Lexikalische Semantik

Vorlesung Lexikologie, FS 2006/7
(Pethő Gergely)
Thema 9: Lexikalische Semantik
1. Begriff der lexikalischen Semantik
Die lexikalische Semantik ist eine sprachwissenschaftliche Disziplin, ein Teil der Semantik.
Sie befasst sich mit der Bedeutung der Lexeme.
Sie sucht Antworten auf Fragen wie:
- Was weiß eine Sprecherin einer Sprache, wenn sie die Bedeutung eines Wortes kennt?
Was ist eine Wortbedeutung?
- In welcher Art und Weise sind Wörter und Wortbedeutungen im Gedächtnis der
Sprecher gespeichert?
- Wie ist es möglich, dass die Wortbedeutungen während des Sprechens oder Lesens
blitzschnell aus dem Gedächtnis herausgesucht werden?
2. Inhaltswort und Funktionswort
Hinsichtlich der Bedeutung werden zwei Klassen von Lexemen unterschieden:
a) Inhaltswörter tragen eine begriffliche Bedeutung, d.h. sie beziehen sich auf einen
Gegenstand, ein Lebewesen, einen abstrakten Begriff, eine Eigenschaft oder ein Ereignis.
Inhaltswörter sind die meisten Verben (sitzen, heben), Substantive (Hund, Wald,
Freundschaft), Adjektive (kalt, grün) und viele Adverbien (gestern, geradeaus).
b) Funktionswörtern kann keine begriffliche Bedeutung zugeordnet werden. Sie erfüllen
eine bestimmte grammatische oder kommunikative Funktion im Rahmen einer Äußerung.
Funktionswörter sind also in engerem Sinne bedeutungsleer. Zu ihnen zählen die
Determinative (ein, der, alle), die Präpositionen (unter, für), die Hilfsverben haben und sein,
die Modalverben (müssen, sollen), Satzkonjunktionen und -subjunktionen (aber, wenn),
deiktische Adverbien (hier, dort, wann), Pronomina (ich, sich) und Partikeln verschiedener
Art (wie z.B. nein, nur und doch).
Inhaltswörter werden auch „Autosemantika” und Funktionswörter „Synsemantika” genannt.
Diese Benennungen beziehen sich darauf, dass Inhaltswörter an und für sich eine Bedeutung
haben (auto = ’selbst’), aber Funktionswörter nur zusammen mit einem anderen Wort etwas
bedeuten (syn = ’zusammen’), d.h. nur die Bedeutung eines anderen Wortes oder Ausdrucks
modifizieren.
Da Funktionswörter ihre Funktion nur im Kontext ausüben, befasst sich die lexikalische
Semantik nur mit der Bedeutung der Inhaltswörter. Die Funktionswörter werden von anderen
Bereichen der Sprachwissenschaft, vor allem der Satzsemantik und der Pragmatik untersucht.
3. Bedeutungsbegriffe
Das Wort Bedeutung hat in der Alltagssprache eine ziemlich verschwommene Bedeutung,
deshalb muss die lexikalische Semantik den Bedeutungsbegriff präzisieren.
Zwei etwas genauere Bedeutungsbegriffe:
a) Die Denotation ist jener Teil der Wortbedeutung, der bestimmt, was für Gegenstände,
Eigenschaften und Ereignisse durch das Wort bezeichnet werden. Denotation ist in diesem
Sinne eine Beziehung zwischen einem sprachlichen Objekt (dem Wort) und etwas
Außersprachlichem (dem so genannten Denotat). Das Denotat des Wortes Hund ist z.B. das
vierbeinige Lebewesen, das bellt usw. und Hund heißt.
b) Die Konnotation ist jener Teil der Wortbedeutung, der alle sonstigen Informationen
umfasst, die das Wort ausdrückt. Dazu gehören:
- Der emotionale Gehalt des Wortes. Das Wort Mieze hat z.B. dieselbe Denotation wie
das Wort Katze, aber trägt einen zusätzlichen positiven emotionalen Gehalt, nämlich
dass man die Katze, von der die Rede ist, mag. Umgekehrt hat Köter die gleiche
Denotation wie Hund, aber eine negative emotionale Konnotation.
- Status des Wortes in der Gegenwartssprache. Eheweib hat dieselbe Denotation wie
Ehefrau, seine Konnotation ist aber, dass es veraltet ist. Wenn ein solches
altertümliches Wort in einem Gespräch heute verwendet wird, hat es immer eine
besondere stilistische Funktion: es wirkt meistens scherzhaft, seltener besonders
gehoben.
- Zugehörigkeit zu einer Fachsprache, z.B. Tau für ’Seil’ in der Seefahrt
- Zugehörigkeit zu einer Gruppensprache, z.B. Muhkuh für ’Kuh’ in der
Kindersprache
- Zugehörigkeit zu einem Dialekt, z.B. Kipferl für ’Hörnchen’ im Bayrischen und
Österreichischen
- Zugehörigkeit zu einer Stilebene, z.B. ankotzen für ’als widerlich empfinden’ gilt als
derb
Ein wesentlicher Unterschied zwischen Denotation und Konnotation ist, dass die Denotation
eines Wortes die Wahrheitsbedingungen einer Äußerung mitbestimmt, in der das jeweilige
Wort vorkommt, die Konnotation aber nicht mit den Wahrheitsbedingungen etwas zu tun hat,
sondern mit den Gebrauchsbedingungen der Äußerung. Beispiel:
Der Hund ist auf der Straße.
Der Köter ist auf der Straße.
Die Denotationen von Hund und Köter sind identisch, dementsprechend handeln die beiden
Sätze von der gleichen Situation, d.h. sie sind in einer gegebenen Situation entweder beide
wahr oder beide falsch.
Die Konnotationen sind allerdings verschieden: der zweite Satz kann nur dann verwendet
werden, wenn die Beziehung des Sprechers zu dem Hund negativ ist. Köter führt also eine
spezifische Gebrauchsbedingung in den Satz ein.
Innerhalb des denotativen Teils der Wortbedeutung werden wieder zwei Grundbegriffe
unterschieden:
a) Der Bedeutungsumfang ist die Menge der Gegenstände, Lebewesen, Eigenschaften,
Ereignisse usw. in der Welt, die durch das Wort bezeichnet werden. Z.B.: Der
Bedeutungsumfang des Wortes Hund umfasst alle Hunde auf dieser Welt.
b) Der Bedeutungsinhalt ist die Aufzählung der Eigenschaften der Dinge, die zum Bedeutungsumfang des Wortes gehören. Z.B.: Bei Hund wären das Eigenschaften wie „ist ein
Säugetier“, „ist ein Fleischfresser“, „bellt“, „wird als Haustier gehalten“, „sieht so und so aus“
usw.
Je spezifischer, je umfangreicher der Bedeutungsinhalt eines Wortes ist, desto kleiner ist sein
Bedeutungsumfang. Vgl. Schäferhund (sehr spezifischer Bed.inhalt, recht kleine Menge) –
Hund – Tier (relativ wenig Bed.inhalt, sehr großer Bed.umfang).
4. Bedeutungsbeziehungen
Neben der Beschreibung der Bedeutung der einzelnen Wörter (u.a. mithilfe der Begriffe
Denotation, Konnotation, Bedeutungsinhalt und Bedeutungsumfang) befasst sich die
lexikalische Semantik auch mit Beziehungen zwischen Wortbedeutungen.
4.1. Wortfelder
Wörter, die eine ähnliche Bedeutung haben, können zu größeren Gruppen zusammengefasst
werden. Diese Gruppen heißen Wortfelder. Beispiel: das Wortfeld der Adjektive der
intellektuellen Fähigkeiten im Deutschen: klug, schlau, intelligent, genial, weise, listig, pfiffig,
begabt, gescheit, gewitzt, erfahren, gerissen, gewieft, raffiniert usw.
Weitere Beispiele:
Verben der Fortbewegung: gehen, laufen, rennen, schlendern, kriechen, schwimmen, fliegen.
Verwandtschaftsbezeichnungen: Vater, Mutter, Sohn, Tochter, Bruder, Schwester, Cousin.
Andere Bedeutungsbeziehungen beziehen sich nicht auf größere Gruppen von Wörtern,
sondern auf Wortpaare. Die wichtigsten Beziehungen sind die folgenden:
4.2. Synonymie
Synonymie wird die Beziehung zwischen zwei Wörtern genannt, deren Form verschieden
aber deren Denotation identisch ist, oder zumindest stark überlappt. Falls die Denotation
identisch ist, sprechen wir von echter Synonymie, z.B. Katze – Mieze, Vater – Vati. Bei
naher Synonymie überlappt der Bedeutungsumfang der Wörter wesentlich, ist aber nicht
eindeutig identisch, z.B. klug – schlau – intelligent.
4.3. Hyponymie
Von Hyponymie sprechen wir, wenn der Bedeutungsumfang eines Wortes im
Bedeutungsumfang eines anderen Wortes enthalten ist, d.h. die beiden Wortbedeutungen
stehen zueinander in einer hierarchischen Beziehung. Das Wort mit dem kleineren
Bedeutungsumfang in dieser Beziehung wird ein Hyponym des anderen Wortes genannt,
während das Wort mit dem größeren Bedeutungsumfang Hyperonym heißt.
Beispiel: Da alle Pferde Tiere sind, besteht eine Beziehung der Hyponymie zwischen Pferd
und Tier. Pferd ist ein Hyponym von Tier, Tier ist ein Hyperonym von Pferd. Weitere
Hyponyme von Tier: Katze, Hund, Maus usw. Weitere Hyperonyme von Pferd: Lebewesen,
Säugetier usw.
4.4. Antonymie
Unter Antonymie verstehen wir eine Gegensatzbeziehung zwischen zwei Wörtern, z.B. kalt
– warm; groß – klein; gut – böse. Wir unterscheiden verschiedene Arten von Antonymie
voneinander, vor allem:
• Konträre Beziehung: Die beiden Wörter bezeichnen die beiden Endpunkte oder
Endbereiche einer Skala, z.B. kalt – warm; groß – klein; dick – dünn; kurz – lang;
schwer – leicht; gut – böse; schön – hässlich, klug – dumm. Die Skala hat einen
mittleren Bereich, der von den beiden Antonymen nicht abgedeckt wird, und der oft
keine eigenständige Bezeichnung hat (sondern etwa durchschnittlich genannt werden
kann), aber: mittelgroß (weder groß noch klein), lauwarm (weder warm noch kalt).
• Kontradiktorische Beziehung: Ein begrifflicher Bereich wird von zwei Antonymen
vollständig abgedeckt. Z.B.: Bei Säugetieren stehen männlich und weiblich in einer
kontradiktorischen Beziehung zueinander (alle Säugetiere sind entweder männlich
oder weiblich). Weitere Beispiele: offen – geschlossen, lebendig – tot.
•
Konverse Beziehung: Zwei Wörter, die jeweils eine Relation ausdrücken, stehen in
einer konversen Beziehung zueinander, falls das eine Wort die Relation zwischen A
und B und das andere Wort die umgekehrte Relation zwischen B und A bezeichnet.
Z.B. Ehemann – Ehefrau: Wenn A der Ehemann von B ist, ist B die Ehefrau von A. In
einer konversen Beziehung stehen auch regelmäßig die Komparativformen der
konträren Antonyme zueinander, z.B. kälter – wärmer: A ist kälter als B = B ist
wärmer als A usw.
Während Synonymie in allen Wortarten häufig vorkommt, und auch auf komplexere
Ausdrücke bezogen werden kann, spricht man von Hyponymie meistens im Zusammenhang
mit Substantiven und von Antonymie meistens bei den Adjektiven.
5. Mehrdeutigkeit
Man unterscheidet auf der lexikalischen Ebene zwischen zwei Arten von Mehrdeutigkeit:
5.1. Homonymie
Wenn eine Wortform mehrdeutig ist und die Bedeutungen miteinander nichts zu tun haben,
wie z.B. im Fall von Mast ‚Pfahl’ und ‚Füttern von Tieren’ oder Bulle ‚männliches Rind’ und
‚Siegel’, handelt es sich eigentlich um zwei verschiedene Lexeme, deren Form zufällig
identisch ist.
Die Erscheinung, bei der Formen von voneinander unabhängigen Lexemen zufällig
übereinstimmen, nennt man Homonymie. Die beiden Substantive Mast1 und Mast2 sind z.B.
homonym.
5.2. Polysemie
Wenn eine Wortform mehrdeutig ist und die Bedeutungen der Form in einer bestimmten,
mehr oder weniger regelmäßigen Beziehung zueinander stehen, geht man davon aus, dass es
sich um ein einziges Lexem handelt, das mehrere Bedeutungen besitzt.
Das Phänomen, dass ein Lexem mehrere Bedeutungen ausdrücken kann, heißt Polysemie und
ein solches Lexem nennen wir ein polysemes Lexem.
Polysem ist z.B. Bein, das sowohl einen Körperteil als auch einen Teil eines Gegenstands
(z.B. eines Stuhls) bezeichnen kann oder Parlament, das sowohl ein Gebäude als auch eine
Institution bezeichnen kann. Derivate sind sehr oft polysem, z.B. Besuch ’Ereignis, dass
jemand jemanden besucht’ und ’Personen, die jemanden besuchen’.