„Ich bereue keinen einzigen Tag“

Westfälische Nachrichten
NOTTULN
Samstag, 17. Oktober 2015
NR. 242 RBA03
„Ich bereue
keinen
einzigen Tag“
Bürgermeister Peter Amadeus Schneider zieht Bilanz
NOTTULN. Bürgermeister Peter Amadeus Schneider hat
seinen letzten Arbeitstag am
Dienstag (20. Oktober). Am
Tag darauf tritt Manuela
Mahnke als seine Nachfolgerin ihr Amt als Bürgermeisterin an. Der 59-Jährige wird
sich dann verstärkt der Kulturarbeit widmen. Über seine Bilanz der elfjährigen
Amtszeit in Nottuln, über
das, was gut gelaufen ist, das,
was gescheitert ist, sprachen
unsere Redakteure Ludger
Warnke und Frank Vogel mit
dem scheidenden Bürgermeister.
der Sekundarschule und von
über 200 Kita-Plätzen, die
Verlagerung des Jugendzentrums und die Erweiterung
der Grundschule Appelhülsen haben wir im Bereich
Schule und Bildung erlebt.
Auch beim Sport ist einiges
passiert, so ist etwa der
Kunstrasenplatz im Baumberge-Stadion angelegt worden, und wir haben dort das
Lärmschutzproblem gelöst.
Aber es gab sicherlich auch
Dinge, die nicht geklappt
haben . . .
Schneider: Ja, die gibt es.
Wie fällt Ihre persönliche Ich bin angetreten mit dem
Bilanz nach elf Jahren Ziel, die Kommune mit der
gleichen finanziellen Bilanz
aus?
zu übergeben, wie ich sie
Schneider: Ich gehe mit übernommen habe. Daran
positiven Gefühlen aus dem bin ich gescheitert – unabAmt. Ich bereue keinen ein- hängig davon, ob es die Umzigen Tag. Ich bin begeistert stände waren oder es von
gewesen von dieser Aufgabe. mir verschuldet worden ist.
Und ich habe viele gute Er- Bei der Umgehungsstraßenfahrungen machen dürfen. diskussion bedauere ich
Die Bürgerinnen und Bürger unter dem Strich, dass ich
sind mir positiv begegnet, die Trasse, so wie sie jetzt
und dasselbe gilt auch für kommt, nicht verhindern
den Gemeinderat. Dass es konnte. Die Entscheidung
wenige Einzelne gab, bei war allerdings auch schon
denen das nicht so war, ist durch, als ich kam.
nur eine Randnotiz.
Und die Bürgerstiftung, die
Sie mit angestoßen haben?
Wie fällt Ihre Bilanz für
Nottuln aus?
Schneider: Die hat in den
Schneider: Ich finde die letzten ein, zwei Jahren an
Bilanz ist opulent. Ein Bür- Fahrt aufgenommen und ist
ger hat mir mal gesagt: „Da- in gutem Fahrwasser, denke
für, dass Sie eigentlich gar ich. Man muss allerdings
kein Geld in der Kasse ha- auch sehen, dass bei den akben, haben Sie aber ziemlich tuellen Zinserträgen nur weviel damit hinbekommen.“ nig zu machen ist.
Nottuln hat sich vor dem
Welche Entscheidung ist
Hintergrund einer schwieriIhnen am schwersten geger werdenden Gesamtlage
fallen?
gut entwickelt. Das ist aber
nicht das Verdienst des BürSchneider:
germeisters allein, sondern
Nicht
die
die Folge des guten Zusam- schwerste, aber die weitreimenspiels von Verwaltung, chendste Entscheidung war,
Politik und Investoren. Ich die Vermarktung von Appelhabe versucht, dieses Zu- hülsen-Nord zu stoppen. Im
sammenwirken zu fördern, Rückblick kann man sagen,
nicht zu polarisieren, son- dass wir dadurch viel Geld
dern ein integrativer Bürger- gespart haben – auch wenn
meister zu sein.
wir immer noch die Kredite
abzahlen. Ich bin ein wenig
Was steht denn auf der Ha- stolz, dass ich mich damals
ben-Seite der „opulenten mit dieser Entscheidung
Bilanz“?
durchgesetzt habe.
Schneider: Da ist sicher
das Gewerbegebiet Beisenbusch zu nennen, bei dem
man jetzt sehen muss, wie es
sich weiter entwickelt. Als
Baugebiete sind Fasanenfeld,
Olympiastraße, Hellersiedlung und Wullaweg realisiert
worden, Südlich Lerchenhain, Uphovener Weg, Nördlich Havixbecker Straße und
Heitbrink sind angestoßen.
Nottuln hat sich als Handelsstandort weiterentwickelt,
wenn man an den EdekaMarkt, die Appelhülsener
Straße zwischen den Kreiseln und den Discounter in
Appelhülsen denkt. Hinzu
kommen Projekte wie der
Alte Hof Schoppmann, die
Trauerhalle in Appelhülsen,
aber auch der Ausbau der
Feuerwehr und der Hochwasserschutz in Appelhülsen. Beim ÖPNV sind der
Park- und Rideplatz in Nottuln entstanden, der Bahnhof Appelhülsen neu gestaltet worden, der Bürgerbus
an den Start gegangen. Im
Bereich Energie und Umwelt
sind unter anderem der
Fotovoltaikpark in Appelhülsen, der Strom-WärmeVerbund mit der Holzhackschnitzelanlage, aber auch
der European Energy Award
zu nennen. Die Schaffung
Schwer dürfte aber wohl
die
Entscheidung
zur
Schließung der Hauptschule gewesen sein . . .
Schneider: Ja, aber diese
Entscheidung würde ich
heute genauso wieder treffen. Die Eltern hatten mit
den Füßen gegen die Hauptschule abgestimmt, und mit
der Sekundarschule ist ein
zukunftsorientiertes Schulmodell geschaffen worden.
Die Trägerschaft des Bistums
hat daneben für ein Alleinstellungsmerkmal gesorgt.
Insofern war die Entscheidung richtig. Sie hat mich
aber ein ganzes Stück von
der SPD und den Grünen
entfremdet. Und das ist bei
den Überlegungen zu meinem weiteren Berufsweg
auch mit eingeflossen.
Hat die Entscheidung aber
nicht auch dem Gymnasium geschadet?
Schneider: Wenn das
Gymnasium als Schulform
in Nottuln irgendwann nicht
mehr funktionieren sollte,
dann liegt das nicht an der
Sekundarschule,
sondern
vor allem an der demografischen Entwicklung. Ich
empfehle dem Rat, beim
Gymnasium genau hinzuschauen und den Schulterschluss mit der Schulleitung
zu suchen.
Apropos Schulterschluss:
Wie sind Sie mit „Ihrer“
Verwaltung
ausgekommen?
Schneider: Die Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern war sehr positiv. Vor allem die Leitungsebene war
ein Geschenk. Das Beste allerdings war der Verwaltungsvorstand mit unserem
Beigeordneten und Kämmerer Klaus Fallberg und Oberrechtsrat Franz-Josef Rickert, den wir immer hinzugezogen haben. Das Wechselspiel mit dem Kämmerer
hat wunderbar funktioniert,
wir haben uns gegenseitig
die notwendige Freiheit gelassen, um unsere Ideen
entwickeln zu können, und
waren uns in fast allen Dingen einig. Das war einfach
klasse. Das Finanzzentrum
Baumberge, die Zinssicherung sind Erfolge dieser
Arbeit. Und immerhin konnten wir gemeinsam mit dem
Rat ja auch die Schulden der
Gemeinde von 14,6 Millionen Euro auf 12,4 Millionen
herunterfahren. Dass die Liquidität bei heute 4 Millionen Euro, nach Umsetzung
der jetzt geplanten Projekte
immer noch bei 2 Millionen
Euro liegt, ist da auch positiv
zu bewerten.
Und die Zusammenarbeit
mit dem Gemeinderat?
Schneider: Im Ganzen
war die Zusammenarbeit
auch wirklich positiv. Wir
haben eine sehr gute Gesprächskultur
entwickelt,
Ausrutscher unter die Gürtellinie gab es nur selten. Ich
habe nur gelegentlich eingreifen und ein Signal setzen
müssen. Das habe ich auf
humorvolle Art versucht.
Und das haben die Politiker
geschätzt. Ein bisschen traurig bin ich, dass ich – auch
wenn die Kontakte ganz
Blickt gerne auf seine Amtszeit zurück: Bürgermeister Peter Amadeus Schneider hat am kommenden Dienstag seinen letzten
Arbeitstag im Nottulner Rathaus.
Foto: Johannes Oetz
brauchbar waren – so selten müssen diese Abläufe verin die CDU-Fraktion eingela- schlankt werden.
den worden bin. Ich hatte
mir 2004 vorgenommen,
Es gab sicher viele beweentspannt mit allen Fraktiogende Momente in den elf
nen umzugehen. Das ist mir
Jahren Ihrer Amtszeit . . .
nicht gelungen. An der Stelle
bin ich desillusioniert worSchneider: Ja, die gab es.
den.
Was mich persönlich am
stärksten getroffen hat, war
Worüber haben Sie sich als der Tod des kleinen Jungen
Bürgermeister geärgert?
in Darup. Immer wenn ich
an dem Fußballplatz vorbeiSchneider: Ich habe darü- fahre, auf dem das Tor umber nachgedacht, eigentlich gekippt ist, muss ich daran
über nichts. Klar, die büro- denken. Ich habe mir damals
kratischen Abläufe sind sehr bewusst den Obduktionsbe‚reichhaltig‘. Sie bedingen richt durchgelesen und die
sich gegenseitig und ver- Bilder angeschaut. Das hat
langsamen die Entschei- mich verändert. Ich kann
dungsprozesse.
Projekte seitdem nicht mehr so unbewerden unnötig teurer, weil fangen Karneval feiern, wie
aufgrund der rechtlichen das vorher möglich war. Das
Vorgaben viel Arbeit hinein- zweite Ereignis, das mich tief
gesteckt werden muss, die bewegt hat, war die Legung
zusätzliche Kosten verur- der Stolpersteine vor dem
sacht. Da muss man manch- Haus Faltmann. Dass die Kamal genau hinschauen, ob meradschaft ehemaliger Solder Aufwand den Ertrag daten und die Friedensinirechtfertigt. Auf jeden Fall tiative dort zusammenge-
wirkt haben, ist Versöhnungs- und Friedensarbeit
vor Ort gewesen. Dazu gehörten auch unsere internationalen
Partnerschaften.
Auch wenn diese Arbeit nur
einen geringen Teil meiner
Tätigkeiten ausgemacht hat,
er war mir immer wichtig.
Und das gilt auch für mein
Engagement außerhalb des
Bürgermeisteramtes. Das ist
mir wichtig. Das bin ich.
Und wie geht es beruflich
für Sie weiter?
Schneider: Ich werde viel
Kulturarbeit machen. Dabei
werden Gesang und Gesangspädagogik den meisten
Raum
einnehmen.
Ich
möchte beispielsweise gerne
mit meinem Sextett „Sei Colori“ in Nottuln auftreten. Ich
werde in Nottuln und Coesfeld mit einem Stimmbildungsprojekt versuchen, das
Chorwesen zu unterstützen,
und dieses Konzept auch an
die Verbände herantragen.
Und ich werde komponieren. Das habe ich schon lange getan, aber diese Tätigkeit
ist immer zu kurz gekommen.
Was werden Sie vermissen,
wenn Sie wieder Privatmann sind?
Schneider: Ich werde
mich daran gewöhnen müssen, mich nicht mehr um alles zu kümmern, was ich
entdecke, wenn ich durch
den Ort fahre. Es wird wohl
nicht leicht werden, wieder
zu einem „normalen“ Bürger
zu werden. Dabei hilft mir
aber sicherlich, dass viele,
viele Leute mich gefragt haben: „Bleibt Ihr in Nottuln?“
Und dass die Menschen mit
dieser Frage ganz selbstverständlich meine Frau Kirsten
auch gemeint haben, finde
ich sehr schön. Ja, wir bleiben in Nottuln. Das ist unsere Planung.