„Warum leiden? – Wozu noch leben?“ Umgang mit Sinnlosigkeit und Werteverlust in der Psychotherapie Alfried Längle, Wien www.existenzanalyse.org www.laengle.info Überblick 1. Existenzanalyse/Logotherapie 2. Werte und unsere Zeit 3. Existentiell relevante Werte 4. Sinn 5. Sinnsuche 6. Sinn‐Findung 7. Sinnerfassungsmethode 8. Schlussgedanke Alfried Längle, Wien 1. Existenzanalyse und Logotherapie • Viktor Frankl (1905 – 1997) • als Logotherapie begründet • Ergänzung der Tiefenpsychologie durch • humanistische Inhalte, v.a. Sinnsuche Alfried Längle, Wien 1. Existenzanalyse Existenzanalyse Analyse und Psychotherapie der • • Bedingungen für erfüllende, ganzheitliche (= sinnvolle) Existenz Alfried Längle, Wien 1. Existenzanalyse Zentrale Ressource: Mit Innerer Zustimmung leben Alfried Längle, Wien 1. Existenzanalyse Zustimmung zu existentiell wichtigen Themenbereichen: 1. 2. 3. 4. Welt Leben sich selbst Zukunft Alfried Längle, Wien 1. Existenzanalyse Nosologie: gestörte Grundbedingungen der Existenz 1. Daseinssicherung →Angststörungen 2. Lebensbezug → depressive Störungen 3. Selbstbezug → Selbstwertunsicherheit und histrionische Störungen 4. Sinnbezug → vielfältige Störungen; Suizidalität, Sucht Alfried Längle, Wien 2. Werte und unsere Zeit Horizont: Wertpapier – Werte‐Pluralismus – Wertewandel – Werteverfall Alfried Längle, Wien 2. Werte und unsere Zeit 2.1 Werte‐Kontext Normen – Werte – Brauch – Sitte – Tabu – Sanktionen Alfried Längle, Wien 2. Werte und unsere Zeit 2.2 Gesellschaftliche Werte In unserem Gesellschaftssystem gelten als Werte z.B. Meinungsfreiheit, Gesundheit, Versorgung der Kranken, Ausbildung der Jugend, Gleichberechtigung, Wirtschaftswachstum … Abtreibung, Homosexualität, gleichgeschlechtliche Ehe, Einwanderung und Abschaffung der Todesstrafe… Alfried Längle, Wien 2. Werte und unsere Zeit 2.2 Gesellschaftliche Werte Werner Faymann: "Wettbewerbsfähigkeit, Wohlstand und sozialer Zusammenhalt bleiben (18.12.2013) Werte unserer Gesellschaft“ Unternehmenswerte: Sind immer so formuliert, dass keiner dagegen sein kann… Alfried Längle, Wien 2. Werte und unsere Zeit 2.3 Wertewandelforschung Ronald Inglehart: “… material well‐being and physical security toward (… ) quality of life.” (1977) Helmut Klages seit 1980er Jahren: Wandel von „Pflicht‐ und Akzeptanzwerten zu Selbstentfaltungswerten”. Ulrich Beck ortet ein positives Verständnis von (1986) Individualisierung Alfried Längle, Wien 2. Werte und unsere Zeit ... aber auch die Ego‐Gesellschaft • Anspruchsgesellschaft • Ellbogengesellschaft • Erlebnisgesellschaft vereinen Hedonismus mit Rücksichtslosigkeit, Individualisierung und Wertewandel/Werteverfall mit Korruption und Entsolidarisierung Alfried Längle, Wien 2. Werte und unsere Zeit ... sicher ist: • Werte wie Gehorsam und Unterordnung↓ • Selbstständigkeit und freier Wille↑ v.a. wegen Bildung und Beschäftigung (Klages) Alfried Längle, Wien 2. Werte und unsere Zeit 2.4 Hypothesen • Sozialisationshypothese als Basis (Inglehart) • postmaterielle Bedürfnisse – Selbstentfaltungswerte (Klages) • Prosperität, Bildung; dann auch Mobilität, Kommunikationsgesellschaft… (Inglehart) Alfried Längle, Wien 2. Werte und unsere Zeit 2.5 Wertewandel? Wie umgehen als Psychotherapeuten mit dem sozialen und normativen Wandel und den Werten? → Tendenz geht in Richtung Selbstentfaltung, Individualisierung und Lebensqualität → ansetzen am subjek ven Werterleben Alfried Längle, Wien 2. Werte und unsere Zeit 2.5 Wertewandel? Wie bekommen die Werte einen Wert? … wieder einen Wert? … einen neuen Wert? … wie finden wir Werte? Alfried Längle, Wien 3. Existentiell relevante Werte Personaler Wert ist, was nahegeht. … was berührt … was bewegt Alfried Längle, Wien 3. Existentiell relevante Werte 3.1 Existentieller Wert Wert Gefühl Wert = objektives Korrelat zum subjektiv erlebten GEFÜHL Alfried Längle, Wien 3. Existentiell relevante Werte 3.2 „Existentieller“ Wert Kein Werterleben in der Beziehungslosigkeit! Werterleben ist Bezugnahme von etwas auf das eigene Leben Alfried Längle, Wien 3. Existentiell relevante Werte 3.3 Der tiefste Wert Grundwerterleben: „Ich bin – und es ist im Grunde gut, dass ich bin.“ Alfried Längle, Wien 3. Existentiell relevante Werte 3.3 Der tiefste Wert Wert = verstärkt die Grundbeziehung zum Leben; ist daher existentiell gesehen ein „Grundwert‐Verstärker“ Alfried Längle, Wien 3. Existentiell relevante Werte 3.4 Zusammenfassung: Werte Wert = was „gut“ ist. Gut ... für das Leben förderlich ist ... meine Haltung zum Leben verbessert: „Damit mag ich lieber leben“ Alfried Längle, Wien 4. Sinn Alfried Längle, Wien 4. Sinn 4.1 … SINN … Warum fragen wir überhaupt nach Sinn? Alfried Längle, Wien 4. Sinn Weil wir wissen wollen, um was es geht in unserem Leben ● worin wir stehen ● wohin wir gehen Alfried Längle, Wien 4. Sinn 4.2 Zwei Sinnfragen Die große Frage: Wofür bin ich auf der Welt? ► Warum? ► Wozu? Alfried Längle, Wien 4. Sinn Die kleine Frage: Wofür tue ich das? ► Warum? ► Wozu? Alfried Längle, Wien 4. Sinn … spiegelt unser Verlangen nach ► Eingebundensein → Zugehörigkeit (Heimat) & das Bedürfnis nach ► Orientierung → Ausgerichtetsein (Zukunft) Alfried Längle, Wien 4. Sinn … zwei Sinn‐Fragen: a) Herkunftsfrage (warum?) wofür ist das gemacht, was IST Alfried Längle, Wien 4. Sinn … zwei Sinn‐Fragen: b) Zukunftsfrage (wozu?) was kann daraus Gutes WERDEN Alfried Längle, Wien 4. Sinn … zwei Sinn‐Fragen: a) Ontologische Sinnfrage b) existentielle Sinnfrage Alfried Längle, Wien 4. Sinn 4.3 Was bedeutet „Sinn“? sinnan (mhd) … einer Richtung nachgehen, reisen (ital. „senso“, frz. „sens“) Alfried Längle, Wien Ausrichtung auf einen Wert Wert Sinn Alfried Längle, Wien 4. Sinn 4.4 Sinnprobleme Bei allen Wertverlusten (Veränderungen, Krisen! Leid, Tod) Alfried Längle, Wien 4. Sinn Sinnprobleme ‐ Zivilisation Immer mehr zu haben, wovon wir leben, birgt die Gefahr, immer weniger zu haben, wofür wir leben. Frei nach V. Frankl Alfried Längle, Wien 4. Sinn Sinnprobleme ‐ Folgen → Schutzreak onen → Suchtgefahr → Suizidalität Alfried Längle, Wien 4. Sinn 4.5 Coping‐Reaktionen auf Sinnprobleme 1. Provisorisches Engagement provisorische Daseinshaltung ‐ Leben in der Vorläufigkeit ‐ innere Kündigung ‐ häufige Beziehungswechsel Alfried Längle, Wien 4. Sinn Sinnprobleme Copingreaktionen 2. Paradoxe Bewegung (Aktivismus): Widerstand aufbauen; Rahmen ändern: klagen, provozieren, übertreiben, sich aus allem ein Spiel machen, umdeuten; Problembetäubung (Alkohol); Inhalte schaffen: Streben nach Lust (Konsumverhalten) und Macht (Einfluss, Selbstwert); Idealisierung, Fanatismus, Zielfixierung („Para‐Existentialität“)/ überwertige Ideen, Ich‐Fixierung Alfried Längle, Wien 4. Sinn Sinnprobleme Copingreaktionen 3. Aggression Spielerische Aggression: Vandalismus Verwirrung stiften, Chaos erzeugen, Mobbing; Empörung: Auflehnung gegen den Rahmen, der als „unerhört“ empfunden wird; Zynismus: man meint das Gegenteil von dem, was man sagt; Sarkasmus: beißender Spott in scheinbarem Humor verpackt. Alfried Längle, Wien 4. Sinn Sinnprobleme Copingreaktionen 4. Totstellreflex Fatalismus: Hoffnungslosigkeit, sich aufgeben Apathie: gelähmt und nicht ansprechbar sein, „Wurschtigkeit“; Verzweifelte Betäubung: widerstandslos gegen Sucht und Drogen; Nihilismus Alfried Längle, Wien 5. Sinn‐SUCHE Alfried Längle, Wien 5. Sinn‐Suche 5.1 Sinn‐Angebote: → Äußeres Wissen: Religion, Philosophie, Tradition → Inneres Wissen: eigenes Spüren und Denken Alfried Längle, Wien 5. Sinn‐Suche 5.2 Ausgangsbasis Sinn hat 2 Brennpunkte: Personbezogen Alfried Längle, Wien Weltbezogen 5. Sinn‐Suche 5.3 Existentielle Wende Grundhaltung der Sinnfindung = Offenheit: „Was will die Situation von mir?“ Alfried Längle, Wien 5. Sinn‐Suche … die „existentielle Wende“ a) Basis = Akzeptanz des Gegebenen: ICH „Welt“ Andere(s), Gegenüber, DU inneres Gegenüber INNEN AUSSEN Alfried Längle, Wien 5. Sinn‐Suche V. Frankl: b) Menschsein heißt in Frage stehen… (= „An‐Spruch“ der Situation) Person ICH „Welt“ Andere(s), Gegenüber, DU inneres Gegenüber Alfried Längle, Wien 5. Sinn‐Suche V. Frankl: Menschsein heißt in Frage stehen… ICH „Welt“ Andere(s), Gegenüber, DU inneres Gegenüber c) Leben ist Antwort geben … Alfried Längle, Wien 5. Sinn‐Suche An‐fragend, Ansprechend, = „An‐Spruch“ der Situation, was der „Fall“ ist „Welt“ ICH Person In‐der‐Welt‐Sein Ant‐wortend Alfried Längle, Wien Andere(s), Gegenüber, DU inneres Gegenüber 5. Sinn‐Suche Innenwelt Ich Außenwelt Sinn – die Verklammerung von Innen und Außen Alfried Längle, Wien 6. Sinn‐Findung Alfried Längle, Wien 6. Sinn‐Findung 6.1 Wiederholung a) Die kleine Frage: ► Wozu tue ich das? b) Die große Frage: ► Wozu bin ich auf der Welt? Alfried Längle, Wien 6. Sinn‐Findung 6.2 Die zwei Arten von Sinn a) Existentieller Sinn: ‐ eigener Beitrag ‐ „Gefragtsein“ ‐ dynamisch ‐ setzt an Wille/Freiheit an Alfried Längle, Wien 6. Sinn‐Findung – zwei Arten von Sinn a) Existentieller Sinn ‐ Definition: „Die wertvollste Möglichkeit der Situation“ Alfried Längle, Wien 6. Sinn‐Findung – zwei Arten von Sinn b) Ontologischer Sinn: ‐ liegt in der Sache ‐ hängt nicht von mir ab ‐ statisch‐vorgegeben ‐ „Sinn der Sache“ Alfried Längle, Wien 6. Sinn‐Findung – zwei Arten von Sinn b) Ontologischer Sinn ‐ Definition: „Der Sinn der Sache – der Sinn von Sein“ Z.B. der Sinn der Krankheit – der Sinn des Lebens Alfried Längle, Wien 6. Sinn‐Findung – zwei Arten von Sinn Fazit: Sinn = a) Verstehen der Zusammenhänge b) + sich einlassen a) Horizont b) Aktivität Alfried Längle, Wien 6. Sinn‐Findung 6.3 „Sinn‐Straßen“ (V. Frankl) 1. Erlebniswerte Alfried Längle, Wien 6. Sinn‐Findung 6.3 „Sinn‐Straßen“ (V. Frankl) 1. Erlebniswerte 2. Schöpferische Werte Alfried Längle, Wien 6. Sinn‐Findung 6.3 „Sinn‐Straßen“ (V. Frankl) 1. Erlebniswerte 2. Schöpferische Werte 3. Einstellungswerte Alfried Längle, Wien 6. Sinn‐Findung 6.3 „Sinn‐Straßen“ (V. Frankl) Existentieller Sinn kann nicht erfunden werden → er muss gefunden werden. (V. Frankl) Alfried Längle, Wien 6. Sinn‐Findung 6.3 Psychologische Grundlagen der Sinn‐Findung: 1. 2. 3. 4. Können Mögen Dürfen Sollen [ Sinn] Wollen Alfried Längle, Wien 6. Sinn‐Findung Kompetenzen für Sinnfindung 1. Kognitive 2. Emotionale 3. Moralische 4. Praktische Alfried Längle, Wien Fähigkeiten Fähigkeiten Fähigkeiten Fähigkeiten 7. Sinnerfassungsmethode → 4 Schri e – „4 W“ Alfried Längle, Wien 7. Sinnerfassungsmethode Schritte der Sinnerfassungsmethode 1. Wahrnehmen 2. Werten 3. Wählen 4. Wirklich machen Alfried Längle, Wien Was? Wie? Wer? Wo? 7. Sinnerfassungsmethode 1. Wahrnehmung → Bezugnahme auf Realität (nicht auf Wünsche oder Vorstellungen!) Machbarkeit/Erreichbarkeit des Sinns Alfried Längle, Wien 7. Sinnerfassungsmethode 2. Werten → Bezugnahme auf Gefühl (auf Lust = Lebensgefühl und Wertgefühl gemeinsam) Vitale Kraft des Sinns (sich „packen lassen“) Alfried Längle, Wien 7. Sinnerfassungsmethode 3. Wählen → Bezugnahme auf das Eigene (Ziele und Visionen) Persönliche Entschiedenheit im Sinn („ich will das!“) + Freiheit Alfried Längle, Wien 7. Sinnerfassungsmethode 4. Wirklich machen → Bezugnahme auf das Handeln (statt passivem Wünschen und abwarten) Persönlicher Einsatz (Hingabe + Verantwortung) im Sinn Alfried Längle, Wien 8. Schluss: Existentielles Glück ‐ wenn wir mit innerer Zustimmung leben können.
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