Nach 12 Jahren auf der Kommandobrücke des Duisburger Narrenschiffes wolle er das Steuer nun aus der Hand geben, um fortan vom Promenadendeck aus zuschauen. Das hat Wolfgang Lamerz gesagt, als er 2009 nicht mehr für eine fünfte Amtszeit als Präsident des Hauptausschuss Duisburger Karneval kandidierte. Den HDK mit einem Schiff zu vergleichen, das ist ein Bild, das für jemanden, der fast drei Viertel seines Lebens in der KG Alle Mann an Bord verbracht hat, nahe liegt. Doch schauen wir uns die Sache einmal unvoreingenommen und rein sachlich an: Ein Schiff, egal welcher Art, hat einen Kapitän. Er gibt seine Anweisungen betreffend Kurs, Geschwindigkeit, Funkverkehr, Diensteinteilung und was sonst zum Schiffsbetrieb so dazu gehört an den Navigator, den Steuermann, den Leitenden Schiffstechnischen Offizier, den Funkoffizier, den Zahlmeister, die wiederum seine Befehle weiterleiten und dafür sorgen, dass sie getreulich umgesetzt werden. Denn nichts gleicht einem Gott so sehr wie der Kommandant eines Schiffes auf hoher See. Wie anders ist das beim Narrendampfer HDK: Hier liegt die Meuterei beständig in der Luft. Denn nicht nur, dass jeder Befehl ausgiebig diskutiert und kritisiert wird, es gibt auch mindestens zwei Dutzend Offiziere, die sich für den besseren Kapitän halten. Und man kann froh sein, wenn der Pott nicht in alle Himmelsrichtungen gleichzeitig fährt und auseinander bricht. Und auf der Brücke des HDK ist man nie davor gefeit, dass nicht der letzte Hilfszahlmeister, der eigentlich längst in den Ruhestand hätte geschickt werden müssen, durch den Wurf eines Schraubenschüssels in den Wellentunnel das ganze Schiff sabotiert. Dass Wolfgang Lamerz die 12 Jahre auf der Brücke überstanden hat, das Narrenschiff namens HDK grob auf Kurs hielt und dabei keinen erkennbaren bleibenden geistigen und seelischen Schaden nahm, grenzt an ein Wunder. Zu erklären ist das wahrscheinlich nur durch den Umstand, dass er in die Misere namens Karneval im wahrsten Sinne des Wortes hineinwuchs. Wolfgang Lamerz erblickte vor 71 Jahren das Licht der Welt. Er wurde als Sohn des Inhabers einer Druckerei in Großenbaum geboren. Was in puncto Beruf die Sache für Wolfgang relativ einfach machte. Und auch in der Freizeitgestaltung gab Vater Anton die Richtung vor, gehörte er doch bereits kurz nach der Gründung der KG Alle Mann an Bord zu den führenden Persönlichkeiten der Blauen Jungens. Und so trat auch Sohn Wolfgang mit 18 Jahren in die KG ein. Dieser Verein hat es fertig gebracht, in den ersten 17 Monaten seines Bestehens, von April 1955 bis September 1956, drei Präsidenten zu verschleißen. Fortan lautete der Name des Präsidenten für 35 Jahre: Lamerz. Denn zunächst stand Anton 20 Jahre lang an der Spitze, von 1976 bis 1991 war dann Sohn Wolfgang Präsident der Alle Mann an Bord. Auch das höchste karnevalistische Amt hatten beide nacheinander inne: Als Anton I. führte der Senior 1972 die Duisburger Narren an, Wolfgang II. trug drei Jahre später Federn und Prinzenzepter. Anton Lamerz war von 1973 bis 1984 zwölf Jahre lang Präsident des Hauptausschusses Duisburger Karneval, Wolfgang von 1997 bis 2009. Auch im Redaktionsausschuss der Deutschen Fastnacht, dem Zentralorgan des Bundes Deutscher Karneval, waren Vater und Sohn nacheinander vertreten, kümmerten sich dort um Druck und Anzeigenwesen. Das einzige, was Wolfgang sich verkniffen hat, war Anton auch noch in das Präsidium des Landesverbandes Rechter Niederrhein im Bund Deutscher Karneval zu folgen. Anton ging in der Rolle des karnevalistischen Funktionärs völlig auf, ich weiß nicht, wie viele Listen und Statuten er auf seiner Schreibmaschine hackte, weiß dafür aber, dass er nicht davor zurückscheute, als Landesverbandspräsident seinem Sohn hochoffizielle Schreiben zu schicken, wobei er die Anrede „Sie“ wählte. Wolfgang hat die Verbandsarbeit nie gereizt. Akten sind nicht so sein Ding. Das weiß ich spätestens seit dem Moment, als er mir bei der Amtsübergabe vier übersichtlich gefüllte Aktenordner in die Hand drückte. Mancher Kegelclub führt einen größeren Papierkrieg. Sollte nun der Eindruck enstanden sein, dass Wolfgang lediglich dem Kurs seines Vaters folgte, so war das durchaus nicht meine Absicht. Wolfgang hat seine eigene Route gefahren, manche eigene Boje gesetzt. Ohne ihn wäre der Dampfer HDK vielleicht schon längst auf Grund gelaufen. Ich wollte mit dem, was ich hier berichtet habe, lediglich darstellen, dass Wolfgang sozusagen schleichend in den Wahnsinn des organisierten Karnevals hineingezogen wurde und auf beispiellose Weise in die Kunst hineinwuchs, Eisberge frühzeitig zu erkennen, durch Minenfelder zu navigieren und Meutereien im Keim zu ersticken. Seitdem er den Seelenverkäufer HDK verlassen hat, hat Wolfgang noch mehr Zeit sich seiner zweiten großen Leidenschaft zu widmen. Und ich hoffe für Deine Frau, die liebe Uschi, dass nicht alle Vorurteile über Golfer wahr sind. Dass ein gewisser Hang zu Masochismus nicht zwangsläufig erblich ist, beweist Sohn Oliver. Er ist dem Karneval zwar zugetan, trägt aber keine Mütze, keine Uniform und eine Führungsposition im HDK wäre wohl das Letzte, was er anstreben würde. Lieber Wolfgang, willkommen im Kreise der Träger des Großen Ordens. Ich weiß, dass Dir närrisches Blech nicht allzuviel bedeutet. Ich hoffe aber, dass es mit dieser Auszeichnung ein wenig anders ist. Nicht zuletzt deshalb, weil sie irgendwie in der Familie bleibt: Auch Dein Vater war schon Träger des Großen Ordens. Sollte er uns von irgendwo zuschauen, dann hat er sicher seinen Spaß und ich stelle mir vor, dass er süffisant lächelt. Und ich wünsche mir noch etwas: Dass Du auch in den kommenden Jahren noch oft ein Gast dieses Ehrenabends sein wirst und Dir anhörst, was für ein Quatsch über andere Ordensträger erzählt wird.
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