Der schillernde Wahnsinn des Andy Strauß von Arne Schulz Andy Strauß stiert hypnotisierend auf das Blatt vor seiner Nase. Als müsse er jedes Wort einzeln heraus locken, krümmen sich die Finger der rechten Hand über dem Papier. Seine Stimme überschlägt sich ins Mikrofon. Als er geendet hat, johlen die über 200 Zuschauer im Cuba Nova. Der Mann mit der grauen Wollmütze grinst kurz in seinen Bart und bahnt sich mit wippenden Schritten einen Weg durch die Menschenmasse. 19.05 Uhr. Die Veranstalter haben das Cuba Nova umgeräumt. Rechts neben dem Eingang steht ein grob gezimmertes Podest. Hier, zwanzig Zentimeter über dem Boden, werden die Slammer ihren Wettstreit austragen. Auf einer Kiste aus Sperrholz thront eine Flasche Absinth. An die Fensterscheibe ist mit Klebeband ein schiefer Streifen Pappe geklebt. Die Aufschrift lautet: Tatwort No. 27. Schräg vor der Bühne sitzt Andy Strauß an einem langen nussbraunen Tisch. Die Beine überschlagen, unterhält er sich mit Pauline Füg, 25, Slammerin aus dem bayerischen Eichstätt. Sie trägt braunes kinnlanges Haar. Ihre Haut ist blass, unter den Augen liegen dunkle Ringe. Zehn Tage ist sie mit ihrem Kollegen Tobias Heyel unterwegs in Deutschland, reist von Slam zu Slam und vernachlässigt ihre Diplomarbeit in Psychologie. Die Kellnerin bringt ihr einen Teller Spaghetti. Nach und nach treffen weitere Slammer ein: Anke Fuchs und Florian Cieslik aus Köln, Dorian Steinhoff aus Trier. Man umarmt sich zur Begrüßung, klopft sich die Schultern. Slammer aus ganz Deutschland 20.20 Uhr. Auf der Treppe zur Dachterrasse drängt sich das überwiegend studentische Publikum aneinander, zwischen den Tischen stehen sie Schulter an Schulter. Kaum vorstellbar, dass die Leute vor der Tür noch einen Platz finden werden. Tobias Kunze, 26, Rekordslammer aus Hannover (nach Unter dieser grauen Wollmütze wohnen Elefanten und schizophrene Batterienlecker. Foto: Malte Spindler Die Regeln Zwei Vorrunden mit maximal sechs Teilnehmern werden ausgelost. Jeder Slammer bekommt sieben Minuten Zeit. Mit Körper, Stimme und Text aber in jedem Fall ohne weitere Hilfsmittel versuchen sie das Publikum zu überzeugen. Danach vergibt jeder Zu Was ist eigentlich Poetry Slam? schauer auf einem Stimmzettel Punkte von Eins bis Zehn. Die beiden Gruppenersten erreichen das Finale und bekommen eine zweite Redezeit. Danach bestimmt das Publikum per Applaus den Sieger. eigenen Angaben über 350 Auftritte), schlägt sich zum Slammer-Tisch durch. Sein Zug hatte Verspätung. Mit einem jungenhaften Grinsen setzt er sich an den letzten frei gehaltenen Platz. Nervöse Witzeleien werden ausgetauscht. „Habe ich was verpasst“, fragt Tobias Kunze. „Nö, ist nix los heute.“ Dorian Steinhoff ist in sich gekehrt, das Kinn auf die Fäuste gestützt. Pauline Füg umschlingt ihre Beine, kauert sich auf dem Stuhl zusammen. Andy Strauß reißt Augen und Mund auf: Schillernder Wahnsinn. „Ah, ich hab eine Idee“, kindelt er und verzieht das Gesicht als habe er Schmerzen. Dann holt er ein Schmierheft hervor und kritzelt darin herum. Fast jeden Tag schreibt er einen neuen Text. Er schreibt, als würde er schon vortragen. Auf der Bühne lässt er sich vom Text mitreißen. „Deshalb muss ich auch nie üben“, frotzelt er. Den Text, mit dem er im WDR gewann, habe er drei Tage vorher geschrieben. 21.05 Uhr. Anke Fuchs setzt sich mit leicht enttäuschter Miene an den Slammer-Tisch. Mit monotoner Stimme hat sie von ihren Erfahrungen bei der Selbsthilfegruppe für Adrenalinjunkies erzählt. Sie war die Dritte, ihre Vorgänger haben auch nicht mehr als höflich warmen Applaus bekommen. „In Münster probiere ich nur aus.“ Das Publikum will lachen, das spürt man. „Ich hab hier auch schon mal mit einem ernsten Text gewonnen.“ Andy Strauß legt den Kopf zur Seite und schenkt ihr ein klimperndes Lächeln. „Das war schön.“ Anke Fuchs sieht erschöpft aus. Das Gesicht ist blass, die Augen sind gerötet. „Platzangst“, erklärt sie und schüttelt sich. Als nächstes wird Andy Strauß ausgelost. „Mit dem Text komme ich eh nicht weiter. In Münster probiere ich meistens nur aus.“ Als er das Podest betritt, ertönt lauter Beifall. Andy Strauß hat ein Heimspiel. Was folgt, ist eine Abhandlung über die Wissenschaft des Elefanten. Beginnend mit seiner Anatomie, steigert er sich zum Tötungsverhalten. „Reich mir die Tatze, süsse Katze! Andy Strauss bittet zum Tigertanz in der Barracke. Foto: Malte Spindler Immer absurder werden die Tötungsakte des Elefanten. „Obwohl der Elefant Vegetarier ist, lässt er sich die Freude der Enthauptung nicht nehmen.“ Das Publikum grölt und kreischt. Andy Strauß grinst kurz in seinen Bart. Er weiß, die Zuschauer werden ihn ins Finale wählen. Als er sich an den Slammer-Tisch setzt, bricht ein keuchendes raues Lachen aus ihm heraus. Die anderen Slammer schütteln wohlwollend die Köpfe. 0.20 Uhr. Die letzten drei Stunden verschwimmen. Lachen, Abstimmen, Pause, Lachen, Abstimmen, Erschöpfung. Jetzt ist alles vorbei und die Gäste strömen nach Draußen. Schon nach der Vorrunde sind Einige gegangen, es ist spät geworden für einen Montagabend. Andy Strauß ist am Ende Dritter. Im Finale hat er einen eifersüchtigen Junkie an Autobatterien lecken lassen. Die Schmerzschwelle der Zuschauer war überschritten. Tobias Kunze gelang es mit einer Reise in die Vergangenheit vom Tisch seines Chinarestaurants, das müde Publikum noch einmal in Begeisterung zu verset- zen. Damit verdiente er sich die Flasche Absinth. Lange wollen die Slammer heute nicht mehr machen. „Wer ist eigentlich Andy Srrauß?“ Der Mann mit der grauen Wollmütze ist noch immer wie aufgedreht. Er steht an der Theke, mit einem Bier in der linken und einer trichterförmigen Zigarette in der rechten Hand. Jetzt ist die Zeit, in der er seinen Slamkollegen die Handykamera ins Gesicht hält und fragt: „Wer ist eigentlich Andy Strauß?“ Die Antworten will er mit einem Gitarrenverstärker verzerren und in einem dunklen Kellerraum auf die Wand projizieren. „Aber alles noch nicht ausgearbeitet.“ Will er das Slammen mal zum Beruf machen? So wie die paar Altslammer, die in Schulen Slam-Workshops abhalten, bezahlt mit Mitteln des Bildungsministeriums. „Ich plane nicht so gerne voraus, aber ich will auf jeden Fall Künstler sein“, sagt Andy Strauß und wirkt auf einmal sehr nachdenklich. Dafür würde er auch nachmittags Blumen verkaufen, Hauptsache flexible Arbeitszeiten. „Oder halt Werbetexter in Mettmann“, fügt er hinzu und das frotzelnde Grinsen ist auf seinem Gesicht zurück. Ein Schönheitschirurg hatte ihn im WDR gesehen und daraufhin das Angebot gemacht. Andy Strauß betrachtet konzentriert einen Punkt an der Wand. „Ich hab da auch schon ganz viele Ideen“, sagt er und kramt sein Schmierheft heraus. Die WDR-Slammer Seit 2007 präsentiert Moderator Jörg Thadeusz den WDR Poetry Slam. Talentierte deutsche Slammer bekommen hier die Gelegenheit, ihr Können zu beweisen. Das Format wurde zuletzt für den Adolf-Grimme-Preis nominiert. Fünf Slammer, die im Cuba Nova auftraten, nahmen bereits an einem WDR-Slam teil: Andy Strauß, Florian Cieslik, Tobias Heyel, Pauline Füg und Tobias Kunze.
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