Editorial Tanz Info Bern Liebe Leserinnen und Leser Zum Auftakt des Festivals «Tanz in. Bern 2014» in der Dampfzentrale am 16. Oktober standen wir im Publikum als der künstlerische Leiter Georg Weinand nach seiner Eröffnungsrede das Mikrofon Michael Wälti überliess, einem Jungen Choreografen und Tänzer aus Bern. Seine Worte beeindruckten uns sehr, weil sie unmittelbar und direkt einen Einblick bieten zur Befindlichkeit eines Tänzers, seinem Schaffen und Hoffen. Es freut uns, dass wir Ihnen hier die Rede von Michael Wälti in der Originalfassung wiedergeben können, denn das Tanz Info Bern steht seit seiner Gründung genau für dieses genussvolle Tanz-Schaffen ein. «Ich will die Menschen zum Tanzschauen verführen» sagte Michael in seiner Rede. Das wollen wir auch! Wir wünschen eine friedliche Adventszeit und einen hoffnungsvollen Jahreswechsel Irene und Klaus Ehret « Sehr geehrte Damen und Herren Mein Name ist Michael Wälti, ich bin junger Choreograph und Tänzer. Ich war gerade in Sizilien eine Vorstellung am vorbereiten, als mich Georg Weinand anrief. Er fragte mich, ob ich nicht Lust hätte zur Eröffnung des «Tanz In Bern» Festivals einen Text vorzulesen. Ich hatte mich vor Kurzem für Bern als Wahlheimat für mein tänzerisches Schaffen entschieden. «Mutig, finde ich das.», sagte Georg zuvor in einem Treffen in der Dampfzentrale. «Wie siehst du denn deine Zukunft hier in Bern? Welche Ziele verfolgst du?» Darüber bat er mich heute hier an der Eröffnung dieses Festivals zu sprechen. Bern ist ein Dorf. Aber Bern hat das Kulturleben einer Grossstadt. Anlass reiht sich an Anlass und Festival an Festival. In den letzten Jahren stelle ich ein wachsendes Interesse am Tanz fest. Die Zeitgenössische Tanzszene ist jedoch klein und führt nur ein Schattendasein in der kulturellen Vielfalt. Meine befreundeten Tänzer sagen deshalb: «Es ist langweilig in Bern». Ich sehe das anders. Ich sehe Potential und Freiraum. Ich sehe einen grossen Spielplatz. Man kann etwas bewegen. Wir Tanzmacher können diese Langeweile durchbrechen. Auf was hoffe ich also in Bern? In meinen ersten Jahren in Amsterdam, waren die Niederlande ein Schlaraffenland für meinen tanzhungrigen Geist. Im Abschlussjahr meiner Ausbildung 2012 wurde von der stark rechts-populistischen Regierung ein Sparpaket verabschiedet, das 50% Kürzungen in der Kulturförderung vorschrieb. Das waren keine Kürzungen, aber ein Kahlschlag. Ich arbeitete damals im Tanzhaus Station Zuid als Stagier > 1 2 Tanz Info Bern > mit Genevieve Osborne und Milena Twiehaus, die zufällig heute Abend hier bei Emanuel Gat auftreten werden. Die Finanzierung dieses Produktionshauses, wo wir tanzten, wurde von vier Millionen Euro auf null Euro gekürzt. Wir alle verloren damals unsere Arbeit und nach zwei weiteren harten Jahren in Amsterdam als freischaffender Tänzer kehrte ich nach Bern zurück. Aber was war eigentlich passiert? Wie kam dieser Kahlschlag im Kultursektor zustande? In den Niederlanden sassen vor allem Tänzer im Publikum. Aber keine Niederländer. Die Zeiten von geschlossenen und elitären Kunstszenen sind vorbei. Der introvertierte Künstler, der sich zu schade ist, mit den anderen Leuten zu kommunizieren, ist tot. Es ist unsere Verantwortung als Tanzmacher, die Tore zu öffnen und die Öffentlichkeit in unsere Arbeit miteinzubeziehen. Mir ist es wichtig, dass die ganze Berner Tanzszene floriert und dass meine eigene Arbeit Teil davon sein kann. Und ich möchte, dass in Bern mehr internationaler Durchlauf entsteht. Und ich möchte, dass Tänzer nach Bern kommen, weil es spannend ist hier. Ich möchte, dass Bern das Schlaraffenland wird, das die Niederlande einst für mich war. Das hoffe ich. Nach einigen Stücken in Bern mit dem Bern Retour Kollektiv, choreographierte ich vor einem Jahr in Amsterdam zum ersten mal für meine eigene Gruppe «Bite Bullet Dance». Der Name der Gruppe kommt von dem Englischen Ausdruck «to bite the bullet». Der Ausdruck bedeutet sinngemäss, dass man etwas, das lange aufgeschoben wurde, am Ende doch tut. Etwas, das einem widerstrebte. Das war mein anfängliches Gefühl gegenüber der Vorstellung, dass ich Choreograph werden sollte. Aber die Hingabe meiner Tän- zer unter schwierigen und unbezahlten Bedingungen, meine Verbundenheit mit ihnen, das positive Feedback des Publikums gegenüber meiner Arbeit und nicht zu letzt meine grenzenlose Begeisterung für den Körper und dessen Möglichkeiten, überzeugten mich diesen Weg weiter zu gehen. Ich hoffe, dass ich im nächsten Jahr 2015 mein erstes abendfüllendes Stück hier in der Dampfzentrale präsentieren kann. Ich hoffe, dass es restlos ausverkauft sein wird. Ich hoffe, dass meine Tänzer nach der Vorstellung eine teure Flasche Champagner kriegen. Ich hoffe, dass ich hier mit meiner eigenen Kompanie Fuss fassen und während dem ganzen Jahr arbeiten kann. Ich hoffe, dass all meine Freunde meine Vorstellungen sehen werden. Und das sind viele Freunde, die noch nie eine Tanzvorstellung gesehen haben. Ich möchte den Menschen den Tanz als etwas präsentieren, das Freude bereitet. Ich will die Menschen zum Tanzschauen verführen. Zeitgenössischer Tanz ist eine verdammt schwierige Kunstform, denn der Körper spricht eine subtilere und verworrenere Sprache als verbal intellektuelle Mittel. Aber wenn der Zugang einmal gelegt ist, dann wird Tanz für den Zuschauer wie der Wein für den Weinkenner: eine unbegrenzte Nahrungsquelle für die Sinne. Ich persönlich, will den Tanz zu seiner ursprünglichen Stärken zurück bringen. Das ist Rhythmus, Bewegung und Fantasie. Tanz ist visuelle Musik für mich und bereitet mir grossen Genuss. Genuss wird ja häufig als zu wenig seriösen Grund gesehen, um Kunst zu machen. Aber ich mache Kunst, weil ich es gerne mache. Vielen herzlichen Dank. » www.michaelwalti.com
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