sen und Hemden und ist leidenschaftlicher Modellbau- er. Juliane baut ebenfalls gern Modell-Flugzeuge; sie ist ebenfalls 1,90 Meter groß und hat kürzlich die Farben Rot und Brombeere für sich entdeckt. Jürgen ist verhei- ratet und hat eine Tochter. Er ist nicht transsexuell; er will also keine Frau werden. Er mag es nur, sich hin und wieder zu verwandeln. „Das ist, als ob man seinen Lieblingssport ausübt. Ich werde ruhiger und entspannter, wenn ich mich als Frau zurechtmache. Das ist mein Hobby.“ Inzwischen hat sich Jürgen in Juliane verwandelt: Sie trägt ein schwarz-weiß gemustertes Kleid, hohe Pumps, Schmuck, rosafarbenen Nagellack und Lippenstift. Von Jürgen sind lediglich Stimme und Körpergröße übrig. Nach dem Abschiedskuss für seine Frau steigt Juliane ins Auto, denn heute wird mal wieder geshoppt. Wie lange wird es noch dauern, bis auch der deutsche Durchschnittsmann Röcke trägt? Männer sollten unbedingt Röcke tragen! Wir finden Geschlechtergrenzen in der Mode total Bekannt wurden die Modeblogger von DandyDiary.de daneben. Mit der gleichen Selbstverständlichkeit durch schräge Modeaktionen und das erste von Modewie Frauen Jeanshosen und Turnschuhe tragen, bloggern selbst gestaltete Hemd. Seitdem gehören Jakob sollten auch Männer Röcke tragen. Auch ästhetisch Haupt und David Roth zur Berliner Modeszene wie der gesehen, finden wir Röcke bei Männern tip-top. Es Bart zur Hipster-Brille. Für „ER“ erklären sie, warum jeder gibt kaum einen heißeren Mann als den traditionelMann ein Paar Leggins im Schrank haben sollte. len Schotten - und der trägt nun mal Rock. Männerröcke werden schon länger als modisches Kleidungsstück für Männer propagiert. Jürgen ist 1,90 Meter groß, trägt gern dunkelblaue Ho- Interview von Karin Geupel Sollten Männer Röcke tragen? Kleider machen Frauen „Männer sollten Röcke tragen” „Ich bin und bleibe Mann.“ Jürgen sitzt am Esstisch seines Hauses im Hamburger Westen, das er mit seiner Frau Ute renoviert hat. „Eigentlich hab ich renoviert und Ute hat geholfen“, sagt er und faltet seine breiten Hände auf dem Tisch. Er wirkt ganz und gar nicht weiblich, wie er da so in dem eher kleinen Wohnzimmer sitzt. Im Gegenteil, mit seinem breiten hanseatischen Dialekt und der tiefen Stimme ist er ein richtiges Mannsbild. Und doch hat er eine weibliche Seite: Juliane. Jürgen ist Crossdresser. Der modeaffine Sänger Kanye West trägt derzeit sehr lange T-Shirts, die im besten aller Fälle die Akzeptanz für zumindest rockähnliche Kleidungsstücke steigern. Doch bis der deutsche Durchschnittsmann Rock trägt, liegen wohl noch genau 666 dunkle Jahre vor uns. Von Karin Geupel Schon in seiner Kindheit hat Jürgen seine kleine Schwester dafür beneidet, dass diese sowohl Lederhosen als auch hübsche Kleider anziehen durfte. Später begann er selbst Kleider und hohe Schuhe anzuziehen. Erst noch heimlich, seit 15 Jahren auch öffentlich. Inzwischen geht er auch regelmäßig als Juliane shoppen. Dabei hat er ganz genaue Vorstellungen, was ihn als Juliane besonders weiblich macht: „Ich trage fast nur Röcke und Kleider. Juliane hat nur zwei Hosen im Schrank. Und natürlich gehören zu Juliane auch hohe Schuhe.“ Ganz so einfach ist es für Juliane nicht, Kleidung zu finden: Sie trägt Schuhe in Größe 44, dazu Konfektionsgröße 44 bis 48, je nach Schnitt. Aus Shopping-Freude kann schnell Frust werden, wenn nichts passt. So wie jetzt: Nachdem ihr schon die schwarzen Pumps mit der goldenen Schuhspitze zu schmal waren, bewundert sie den bunten Rock an einer Schaufensterpuppe: „Schade, der hätte mir sehr gut gefallen. Ich brauche bunte Röcke und einfarbige Oberteile, damit ich oben schmaler wirke.“ Einfacher wäre es für Juliane, wenn sie direkt in der Männerabteilung feminine Kleidung finden würde: „Ich halte nicht viel von der Trennung von Frauen- und Männermode. Bei Männern gibt es kaum Auswahl in den Farben und im Schnitt. Zum Glück wird das aber langsam besser, da findet man auch mal etwas mehr Farbe.“ Gegen die strikte Geschlechtertrennung in Sachen Mode wendet sich auch die aus Großbritannien stammende Initiative „Pinkstinks“. „Mit Farben und Kleidung verbinden Menschen mehr als nur reine Äußerlichkeiten“, sagt Stevie Meriel Schmiedel, Vorsitzende und Gründerin der deutschen Abteilung mit Sitz in Hamburg. „Alles, was rosa ist, ist niedlich, schutzbedürftig und stark aufs Äußere konzentriert. Alles was blau und schwarz ist, ist wild und bedeutet: Ich mach’, was ich will, ich kümmere mich nicht so sehr um andere.“ Die Trennung in Mädchen- und Jungen-Mode ist dabei noch gar nicht alt. Bis zum 14. Jahrhundert trugen Frauen wie Männer weite Röcke. Dann wurde die Kleidung körperbetonter, sodass sich typische Stile für Männer und Frauen entwickelten. Die Trennung in Rosa für Mädchen und Blau für Jungen ist hingegen noch jünger. Erst im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde das ehemals royal-aggressive „kleine“ Rot durch Blau ersetzt. Dies lag wohl vor allem daran, dass der sogenannte Blaumann als typische Arbeitskleidung für Männer eingeführt und die Marineuniform zum Vorbild für Männerkleidung wurde. Die Attribute, die heute mit Rosa und Blau verbunden werden, scheinen auf den ersten Blick vor allem für Frauen von Nachteil zu sein. Denn wer will schon als schutzbedürftig gelten? Aber auch Jungen und Männer leiden unter den Rollenzuschreibungen, davon ist Schmiedel überzeugt: „Es ist schlimm, dass ein kleiner Junge als schwul gilt, wenn er Rosa im Kindergarten trägt oder gern mit Puppen spielt.“ Die Wirtschaft sei jedoch auf diese Geschlechtertrennung angewiesen, meint Schmiedel. Durch rosafarbene Ecken in Kaufhäusern sei sofort klar, wo Produkte speziell für die eine oder andere Zielgruppe stünden. „Es entwickeln sich Nischen, die den Konsum schneller und einfacher machen. Durch diese Trennung werden schon kleine Kinder in vorgefügte Rollen gepresst“, sagt Schmiedel. „Kinder wissen: ,In diese Richtung darf ich mich nicht entwickeln’ und merken, dass sie sich selbst zensieren müssen.“ So ähnlich hat das auch Juliane erlebt. „Ich war schon immer nah am Wasser gebaut. Als Kind habe ich dafür von meinem Vater eine gewischt bekommen. Heute kann ich als Juliane meine weiche Seite ausleben.“ Als Frau zieht sich Jürgen nicht nur anders an; mit der Verkleidung kommen auch die Verhaltensweisen: „Ich bewege mich anders, und ich fahre auch anders Auto. Als Juliane bin ich rücksichtsvoller und gehe nicht so viele Risiken ein. Außerdem hätte ich als Jürgen nie eine Lücke im Parkhaus gesucht, wo die beiden Parkplätze neben mir frei wären.“ Praktisch sind die beiden freien Parkplätze aber doch, wie jetzt beim Einladen der Einkäufe. Juliane hat nämlich doch noch etwas gefunden, was ihr passt: Strumpfhosen und Ohr- Außer vielleicht in der asiatischen Avantgardemode tun sie es permanent. Unser modisches Verständnis ist von Geschlechterrollen geprägt; daran wird sich auch trotz allem Gender-Mainstreaming-Gelaber in den kommenden Jahren nicht viel ändern. Wir finden das nicht allzu schlecht, schließlich stehen wir auf Frauen in High Heels, kurzem Rock und tiefem Dekolleté - und irgendwie auch auf Männer mit rustikalen Tattoos, Boots und Jeans. Wie beeinflussen Geschlechterrollen die Mode? Jeder Mann, der als modern gelten möchte und auch nur einen Funken Selbstachtung hat, sollte heutzutage ein ordentliches Paar schwarze Leggins besitzen. Natürlich nur, um sie unter einer kurzen Hose zu tragen - oder unter einem Rock. Welche eher weiblichen Asseccoires und Kleidungsstücke sollte der moderne Mann im Schrank haben? ringe. „Man muss mit dem zufrieden sein, was man findet“, sagt sie und sieht tatsächlich zufrieden aus. Nun tauscht sie auf dem Nebenparkplatz die hohen Pumps gegen flache Ballerinas, bevor es zum Kaffeeklatsch geht. Beim Einsteigen ins Auto rückt sie den Rock zurecht. Dann schlägt sie die Tür zu und fährt so vorsichtig aus der Parklücke, wie es nur Juliane kann. Kleider machen Leute, in diesem Fall sogar zwei aus einer Person. Zur Arbeit im Modellbaubetrieb geht Juliane morgen wieder als Jürgen. Jetzt wird aber erst noch ein Käffchen getrunken, wie sich das nach einer richtigen Shoppingtour gehört.
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