„Kein Reh geschossen, sich aber doch gefreut“

E. T. A. Hoffmann und die Jägerei – Teil 2
„Kein Reh geschossen,
sich aber doch gefreut“
Jungjäger E. T. A. Hoffmann hatte es in Bamberg nicht leicht. Zu beruflichen Rückschlägen gesellten
sich jagdliche Misserfolge. Doch im Herbst 1812 bekam er eine Einladung zur Jagd. Enthusiastischer
denn je nahm er an und wollte das Ereignis ganz nach Jägerart wie ein „ächter Nimrodssohn“
genießen. Doch gänzlich konfliktfrei sollte der gebürtige Preuße in Oberfranken nicht zu seinem
ersehnten Waidmannsheil gelangen.
Dass Hoffmann sich den Jägern nur
noch als Treiber und Begleiter seines
Freundes Kunz näherte, lag wohl auch
daran, dass er den Frensdorfer Jägern –
allen voran einem Förster, der ihn so oft
ausgelacht hatte und den er einen „infamen und prosaischen Kerl“ nannte
– nicht weiter Gelegenheit bieten wollte, sich über den preußischen Beamten, Maler, Schriftsteller, Juristen und
überhaupt universal Gebildeten lustig
zu machen. Doch eben jener Frensdorfer Förster lud Friedrich Kunz zu einer
Treibjagd auf Hasen und Rehe ein, die
damals noch auf Schweizer Art – also
mit Schrot – geschossen wurden.
Nur unter der Bedingung, dass sein
Freund Hoffmann mitgehen dürfe,
nahm Kunz an. Hoffmann, der glaubte,
ein zehnmal größeres Tier als ein Hase
müsse auch zehnmal leichter zu treffen
sein, willigte ebenfalls ein. „Wir gehen
zu Fuß ganz nach Jägerart!“, forderte er
seinen Freund Kunz auf, weil nur das zu
„Fuße Gehen die rechte Introduktion
(Einleitung, A.B.) zur Jagd“ sei.
Doch Hoffmanns Bedürfnis nach „echter Jägerart“ ging noch weiter und
erstreckte sich auch auf das leibliche Wohl: „Sorgen Sie morgen für
einen tüchtigen Schnapps“, gab er
dem Freund mit auf den Weg, denn
„nur so soll man die Jagd genießen;
so einen kräftigen Zug aus der Fuselflasche, das gehört sich nur für ächte
Nimrod`ssöhne.“
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Als er dann am frühen Morgen des 25.
Oktobers 1812 seinen Freund am Maximiliansplatz zu Bamberg abholte,
geschah dies in recht eigentümlicher
„Mit einer ungeheuren Jagdtasche und
im Mund eine Pfeife, aus der er gewaltig
qualmte.” E. T. A. Hoffmann trat als
„Nimrodssohn” auf, wie noch Jahre
später deutsche Jäger karikiert wurden.
Verkleidung: „Mit der Flinte auf dem
Rücken“, so beschrieb Carl Friedrich
Kunz den Dichter, „und einer ungeheuren Jagdtasche, die ihm bis auf die Knie
herabhing, sei er erschienen. Im Mund
eine Pfeife, aus der er gewaltig qualm-
te.“ – echte Jägerart eben. Hoffmann
befand sich in heiterster Stimmung und
unterhielt seinen guten Freund schon
frühmorgens mit Zitaten aus Hamlets
Schildwacht und anderen mehr oder
minder geistreichen Einfällen.
Dem Förster, der sich so oft über den
Spätromantiker Hoffmann bei dessen
Versuchen, das Waidwerk zu erlernen,
lustig gemacht hatte, lag offenbar in
einem Anflug von Reue daran, dass
Hoffmann bei dieser Jagd zum Schuss
kommen möge. Er stellte den Schützen
an den vielversprechendsten Stellen an
und tat auch sonst einiges, um ihm so
viel Anlauf wie möglich zu verschaffen.
Doch Hoffmann fehlte mehrere Hasen.
Und schon begann sich wieder Frust
bei ihm breit zu machen. Da kam plötzlich ein Reh hochflüchtig auf ihn zu. Er
schoss – und kurz darauf rief der Jagdleiter: „Das Reh ist getroffen; Herr Hoffmann, Sie haben es geschossen!“
Jedoch währte die unbeschreibliche
Freude nur von kurzer Dauer. Denn ein
„ganz gemeiner, verfluchter Kerl“ trat
hervor und stellte Hoffmanns Meisterschuss in Frage. „Meine Herren“, begann der Nachbarschütze also, „jenes
Herrchen da stand neben mir. Er fehlte,
und ein zweiter Schuß des neben ihm
gestandenen Herrn Försters, hat erst
getroffen. Hätte der kleine Herr das Reh
getroffen, so müßte man in die Schußwunde mit der Faust hinein können, da
Links: Ob dieser Kupferstich von Joh. Elias Ridinger die Fantasie
und Jagdpassion auf Rehwild bei unserem Spätromantiker
E. T. A. Hoffmann beflügelte? Das Bild zeigt einen 43-Ender
Rehbock, der 1577 von Christoph von Crailsheim in Walsdorf bei
Bamberg erlegt worden sein soll.
Fotos: Staatsbibliothek Bamberg, Gerald Raab
Unten: Das von E. T. A. Hoffmann gezeichnete Bild zeigt ihn selbst
(r.) und seinen jagenden Freund Carl Friedrich Kunz (l.).
es auf höchstens sechs Schritt bei ihm
vorbei fuhr und er den Gewehrkolben
statt an den Backen auf den Nabel aufgesetzt hatte, so daß das Thier, wäre
Andreas Brandner
Der Historiker ist Mitglied der
Kreisgruppe Bamberg und dort
als Pressereferent für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Bei
Recherchen zu E. T. A. Hoffmann
stieß er in den Lebenserinnerungen des Verlegers C. F. Kunz auf
einen Bericht über Hoffmanns
Versuche, als Jäger zu reüssieren.
es von ihm getroffen, durch und durch
schon entschuldigend in seinem Buch
geschossen sein müßte, während man
‚Aus dem Leben zweier Dichter‘ fort,
kaum ein paar Schrot im Halse sieht.“
„durfte diese Szene nicht umgangen“
Hoffmann entrüstete sich lautstark dawerden.
rüber, dass ihm „sein“ Reh streitig gemacht wurde. Der Förster jedoch gab
Nach dem Tode E. T. A. Hoffmanns,
dem Jäger mit den Augen rasch ein
aber noch zu Lebzeiten Carl Friedrich
Zeichen – dieser verKunz`,
schrieb
stand und gab vorDen Gewehrkolben hatte Julius Eduard
dergründig klein bei.
Hitzig eine sehr
er
statt
an
den
Backen
auf
Jeder solle, so der
bekannte BiograFörster, Hoffmann den Nabel aufgesetzt
phie über E. T. A.
die Ehre durch den
Hoffmann, in der
verdienten Bruch erweisen, und so
er Hoffmanns jagdliche Abenteuer
brach die Korona Eichenlaub ab und
erwähnte: „Auch die Jagd fing an ihn
steckte es auf Hoffmanns Hut.
zu beschäftigen“, schrieb Hitzig, „er
blieb hier, wie überall, kein Stümper,
Kam ein Fremder zur Jagdgesellund triumphirend verzeichnet er am
schaft hinzu und fragte, wer das Reh
25. Oktober in sein Diarium: ein Reh
geschossen habe, dann antwortete
geschossen und mich gefreut.“
Hoffmann ganz ruhig und gleichgültig: „Ich“. Wer ihn jedoch kannte und
Als Kunz die Biographie las, stellte er
genau hinsah, so schrieb Kunz später,
fest, dass dieser Satz nicht ganz falsch
konnte aus seinen glänzenden Augen
sei, doch korrekterweise so lauten
die Freude über den Triumph der Tat
müsse: „Auch die Jagd fing an ihn zu
herauslesen. Um Hoffmanns gesambeschäftigen. Er blieb wie überall kein
ten Charakter zu erfassen, „allen vo– nur hier – ein Stümper; kein Reh geran seine Eitelkeit“, so fuhr Kunz fast
schossen, sich aber doch gefreut.“
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