Zeitpunkt der Stadtgeschichte 2002 1 Vor 450 Jahren: 1552 Belagerung und Zerstörung der Burg Helfenstein Eine Tragödie in drei Akten Die ehemalige Ulmer Festung Helfenstein wurde im sogenannten Markgräfler Krieg durch List und Erpressung an Ostern 1552 von den Truppen des Markgrafen Alkibiades von Brandenburg-Kulmbach besetzt. Die stattliche Burg über der Stadt Geislingen war zuvor niemals von Feinden eingenommen worden, auch während des Bauernkriegs 1524/25 nicht, in dem viele Burgen und Klöster im Umkreis gebrandschatzt wurden. Und es mutet fast wie eine Laune der Geschichte an, dass die Ulmer ihre eigene Festung belagern und sturmreif schießen mussten, um wieder ihre Herrschaft in Geislingen zu erlangen. Das Vorspiel Im Herbst 1551 schlossen eine Reihe von protestantischen Fürsten, vornehmlich Kurfürst Moritz von Sachsen, Landgraf Wilhelm von Hessen, Herzog Albrecht von Mecklenburg und Markgraf Albrecht Alkibiades von Brandenburg-Kulmbach mit dem König von Frankreich Heinrich II. heimlich ein Bündnis gegen den katholischen deutschen Kaiser Karl V. Ursachen für diese Fürstenverschwörung gegen den Kaiser waren die Stationierung spanischer Truppen in Deutschland nach dem Augsburger Interim von 1548 und die Pläne Karls V., die deutsche Kaiserkrone erblich an das Haus Habsburg unter Bevorzugung der spanischen Linie zu binden. Die Beweggründe für diese kaiserfeindliche Allianz lagen weniger darin, wie vorgegeben, für die Verbreitung der evangelischen Glaubenslehre und zum Wohl des deutschen Volkes einzutreten, sondern eher darin, die eigenen territorialen Machtbereiche zu erweitern und autonome Machtbefugnisse von der Zentralmacht des Kaisers zu ertrotzen. Dabei waren sich diese protestantischen deutschen Fürsten nicht zu schade, mit dem französischen König und Protestantenfeind Heinrich II. ein Zweckbündnis abzuschließen, was zur Folge hatte, daß die Franzosen in Elsaß und Lothringen einfielen und die Bistümer und Reichsfestungen Metz, Toul und Verdun erobern konnten. Ihre Kriegspläne gegen den Kaiser führten die Fürsten im Frühjahr 1552 auch schnell aus. Ihr Hauptziel war, den Südwesten des Deutschen Reiches unter ihre Kontrolle zu bekommen. Vor allem die drei Reichsstädte und Handelszentren, Nürnberg, Augsburg und Ulm, waren die strategischen Ziele ihrer militärischen Operationen. Dazu war ihnen jedes Mittel recht, sei es List, Verrat oder Gewalt. Nachdem die beiden erstgenannten Reichsstädte nebst Dinkelsbühl, Schwäbisch Hall, Nördlingen und Rothenburg in ihre Hände gefallen waren, zogen sie mit 10.000 Mann am 12. April 1552 von Weißenhorn her auf Ulm zu und forderten die Reichsstadt zur Kapitulation auf. Ulm blieb jedoch nach Abstimmung seiner Bürger Kaiser und Reich treu, verweigerte die Übergabe und rüstete sogleich zur Verteidigung der Stadt, obwohl die Garnison sehr schwach, dadurch das umliegende Land dem Feind ausgeliefert und kaiserliche Hilfe fern war. Zeitpunkt der Stadtgeschichte 2002 2 Nach siebentägiger Beschießung und Belagerung und dem Verlust von ungefähr 700 Mann bei der vergeblichen Erstürmung der Reichsstadt zogen die Belagerer schließlich ab, wobei sie das nahe Umland der Stadt verwüsteten. Ein Großteil der kurfürstlichen Heeresmacht zog unter der Führung von Moritz von Sachsen nach Tirol gegen den Kaiser, ein anderer Teil unter den Fürsten von Mecklenburg und Hessen gegen Ravensburg und Stockach. Der Rest der Truppen blieb unter der Führung des Markgrafen von Brandenburg im Ulmer Land, wo weitere 18 Dörfer ausgeplündert und niedergebrannt wurden. Ebenso wurden die Hauptorte des Ulmer Landes, Leipheim, Langenau, Albeck und Geislingen, gebrandschatzt, d.h. entweder wurde eine geforderte Geldsumme sofort bezahlt oder die Stadt wurde niedergebrannt. Geißlingen mit dem Schloß Helffenstein. Eine der ältesten Darstellungen der Stadt Geislingen und der Burg Helfenstein, 16./17. Jh., kolorierte Federzeichnung, Stadtarchiv Ulm 1. Akt: Die unrühmliche Besetzung der Stadt Geislingen und der Festung Helfenstein durch den Markgrafen von Brandenburg-Kulmbach Geislingen und der Helfenstein wurden in der Osterwoche 1552 von den Truppen des Markgrafen von Brandenburg überrumpelt und ohne Kampf eingenommen. Wie dies vonstatten ging, wurde in einer Chronik überliefert, die sich im Stadtarchiv Ulm befindet und deren Verfasser unbekannt ist, der aber damals ein Augenzeuge der Geschehnisse hier in Geislingen gewesen sein musste. Der Chronik zufolge ging die Einnahme der Stadt und der Burg folgendermaßen vor sich: Zeitpunkt der Stadtgeschichte 2002 3 Markgraf Albrecht von Brandenburg schickte vorab einen Zug Reisiger, das waren schwerbewaffnete, gepanzerte Reiter, auf Geislingen zu. Ihnen voran ritten drei Kuriere mit einem Trompeter über die Alb vor die Festung Helfenstein und begehrten von der Burgbesatzung den unbeschadeten Durchritt des Reiterzuges, der ihnen auch gewährt wurde. Die Festung Helfenstein war unter der Führung der beiden Ulmer Burgvögte Mang Kraft und Hochwäher mit 24 Schützen, 4 Wächtern, einem Trompeter und der sechs besten Kriegsleute aus Geislingen besetzt. Die Stadt Geislingen selbst war dagegen unbesetzt. Die brandenburgischen Kuriere ritten dann zur Stadt hinunter und benachrichtigten Hans Ehinger, den hiesigen Ulmer Vogtverwalter, und die Geislinger, dass ein 'reißiger Zug' durchziehe, den man nicht in die Stadt lassen, sondern hinten hinab weisen soll. Der Zug ritt still und ohne allen Schaden hinter der Stadt, also entlang der Westseite vorbei und besetzte die vier Dörfer im Filstal unterhalb der Stadt. In der Chronik heißt es weiter: 'Es blieb aber ein Oberster mit 40 Pferdten in der Stadt Geislingen. Da es Abend war, ließ er noch wohl 80 Pferdt zu ihm auß den Dörfern in die Stadt kommen; das die von Helfenstein nit sehen konnten, das geschah am Oster Aftermontag (Dienstag).' Hier ist der Chronist, wahrscheinlich der Geislinger Vogtverwalter Hans Ehinger selbst, ziemlich ungenau. Zunächst ist lediglich von einem Vorbeizug der Reiter an der Stadt die Rede, dann allerdings bleibt plötzlich ein Oberster mit vierzig Reitern als Besatzung in der Stadt, denn mit dem Begriff 'Pferdten' kann nichts anderes gemeint sein als eine Abteilung des Reiterzuges. Und am Abend des Dienstag nach Ostern werden weitere 80 Reiter heimlich in die Stadt gelassen. Was war zwischenzeitlich passiert? Was verschweigt der Chronist wohl absichtlich? Hat sich etwa der gutgläubige Geislinger Vogtverwalter überrumpeln lassen, als der Reiterzug ankam und der Oberst mit seinen 40 Reitern in die Stadt einrückte? Oder wurde der vielleicht gar nicht so gutgläubige Ulmer Vogtverwalter von den drei Kurieren unter Bedrohung seines Lebens zur Übergabe der Stadt gezwungen? Man weiß es nicht. Jedenfalls ist es offensichtlich, daß die Stadt durch Arglist von dem Brandenburger okkupiert wurde, denn in derselben Nacht um 10 Uhr kamen noch vier Fähnlein Fußvolk in die Stadt, was vom Helfenstein aus ebenfalls unbemerkt blieb. Und nachdem anderntags noch zwei Regimenter Landsknechte durch Geislingen zogen und unterhalb der Stadt auf den Lauffenwiesen ihr Lager aufschlugen, ritt der Markgraf selbst in Geislingen ein. Nach Arglist und Täuschung setzte nun der Markgraf Erpressung und Androhung von Gewalt ein, um die ulmische Besatzung des Helfensteins zum Einlenken zu bewegen, und es wird berichtet: 'Und auf den Donnerstag am Morgen luß (ließ) er denen zu Helfenstein anzeigen, daß alle Burger aus Geißlingen auß dem Schloß herab in die Stadt zu ihrem Hab und Gut zihen sollen oder ihre Häußer müssen brennen mit Feuer. Da ließendt die Burgvögte die von Geißlingen heraus, häts Mancher nit thun, wenn er Burgvogt wär geweßt. Da erfuhr der Markgraf alle Sach, und begehrte darnach das Schloß auf; doch den Burgvögten zween Spital-Wägen geladen mit ihrem Gut wollt er ihnen Zeitpunkt der Stadtgeschichte 2002 4 heraus lassen, und die anderen mit gewehrter Hand und Fried und Glait ziehen lassen. Das nahmen die von Helfenstein an und gaben das Schloß auf. Da war ein Geschrei unter dem gemeinen Mann der in das Schloß geflüchtet hat all sein Hab und Gut. Und da man das Schloß aufthat, ließ man niemand hinein dann die zween Wägen, und die markgräf'schen Herren waren im Hof gestanden, daß die zween Wägen flugs geladen und wieder hinaus kämen; und alsdann wurde Helfenstein geplündert. Der Markgraf zog alsdann hinweg und besezte das Schloß mit 29 Rotten Schützen und wardt Oberst der Sylvester Hornung und über die Reiterei wardt Balthuß Reysensteiner verordnet. Und also war das Schloß besezt und Spieß und Büchsen und was man dörfte, nahmen sie zu Geißlingen.' Albrecht Alkibiades von BrandenburgKulmbach (1522 – 1557), Belagerer von Ulm und Eroberer des Helfensteins. Kupferstich, undatiert, Stadtarchiv Geislingen Das Zwischenspiel Innerhalb der markgräflichen Besatzungstruppen kam es offenbar nach Abzug des Markgrafen zu erheblichen Meinungsverschiedenheiten und Machtstreitereien zwischen den beiden Kommandeuren, die damit endeten, dass 'Auf Sonntag nach Pfingsten Anno 1552 [...] der Reysensteiner den Hornung zu Geißlingen in der Heerberg zu der Krone auf der Lauben' erschoss. 'Nach demselben kam Wilhelm von Kaltenbach, der hielt sich wohl mit denen von Geißlingen.' Aus dem letzten Halbsatz lässt sich erschließen, dass offenbar der Hornung gegenüber der Geislinger Bevölkerung seine Machtposition ausgespielt und für Unfrieden und Angst gesorgt hatte, was schließlich zu der blutigen Konfrontation der beiden Kommandeure führte. Zugleich ritt der Reysensteiner überall im Ulmer Land herum, warb Landsknechte und Schützen an und ließ weder Fuhrleute noch Bauern mit Frucht, Holz oder Wein nach Ulm fahren. Diese Blockade der Reichsstadt durch die Markgräfler dauerte vom Dienstag nach Ostern bis Ende Juli 1552. Inzwischen nahmen die kriegerischen Vorbereitungen der Ulmer zur Rückeroberung ihrer Herrschaft allmählich Gestalt an. Der am Hof des Kaisers in Innsbruck weilende Hans Ungelter bat Anfang Mai im Namen des Ulmer Rats den Kaiser um 200 schwer bewaffnete Reiter, um den Feind im eigenen Territorium zum Abzug zu zwingen und Zeitpunkt der Stadtgeschichte 2002 5 zur Wiedereinnahme der vom Feinde besetzten Schlösser, Flecken und Städte beizutragen. Der Kaiser war der Stadt Ulm wegen ihrer Treue wohlgesonnen und kam der Bitte entgegen. Schon am 15. Mai berichtete Hans Ungelter, dass der Kaiser Hilfe nach Ulm schicke; die Truppen würden in Konstanz zusammengezogen. Im Auftrag des Kaisers kam am 22. Juni der Obrist Konrad von Bemmelberg in Ulm an, um die fünf Fähnlein, die Ulm bisher selbst bezahlt hatte, in des Kaisers Sold zu nehmen, noch weitere fünf Fähnlein zu werben und daraus ein ganzes Regiment von zehn Fähnlein zu errichten. Dazu sollten weitere zehn Fähnlein Fußtruppen und 400 Reiter des Grafen Montfort eintreffen, die der Kaiser für die Treue der Stadt, samt den schon vorhandenen Truppen selbst in Sold nahm. Am 30. Juni erhielt Konrad von Bemmelberg vom Kaiser den Befehl, die von den Feinden besetzten Güter für Ulm zurück zu erobern. Geislingen von Westen mit der Darstellung der Belagerung und Wiedereinnahme der Burg Helfenstein durch die Ulmer 1552. Gouache auf Pergament, 2. Hälfte 16. Jh., Museum im Alten Bau Geislingen 2. Akt: Die Belagerung und Beschießung der Festung Helfenstein durch die Ulmer Am Donnerstag vor Laurentius, dem 4. August 1552, rückte nun Konrad von Bemmelberg, begleitet von Sebastian Besserer, dem vormaligen Bürgermeister und damaligen Kriegsmeister von Ulm, mit acht Fähnlein aus dem Ulmer Regiment, einem Geschwader Reisigen und Geschützen vor die Burg Helfenstein und sie schlugen, wie der Chronist berichtet, 'das Lager ob dem Rinderthal auf der Alb und schanzten daselbst'. Und weiter heißt es: 'Da ward aber das Schießen so groß aus dem Schloß, daß sie die Hütten den mehrsten Theil in die Halten macheten und wichen aus dem Lager. Zeitpunkt der Stadtgeschichte 2002 6 Und die erst Schanz wollt nichts guts thun, da machten sie eine Schanz zuvorderst auf dem Berg.' Die Gegenwehr aus dem Schloß gegen die heranrückenden Ulmer war offensichtlich sehr massiv, was dazu führte, daß die Belagerung und Beschießung der Burg zunächst aus Mangel an Schutz zu scheitern drohte. Es ist anzunehmen, dass die Ulmer ihre Geschütze auf der dem Schloss nördlich vorgelegenen Höhe mit Einsicht in den Schlosshof in Stellung brachten und dabei von der feindlichen Burgbesatzung durch andauernde Beschießung empfindlich gestört wurden. Anderntags hatten schließlich die Ulmer ihre Geschütze vollends in Stellung gebracht und über das besetzte Dorf Weiler mit einem 'Fähnlein Knecht' einen Vorstoß auf die Burg gewagt, der allerdings zurückgeworfen wurde. Währenddessen war das Artilleriegefecht zwischen den Ulmern und der feindlich besetzten Burg Helfenstein und Stadt Geislingen in vollem Gange. 'Und die von Ulm handt in ihrer Schanz gehabt 12 großer Stuck (Kanonen); die Ladung hat gewogen 67 Pfundt. Eine solche Kugel ist in die Kron in die Herberg geschossen worden. Aus diesen Stucken haben sie fast alle Tag 200 Schüß oder mehr gethan. Und wenn ein Schuß in das Schloß gangen, seindt zween heraus gangen. Und auf den andern oder dritten Tag haben die von Helfenstein denen von Ulm in die Artelerey oder in ihre Pulverwägen geschossen, daß Alles verbrannt ist worden und viel Volks dazu. Aber die Ulmer haben ihnen die hohe Wehr abgeschossen, daß sie über zween oder drei Tag haben nit uß der hohen Wehr schießen können.' Zwei Tage lang dürfte demnach das Belagerungsgefecht unentschieden gewesen sein. Erst nachdem es den Ulmern gelang, das feindliche Geschützfeuer aus dem Wehrgang des Darließ (Geschützturm) zu unterbinden, senkte sich die Waagschale zu ihren Gunsten. Als sie dann schließlich am vierten Tag vier weitere schwere Geschütze beim Ödenturm in Stellung brachten, konnte von beiden Seiten die Burg beschossen werden. Die Belagerung schritt nun rasch vorwärts. Das erkannten auch die Geislinger Bürger, die bis dahin größtenteils markgräfisch gewesen sein mochten, und am Dienstag, den 9. August, 'zogen die von Geißlingen in das Lager und baten um Gnad – das wussten die Knecht im Schloß.' Es bleibt unklar, welche Rolle die Geislinger Bürgerschaft gespielt hat. Denkbar sind zwei Positionen. Die eine Alternative wäre, daß die Geislinger Bürger aufgrund der Besatzung von Burg und Stadt gezwungenermaßen auf der Seite der Markgräfler stehen mussten, um nicht gebranntschatzt zu werden, wie es manch anderen Gemeinden im Ulmer Land ergangen ist. Das hieße, die Bürgermeister der Stadt hätten gute Miene zum bösen Spiel gemacht, nur um Hab und Gut und Leib und Leben zu retten. Andererseits ist es durchaus denkbar, daß die Geislinger Bürgerschaft unter der Führung ihrer Bürgermeister den Markgräflern gerne die Tore der Stadt geöffnet hatten und in der offenen Parteinahme mit den Angreifern sich gegen die drückende Ulmer Herrschaft auflehnten, die sie seit über 150 Jahren zu ertragen hatten. Vielleicht hatten sie die einmalige Chance gesehen, sich ein Stück Eigenständigkeit zu erkämpfen, wenn sie die Partei der Markgräfler ergreifen würden. Zeitpunkt der Stadtgeschichte 2002 7 Die Tatsache jedenfalls, daß die Geislinger bei den Belagerern um Gnade baten, ihnen wieder ihre Stadttore öffneten und sich damit den Ulmern auf Gedeih und Verderb ergaben, zeigt an, daß weiterer Widerstand sinnlos geworden war. Dies erkannten auch sofort die Markgräfler Landsknechte in der Burg und der Chronist berichtet: '... da handt die Knecht im Schloß Gemeindt gehalten und hat sie der Hauptmann (Wilhelm von Kaltenbach) freundlich gebeten, sie sollen bei ihm bleiben, da wöll er Leib und Gut bei ihnen lassen. Aber es half nichts. Um 8 oder 9 Uhr vor Mitternacht, da brachen die Knecht ein Loch durch den Thuren heraus, der Rappen Thurm genannt, und fielen ihrer viel von dem Hauptmann, daß er nit mehr die halbe Anzahl bei ihm hatte.' In derselben Nacht schickten die Ulmer ein Fähnlein Landsknechte in die Stadt und besetzten diese. Vier Geislinger Bürger wurden ins Schloß hinauf geschickt, um zu erkunden, ob das Schloß von den Feinden verlassen worden wäre, denn die gefangenen fahnenflüchtigen Markgräfler Landsknechte gaben Anlaß zu dieser Annahme. Doch die restliche Besatzung der Burg hielt in dieser Nacht noch trotzig aus, denn es heißt in der Chronik weiter: 'Und da (solange) die von Geißlingen marggräfisch waren, schoßen die von Ulm in die Stadt Geißlingen. Und da sie (nun) wieder ulmisch waren, schoßen die marggräfischen herab in die Stadt. Und an dem Morgen (danach) schuß niemand (mehr).' Am Dienstag, den 10. August, um 8 Uhr morgens ergaben sich die noch in der Burg verbliebenen Markgräfler. Ihr Hauptmann verhandelte mit dem kaiserlichen Oberst Bemmelberg über die Übergabe des Schlosses und den freien Abzug seiner Truppen. Mittags nahmen die Ulmer den Helfenstein 'ungeplündert' und 'mit Geding' wieder in ihren Besitz. Die Markfgräfler durften unter Geleit bis zur nächstgelegenen Grenze des Ulmer Landes abziehen. 3. Akt: Die Zerstörung der Burg Am Ende des überkommenen Chronikmanuskripts steht schlicht und einfach: 'Und wie kaiserl. Majestät für Metz kommen ist, hat man das Haus Helfenstein abgebrochen, im J. 1553 ists geraumet worden.' Der letzte Satz des Chronisten lautet: 'Und es wäre noch viel darüber zu sagen, daß man nit Alles schreiben kann, aber das ist nur ein Wenig geschrieben zu gedenken.' Deutlich spricht damit der Verfasser sein Bedauern über die Geschehnisse ausk. Man sieht ihn geradezu resignierend abwinken, als er die Feder gewissermaßen niedergelegt hatte. Es ging ihm hauptsächlich darum das Andenken an die Ereignisse des Jahres 1552 zu bewahren und weniger darum, sich in weiteren Einzelheiten über den Abriss der Burg zu ergehen. Vielleicht ging ihm die Zerstörung der Burg zu nahe, als daß er diese beschreiben wollte. Viel eher war ihm daran gelegen, die Erinnerung an die Burg zu erhalten, indem er seinem Manuskript eine Beschreibung der Festung Helfenstein und deren Verwaltung beifügte. Es handelt sich dabei um die einzige authentische Beschreibung der Burganlage, wie sie kurz vor ihrer Schleifung bestanden hatte. Doch zurück zum Schicksal der Burg Helfenstein. Noch während der Belagerung erhielt Bürgermeister Sebastian Besserer vom Ulmer Rat die Weisung, 'wenn das Schloß erobert sei, so solle man dasselbe mit Hakenschützen und ein Dutzend Bauern besetzen, aber nur vorübergehend unter Aufsicht von ein oder zwei Zeitpunkt der Stadtgeschichte 2002 8 Amtleuten; denn es sei vorderhand in Aussicht genommen, keinen militärischen Posten mehr auf das Schloß zu geben. Die Wiederaufrüstung des Schlosses könnte später mehr zum Nachteil sein (durch ähnliche feindliche Einfälle); ferner sei das Schloß durch die Belagerung so arg mitgenommen, daß der Wiederaufbau große Summen benötigen würde'. Von Ulm abgesandte Sachverständige begutachteten unmittelbar nach der Rückeroberung den Zustand der Festung, ob es geraten wäre, sie auszubessern oder gänzlich zu zerstören. Am stärksten war die Mauerflanke zum Ödenturm hin zerstört, während die nordöstlichen Mauernzüge aufgrund ihrer Stärke weniger beschädigt waren. Bei den Ausgrabungen Burkhardts wurden dort allerdings die meisten Geschützkugeln gefunden. Sie sind im Heimatmuseum ausgestellt. Weiter wurde damals befunden, das Schloß sei in seinen Wohnräumen sehr bescheiden. Als fürstliche Wohnung eigne es sich nicht mehr. Die Unterhaltung käme durch die entstandenen Unkosten zu teuer. Am 15. September 1552 wurde im Ulmer Rat mehrheitlich beschlossen, das Schloß abzutragen. Schon am 19. September begann der planmäßige Abbruch. Ein Teil der brauchbaren Steine wurde in Ulm zum Bau eines Kanals der Blau durch die Stadt verwendet, ein anderer wurde zur Verstärkung der Geislinger Stadtbefestigung beim Mühltor gebraucht. Auch die Geislinger werden sich bei dieser Gelegenheit mit Baumaterial versehen haben, ebenfalls die Bauern der Umgebung. Ein kleiner Rest blieb stehen, der 200 Jahre später gesprengt wurde. So entstand mit der Zeit eine ebene Fläche im ehemaligen Burghof, das 'obere Wiesle'. Alles war überwachsen, und keine Spur zeigte an, daß hier einmal stattliche Bauten gestanden hatten. Zeitpunkt der Stadtgeschichte 2002 9 Burgruine Helfenstein, kurz nach der Restaurierung der nachgewiesenen Grundmauern, 1938, Museum im Alten Bau Geislingen. Das Nachspiel Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts war der Helfenstein ein stiller Ort geworden, der zum Verweilen einlud. In den 1920er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde dort stimmungsvoll mit einem schlichten Holzkreuz als Gefallenenmahnmal den Opfern des ersten Weltkrieges gedacht. Ein aus Fichtenstangen gezimmerter Pavillon lud wie auf dem unteren Wiesle zum Rasten ein und gewährte einen Ausblick auf die Stadt und ihre Umgebung. Doch mit Beginn der 1930er Jahre hatte die beschauliche Ruhe dort oben zunächst ihr Ende gefunden. Unter der Leitung von Studienprofessor Georg Burkhardt wurden 1932 im Zuge einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme systematische Ausgrabungen durchgeführt, die nicht nur die Grundmauern der gesamten Burganlage ans Tageslicht förderten, sondern auch die damaligen Stadtväter dazu veranlasste, die beiden Mauernzüge der Burg mit ihren Rondellen, den Aussichtsturm anstelle des ehemaligen Pallas und die Zisternen in den beiden Burghöfen wieder zu errichten, so dass zumindest die Ausmaße der ehemaligen Burganlage nachvollziehbar wurden. Diese Restaurierungsarbeiten dauerten bis 1938 an, und die nun weithin erkennbare Festungsruine krönt seither wieder die Fünftälerstadt. Die Ruine Helfenstein trug seither maßgeblich dazu bei, daß Besucher aus weiten Teilen des Landes hierher kamen, um die stattliche Burganlage kennen zu lernen und die herrliche Aussicht über den Talkessel zu genießen. Vielfältige Ausgrabungsfunde gelangten ins Geislinger Heimatmuseum, wo sie bis heute die Alltagsgeschichte auf der Burg vermitteln. In der Folge dieser Ausgrabung und Rekonstruktion des Helfensteins setzte zugleich eine Welle der Helfensteinerforschung ein, die vieles über die wechselvolle Geschichte des Grafengeschlechts aufdeckte und der Öffentlichkeit zugänglich machte. In erster Linie ist dabei Georg Burkhardt zu nennen, der als Vorsitzender des hiesigen Altertumsvereins in den 'Geschichtlichen Mitteilungen von Geislingen und Umgebung' und im ersten Band der 'Geschichte der Stadt Geislingen' die wichtigsten Forschungsergebnisse veröffentlichte. Hartmut Gruber Literatur: Burkhardt, Georg: Geschichte der Stadt Geislingen, 1963, Bd. 1, S. 88ff. Hiller, Max: Die Zerstörung des Helfensteins 1552, in: Geschichtliche Mitteilungen von Geislingen und Umgebung, Heft 13, 1952, S. 131ff.
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