Kirche im Dialog Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland MISSION IM SPANNUNGSFELD VON DIALOG, EVANGELISATION UND APOLOGETIK EIN THESENPAPIER Missionsbegriff 1. Der Begriff „Mission“ (lat.: Sendung, Auftrag) wird in der innerkirchlichen wie in der gesellschaftlichen Diskussion bzw. Auseinandersetzung mit einer Fülle unterschiedlicher (Be-)Deutungen belegt, deren meist unausgesprochene Voraussetzungen und Wertungen das Eigen-Verhältnis zu anderen Religionen, Weltanschauungen und Weltdeutungen bestimmen. Im Rahmen dieser Deutungen wird „Mission“ u. a. als eine der Wesensäußerungen kirchlichen Handelns1, als eine auf Taufe abzielende Evangelisierung, als gezielte ReEvangelisierung in einer säkularisierten Gesellschaft verstanden. Oftmals wird die abgrenzende Ablehnung „der Mission“ zudem mit einer vermeintlich durch Gewalt und Unterdrückung indigener Kulturen erfolgten Mission „der Kirche“ in der Kolonialzeit begründet. Jedem Verständnis von „Mission“ wohnt zudem implizit oder explizit eine Verhältnisbestimmung zu anderen religiösen und weltanschaulichen Sinn- und Weltdeutungssystemen inne, die sich auf die Begegnung und das Gespräch mit Vertretern eines anderen Wirklichkeitsverständnisses auswirkt. 2. Die biblischen Grundlagen für ein christliches Missionsverständnis gründen u. a. in Acta 1,8 und Mt 28,18-20: Aller Welt soll die Botschaft der Zuwendung Gottes zu den Menschen in Jesus Christus bekannt gemacht und durch die Kraft des Heiligen Geistes der Glaube an diesen einen Gott bezeugt werden. Quelle aller den Menschen und diese Welt verwandelnden Mission der Kirche ist Jesus Christus als das Fundament des Glaubens. 3. In der Mission der Kirche, d. h. in der Verkündigung des gegenwärtig angebrochenen und vollendet noch ausstehenden Gottesreiches, ist Gott der unmittelbar Handelnde. „Die Mission des einen liebenden Gottes ist eine Mission der Barmherzigkeit und Gnade und nicht der Verlassenheit und Macht.“2 Die Mission dieses missionarischen Gottes (missio dei) hat drei Dimensionen: Schöpfung, Erlösung, Heiligung. Diese trinitarische „Gemeinschaft der göttlichen Sendung“ ist der Raum, in der die Kirche an der Mission Gottes teilhat. Insofern gehört die Mission zum Wesen der Kirche.3 1 Verfassung der Nordkirche, Art. 1, Abs. 5. Mission im Kontext, 25f 3 Im Folgenden wird hinsichtlich des vierfachen Auftrags der Kirche allein auf das Zeugnis, die Verkündigung und die Weitergabe des Evangeliums Bezug genommen (martyria) nicht aber auf die Gemeinschaft der 2 1 Kirche im Dialog Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland Verhältnis zu anderen Religionen, Weltdeutungen und Weltanschauungen 4. In der Begegnung mit Angehörigen anderer religiöser und weltanschaulicher Vorstellungen ist das trinitarische Verständnis der missio dei eine Möglichkeit, einerseits die Einzigartigkeit Jesu Christi und den Absolutheitsanspruch des christlichen Glaubens zu unterstreichen, andererseits das Wirken des Heiligen Geistes auch in der Schöpfung, in anderen Religionen und anderen Weltdeutungen zu bekennen. 4 Dies impliziert nicht, anderen Religionen oder Weltdeutungen ein „anonymes Christentum“ (II. Vaticanum) zuzuschreiben und ihnen eine defizitäre Erkenntnis der eigenen Wahrheit insofern zuzuschreiben, als dass ihnen nur der Schleier einer falschen oder falsch interpretierten Wahrheitserkenntnis von den Augen gezogen werden müsste. Vielmehr wird mit einem solchen Verständnis der missio dei einerseits die Souveränität Gottes betont, in seiner gesamten Schöpfung wirksam zu sein. Andererseits erhebt ein solches Verständnis keinen objektivierten Anspruch auf Allgemeingültigkeit, sondern positioniert sich zu anderen religiösen wie nichtreligiösen Weltdeutungen und lässt Gegenpositionen zu, die einen vergleichbaren subjektiven Wahrheitsanspruch vertreten. In einer multikulturellen und multireligiösen Welt sind Begegnungen von Christen mit Anhängern anderer religiöser und nicht-religiöser Weltdeutungen und Wirklichkeitsverständnisse unausweichlich. Eine Kirche, die diese Begegnungen sucht, ist eine missionarische Kirche auf dem Weg zu den Menschen und nimmt wahr, was anderen Sinn und Halt für ihr Leben gibt. Dann darf die Kirche auch darauf vertrauen, dass ihr eigenes Zeugnis und die ihr anvertraute Botschaft Gehör und Verständnis finden werden. 5. Die Mission der Kirche als Ausdruck der missio dei führt zu drei unterschiedlichen Dimensionen kirchlichen Handelns im Verhältnis zu anderen Religionen bzw. Weltdeutungen. Diese drei Dimensionen sind aufeinander bezogen und zugleich voneinander zu unterscheiden. Evangelisation Mission/ missio dei Dialog Apologetik Christen (koinoniaden Gottesdienst und die Feier des Abendmahls (leiturgia oder den Dienst an anderen (diakonia Bezug genommen; wiewohl alle als sichtbarer Ausdruck des Auftrags der der missio dei anzusehen sind. 4 Mission im Kontext, 26-29 2 Kirche im Dialog Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland a. Der Dialog zielt ab auf ein gegenseitiges Sich-Kennenlernen, Sich-Begegnen und Sich-Verstehen. Im Mittelpunkt steht die sich auf Augenhöhe ereignende Begegnung, in der jeder Dialogpartner seinen Überzeugungen treu bleibend den anderen in dessen Glaubenswelt kennenlernt. Weder der Aufruf zur Konversion und die Einführung in den christlichen Glauben (Evangelisation) noch das Eintreten für den Wahrheitsanspruch des christlichen Glaubens und der christlichen Glaubenswahrheit für alle Welt stehen im Mittelpunkt, sondern vielmehr der Austausch und die Anerkenntnis der Koexistenz konkurrierender Welt- und Sinndeutungssysteme. Die wertschätzende, Begegnung mit Dialogpartnern anderer religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen ist Ausdruck des dialogischen Aspekts der Mission der Kirche. Zudem eröffnet gerade der Dialog mit anderen die Möglichkeit, den eigenen Glauben neu wahrzunehmen und somit ein erweitertes, tieferes Verständnis des Evangeliums zu eröffnen. b. Die Evangelisation intendiert die Weckung und Festigung der christlichen Glaubenswahrheit beim Gegenüber mit dem Ziel des Bekenntnisses zum dreieinigen Gott sowie der Aufnahme in die Gemeinschaft der Heiligen durch das Taufsakrament. Dabei stehen weder der Austausch über divergente religiöse Sinnstiftungen noch immanente Weltdeutungen, aber auch nicht die Abgrenzung des christlichen Bekenntnisses gegenüber anderen Lebenssinn stiftenden Wirklichkeitsdeutungen im Mittelpunkt, sondern vielmehr das subjektiv bejahte eigene Glaubenszeugnis. c. Grundanliegen der Apologetik ist die Darstellung und Abgrenzung des christlichen Glaubens und Bekenntnisses gegenüber anderen religiösen und weltanschaulichen Lebensdeutungsmodellen im Modus der dialogischen Apologetik. Die Apologetik beschränkt sich einerseits nicht auf den Austausch über unterschiedliche Weltdeutungsmodelle, intendiert aber andererseits auch keine Konversionen, sondern nimmt vielmehr konkurrierende religiöse und weltanschauliche Deutungssysteme vor dem Hintergrund von Bibel und Bekenntnis wertend und abgrenzend in den Blick und ist auf den Meinungsstreit zwischen unterschiedlichen Lebens- und Weltdeutungen angelegt. Dialog mit Konfessionslosen 6. Im Sinne der o. a. beschriebenen Dimensionen der missio dei hat die Arbeitsstelle Kirche im Dialog Anteil an der Mission der Kirche, indem durch die ASt KiD der Aspekt des Dialogs im Mittelpunkt steht. 7. Im trinitarischen Modell der missio dei eröffnet der Dialog mit Vertretern säkularer, humanistischer und szientistischer Weltdeutungsvorstellungen Aspekte des Neuen, des Lernens und der Verwandlung. So wie der Sohn den Weg in eine offene Zukunft und ins Leben hinein wagt – vertrauend auf den Vater, begleitet vom Geist –, so ist auch die Kirche aufgerufen, in den Dialog mit Konfessionslosen, Atheisten, Humanisten und Szientisten einzutreten. 3 Kirche im Dialog Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland 8. Zentraler und grundlegender Gedanke ist für die ASt KiD der dialogische Aspekt der missio dei, der sich in der Konvivenz, dem daraus entstehenden Dialog und dem Reden von dem, was einen Christen unbedingt angeht, ausdrückt; denn die Konvivenz ist „der Raum, ja die Bedingung für das missionarische Zeugnis und der relationalen, dialogischen Beziehung der Kirchen zu den Fremden, zu den Angehörigen anderer Religionen.“5 9. Keiner der o. a. Aspekte der kirchlichen Mission ist absichtslos; auch der Dialog mit Vertretern anderer Weltdeutungen und Religionen hat seine Ziele. Gerade in der Begegnung mit Vertretern ohne religiöse Prägung bzw. Sozialisation eröffnen sich Perspektiven gegenseitigen Verstehens, indem der subjektive Wahrheitsanspruch der je eigenen Wirklichkeits- und Weltdeutung zu seinem Recht kommen und der offene, nicht an evangelistischen oder apologetischen Zielen ausgerichtete Austausch darüber Raum bekommen kann. Der forcierte Dialog ermöglicht die Begegnung mit dem Fremden – und indem das Fremde sein darf, hat auch das Eigene eine Chance, in der Begegnung zur Sprache zu kommen und Gehör zu finden. 10. In dem o. a. Verständnis der missio dei ist der Dialog weder der Türöffner für die Evangelisation, noch ersetzt er sie. Auch ist der Dialog weder der Vorhof der religiösweltanschaulichen, apologetischen Auseinandersetzung, noch ersetzt er sie. Sondern der Dialog ist in diesem Sinne ein eigener Aspekt der kirchlichen Mission, indem er sich auf das Zusammenleben und Miteinanderreden mit anderen Menschen einlässt und darin – wo und wann möglich – die eigene Glaubenswahrheit zur Sprache kommen lässt. Damit ist der Dialog mit Menschen anderer Religion oder Weltanschauung ein Teilaspekt der missio dei, wie auch Evangelisation und Apologetik jeweils Teilaspekte derselben darstellen. Literatur: Mission im Kontext. Verwandlung. Versöhnung. Bevollmächtigung, Hg.: Lutherischer Weltbund, Genf, 2006 Theo Sundermeier: Zusammenleben mit Menschen verschiedenen Religionen und Kulturen, in EZW-Texte 187: Reinhard Hempelmann (Hg.): Leben zwischen den Welten, Berlin, 2006, 42-57 Hans-Jürgen Abromeit: Auf die missionarischen Herausforderungen des kirchlichen Alltags vorbereiten, in: Pastoraltheologie, 91. Jahrgang, Göttingen, 2002, 126-136 Ders.: Kommunikationsstörungen über Mission, in Pastoraltheologie, 91. Jahrgang, Göttingen, 2002, 146-150 Reinhard Kähler: Missionarische Kompetenz, in: Pastoraltheologie, 91. Jahrgang, Göttingen, 2002,137-146 Pastor Jörg Pegelow – 16.07.2015 5 Sundermeier, 46 4
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