Mikroanalyse zu dem Film „Jana_Luft“

Asja Kranaster
EU­Projekt Naturbild
Pädagogische Hochschule Ludwigsburg
12/2010
Mikroanalyse zu dem Film „Jana_Luft“
Analyse des Kinderspiels
Das Beispiel Jana
Was tut das Kind? Welche Bewegungen, Aktionen lassen sich unterscheiden? Wie variiert das Kind seine Aktionen? Welche Entwicklung ist in der Aktions­
folge festzustellen? Gibt es Wendungen, Brüche? Jana spielt zum Thema Luft mit verschiedenen Materialien. Sie beginnt damit, einen Trichter auf eine Plastikflasche zu stecken und pustet hinein. Dabei stellt sie amüsiert fest, dass die Luft wieder raus kommt, ihr entgegen kommt und in ihr Gesicht bläst. Sie spürt den Luftzug und streicht sich durch ihre Haare. Sie pustet immer wieder hinein, fährt sich mit ihrer Hand durch den Pony, zeigt den Weg der Luft mit ihren Fingern nach und erklärt der Erzieherin, dass die Luft wieder raus will. Als nächstes pumpt sie mit einer Pumpe einen Luftballon auf. Sie ist hocherfreut und sagt der Filmerin, dass sie „so lange macht bis er platzt“. Anschließend lässt sie den aufgepumpten Luftballon los und beobachtet wie er durch das Zimmer fliegt. Sie lacht dabei laut und erklärt, dass „der Luftballon immer kleiner geworden ist, und dann so klein ist, bis er auf den Boden gepurzelt ist“. Sie zeigt mit kreisendem Arm, wie der Luftballon geflogen ist, und wackelt mit ihrem Oberkörper aufgeregt hin und her. Sie greift sich einen Strohhalm und steckt den Luftballon auf das eine Ende und pustet hinein, so dass der Luftballon herunterfällt. Sie versucht ein Wattebausch an das Ende des Strohhalms zu drücken und muss auch feststellen, dass das nicht hält. Dann steckt sie den Luftballon an einen Schlauch und versucht ihn durch den Schlauch aufzublasen. Obwohl die Erzieherin ihr zur Hilfe kommt, schafft sie es nicht, den Ballon dauerhaft aufzublasen. Daraufhin pumpt sie erneut mit einer Pumpe einen Luftballon auf. Die Erzieherin hält dabei den Ballon an einen blauen Schlauch, welcher an der Pumpe befestigt ist. Jana pumpt im Stehen und kann vor Anstrengung kaum Sprechen. Da die Luftpumpe aus durchsichtigem Material besteht, hat sie die Möglichkeit das Pumpsystem nachzuvollziehen. Anschließend bläst sie mit ihrem Mund einen Luftballon auf, um ihn fliegen zu lassen. Sie stellt sich aufrecht hin, hält den aufgeblasenen Ballon mit einer Hand in die Höhe, stemmt ihre andere Hand in die Hüfte und lässt los. Sie freut sich über den durch die Luft sausenden Ballon. Daraufhin steckt sie den Ballon in die schmale Öffnung eines Trichters und pustet kräftig in die große Öffnung. Der Trichter beschlägt zwar, aber die Luft kommt wieder zurück, bläst ihr ins Gesicht, und der Ballon hängt lediglich schlaff am Trichter. Sie hält den Trichter hoch, um den Ballon anschauen zu können und schüttelt den Trichter, als ob sie den Ballon wieder zum Leben erwecken möchte. Und plötzlich lässt sie den Trichter mit dem Luftballon, auf den Boden fallen, als ob es so fliegen könnte. Hebt es wieder auf, zieht den Luftballon ab und schaut sich nach einem anderen Gegenstand um. Schließlich greift sie doch wieder zum Trichter, legt den Luftballon aber diesmal in die große Öffnung, hält den Trichter fest und bewegt ihn auf und ab um den Luftballon hüpfen zu lassen. Anschließend steckt sie bunte Wattebäusche in eine durchsichtige Plastikflasche. Sie sagt, dass sie prüfen möchte, ob da keine Luft mehr raus kommt. Nach einer Weile steckt sie den Deckel auf die Flasche und prüft ob sie immer noch etwas Luft durch die obige Öffnung drücken kann. Sie stellt fest, dass da immer noch Luft raus kommt und sagt „dass sie wahrscheinlich etwas falsch gemacht hat“. Sie schraubt den Deckel wieder ab, befühlt mit ihrem Finger die Watte in der Flasche, drückt sie mittels eines länglichen Gegenstandes innerhalb der Flasche herunter, um dann noch einen Luftballon in die Flasche zu drücken. Als sie dann den Deckel wieder auf die Flasche schraubt und einen Schlauch an die Deckelöffnung befestigt, die Flasche zusammendrückt, stellt sie mit zufriedenstellender Miene fest, dass nur noch „ganz ganz ganz wenig Luft rauskommt“.
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Asja Kranaster
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Wie agiert das Kind? Welche Empfindungen drückt es aus? Inwieweit ist sein Spiel von Freude, Wachheit und Aufmerk­
samkeit, Neugier und Ausdauer, Mut und Risikobereitschaft getragen? Woran lässt sich auf die Intensität und Qualität des Erlebens schließen? Wie werden die Aktionen sprachlich begleitet?
Welche Bedeutungen legt es in seine Aktionen? Liegt den Aktionen eine explizite Über­
legung zugrunde? Gibt es Handlungspausen, Phasen der Überlegung und Orientierung? Kommentiert, begründet das Kind seine Aktionen? Gibt es implizite Fragen und Hypothesen, auf die man schließen kann? Was probiert das Kind aus? Gibt es ein übergreifendes Handlungsthema? Werden in den Aktionen subjektive Lebensthemen, Erleb­
nisse, auch gerade gemachte Erfahrungen aufgegriffen und fortgesetzt? Welche wichtigen Handlungs­
umstände gibt es? Gibt es äußere Gegebenheiten, Randbedingun­
gen, Einflüsse Erwachsener, die auf das Spiel einwirken? Welche Erfahrungen macht das Kind? Gibt es Widerstände und Schwierigkeiten? Gelingen die Aktionen? Welche Wirkungen, Ergebnisse nimmt das Kind wahr? Wie deutet es diese Ergebnisse? Welche Erfahrungen Pädagogische Hochschule Ludwigsburg
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Beim anschließenden Malen als Reflexionsphase beschreibt sie, auf Nachfragen der Erzieherin und der Filmerin, wie sie sich das mit der Luft vorstellt.
Jana ist während des gesamten Spiels erfreut und engagiert dabei, die verschiedenen Gegenstände zu kombinieren und auf ihr Verhalten mit Luft zu prüfen. Sie verfolgt zwar nicht ein bestimmtes Ziel oder eine Absicht, dennoch kann man sagen, dass sie mehrere Zwischenziele hat und somit Erfolge und Misserfolge erlebt. Sie beginnt spielerisch, sich der Luft anzunähern, spürt sie sanft im Gesicht und zeigt im nächsten Moment vollen Körpereinsatz um einen Luftballon soweit aufzublasen bis er platzt. Dabei lacht sie viel. Sie geht nicht zurückhaltend vor, sondern ist neugierig wie sich die Luft verhalten wird, wenn sie in den Trichter pustet oder sie mutig den Luftballon groß aufpumpt, mit dem Risiko, dass er jeden Moment platzen könnte. Ihr nächstes Ziel scheint es zu sein, den Luftballon zum Fliegen zu bringen. Sie schafft es mehrmals mühelos, wenn sie ihn prall aufgeblasen hatte und loslässt, allerdings will er nicht von alleine fliegen. Dies scheint nicht in ihr Bild zu passen, nach welchem der Luftballon dann fliegt, wenn er klein ist. Ihr letztes Ziel ist es, die Plastikflasche so voll zu stopfen „bis keine Luft mehr raus kommt“. Ist dann auch keine Luft mehr in der Flasche? Oder Kommt sie nur nicht mehr raus? Jana lässt in ihrem Spiel nicht viele Pausen zu. Sie entscheidet sich schnell, welche Materialien, sie wie, miteinander kombinieren möchte. Es scheint, als würde sie lediglich durch die Fragen der Erzieherin und der Filmerin angeregt, die zu beobachtenden Phänomene zu reflektieren und in ihrer Handlung inne zu halten. Sie scheint teilweise nahezu fahrig vorzugehen, indem sie hastig nach den verschiedenen Dingen greift und sie scheinbar wahllos kombiniert. Im anschließenden Reflexionsgespräch wird jedoch deutlich wie konkret die Vorstellungen sind, die sie von der Anwesenheit und dem Verhalten von Luft hat. Sie weiß, dass die Luft im gesamten Raum verteilt ist, Luft auch außen überall ist, und dass man Luft zum Atmen braucht. Während des gesamten Spiels spricht sie über die Luft, als ob es sich um ein lebendiges Wesen handelt, welches einen Willen besitzt und eine Absicht hat. Jana deutet die „Flugbahn“ der Luft als etwas Gewolltes. Für sie kommt die Luft ihr nicht zufällig aus der Flasche oder dem Trichter entgegen, sondern sucht sich ihren Weg je nach Lust und Laune aus. Sie deutet ihre Erfahrungen, die sie mit Luft macht, durch ein animistisches Denken.
Die Filmerin und die Erzieherin fragen viel nach. Sie lassen nicht locker, bis sie Jana eine Hypothese über Luft entlocken können. Jana geht sehr interessiert und engagiert auf die Fragen und Anregungen ein. Teilweise hält sie sogar in ihrem Spiel inne, um auf die Frage antworten zu können, oder untermalt ihre Erklärungen gestisch. In diesem Fall kann man sagen, dass Jana von den vielen Fragen profitiert, indem sie zur Reflexion ihrer Erfahrungen aufgefordert wird. Insgesamt wäre es interessant gewesen, wie sich Janas Spiel entwickelt hätte, wenn sie in völliger Ruhe und Selbstbestimmung, ohne Zwischenfragen, ihre Experimente hätte durchführen können. Vielleicht hätte sie noch andere eigensinnigere Kombinationen der Gegenstände ausprobiert oder hätte sich mit den anderen Mädchen im Raum besprochen. Jana macht die Erfahrung, dass sich die Luft ihren Weg bahnt, unabhängig davon wo man sie gerne drin oder hin hätte. Luft kann einen Luftballon zum Fliegen bringen und ist dabei nicht berechenbar, allerdings kann Jana sie auch mit ihrem Bauch oder mit einer Pumpe in einen Luftballon pusten oder drücken. Außerdem erzählt sie uns, dass Luft überall ist, innen, außen, im Körper, im Luftballon, in einem Trichter usw. Wir können vermuten, dass sie diese These schon vorher mit in das Spielzimmer gebracht hat, und sie diese anhand ihrer 2
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macht das Kind mit sich selbst, Experimente zu bestätigen versucht. mit anderen?
Als die Luft, welche sie aus ihrem Mund in einen Trichter bläst, ihr wieder entgegen kommt, spürt sie die Luft an ihrem Körper. Die Luft streicht ihr durch das Gesicht und durch das Haar. Jana sagt zwar, dass die Luft einfach wieder vorne raus „will“, aber ob sie denkt, dass ihr die Luft absichtlich durch das Gesicht und ihre Haare fährt, erfahren wir nicht. Mit Sicherheit können wir sagen, dass sich Jana über jede Bewegung oder Kraft, die die Luft ausführt, freut. Jana ist sich bewusst, dass ihre Erklärungen lediglich Vermutungen oder Hypothesen sind, indem sie oft das Wort „vielleicht“ verwendet. Im anschließenden Reflexionsgespräch wird deutlich, dass sie weiß, dass in der mit Watte vollgestopften Flasche noch Luft drin ist: „Braucht die Luft Platz?“ ­ „Nein sie ist jetzt eingedrückt“ ­ „Hast du ne Idee, warum keine Luft mehr raus kommt?“ ­ „Weil so viel hier drin ist“ [hält die Flasche hoch]. Jana stellt am Maltisch auch fest, dass sie die Luft hören kann, wenn sie auf die Flasche drückt. Wie kommuniziert das Kind Jana spielt kaum mit anderen Kindern zusammen oder orientiert sich an ihnen. seine Aktionen und Erfahr­ Allerdings ist während des gesamten Spiels immer wieder zu beobachten, wie ungen? Realisiert das Kind über das Mädchen Klara Janas Versuche beobachtet und sogar einige Male seine Aktionen Kontakte, Bezie­ kommentiert oder ergänzt. Jana scheint sich vollständig auf ihr eigenes Spiel zu hungen zu anderen Kindern? konzentrieren und geht sehr selbstbewusst mit ihren Versuchen und Erklärungen Werden gemeinsame Themen um. Hier ist zu erwähnen, dass dies auch mit der Aufmerksamkeit der Filmerin entwickelt? Werden Aktionen mit und der Erzieherin, die immer wieder interessiert nachfragen, im anderen abgestimmt? Werden Zusammenhang gesehen werden muss.
Handlungen anderer nachgeahmt? Werden Empfindungen, Erfah­
rungen, Deutungen kommuni­
ziert? Werden eigene Ideen entwickelt und vermittelt? Welche Resonanz finden die Aktionen im sozialen Umfeld?
Was erfahren wir über das Jana bringt eine Vielzahl an Hypothesen in die Aktivität ein. An dem gesamten Kind? Wie deutet, versteht das Spielverlauf und ihren Erklärungen wird deutlich, wie sie Theorien und Kind dieses Phänomen? Welche praktische Erfahrungen in das Spiel hineinträgt und diese erweitert. Angebote der Reflexion kann das Sie profitiert von den vielen Gesprächsanlässen sehr. Sie geht mit den endlosen Kind nutzen? Impulse, Anregun­ Fragen selbstbewusst und souverän um. Man könnte die Frage stellen, wie Jana gen zur Reflexion, Fragen, die mehr Ruhe in ihr Spiel bringen könnte? Oder wie sie sich irritieren ließe, um man dem Kind stellen kann. dazu angeregt zu werden ihre Hypothesen zu hinterfragen und zu erweitern.
Hinweise für weitere Angebote Janas Spiel zeichnet sich besonders dadurch aus, dass sie viel lacht und sehr offen und spielerisch mit dem Thema Luft umgeht. Zum Beispiel: „Wenn man und Herausforderungen.
immer nur Luft einatmen würde, was würde denn dann passieren?“ ­ „Dass man irgendwann platzt“. Jana lacht.
Was erfahren wir über das Das Kinderspiel ist hier voller Neugier, Kreativität und Freude. Jana scheint es gut zu tun, das machen zu können, worauf sie gerade Lust hat. Kinderspiel?
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