Beim Personal ist die Untergrenze erreicht - Hans-Böckler

Öffentlicher Dienst
Beim Personal ist die Untergrenze erreicht
Arbeitsbedingungen und Entlohnung in der Kommunalverwaltung sind
alles andere als rosig. Personalräte kämpfen gegen Arbeitsverdichtung.
„Die kommunale Verwaltung ist nicht mehr per se ein attraktiver Arbeitgeber. Fehlende systematische Personalentwicklung, abgesenkte tarifliche Entgeltstufen und die Befristung
von Stellen rächen sich vielfach.“ Zu diesem Ergebnis kommt
eine von der Hans-Böckler-Stiftung und der Gewerkschaft Verdi geförderte Untersuchung der Ökonomen Katrin Schmid und
Peter Wilke. Die Wirtschaftsexperten haben zahlreiche Statistiken ausgewertet sowie Interviews mit Vertretern von Kommunalverwaltungen und Personalräten geführt. Ihre Lagebeschreibung zeigt, dass die Sparpolitik an eine Grenze gestoßen
ist: Weitere Einsparungen beim Personal seien nur noch „auf
Kosten der Funktionsfähigkeit der Verwaltung“ zu realisieren.
Nach zwei von Stellenabbau und Privatisierung geprägten
Jahrzehnten arbeiten heute noch gut vier Millionen Beamte
und Angestellte im öffentlichen Dienst – zweieinhalb Millionen weniger als 1991. In der Kommunalverwaltung im engeren Sinn, das heißt ohne Kitas, Sozialarbeiter, Feuerwehr oder
Stadtwerke, ist derzeit rund eine halbe Million beschäftigt. Attraktiv sind deren Arbeitsbedingungen eigentlich nur in einer
Hinsicht, zeigt die Studie: Dank sehr flexibler Arbeitszeiten lassen sich Familie und Beruf besser vereinbaren als anderswo.
Dem stehen jedoch diverse Nachteile gegenüber.
Arbeitsbelastung: Viele Städte und Gemeinden haben in
der jüngeren Vergangenheit zusätzliche Aufgaben von Bund
oder Ländern übernommen. Sei es beim Umweltschutz, Straßenbau oder der Forstverwaltung. Möglichst viele Vorgänge
sollten kostengünstig und bürgernah auf die unterste Verwaltungsebene verlagert werden. Das Problem: Häufig bekamen
die Kommunen zwar neue Aufgaben, der Personalbestand
nahm aber nicht im entsprechenden Umfang zu. Entsprechend
berichten Personalräte, dass die Themen Stress, Zeitdruck und
Überlastung immer größere Bedeutung gewinnen. Selbst wenn
die Behördenspitze trotz aller Sparverordnungen und Haushaltssperren die Einstellung einer neuen Kollegin zugesichert
hat, dauert es oft Monate, bis die Stelle dann tatsächlich besetzt ist. Und in dieser Zeit machen die anderen die Arbeit mit.
Zudem erhöhen flache Hierarchien den „Verantwortungsdruck“
auf den unteren Ebenen.
Überalterung: Ein Viertel der Beschäftigten in der Kommunalverwaltung ist 55 Jahre oder älter; im gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt liegt der Anteil lediglich bei 17 Prozent. Dahinter verberge sich jedoch kein demografisches Problem, so
die Studie, sondern ein hausgemachtes. Es gebe nicht zu viele Ältere, sondern zu wenige Junge. „Es hat eine Ausdünnung
der Altersklassen unter 45 Jahren stattgefunden durch eine restriktive Personalpolitik mit jahrelangen Einstellungs- und Wiederbesetzungssperren, einem reduzierten Ausbildungsangebot und der Anwendung von befristeten Arbeitsverträgen.“
Hoher Krankenstand: Sorgen machen Personalverantwortlichen wie Personalräten auch die hohen Krankenstände
von bis zu zehn Prozent. Zwar gelinge es häufig, etwa durch
betriebliches Eingliederungsmanagement, verträgliche Lösungen für den Einzelfall zu finden. Für ein umfassendes Gesundheitsmanagement, und um die Ursachen der Überlastung zu
Die Verwaltung vergreist
So entwickelt sich die Altersstruktur in der Kommunalverwaltung ...
2013
2023
55 bis 65 Jahre
45 bis 54 Jahre
35 bis 44 Jahre
25 bis 34 Jahre
unter 25 Jahren
Quelle: Schmid, Wilke 2016 Grafik zum Download: bit.do/impuls0290
beseitigen, fehlten jedoch meist die Mittel. Angesichts der Altersstruktur seien viele Ausfälle nicht überraschend. Irgendwann schlage sich der Dauerstress in psychischen Erkrankungen nieder. Wo körperliche Belastungen eine Rolle spielen, wie
in Tiefbau- und Grünflächenämtern oder auf Bauhöfen, macht
sich das Fehlen der Jüngeren bemerkbar.
Nachwuchssorgen: Die Zeiten, in denen Gemeindeverwaltungen „über Bedarf“ ausgebildet haben, sind lange vorbei. Hinzu kommt, dass die öffentliche Verwaltung zumindest
in ländlichen Regionen inzwischen Schwierigkeiten hat, junge
Leute zu finden. Insbesondere Fachkräfte fehlen, zum Beispiel
Lebensmittelkontrolleure, Gesundheits- oder Computerspezialisten. Finanziell sind Jobs in der Gemeindeverwaltung für gut
Ausgebildete nicht interessant genug – der Durchschnittsverdienst liegt bei 2.500 Euro brutto. Zumal neu eingestellte Beschäftigte häufig in niedrigere Entgeltgruppen eingestuft werden als ihre Vorgänger.
Das Fazit der Experten: Notwendig sei „eine ausreichende Ausfinanzierung der Kommunen für einen qualitativ hochwertigen Aufgabenvollzug, zu guten Arbeitsbedingungen für
die Beschäftigten“. Mögliche Rationalisierungsgewinne durch
weiteren Technikeinsatz dürften dazu kaum ausreichen. Denn
auch wenn die Termine online vergeben werden, werde der
Kundenverkehr nicht weniger, und Onlineformulare müssten
im Zweifel rascher bearbeitet werden.<
Quelle: Katrin Schmid, Peter Wilke: Entwicklung von Beschäftigung und Arbeitsbedingungen in der
kommunalen Verwaltung, Studie für die Hans-Böckler-Stiftung, Februar 2016 bit.do/impuls0291
Mitbestimmung im öffentlichen Dienst
Was für die Privatwirtschaft das Betriebsverfassungsgesetz ist, sind im öffentlichen Dienst die Personalvertretungs- und Mitbestimmungsgesetze der Länder und des
Bundes. Sie regeln die kollektive Interessenvertretung der Beschäftigten in der öffentlichen Verwaltung. In Bayern, Berlin, Bremen, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und
auf Bundesebene werden dieses Jahr neue Personalräte gewählt.
Böckler Impuls · 4/2016 · Seite 7