DE R NACKTe WA HN SINN Michael Frayn 2 Premiere am 21. November 2015, 19.30 Uhr Staatstheater Darmstadt, Kleines Haus Der nackte Wahnsinn Michael Frayn, Deutsch von Ursula Lyn Dotty Otley (Mrs. Clackett) Regine Vergeen Garry Lejeune (Roger Tramplemain) Wolfgang Böhm Brooke Ashton (Vicki) Katharina Hintzen Frederick Fellowes (Philip Brent/Scheich) Hubert Schlemmer Belinda Blair (Flavia Brent) Karin Klein „Beutel und Karton! Beides nicht weg!“ Roger Tramplemain Selsdon Mowbray (Einbrecher) Ulrich Cyran Lloyd Dallas, Regisseur Christian Klischat Poppy Norton-Taylor, Regieassistentin Katharina Susewind Tim Allgood, Inspizient Christian Bayer Regie Caroline Stolz Bühne und Kostüme Lorena Díaz Stephens, Jan Hendrik Neidert Licht Thomas Gabler Regieassistenz Clemens Braun Produktionsassistenz Sonia Thorner-Vela Kostümassistenz Joanna Paszkiewicz Inspizienz Gabriele Reißdorff Soufflage Susanne Mayer-Moazezi Bühnenmeister Dirk Hahn Ton Wendelin Hejny Maske Manuela Kutscher, Christoph Pietrek Requisite Bianca Bonn Aufführungsrechte Hartmann & Stauffacher GmbH, Verlag für Bühne, Film, Funk und Fernsehen, Köln Aufführungsdauer ca. 2 Stunden 20 Minuten, eine Pause Aus rechtlichen Gründen sind Ton- und Bildaufnahmen nicht gestattet. Bitte schalten Sie Ihre Mobiltelefone aus. 2 3 Regieanweisung, Textbuch S. 81 Belinda kniet auf der Empore und nimmt Lloyd die Axt weg. Dotty holt mit der Whiskyflasche aus, um sie Garry auf den Kopf zu schlagen. Lloyd nimmt Dotty die Flasche weg. Dotty greift sich Garrys Krawatte. Belinda haut mit der Axt die Krawatte in zwei. Belinda, Dotty und Garry halten sich vor Schreck den Mund zu. Lloyd geht zu Brooke und setzt sich neben sie. Brooke rückt einen Stuhl weiter. Lloyd rückt auf. Poppy geht freudig mit den Blumen zu Lloyd und setzt sich auf den frei gewordenen Stuhl. Lloyd nimmt Poppy die Blumen weg und hält sie Brooke hin. Poppy nimmt Lloyd die Blumen weg und geht zum I-Pult. Brooke haut Lloyd die einzelne Blume über den Kopf und geht ab, zu den Garderoben. Lloyd trinkt einen Schluck Whisky. Währenddessen: Garry entreißt Belinda die Axt und geht auf Frederick zu. Dotty legt die Arme schützend um Frederick. Belinda reißt Frederick von Dotty weg. Dotty reißt ihn zurück. Dotty entreißt Garry die Axt, um damit auf Belinda loszugehen. Garry stellt sich schützend vor Belinda. Dotty holt mit der Axt aus. Frederick nimmt Dotty die Axt weg. Dotty würgt Garry. Belinda nimmt Frederick die Axt weg und trennt Dotty und Garry. Mit der Axt verfrachtet sie Garry zu seinem Auftritt. Dotty nimmt Belinda die Axt weg, um auf sie loszugehen, als sie merkt, dass Garry bereits auftritt. Alle Fehler des Menschen verzeih ich dem Schauspieler, keine Fehler des Schauspielers verzeihe ich dem Menschen. Johann Wolfgang von Goethe Katharina Susewind, Karin Klein, Wolfgang Böhm D as S t ü ck 4 5 Der nackte Wahnsinn kam als kurzer Einakter mit dem Titel Exits zur Welt. Es war ein Auftragswerk für eine Mitternachtsvorstellung am Theatre Royal 1977. Daraufhin gab Michael Codron eine abendfüllende Version in Auftrag. Nachdem das Stück 1982 im Lyric, Hammersmith, Premiere hatte, nahm ich weitere erhebliche Änderungen vor. Tatsächlich hörte ich nicht auf, den Text zu ändern, bis Nicky Henson, der den Garry spielte, im Namen des Ensembles verkündete (so wie es der echte Garry vermutlich getan hätte), dass sie keine neuen Versionen lernen würden. Das Stück wurde ins Savoy Theater übernommen und bis 1987 gespielt, mit fünf unterschiedlichen Besetzungen. Für zwei der Umbesetzungen unternahm ich weitere Text-Änderungen. Für die Inszenierung des Stücks in Washington 1983 schrieb ich weiter um, ebenso als es zum Broadway transferiert wurde. Der Text, der in den letzten 15 Jahren vom Verlag herausgegeben wurde, enthält eine Reihe von bizarren Druckfehlern, und ich kann nur vermuten, dass die Regisseure zu einigen haarsträubenden Mitteln greifen mussten, um ihnen einen Sinn zu geben. Was bei der Übersetzung mitunter passiert sein mag, kann ich nur vermuten. Ich weiß, dass man es in Frankreich unter zwei verschiedenen Titeln gespielt hat (manchmal gleichzeitig) und in Deutschland unter vier. In Italien wurde ein „Sardinen-Song“ zwischen den Akten eingefügt und in Prag spielte man das Stück knapp zehn Jahre lang ohne den dritten Akt, was niemandem auffiel, bis ich eine Aufführung besuchte. Für das Revival im National Theatre in London 2000 habe ich das Stück wieder umgeschrieben. Einige dieser Änderungen gingen von mir aus, andere entstanden durch die radikale Kritik und die unwiderstehlichen Erfindungen des Regisseurs Jeremy Sams. Ich hoffe, dass niemandem die Veränderungen bewusst auffallen, aber wenn ich einige besonders geliebte Fehler oder Widersprüchlichkeiten ausgemerzt habe, bitte ich um Entschuldigung. Michael Frayn Wolfgang xxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Böhm, Regine Vergeen 6 7 Regine Vergeen, Wolfgang Böhm, Hubert xxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Schlemmer, Karin Klein 8 9 Ich flehe Sie an, bitte hören Sie auf, das Theater zu lieben. Wirklich, da ist so wenig Gutes dran. Das Gute wird maßlos übertrieben, das Ekelhafte maskiert. Das Theater heute ist die Krätze, eine üble Krankheit der Städte. Man muss diese Krankheit mit dem Besen austreiben, und sie zu lieben ist ungesund. Anton Tschechow Katharina Hintzen, Christian Klischat, Hubert Schlemmer, Karin Klein 10 11 „Und ist es Wahnsinn, so hat es doch Methode …“ Vor allem Hollywood-Schauspieler schwören, so scheint es, auf „the Method“. Konstantin Stanislawski (1863–1983) ist der Vater dieser Art des Schauspielens, bei der der Schauspieler seine Rolle gänzlich internalisieren und die Emotionen selber fühlen muss, um sie glaubhaft auf der Bühne oder im Film darzustellen. Trotz einiger Skepsis hat sich „the Method“ vor allem in den USA durchgesetzt, wo Lehrer wie Lee Strasberg, Elia Kazan und Stella Adler die Idee zum „Method Acting“ weiterentwickelten und immer mehr präzisierten. 1947 gründete Kazan das heute berühmte Actor’s Studio in New York, das sich dieser Lehre bis heute ausschließlich widmet. Die Gegner der Methode befürchteten, über zu viel Gefühl könnte die Technik verlorengehen. Sir Laurence Olivier brachte diese Zweifel in den 70er Jahren auf den Punkt, als er zusammen mit Dustin Hoffmann den Film Marathon Man drehte. Die Figur, die Dustin Hoffmann darstellte, durchlebt viele schlaflose Nächte und hat ein rigides Lauftraining zu bewältigen. Hoffmann, ein eifriger Schüler des Method Acting, bereitete sich auf seine Rolle vor, indem er sich einige Nächte hintereinander den Schlaf verweigerte. Auf Oliviers Frage, warum er so schlecht aussehe, berichtete Hoffmann ihm von seiner Methode. Der erstaunte Olivier entgegnete ihm darauf sanft: „Warum versuchst du es nicht mit Schauspielen? Das ist viel einfacher.“ David Mamet Christian Bayer 12 13 Der Ruhm der Welt Der Schauspieler herrscht im Vergänglichen. Von allem Ruhm ist bekanntlich der seine der flüchtigste. So heißt es wenigstens allgemein. Als Darsteller des Vergänglichen übt und vollendet der Schauspieler sich nur in der Welt des Sichtbaren. Es gehört zur Konvention des Theaters, dass das Herz sich nur durch die Gebärden und im Körperlichen verständlich macht – oder durch die Stimme, die gleichermaßen Körper und Seele ist. Nach dem Gesetz der Kunst wird alles vergröbert und in Fleisch und Blut übertragen. Müsste man auf der Bühne so lieben, wie man wirklich liebt, müsste man die unnachahmliche Stimme des Herzens verwenden und schauen, wie man wirklich dreinschaut, dann bliebe unsere Sprache geheimnisvoll und unverständlich. Die Pausen müssen hier hörbar werden. Die Liebe steigert ihren Ton, und selbst die Bewegungslosigkeit wird ein Schauspiel. Der Körper ist König. „Theatralisch“ ist nicht jeder, der es sein will, und dieses zu Unrecht in Verruf geratene Wort umschließt eine ganze Ästhetik und eine ganze Moral. Die Hälfte eines Menschenlebens geht in stillem Gewährenlassen dahin, im Wegblicken und Schweigen. Der Schauspieler dringt hier ein. Er löst den Bann dieser gefesselten Seele, und die Leidenschaften stürzen sich endlich auf die Bühne. Sie sprechen aus allen Gebärden, sie leben nur im Schrei. So komponiert der Schauspieler seine Gestalten für die Schau. Er zeichnet oder meißelt sie, er schleicht sich in ihre imaginäre Gestalt ein und leiht ihren Phänomenen sein Blut. Albert Camus Gabriele Drechsel, Liese Lyon, Karin Klein Karin Klein 14 15 Gabriele Drechsel xxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Wolfgang Böhm 16 17 Erleuchtungsmomente Die Erleuchtungsmomente im Theater sind natürlich keine isolierten Ereignisse. Die Spannung baut sich immer mehr auf, bevor der Blitz einschlägt, und die Partikel, in denen sich die Elektrizität sammelt, sind die Zuschauer. Ich habe manchmal das Gefühl, dass die Fähigkeiten des Publikums nicht genug gewürdigt werden. Natürlich kommen manche Zuschauer zu spät, manche kommentieren das Geschehen laut und andere husten genau auf der Pointe. Aber das Überraschende ist doch, wie wenige sich so verhalten und wie viele die Theaterkonventionen kennen und bereit sind, sich danach zu richten. Zwei, fünf oder zehn gute Schauspieler zu finden, die ein Stück aufführen, ist sehr schwer, aber jeden Abend zweihundert oder fünfhundert oder tausend gute Zuschauer zu finden, die sich das Stück ansehen, ist ein Wunder. So viele Menschen in einem Raum, die zwei Stunden lang still sitzen und zuhören – ohne Parolen zu rufen und ohne unter der Anstrengung der gemeinsamen Selbstdisziplin zusammenzubrechen! Einem guten Publikum anzugehören ist berauschend. Die Geräusche, die sie um einen herum machen, gehören genauso zu der Aufführung wie die Geräusche auf der Bühne: Das Geräusch der wachsamen Aufmerksamkeit bevor der Vorhang aufgeht – das Geräusch der Stille – das Geräusch, wenn die Verwicklungen verstanden werden – das Geräusch der des Lachens und der Reaktion. Und wenn die Elektrizität in der Luft ist, kann ein ganz nebensächliches Geschehen den Funken entzünden. Michael Frayn Gabriele Drechsel, Liese Lyon, Karin Klein Katharina Hintzen z um A utor 18 19 Die Biographie des 82-jährigen Autors Michael Frayn, der mit Der nackte Wahnsinn eine der meistgespielten Komödien aller Zeiten geschrieben hat, ist zunächst alles andere als komisch. Er wächst in bescheidenen Verhältnissen in der Nähe von London auf, als er 12 Jahre alt ist, stirbt seine Mutter, eine Verkäuferin, an einem plötzlichen Herzversagen. Dennoch gibt er als Quelle für seinen mitunter schwarzen Humor seine Kindheit an, vor allem den Einfluss seines Vaters, eines gehörlosen Asbest-Verkäufers. Dieser erzählte immerzu Witze und Geschichten, um seine Gesprächspartner davon abzuhalten, Dinge zu sagen, die er nicht hören konnte. Michael Frayn lernt schnell, Humor als Waffe einzusetzen und durch ihn Verbündete zu finden. Nach dem Französisch- und RussischStudium (inklusive Russland-Aufenthalt) und einem Abschluss in Philosophie an der Universität in Cambridge, arbeitet Frayn einige Jahre als Reporter für den „Observer“ und den „Guardian“, bevor er anfängt, Theaterstücke zu schreiben. Seit 1965 ist er einer der erfolgreichsten europäischen Gegenwartsautoren für Bühne, Film und Fernsehen, er hat Autoren wie Tolstoi, Tschechow und Anouilh übersetzt, und zahlreiche Romane geschrieben. Neben dem Bundesverdienstkreuz, dem Tony Award und dem Man Booker Prize wurde er mit zahlreichen weiteren Auszeichnungen bedacht. Hierzulande kennt man Frayn vor allem durch seine Theaterstücke, neben Der nackte Wahnsinn vor allem Kopenhagen (1996) und Demokratie (2002), letzteres ein Stück über Willy Brandt und Günther Guillaume. Michael Frayn lebt mit seiner zweiten Frau, der englischen Literaturkritikerin Claire Tomalin, in London. Gabriele Drechsel, Liese Lyon, Karin Klein Christian Klischat, Regine Vergeen, Karin Klein, Ulrich Cyran 20 21 Anfertigung der Dekorationen und Kostüme in den Werkstätten des Staatstheaters Darmstadt. Technische Gesamtleitung Bernd Klein Bühneninspektor Uwe Czettl Leiter der Werkstätten Gunnar Pröhl Assistent Technischer Direktor / Technischer Leiter der Kammerspiele Jonathan Pickers Technische Assistenz Konstruktion Christin Schütze Leiterin Kostümabteilung Gabriele Vargas-Vallejo Leiter des Beleuchtungswesens Dieter Göckel Leiter der Tontechnik Alfred Benz Chefmaskenbildnerin Tilla Weiss Leiterin der Requisitenabteilung Ruth Spemann Leiter des Malsaals Armin Reich Kaschierwerkstatt Lin Hillmer Leiter der Schreinerei Matthias Holz Leiter der Schlosserei Jürgen Neumann Leiter der Polster- und Tapezierwerkstatt Roland Haselwanger Gewandmeisterei Lucia Stadelmann, Roma Zöller (Damen), Brigitte Helmes (Herren) Schuhmacherei Anna Meirer Textnachweise: Michael Frayn, Stage Directions. Writing on Theatre 1970–2008. Verlag Faber und Faber, London 2009 | Peter Simhandl (Hg.), Die ganze Welt ist Bühne. Schauspielergeschichten. Reclam Verlag, Stuttgart 1994 | James Fenton (Hg.), The Original Michael Frayn. Seventyfour pieces from Michael Frayn’s columns in the Guardian and the Observer. Methuen Humour Classic, London 1990 | James Inverne (Hg.) Inverne’s Stage and Screen Trivia. Sanctuary Publishing, London 2004 | Michael Frayn, Noises Off. A Play in Three Acts. Anchor Books, New York 2000 | David Mamet, Richtig und Falsch. Kleines Ketzerbrevier samt Common sense für Schauspieler. Alexander Verlag, Berlin 1997 || Rechteinhaber, die nicht erreicht werden konnten, werden gebeten, sich zwecks nachträglicher Rechteabgeltung zu melden. Danke an Anika Bárdos für ihr Text-Material. Für die freundliche Unterstützung danken wir dem Blumenladen fleur in. fleur in Schulstraße 10 IMPRESSUM Spielzeit 2015 |16, Programmheft Nr. 14 | Herausgeber: Staatstheater Darmstadt Georg-Büchner-Platz 1, 64283 Darmstadt | Telefon 06 15 1 . 28 11 — 1 | www.staatstheater-darmstadt.de | Intendant: Karsten Wiegand | Geschäftsführender Direktor: Jürgen Pelz | Redaktion: Sabine Kozinc | Fotos: Michael Hudler | Gestalterisches Konzept: sweetwater | holst, Darmstadt | Ausführung: Hélène Beck | Hersteller: DRACH Print Media GmbH, Darmstadt Theater Ins Licht treten Die Treff baren, die Erfreubaren, Die Änderbaren. Bertolt Brecht 22 „Das ist Farce. Das ist Theater. Das ist Leben.“ Lloyd Dallas, Regisseur
© Copyright 2024 ExpyDoc