Interview NANO mit dem Medienwissenschaftler B. PÖRKSEN zum Thema „Medienanalyse in Zeiten der Informationsflut“. Ausgehend von dem „Fall Lisa“ befragte die 3Sat-Wissenschaftssendung NANO in ihrer Ausgabe vom 8. März 2016 den Medienwissenschaftler Bernhard PÖRKSEN zum Thema „Medienanalyse in Zeiten der Informationsflut“. http://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=57562 NANO PÖRKSEN: NANO PÖRKSEN NANO PÖRKSEN NANO PÖRKSEN NANO PÖRKSEN NANO PÖRKSEN Hat Sie die mediale Dynamik bei der Geschichte um die 13jährige Lisa überrascht? Diese Wucht und die mediale Darstellung haben mich natürlich überrascht, vor allem weil wir hier gesehen haben, dass sich in dieser Gesellschaft Parallelöffentlichkeiten herausbilden, Milieus, in denen man sich seine Meinungen, seine Auflassungen, von dem was wahr ist, von dem, was angeblich zumindest stimmt, zu bestätigen weiß. Sind wir in einem Informationskrieg mit Russland? Das vermag ich nicht zu sagen, aber ich würde sagen, die Geschichten aus der letzten Zeit, die Gerüchte, die sich als völlige Falschmeldungen herausgestellt haben, die sind ein Zeitzeichen, sie sind ein Symptom, ein Indiz. Wofür? Nämlich dafür, dass wir einen elementaren Wechsel erleben hin zu einer ganz grundsätzlichen informationellen Verunsicherung, eine informationelle Verunsicherung, die darauf hinaus läuft, dass man gar nicht mehr genau weiß, was stimmt, was stimmt nicht, wer ist eigentlich der Akteur, der spricht, wird eigentlich eine Geschichte in irgend einer Weise propagandistisch durchgesteuert? Die aktuelle Nachrichtenlage, die Debatte darüber, wer hat wohlmöglich welche Nachrichten mit welchem propagandistischen Interesse lanciert, wer vertreibt und verbreitet diese Gerüchte, sind eine Indiz für diese informationelle Verunsicherung in der Gesellschaft. Warum tun sich Menschen zunehmend schwer, die Pressefreiheit zu schätzen? Man muss eines, glaub ich, begreifen in der aktuellen Situation: Wir treten ein in eine völlig neue Medienepoche. Jeder hat Zugang zur Öffentlichkeit. Es gibt nicht mehr die eine veröffentlichte Meinung. Die Deutungshoheit der klassischen Leitmedien ist zumindest gebrochen. Und viele Menschen machen vielleicht zum ersten Mal die Erfahrung, es gibt ja ganz unterschiedliche Öffentlichkeiten. Es gibt die eine Wahrheit und es gibt die andere Wahrheit. Und diese Form des Vergleichs von verschiedenen Öffentlichkeitstypen, die ist neu. Man kann daraus schließen, dass – das tun viele, leider – dass systematisch manipuliert wird. Aber man kann auch daraus schließen, dass es einfach ganz unterschiedliche Öffentlichkeitsformen, ganz unterschiedliche, wild zirkulierende Informationen gibt. Wir müssen, glaube ich, als Gesellschaft lernen, diese Informationen einzuschätzen, die Seriosität von Quellen einzuschätzen, die Bedeutung und die Relevanz von professionell recherchierter Information einzuschätzen. Das halte ich für eine große und noch unverstandene Bildungsaufgabe. Wie erkennt der Leser bzw. Zuschauer die Seriosität einer Quelle? Na, ich würde es von einer anderen Seite aus betrachten: Was können eigentlich die Medien tun, um Vertrauen zurück zu gewinnen? Sie müssen ihre Auswahlentscheidungen, was publizieren sie und was nicht, transparent machen. Sie müssen erklären, wie eigentlich Nachrichtenströme organisiert sind, wie Informationen zustande kommen, warum man sich für die eine Nachricht entscheidet und für eine andere nicht. Sie brauchen überdies eine offene Fehlerkultur, einen offenen Umgang mit Fehlern, die natürlich gemacht werden. Sie fordern ein neues Schulfach!!?? Die Praxis des öffentlichen Sprechens, die Auseinandersetzung mit dem Medienwandel, die Frage, wie sind Quellen, wie sind Informationen einzuschätzen, sollte nach meinem Dafürhalten an den Universitäten, aber auch an den Schulen des Landes gelehrt werden in systematischer Weise. Die Bezeichnung für dieses neue Schulfach, das ich vorschlage, nenne ich DIGITALE ÖKOLOGIE. Warum? Wissen Sie, ein neues Medium fügt nicht einfach unserem System der Medien etwas hinzu, oh nein, es verändert die gesamte Umwelt und es verändert – und das erleben wir nach dem Kulturbruch der Digitalisierung gleichsam täglich als Erfahrung – es verändert auch unsere Innenwelt. Die gesellschaftliche Außenwelt und unsere kognitive Innenwelt werden verändert, umgeprägt durch einen solchen Medienwandel. Das muss gar nicht schlecht sein, es hat viele, unendlich positive Möglichkeiten, aber es hat auch negative Auswirkungen. Es erfordert neue Kulturtechniken, Techniken des Umgangs mit dieser medialen Herausforderung. Die müssen wir lernen, auf die müssen wir uns vorbereiten, die müssen wir an den Schulen des Landes studieren. Deshalb DIGITALE ÖKOLOGIE. Was lernen wir aus dem Fall Lisa? Wir haben Hochgeschwindigkeitsmedien, wir haben eine neue mediale Situation. Wir haben Kommunikationsbedingungen, die es erlauben, jedes Urteil oder jedes Vorurteil zu bestätigen, für alles ein Experte, ein Medium, ein Zitat, ein Urteil zu finden. Aber man muss sich eines sehr klar machen: Information ist rasend schnell, aber Wahrheit braucht Zeit. Seite - 1 - von - 1 -
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