KÄLTE SPEZIAL | WINTERHOSEN Was ist das beste Beinkleid für kalte und nasse Tage? Eine dicke Hose? Dicke und dünne Hose übereinander? Wasserdicht oder nur winddicht? Eine Typologie Schürt das innere Feuer: Sugoi „Firewall Bib Tight“ FIT IM SCHRITT? TEXT: ROBERT KÜHNEN FOTOS: DANIEL SIMON F ortschritt lässt sich manchmal am besten in der Rückschau erkennen: Früher waren Radhosen aus Wolle. Sie hielten warm, aber leider nur, solange man stand. Schon bei gemütlichem Tempo wurde es bitterkalt, weil der Fahrtwind durch die Maschen pfiff und alle Wärme wegblies. Also steckte Mann sich Socken in die Hose, um sich nicht die empfindlichsten Teile zu erfrieren. Es zog aber auch an den Knien, und bei Nässe war’s ganz aus: die Wolle voll Wasser, die Beine saukalt; was blieb, war der Kampf ums Überleben. Den Hauptfeinden winterlichen Radelns, dem beißenden Wind und der Nässe, setzen moderne Konstruktionen Barrieren entgegen. Membrane halten den Wind ab, so dass die im flauschigen Kunstfasertextil gefangene warme Luftschicht nicht von der Haut geblasen wird. Die Isolierschicht kann so viel dünner ausfallen als ohne Windschutz. Da die Windschutzschichten aber weniger elastisch sind als Leicht, dünn und dicht: „Paclite Ultra II“ von Gore Bike Wear Wind bleibt außen vor: Löfflers „Windstopper Softshell“ normale Lycra-Stoffe, hängt es stark vom Schnitt ab, ob’s wirklich bequem ist in der Hose. Daher sollte man Hosen vor dem Kauf immer anprobieren und die gebückte Radfahrerhaltung einnehmen, um den Sitz zu prüfen. Die verschiedenen Windbreakerstoffe sind alle auch mehr oder minder wasserdicht – was nicht bedeutet, dass alle Hosen aus diesen Stoffen rundherum dicht sind. Denn dazu müssten die Nähte versiegelt werden. Dass Wasser durch die Nähte dringt, ist aber in vielen Fällen nicht so schlimm. Hauptsache, ein Windbreaker schützt die Hosenvorderseite, so dass man auch bei ungemütlichen plus zwei Grad sportlich durch den Regen fahren kann. Über die durchlässigen Nähte wird die Hose zwar auf Dauer von innen nass, doch das Wasser erwärmt sich wie im Neoprenanzug und hält im warm. VorausEin Handschuh Rampenlicht. Dennoch gesetzt, der Mensch erzeugt genug sieht man nicht, was Wärme. in ihm steckt. Ob ein Es gibt Fälle, in denen das nicht möglich Langfinger wärmt, bequem sitztist und– Nässe zum Beispiel bei Passabfahrten imerst Regen abhält, stellt man durchoder Testen fest auf längeren Touren. Wer lange Strecken durch schlechtes Wetter fährt, freut sich über wirklich Für Kletterpartien in der Kälte: Jeantex „Montblanc“ wasserdichte Bekleidung, weil nach zwei, drei oder mehr Stunden nicht der heimische Ofen wartet, sondern vielleicht ein Zeltplatz. In solchen Fällen sind wasserdichte Überhosen sinnvoll. Den Nachteil, dass man in den Hosen deutlich mehr schwitzt, nimmt man dann gern in Kauf. Wer übrigens an den Knien kälteempfindlich ist, aber keine auf der gesamten Vorderseite dichte lange Hose tragen möchte, für den empfehlen sich Knielinge mit Windstopper. Man trägt sie einfach unter den langen Hosen. Bleibt noch die Frage, ob Winterhosen mit oder ohne Sitzpolster sinnvoller sind. Streift man durch das Angebot großer Sporthäuser, kann man den Eindruck gewinnen, die gepolsterte Variante sei das Nonplusultra. Wer jedoch schon während vieler Winter viele Kilometer auf dem Rennrad verbracht hat, weiß, dass es mehr Vorteile hat, die gewohnte kurze (und gepolsterte) Radhose unter eine lange ungepolsterte Winterhose zu ziehen. Denn die langen Hosen sitzen aufgrund der steiferen Materialien und des weiteren bel bbe e Schnitts selten so gut wie die kurzen. Mit dem Zwiebelu-u prinzip bringt man aber das Beste aus beiden Welten zu zum sammen. Passform und Sitzkomfort der kurzen mit dem Wind- und Kälteschutz der langen Hose. TOTAL DICHT TEILWEISE DICHT WINDBLOCKER WINDSTOPPER Konzept: Regenüberhose Beispiel: Gore Bike Wear „Paclite Ultra II“ Konzept: Kälte- und Regenüberhose Beispiel: Jeantex „Montblanc“ Konzept: dicke Trainingshose mit Wetterschutz Beispiel: Sugoi „Firewall Bib Tight“ Konzept: mitteldicke Trainingshose mit Wetterschutz Beispiel: Löffler „Windstopper Softshell Modell L498“ Die Gore-Hose aus dem leichten Zweilagen-Material „Paclite“ ist eine waschechte, absolut dichte Regenhose, die durch kleines Packmaß, geringes Gewicht und gute Details besticht. Die Hose ist im Bereich des Gesäßes verstärkt und hat an den Beinen lange Reißverschlüsse, so dass man sie leicht über die Schuhe ziehen kann. Mit Klettverschlüssen lässt sich die Beinweite am Unterschenkel auf sportliches Maß trimmen. Die Oberschenkelpartie ist nicht in der Weite regulierbar, aber so geschnitten, dass die Hose auch über normale Straßenkleidung passt. Entsprechend flattern die Beine bei sportlicher Fahrweise. Der Einsatzbereich der Hose reicht von der Fahrt ins Büro über Touren bis hin zu Marathons, wo sie aufgrund des geringen Gewichts als Schlechtwetterschutz für Abfahrten in Frage kommt. Die Atmungsaktivität der Paclite-Membrane ist sehr gut. Bei sportlichen Dauerleistungen kommt es dennoch leichter zu einem Hitzestau als bei nur teilweise abgedichteten Hosen. Die Jeantex-Regenhose besteht auf Vorder- und Rückseite aus wasserdichtem Material inklusive versiegelter, also wasserdichter Nähte. An der Seite befinden sich jedoch flexible Stretch-Streifen, durch die Wasser problemlos eindringen kann. Was auf den ersten Blick unsinnig erscheint, hat sich in der Praxis bewährt. Aufgrund des seitlichen Stretch-Einsatzes liegt die ungefütterte Hose, die über normalen langen Radhosen getragen wird, relativ eng und flatterarm an. Spritzwasser am Po und Wasser von vorne wird abgewiesen. Nur im Dauerregen dringt seitlich so viel Wasser ein, dass es sich im Inneren verteilt. Die Hose ist daher vielseitig im Training einsetzbar – als Wind- und Kälteschutz bei tiefen Temperaturen oder Nässeschutz bei Schmuddelwetter. Nicht zu unterschätzender Vorteil: Dreck lässt sich auf der glatten Oberfläche einfach abbrausen, es steht nicht nach jeder Crosseinlage ein Vollwaschgang fürs Beinkleid an. Der TemperaturEinsatzbereich lässt sich über die Dicke der Basishose gut steuern. Erfreulich: der günstige Preis. Die wärmste Hose des kanadischen Ausrüsters Sugoi ist auf der Vorderseite durchgängig mit einem elastischen Windbreaker verstärkt, der auf der Innenseite ein wabenartig gewirktes Textil zur Wärme-Isolation besitzt. Da das Material quer und längs elastisch ist, schneidert Sugoi die Hose mit wenigen Nähten und daher kaum vorgeformten Beinen. Auf der Rückseite ist als Spritzund Kälteschutz ebenfalls ein Keil des Windbreaker-Materials verbaut, der sich, beginnend vom Ende der Oberschenkel, nach oben verjüngt zu einem schmalen Streifen. Spritzwasser vom Hinterrad wird so etwas abgehalten. Das eingebaute Schutz-„Blech“ garantiert keinen trockenen Po, denn die Mittelnaht durchlöchert die schützende Membran, aber durch den effektiven Windschutz wird’s am Hintern nicht so kalt wie ohne Membran. Die Hose ohne Sitzpolster hat angenehm geschnittene Träger sowie einen tiefen Ausschnitt vorne. Reißverschlüsse an den Knöcheln, seitliche Reflexpaspeln sowie gummierte Beinabschlüsse zeugen von Liebe zum Detail. Die Hose besitzt durchgehenden Windschutz aus Windstopper Softshell auf der Vorderseite – von den Knöcheln bis zum Bauchnabel. Zusammen mit dem innen angerauten Stoff bietet sie so eine gute Wärme-Isolation. Im Rückenbereich der Hose wärmt ein zusätzliches Transtex-Futter. Alle Nähte sind als Flachnähte ausgeführt und stören kaum. Die Beine sind deutlich auf Form geschnitten. Gut so, denn das WindstopperGewebe auf der Vorderseite ist nur wenig elastisch. Das recht große und dicke integrierte Sitzpolster schmälert den Sitzkomfort im Vergleich zu einer Kombination aus langer Hose ohne Polster und elastischer kurze Hose, die man einfach unterzieht. Die Hose ist als „Modell L495“ auch ohne Sitzpolster erhältlich – für schlanke Sportler, die die Hose nicht prall ausfüllen, die bessere Wahl. Die Träger sind angenehm luftig, die Hose ist vorne schön tief ausgeschnitten. So soll’s sein. Der Verzicht auf Details wie Reflexpaspeln und Reißverschlüsse senkt den Preis etwas gegenüber aufwändiger ausgestatteten Hosen. Fazit: effektiver Windschutz an Vorderseite und Gesäß Preis: 144,90 Euro Einsatzbereich: Wintertraining Temperaturbereich: circa plus 5 bis minus 5 Grad Bezug: www.sugoi.com Fazit: Effektiver Windschutz an der Vorderseite Preis: 119 Euro Einsatzbereich: Wintertraining Temperaturbereich: circa plus 8 bis minus 2 Grad Bezug: www.loeffler.at Fazit: effektiver Nässeschutz rundum Preis: 160 Euro Einsatzbereich: Touren, Schlechtwetterschutz im Gebirge (ideal für Marathons) Temperaturbereich: circa plus 15 bis minus 15 Grad Bezug: www.gorebikewear.com Fazit: effektiver Nässeschutz an Vorderseite und Gesäß Preis: 70 Euro Einsatzbereich: Nässeschutz im Wintertraining, Marathons, Cross Temperaturbereich: circa plus 15 bis minus 15 Grad Bezug: www.jeantex.de TOUR 11/ 2006 23
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