1 Podiumsgespräch: 8 Jahre interdisziplinäre Zusammenarbeit – Beschleunigtes Familienverfahren in Berlin Moderation: Christa Möhler-Staat, Referentin des SFBB Ca. 200.000 Kinder müssen Jahr für Jahr die Trennung ihrer Eltern verkraften. Dabei nehmen die strittigen Verfahren zu. Das war Anlass, hier neue normative Standards, rechtliche und verfahrensrechtliche Regelungen einzuführen. Das beschleunigte Familienverfahren baut mit seinen besonderen Verfahrensweisen und frühzeitigen Interventionen auf der Überzeugung auf, dass Kinder gute und stabile Beziehungen zu beiden Elternteilen brauchen, und Eltern im Trennungskonflikt lernen können, die guten Beziehungen ihres Kindes zu dem anderen Elternteil zu fördern. Es soll möglichst erst gar nicht zu verhärteten und hochkonflikthaften Situationen kommen. Eltern soll geholfen werden, eigene Lösungen im Interesse ihres Kindes selbständig zu erarbeiten, die so länger Bestand haben als wenn diese nur durch Gerichtsbeschlüsse verordnet werden. Die Bedürfnisse der Kinder sollen im Blick sein. Eine bundesweite Evaluation zur Frage, ob und inwieweit und mit welchen Besonderheiten das beschleunigte Familienverfahren für betroffene Familien und Kinder die erwarteten positiven Wirkungen zeigt, steht bisher aus und so hat der berlinweite Koordinierungskreis beschlossen, in Rückkopplung mit den anderen bezirklichen Arbeitskreisen eine kleine Auswertung zu wagen. Meine Gesprächsteilnehmer/innen: Christiane Abel, Familienrichterin, Vizepräsidentin am Amtsgericht Tempelhof – Kreuzberg, Karin Delerue, Fachanwältin für Familienrecht und Vorstandsmitglied der RAK Berlin, Uta von Pirani, Jugendamtsdirektorin Charlottenburg-Wilmersdorf, Thomas Haudel, Psychologe der EFB Friedrichshain-Kreuzberg, Frank Uhlemann, Psychologischer Sachverständiger, Dr. Annika Hannemann, Verfahrensbeiständin. 2 Meine erste Frage richtet sich an Frau Abel: Das Berliner „Beschleunigte Familienverfahren“ erhielt 2014 eine Auszeichnung im Rahmen des Europäischen Justizpreises, den Sie gemeinsam mit Frau Delerue und der Vorsitzenden Richterin am Kammergericht, Dr. Holldorf, in Aveiro entgegengenommen haben. Hier wurden positive Wirkungen hervorgehoben: Das Beschleunigte Familienverfahren sei ein sehr gutes Beispiel für Zusammenarbeit ohne Scheuklappen, um Betroffenen wirklich zu helfen. Die Auszeichnung sei Ansporn, dies auch in weiteren Bereichen zu erzielen, kommentierten dazu Thomas Heilmann, Senator für Justiz und Verbraucherschutz, und Dr. Marcus Mollnau, Präsident der Rechtsanwaltskammer Berlin. Es wurde begonnen, wesentliche Rahmenbedingungen zu verändern und im Interesse der Trennungskinder Familiengerichtsverfahren zu entschärfen und zu entbürokratisieren. Frau Abel, können Sie uns etwas zum Hintergrund sagen und in die Besonderheiten des Berliner Verfahrens einführen? Was ist aus Ihrer Sicht wirklich gelungen? Frau Abel: Die Intentionen sind: Ein früher „erster“ Anhörungstermin, mit dem Ziel, einvernehmliche Lösungen im Familienkonflikt herbeizuführen. Frühzeitig durch Mediation, Beratung und Elternkurse die Konfliktparteien dabei zu unterstützten, dass sie die Angelegenheiten ihrer Kinder gemeinsam lösen, damit es darüber längerfristig keiner streitigen gerichtlichen Entscheidung mehr bedarf. Die beteiligten Berufsgruppen kooperieren in besonderer Weise. Die Ziele und Arbeitsweisen konnten nur durch eine zuverlässige Vernetzung der beteiligten Professionen zum Leben erwachen. In Berlin entstanden dazu interdisziplinär zusammengesetzte Arbeitskreise, die mit Umsetzungsfragen, Klärung der jeweiligen Arbeitsmöglichkeiten und konzeptionellen Überlegungen befasst sind. Wesentlich für die erfolgreiche Umsetzung dieser Ziele und Arbeitsweisen sind: früher Anhörungstermin nach § 8a-Meldung oder in Sorge- und Umgangsverfahren, an dem alle teilnehmen und den Fortgang des Verfahrens organisieren sowie die Beratungs- und sonstigen Bedarfe der Familie ermitteln (Einigung, Beratung, erforderliche Hilfen zur Erziehung, Begutachtung etc.) 3 Arbeitskreise, die über den Einzelfall hinaus diskutieren, voneinander lernen, Verständnis aufbauen; Verfahrensweisen diskutieren/verabreden. Gestaltung des Anhörungstermins „angstfreie Diskussion auf Augenhöhe“: niemand will den anderen „in die Pfanne hauen“; dazu trägt bei: - zu Wort kommen (lassen) - möglichst offen sprechen (können) - nicht mit Informationen „hinter dem Berg halten“ - Bereitschaft zum Abrücken von vorgeplanten Positionen möglichst ohne Gesichtsverlust - Herausarbeiten der Interessen („mediativ“) Vorgehen Alle schildern zunächst der Reihe nach ihre Sicht der Dinge; dies hängt auch von den Möglichkeiten/Fähigkeiten der Beteiligten und der Komplexität des Problems ab Vorschläge der Beteiligten einholen; denn was die Beteiligten selbst erarbeiten, können sie am besten umsetzen, die Beteiligten müssen dazu ermutigt werden, sich zu äußern. Dies braucht Zeit, was eine weitere Motivation zur außergerichtlichen Beratung der Eltern darstellt. Der Gerichtstermin reicht häufig nicht aus, um eine tragfähige Lösung zu erarbeiten, etwaige Zwischenlösungen müssen als solche gekennzeichnet werden. Stolpersteine/Herausforderungen: Durchsetzung der vereinbarten Standards bei hoher personeller Fluktuation und knappen personellen Ressourcen unparteiliche Haltung der Richter gegenüber allen Verfahrensbeteiligten: Eltern, JA, Kinder Einbeziehung der Kinder ist situations- und fallabhängig und erfolgt durch Ladung und Anhörung der Kinder und/oder die Bestellung eines Verfahrensbeistands; dies erfolgt nicht stets im 1. Anhörungstermin; 4 zudem sollte der Richter (und die anderen professionellen Beteiligten) den Blick der Beteiligten immer wieder auf die Kinder richten bzw. lenken (Was brauchen die Kinder? Was ist wichtig für die Kinder?); hilfreich sind die „Kinder im Blick“, KiB – Kurse. Es gibt kein Schema-F; letztlich muss die Verfahrensgestaltung auf die Besonderheiten des Einzelfalles Rücksicht nehmen und das passende Interventionsinstrumentarium im Zusammenspiel mit den anderen Fachkräften gefunden werden. Stichworte: Kindeswohlgefährdung, „kriegerische Auseinandersetzungen“ der Eltern; Prozesshaftigkeit des Verfahrens. Insbesondere: „Das Beschleunigte Familienverfahren“: geht über die Vorgaben aus der Familienrechtsreform (z.B. § 155 FamFG) noch hinaus. Das Verfahren hat zum Ziel, eine eigenverantwortliche Konfliktlösung durch die Eltern zu fördern und die Elternverantwortung im Familienkonflikt zu stärken. Um dies zu erreichen, ist eine gemeinsame Haltung und Botschaft der am Verfahren beteiligten Professionellen (Richter, Rechtsanwälte, Verfahrensbeistände, Jugendamtsmitarbeiterinnen etc.) erforderlich, die dahin geht, dass die Eltern grundsätzlich die Probleme der Familie am besten selbst lösen können, dafür aber die Unterstützung der Professionen brauchen. Wesentliche Merkmale des Beschleunigten Verfahrens: wenig schreiben (Rechtsanwälte beschränken sich auf die wesentlichen Punkte, z.B.: Seit wann findet kein Umgang mehr statt; Eltern und Rechtsanwälte erhalten mit der Ladung ein Merkblatt und Hinweise, dass sie sich in den Schriftsätzen zurückhalten sollen; das Jugendamt muss keinen schriftlichen Bericht erstatten; spricht aber möglichst schon vor dem Termin mit beiden Eltern; gleiches gilt für etwaig bestellte Verfahrensbeistände) am Anhörungstermin, der möglichst innerhalb eines Monats nach Antragseingang stattfindet (§ 155 Abs. 2 FamFG), nimmt das Jugendamt teil und informiert die Eltern über Beratungsmöglichkeiten und unterstützt sie bei einer Einigung (evtl. „Zwischenvergleich“), alle beteiligten Professionen formulieren die Erwartung an die Eltern, dass die Eltern ihre Kinder im Trennungskonflikt unterstützen, die Eltern bekommen „Hausaufgaben“, z.B : 5 - Beratung (EFB) - Teilnahme an „Kind im Blick-Kurs“, Planung des weiteren Vorgehens: - Beratung - Verfahrensbeistand bestellen? - Sachverständigengutachten einholen? Motto: Beschleunigt in den Abläufen – Nachhaltig in der Lösungssuche Drei Säulen des Beschleunigten Familienverfahrens: besondere Verfahrensweise Vernetzung in den Arbeitskreisen gemeinsame Haltung Die „zweite Säule“ des Beschleunigten Familienverfahrens sind die interdisziplinären Arbeitskreise, in denen fallübergreifend und interdisziplinär gemeinsame Themen erörtert werden. Ziel: - Förderung des gegenseitigen Verständnisses der beteiligten Professionen - Rollenklärung - Vereinbarung von Verfahrensweisen Frau Möhler-Staat; Fragen an Frau Delerue . Aus Ihrer Sicht der Rechtsanwältin, Was erleben Sie? Wo sehen Sie die Verbesserungen für Kinder und ihre Familien? Was war/ist für Sie und Ihre Berufsgruppe die gravierendste Veränderung? Ich erinnere mich, dass es in den Anfängen viel Skepsis gab, wie die Rechtsanwaltschaft mit den neuen Verfahrensstandards umgehen kann. Schließlich erwarten Ihre oft hoch emotionalisierten Mandanten von Ihnen und Ihrer Rolle im Verfahren, dass Sie parteilich interessenorientiert agieren. Und, Sie haben als Rechtsanwältin eine große Einflussmöglichkeit, weil Sie die Mandanten oft zuallererst beraten. Frau Delerué: (Im Vorstand der Rechtsanwaltskammer damit befasst dieses Projekt zu unterstützen) Unsere Rolle hat sich verändert. Was war aus anwaltlicher Perspektive der Grund dafür, dass wir etwas verändern wollten? 6 Das war ich ja nicht allein, sondern das war die Gesamtheit der Anwaltschaft, viele Anwälte und Anwältinnen, die im Laufe der Jahre immer unzufriedener wurden mit den Ergebnissen, die wir in kindschaftsrechlichen Verfahren erzielen konnten. Wir konnten praktisch die Wünsche unserer Mandanten nicht mehr erfüllen, weil die Verfahrensdauer so lang war, dass es insbesondere in Umgangsverfahren häufig zu Umgangsabbrüchen, zu Kontaktabbrüchen kam. Wir hatten sehr viele unzufriedene und einfach auch herzergreifend unglückliche Mandanten. Weder konnten wir unserem Wunsch endsprechend diesen Mandanten helfen, noch konnten wir verfahrensrechtlich für das Kind etwas erreichen, es sei denn, wir haben das beliebte Schwert des einstweiligen Rechtsschutzes geschwungen, was dann dazu führte, dass wir natürlich ordentlich vortragen mussten, weshalb die Situation so dramatisch ist. Und Frau Abel hat es gerade erwähnt, dass das Lesen diese schriftlichen Vorwürfe des Anderen noch viel schmerzhafter ist als das Hören und es ist vor allem negativ nachhaltiger. Diese Nachhaltigkeit wollten wir im Vergleich zu der anderen gern vermeiden, um für unsere Mandanten die Möglichkeit zu erzielen, möglichst eng den Kontakt mit dem Kind zu halten bzw. in Kontakt zu bleiben. Für uns Anwälte hat das ein Umdenken erfordert, weil wir aus der Rolle des reinen Parteivertreters heraus mussten; jetzt im FamFG heißen wir „Beteiligtenvertreter“. Wir mussten die Verteidigungshaltung aufgeben, d. h. aus der Position des Ritters ohne Fehl und Tadel herunter vom Pferd und uns an die Seite des Mandanten stellen. Das war nicht einfach, weil wir gleichzeitig berücksichtigen müssen, dass wir eine andere Rolle haben. So wie die Richter/innen unabhängig sind, haben wir die parteiliche Rolle. Das geht nur durch die Fokussierung auf das Ziel. Was ist das Ziel in dieser neuen Form des Verfahrens? Unser Ziel ist, dass wir das Kind in den Blick bekommen. Da das Kind jedoch regelmäßig nicht unser Mandant ist, mussten wir eine eigene Abgrenzungsarbeit leisten, um zu lernen, wie wir die Interessen unseres Mandanten im Hinblick auf seine Beziehung zum Kind verändern können. Das führte zu einer Art von Selbstverpflichtung, nicht mehr so lange schriftlich vorzutragen, sondern das Ganze schneller in die Mündlichkeit zu verlegen, dazu beizutragen, dass es nicht noch weiter negativ emotionsgeladen wird. Ich/wir musste/n dazu die anderen Akteure des Verfahrens, insbes. die Jugendhilfe besser kennenlernen, damit ich/wir der Jugendhilfe besser vertrauen konnte/n. Denn wenn ich hier ein besseres Vertrauen habe, kann ich dies auch meinen Mandanten besser vermitteln, im Sinne „wir werden eine Lösung finden“. Ich erinnere sehr gut, dass die ersten Fälle sehr schwierig waren, weil die Mandanten überhaupt nicht verstanden haben, warum ich mich jetzt nicht hinsetze und meterlange Schriftsätze verfasse, in denen es im Wesentlichen darum geht, 7 wie schrecklich der Andere ist, sondern sage, „wir werden das im Termin besprechen“. Diesen Vertrauensmoment zu schaffen, dass der Mandant dann den Raum erhält, vor Gericht zu sprechen, sich darzustellen und auch Unterstützung durch die Jugendhilfe bekommt, das war im Anfang schon holperig. Es war auch so, dass nicht alle Anwälte sich sofort angeschlossen haben und es gibt auch heute welche, die es nicht tun. (Jetzt weniger, hoffe ich). Es war besonders schwierig, wenn auf meiner Gegenseite ein Anwalt mit einem besonderen schriftlichen Vortrag agierte. Ich musste dann meinen Mandanten erklären, warum ich nicht so schreibe. Da war das Gericht dann hilfreich mit einem sehr früh im Verfahren verfassten Merkblatt. Das Gericht hat bei den Mandanten einen Vertrauensvorschuss und mit dem Merkblatt wurde bei meinen Mandanten viel erreicht. Sie konnten dort lesen, dass anders vorgetragen werden soll im Sinne „wir warten jetzt, bis sie bei Gericht sind“. Dort soll recht früh umgesetzt werden, was sich alle im Interesse des Kindes vorstellen und auch Raum gegeben werden für die Ängste des Mandanten und der anderen Beteiligten. Frage an Frau Abel: Es geht ja sehr viel um Angst in diesen Verfahren, ebenso wie in den Verfahren nach § 1666 BGB. Wie kann es gelingen, diese Angst zu nehmen? Stichwort „angstfreie Kommunikation“ auf Augenhöhe mit allen Beteiligten. Das Gericht ist ja eine hohe Autorität. Frau Abel: Ja, das ist eine Herausforderung und es klappt auch nicht immer. Die günstigste Variante wäre hier, zur Gestaltung der Kommunikation die Methoden der Mediation zu nutzen: Erst schildert der eine seine Sichtweisen, dann der andere und alle weiteren Beteiligten. Danach geht man in die Lösungssuche. Das funktioniert manchmal nicht, weil es auch Beteiligte gibt, denen es sehr schwer fällt, Schuldzuweisungen zu unterlassen. Dann wird die Diskussion doch sehr lebhaft und die Aufgabe ist dann aber einerseits, Schranken zu setzen, andererseits dennoch zu ermutigen, die Interessen zu formulieren, auf die es letztendlich ankommt. Wenn uns das gelingt, die Interessen aus den Menschen herauszufiltern, schaffen sie es oft auch, vernünftig miteinander zu sprechen. Das hat dann aber zur Folge, dass die Anhörungstermine nicht in ½ Stunde abgehandelt werden können und recht lange dauern, damit jeder zu Wort kommen kann. Als wir angefangen haben, gab es immer wieder das Thema „ Augenhöhe“, auch mit den Jugendämtern. Ich denke, dass es hier durch die Gespräche in den AK gelungen ist, die jeweils anderen Beteiligten in ihren Rollen und Nöten zu verstehen. Hier wurde auch deutlich, dass die Hauptarbeit im RSD der JÄ stattfindet 8 Möhler-Staat: Den Jugendämtern und hier insbesondere dem RSD kommt im FamFG-Verfahren unter dem Stichwort „das aktive Jugendamt“ eine wesentliche Rolle zu. Die neuen Abläufe sehen eine enge Kooperation von Jugendamt und Familiengericht vor, als Verhandlungspartner auf Augenhöhe. Dazu gehört eine aktive Einmischung in Sach- und Verfahrensfragen für die Sache des Kindes. Das bedeutet eine verstärkte Übernahme von Verantwortung. Aus den Arbeitskreisen wurde dazu vor ca. 2 Jahren als positiv bewertet: verbesserte interdisziplinäre Kooperation sowie ein besseres und fundierteres juristisches Bezugswissen der Sozialpädagogen/innen. Dadurch sei mehr Souveränität entstanden. Die Bedeutung der Aufgabe gem. § 50 SGB VIII sei gestiegen, neue Interventionen seien ein Gewinn, z.B. KiB sei sei ein tolles Programm, jedoch kein Allheilmittel. Es wurde auch Kritisches benannt. Stichpunkte: Die Ladungen, die per Post kommen, haben zeitlich einen zu langen Weg. Hier bitte per Fax. Beteiligung von Kindern sei zu verstärken. Kooperation RSD Verfahrensbeistand zu verbessern. Der Wille des Kindes ist besser zur Geltung zu bringen (Frage: Umgang um jeden Preis???) Frage an Frau von Pirani: Sie haben die geplante Fachtagung zum Anlass genommen, in den RSD`en der Jugendämter eine aktuelle Fachkräftebefragung durchzuführen, mit welchen Ergebnissen? Frau von Pirani: Ich habe mir, wie auch 2010 anlässlich der damaligen Fachtagung, erlaubt, die Kollegenschaft der RSD’en in den Jugendämtern zu fragen, wie denn ihre Erfahrungen mit dem beschleunigten Verfahren und ihrer Rolle darin sind und damit, wie die Erwartungen, die sie an die anderen Verfahrensbeteiligten haben, erfüllt werden. Und ich habe nach einer Bewertung von Zusammenarbeit in und dem Nutzen der interdisziplinären AK gefragt. Zugegebenermaßen nicht ordentlich empirisch belegt, aber ein doch einigermaßen repräsentatives Schlaglicht. Daraus sind folgende Ergebnisse abzuleiten: Die Zusammenarbeit mit dem Gericht im beschleunigten Verfahren wird häufig als hilfreich erlebt, mit dem Kammergericht allerdings nur gelegentlich. Das mag daran liegen, dass es hier auch weniger Erfahrungen gibt. In den meisten Fällen nehmen die Richter/innen ihre Moderationsrolle wahr und wahren die Augenhöhe zwischen allen Beteiligten, aber in immerhin 25 % eher nicht. Hier gibt es also noch „Luft nach oben“ 9 50 % der Mitarbeiter/innen geben an, dass häufig zusätzlich zur Teilnahme am Anhörungstermin noch schriftliche Stellungnahmen gefordert werden, und noch häufiger, trotz vorliegender schriftlicher Stellungnahmen, auch die Teilnahme vor Ort (über 70 %). Hier ist m. E. ein sparsamerer Umgang mit den Ressourcen notwendig. Gelegentlich macht das Gericht vom Instrument der Terminabstimmung Gebrauch. Aber auch hier wäre unter Effizienzgesichtspunkten noch Luft nach oben. Die Kommunikation im Einzelfall zwischen den Terminen (sagen fast alle) findet gelegentlich statt. In den meisten Fällen werden bei -vom Jugendamt eingeleiteten Verfahrendie dann getroffenen Vereinbarungen und Entscheidungen als hilfreich für die weitere Arbeit mit den Familien erlebt. der Zeitraum bis zu einer Entscheidung wird aber zu über 50 % als zu lang erlebt. Das Instrument des Erörterungsgespräches wird eher im Einzelfall genutzt. Deutlich wird beklagt, dass insbesondere Sachverständige und Rechtsanwälte, aber auch Richter zwar über das ABC des Familienrechts, aber über zu geringe Kenntnisse des SGB VIII verfügen. Hinweise aus der Befragung zur qualitativen Weiterentwicklung: Zur Verfahrensgestaltung: zeitnähere Entscheidungen bei Inobhutnahmen oder der Bestellung von Vormündern, auf schnellere Erstellung von Gutachten, auf den Schutz vor Beleidigungen / Aggressivität in Anhörungsterminen durch die Richterschaft, mehr Möglichkeiten zu Terminabstimmungen oder direkte Kontaktaufnahmen, auf die Klärung, dass Stellungnahmen entweder schriftlich oder mündlich abgegeben werden etc. Unterscheidet man nach den einzelnen Gerichten, wird ganz deutlich, je kleiner das Gericht, desto besser die Bewertung der Zusammenarbeit – auch in den Arbeitskreisen (und desto mehr Richter/innen beteiligen sich). 10 Zur Kooperation in den Arbeitskreisen: Gewünscht ist eine „bessere“ Multiplikation der Arbeitsergebnisse in die jeweiligen Professionen und teilweise auch ein mehr ausgewogener und verlässlicher Teilnehmer/innenKreis. Resümee zur Rolle des aktiven Jugendamtes: Insgesamt bringt sich das Jugendamt aktiv in die Zusammenarbeit ein, - nutzt häufiger als in der Vergangenheit seine Beteiligten- Rolle, - erwägt eher, sich mit gerichtlichen Entscheidungen, die fachlich kritisch beurteilt werden, nicht zufrieden zu geben. Ich könnte mir auch durchaus ein noch aktiveres Jugendamt vorstellen. Allerdings haben die Jugendämter, bei nach wie vor steigenden Fallzahlen und längerem Zeiteinsatz pro Fall - ebenso wie die Gerichte - mit einer äußerst dünnen Personaldecke zu kämpfen und einer erheblichen personellen Fluktuation. Vorschläge: ein Format gemeinsamer Werkstattveranstaltungen von RSD - Mitarbeiter/ innen und Richter/innen (insbesondere für die, die nicht regelmäßig in den Arbeitskreisen zusammenarbeiten) - zu den jeweiligen gesetzlichen Arbeitsgrundlagen, Erwartungen und Grenzen, - zur Rollenklärung sowie - zur Fokussierung auf die Situation, Entwicklungsbedingungen und den Willen der Kinder. Lohnend wäre es m. E., genauer zu untersuchen, - ob durch das Mehr an Verfahrensbeteiligten nicht die Kinder eher aus dem Blick geraten oder - ob Umgang um jeden Preis tatsächlich dem Kind hilft. Möhler-Staat an Herrn Haudel: Auch in der EFB haben sich Auftrag und Rolle sowie das Beratungs- und Interventionsspektrum verändert. Wie hat sich die Arbeit in den EFBs verändert? Was erleben Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen dazu? Thomas Haudel: In der EFB des Bezirkes Friedrichshain-Kreuzberg hat sich der Anteil an hochstrittigen Eltern in der Beratung seit Einführung des Beschleunigten Verfahrens erhöht. Das war mit einem erhöhten personellen Aufwand verbunden, da diese Eltern von zwei Kolleg/innen beraten werden müssen. Der Anteil der Leistung Trennungs-/Scheidungs- und Umgangsberatung ist seit 2008 stetig größer geworden und liegt derzeit bei ca. 40%. 11 Die klassische Erziehungsberatung zusammenlebender Eltern oder Alleinerziehender als ursprüngliche Hauptaufgabe der EFB hat sich dementsprechend prozentual verringert. Die EFB Friedrichshain-Kreuzberg hat sich auf die neuen Herausforderungen eingestellt, indem sie z.B. das Programm KiB an zwei Standorten anbietet. http://www.efb-berlin.de/ratsuchende/gruppenangebote/gruppenangebot/98-kinder-im-blick-einkurs-fuer-eltern-in-trennung-efb-friedrichshain-kreuzberg/ Die Beratung von getrennten Eltern mit Kommunikationsproblemen bedeutet auch eine höhere psychische Belastung für unser Team, da deren Probleme oft sehr verfestigt sind und viele dieser Eltern in einer aggressiven und gereizten Stimmung zu uns kommen. Neben den vom Gericht an uns verwiesenen Eltern gibt es aber auch solche, die sich ohne ein gerichtliches Verfahren von uns beraten lassen und zu Lösungen bei der Aufteilung des Umganges kommen. Die Tendenz ist, dass Väter sich ihrer Rechte immer mehr bewusst sind und ihre erzieherische Verantwortung auch nach Trennungen aktiver ausüben. Das Wechselmodell hat sich dabei als kompromissfähiger Lösungsansatz am besten bewährt. Die Zusammenarbeit im AK 1 war respektvoll und von gegenseitiger Wertschätzung geprägt. Es war sehr aufschlussreich, aus welcher Perspektive Rechtsanwälte/innen und Richter/innen an die Lösung dieser familiären Konflikte herangehen und zu welchen Ergebnissen sie dabei kommen. Möhler-Staat an Herrn Uhlemann Die meisten Fälle entwickeln sich in eine gute Richtung. Wir haben es jedoch mit unterschiedlichen Eskalationsstufen, „Schweregraden“ zu tun, mit unproblematischen Fällen, problematischen und gar hochkonflikthaften Fällen. Als Psychologischer Sachverständiger erleben Sie die komplizierten Fallkonstellationen. Ca. 8-10% der Kinder und Jugendlichen sind dauerhaft einem stark eskalierten elterlichen Konflikt ausgesetzt. Einschlägige Forschungsstudien belegen, dass dies für Kinder mit erheblichen Entwicklungsrisiken einhergeht. Das kann in tatsächliche Gefährdungen und Schädigungen des Kindeswohls münden. Meine Frage an Sie: Wie trägt der psychologische Sachverständige zu Lösungen bei, die im Interesse des Kindes liegen. Frank Uhlemann: Ganz wichtig sind: gründliche Datenerhebung zu allen relevanten Fragen, wie - biografische und persönliche Ressourcen und Defizite der Eltern, - Verarbeitung der Trennung, 12 - Erziehungshaltung (Ziele, Kenntnisse, Methoden), Kenntnisse über das Kind, Entwicklungsstand des Kindes und spezielle Erziehungsanforderungen, Exploration des Kindes zur Erhebung von Bindungs/Erziehungserfahrungen und Kindeswillen, Befragung Dritter, Verhaltens- und Interaktionsbeobachtungen. Entweder das Hinwirken auf ein Einvernehmen gelingt - nach der für die Begutachtung relevanten Datenerhebung in Einzel-/oder gemeinsamen Elterngesprächen, bei denen den Eltern Teilergebnisse zurückgemeldet werden, - oder es gelingt auf Basis des schriftlichen Gutachtens in der anschließenden Anhörung ein Vergleich (nicht zu unterschätzen, dies betrifft viele Fälle und ist letztlich immer noch eine Lösung im Sinne des Kindes ohne Gerichtsbeschluss). Auch der Gerichtsbeschluss kann eine Lösung darstellen, die im Interesse des Kindes liegt, z. B. kann ein zeitnaher Gerichtsbeschluss eine ungünstige Lebenssituation für das Kind schneller beenden als ein ggf. sehr langwieriges Hinwirken auf Einvernehmen bei widerständigen Eltern. Frau Möhler-Staat an Frau Dr. Hannemann: Sie beschäftigen sich schon sehr lange - auch als ehemalige wissenschaftliche Mitarbeiterin von Herrn Prof. Johannes Münder, mit dem Themenschwerpunkt § 50 FGG, der Kind-zentrierten Gestaltung von Verfahren. Als Verfahrensbeiständin sind Sie die Interessensvertretung des Kindes. Es gab ja bereits viel Hoffnung, als schon 1998 die parteiliche Rechtsfigur der Verfahrenspflegschaft für Minderjährige gem. § 50 FGG in das familienrechtliche Verfahren eingeführt wurde. Meine Fragen an Sie: Was hat sich seit der FGG-Reform für die Verfahrensbeistandschaft verändert? Wie sieht es mit der Stärkung der Kinderrechte tatsächlich aus? Wie Kind-zentriert verlaufen die Verfahren? Dr. Annika Hannemann: Durch die Reform hat sich der Aufgabenkreis noch erweitert. Vorher gab es große Probleme, verschiedene Aufgaben vergütet zu bekommen, die man eigentlich im Interesse des Kindes führen musste, z.B. Elterngespräche. Das hat sich geändert. Der Verfahrensbeistand kann jetzt Gespräche mit Eltern, Kita, mit Dritten führen und ich denke, das ist auch notwendig. Ein bisschen hängt es von dem Richter/der Richterin ab, wie es gestaltet wird. Es gibt zwei unterschiedliche Pauschalen, eine große, eine kleine. Die große Pauschale beinhaltet Gespräche mit Dritten usw. Die kleine Pauschale beinhaltet nur das Gespräch mit dem Kind. 13 Es gibt den großen Vorteil, dass ich nun als Interessensvertreterin auch Reisen zu dem Kind machen kann, z.B. wenn ein Vater mit dem Kind nach BadenWürttemberg verzogen ist und das Verfahren ist noch hier rechtsanhängig. Ich kann mir jetzt selbst ein Bild machen, wie es dem Kind dort geht. Früher wäre das gar nicht möglich gewesen. Die Wahrnehmung der Kinderrechte hängt sehr von den Individuen der Verfahrensbeteiligten ab. Rechtsanwälte können ein Problem darstellen, wenn sie ihrem Mandanten nicht die Rechte seines Kindes vermitteln, wie Frau Delerue es dargestellt hat, sondern nur den Mandanten sehen und die gesamte Vermittlungsarbeit, die ich geleistet habe, versuchen zu zerschießen. Das wird dann anstrengend und unschön. Letztendlich passiert das glücklicherweise selten. Neu ist, dass bei der Kindesanhörung der Verfahrensbeistand anwesend ist. Ich kann das Kind danach fragen, ob es meine Anwesenheit möchte. Es hängt im Wesentlichen davon ab, wie alt das Kind ist. Die meisten Kinder wünschen sich das. Ein Vorteil ist, dass wir im Rahmen des Beschleunigten Verfahrens wesentlich früher ins Verfahren kommen. Früher mussten wir zu einem späteren Zeitpunkt oft Feuerwehr spielen, wenn schon alles schwierig und verfahren war. Wir können nun zwei oder dreimal mit dem Kind sprechen, eine Einigung erarbeiten, die in der Anhörung zum Tragen kommt. Im Idealfall ist das Verfahren dann beendet. Schwierig ist, wenn das Kind etwas braucht und der rechtliche Rahmen dafür nicht gegeben ist, z.B. das Kind möchte Umgang mit einem Elternteil haben, der so manipulierend ist und bleibt, dass immer jemand dabei sein muss, weil es dem Kind sonst nicht guttut. Der beobachtete Umgang wäre also gut für das Kind, allerdings bewilligt das JA diesen nur begrenzt, weil ja Ziel ein unbegleiteter Umgang ist. So wird ein solches Kind dann auf diesem Wege in seinen Rechten beschnitten, weil dann ein unbegleiteter Umgang nicht stattfinden kann. Frau Möhler-Staat: Welche Kooperationsstränge gibt es mit dem Umgangspfleger? Frau Dr. Hannemann: Das ist unterschiedlich. Der Umgangspfleger kann Ergebnis meiner Arbeit sein, wenn ich einen verweigernden Elternteil habe, eine Umgangsregelung vom Gericht festgelegt wird und der Umgangspfleger wird mit der Umsetzung beauftragt. Dann bin ich als Verfahrensbeistand heraus. Es kann aber sein, dass wir bei mehreren parallelen Verfahren beide tätig sind und uns rege austauschen. Z.B. die Reise nach Baden-Württemberg habe ich zusammen mit dem Umgangspfleger gemacht. Teilweise ist es so, dass wir als Verfahrensbeistand Empfehlungen für die Umgangspfleger aussprechen, auch unter dem Aspekt, wer wäre jetzt für diese Familie geeignet. Ähnlich ist es, wenn ein Vormund zu bestellen ist. Hier mache ich auch namentliche Vorschläge zur Übernahme von Einzelvormundschaften, die ja Vorrang vor der Amtsvormundschaft haben sollte, z.B. konnte ich im Fall eines 14 schulverweigernden Kindes einen jungen Mann vorschlagen, der sich mit dieser Problematik auskennt und tatsächlich mit viel Engagement morgens das Kind abholt, zur Schule begleitet. So kann ich in vielfacher Hinsicht vieles bewirken. Frau Möhler-Staat: Ja, wir haben gehört, dass sich vieles positiv entwickelt, aber wir müssen weiter stricken, heißt es in einzelnen Beiträgen. Die neuen Formen der Kooperation, neue Haltungen, eine gemeinsame Sprache sind nützlich. Frage: Inwieweit können diese eine gute Basis bilden für Verfahren gem. § 1666 BGB bei KWG? Das ist auch die Überleitung auf den zweiten Teil unserer Veranstaltung. Frau Abel: Ich möchte ermutigen, in Fällen nach §8a SGB VIII das Familiengericht frühzeitig einzubeziehen und nicht erst dann, wenn nach einer längeren Vorgeschichte schon ein vollständiger Sorgerechtsentzug im Raume steht, sondern schon deutlich früher, um zu besprechen, welche gerichtlichen Maßnahmen hier erforderlich sind. Hier kann oft ggf. mit Hilfe des Gerichts und anderen beteiligten Akteuren steuernd eingegriffen werden. Falls sich die Situation dennoch weiterhin verschlechtert, kennt das Gericht die Familie schon und ist nicht so überrascht, wenn nun dieser Antrag auf Sorgerechtsentzug kommt. Das Format der Arbeitskreise eignet sich auch sehr gut, hierzu Themenstellungen und Fallsituationen zu diskutieren. Frau Delerue: Aus der Perspektive der Anwaltschaft muss man unterscheiden zwischen zwei Verfahrensstadien im § 1666 BGB-Verfahren. In einer fehlerfreien Welt würde sich der Blick der Beteiligten immer auf die Kinder richten. Und ich glaube, da sind wir uns alle einig: Wir befinden uns nicht in einer fehlerfreien Welt. Daher ist es die Aufgabe der Anwälte, in Fällen mit Vorwurf der Kindeswohlgefährdung am Anfang in einer klärenden Phase auf der Seite des Mandanten zu stehen und zu schauen, ob die andere Seite in den Feststellungen einen Fehler gemacht hat, auch wenn das den anderen Beteiligten nicht immer entgegenkommt. Das Setting kann dennoch in einer nächsten Phase verändert werden, wenn sich eine KWG bestätigt und ich als Anwalt mit Blick auf das Kind meinen Mandanten berate, zu einer Lösung beizutragen. In der interdisziplinären Zusammenarbeit hat sich schon eine Empfehlung herauskristallisiert, dass alle Beteiligten eine frühzeitige Diagnostik unterstützen, um dann an einer gemeinsamen Lösung zu arbeiten. Frau Möhler-Staat: Herzlichen Dank für Ihre Hinweise und auch für die gute Zusammenarbeit, die wir seit Jahren haben.
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