COVERSTORY ZURÜCK ZUR NATUR Entschleunigung. Trotz schwieriger ökonomischer Rahmenbedingungen steigen immer mehr Oberösterreicher aus ihrem Brotberuf aus und wechseln in die Landwirtschaft. CHEFINFO zeigt einige von ihnen im Porträt. FOTO: ISTOCKPHOTO Text: Petra Danhofer, Ullrich Kapl, Jürgen Philipp, Klaus Schobesberger 58 | CHEF INFO | 7/2015 COVERSTORY D er eine fand nach 37 Jahren als Geschäftsführer der Industriellenvereinigung zur Schweinezucht. Der andere ist Entwicklungsingenieur in der Automobilbranche und betreibt nebenbei eine Landwirtschaft mit Saatgutvermehrung. Ein Unternehmensberater betätigt sich erfolgreich als Imker. Der Unternehmersohn produziert hauptberuflich Bio-Öle und Essig und ist dabei auch noch energieautark. Und der Inter- netexperte verkauft seine Firmenanteile, um die elterliche Landwirtschaft im Vollerwerb weiterzuführen. Menschen, die aus dem schnelllebigen Wirtschaftsleben völlig oder teilweise aussteigen, um Ruhe, Kraft und Entschleunigung in und mit der Natur zu finden. Trotz schwieriger Rahmenbedingungen sind sie alle mit ihrer Landwirtschaft erfolgreich, weil sie innovative Wege gehen sowie auf Qualität und Nischenprodukte setzen. Auf den folgenden Seiten präsentiert CHEFINFO ihre ganz persönlichen Geschichten. ➔ 7/2015 | CHEF INFO | 59 Zahlen, Daten, Fakten Landwirtschaft OÖ 2 Prozent beträgt der Anteil der Landwirtschaft am Bruttoinlandsprodukt. 300 Landmaschinenfachbetriebe in Oberösterreich beschäftigen fast 2.000 Menschen. 20 Prozent beträgt das Minus beim Traktorabsatz im Vergleich zum Vorjahr. 7 Prozent des Trinkwasserverbrauchs geht auf das Konto der heimischen Landwirtschaft. Europaweit sind es 21, weltweit 70 Prozent. 124 Bauernhöfe beteiligen sich an der Aktion „Schule am Bauernhof“. 27.000 Schulkinder besuchen die Höfe jährlich. ZUR PERSON Klaus Fronius, 69, wurde 1946 in Wels geboren und trat nach einer Ingenieur-Ausbildung 1971 ins elterliche Unternehmen ein, das er zehn Jahre später mit seiner Schwester gemeinsam übernahm. Fronius stand dem Unternehmen mehr als 40 Jahre vor und führte es mit teilweise bahnbrechenden Innovationen in den Bereichen Schweißtechnik, Photovoltaik und Batterieladesysteme an die Spitze der Energiebranche. Nach seinem Ausstieg 2011 aus dem operativen Geschäft bei Fronius International widmet er den Großteil seiner Zeit als Biobauer am Schlattbauerngut in Ried im Traunkreis. Auch hier setzt er Maßstäbe. COVERSTORY Mit der Kraft der Sonne VISIONÄR. Klaus Fronius erzeugt Bio-Öle und Bio Essig von herausragender Qualität. Wirklich faszinierend ist aber das Energie- und Ökosystem des Schlattbauernguts. Fronius sieht sein bio-energieautarkes Projekt als Modell der Zukunft. H inter der distinguierten Erscheinung des Herrn mit den selbsttönenden Brillengläsern würde man vieles vermuten, nur keinen Landwirt. Klaus Fronius ist eine herausragende Unternehmerpersönlichkeit und gilt als der Idealtypus des rastlosen Erfinders. Mehr als 40 Jahre lang führte der Ingenieur die Geschäfte des gleichnamigen Technologiekonzerns. Vor vier Jahren zog er sich aus dem operativen Geschäft zurück. „Ich wollte meinen Nachfolgern nicht im Weg stehen. Aber ich habe gewusst, ich brauche einen neuen Job“, sagt der heute 69-Jährige. Bereits nach der Jahrtausendwende erwarb er das Schlattbauerngut in Ried im Traunkreis mit dem Ziel, es rein biologisch zu bewirtschaften. Und wer Klaus Fronius kennt, weiß, dass er jede Aufgabe mit der ihm eigenen Akribie betreibt. . FOTO: WAKOLBINGER Versuchslabor am Land Das Schlattbauerngut liegt unweit von Pettenbach, wo Fronius am Land aufgewachsen ist. Hier ließ sich sein Vater Günther Fronius (1907-2015) als Kriegsflüchtling mit seiner Familie nieder und gründete das Unternehmen in einer Garage. Ohne Experimente ist auch der Alltag des Klaus Fronius nicht vorstellbar. Sein Schlattbauerngut ist eine Symbiose aus Biolandwirtschaft und Versuchslabor für den Energiekreislauf. Auf 20 Hektar bauen er und sein dreiköpfiges Team verschiedene Pflanzen und Obstsorten an. Produziert werden Öle aus Sonnenblumen, Soja und Hanf sowie Essig von Äpfeln, Birnen, Quitte und Himbeeren auf einzigartige Weise, wie Fronius nicht ohne Stolz erklärt. Es ist kontrolliert biologischer Anbau, alles wird vor Ort erzeugt. Die Öle werden in einem aufwändigen Verfahren kalt gepresst. Mit Energie, die zur Gänze aus dem eigenen Haus kommt. Bald 100 Prozent energieautark Seine elfjährige Mischlingshündin Sari, ein Findling, von Fronius aufgelesen in der Slowakei, weicht ihm nicht von der „Die Resonanz war großartig. 19.000 Flaschen waren in fünf Wochen ausverkauft.“ Klaus Fronius, Claudius KG, Schlattbauerngut Seite. Doch ins Herz der Energiezentrale darf sie nicht hinein. Hier wird Wärme von einer Biomasseheizanlage produziert, in die selbst angebauter Miscanthus (Elefantengras) zugeführt wird. Die elektrische Energie speist sich aus einer 35 kW großen Photovoltaikanlage. „Wir erzeugen mehr Strom, als wir benötigen“, sagt Fronius. Das nächste große Ding ist der Wasserstoffspeicher, „dann sind wir zu 100 Prozent energieautark.“ Im Welser Fronius-Stadthaus funktioniert das bereits. Mit diesem Projekt soll gezeigt werden, wie regenerative Energie zu jeder Tages- und Jahreszeit verfüg- und nutzbar gemacht werden kann. Das Trink- und Nutzwasser im Schlattbauerngut kommt aus einer Quelle und einem Tiefbrunnen. Das Abwasser wird über ein ausgeklügeltes Ökosystem mit einem Bioteich gereinigt. So geht Selbstversorgung. Sensibilisierung für Qualität Der Hof soll sich selbst tragen. „Nächstes Jahr bilanzieren wir positiv“, ist Fronius überzeugt. Rechtlich läuft das Geschäft über die Claudius KG, die zu 95 Prozent ihm und zu 5 Prozent seiner Schwester Brigitte Strauß gehört. Neben dem Handel über Bioläden beliefert Fronius exklusiv seit dem Vorjahr einen großen Handelskonzern mit seinen Bio-Ölen. „Die Resonanz war großartig. 19.000 Flaschen waren in fünf Wochen ausverkauft. Das zeigt schon eine Sensibilisierung nach Qualität in der Bevölkerung.“ Fronius sieht seinen Betrieb als Vision einer Landwirtschaft von morgen. Die Verwirklichung können sich die meisten Bauern nicht leisten. Der Neolandwirt schlägt massive Förderungen zur Transformation unserer Landwirtschaft vor. Das sei eine Investition in die Zukunft Österreichs. ➔ 7/2015 | CHEF INFO | 61 Zahlen, Daten, Fakten Landwirtschaft OÖ 142 Euro Euro netto erhält ein Schweinebauer derzeit für ein Mastschwein von 95 Kilo. 2012 waren es noch 167 Euro. Seit Mitte 2014 mussten Oberösterreichs Schweinebauern 40 Millionen Euro Verlust hinnehmen. 30 Cent netto je Kilo Milch erhalten die Bauern von Berglandmilch. 2014 waren es 40. Für Biomilch gibt es 40,7 Cent, für BioHeumilch 43,2 Cent je Kilo. 100 Mio. Euro werden Oberösterreichs Milchbauern heuer gegenüber 2014 verlieren. Das sind durchschnittlich 10.000 Euro pro Betrieb. 960 Millionen Liter werden Oberösterreichs Milchbauern heuer voraussichtlich erzeugen. 2014 waren es noch 975 Millionen Liter. ZUR PERSON Günther Rabeder, 41, bewirtschaftet 50 ha Ackerland in Niederwaldkirchen. Er baut Pflanzen an, die zu Ölen der Marke farmgoodies gepresst werden. Gemeinsam mit Frau Judith und Freund Robert Reisinger fungiert er als Geschäftsführer von farmgoodies GmbH. Rabeder hat die Matura an der Landwirtschaftlichen Fachschule St. Florian abgelegt sowie Musik und Datenmanagement studiert. 1999 gründete er mit Freunden die Internetagentur Xortex. Im Vorjahr verkaufte er seine Anteile, um VollerwerbsLandwirt zu werden. Rabeder ist verheiratet und Vater von drei Kindern im Alter von zwei bis acht Jahren. COVERSTORY Glücksgefühl für 5,50 Euro AUSSTEIGER. Zehn Jahre lang lief seine Internetagentur hervorragend, er selbst auf 180 Touren. Dann hatte Günther Rabeder genug, verkaufte seine Firmenanteile und wurde Vollerwerbslandwirt am elterlichen Hof. V or einem Jahr hat Günther Rabeder, 41, seine Anteile an einer Internetagentur verkauft und wurde Vollerwerbs-Landwirt auf dem elterlichen Hof. Er baut in Niederwaldkirchen Pflanzen an, aus denen hochwertige Öle für die Marke farmgoodies gepresst werden. Begonnen hat er damit vor drei Jahren. Mittlerweile liefern 15 Bauern an die GmbH. Die Geschäftsführung teilt sich Rabeder mit Ehefrau Judith und Freund Robert Reisinger. Nach der Matura an der Landwirtschaftlichen Fachschule ging er als Trompeter zur Militärmusik, studierte Musik und Datentechnik. „Dort habe ich meine Passion gesehen“, erzählt Rabeder. Mit Freunden gründete er 1999 die Firma Xortex, zunächst als „Programmierbude“, dann als Internetagentur mit 20 Mitarbeitern. Zehn Jahre lang tat Rabeder alles dafür, immer weniger in der Landwirtschaft arbeiten zu müssen. FOTO: WAKOLBINGER Werteverschiebung Vor fünf Jahren kam der Schwenk:„Da habe ich beschlossen, nicht in der Agentur in Pension zu gehen“, sagt der dreifache Vater, „täglich wurde ich mit 100 E-Mails bombardiert, jedes Einzelne davon natürlich brutal wichtig. Wenn mich am Abend jemand gefragt hat, was ich gemacht habe, konnte ich es nicht sagen. Als meine Kinder zur Welt kamen, bemerkte ich bei mir eine Werteverschiebung. Ich konnte ihnen doch nicht sagen, dass ich den ganzen Tag nur E-Mails geschrieben habe und ihnen eine Internet-Agentur hinterlasse. Ich wollte abends wieder wissen, was ich den ganzen Tag getan habe.“ Man werde realitätsfremd in der virtuellen Welt, resümmiert Rabeder: „Die Landwirtschaft habe ich gebraucht, um mich wieder zu erden.“ Zu seinen Pflanzen hat er eine besondere Beziehung: „Ich wollte meine Ernte, um die ich mich ein ganzes Jahr lang bemüht habe, nicht mehr irgendwohin kippen und ans Lagerhaus liefern lassen.“ Aus seiner Tätigkeit in der Werbebranche wusste Rabeder, dass der Konsument heute wissen will, wo „Die Landwirtschaft habe ich gebraucht, um mich wieder zu erden.“ Günther Rabeder, Vollerwerbslandwirt seine Lebensmittel herkommen. Daher stieg er in die Direktvermarktung mit urbaner Zielgruppe ein. „Als ich das erste Flascherl von meinem eigenen Leinöl in der Hand hatte, war das ein Glücksgefühl, wie ich es noch nie vorher erlebt habe“, erinnert sich der Neo-Landwirt, „wir erhalten unglaublich positives Feed- back. Mit einer Website um 100.000 Euro habe ich nicht so viel Begeisterung ausgelöst wie mit einer kleinen Flasche Öl um 5 Euro 50.“ Terminkalender Natur Derzeit wird das Öl noch in der Steiermark gepresst, nächstes Jahr soll eine eigene Presse in Betrieb gehen. Demnächst kommt eine eigene Abfüllanlage. Außerdem wird emsig an neuen Lagerräumen und einem Verkaufsraum gebaut. Nächstes Jahr sollen Leindotter- und Distelöl das Sortiment erweitern. Das alles soll die Wertschöpfung steigern und das Überleben ermöglichen: „Die Preise legen wir mit unseren Zulieferern im Vorhinein fest. Denn ich finde es bedenklich, dass mit unseren Lebensmitteln nur mehr an der Börse gezockt wird.“ Ab 1. Oktober sind die farmgoodies-Produkte auch biozertifiziert. Die speziellen Herausforderungen seines Jobs sieht Rabeder darin, flexibel zu reagieren: „Es gibt Jahre, da geht alles gut. Im Jahr darauf funktioniert plötzlich nichts mehr und ich muss alles anders machen. Man muss einfach lernen, mit der Natur zu leben. Die hat einen ganz anderen Rhythmus als der Berufsalltag von 8 bis 17 Uhr. Wenn ich früher mein Smartphone vergessen habe, war ich planlos. Eine Stunde ohne Handy war unvorstellbar. Wenn ich es heute zu Hause liegen lasse, ist mir das den ganzen Tag völlig egal, weil mir die Natur vorgibt, was ich zu tun habe.“ ➔ 7/2015 | CHEF INFO | 63 Zahlen, Daten, Fakten Landwirtschaft OÖ 160 Mio. Euro erhalten Oberösterreichs Bauern jährlich als Direktzahlungen von der EU. 75 Mio. Euro gingen 2014 aus dem Österreichischen Umweltprogramm an die heimischen Landwirte. 50 % davon zahlt die EU, 30 % der Bund und 20 % das Land. 40 Mio. Euro Bergbauernförderung gingen im Vorjahr nach Oberösterreich. 20 % davon zahlt das Land, vom Bund kommen 30 und von der EU 50 %. 19 Hektar bewirtschaftet im Durchschnitt ein Landwirt in Oberösterreich. Mit Wald sind es 30 ha. 90 Prozent der Fläche Oberösterreichs werden landund forstwirtschaftlich genutzt. ZUR PERSON Karl Weinberger, 39, betreibt auf seinem Hof in Neuhofen an der Krems seit 12 Jahren Saatgutvermehrung für Böschungs- und SkipistenBegrünung. Im Brotberuf ist er bei BMW in Steyr als Entwicklungsingenieur tätig. Die Matura legte Weinberger an der HTL für Maschinenbau ab. Anschließend studierte er Mechatronik und absolvierte nebenbei die Abendschule in der landwirtschaftlichen Fachschule Ritzlhof. Seit 1997 führte er den Hof seiner Eltern als Pächter, seit 2006 ist er Besitzer. In seiner Freizeit läuft er und fährt Ski. Weinberger arbeitet als Sanitäter beim Roten Kreuz und sitzt für die ÖVP im Gemeinderat. COVERSTORY Herzblut, Leidenschaft und Stolz MULTITASKING. Gemeinderat, Interessenvertreter, Sanitäter, Entwicklungsingenieur, Landwirt – das alles bringt Karl Weinberger in seinem Alltag unter. Als Bauer hat er sich auf ein einzigartiges Nischenprojekt spezialisiert. D er Mann ist ein Phänomen: Karl Weinberger, 39, arbeitet im Brotberuf als Entwicklungsingenieur bei BMW in Steyr. Für die ÖVP sitzt er im Gemeinderat seines Heimatortes Neuhofen an der Krems. In der ARGE Gras- und Kleesamenbau sitzt Weinberger im Vorstand. Außerdem ist er als Sanitäter beim Roten Kreuz im Einsatz. Im Nebenerwerb betreibt er eine Landwirtschaft. Trotzdem bleibt ihm noch Zeit fürs Laufen und Skifahren, dafür ist er noch Single und kinderlos. Wie schafft er das alles? „Man braucht ein gutes Zeitmanagement“, schmunzelt Weinberger, „ein bisserl früher aufstehen und ein bisserl später ins Bett gehen. Im Ackerbau ist auch nicht täglich etwas zu tun. Und es braucht einen Arbeitgeber, der flexible Arbeitszeiten ermöglicht. Bei BMW gibt es keine Kernzeit, ich kann bei Bedarf früher gehen oder einen Tag Zeitausgleich nehmen. Ein anderer geht vielleicht abends auf den Golfplatz, ich mache meine Runde auf den Feldern.“ FOTO: WAKOLBINGER Kämpfen um Erträge Für Weinberger ist die Landwirtschaft Hobby und Berufung: „Meine Saatgutvermehrung ist ein einzigartiges Projekt, da steckt sehr viel Herzblut drin.“ Der Diplom-Ingenieur vermehrt Saatgut heimischer Pflanzen, die zum Begrünen von Skipisten und Böschungen – zum Beispiel beim Machlanddamm – eingesetzt wer- den. Seit mehr als 20 Jahren läuft dieses Projekt der Kärntner Saatbau und der Bundesanstalt für Alpenländische Landwirtschaft Gumpenstein. Österreichweit sind etwa zehn Landwirte beteiligt, davon sechs in Neuhofen. Besonders stolz ist Weinberger auf seine Wiesen-PippauKultur. Die hat er vor zwei Jahren angebaut und nach viel Aufwand heuer 40 Kilo „Die Saatgutvermehrung war wie eine Einstiegsdroge. Es macht Spaß und ist wirtschaftlich interessant.“ Karl Weinberger, Ingenieur und Landwirt geerntet. „Vor zwei Jahren habe ich eine Handvoll Rotkleesamen bekommen, der jahrelang gekühlt in einer Gen-Datenbank gelegen ist“, schildert der Landwirt, „aus diesen 250 Gramm habe ich auf 1.000 m2 zunächst 13 Kilo geerntet. Heuer werden es 200 Kilo sein.“ Analytisches Denken gefragt Das Gemeinsame seiner beiden Hauptjobs sieht er im Problemlösen durch analytisches Denken:„In meinem Bereich gibt es kaum Literatur. Sie können Tausende Seiten lesen, wie man Mais, Weizen oder Zuckerrüben richtig anbaut. Dafür gibt es sogar Foren und Vorträge. Ich muss mir das meiste selbst erarbeiten. Da braucht man eine gute Beobachtungsgabe, man muss analysieren und dokumentieren.“ Landwirtschaft macht Spaß Mit der Saatgutvermehrung begann Weinberger vor 12 Jahren. Er bewirtschaftet 16 ha Ackerland und zwei Hektar Wald. Seine Eltern betrieben den Hof noch im Vollerwerb und hatten eine Milchwirtschaft dabei. „Normalerweise ist diese Betriebsgröße heute zum Zusperren“, sagt der Ingenieur. Ans Aufhören hat er aber noch nie gedacht: „Die Saatgutvermehrung war wie eine Einstiegsdroge. Als meine Eltern die Milchwirtschaft aufgaben, stieg ich in das Projekt ein. Nach anfänglichen Erfolgen weitete ich immer mehr aus. Obwohl es mit viel Aufwand verbunden ist, macht es Spaß und ist wirtschaftlich interessant. Ich finde es schön, dass man mit so einer kleinen Betriebsgröße auch wirtschaftlich etwas zusammenbringt. Und dass es so ein einzigartiges Projekt ist, macht mich stolz.“ Ob er von der Landwirtschaft alleine leben könnte, möchte er nicht beurteilen. Er sieht seine Arbeit aber als Beitrag zum Erhalt des Hofes und der Landschaft. Sie liefere ihm den finanziellen Spielraum für notwendige Investitionen, etwa die Erneuerung des 1.300 m2 großen Daches. ➔ 7/2015 | CHEF INFO | 65 Zahlen, Daten, Fakten Landwirtschaft OÖ 3 Mrd. Euro betrug 2013 der Produktionswert der oö. Landwirtschaft inkl. Vorleistungen. 1,68 Mrd. waren es im Agrarsektor allein, inkl. Forstwirtschaft betrug der Produktionswert 1,9 Mrd. Euro. 1,2 Mrd. Euro investierten Oberösterreichs Bauern von 2007 bis 2013. 40 Prozent beträgt der Marktanteil Oberösterreichs an der österreichischen Milch-, Fleischund Rinderproduktion. 4 Prozent der Betriebe bewirtschaften mehr als 50 ha, nur 0,3 % mehr als 100 ha. 32 Prozent der Betriebe bewirtschaften 20-50 ha, 30 % 10-20 ha und 30 % bewirtschaften weniger als 5 ha. ZUR PERSON Kurt Pieslinger, 72, war 37 Jahre lang Geschäftsführer der Industriellenvereinigung Oberösterreich, saß in zahlreichen Aufsichtsräten, wie RLB OÖ und Energie AG und ist nach wie vor im Institut Wirtschaftsstandort (IWS) tätig. Pieslinger ist Vater von vier erwachsenen Kindern und lebt auf einem mit viel Liebe umgebauten Bauernhof nahe der Ruine Wildberg. Auf einem zwei Hektar großen Areal hütet der Wirtschaftsexperte und Netzwerk-Profi zwölf Schweine und vermarktet sie gemeinsam mit anderen Landwirten selbst. Das Fleisch der Tiere ist – nicht zuletzt wegen der Haltung in freier Natur – sehr begehrt. COVERSTORY Schwein gehabt WIRTSCHAFTSEXPERTE. Kurt Pieslinger, ehemaliger Geschäftsführer der Industriellenvereinigung, hat im Mühlviertel einen verfallenen Bauernhof zum Wohnsitz umgebaut und züchtet Schweine. FOTO: NICOLE WAGENEDER/CHEFINFO K urt Pieslinger, 72, war und ist einer der profiliertesten Wirtschaftsexperten des Landes. Der studierte Jurist fungierte 37 Jahre als Geschäftsführer der Industriellenvereinigung IV Oberösterreich, saß in etlichen Aufsichtsräten und ist nach wie vor im Standortinstitut aktiv. Von Lust auf Rente keine Spur, wie auch seine späte „Berufung“ zum Landwirt beweist. Pieslinger hält in seinem mit viel Liebe und Mühe umgebauten Bauernhof nahe Linz zwölf Schweine. Im Gespräch mit CHEFINFO erzählt Pieslinger, wie er zum Hobbylandwirt wurde. „Wir haben 1976 hier neben der Ruine Wildberg einen verfallenen Bauernhof gekauft und ihn vier Jahre lang renoviert. Später ergab sich die Chance, zwei Hektar Grund zu kaufen. Weil ich nicht wollte, dass das Areal verwildert und die Aussicht verwächst, habe ich mit der Schweinehaltung begonnen“, betont Pieslinger. Zur Wirtschaft hat der Familienmensch noch immer einen aktiven Bezug: „Ich bin ja im Standortinstitut im Interesse der heimischen Betriebe aktiv und betrachte das Hüten von Schweinen als Leidenschaft und weniger als Nebenerwerb. Ich mag diese Tiere einfach seit meiner Kindheit sehr gerne.“ Kindheitserinnerungen Erinnerungen aus der Kindheit haben den Grundstein für die Leidenschaft gelegt. Pieslinger wuchs als Sohn eines Bäckers in Arnreit im Mühlviertel auf. „Dort hatten wir im Keller Schweine, die ich gerne gefüttert habe. Als wir den Grund gekauft haben, war für mich klar, dass ich diese Tiere halten will. Ich verdiene damit nicht viel, aber ich nehme die Verantwortung bei der Haltung und Vermarktung sehr ernst“, schildert Pieslinger. Die Vermarktung des Fleisches erfolgt über Mundpropaganda und einen kleinen Folder. Pieslinger: „In der Nachbarschaft sind mehrere Nebenerwerbslandwirte. Einer züchtet „Ich betrachte das Hüten von Schweinen als Leidenschaft und weniger als Nebenerwerb. Ich mag diese Tiere seit meiner Kindheit einfach sehr gerne.“ Kurt Pieslinger, Ex-IV-Geschäftsführer Schafe, der andere hat Galloway-Rinder und einer der Bauern hat die Lizenz zum Schlachten. Die Konsumenten können das Fleisch direkt bei uns bestellen und bekommen höchste Qualität.“ Qualität und Preis Die Diskussion über den Wert von Arbeit in der Agrarwirtschaft kann Pieslinger gut nachvollziehen. Viele Landwirte würden zurecht beklagen, dass sie für ihre Produkte schlecht bezahlt werden. „Bei mir haben zwölf Schweine einen Lebensraum von zwei Hektar Grund – sie können in der freien Natur laufen, spielen und sich austoben. Wenn ich an die Tierfabriken in anderen Ländern denke, dann kommt mir das Grauen“, betont der Wirtschaftsfachmann und Hobby-Landwirt. Es liege an den Konsumenten, welche Produkte sie kaufen. Naturnahe Landwirtschaft habe gegen den Kostendruck der Konzerne nur dann eine Chance, wenn der Handel und die Verbraucher bereit sind, faire Preise zu bezahlen. Kritik am Stillstand In seiner Zeit als Geschäftsführer der Industriellenvereinigung (IV) gab es eine Zeit der Hochkonjunktur und Österreich galt als das bessere Deutschland. Inzwischen hat sich das Blatt sehr negativ gewendet. Pieslinger nennt – als profunder Kenner der Materie – das Kind beim Namen. „Die große Koalition bringt nichts weiter, Politiker sollten langfristiger denken, als bis zu den nächsten Wahlen.“ In Österreich würden auch die bürokratischen Strukturen mit Auflagen, langsame Behördenverfahren und unzählige Reglementierungen und Verbote einem Wirtschaftsaufschwung im Weg stehen. „Dazu kommen natürlich auch die hohen Steuern, die weder für Arbeitgeber noch Arbeitnehmer vorteilhaft sind.“ ➔ 7/2015 | CHEF INFO | 67 Zahlen, Daten, Fakten Landwirtschaft OÖ 33.000 Landwirte gibt es derzeit in Oberösterreich. Davon stehen 15.000 im Vollund 18.000 im Nebenerwerb. Rund 4.000 sind Bio-Bauern. 300.000 Hektar in Oberösterreich sind Ackerbaufläche. 250.000 Hektar Wiese bewirtschaften Oberösterreichs Bauern. 450.000 Hektar Wald befinden sich in Oberösterreich. 8.350 Milchbauern gibt es in Oberösterreich. 2012 waren es noch 9.500. 100.000 Jobs sichert die Landwirtschaft in Oberösterreich, das ist jeder 6. Arbeitsplatz (inkl. Lebensmittelindustrie). ZUR PERSON Ulrich Lanzer, 38, studierte Landwirtschaft an der Boku, sowie Personal- und Organisationsentwicklung. Mit dem Verkauf von Anteilen an einer Beratungsfirma, machte er sich als Unternehmens- und Politikberater einen Namen. 2012 gründete er die Strategieberatung „Edelweiss Consulting“. Gemeinsam mit 10 Mitarbeitern coacht er Organisationen und Parteien und befindet sich „im Spannungsfeld zwischen Wirtschaft und Politik“. Die Akademie des Politcoaches durchliefen bereits Minister. Mit 130 Bienenvölkern betreibt er mit seiner Frau auch eine Vollerwerbsimkerei. COVERSTORY Herr über 130 (Bienen)völker IMKEREI. Der Organisations- und Politberater Ulrich Lanzer ist gleichzeitig Obmann des Imkervereins Gallneukirchen. Die Bienen begleiten ihn seit Kindesbeinen an. W enn Ulrich Lanzer aus seinem Wiener Büro schaut, kann er die Wiener Staatsoper sehen. Im Herz der Hauptstadt betreibt er sein Personal- und Organisationsentwicklungsunternehmen „Edelweiss Consulting“. Bereits der Name verrät einiges über Lanzers Naturverbundenheit. „Ich hatte schon als Kind mit Bienen zu tun, mein Vater war Imker. Mit 18 hatte ich bereits 30 Bienenvölker.“ Lanzer wurde seine Berufung somit in die Wiege gelegt. Als Ausgleich zum stressigen Leben am Puls der Millionenstadt suchte er einen Bauernhof und wurde in der Nähe von Schwanenstadt fündig. Von dort aus betreibt er mit seiner Frau die gemeinsam aufgebaute Imkerei mit 130 Bienenvölkern. Den Markt für seinen Honig findet er nicht zuletzt wieder in der Stadt – der Kreis schließt sich. FOTO: WAKOLBINGER Jünger, akademischer und weiblicher Lanzer selbst engagiert sich als Obmann des Imkervereins Gallneukirchen für den Nachwuchs. „Zur Zeit gibt es einen wahren Run auf die Imkerei. Die Neueinsteiger werden jünger, akademischer und weiblicher.“ Und das hat seinen Grund: Der seit einiger Zeit kursierende Diskurs über das Bienensterben hat die Biene als Grundlage alles Lebens ins Zentrum gerückt. Dabei weiß Lanzer, dass schon viele Generationen mit Bienensterben zu tun hatten. „In der Nachkriegszeit war kein Zucker verfügbar, um den Völkern das Überwintern zu ermöglichen, viele starben. In den 60ern, 70ern und 80ern war dann die Trockenmilbe der große Feind der Bienen.“ Danach rückte die Varroamilbe den Bienen auf den Pelz. Pestizide und Giftstoffe machen den Bienen heute das Leben schwer. „Man muss immer dranbleiben und die Völker genau beobachten.“ Honig ist wieder „in“ Dennoch ist Lanzer nicht zuletzt wegen des hohen Interesses am Schutz der fleißigen Tiere zuversichtlich, dass die aktuelle Krise überstanden werden kann. Auch das „Produkt“ der Bienen, der Honig, ist wie- „Die Bienen merken wenn man nervös ist. Sie geben einem sofort Feedback über seine eigene Gemütslage.“ Ulrich Lanzer, Geschäftsführer Edelweiss-Consulting der „in“. „Als Industriezucker billiger wurde, ist der Honig fast gänzlich verschwunden.“ Jetzt feiert er ein Comeback und damit steigt wieder eine wachsende Zahl an Neueinsteigern in die Imkerei. Die Mitglieder in Lanzers Imkerverein Gallneukirchen sind zwischen 10 und 90 Jahren alt. Das Interesse ist ungebrochen. „Es gibt genügend Literatur und Vereine, um sich über die Imkerei zu informieren. Dennoch ist es wichtig, sich selbst Know-how aufzubauen.“ Know-how über die „olympiareifen“ Tiere, etwa, dass eine Biene in zwei Minuten einen Kilometer zurücklegen kann, oder dass für ein Kilogramm Honig die Lebensarbeit von bis zu 400 Bienen notwendig ist. Fakten, die der Imkerverein Gallneukirchen zusammen getragen hat und auf seiner Website veröffentlicht. Fakten, die den Laien staunen lassen. „Naturmeditation“ Erstaunlich ist auch die neue Zielgruppe, die sich der Imkerei widmet: „Immer mehr Menschen in stressigen Berufen wenden sich wieder der Imkerei zu.“ Das hat seinen Grund: „Man muss eine innere Ruhe haben um sich einem Bienenvolk zu nähern, dann passiert auch nichts. Wenn man mit den Handy telefoniert und wild herumfuchtelt, dann kann es schon sein, dass man den einen oder anderen ´Kuss´ bekommt.“ Die Bienen spiegeln den Imker somit seine Gemütslage. „Das Volk merkt, wenn man nervös ist. Bienen geben sofort Feedback über seine eigene Gemütslage.“ Maja und Co sind somit perfekt geeignet um den Alltagsstress hinter sich zu lassen. „Manche Züchter sitzen einfach vor den Stöcken und beobachten die Bienen.“ Eine Art „Naturmeditation“, die immer mehr Fans findet. Für Ulrich Lanzer der ideale Ausgleich im „Spannungsfeld aus Wirtschaft und Politik“. ■ 7/2015 | CHEF INFO | 69
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