1 “... und muss das Bad daher geschlossen bleiben.” — Die Inversion nach ‘und’ im österreichischen Deutsch Ralf Vollmann 01. Hintergrund 01.01. Verwaltungssprache Die schriftliche Sprachverwendung in Polizei-, Amts-, Gerichts- und Versicherungstexten zeigt eine Reihe geringfügiger Besonderheiten gegenüber der allgemeinen schriftlichen Standardsprache (“Verwaltungssprache”, cf. Wagner 1972), zu verstehen als Soziolekt bzw. Fachsprache. Diese Art der Sprachverwendung ist weder systematisch erfaßt noch Teil irgendeiner Ausbildung. Es gibt lediglich einzelne Beobachtungen zu Merkmalen dieser Sprache, (a) lexikalisch: ‘Postwertzeichen’ statt ‘Briefmarke’, häufig puristisch (fremdwortvermeidend) und kompositiv, vermutlich im Bedürfnis nach eindeutiger, nichtambiger kollektiver Bezeichnung und einheitlicher Terminologie, z.B. ‘Fernmeldegesetz’; (b) Wortbildung: komplexe Adjektive: ‘kindergeldrechtlich’; (c) syntaktisch: eher Nominalstil: ‘zur Anzeige bringen’ statt ‘anzeigen’, häufiges passives genus verbi, ‘[…] wird anerkannt’. Vereinzelte morphologische Regeln sind ebenfalls betroffen, etwa in der bundesdeutschen Verwaltungssprache die Auslassung des s-Interfixes in Komposita, z.B. ‘Einkommensteuer’ statt ‘Einkommenssteuer’. Es gibt somit einige Besonderheiten, im großen und ganzen berühren diese aber nur die Lexik und den Stil. Als Fachsprache strebt die Verwaltungssprache nach eindeutiger Definition und ist daher tendentiell für Laien weniger leicht verständlich als die Alltagssprache. Daher gibt es immer wieder Bestrebungen, auch diesen Aspekt der Sprachverwendung zu berücksichtigen (cf. Fuchs-Khakhar 1987). Früher übliche komplexe Formulierungen und Floskeln wurden/werden zugunsten eines “bürgerfreundlich” verstandenen, weniger “juristischen” Stils aufgegeben. Daher 2 besteht Konsens über eine allgemeine Stil-Kritik an der Verwaltungssprache. Das österreichische Deutsch ist geprägt durch (a) die historische Zugehörigkeit zu mittel- und südbairischen Dialekten des Deutschen (cf. Kranzmayer 1956, Wiesinger 1988), (b) einer weitgehend dem Bundesdeutschen ähnlichen Standardsprache mit besonderen Eigenarten (cf. Clyne 1995), die sich aus der besonderen geschichtlichen und politischen Entwicklung ergeben haben, und (c) einer fortschreitenden Verbreitung einer österreichischen Umgangssprache auf Basis der Standardsprache mit einigen dialektalen Merkmalen, besonders regionalen phonetischen Eigenarten, auf Kosten der regionalen Dialekte (cf. Moosmüller 1991). Dialektsprecher befinden sich gemeinhin in einem gewissen Nachteil, wenn sie schreiben, da ihr Dialekt und ihre Umgangssprache von der Schriftsprache deutlich abweichen. Ludwig Thoma (1938 [1912]) beispielsweise macht sich über die fehlerhafte Schriftlichkeit des fiktiven ‘Landtagsabgeordneten Jozef Filser’ lustig, und die Zuseher lachen, wenn Hans Moser als ‘Dienstmann’ seine Dialekt-Aussage mit “Wie nehmen mir ihm denn?” phonologisch und grammatisch nicht ganz korrekt in Standardsprache übersetzt. Die Unkenntnis oder schlechte Kenntnis der Standardsprache wird als Naivität oder gar Dummheit verstanden, was den stereotypen Zuschreibungen zur Funktionalität und Kenntnis dieser Stile entspricht (cf. Moosmüller 1991). (01) Ludwig Thoma 1990 [1912]: Jozef Filsers Briefwex Die brofesser auf der Unifersatet sind meischtens Breißen und muhs disses Unglik abgeschaft werden. (25) Die lieberahlen sind eine breißische Erfiendung und schtet auch iemer in die lieberahlen Zeidungen, das mir eihnig sind. (25) Die Rechts- oder Verwaltungssprache als Fachsprache überfordert den weniger gebildeten Sprecher umso mehr; darüber macht man sich schon zu Shakespeares Zeiten lustig, etwa in “Viel Lärm um nichts” (Shakespeare 1600 [1997], zit. in de Beaugrande & Dressler 1981, IV.19): “Marry, sir, they have committed false report; moreover, they have spoken untruths; secondarily, they are slanderers; sixth and lastly, they have belied a lady; thirdly, they have verified unjust things; and, to conclude, they are lying knaves.” (Shakespeare, Much Ado about Nothing, VI: 224-229) Ebenso imitiert die Satire von Alois Brandstätter (1971) in dem 3 Text “Gendarmerierayonsoberinspektor Valentin Naderhirn bringt beleuchtungsloses Moped auf” den oben charakterisierten Stil von Polizeiprotokollen in einer Mischung aus Amtssprache und stilistischer Unfähigkeit, dieselbe richtig zu reproduzieren. Im Internet kursiert eine Version des Rotkäppchen-Märchens im Stil der Verwaltungssprache, das sich in dieser Weise über den besonderen Stil lustig macht. Hier ein kurzer Ausschnitt: “Im Kinderfall unserer Stadtgemeinde ist eine hierorts wohnhafte, noch unbeschulte Minderjährige aktenkundig, welche durch ihre unübliche Kopfbekleidung gewohnheitsrechtlich Rotkäppchen genannt zu werden pflegt. Der Mutter besagter R. wurde seitens ihrer Mutter ein Schreiben zustellig gemacht, in welchem dieselbe Mitteilung ihrer Krankheit und Pflegebedürftigkeit machte, der Großmutter eine Sendung von Nahrungsmittel und Genußmittel zu Genesungszwecken zuzustellen. Vor ihrer Inmarschsetzung wurde die R. seitens ihrer Mutter über das Verbot betreffs Verlassen der Waldwege auf Kreisebene belehrt.” (Rotkäppchen auf Amtsdeutsch) Somit sind die Schwierigkeiten im Umgang mit dem verwaltungssprachlichen Stil lustig, weil sich in der holprigen Anwendung des erforderlichen Stils die Unbildung zu exponieren scheint bzw. weil die präzise sprachliche Unterscheidung verschiedener alltäglicher Sachverhalte oftmals merkwürdig klingt. In jedem Fall stellt die Verwaltungssprache für nichtakademische Beamte und die amtsbehandelte Bevölkerung eine besondere sprachliche Herausforderung dar, der man möglicherweise früher “einvernehmlich” nicht immer gerecht geworden ist – beide Seiten wußten es nicht besser. Bei einer Anzeige, Einvernahme oder Zeugenaussage bei der Polizei ist es üblich, daß der amtshandelnde Polizist sich den Sachverhalt erklären läßt und ihn dann für den Amtsbehandelten in IchForm schriftlich (um)formuliert. Dies mag im allgemeinen sinnvoll sein, weil so vermieden wird, daß wortreiche unklare Beschreibungen die Aktenlektüre erschweren, es erlaubt aber auch die Herausbildung spezieller Stilmerkmale. Durch eine (im Vergleich zu früheren Zeiten) intensive Schulbildung für alle Bevölkerungsschichten und eine Annäherung der Verwaltungssprache an die Umgangssprache ist eine gravierende Unkenntnis bestimmter Register weitgehend ausgeräumt, dennoch scheinen sich im Bereich der Verwaltungssprache einzelne grammatische Besonderheiten, die nach allgemeinem Verständnis ‘nicht richtig’ oder ‘ungewöhnlich’ sind, zu bewahren. Eines dieser Merkmale ist die hier beschriebene Verwendung von ‘und’. 4 01.02. Die Inversion nach ‘und’ in der österreichischen Schriftsprache Da polizeiliche Berichte und gerichtliche Akten typischerweise nicht öffentlich zugänglich bzw. vertraulich bzw. für Betroffene unangenehm sind, können sie nur schwer analysiert werden, obwohl sie diese Konstruktionen zahlreich enthalten. Stattdessen werden im folgenden Sätze von online frei zugänglichen Texten, etwa Gutachten aus Insolvenz- und Zwangsversteigerungsverfahren und Immobilieninserate, aber auch Fundstücke in Printmedien, Aushängen und Briefen (etwa von Ministerien oder Rechtsanwältinnen) für eine qualitative Analyse herangezogen. Eine Evaluierung der Häufigkeit ist nicht möglich, aber man kann sagen, daß die Inversion nach ‘und’ in Polizeiprotokollen und Gerichtsgutachten oft, in anderen Kontexten selten vorkommt. Zur Einstimmung ein Zitat aus einem Urteil des VGH Österreich (Rechtsinformationssystem des Bundeskanzleramts, ris.bka.gv.at/, Wurf einer Zigarette aus dem Auto) und einem Text von der Homepage für Insolvenzverfahren (www.edikte.justiz.gv.at/): (02) Zudem wurde der Zeuge unter Hinweis auf die strafrechtlichen Folgen einer Falschaussage einvernommen und ist kein Hinweis zu Tage getreten, dass der Zeuge die Beschuldigte wahrheitswidrig belasten hätte wollen. Außerdem unterliegt der Zeuge aufgrund seines Diensteides und aufgrund seiner verfahrensrechtlichen Stellung nicht nur der Wahrheitspflicht, sondern treffen ihn im Falle einer Verletzung dieser Pflicht nicht nur straf- sondern auch dienstrechtliche Sanktionen. (03) Wenn nur eine Besichtigung (ohne Schlosser) beantragt wird, geht der Gerichtsvollzieher, welcher die Besichtigung durchführt, nur vor Ort und besteht bei dem gegenständlichen Objekt, welches nicht zugänglich ist, dann keine Möglichkeit der Besichtigung. Tatsächlich ist das Phänomen selbst vielen Sprechern des Deutschen in Österreich nicht spontan bekannt oder auffällig, sie stimmen aber zu, derlei Beispiele schon gelesen zu haben. Es wird im Folgenden untersucht, ob diese Inversionen eine spezifische Bedeutung haben, also ob man irgendeine Regularität ihrer Verwendung feststellen kann. Die Abkürzung [ORI] bedeutet ‘Originaltext’, die Abkürzung [MOD] ist eine ‘Modifikation’ hin zur standardsprachlichen Norm. 5 01.03. Die Koordination mit ‘und’ Die Koordination zweier Sätze ist eine kohäsive einfache Satzverbindung, in der zwei Sachverhalte durch eine explizite koordinierende Junktion (cf. Ágel 2010: 906) in einer semantisch wenig spezifischen Weise verbunden werden. Häufig handelt es sich um einen chronologischen Ablauf, eine Gleichzeitigkeit oder eine Aufzählung von Sachverhalten. Im wesentlichen findet man zwei Muster, die Satzverbindung von Sätzen mit verschiedenem Subjekt (04a) und solche mit gleichem Subjekt (04b); bei Subjektsgleichheit kann das zweite Subjekt getilgt oder pronominal ersetzt werden (04b, 04c): (04) Koordination mit ‘und’ CONJ VF F/C (04a) Hansi ging und Mariaj blieb (04b) Hansi ging und [LEER]i schlief (04c) Hansi ging und eri schlief MF ins Haus, im Garten. ins Haus dort ein wenig. ins Haus, dort ein wenig. Nach dem für Deutsch praktikablen Stellungsfeldermodell (cf. Bader & Häussler 2010) steht also die Konjunktion genau zwischen den beiden Sätzen und verändert daher die Wortstellung nicht, auch wenn die Löschung des zweiten Subjekts bei Subjektsgleichheit dies im Oberflächentext verschleiert. Es wird allgemein nicht akzeptiert, daß die Konjunktion ‘und’ das Vorfeld besetzen könnte: (05) (05a) (05b) Falsche Sätze VF F/C [Hans]i ging und blieb [Hans]i ging und schlief MF ins Haus, [Maria]j im Garten. ins Haus, [er]i dort ein wenig. Die meisten subordinierenden Junktionen (cf. Ágel 2010: 912) erfordern im Deutschen ein besonderes syntaktisches Muster mit Verbendstellung; dies wird dadurch erklärt, daß die Junktion als Head der subordinierten Struktur die Position des Heads okkupiert und damit weitere Transformationen blockiert (06a). Daneben gibt es Junktio- 6 nen, die syntaktisch gesehen den Status einer NP einnehmen und als solche das Vorfeld besetzen (06b). Diese (‘adverbialen’) Junktionen verbinden die Sätze nur lose und können auch unabhängige Sätze einleiten (06c). Das gilt allerdings für andere Junktionen ebenfalls (06d), von den Anfängen in der Kindersprache (Bartl 2010, cf. Diessel 2009) bis hin zu quantitativen Untersuchungen des Deutschen (cf. Günthner 1993, Scheutz 2001, Ulreich 2010). (06) (06a) CONJ VF Hansi (06b) Hansi daher F/C ging weil war war (06c) Daher war (06d) Weil: Ihm war MF VK ins Haus, ihm kalt war. ins Haus gegangen er später nicht Zeuge der Vorfälle. er später nicht Zeuge der Vorfälle. kalt. Laut Normgrammatik der schriftlichen deutschen Sprache (z.B. Helbig & Buscha 1996: 448f.) unterscheidet man folgendes Verhalten verschiedener Junktionen (cf. ‘Junktionstechniken’, z.B. Ágel 2010: 909f.); mit Ausnahme von Gruppe I (‘und’) wäre Satzstellungsvariation nicht ungewöhnlich, (obwohl formale Modelle dies nicht vorsehen): (07) (07a) (07b) (07c) (07d) ]Kon[junktionen (Helbig & Buscha 1996: 448f.) Gruppe I: Nur als Konjunktion werden verwendet: bzw., d.h., denn, oder, und Wir gehen fort, und ihr bleibt zu Hause. Gruppe II: Als Konjunktion und als Konjunktionaladverb: doch Wir wollten ins Kino gehen, doch wir bekamen keine Karten mehr. Wir wollten ins Kino gehen, doch bekamen wir keine Karten mehr. Gruppe III: Als Konjunktion, Adverb und Partikel: aber, allein Wir gehen fort, aber ihr bleibt zu Hause. Wir gehen fort, ihr bleibt aber zu Hause. Wir gehen fort, ihr aber bleibt zu Hause. Gruppe IV: Als Konjunktion, Konjunktionaladverb, Adverb und Partikel: jedoch 7 Wir gehen fort, jedoch ihr bleibt zu Hause. Wir gehen fort, jedoch sind wir bald wieder zu Hause. Wir gehen fort, ihr bleibt jedoch zu Hause. Wir gehen fort, ihr jedoch bleibt zu Hause. Somit gibt es bei den Junktoren eine kaum erklärbare Variation, die eher schlecht als recht in obige Schemata gepreßt wird. Nirgends allerdings finden wir die Erwähnung einer Inversion (oder gar die Verbendstellung) nach ‘und’ – wenngleich (07d) jedoch sind wir eine solche Struktur darstellt. Doch die Inversion nach ‘und’ ist in einem schriftlichen Stil des Deutschen regulär: in der österreichischen Verwaltungssprache. 01.04. Junktion und Stil Sprachgeschichtlich sind Satzverbindungen zunächst wenig üblich; das Mittelhochdeutsche verwendet neben dem ursprünglich demonstrativen, dann relativen, dann subjunktiven ‘daz’ (das > daſʒ/daſs/ daß) besonders ‘und’ in einer Fülle von Funktionen; erst später setzen sich unter lateinischem Vorbild komplexe Satzverbindungen durch, die im Barock dann überschwänglich gebraucht werden. In der Umgangssprache bleiben komplexe Satzverbindungen selten. In dem mhd. Beispiel mit ‘daz’ ist noch keine Rede von Subordinationsmarkierung: (08) Mhd. Kurzgrammatik 2009: 39; www.uni-frankfurt.de niemen kan erwenden daz, ez tuo ein edeliu frouwe niemand kann abwenden das, es tue eine edle Frau Niemand kann das abwenden, es sei denn, daß es eine edle Dame tue. Der Gebrauch von junktiven Ausdrücken ist in der Schriftsprache häufiger als in der gesprochenen Sprache; sie spezifizieren bestimmte Zusammenhänge, die zwischen einzelnen Sätzen bestehen. Sie sind ein spezifisches Merkmal von Schriftsprachen bzw. literaten Stilen (cf. Maas 2008), da sie eine höhere Dichte des Texts ermöglichen und keinen Raum für Interpretationen lassen, sodaß vor allem die kontextunabhängige, zeitlose, faktische Informationsübermittlung gelingt. Man unterscheidet die folgenden junktiven Verbindungen: 1. Konjunktion: verbindet Dinge desselben Status: und, außerdem, auch, dazu, daneben, überdies, … 8 2. 3. 4. 5. Disjunktion: verbindet Dinge mit alternativem Status: oder, entweder – oder, sonst Kontrajunktion verbindet Dinge desselben Status, die jedoch innerhalb der Textwelt inkongruent oder unvereinbar erscheinen: aber, dagegen, jedoch, doch, nichtsdestoweniger, indessen; (zwar) Subordination: verbindet Dinge, bei denen der Status des einen von dem des anderen abhängt: weil, da, denn, daher, deshalb, während, … Kosubordination/Satzverkettung: Unterscheidet nicht zwischen Ko- und Subordination (Longacre 1985/2007); in diesem Sprachtyp nicht vertreten. Junktive sind die diesbezüglichen Oberflächenhinweise. Bei ‘und’ handelt es sich um eine Konjunktion zur Verbindung gleicher Elemente, somit in unserem Fall zweier Hauptsätze, und somit kann keine Satzstellungsänderung auftreten. Nur subordinierende Verbindungen erzeugen meistens (außer bei daher, deshalb, …) eine besondere Satzstellung im abhängigen Satz. Diese Sonderbehandlung abhängiger Ereignisse in der Grammatik wird in sehr vielen Sprachen beobachtet (cf. Cristofaro 2003). Konjunktionen sind zunächst nicht voneinander abhängig, sondern gleichberechtigt. Junktive sind nicht grundsätzlich notwendig, und sie drücken nicht grundsätzlich das aus, was sie typischerweise bedeuten. Ein Beispiel dafür ist die umgangssprachliche Verwendung von ‘weil’ (cf. Ulreich 2010, Scheutz 2001, u.a.): (09) (09a) (09b) (09c) (09d) Einige der Verwendungsmöglichkeiten von ‘weil’ in der deutschen Umgangssprache KAUSALITÄT Der See ist zugefroren. Es hat (wohl) ohne ‘weil’: Frost gegeben. KAUSALITÄT: Der See ist zugefroren, weil es Frost gegeben hat. INFERENZ: Es hat Frost gegeben, weil: Der See ist zugefroren. PARAPHRASE: Da werde ich zornig, weil: Sowas ärgert mich. Ein Junktor präzisiert die Art der Beziehung zwischen zwei Sachverhalten; umgekehrt kann ein sehr allgemeiner Junktor die Beziehung unterspezifizieren, sodaß die Interpretation in einem höheren Ausmaß dem Leser überlassen ist. Genau dies kann man leicht mit ‘und’ 9 bewerkstelligen, denn dieser Junktor drückt nur die Tatsache der Beziehung an sich aus – eine zeitliche, kausale oder andere. Ob diese nun eine Konjunktion oder eine Kontrajunktion darstellt, kann unklar bleiben. In dieser Form interagieren die Junktoren mit (anderen) Diskurspartikeln. (10) Unterspezifizierung der Beziehung von Sachverhalten OBWOHL Hans hat sich einen BMW gekauft, und er hat doch Schulden. ZWAR, ABER Hans hat kein Geld und hat sich (dennoch) einen BMW gekauft. ADVERSATIV Maria will nach Spanien, und Hans nach Island. KAUSALITÄT Es hat Frost gegeben, und der See ist (auch schon) zugefroren. Im alltagslogischen Diskurs erweisen sich Junktoren somit als sehr viel vagere Indikatoren von Satzzusammenhängen, als die Normgrammatik suggeriert. Ihre Interpretation unterliegt im Sinne der Relevanztheorie (Sperber & Wilson 1986) weiters je nach Bedarf der Produzentinnen und Rezipientinnen verschieden tiefer Analyse; auch in dieser Hinsicht ist somit ihre Funktion vage, während sie Junktionen explizieren. 02. Daten Die Inversion nach ‘und’ ist in österreichischen verwaltungssprachlichen Texten häufig und den damit befaßten Berufsgruppen vertraut. Auf Rückfrage ist aber niemandem bekannt, woher sie kommt, wann sie allenfalls entstand, undsoweiter. Von allen Sprachverwendern wird sie in normaler Kommunikation als falsch eingestuft. Somit liegt die Ansicht nahe, daß es sich um eine Art Stilblüte handelt. 02.01. Ironie Tatsächlich wird das Merkmal von Ludwig Thoma verwendet, wenn er Anfang des 20. Jhs. seine Parodie des (fiktiven) Landtagsabgeordneten Jozef Filser (und seine Korrespondenten) die Inversion nach ‘und’ mehrfach verwenden läßt (Thoma 1912): (11) Ludwig Thoma 1990 [1912]: Jozef Filsers Briefwexel 10 Seit 1899 gehere ich zum Barlamend und ist es mein Bemiehen gerechd zun regihren. (1) Deinen frächen und unferschembten Brif habe ich erhalden und ist es eine Erbressung, wo ein anderner Lumb dafier eingeschbert wird haber die grosen Schpizbuben kan man leuder nicht hengen, sonzt werst Du kein Abgeorneter nicht mer. (17) Er wurde jetoch in einer auffahlenden Weuse belährt das er sich gengen die Gebohte der fröhmikeit und des kristlichen Wahndels in eine habscheilinge Gelehgenheid begäben hatte, indem er bläzlich eine Anzall Wadschen empfing und auch schluhg iem disses ferlohrene Weipsbild einen Sembfhafen ins Andliez und auch fohzten ien die Spißgesählen auf eine gans unerlaupte Manir das der gerächte Man blüten muste auch zwei Zehne ferlohr. (18) Es giebt auch Juhden. [ABSATZ] Die mischten dafon sind Hobfenhendler, und mus der kristliche Ögonohm ser obacht gehben, damit das er nichd beschiesen wird, sontern fieleicht umgekert, haber sie sind ser schlauh und haben eine feundliche Rähligon. (23) Die brofesser auf der Unifersatet sind meischtens Breißen und muhs disses Unglik abgeschaft werden. (25) Die lieberahlen sind eine breißische Erfiendung und schtet auch iemer in die lieberahlen Zeidungen, das mir eihnig sind. (25) 02.02. Stilkritik Zu jener Zeit findet man populäre Literatur, die Stilkritik übt; dafür kann Wustmanns 1891 erschienenes Buch ‘Sprachdummheiten’ genannt werden, das die Inversion nach ‘und’ als ebensolche tadelt. Tappolet (1898: 19), auf der anderen Seite anerkennt die Struktur als Merkmal der Geschäftssprache. Er kommentiert die Auseinandersetzung anhand von Wustmann mit einem Verweis darauf, daß es ein Stilmerkmal ist: Als Gelehrter ist er natürlich am meisten den Geschäftsleuten abhold, gelegentlich äussert er seine Antipathie ohne jeglichen Rückhalt; er, dem alles Gemeine ein Greuel, hat Mühe, die Grenzen des Anstandes zu wahren, wenn er auf die Inversion nach und zu sprechen kommt. Davon ein Beispiel: “Die Wichtigkeit dieser Traktanden 11 veranlassen uns, Sie zu einer ausserordentlichen Sitzung einzuberufen und rechnen wir auf zahlreiches Erscheinen”, schreibt die “Klubleitung der Metzgermeister” im Tagblatt der Stadt Zürich. Ein solcher Satz erregt ihm geradezu Brechreiz, die Inversion ist ihm so zuwider, dass er sie selbst da nicht schreibt, wo sie eine gewisse Berechtigung hätte, er nennt sie eine logische Lüge, sie suche den Schein engster Gedankenverbindung zu erwecken und doch hätten die beiden Sätze inhaltlich meist nichts miteinander zu tun. Weder das eine noch das andre ist wahr, seine Berufung auf die Logik ist durchaus sinnlos: ob ich sage “und rechnen wir”, oder “und wir rechnen” ändert den Sinn des Ganzen nicht; das eine ist mehr Geschäftsstil, das andre Schriftstellerdeutsch. Je nach Vorliebe für das eine oder das andre wird man die Inversion gebrauchen oder nicht. In diesem Sinne würde ich z.B. auch die Inversion in einem Schüleraufsatz korrigieren, nicht als Verstoss gegen die Grammatik oder gar gegen die Logik, sondern als ungeschickte Stilvermengung (Tappolet 1898: 18f.). Tappolet verweist auch darauf, daß dieses Merkmal seit langem besteht, ein Umstand, dem die nächste Sektion nachgehen wird: Das ist, poetisch ausgedrückt, der Standpunkt der Sprachwissenschaft; gerade deshalb muss es Wustmanii ironisch gemeint haben, denn seine Ansicht ist das Gegenteil: Fehler bleibt Fehler, so lang ich lebe; keine noch so lange Gewohnheit macht den Fehler schön. Das stimmt zu einem Ausfall gegen die Germanisten, die die kaufmännische Inversion nach und entschuldigen, weil sie schon im 15. Jahrhundert vorkomme. Dort lacht er sie aus und sagt: “als ob ein Fehler dadurch schöner würde, dass er Jahrhunderte alt ist.” Allerdings wird er schön, d.h. er verschwindet mit der Grammatik, die für jene Zeit gilt. Fehler und Grammatik sind von einander abhängige Begriffe: mit dem Ungültigwerden einer Grammatik hört auch der Verstoss gegen diese Grammatik auf, ein Fehler zu sein. (Tappolet 1898: 16) Die Kritik an der Inversion nach ‘und’ wird auch später noch laut, so etwa in Moszkowski (1923, Kap. 19): Drei übelbeleumundete und vielfach vorbestrafte Subjekte werden an die Schranken gerufen: »Derselbe«, »Welcher« und die »Inversion nach Und«. Es kann aber zweifelhaft erscheinen, ob sie überhaupt vor ein Forum der höheren Stilkunst zu laden sind und nicht vielmehr zum kriminellen Kleinkram der Sprache gehören. Mit der Inversion wäre ja nicht viel Federlesen zu machen, sie klingt uns unschön, fehlerhaft und wird allgemein als eine Schwerverbrecherin angesehen. Sie frönt zudem der Gier, sich mit »Derselbe« zu gemeinsamen Straftaten zu verbinden, deren Art am besten in der scherzhaften Parodie erkannt wird, mit der 12 sie ein witziger Zeitgenosse, Gustav Hochstetter, wie in einer Schlinge gefangen hat: »Auf dem Fels saß Lorelei mit ihrem goldenen Haar und goldenen Kamme, – und kämmte dieselbe dasselbe mit demselben.« Und 1943 bespricht beispielsweise Reiners (2004: 145) den ‘Satzdreh nach und’ unter ‘Stilkrankheiten’. Derlei oberlehrerhafte Sprachkritik wird immer wieder sehr gerne geübt und ist auch in der Regel kommerziell erfolgreich (vor wenigen Jahren etwa Sick 2004 bzw. die Kolumne ‘Zwiebelfisch’ im Spiegel-Online, zur wissenschaftlichen Kritik, cf. Ágel 2008). Auch die Inversion nach ‘und’ wird heute noch in Internet-Foren des öfteren als Stilblüte genannt. Aber wir haben zwei Hinweise, einen auf die Geschäftssprache und einen auf das Alter der Bildung. Man beschäftigte sich auch wissenschaftlich mit dem Phänomen, wobei insgesamt die Ablehnung der Bildung obsiegt. Andresen (1912: 375) etwa meint, die Inversion nach ‘und’ widerspreche den rhythmischen Gesetzen des Deutschen; für Behaghel (1902: 95) ist der Gebrauch ‘verwerflich’, und er sei der Umgangssprache wie der Mundart völlig fremd (cf. Fleischmann 1973: 291f.; Ágel 2000: 1876). Paul verteidigt diese Struktur gegen ihre Kritiker aufgrund ihrer Historizität: “Die Stellung des Verbs unmittelbar nach und ist vielfach als ein Fehler bekämpft worden, doch findet sie sich durch alle Zeiten hindurch und muß unter gewissen Bedingungen als berechtigt anerkannt werden” (Paul 1959: 78); und Behaghel 1902 räumt immerhin ein: “Wir müssen eben aufhören, Forderungen an die Sprache zu stellen, die sie nicht erfüllen kann; wir müssen auch der Sprache die Freiheit der Bewegung gönnen […].” (Behaghel 1902: 95). 02.03. Historische Daten In der deutschen Sprachgeschichte gibt es zahlreiche komplexe Entwicklungen (cg. Ágel 2000), darunter auch eine alte Inversion nach ‘und’, die verschiedentlich beschrieben wird. Bereits im Ahd. ist diese Inversion üblich bzw. möglich: (12) Inversion nach ‘und’ im Ahd. (Ahd. Tatian (825, Fulda), Lukas 1.13, zit. n. Trübner 1956: 264; cf. Selmani 2012: 98, Fn.) thin quena Elysabeth gibirit thir sun, inti nemnis thu sinan namon Johannem Paul (2007: 450; § S 208) beschreibt die Inversion nach ‘und’ für das Mhd.: “In einem konjunktional angeschlossenen Aussagesatz kann das 13 finite Verb unmittelbar auf die Konjunktion folgen.” Dabei bezieht er sich auf Behaghel (1923, IV: 30-36; § S 239.4, für Frühneuhochdeutsch) und hält fest, daß hierbei in den meisten Fällen Vorder- und Nachsatz nicht dasselbe Subjekt haben. (13) Inversion nach ‘und’ im Mhd. bei Subjektsverschiedenheit (Paul 2007: 450; § S 208) do chom ein vngewitere wand adam gevallen was. vñ fvvr unser herre in sin paradysum. vnd sprach vil chlagelichen […]. (PaulPr 14r) Du leute sint alle tötleich vnd möcht ein man wol sterben ob er chain wunten hiet gehabt. (RbRupr 7) wan gelavbe ist von vunsihtigen (‘unsichtbaren’) dingen. vñ ist ez viel swere. verborgener dinge ze gelavbenne. (HugoRip 32v) Sehr viel seltener tritt die Inversion nach ‘und’ bei identischem Subjekt in Vorder- und Nachsatz auf; in solchen Fällen wird häufig das zweite Subjekt weggelassen, wodurch die Problematik gar nicht aufscheint: (14) Inversion nach ‘und’ im Mhd. bei Subjektsgleichheit (Paul 2007: 450; § S 208) Die meisten beriten sich. vñ mohten si niht ervinden waz ez wær. Könige 2ra. Dieser Gebrauch gilt bis ins 17. Jahrhundert als geläufige Variante neben der gegenwärtig üblichen Stellung (cf. Ebert 1999: 103ff.). Danach findet sie sich vereinzelt bei Lessing, Goethe und Schiller (Behaghel 1932: 31 & 33f.), sowie in der Bibelsprache (bei Luther); ab dem 18. Jh. kommt sie außer Gebrauch, bei den Brüdern Grimm im 19. Jh. erscheint sie als archaisierendes Element, ebenso wird sie in amtlichen Schreiben immer noch verwendet (Behaghel 1932: 35; cf. Ágel 2000: 1876). (15) Inversion nach ‘und’ im Nhd. Götz: Wir wollen fort! und soll die Hasenjagd angehn. (Goethe 1773: Götz, Jagsthausen) Ihr Sohn ist gut angekommen und beeile ich mich, Sie davon in Kenntnis zu setzen. (Wunderlich 1894: 259; zit. n. Selmani 2012: 99) Rotkäppchen aber ging fröhlich nach Haus, und tat ihm niemand mehr etwas zuleide. (Grimms Märchen, Rotkäpp- 14 chen, zit. n. Hoffmann 1997c: 2445; zit. n. Selmani 2012: 99) Tatsächlich kommt es zu einer rückwirkenden Korrektur: Die Luthersche Bibelübersetzung wird nach 1770 korrigiert (Folsom 1985: 145f.), und auch der Grimmsche Text erscheint heute folgendermaßen verändert: “Rotkäppchen aber ging fröhlich nach Haus, und von nun an tat ihm niemand mehr etwas zuleide.” (Grimms Märchen n.d.). Das Muster ist also unpopulär geworden und wurde fortan ausgeblendet. Die Inversion nach ‘und’ erscheint vereinzelt auch im 20. Jh., so angeblich in Thomas Manns Buddenbrooks, dem Josephs-Roman und im Dr. Faustus (Riecke 2010: 1035, Fußnote 21). Eine grobe Durchsicht des Dr. Faustus ergibt einige Kandidaten in direkten Reden: (16) Inversion nach ‘und’ im Dr. Faustus von Thomas Mann (Fundstücke) Bei diri ist keine Krankheit im Ausbruch, sondern bist [e]i nach dem bißchen Anfall von der besten jugendlichen Gesundheit. […] Du hast keine Spur von Fieber, und ist gar kein Anlaß, daß du je welches haben solltest. (300) Ich sage dir ja, daß wir schon mehr als vier Jahre schweigen, — und dabei ist alles im feinsten, ausgesuchtesten, verheißungsvollen Gange, und ist die schon halb gegossen. (308) So hat Böse seinen Worten Kraft geben in Treuen durch vierundzwanzig Jahr, und ist alles fertig bis aufs Letzt, […] (666) […] da seht ihr, daß ich verdammt bin, und ist kein Erbarmen für mich, […] (666) Im übrigen wird die Form als “ungewöhnlich” eingestuft, jedoch in einigen Texten sehr wohl beobachtet, und zwar beispielsweise in den Texten des Łódźer Ghettos (Riecke 2010: 1035f.), die nach Riecke als “österreichisch (oberdeutsch) beeinflußte” Sprache gelten kann (einmal mit ‘sondern’): (17) Ghetto von Łódź (Riecke 2010: 1036) Der Mann wurde den Behörden ausgeliefert und sind im Zusammenhang mit dieser Affäre schon 180 Personen im Getto verhaftet worden. (15.2.1943) Der Transport hätte in den heutigen Morgenstunden abgehen sollen und stand die Gruppe bereits reisefertig im Hofe des Zentral-Gefängnissen. (9.3.1944) Die Transporte fahren jeweils um 7 Uhr früh ab und muss 15 mit dem Einladen um 6 Uhr früh begonnen werden. (18.6. 1944) Dortselbst werden die Möbel, Hausgeräte, Waren, Wäsche, Kleider u.s.w. geschätzt, und wird der Gegenwert bar ausgezahlt. (20.6.1944) Ab nächster Woche werden diese Trauungen nicht mehr am Kirchplatz 4 stattfinden, da der hiezu gewählte Saal sich als zu klein erwies, sondern wird der Präses im Kulturhause die heiratslustigen Paare zusammenführen (27.12.1942). Damit verwandt sind Sätze, in denen das Pronomen fehlt: (18) Ghetto von Łódź (Riecke 2010: 1037) Der Preis für den Talon beträgt Mk. 2,- und werden den Betrieben schon in den nächsten Tagen zugestellt (8.11.1943) 02.04. Funktion und Herkunft Die Diskussion der Funktion und Herkunft (cf. Blatz 1900: 727ff., Behaghel 1932: 30ff., Wustmann 1966: 246ff.) ergibt “keine überzeugende Erklärung” (Ebert 1986: 103ff.); Behaghel (1923, IV: 31) meint, die Konjunktion sei (im Mhd.) als Adverb empfunden worden, er erklärt, daß ‘und’ ursprünglich eine (inzwischen “veraltete”) Bedeutung wie ‘demgegenüber’ hatte (Behaghel 1932: 31), Wustmann sah eine Bedeutung ‘und folglich/und dabei’ (Fleischmann 1973: 291ff., zit. n. Ágel 2000: 1876). Behaghel interpretiert es als Konjunktionaladverb (Helbig & Buscha 1996: 448f.), wenn er sagt: “[…] nach einem solchen satzeinleitenden Adverb mußte natürlich das Verbum unmittelbar folgen, so daß also eigentlich gar keine Spitzenstellung vorliegt” (Behaghel 1932: 31), was aber bei ‘und’ fraglich ist. Die mhd. Grammatik (Paul 2007) findet diese Erklärung für das Mhd.: […]. In synchroner Hinsicht ist das Phänomen vielleicht verwandt mit bestimmten Stellungsmustern im Nebensatz, bei denen ein späteres von mehreren finiten Verben nach vorn ‘gezogen’ wird; “Dine svv̊ze dine waren niht gesetzet in miner minne, do dv gienge gegen dinem wibe. vnd neme von ir handen di chlachlich spise.” StPaul 14r; “ich inbyn des nicht wirdik daz ich mich nydir boyge vnde lose den rymen syner schue.” EvBErl 3r. Insgesamt wird man derartige Anfangsstellungen des finiten Verbs im älteren Deutsch als “Anschlußstellung” (Behaghel 1923, IV, 30; vgl. Ahd. Gr. II §§ S 183-S 185) zu bewerten haben. (Paul 2007: 450) Ágel bringt als Hypothese die Problematik der Hörrezeption und der 16 Ereignisgrundierung zur Sprache: Eine andere Erklärungshypothese bietet sich auf der Basis der Untersuchungsergebnisse zum Übergang von der Hör- zur Leserezeption an (Betten 1993, 135ff.): Bis ins 16. Jh. überwog die Hörrezeption. Die Ereignisgrundierung (Vordergrund vs. Hintergrund) erfolgte nicht mit Hilfe einer klaren Unterscheidung von Haupt- und Nebensatz, sondern z.B. durch die Einfügung von Konnektoren wie do und und. Nach den Untersuchungen von Claudia Riehl (ebd., 137f.) zeigt und in der Periode der Hörrezeption „den Fortbestand der momentanen Grundierung an (Vordergrund oder Hintergrund), während da die Vordergrundkenntnisse kennzeichnet” (ebd., 138). Hieraus meine Hypothese: Und ohne Inversion zeigt den Fortbestand der momentanen Grundierung an, und mit Inversion kennzeichnet analog zu da die Vordergrundkenntnisse. Nach dem Übergang zur Leserezeption und der Herausbildung der klaren Hauptsatz/Nebensatz-Unterscheidung kommt es nach einer Zeit der Übergeneralisierung des traditionellen, jedoch funktionslos gewordenen Musters (‘Blütezeit’, 17. Jh.) zu dessen Untergang. (Ágel 2000: 1876) 03. Analyse Somit stehen wir vor einer veralteten syntaktischen Struktur des Deutschen, die sich in einzelnen Textsorten erhalten hat. Die Inversion nach ‘und’ ist in der österreichischen Verwaltungssprache und teilweise im kaufmännischen Bereich immer noch beobachtbar, wobei sie im übrigen von den Sprachverwendern als “falsch” eingestuft wird. Im folgenden werden einige reale Beispiele aus verschiedenen Quellen besprochen. Es handelt sich um Gutachten aus Insolvenzverfahren, Immobilienannoncen, Rechtstexten, Zeitungsartikeln und einigen anderen Quellen. Sehr häufig ist die Form in Polizeiprotokollen, doch sind diese kaum für eine Analyse zugänglich zu machen. 03.01. Subjektsgleichheit In Edikten betreffend Zwangsversteigerungen finden sich zunächst regelmäßig unauffällige standarddeutsche Muster mit Ellipse bei Subjektsgleichheit, wobei die Bedeutung jeweils unauffällig koordinativ ist: (19) [TYP] KEINE-INVERSION; ELLIPSE BEI SUBJEKTSGLEICHHEIT (19a) [ORI] Das Objekti ist ganz unterkellert und [e]i besteht aus dem Erdgeschoss und dem vollständig ausgebauten 17 (19b) [ORI] (19c) [ORI] (19d) [ORI] (19e) [ORI] (19f) [ORI] (19g) [ORI] (19h) [ORI] Dachgeschoss. Das Einfamilienhausi wurde […] als Ziegelmassivbau errichtet und [e]i besteht aus einer Teilunterkellerung, einem Erd- und Dachgeschoss. Der PKW-Abstellplatzi wurde direkt an das Wirtschaftsgebäude angebaut und [e]i besteht aus einer Holzkonstruktion […] Die Liegenschafti ist bebaut […] und [e]i wurde zum Zeitpunkt der Befundaufnahme bewohnt und benutzt. Herrschaftsvillen aus der Biedermeierzeiti prägen das Ortsbild und [e]i verleihen ihm das besondere Flair. Das ganze Grundstücki war stark verwildert (verbuscht) und [e]i machte einen sehr ungepflegten Eindruck. [Das […] Grundstück Nr. XXX/XX]i ist als eben zu bezeichnen und [e]i weist einen annähernd rechteckigen Grundriss auf. […], die restliche Grundstücksfläch[e]i ist begrünt und [e]i wird als Wiese genutzt. Auch andere Satzverschränkungen, etwa mit elliptischem Auxiliar, sind natürlich üblich: (20) [TYP] KEINE-INVERSION-SATZVERSCHRÄNKUNG [ORI] [Gleichzeitig]i [ist]j das Dachgeschoss erweitert [e]k und [e]i [e]j das gesamte Haus erneuert wordenk. Selten tritt jedoch ein durch ein Demonstrativum wiederaufgenommenes Subjekt in Inversionsstellung auf: (21) [TYP] [ORI] INVERSION-PRO; SUBJEKTSGLEICHHEIT [Das Grundstück]i weist ein mäßiges Gefälle von Nordost nach Südwest auf und ist diesesi mit einem Wohnhaus, […], sowie mit diversen Nebengebäuden […] bebaut. [MOD] Das Grundstücki weist ein mäßiges Gefälle von Nordost nach Südwest auf und [e]i ist mit einem Wohnhaus, […], sowie mit diversen Nebengebäuden […] bebaut. In einer Pressemeldung wird auch ein Personalpronomen bei Subjektsgleichheit in Inversion wiederholt (“HIV – Freispruch im Grazer Erpresserfall”, 2013): 18 (22) [TYP] [ORI] INVERSION-PRO Zudem hat er selbst […] angegeben, anderweitig sexuelle Kontakte […] gehabt zu haben und hatte er im Internet flüchtige sexuelle Kontakte […] gesucht […] [MOD] Zudem hat er selbst […] angegeben, anderweitig sexuelle Kontakte […] gehabt zu haben, und er hatte im Internet flüchtige sexuelle Kontakte […] gesucht […] 03.02. Subjektsungleichheit In den meisten Fällen tritt die Inversion nach ‘und’ allerdings bei Subjektsungleichheit auf, wie etwa bei diesen Beispielen von der privaten Webseite eines österreichischen Polizisten: (23) [TYP] INVERSION-PRO [ORI] […], in Koblenz ist es bereits dunkel und finde ich mich nur schwer zurecht. [MOD][…], in Koblenz ist es bereits dunkel, und ich finde mich nur schwer zurecht. [ORI] Es begann wieder zu regnen und hatte ich wieder einen Platten Reifen. [MOD]Es begann wieder zu regnen, und ich hatte wieder einen platten Reifen. [ORI] Hans kommt mir heute mit seinem Milan entgegen und werden wir uns in Bruck/Mur treffen. [MOD]Hans kommt mir heute mit seinem Milan entgegen, und wir werden uns in Bruck/Mur treffen. Sehr häufig wird auf den Beistrich vor dem ‘und’ verzichtet. Dasselbe Muster findet man in einem Schreiben einer Rechtsanwältin (privat, 2012): (24) [TYP] INVERSION-PRO [ORI] Den Verhandlungstermin für den XX.XX.2012 hat meine Kanzlei ohnehin vorgemerkt und werde ich natürlich gerne daran teilnehmen. [MOD] Den Verhandlungstermin für den XX.XX.2012 hat meine Kanzlei ohnehin vorgemerkt, und ich werde natürlich gerne daran teilnehmen. In einer Werbeschaltung eines Bankinstituts (Anzeige der Steiermärkischen Sparkasse in Der Grazer, 22.12.2013: 14) findet man eine stilistisch verunglückte Inversion, (die vielleicht nicht ganz hierherge- 19 hört,) in der das Subjekt des zweiten Satzes nur in einer Angabe des ersten Satzes identifiziert werden kann, ohne wiederaufgenommen zu werden; es handelt sich eigentlich um eine Satzverkettung mit 'daher' und benötigt dieses ‘und’ nicht: (25) [TYP] [ORI] INVERSION-KEIN-PRO Kreditinstitute können mittels BIC weltweit eindeutig identifiziert werden und ist daher bei Auslandszahlungen immer in Verbindung mit der IBAN anzugeben. […] [MOD] Kreditinstitute können [mittels BIC]i weltweit eindeutig identifiziert werden, [er]i ist daher bei Auslandszahlungen immer in Verbindung mit der IBAN anzugeben. […] Wahrscheinlich ist die folgende Äußerung in einem Ratgeber des Grazer Umweltamtes, wo eine (fiktive?) Bürgerin zu Wort kommt, nur ein Tippfehler (Wortverdrehung); immerhin aber kommt dieser Text, der einen anderen Stil haben sollte, aus einer Amtsstube, wo der Fehler beim Korrekturlesen vielleicht weniger deutlich auffällt (Umweltamt Graz n.d., p. 30.): (26) [TYP] [ORI] INVERSION-FEHLER? Bimfahren gehört für mich schon immer zu meinem Leben. In der Familie gab's zwischendurch kein Auto und so bin ich mit der Straßenbahn – damals natürlich noch mit den alten Garnituren – nicht nur in die Schule gefahren, sondern wurden es auch alle anderen Wege so abgewickelt. [MOD] […] und so bin ich mit der Straßenbahn […] nicht nur in die Schule gefahren, sondern es wurden auch alle anderen Wege so abgewickelt. In einigen Beispielen wird lediglich das vorfeldfüllende 'es' ausgelassen, wie etwa in diesem Gastkommentar in der KLEINEN ZEITUNG (Steiermark) vom 08.02.2013, p. 80 (“Kein Weihnachtsmann” in der Rubrik “LESERFORUM” vom Wirtschaftsprüfer und Steuerberater Johann Neuner (Klagenfurt)): (27) [TYP] INVERSION-PRO-VF-es [ORI] Vielmehr wird das Schloss privat genutzt und residieren dort einige Auserwählte unter Ausschluss der Öffentlichkeit. [MOD] Vielmehr wird das Schloss privat genutzt, und es resi- 20 dieren dort einige Auserwählte unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Dasselbe Muster ist auch mit 'sondern' anstelle von ‘und’ möglich (Dr. Franz Pietsch (Gesundheitsministerium), GZ: BMG-22186/0057II/1/2013 am 18.03.2014): (28) [TYP] INVERSION-PRO-VF-es; MIT-BEISTRICH [ORI] Würde jemand in der U-Bahn […] Rauchen, wäre dies nicht mehr der Freiwilligkeit unterworfen, sondern bestünde eine gesetzliche Verpflichtung dazu, das tabakrechtliche Rauchverbot durchzusetzen. […] [MOD] Würde jemand in der U-Bahn […] rauchen, wäre dies nicht mehr der Freiwilligkeit unterworfen, sondern es bestünde eine gesetzliche Verpflichtung dazu, das tabakrechtliche Rauchverbot durchzusetzen. […] Die Inversion nach ‘und’ kommt eventuell sogar ohne das ‘und’ selbst aus, wie diese Beispiele zeigen (Schreiben von Dr. Franz Pietsch, BM f. Gesundheit, GZ: BMG-22186/0057-II/1/2013 am 18.03.2014): (29) [TYP] [ORI] [ORI] INVERSION-PRO-VF-es, KEIN UND Was nun den Vorplatz von „The Mall” anbelangt […], so ist dort das Tabakgesetz nicht anwendbar, gibt es also auch keine Behörde, die verpflichtet wäre, auf die Einhaltung zu achten. Was nun den Vorplatz von „The Mall” anbelangt […], so ist dort das Tabakgesetz nicht anwendbar, es gibt also auch keine Behörde, die verpflichtet wäre, auf die Einhaltung zu achten. Doch ist in dieser Position bei ‘und’ oder 'sondern' jedes Pronomen anzutreffen, wie man in Beispielen wie diesen prüfen kann (Urteil des VGH Österreich (Rechtsinformationssystem des Bundeskanzleramts, http://ris.bka.gv.at/, Wurf einer Zigarette aus dem Auto): (30) [TYP] [ORI] INVERSION-PRO BEI SONDERN Außerdem unterliegt der Zeuge aufgrund seines Diensteides und aufgrund seiner verfahrensrechtlichen Stellung nicht nur der Wahrheitspflicht, sondern treffen ihn im Falle einer Verletzung dieser Pflicht nicht nur straf- sondern auch dienstrechtliche Sanktionen. 21 [MOD] Außerdem unterliegt der Zeuge […] nicht nur der Wahrheitspflicht, sondern ihn treffen im Falle einer Verletzung dieser Pflicht […] Sanktionen. Auch bei Subjektsungleichheit findet man Demonstrativpronomina in der invertierten Position, wobei im zweiten Beispiel das Subjekt des zweiten Satzes einen ‘Gleichsetzungsdativ’ wiederaufnimmt: (31) [TYP] INVERSION-PRO.DEM (31a) [ORI] Der Bauzustand [des Objektes]i entspricht dem Baualter und weist diesesi einen “durchschnittlichen” Erhaltungszustand auf. [MOD] Der Bauzustand [des Objektes]i entspricht dem Baualter, und diesesi weist einen “durchschnittlichen” Erhaltungszustand auf. (31b) [ORI] Der Bauzustand des Wohnhauses entspricht [einem Rohbau]i und weist dieseri einen „schlechten” Erhaltungszustand auf. [MOD] Der Bauzustand des Wohnhauses entspricht [einem Rohbau]i, und dieseri weist einen „schlechten” Erhaltungszustand auf. (31c) [ORI] Diese Erschließung stellt jedoch [die einzige Zufahrtsmöglichkeit]i zur Bewertungsliegenschaft dar und wurde diesei offensichtlich auch von der Baubehörde für die Erteilung von Bau- und Benützungsbewilligungen als ausreichend angesehen. [MOD] Diese Erschließung stellt jedoch [die einzige Zufahrtsmöglichkeit]i […] dar, und [e]i wurde offensichtlich auch von der Baubehörde […] als ausreichend angesehen. Doch die Inversion nach ‘und’ beschränkt sich keineswegs auf pronominale Subjekte allein; auch ausgebaute Subjekts-NP oder beliebige Objekte (cf. (30)) und Angaben können an dieser Stelle erscheinen: (32) [TYP] (32a) [ORI] INVERSION-NP Die Fenster sind nicht fachmännisch eingebaut und weisen die Wände in diesem Bereich Sprünge auf. [MOD] Die Fenster sind nicht fachmännisch eingebaut, und die Wände weisen in diesem Bereich Sprünge auf. (32b) [ORI] […], teilweise sind Glaslichten vorhanden und sind die Türblätter zum Teil beschädigt. 22 [MOD] […], teilweise sind Glaslichten vorhanden und die Türblätter sind zum Teil beschädigt. (32c) [ORI] Der Baubeschreibung […] nach ist das Gebäude massiv als Ziegelbau errichtet, als Geschossdecken sind demnach Massivdecken […] ausgeführt und ist das Gebäude nach oben hin mit einem Satteldach abgeschlossen, […]. [MOD] Der Baubeschreibung […] nach ist das Gebäude massiv als Ziegelbau errichtet, als Geschossdecken sind demnach Massivdecken […] ausgeführt und das Gebäude ist nach oben hin mit einem Satteldach abgeschlossen, […]. (32d) [ORI] Das Objekt hat keinen Keller und ist die Wohnung im Dachgeschoss nach neuem Standard mit einer Wohnnutzfläche von 157 m2 hergestellt. [MOD] Das Objekt hat keinen Keller, und die Wohnung ist im Dachgeschoss nach neuem Standard mit einer Wohnnutzfläche von 157 m2 hergestellt. (33) [TYP] (33a) [ORI] INVERSION-PP Das Haus […] wurde 1994 aufgestockt und bietet sich von der überdachten Terrasse eine wunderschöne Aussicht in absoluter Ruhelage. [MOD] Das Haus […] wurde 1994 aufgestockt, und von der überdachten Terrasse bietet sich eine wunderschöne Aussicht in absoluter Ruhelage. (33b) [ORI] Der Teich hat somit keine Nutzungsmöglichkeit […] und wird aus diesem Grund in der Bewertung die Wiederherstellung der landwirtschaftlichen Fläche angenommen. [MOD] Der Teich hat somit keine Nutzungsmöglichkeit […], und aus diesem Grund wird in der Bewertung die Wiederherstellung der landwirtschaftlichen Fläche angenommen. (33c) [ORI] Das Wohnhaus wurde nach dem Abbruch eines Altbestandes aufgrund des Baubewilligungsbescheides vom 29.07.1992 errichtet und wurde im Jahr 1998 eine Benützungsbewilligung erteilt. [MOD] Das Wohnhaus wurde […] aufgrund des Baubewilligungsbescheides […] errichtet, und im Jahr 1998 23 wurde eine Benützungsbewilligung erteilt. 03.03. Bedeutungen Wenn man die Sätze paraphrasiert und stilistisch verändert, ist nicht immer ‘und’ die beste Lösung; schon in den Beispielen (XX) wäre die Bedeutung ‘somit’ nahegelegen. Das kann man in weiteren Beispielen ebenfalls feststellen (ein Gutachten und ein Passus von der Edikte-Homepage): (34) [TYP] (34a) [ORI] SOMIT STATT UND Die Garage wurde lediglich für einen PKW errichtet und besteht lt. Bescheid vom XX.XX.2011 (GZ.: XXXXXX/2011/XXXX) ein Baugebrechen gemäß § 39 […], […]. [MOD] Die Garage wurde lediglich für einen PKW errichtet, somit besteht lt. Bescheid vom XX.XX.2011 (GZ.: XXXXXX/2011/XXXX) ein Baugebrechen gemäß § 39 […], […]. (34b) [ORI] Wenn nur eine Besichtigung (ohne Schlosser) beantragt wird, geht der Gerichtsvollzieher, […], nur vor Ort und besteht bei dem gegenständlichen Objekt, [...], dann keine Möglichkeit der Besichtigung. [MOD] Wenn nur eine Besichtigung (ohne Schlosser) beantragt wird, geht der Gerichtsvollzieher, […], nur vor Ort, somit besteht bei dem gegenständlichen Objekt, [...], dann keine Möglichkeit der Besichtigung. Anderenorts würde man es eher als 'daher' verstehen, wobei 'daher' und 'demnach' häufig bereits verwendet werden (eine Verlautbarung und mehrere Passagen aus Gutachten): (35) [TYP] (35a) [ORI] DAHER STATT UND Auch eine Fortführung auf Gemeindekosten ist wirtschaftlich nicht zu verantworten und muss das Bad daher geschlossen bleiben. [MOD] Auch eine Fortführung auf Gemeindekosten ist wirtschaftlich nicht zu verantworten, daher muss das Bad geschlossen bleiben. (35b) [ORI] Das Baualter beträgt […] 55 Jahre und hat das Gebäude daher das Ende seiner wirtschaftlichen Nutzungsdauer erreicht, […]. 24 [MOD] Das Baualter beträgt […] 55 Jahre, daher hat das Gebäude das Ende seiner wirtschaftlichen Nutzungsdauer erreicht, […]. (35c) [ORI] Zur Frage, ob bei der Gemeinde […] offene Beiträge […] bestehen, liegen keinerlei Informationen vor und bleibt dieser Umstand demnach […] unberücksichtigt. [MOD] Zur Frage, ob bei der Gemeinde […] offene Beiträge […] bestehen, liegen keinerlei Informationen vor, daher bleibt dieser Umstand […] unberücksichtigt. (35d) [ORI] Alle Angaben zum Verkaufsobjekt stammen vom Verkäufer und übernimmt die XXXX Gmbh keine Haftung für allfällige falsche Informationen. [MOD] Alle Angaben zum Verkaufsobjekt stammen vom Verkäufer, daher übernimmt die XXXX Gmbh keine Haftung für allfällige falsche Informationen. Auch das Ministerium verwendet ‘und’ in dieser Bedeutung: (36) [TYP] DAHER STATT UND [ORI] Hingegen sind in geschlossener Bauweise errichtete Wartehallen […] als „Räume öffentlicher Orte” anzusehen, und gelten dort die Bestimmungen des Tabakgesetzes. [MOD] Hingegen sind in geschlossener Bauweise errichtete Wartehallen […] als „Räume öffentlicher Orte” anzusehen, daher gelten dort die Bestimmungen des Tabakgesetzes. In dem folgenden Beispiel wird bei Subjektsgleichheit die Inversion nach ‘und’ verwendet, obwohl die Verwendung von ‘und daher’ deutlicher wäre: (37) [TYP] [ORI] DAHER STATT PRO Des Weiteren wird der Teichi nicht bewirtschaftet und macht dieseri […] einen verwilderten Eindruck. [MOD] Des Weiteren wird der Teichi nicht bewirtschaftet und macht daheri […] einen verwilderten Eindruck. Das ‘und’ kann aber auch adversative Funktion haben: (38) [TYP] [ORI] JEDOCH STATT UND Im C-Blatt sind zwei Geldlasten eingetragen und erfolgt die Bewertung unter der Voraussetzung der 25 Geldlastenfreiheit. [MOD] Im C-Blatt sind zwei Geldlasten eingetragen. jedoch erfolgt die Bewertung unter der Voraussetzung der Geldlastenfreiheit. … oder kausale: (39) [TYP] [ORI] DENN STATT UND (ZWEIMAL) Anzumerken ist, dass der Verlauf der Grenzen anlässlich der Befundaufnahme nicht gänzlich geklärt werden konnte, speziell der Grenzverlauf zur südöstlichen Nachbarliegenschaft ist fraglich und wurde von der anwesenden Tochter der verpflichteten Partei bei der Befundaufnahme behauptet, dass der bestehende Zaun nicht dem tatsächlichen Grenzverlauf entsprechen würde. Dieser Umstand kann vom Sachverständigen nicht verifiziert werden und könnte dies nur durch eine Vermessung geklärt werden. [MOD] Anzumerken ist, dass der Verlauf der Grenzen […] nicht gänzlich geklärt werden konnte, speziell der Grenzverlauf zur südöstlichen Nachbarliegenschaft ist fraglich, denn es wurde von der anwesenden Tochter [...] […] behauptet, dass […]. Dieser Umstand kann vom Sachverständigen nicht verifiziert werden, denn dies könnte nur durch eine Vermessung geklärt werden. … oder andere Bedeutungen: (40) [TYP] [ORI] UND DABEI STATT UND Zudem wurde der Zeuge unter Hinweis auf die strafrechtlichen Folgen einer Falschaussage einvernommen und ist kein Hinweis zu Tage getreten, dass der Zeuge die Beschuldigte wahrheitswidrig belasten hätte wollen. [MOD] Zudem wurde der Zeuge […] einvernommen, und dabei ist kein Hinweis zu Tage getreten, dass der Zeuge die Beschuldigte wahrheitswidrig belasten hätte wollen. Selbst eine reine Paraphrase wird mit ‘und’ verbunden: (41) [TYP] ZWEI HAUPTSÄTZE, PARAPHRASE [ORI] Es erfolgte lediglich eine augenscheinliche Besichti- 26 gung des Objekts und wurde eine weitergehende bauliche Untersuchung des Gebäudes [...] nicht durchgeführt, […]. [MOD] Es erfolgte lediglich eine augenscheinliche Besichtigung des Objekts, eine weitergehende bauliche Untersuchung des Gebäudes [...] wurde nicht durchgeführt, […]. 03.04. und beziehungsweise bzw. Anstelle des ‘und’ ist auch die Inversion nach 'bzw.' möglich; auch hier finden wir wieder eine Reihe von möglichen Bedeutungen, die mit 'bzw.' abgedeckt werden können: (42) [TYP] [ORI] DOCH STATT BZW Der Baumbestand, bestehend aus Fichten bietet einerseits Schatten bzw. sind diese bei Bedarf zu entfernen. [MOD] Der Baumbestand, bestehend aus Fichten, bietet einerseits Schatten, doch können diese bei Bedarf auch entfernt werden. (43) [TYP] ABER STATT BZW [ORI] Der behauptete Schädlingsbefall ist nach Meinung des SV primär auf eine unzureichende Wartung und Instandhaltung des Gebäudes zurückzuführen bzw. kann auch ein Zusammenhang mit der im Gutachten angeführten, extensiven Haltung von diversen Haustieren nicht ausgeschlossen werden. [MOD] Der […] Schädlingsbefall ist […] primär auf eine unzureichende Wartung und Instandhaltung des Gebäudes zurückzuführen, es kann aber auch ein Zusammenhang mit der […] Haltung von diversen Haustieren nicht ausgeschlossen werden. (44) (45) [TYP] DAS BEDEUTET STATT BZW [ORI] Das Objekt ist normal erhalten bzw. sind übliche Erhaltungsarbeiten notwendig. [MOD] Das Objekt ist normal erhalten, das bedeutet, es sind übliche Erhaltungsarbeiten notwendig. [TYP] UND (FOLGLICH/DANN) STATT BZW [ORI] Es gelangt damit auch über Ausscheidungen ins 27 Grundwasser beziehungsweise wird es in den Kläranlagen nicht herausgefiltert. [MOD] [Es]i gelangt damit auch über Ausscheidungen ins Grundwasser, und [e]i wird (dann) in den Kläranlagen nicht herausgefiltert. Wie schon oben erwähnt, ist auch 'sondern' mit Inversion zu finden: (46) [TYP] INVERSION-PRO BEI SONDERN; KEIN-BEISTRICH [ORI] Die neue Standardhöhe im Innenraum ist auch nicht mehr 230 cm sondern haben wir auf 250 cm erhöht. [MOD] Die neue Standardhöhe im Innenraum ist auch nicht mehr 230 cm, sondern wir haben auf 250 cm erhöht. 04. Diskussion Die hier beschriebene ‘und’-Inversion ist ein syntaktisches Merkmal der österreichischen Verwaltungssprache, die alltagssprachlich als falsch empfunden wird, tatsächlich aber eine alte syntaktische Form des Deutschen darstellt, die sich nur in diesem Kontext erhalten hat. Sie wird wie schon früher fast ausschließlich bei Subjektsverschiedenheit verwendet und hat mitunter im Sinne einer konjunktionalen Unterspezifizierung eine adversative oder subordinative Bedeutung, im Gegensatz zur konjunktiven Grundfunktion von ‘und’ ohne Inversion. In Edikten wird dadurch eventuell ein kausaler oder konzessiver Zusammenhang weniger deutlich dargestellt. In Polizeiprotokollen hat er vorläufig keine besonders auffällige Funktion, außer ein wesentliches Merkmal dieses Stils zu sein, die diesen Stil dadurch als 'amtlich/offiziell/juridisch' erkennbar macht. Mit dieser letzten Hypothese über die Funktion dieser Fügung erkennen wir einmal mehr die Zirkularität linguistischer Erklärungen: Ein Stilmerkmal dient dazu, einen Stil zu markieren. Außerhalb der Textsorte ist das Merkmal weitestgehend unüblich und unerwünscht – weshalb es den Stil tatsächlich markieren kann. Grammatisch paßt das Merkmal nicht in die übliche Beschreibung des Deutschen, was aber nicht sehr stört, da es ein Stilmerkmal ist. Doch gibt es Ähnlichkeiten mit dem besprochenen Muster? Es gibt deiktische Elemente mit weitgehend konjunktionaler Bedeutung, die das Vorfeld besetzen: (47) CONJ VF Eri F/C ging MF ins Haus, VK 28 und daher konnte eri die weiteren Ereignisse nicht sehen. mehr Eri ging ins Haus [e]i konnte daher die weiteren Ereignisse sehen. nicht mehr Die oben angeführten Strukturen der österreichischen Verwaltungssprache sind somit “falsch” im Sinne der Normgrammatik der deutschen Schriftsprache, da ‘und’ nicht das Vorfeld besetzt und daher keine Inversion bewirken kann; ein leeres Vorfeld ist grundsätzlich nicht erlaubt, doch finden wir mindestens zwei Ausnahmen: (a) nichteingeleitete Konditionalsätze mit Verberststellung, und (b) Deklarativsätze in der gesprochenen Umgangssprache in bestimmten Situationen – z.B. am Beginn einer Erzählung. (48) obligatorische Vorfeldbesetzung vs. umgangssprachliche Vorfeldleerheit Bühnenanweisung: Es betritt der General die Bühne. (“Vorfeld-es”) Nichteingeleitete Konditionalsätze: Geht ein Mann zum Arzt, muß es schon wirklich ernst sein. (Konditionalsätze mit leerem Vorfeld) Witze: Geht ein Mann zum Arzt … (leeres Vorfeld) (cf. Behaghel 1932: 38f.) Lieder: Sah ein Knab' ein Röslein stehn, … (leeres Vorfeld) (cf. Behaghel 1932: 37f.) Da die nichteingeleiteten Konditionalsätze eine historisch bedingte isolierte Erscheinung sind, kann man das leere Vorfeld vorwiegend als Merkmal der Umgangssprache und nicht der Schriftsprache sehen. Die Motivation für die ‘und’-Inversion in der Verwaltungssprache kann verschiedenartig sein, wobei mehrheitlich bei der Inversionsstruktur eine nicht-konjunktive Bedeutung vorliegt. Normativ “korrekte” ‘und’-Konstruktionen liegen immer bei Subjektsgleichheit vor (“zusammengezogener Satz”; Helbig & Buscha 1996: 650). Ausnahmen davon bieten nur Fälle von Wiederaufnahme mit einem Demonstrativpronomen, die ebenfalls eine invertierte Struktur zeigen. Diese spezifische Inversionskonstruktion ähnelt folgendem (richtigen, unauffälligen) Muster, wenn Subjekts- und Objektsgleichheit be- 29 steht, bzw. in koordinierten nichteingeleiteten Konditionalsätzen: (49a) Beispiel (http://www.rtl2.de/berlin-tag-nacht/video/3290berlin-tag-nacht-folge-66/) Lindai möchte [mit Alina]j eine ernste Beziehung führen und [e]i macht dieserj klar, dass sie sich dafür öffnen muss. (49b) Beispiel (http://www.waldkatzen.uskw.at/A_wurf.html) [Das Loiserl]i ist [eine “Glückskatze”]j und [e]i macht [dieser Bezeichnung]j alle Ehre. (49c) Beispiel aus einer AGB (http://velonom.com/?AGB) Besteht ein Schadenersatzanspruch des Verkäufers i und nimmt dieseri die Ware wieder an sich, […] Die ‘und’-Inversion ist somit einigen anders erklärbaren Mustern ‘ähnlich’; es ist wohl ein Grundproblem der Grammatiktheorie, daß eine formal strenge Darstellung grammatischer Muster höchstwahrscheinlich keiner psychologischen Wirklichkeit entspricht; es mag auch eher zutreffen, daß Sprachverwender eher analogisch vorgehen oder eher grammatische ‘chunks’, nicht unbedingt ‘Sätze’ verwenden/planen, und so mag die ‘und’-Inversion relativ 'unerkannt' einfach nur als Stilmerkmal, als Gebrauchsgewohnheit, ohne Rücksicht auf normative Beschreibungen, weitgehend unter dem ‘Radar’ der Sprachverwenderinnen bleiben. 05. Abkürzungen ÖAD STD NET VAR ED VF F/C MF CONJ TYP ORI MOD österreichisches Amtsdeutsch Normdeutsch Internetzitat mögliche Variante Edikt Verbkomplex Finit/Komplement-Feld Mittelfeld Konjunktion Typ; Analysekategorie Originaltext Modifizierter Text (Paraphrase) 30 06. Literatur Ágel, Vilmos 2000: Syntax des Neuhochdeutschen bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. in: Werner Besch & Anne Betten & Oskar Reichmann & Stefan Sonderegger (eds.): Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. Bd. 2.2.. vollst., neu bearb. u. erw. Aufl. Berlin, New York: de Gruyter (= HSK 2.2), pp. 1855-1903. Ágel, Vilmos 2008: Bastian Sick und die Grammatik. Ein ungleiches Duell. in: Informationen Deutsch als Fremdsprache 35/1: 64-84. http://www.uni-kassel.de Ágel, Vilmos 2010: Explizite Junktion. Theorie und Operationalisierung. in: Ziegler Arne (ed.): Historische Textgrammatik und Historische Syntax des Deutschen. Traditionen, Innovationen, Perspektiven. 2 Bde. 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