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2|06
Grenzgänger
Im Berliner Meer der Möglichkeiten
Corinna Charis Schwarz
Architektin / Möbelverkäuferin / Fotomodell
Porträtiert von Adam Soboczynski
Fotos: Torsten Seidel
Gestaltung: www.henkelhiedl.com
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Corinna Charis Schwarz
geboren 1970 in Berlin
im Rheinland aufgewachsen
lebt seit 1992 in Berlin-Mitte
Studium:
1990-92 Innenarchitektur in Düsseldorf
ab1992 Architekturstudium in Potsdam und
an der Ecole d‘Architecture de Paris La Villette
2000 Diplom in Potsdam,
Thema: „La périphérique de Paris“
Stationen:
plante zwei Jahre mit dem Freund im
Architekturbüro ein Wohnbauprojekt in
Berlin-Mitte, jobbte parallel als Barkeeperin
und als DJ, arbeitete mit Malern und
Fotografen an Projekten, organisierte
Vorträge, Lesungen und Modevernissagen
im eigenen Wohnsalon, eröffnete 2004
eigenen Möbelladen in Berlin-Mitte
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Corinna Charis Schwarz ist Architektin, Barkeeperin und DJ, Fotomodell und
Möbelverkäuferin. Sie ist der lebende Beweis, dass manche Erfolgsformeln sich
nur in Berlin einlösen lassen. So sieht sie aus: Die Anatomie des kreativen Berlin.
Sie hat ihre Wurzeln in der Architektur.
Wenn Sterne sich ballen, nennen die Astronomen das einen „Cluster“. Was ein Modewort geworden ist für jede Art von Netzwerk, dafür, wenn sich Menschen zusammentun,
ihre Talente zusammenspannen, auf kleinstem Raum, zum gemeinsamen Vorteil. In der
Wirtschaft spricht man immer dann von einem „Cluster“, wenn sich Regionen auf die
Produktion bestimmter Güter spezialisieren. In Berlin, am Prenzlauer Berg zum Beispiel,
wo es heftig clustert, wären das Architektur, Mode, Kunst, Design – und Werbung.
Das Sternenbild über dem Berliner Zionskirchplatz heißt Corinna Charis Schwarz.
Zeichnet man einen Cluster aus all dem, was sie zugleich ist, dann entsteht ein verzweigtes Netz, dessen Fäden bei der 35-jährigen enden. Sie verknüpft beinahe sämtliche
Kreativszenen des heutigen Berlin miteinander, ist von diesen Szenen zugleich eingesponnen worden, und sie vereint sie allesamt in sich selbst. Sie ist Architektin, Barkeeperin, DJ und Fotomodell, sie ist Muse, indem sie Malern Modell sitzt, sie zu Werken
inspiriert, und sie ist Besitzerin eines Möbelgeschäftes. Sie ist ein stiller Star, wie ihn wohl
nur diese Stadt hervorbringen kann, und einer der Gründe, warum Berlin heute leuchtet.
Ausgangspunkt der Arbeit von Corinna Charis Schwarz war und ist die Architektur, auch
wenn sich ihr Berufsweg verzweigt und differenziert hat. Klare, maßgeschneiderte
Karriereschritte liegen ihr ohnehin fern. Denn in Berlin gibt es etwas im Überfluss, das
man andernorts gar nicht ernst nimmt: Projekte. „Projekt“, das ist das Berlin-Wort
schlechthin. Jeder hat gerade eines im Gange. Wenn Corinna Charis Schwarz eines ihrer
Projekte anfängt, dann in der Gewissheit, dass schon in wenigen Monaten ein neues
Projekt darauf wartet, entdeckt zu werden. Und mit der ehrlichen Überzeugung, dass eine
Stelle mit ewigem Kündigungsschutz und einer Besoldung laut Flächentarifvertrag sie zu
Tode langweilen würde.
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Bis vor wenigen Wochen blickte uns Corinna Charis Schwarz von Bushaltestellen, auf
großformatigen Plakatwänden, in Magazinen an: Sie lehnt an einen VW-Bus, in ihrer
Rechten hält sie eine West-Zigarette, im Hintergrund ihr Begleiter, auch er raucht.
„Für mehr Aufbruchstimmung“ steht in weißen Lettern auf der Anzeige. Sie fahren gleich
in den Urlaub, vermutlich weg aus dem verregneten Berlin, denkt man kurz, irgendwohin in
den Süden, wo der Sommer verlässlich ist und lang und der Winter ganz mild.
Corinna Charis Schwarz im Sessel „BALL“ von Eero Aarnio (1963-65)
Auf einer Anzeige der Zeitschrift Woman wiederum rollt Corinna Charis Schwarz Pasta
auf ihre Gabel, lachend, in einer Wohnküche. „Ich entscheide“, prangt rot als Motto
auf dem Werbebild. „Just a perfect day“ heißt wiederum ihre Foto-Modestrecke in der
Zeitschrift Quest. Auf einem Foto steigt sie gerade aus einem See, im dunklen Bikini von
Pepe Jeans. Oder sie hält die Füße ins
Wasser. In Sommerkleidern der Designerin
Fillippa K.
Das sind die Bilder, die man von Corinna
Charis Schwarz im vergangenen Jahr so
gesehen hat, zumeist beiläufig, wie
Werbung eben häufig nur flüchtig wahrgenommen wird, und sich einem doch
ins Gedächtnis brennt. „Die Werbung ist auch nur ein Nebenjob,“ sagt Corinna Charis
Schwarz im „Lass uns Freunde bleiben“, einem Café am Rande von Prenzlauer Berg.
Sie sitzt auf einer beigefarbenen Couch, einem Retrostück aus den 60ern, hat die Beine
übereinander geschlagen, den Mund in kraftvollem Rot geschminkt. So, wie sie da sitzt,
mit ihrem strahlenden Lachen, das man aus der Werbung kennt, könnte sie einem glatt
alles verkaufen. Ranzige Butter, verbeulte Gebrauchtwagen, alles völlig überteuert, vertrauensselig würde man ihr verfallen, sie müsste sich nur hin und wieder mit den Fingern
durch die schulterlangen Haare fahren, wie jetzt im Café, oder mit ihrer rauchigen Divenstimme kurz auflachen.
Vermutlich ist ein Leben in Deutschland, wie es Corinna Charis Schwarz führt, wirklich
nur in Berlin möglich. 1992 ist sie in die Hauptstadt gezogen, um in Potsdam Architektur
zu studieren. Für ihre Diplomarbeit ging sie mehrere Monate nach Paris. Der Boulevard
périphérique hat Corinna Charis Schwarz angezogen, jener Autobahnring, der die
Einer der Gründe,
warum Berlin heute leuchtet.
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opulente, historische Innenstadt von den banlieues trennt, den Armenvierteln der Immigranten. Jene banlieues, in denen kürzlich Autos brannten und Wohnhäuser verwüstet
wurden. Als sie die Unruhen am Fernseher verfolgte, sei ihr der eigene Paris-Aufenthalt
wieder eingefallen, sagt Corinna Charis Schwarz.
Fotostrecke für das Modelabel choucroute 06, Fotografin: Fergus Padel
„Die Werbung ist
auch nur ein Nebenjob.“
Sie ist 2000 den Autobahnring entlang gefahren, immer wieder, der Frage nachgehend,
ob sich die monströse städtebauliche Trennung der Wohnviertel architektonisch aufbrechen lässt. Sie hat ein Autokino entworfen, das auf einer Brücke über der mächtigen
Betonschneise die disparaten Wohngegenden verbindet. Auch ein Gewächshaus hat sie
konzipiert, einen Garten, der als kommunikativer Treffpunkt der Bewohner dienen könnte.
Er spannt sich gleichfalls über die Autobahn, er überbrückt sie im wahrsten Sinne des
Wortes. So jedenfalls zeigt es ihr Diplommodell.
Corinna Charis Schwarz hat nach ihrem Studium zusammen mit einem Freund ein Wohnhaus in der Berliner Auguststraße verwirklicht, von 2001 bis 2003. „Es war intensiv,“ sagt
sie, doch Arbeitswelt und Studium klafften weit auseinander. Klagen, die freie Architekten
nur zu gut kennen: Corinna Charis Schwarz und ihr Partner seien einem „knochenharten“
und „zermürbenden“ Markt ausgesetzt gewesen. „Die meiste Zeit verbrachten wir mit
der Überwindung bürokratischer Hürden anstatt mit kreativer Arbeit,” erzählt sie. Und
doch möchte sie es nicht als „Krise“ bezeichnen, dass sie sich 2003, vom Job ermüdet,
entschloss, der Architektur erst einmal den Rücken zu kehren. Sie wollte, sagt sie knapp,
„etwas Abstand“.
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Eine Stelle mit
ewigem Kündigungsschutz und einer
Besoldung laut
Flächentarifvertrag
würde sie zu Tode
langweilen.
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Corinna Charis Schwarz arbeitete als Barkeeperin, legte Musik
auf, im legendären „White Trash“ damals noch in der Torstraße
in Berlin-Mitte. Und dann waren da noch, wie bereits während
ihrer Arbeit als Architektin, die Werbe- und Modewelt und die
Kunstszene. Bereits vor fünf Jahren wurde sie in einem Café
angesprochen, von Scouts der Modelagentur „Type Face“.
Seither tritt sie regelmäßig in Fernsehspots auf oder posiert auf
Plakatwänden. Auch für die Berliner Agentur Public Heroes.
„Es reicht jetzt aber mit der Werbung,“ sagt Corinna Charis
Schwarz. Denn einem Maler Model zu sitzen sei spannender als
die kurzlebigen Foto-Shootings für die Werbung, das Wechselspiel zwischen Maler und Model genieße sie, und auch die Dauer,
bis das Bild schließlich gemalt sei und die Pinsel weggelegt
würden. Dem Berliner Künstler Carsten Wirth stand sie kürzlich
Modell, auf einem Bild schaut sie gebannt in die Ferne, im Hintergrund blickt ein Mann aus dem Fenster, auf Häuserblöcke.
Ein kühles Großstadtszenario, der Bilderwelt Edward Hoppers
entlehnt.
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In der Werbewelt gehe es zu sehr um „Schauspielerei“, sagt sie, ständig in fremde Rollen
schlüpfen, das ermüde; wenn sie gemalt werde, dann kreise das Werk stärker um ihre
Persönlichkeit. Und die findet sie zum Beispiel in einem fotorealistischen Gemälde von
Frank Bauer abgebildet. Die Werke des ehemaligen Gerhard Richter-Schülers waren
2005 unter anderem in der Kunsthalle Bremen ausgestellt.
Frank Bauer „Corinna“ Öl auf Leinwand, 2003, 120 x 180 cm, Courtesy Galerie Voss, Düsseldorf
Das Bild, das Corinna Charis Schwarz zeigt, war nicht darunter. Ein Sammler jedoch,
der nicht genannt werden möchte, kann sie betrachten. Zerbrechlich wirkt sie auf dem
Bild, umklammert mit beiden Händen eine Trinkschale, die Augen geschlossen. Sie, die
Verwandlungskünstlerin, verwandelt von einem Künstler in eine weitere, neue Figur. Oder
ist das zum ersten Mal Corinna selbst und ganz persönlich?
Vor anderthalb Jahren hat sie mit ihrem Partner Said Sennine ein Geschäft am Zionskirchplatz eröffnet. Dort stehen Klassiker der Designgeschichte: dunkle Kunststoffsessel von
Ray and Charles Eames. Eine weiße Tischlampe von Verner Panton verströmt mildes
Licht. Ein mächtiger Schreibtisch aus den 70ern, er könnte aus einem James Bond-Film
getragen worden sein, thront im Raum. Corinna Charis Schwarz sagt, dass das Interieur ihres Geschäfts ständig wechselt. Ihr Laden sei ein flüchtiges Arrangement von
exklusiven Second-Hand-Möbelstücken. Vergangenen Herbst hat sie mit Said Sennine
zum zweiten Mal den Berliner Designmarkt eröffnet, und dort auch Interieur aus ihrem
Geschäft verkauft.
Planen. Bauen. Nutzen.
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Ein flüchtiges Arrangement. Wie ihre Arbeitswelt, die so weder in Paris noch in München
funktionieren würde, aber hier in Berlin, dem Projektparadies. Erst mit dreißig hat Corinna
Charis Schwarz ihre ersten Werbeaufnahmen gemacht, heute scheint sie auf dem Höhepunkt ihrer Modelkarriere. Was dem Autor Claudius Seidl Recht zu geben scheint, der in
seinem Buch „Schöne junge Welt“ von einer „Revolution der Altersstrukturen“ spricht, die
uns mitgerissen hat. Seit dem 19. Jahrhundert verliefen die Stufen des Lebens so: Der
Geburt folgte die Kindheit, der Kindheit die Jugend, der Jugend die Reife. Doch die klaren
Wegweiser sind weitestgehend
einvernehmlich abmontiert
worden: bürgerliche Lebensbaupläne, die uns vorschrieben, in
welchem Alter man als sexy gilt,
wann geheiratet wird und wann
wir uns ein für allemal für einen
Job entscheiden. Oder für ein
Projekt. Und noch eines. Wir
leben, so heißt es immer wieder, in einem Meer von Möglichkeiten. Und von Berlin aus,
sagt Corinna Charis Schwarz, geht der Blick auf das Meer noch ein wenig weiter als anderswo. Die Architektur hat sie aus dieser Perspektive dabei nicht vergessen. Zum einen
habe sie sich mit ihrer Liebe zum Design ihrem alten Beruf angenähert, zum anderen
arbeite sie auch wieder an Bauskizzen und einem Modell. Mehr möchte sie dazu nicht
sagen. Nur soviel: „Von der Architektur komme ich dann doch nicht richtig los.“
„Von der Architektur komme ich
dann doch nicht richtig los.“
Planen. Bauen. Nutzen.