BERICHT ZU MEINEM PRAKTIKUM BEI DER ONGATA RONGAI ORGANIZATION FOR THE NEEDY IN KENIA Da ich während meiner Schulzeit nie an einem Schüleraustausch teilgenommen hatte und ich im Rahmen meines Ethnologiestudiums sowieso ein mindestens sechswöchiges Praktikum absolvieren muss, war mir relativ schnell bewusst, dass ich dieses im Ausland absolvieren möchte. Da mein regionaler Schwerpunkt auf Afrika liegt und ich bereits KiswahiliUnterricht hatte, war auch klar, dass es nach Ostafrika gehen sollte. Bevor ich mich allerdings intensiv um einen Praktikumsplatz bemühen konnte, stoß ich mehr zufällig auf einen Beitrag in der Facebook-Gruppe „Praktikumsbörse Ethnolgie“, zu der ich mich vor längerer Zeit einfach mal so angemeldet hatte. Eine Ethnologiestudentin aus Köln, berichtete dort von ihrem Praktikum bei der Ongata Rongai Organization For The Needy in Kenya. Sie schrieb von den Kindern und Teenagermüttern aus den Slums und wie viel Spaß ihr die soziale Arbeit mit ihnen gefällt. Für mehr Informationen sollte man sie doch einfach anschreiben. Ohne groß zu überlegen schrieb ich sie einfach an. Denn diese Praktikumsstelle schien förmlich nach mir zu rufen. Sie antwortete prompt und wir sprachen über alle Details. Sie gab mir die E-Mail Adresse von der Gründerin und ich nahm sofort Kontakt zu ihr auf. Sie antwortete mir einen Tag später sehr freundlich und sagte mir gleich zu. Der Kontakt zu der Studentin war sehr hilfreich. Immer wieder schrieb ich ihr Nachrichten und fragte sie über Flug, Versicherungen, Kreditkarten, Unterkunft, etc. aus. Den Zeitraum für mein Praktikum konnte ich selbst festlegen. Ich wählte neun Wochen. Zwei Wochen nach Semesterende sollte es losgehen. Da blieb noch genug Zeit für eventuell spätere Klausuren, Thesenpapiere, Essays und die Reisevorbereitungen. Zwei Wochen vor Semesterbeginn wollte ich wieder da sein, um nach der langen Abwesenheit noch ein wenig Zeit mit Familie und Freunden zu verbringen. Im Nachhinein wäre ich diese letzten zwei Wochen lieber noch in Kenia geblieben, denn auch dort sind nun meine zweite Familie und meine Freunde. Den Flug in die Hauptstadt Nairobi buchte ich mit Emirates. Eine super Fluggesellschaft, die ich nur weiterempfehlen kann. Hoher Standard und wirklich niedrige Preise. Meine Auslandskranken-, Haftpflicht- und Unfallversicherung schloss ich nach der Zusage für das PROMOS-Stipendium über den DAAD ab, was auch sehr unkompliziert lief. Komplizierter war es da schon die Bewerbungsunterlagen für das Stipendium zwischen Kenia und Deutschland hin und herzuschicken. Aber auch das haben wir gemeistert. Mein Visum für Kenia konnte ich direkt am Flughafen gegen 50 USD erwerben. Neuerdings muss man das Visum allerdings vor der Abreise im Internet unter www.ecitizen.go.ke erwerben, was anscheinend auch sehr einfach sein soll. Man muss sich erst registrieren und freischalten lassen und kann dann die 50 USD per Kreditkarte zahlen. Das Visum ist dann für drei Monate gültig. Aktuelle Informationen zu Visumsbestimmungen gibt’s auf der Internetseite der kenianischen Botschaft in Berlin und beim Auswärtigen Amt. Die Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes haben mir vor dem Aufenthalt in Nairobi einen ganz schönen Schrecken eingejagt. Die Warnungen entpuppten sich meiner Meinung nach als übertrieben. Es wird zum Beispiel vom Fahren mit Matatus (Kleinbussen) abgeraten. Die Fahrerei mit diesen ist allerdings notwenig um von A nach B zu kommen und war wirklich unproblematisch. Andere Reisewarnungen, schaden sogar dem Tourismus, wie ich von Freunden erfahren habe. So rät man von Reisen nach Lamu ab, da es dort zu Übergriffen der Al Shabab gekommen ist. Lamu Island ist eine der schönsten Inseln ganz Afrikas und war eine Touristenattraktion. In letzter Zeit kommen immer weniger Touristen aufgrund von Reisewarnungen ihrer Heimatländer nach Lamu. Auf der Insel selbst gibt es allerdings überhaupt kein Sicherheitsrisiko. Die Probleme gibt es auf dem Festland, in Lamu County. Auf die Insel selbst kann man ohne Bedenken reisen, was allerdings die meisten nicht wissen. Geschadet wird vor allem den Einwohnern von Lamu Island, von denen die meisten vom Tourismus abhängig sind. So wichtig es ist, Reisewarnungen ernst zu nehmen, sollte man sich aber lieber vor Ort nochmal informieren, wie denn die Sicherheitslage tatsächlich ist. Vorbereitet habe ich mich zum einen damit, dass ich meine alten Kiswahili-Vokabelkarten herausgeholt habe, von denen ich doch schon einiges wieder vergessen hatte. Die Studentin, die bereits dort gewesen war stand mir immer wieder zur Verfügung für meine unzähligen Fragen. Für meine Vorbereitungen war sie wirklich ein Goldschatz. Wie ich später erfuhr, hatten sie und mein späterer Chef in der Organisation die Werbung für Praktika bei O.R.O.N öffentlich gepostet, damit zukünftige Praktikanten den hohen Vermittlungsgebühren der Praktikumsagenturen entkommen, was meinem Geldbeutel sehr zu Gute kam. Am 27. Juli ging dann abends mein Flug aus München weg und nach einer Zwischenlandung in Dubai kam ich am 28. Juli nachmittags endlich in Nairobi an. Am Flughafen holten mich die Gründer der Organisation ab und brachten mich zu ihrem Haus in Ongata Rongai, einem Außenbezirk, in dem ich auch für 250 € pro Monat für Unterkunft und Essen unterkam. Am ersten Abend unterhielt ich mich lange mit den Beiden über die Probleme der Jugend in den dortigen Slums und wir stellten fest, dass es teilweise die selben Probleme wie die der deutschen Jugend sind: Teenagerschwangerschaften, k.O.-Tropfen, selbstgebrannter Alkohol. An meinem ersten Tag in der Organisation fühle ich mich noch sehr unwohl. Ich wusste nicht so recht, was auf mich zukommen wird und was meine Aufgaben sein werden. Am Anfang saßen wir auch nur im Büro und alles lief gemächlicher ab als ich es mir mit meinem studentischen Tatendrang ausgemalt hatte. Aber einmal an die kenianische Gemütlichkeit gewöhnt ist es ein sehr angenehmes Arbeitsklima. Alles ging sehr freundschaftlich zu und bei Entscheidungsfindungen durfte jeder gleichberechtigt seine Meinung äußern. Ich kam mit dem Vorsatz, nicht wie in der verschrienen Action Anthropology meine europäischen Vorstellungen von Entwicklungshilfe aufzudrängen, sondern mit den kenianischen Strategien zu arbeiten. Auch wenn ich denke dies im Großen und Ganzen auch ganz gut umgesetzt habe, fällt es oft schwer, aus den bekannten Denkmustern auszubrechen. Fällt einem doch meisten die deutsche oder europäische Lösung ein. Diese kann aber oft gar nicht überall umgesetzt werden. O.R.O.N hat fünf Zweige: das Unterrichten der Drei- bis Sechsjährigen, das Bereitstellen eines warmen Mittagessens und anderen kleinen Sachspenden (Hygieneartikel, Kleidung, Schulartikel, Spielzeug, etc.) für die Kinder, die Unterstützung der Teenagermütter (Gruppentreffen mit Gesprächsrunden über die aktuelle Lebenssituation, Kindererziehung, Babyhygiene, Frauenhygiene, Frauenrechte, Verhütung, Gesundheitsvorsorge, Lebensvorstellungen, etc.), arbeitslosen Jugendlichen und Single-Müttern (Antrag auf Geburtsurkunde und Personalausweis, Lehrstellensuche, Jobsuche) und HIV-Positiven (Verlinkung mit Gesundheitsorganisationen). Die ersten Wochen arbeiteten wir zu dritt, später zu viert gemeinsam im Büro. Das größte Anliegen meines Chefs war, dass die Organisation kein eigenes Einkommen hat und auch von der Regierung nicht unterstützt wird. Nur durch kleine private Spenden können die Lehrerin und die Köchin bezahlt werden, Lebensmittel für das Mittagessen gekauft werden, Schulmaterialien angeschafft werden, sowie laufende Kosten gedeckt werden. Meistens reicht das Geld nicht aus und die Organisation verschuldet sich. Deshalb haben wir in den ersten Wochen intensiv über verschiedene Ideen nachgedacht, um Einkommen zu generieren. Letztendlich erachteten wir die Projekte „Onion-Farming“ und „Rice-Farming“ als am vielversprechendsten. Beide Projekte starten mit dem Pachten von Anbaugrund und dem ansäen von Zwiebeln bzw. Reis. Vor allem Zwiebeln wachsen in Kenia sehr gut und haben im Verkauf eine hohe Gewinnspanne. Wir nahmen Kontakt zu Verpächtern auf und holten bei Zwiebelbauern Informationen über die Preise von Pacht, Saatgut, Dünger, Arbeitsgeräten, Erntehelfern, etc. ein. Außerdem traten wir die dreistündige Reise nach Nyeri an, einem fruchtbaren Gebiet nahe des Mount Kenya und besichtigten bestehende Felder und Felder, die für uns zur Pacht in Frage kommen würden. Wir korrigierten unsere Kalkulation und stellten fest, dass das Projekt viel Potenzial hat, die Organisation sich aber das Kapital von ca. 3000€ nicht leisten kann. Wir entwickelten also die Idee eine Crowdfunding-Kampagne zu starten, um an das nötige Kapital zu gelangen. Als Kampagnentitel wählten wir: „Plant Onions to bring Chears not Tears!“. Der Titel sollte klarstellen, dass der gesamte Erlös des Zwiebelanbaus der Organisation zu Gute kommt. Wir drehten Videos, machten Fotos und schrieben Kampagnentexte. Außer der Büroarbeit stand natürlich oder zum Glück auch die soziale Arbeit an. In den Pausen der Kinder spielten wir und ich konnte mich mit Kiswahili und Englisch (was die ganz kleinen noch nicht verstehen) gut mit ihnen unterhalten. Die anfängliche Scheu Kiswahili zu sprechen legte ich schnell ab. Es wurde mir auch sehr leicht gemacht. Fast alle sprechen fließend Englisch und mit der Kiswahili-Grammatik nimmt man es nicht ganz so ernst. Oft entsteht ein Mix aus Kiswahili und Englisch (z.B. nitamiss). Mit den mitgebrachten Wassermalkästen produzierten die Kinder so einige Kunstwerke und wir lernten beim Ausmalen von Tierfiguren sogar noch Englisch damit. Regelmäßig besuchten wir das Zuhause der Kinder. Wir sprachen mit den Eltern oder „Guardians“ (Tante, Großeltern, große Geschwister, etc.) der Kinder, um herauszufinden, wer die Bezugspersonen sind, ob sich die Familiensituation verändert hat und was die Familien akut benötigen. Meistens sind es Matratzen, die aber sehr schwer aufzutreiben sind. Was mir bei den Hausbesuchen sofort aufgefallen ist und was ich überall so kennenlernen durfte ist, das egal wie arm eine Familie ist, man immer hereingebeten wird und mindestens einen Tee serviert bekommt. Nachdem ich vor dem Praktikum besorgt darüber war, wie meine Anwesenheit in den Slums aufgenommen wird, wurden meine Bedenken sofort zerstreut. Ich wollte nicht als Europäerin wahrgenommen werden, die „das arme Afrika“ besucht und Hunger, Armut, HIV und alle anderen Probleme auf einmal lösen will. Aber so wurde ich nicht wahrgenommen. Alle freuten sich über Besuch und ich war einfach ein ganz normaler Gast. Man freut sich, dass es Leute gibt, die die eigene Situation interessiert und die nicht wegsehen und nur für Safari und Strandurlaub kommen. Die Tatsache, dass ich einige Sätze auf Kiswahili sagen konnte kam auch immer sehr gut an und half oft um eine anfängliche Skepsis zu überwinden. Man braucht sicherlich keinen Fortgeschrittenen-Kurs Kiswahili um in Ostafrika ein Praktikum zu machen, da fast alle sehr gut Englisch sprechen und in Kenia Englisch sogar offizielle Amtssprach ist, aber ein paar wichtige Sätze um sich auf Kiswahili vorzustellen öffnen einem viele Türen und Herzen. Die zweite Hälfte meines Praktikums war auch die schönste, obwohl sie sehr ungemütlich anfing. Die Lehrerin kündigte und durch den Lehrerstreik in Kenia war es auch unmöglich, auf die Schnelle eine neue Lehrerin zu finden. Bevor die Kinder also im Klassenzimmer sitzen und sich langweilen, bot ich mich als Aushilfslehrerin an. Ich bereitete für jedes Kind handschriftlich Übungen in seinem Heft vor, korrigierte diese und bereitete auf die gleiche Weise die Hausaufgaben vor. Der Unterricht war anfangs sehr anstrengend, da die Kinder natürlich austesten wollten, wie weit sie bei mir gehen können. Mein Chef meinte scherzhaft, dass ich wohl mit meinem „deutschen Sinn für Zucht und Ordnung“ bei den herumtobenden Kindern verzweifle. Doch schnell fand ich Gefallen an meiner neuen Aufgabe. So war sie doch abwechslungsreicher als die Büroarbeit und ich erhielt als Lehrerin einen viel besseren Einblick in das Innere der Kinder und lernte sie viel besser kennen. Was mich am meisten an den Kindern fasziniert hat ist, dass sie alle unglaublich klug und lernwillig sind. Die Sechsjährigen können wenn sie in die öffentliche Grundschule wechseln das Alphabet, die Zahlen von eins bis hundert, einige Wörter auf Englisch und Kiswahili schreiben, lesen und rechnen. Sie kommen alle aus sehr schwierigen Verhältnissen und sind doch herrlich normal und unbekümmert. Ich hatte nach dem Abitur kurz überlegt ob ich nicht Grundschullehramt studieren möchte. Fand ich mich am Anfang meiner kenianischen Lehrerkarriere noch darin bestätigt, dies nicht getan zu haben, machte es mir doch von Tag zu Tag mehr Spaß, die Fortschritte zu sehen. Auch mein Kiswahili verbesserte sich schlagartig, da die ganz Kleinen ja nichts anderes verstehen. Wäre ich jetzt nicht schon kurz vor Abschluss des Bachelors und hätte das Praktikum am Anfang des Studiums gemacht, hätte es durchaus sein können, dass ich auf Lehramt umgeschwenkt hätte. Jetzt verspüre ich den Wunsch, auf jeden Fall nach Kenia zurückzukehren. Wenn möglich, sogar dort zu arbeiten. Das Berufsfeld der Entwicklungspolitik spricht mich nun sehr an und sofort nach der Rückkehr habe ich interessante Stellenangebote gefunden, die meinem vorher mit Blick auf den Arbeitsmarkt perspektivlos scheinendem Ethnologiestudium wieder Sinn gibt. Nur über die Wahl Master ja oder nein? Und wenn ja, Master in Ethnologie oder in einem anderen Studienfach? bleibt zu klären. Abschließend lässt sich sagen, dass mein Praktikum in Kenia eine unglaubliche Erfahrung für mich war. Ich würde jedem empfehlen, sein Praktikum im Ausland zu verbringen. In Deutschland kann man immer mal wieder kleine Praktika oder Nebenjobs machen. Wenn man die Möglichkeit hat und finanzielle Unterstützung z.B. durch PROMOS erhält, sollte man dies wahrnehmen. Das Praktikum war ganz anders wie ich es mir zuvor vorgestellt hatte. Meine Aufgaben waren anders und ich hätte mir davor nie vorstellen können, wochenlang selbstständig zu unterrichten. Letztendlich habe ich es aber einfach gemacht und es hat riesig Spaß gemacht und die Kinder haben tatsächlich etwas gelernt. Ich würde das Praktikum dort jederzeit wiederholen.
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