der in seiner Funktion als Verkehrsausschussvorsitzender
des Bundestages zuletzt mehrmals in Bad Aibling bei der Besichtigung der Unfallstelle und
als Vertreter des Parlaments bei den Trauerveranstaltungen war, prompt zu der Bemerkung
veranlasste, dass die Einladung für diese Veranstaltung an ihn schon wenige Tage vor dem
Eisenbahn Unglück erging.
Umtausch alter Führerscheine erst in 2033 notwendig
Zumindest was den Titel der Veranstaltung betraf, „ Ist mein Führerschein noch gültig?“
konnte der ehemalige Eisenbahner Burkert die Anwesenden, darunter auch einige
fortgeschrittene Semester, gleich in mehrfacher Hinsicht beruhigen. Besitzer des „grauen
Lappens“ müssten diesen erst 2033, also 20 Jahre nach dem in Kraft treten der EU
Führerscheinrichtlinie am 19.1.2013, gegen einen EU Führerschein im Scheckkartenformat
umtauschen und auch danach muss der Führerschein nur alle 15 Jahre in Verbindung mit
einem Sehtest, wie er auch in den USA üblich ist, erneuert werden. Diesen Zeitpunkt, 2048,
werden die meisten „Grauen Lappen-Besitzer“ zumindest verkehrstechnisch wohl nicht mehr
erleben. Ein Grund dafür den Führerschein und die dazugehörigen Gesetze auf europäische
Ebene zu heben, so Burkert, sei unter anderem auch die zunehmende innereuropäische
Mobilität und der zunehmende Führerscheintourismus gewesen. Gerade die EU
Gründungsmitglieder wollten wegen des Transitverkehrs einheitlich hohe Standards für die
Erteilung von Führerscheinen in allen EU Mitgliedsländern.
Gesetzesanhang zur Führerscheinungültigkeit bei unbehandelter Schlafapnoe wird in
der Sommerpause im Bundesrat verabschiedet
Die mit dem Führerscheingesetz (im Internet auf der EU Parlamentsseite als EU Gesetz
126/EG/2006 abrufbar) ebenfalls in Kraft getretenen gesundheitlichen Voraussetzungen zum
Erwerb und Erhalt des Führerscheins wurden von Burkert begrüßt. Auch der letzte Erlass
der EU Kommission zum Führerscheingesetz, der die Ungültigkeit der Fahrerlaubnis für
Führerscheininhaber aller Klassen bei unbehandelter Schlafapnoe mit mehr als 15
Atemaussetzern pro Stunde Schlaf betrifft, wurde vom Verkehrsausschuss nicht mehr weiter
behandelt und wird aller Voraussicht nach in der Bundesratssitzung vor der Sommerpause
verabschiedet und in Kraft treten. Dr. Roland Popp, der Mitglied der dafür zuständigen
Expertenkommission bei der Bundesanstalt für das Strassenwesen (BAST) ist, ergänzte:
Unter den medizinischen und psychologischen Verkehrsexperten herrsche die Auffassung
vor, dass man die Unfallursache Tagesmüdigkeit zwar nicht an der Anzahl der
Atemaussetzer fest machen könne, aber der Gesetzestext biete den Medizinern hier
genügend Spielraum zur Auslegung, weshalb die Expertenkommission dem
Verkehrsausschuss und Verkehrsministerium keine Einwände gegen die jetzigen
Gesetzesformulierungen vorgelegt hat.
Ärztliche Schweigepflicht als hohes Gut wird unverändert bestehen bleiben
Auf die Frage eines Veranstaltungsteilnehmers, ob einem bei Schlafapnoe oder anderen
chronischen Erkrankungen der Arzt den Führerschein wegnehmen könne, konnte Prof.
Netzer als Diskussionsleiter Ängste der Anwesenden durch ein klares Statement vertreiben:
Wie schon bisher immer können Ärzte nur den Patienten im persönlichen Gespräch auf eine
Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit hinweisen und darauf, dass im Falle der Verweigerung
einer Behandlung nach medizinischen Gesichtspunkten die Fahrerlaubnis und der
Versicherungsschutz erlischt. Die Ärztliche Schweigepflicht verbietet es Ärzten aber diese
Informationen an Aufsichtsbehörden oder Dritte weiterzugeben. Im Falle eines sehr
schweren Unfalles, wie jetzt beim Zug- oder beim Busunglück, im Falle der
Germanwingskatastrophe oder zuletzt als ein junger Mann mit nicht ausreichend behandelter
Epilepsie in der Münchner Maximilianstrasse einen Fußgänger überfahren und tödlich
verletzt hat, müssten Patienten, die sich einer Behandlung verweigert und einen solchen
schweren Unfall verursacht hätten, allerdings damit rechnen, dass sich Staatsanwaltschaft
und Versicherungsagenten hinter den Fall klemmen würden und die Staatsanwaltschaft
Patientenakten beschlagnahmen kann. Ärzte müssten sich selbst in jedem Fall nach allen
Richtungen juristisch absichern und daher die Aufklärung des Patienten am besten im
Arztbericht, der auch dem Patienten zugeht, dokumentieren.
Martin Burkert ergänzte hier, dass in der Folge der Germanwingskatastrophe zwar über eine
mögliche Lockerung der Schweigepflicht im Verkehrsausschuss und in weiteren
Ausschüssen des Bundestages beraten worden sei, aber man zu der Einsicht gekommen
sei, an der Schweigepflicht nichts zu ändern und nicht zu rütteln. Das Argument von
Experten, dass evtl. betroffene Patienten insbesondere Berufskraftfahrer bei einer Lockerung
der Schweigepflicht möglicherweise jeglichen Gang zum Arzt vermeiden würden, hätte die
Abgeordneten überzeugt.
Spitzenpolitiker Burkert outet sich als Schlafapnoepatient und richtet dringenden
Appell an alle Betroffenen
Der eindeutige Höhepunkt der Veranstaltung in Bad Aibling war der Moment als der SPD
Spitzenpolitiker, neben der Leitung des Verkehrsauschusses im Bundestag hat Martin
Burkert auch die Leitung der Bayerischen Landesgruppe der SPD im Bundestag inne, zugab,
dass er selbst von einer schweren Schlafapnoe mit 89 Atemaussetzern pro Stunde Schlaf
betroffen sei und ohne sein CPAP, die Atemmaske gegen Schlafapnoe, nicht leben und
arbeiten könne. Er habe ein Gerät in Berlin, eines zu Hause in Nürnberg und eines immer mit
auf Reisen. Die Behandlung im Schlaflabor habe sein Leben total ins Positive verändert und
mache seine Tätigkeit als Abgeordneter sowie ein glückliches Familienleben erst möglich. Er
könne jedem Betroffenen nur dringendst raten ein Schlaflabor aufzusuchen und sich
behandeln zu lassen
Müdigkeit findet als Unfallursache immer größere Beachtung
Wie der Psychologe Dr. Roland Popp von der Psychiatrischen Universitätsklinik der
Universität Regensburg in seinem Kurzvortrag ausführte nimmt die Sensitivität für Müdigkeit
und Übermüdung am Steuer als Unfallursache bei Verkehrsexperten, Unfallforschern und
Polizei zu. Unfallstatistiken der Polizei in Deutschland hätten hier bereits Trends aufgezeigt.
Einen entscheidenden Beitrag habe jetzt aber die Veröffentlichung einer Dreijahresstudie im
Auftrag des Trafic Safety Councils, der Amerikanischen Anstalt für das Straßenwesen,
geliefert. In der über 50 Millionen Dollar teuren Untersuchung waren insgesamt 54 Millionen
gefahrene Autokilometer bei vielen tausend Verkehrsteilnehmern ausgewertet worden. Nicht
verwunderlich aber jetzt schwarz auf weiß bewiesen: alles was müde macht und was ablenkt
führt zu den meisten Unfällen, mehr als Alkohol am Steuer und sogar mehr als überhöhte
Geschwindigkeit. Das Eingeben von Daten am Handy, und am Tablet, am schlimmsten
Nummern tippen, sei inzwischen Unfallursache Nr.1, zunehmende Übermüdung durch
unzureichenden Schlaf, nachwirkende Schlafmittel und natürlich immer mehr auch in
Verbindung mit zunehmendem Übergewicht und zunehmendem Lebensalter verbreitete
Schlafapnoe sind mit Alkohol und Zuschnellfahren beinahe gleichauf. Mitsingen am Steuer
und gute Gespräche mit dem Beifahrer verringern hingegen das Unfallrisiko. Technische
Defekte am Fahrzeug spielen immer weniger eine Rolle. Autos und Strassen unabhängig
von menschlichem Fehlverhalten werden immer sicherer.
Was bringt die Zukunft?
Selbstfahrende Autos werden in mittlerer Zukunft vielleicht viele Probleme lösen. Dennoch
werden bis dahin noch einige Jahre vergehen und zwischenzeitlich ist die Politik immer
wieder mit neu auftretenden Verkehrsproblemen und -entwicklungen konfrontiert. In seinem
Schlussstatement nannte Burkert die Pedelecs, die vor allem bei Senioren so beliebten
Fahrräder mit Hilfsmotor, als ein Beispiel mit dem sich der Bundestagsverkehrsausschuss
derzeit beschäftigen müsse. Da diese immer häufiger in Unfälle verwickelt seien müsse die
Politik hier über neue Verkehrsregeln nachdenken, evtl. sogar generell für alle Fahrradfahrer
und Fußgänger. Eine aus Umweltschutz Gründen gesehen eigentlich positive Entwicklung,
nämlich der Rückgang des Autoverkehrs und die Zunahme des Fahrrad- und
Fußgängerverkehrs in den Städten, hat dazu geführt, dass diese leicht verletzlichen
Verkehrsteilnehmer immer häufiger in schwere Unfälle verwickelt sind und die
Verkehrstotenzahlen auch in den westlichen Ländern der EU derzeit stagnieren und nicht
mehr sinken.
Dieser Text und auch Auszüge daraus sind zur Veröffentlichung vom Autor frei gegeben.
ViSdP Univ Prof. Dr.med Nikolaus Netzer, Ghersburgstr. 9, 83043 Bad Aibling
Foto 1 und 2: vlnr. Prof. Dr. Nikolaus Netzer, Dr. Roland Popp, MDB Martin Burkert
Foto 3 MDB Martin Burkert (SPD) Bundestagsverkehrsausschussvorsitzender