Leseprobe aus organ 1/2016 © Schott Music, Mainz 2016 18 Ein Leben für den Orgelbau Guido Krawinkel sprach für organ anlässlich seines 85. Geburtstags mit Hans Gerd Klais „Jede einzelne Orgel ist ein eigenes Kunstwerk für sich: architektonisch, technisch, aber vor allen Dingen musikalisch!“ Das sagt einer, der sich selbst in erster Linie als „Handwerker“ bezeichnet, nicht als Künstler: Hans Gerd Klais, geboren am 2. Dezember 1930. Der Rheinländer hat den deutschen Orgelbau in der Nachkriegsära über Jahrzehnte geprägt, ebenso international zahlreiche Spuren hinterlassen und etliche Instrumente gebaut, die auch heute noch einen besonderen Status haben. Seit 133 Jahren gibt es die rheinische Orgelbauwerkstatt in der nunmehr vierten Generation, die ihren heutigen Firmensitz seit 1894 an der Kölnstraße in der Bonner Nordstadt hat und aktuell eine Exportquote von rund vierzig Prozent aufweist. Wichtige Impulse haben diese und ebenso der globale Orgelbau von ihrem langjährigen Prinzipal Hans Gerd Klais erhalten, der die Geschicke der Firma von 1965 bis 1995 an der Spitze leitete und jüngst seinen 85. Geburtstag beging. Als Orgelbauer brauchte er oft einen langen Atem. Da denkt man mitunter nicht mehr in Wochen oder Monaten, sondern in Jahren, Jahrzehnten, manchmal auch in Jahrhunderten … Bis eine Planung konkrete Gestalt annimmt, dauert es oft lange Zeit – zehn Jahre sind hierbei keine Seltenheit. Bei einer Orgel an der Mosel hat es für Hans Gerd Klais sogar einmal gut drei Jahrzehnte gedauert, bis er das betreffende Instrument schließlich bauen konnte. Und den „richtigen Riecher“ brauchte bzw. hatte er nicht selten auch: für neue Märkte und neue Trends, in technischer wie ästhetischstilistischer Hinsicht. Neue Trends hat Hans Gert Klais mit seinen zahlreichen Orgelbauten im Ausland und einer firmeneigenen Restaurierungswerkstatt nicht nur aufgegriffen, sondern aktiv gestaltet und gesetzt. Und all dies mit respektablem ökonomischen Erfolg, denn der Betrieb mit seinen aktuell über sechzig MitarbeiterInnen ist derzeit zugleich die größte bundesdeutsche Orgelbauwerkstatt. organ: Herr Klais, erinnern Sie sich heute noch an Ihre ersten Erfahrungen mit dem Orgelbau? organ 1/2016 Hans Gerd Klais: Oh ja, das tue ich. Ich erinnere mich sehr gut an einen Werkstattmeister, dem ich zwar immer ein wenig lästig war, der mir dennoch sehr viel erklärt hat. Mein Vater [Hans Klais, 1890– 1965] hat mich ganz bewusst jemandem zugeteilt: einem Schreiner. Denn er war der Ansicht, dass das Schreinerhandwerk die allerwichtigste Basis im Orgelbau ist. Das war ein älterer, berufserfahrener Mann, der mich sukzessive in die Werkstatt eingeführt hat. Meine Ausbildung verlief dann vielgleisig – das wäre heute in dieser Form gar nicht mehr möglich. Schon während der Schulzeit, die durch den Krieg allerdings mit vielen Unterbrechungen verbunden war, habe ich im heimischen Betrieb als Lehrling gearbeitet. Nachdem ich die Grundbegriffe des Schreinerns kapiert hatte, ging es auch schon bald mit raus zu diversen Außenterminen. Wie hat man sich die Situation für einen Orgelbaubetrieb während der unmittelbaren Nachkriegszeit vorzustellen? War damals überhaupt an einen qualitätsbewussten Orgelbau zu denken? Als Orgelbauer aus Leidenschaft denkt man zwangsläufig immer an Orgeln, egal in welcher Zeit und unter welch widrigen Umständen. Und es läuft ja auch immer – irgendwie! Wenn eine Orgel kaputt war, riefen die Gemeinden halt in unserer Werkstatt an. Es gab damals zunächst fast nur Reparaturen, und dabei lernt man als junger Orgelbauer sehr viel. Nur an echte Neubauten war in den ersten Nachkriegsjahren natürlich noch nicht zu denken. Gab es damals ernsthafte Probleme hinsichtlich der Beschaffung qualitativ wertiger Materialen für den Orgelbau? Das war ein Riesenproblem! Mein Vater war aber immer ein sehr korrekter Mann, der niemals Pfusch oder mangelhafte Qualität abgeliefert hätte, auch unter solchen erschwerten Umständen nicht, und er hat darunter sehr gelitten. Aber er ist trotzdem immer seinen geraden Weg als Orgelbauer gegangen. Mit seinen zahlreichen neuen Entwicklungen und Erfindungen hatte er den Orgelbau insgesamt wie das Unternehmen seit seiner Geschäftsübernahme im Jahr 1925 entscheidend vorangebracht. Wie rasch bzw. unvorbereitet mussten Sie selbst als noch junger Orgelbauer betriebliche Verantwortung übernehmen? Das ging auf einmal sehr schnell, weil mein Vater, der rein kriegsbedingt sehr viel mitgemacht hatte, plötzlich erkrankte. Er hatte viel Unschönes erleben müssen: die Weltwirtschaftskrise und die Inflation mit anschließender Währungskrise, die katastrophale Arbeitslosigkeit damals, das Wüten der Nazis, gegen die er als überzeugter Katholik immer gestanden war. Er ist ja mehrfach deswegen verhaftet worden, wurde zuhause abgeholt, kam dann glücklicherweise jedes Mal am nächsten Tag wieder. Dann ist unsere Werkstatt während des Krieges niedergebrannt und musste wieder neu aufgebaut werden. Dass er dies alles bewältigt hat, finde ich enorm und es nötigt mir noch heute Respekt ab. Aber eines Tages war er dann regelrecht „verschlissen“ und ich musste – früher als ich selbst es eigentlich wollte – gerade © Orgelbau Klais Bonn © Archiv Orgelbau Klais Bonn © Bundesarchiv B 145 Bild-F023327-0003 | Foto: Jens Gathmann 20 Die Werkstatt im Jahr 1929: die Hauptschreinerei Mitte zwanzig den Laden von einem auf den anderen Tag übernehmen. Meine Mutter hat mich mitten aus dem Studium nach Hause gerufen, und plötzlich stand ich da, hatte das alles nie gelernt … – Ich besaß den Gesellenbrief, hatte aber noch keine Meisterprüfung, und dafür war jetzt auch keine Zeit mehr. Gott sei Dank hatte mein Vater ganz ausgezeichnete Mitarbeiter, die mir sehr geholfen haben. Auf der kaufmännischen Ebene hatten wir zum Beispiel einen sehr, sehr guten Prokuristen, der wie ein zweiter Vater zu mir war. Und auf der orgelbaulichen Ebene hatten wir auch einen sehr guten jungen Mitarbeiter, der viele brauchbare Ideen entwickelte. In späteren Jahren konnten Sie aber wieder mit Ihrem Vater zusammenarbeiten? Sie beide vertraten im Orgelbau allerdings stilistisch-ästhetisch recht gegensätzliche Auffassungen … Ja, er ist irgendwann glücklicherweise wieder auf die Beine gekommen, und dann haben wir eine ganze Zeit lang sehr gut zusammengearbeitet – auch wenn vorher bisweilen schon mal die Fetzen geflogen sind. Am Ende musste mein Vater einsehen, dass auch im Orgelbau unwiderruflich eine neue Zeit angebrochen war. Es ging ja damals vorwiegend um die Trakturfrage, ob nun mechanisch oder elektrisch gebaut werden solle. Mein Vater war in der Branche bekannt für seine ausgereiften elektrischen Trakturen, doch nach Kriegsende war der Zeitgeist der nunmehr sehr dominierenden Orgelbewegung ein anderer. Vor allem Gespräche mit vielen Organisten damals haben mit klar gemacht, dass der Kontakt zur Orgel als „unmittelbarer“ organ 1/2016 Die Werkstatt im Jahr 1966: Spieltischmontage empfunden wurde, wenn sie ein mechanisches Instrument unter den Fingern und Füßen haben. Nicht alle führenden Organisten waren übrigens damals dieser Auffassung. Manche, gerade die bekannteren, auf virtuoses Spiel bedachten Konzertorganisten, wollten oft weiter von der Orgel entfernt sitzen, um den Klang im Raum besser abhören zu können. Diesen Zwiespalt musste ich erst einmal in mir selbst überwinden – beides hat ja seine Berechtigung. Gab es bestimmte Mitarbeiter, an die Sie sich mit Blick auf Ihre erste eigenständige Zeit erinnern? Was das Kaufmännische betrifft, war das besagter Prokurist, eine absolut ehrliche Haut, dem man alles getrost anvertrauen konnte. Und auf dem orgelbaulichen Gebiet war das ein junger Mitarbeiter, den mein Vater noch selbst herangezogen hatte: Josef Schäfer, der im Orgelbau nachher sogar bekannter war als ich, weil er gut Englisch sprach, viele Vorträge im Ausland hielt und auch sehr gute Ideen hatte. Schäfer zeichnete für eine ganze Reihe von Prospekten federführend verantwortlich, die regelrecht Orgelbaugeschichte geschrieben haben. Architekturprospekte mit künstlerischer Ambition sind ja bis heute ein Markenzeichen des Hauses Klais. Wie sind die Ideen dazu entstanden? Mein Vater hatte während der 1930er Jahre seinerseits die charakteristischen gehäuselosen Klais-Prospekte kultiviert und hatte befreundete namhafte Architekten, die ihn dabei berieten. Unter ihm hielt damit quasi die Moderne Einzug in die Prospektgestaltung. Gleichzeitig wurden neue ergonomische Spieltischanlagen entwickelt. Ich kannte auch eine Reihe von Architekten und habe sie hinzugezogen, weil ich dafür einen Fachmann brauchte, der die Ideen gekonnt, mit Sachverstand, umsetzt. Aber das Verhältnis zwischen Architekten und Orgelbauern ist traditionell ja nicht unproblematisch … Es gibt da auch Gegenbeispiele: Orgelbauer, die ich selbst ausgebildet habe, die später Architektur studiert haben und mit denen wir zum Teil heute immer noch gut zusammenarbeiten. Das sind Fachleute, mit denen man sehr gut zusammenarbeiten kann – und auch sollte. Eine so namhafte Orgelbaufirma zu führen bedeutet auch eine große Verantwortung. War dies für Sie mehr Belastung oder mehr Motivation? Es ist beides, aber die Motivation ist das wichtigste, sonst geht es natürlich nicht weiter. Es ist aber auch eine Belastung, da hängen ja Mitarbeiter und die Schicksale von deren Familien dran. Manchmal muss man auch Kompromisse machen, um diese Familien überhaupt weiter ernähren zu können. Ganz unbeirrt und stur geradeaus kann man ja auch nicht immer weitergehen, sondern man muss sehr oft auch verantwortungsvoll an die Belegschaft denken. Wenn Sie von der Belegschaft der Firma Klais reden, sprechen Sie gerne von einer „Familie“. Wie meinen Sie das genau? Die Mitarbeiter sind für mich wie eine Fotos: © Orgelbau Klais Bonn Gespräch_ 21 Ingolstadt, Münster, 1969 zweite Familie. Ich war ja seit meiner Kindheit immer mehr in der Werkstatt als zu Hause. Und wenn da ein vergiftetes Klima des permanenten Streitens herrscht, dann macht es einfach keine Freude mehr. Man muss sich um seine MitarbeiterInnen kümmern, sonst funktioniert so ein Betrieb nicht. Man kann nur erfolgreich arbeiten, wenn die Stimmung vertrauensvoll und friedlich ist. Die Menschen müssen sich bei ihrer Arbeit auch wohlfühlen. Sie haben ja als einer der ersten Orgelbaubetriebe eine eigene Restaurierungsabteilung gegründet. Wie kam es dazu? Das kam ganz automatisch. Wir haben immer schon alte Instrumente restauriert. Es gab da einen ambitionierten jungen Mitarbeiter, Hans Wolfgang Theobald – Orgelbauer, Organist und promovierter Musikwissenschaftler –, der als Wissenschaftler auch praktisch arbeiten wollte. Er leitet bis heute die Abteilung Orgelrestaurierung. Und so kam es dann, dass viele interessante Restaurierungsprojekte an uns herangetragen wurden. Manches mussten wir damals allerdings erst neu erlernen und uns nach und nach die entsprechenden Spezialkenntnisse aneignen. Spielte da auch ein gewisser grundständiger Respekt vor dem überlieferten Alten mit, der im Orgelbau ausgeprägt ist? Das ist ganz wichtig! Mein Vater hat mir damals viele Freiheiten eingeräumt und ich durfte hinreisen, wo immer ein orgelhistorisch bedeutsames Instrument stand. Ich habe diese Werke studiert und an ihnen und durch sie immer wieder Würzburger Dom, Hauptorgel, 1969 Neues gelernt. Meine eigene vorgefasste Meinung musste ich so immer wieder an den meisterlichen Vorbildern der Alten korrigieren. Ein spektakuläres Projekt war 1975 die Restaurierung der Bambus-Orgel in Las Piñas auf den Philippinen aus dem Jahre 1824. Ja, das war einmalig. Damals gab es weltweit keine andere Orgel mit Pfeifen ausschließlich aus Bambus. Ich hatte von einem Missionspater davon gehört und mir ein Flugticket dorthin besorgt. Das Instrument habe ich dann studiert und festgestellt: Es wird überall nur mit Wasser gekocht – doch die Pfeifen waren tatsächlich aus Bambus. Für uns ist das unvorstellbar teuer, für die Menschen dort aber die einfachste Möglichkeit, Pfeifen zu bauen. Das Material wuchs dort gewissermaßen vor der Haustür, das konnte man mit handwerklichen Mitteln gut zu einer Pfeife bearbeiten. Ich war mehrfach dort und als es an die Restaurierung ging, lag es nahe, dass wir den Auftrag übernehmen. Der Aufwand allerdings war riesig: Die Frage war, ob man das Instrument dort oder hier restauriert. Schnell war aber klar, dass man hier viel mehr Hilfsmittel zur Verfügung hat. Allerdings mussten wir in Bonn einen Raum schaffen, in dem die gleichen klimatischen Verhältnisse wie dort herrschten, damit das Material nicht leidet. Ausgerechnet an Weihnachten fiel die Anlage, welche die Feuchtigkeit regulierte, einmal aus. Da musste dann trotz des Feiertags innerhalb von zwei Stunden ein Techniker kommen. Hans Gerd Klais wurde am 2. Dezember 1930 geboren. Er wuchs in Bonn auf. Als Orgelbauer ausgebildet wurde er im elterlichen Betrieb. Fachübergreifende Studien in Bonn, Göttingen und Berlin sowie Studienreisen zu bedeutenden historischen Orgeln im In- und Ausland rundeten seine Ausbildung ab. Von 1984 bis 2000 war er Vorsitzender des Bundes Deutscher Orgelbaumeister (BDO), von 1982 bis 1992 Vizepräsident der International Society of Organbuilders (ISO). Er verantwortete Instrumente wie in Ingolstadt (Münster, IV/ 69), Brisbane (Cultural Center, IV/88) oder Reykjavik (Hallgrimskirkja, IV/72) u.v.a.m. Der passionierte Zigarrenraucher lebt mit seiner Frau unweit der Bonner Werkstatt an der Kölnstraße in einer Wohnung, von der aus er das betriebliche Geschehen aus der „Vogelwarte“ stets im Blick behält. Wie geht es der Bambus-Orgel heute? Sehr gut! Wir haben nach wie vor Kontakt und haben damals auch jemanden ausgebildet, der mittlerweile schon selbst Orgelbauer ausbildet. Das funktioniert recht gut. Das haben wir in dieser Form mehrfach gemacht. In diesem Fall hat es aber besonders gut funktioniert. Wie beginnt man als Orgelbauer denn bei Neubauten die erste Planung? Das ist immer recht verschieden… … mehr erfahren Sie in Heft 1/2016 organ 1/2016
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