Evangelische Kirche der Böhmischen Brüder und Schwestern

Evangelische Kirche der Böhmischen
Brüder und Schwestern
Frauen fühlen sich in ihrer Kirche
nicht vernachlässigt oder benachteiligt
von Marion Unger
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Die Idee der
Eine-Welt-Läden
brachte Vera Lukášová nach Prag.
Sie baute den ersten
Laden auf und gibt
nun die Leitung
nach und nach in
jüngere Hände –
zum Beispiel in die
ihrer Enkelin Tereza.
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Fotos: Unger
Immer mehr
Frauen greifen in
der Evangelischen
Kirche der Böhmischen Brüder nach
Leitungsämtern.
Mahulena Čejková
ist Synodalkuratorin
und steht zusammen mit dem Kirchenpräsidenten
an der Spitze des
Synodalrates.
In der kleinen Evangelischen Kirche der
Böhmischen Brüder (EKBB) in Tschechien
wird das Gemeindeleben immer stärker
von den Frauen geprägt. Traditionell gibt
es dort auch viele Pfarrerinnen, denn bereits seit 1953 werden in dieser Diasporakirche Frauen ordiniert.
„Ihr nennt euch Evangelische Kirche
der Böhmischen Brüder, aber was ist
mit den Schwestern?“ Diese Frage, so
berichtet Vera Lukásová, werde ihr
von Besucherinnen aus den europäischen Partnerkirchen oft gestellt. Aus
ihrem Namen ist dies nicht unbedingt
zu schließen, aber die Frauen haben in
der EKBB ihren festen Platz. Seit
1953 werden sie ordiniert, von den
250 Geistlichen sind heute 50 Pfarrerinnen. Vera Lukásová leitete viele
Jahre lang eine Kirchengemeinde in
Prag-Jarov. Mit 77 Jahren ist sie immer noch in ihrer Kirche aktiv und
kümmert sich um die von ihr gegründeten Eine-Welt-Läden in der tschechischen Hauptstadt.
Seit der Wende 1989 und der damit
einhergehenden Neuorientierung der
Diasporakirche in Tschechien greifen
immer mehr Frauen nach kirchlichen
Ämtern. In den Presbyterien besetzen
sie inzwischen etwa die Hälfte der
Plätze, in den herausgehobenen Positionen sind sie allerdings eher selten
anzutreffen. Aber auch hier tut sich
einiges im Sinne der Frauen, wie das
Beispiel von Mahulena C
ejková zeigt.
Die pensionierte Ärztin ist Synodalkuratorin und steht zusammen mit
Synodalsenior Joel Ruml an der Spitze des Synodalrats, des kirchenleitenden Gremiums der EKBB.
„Wir fühlen uns in unserer Kirche
nicht vernachlässigt“, betont Vera
Lukásová. Ihr Leben bietet ein gutes
Beispiel für eine Frauenkarriere in
einer der ältesten Kirchen der Refor-
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mation in Europa. Geboren in der
kleinen Stadt Zlín, deren Leben bis
heute von der Schuhfabrik Bata bestimmt ist, erlebte sie 1948, wie ihr
Vater nach der Machtübernahme
durch die Kommunisten innerhalb
von wenigen Minuten seine leitende
Position in der Fabrik verlor. Sie ging
nach dem Abitur auf die Handelsschule und heiratete 1953 einen
evangelischen Pfarrer. „Das war damals eine große Dummheit“, meint sie
mit einem Augenzwinkern und Blick
auf die politischen Verhältnisse. In
einer kleinen Stadt, die nach Vera
Lukásovás Aussage „früher sehr katholisch und dann sehr kommunistisch geprägt war“, wirkte ihr Mann
15 Jahre lang als Seelsorger in einer
winzigen evangelischen Gemeinde.
Sie habe damals am eigenen Leibe
erlebt, was der Begriff „Diaspora“
bedeute, sagt sie und präzisiert: „Die
Protestanten waren dort ein Nichts.“
Aber das Pfarrhaus war eine wichtige
Anlaufstelle für viele, die Hilfe such-
ten und sich ihren christlichen Glauben in einem atheistischen Staat bewahren wollten. Vera Lukásová ging
ganz in ihrer Rolle auf. „Das Pfarrhaus war ein gläsernes Haus“, berichtet sie. „Es war 24 Stunden am Tag
geöffnet und mein Mann musste immer da sein, wenn er gebraucht wurde.“ Erst später, so besinnt sie sich, sei
ihr klar geworden, dass dies nur durch
ihre eigene Mithilfe und Unterstützung möglich war. Wie viele andere
Ehefrauen von evangelischen Geistlichen hielt sie ihrem Mann den Rücken frei, sorgte für ein Auskommen
mit dem kärglichen Gehalt, das zur
Abschreckung vor dem Pfarrberuf absichtlich niedrig gehalten wurde. Ein
Jahr verbrachte die Familie mit drei
Kindern in der Schweiz und kehrte
trotz der Bitten ihrer Gastgeber, dortzubleiben, zurück, weil sie die Gemeinde nicht im Stich lassen wollte.
Schließlich wählte die Gemeinde
Jarov in Prag Jan Lukás zu ihrem
Pfarrer. Der Umzug in die Hauptstadt erfolgte unter bemerkenswerten
Umständen. „Wir fuhren in einer langen Schlange: vor uns Panzer, hinter
uns Panzer und dazwischen unser
Möbelwagen – es war der 21. August
1968“, erinnert sich Vera Lukásová.
In Jarov erlebte sie, wie die Blumen
des Prager Frühlings von den russischen Invasionstruppen erstickt
wurden, aber auch, wie nach langer
Eiszeit das Tauwetter der Wende einsetzte. Ihr Mann hat sie nicht mehr
erlebt, er starb 1988 mit nur 59 Jahren
an Krebs. Danach trat man mit dem
Wunsch, die Leitung der Gemeinde
zu übernehmen, an Vera Lukásová
heran. Also gab sie ihre Stelle bei den
Prager Filmstudios auf, studierte nebenbei Theologie und stürzte sich in
die neue Aufgabe. Die begann gleich
mit einem Paukenschlag: Mitten in
Umbauarbeiten des Gemeindezen-
Gustav-Adolf-Blatt 4/2006
Die Weitergabe von Glaubenstraditionen in einer ungläubigen
Gesellschaft war und
ist auch in Tsche-
chien Frauensache. „Die Frauen sind
in unserer Kirche aktiver als die Männer“, beschreibt Synodalsenior (Kirchenpräsident) Joel Ruml seine Erfahrungen. Er ist davon überzeugt,
dass die Frauen künftig mehr und
mehr an Einfluss gewinnen werden.
Auch wenn es in der Gesamtsynode
nur wenige weibliche Delegierte gibt
und lediglich zwei der insgesamt 14
Seniorate von Frauen geleitet werden, nimmt deren Anteil unter den
neu Ordinierten langsam, aber stetig
zu.
Viel zu langsam – das findet zumindest Jana Nechutová, die gehofft
hatte, dass die Frauen nach der Wende schneller ihren Weg in die Leitungsfunktionen der EKBB finden
würden. Die Professorin an der Philosophischen Fakultät der Universität
Brno/Brünn betreut im Synodalrat
die Vikarinnen und Vikare und
wünscht sich, dass die Kirche dem
Beispiel der akademischen Welt folgt.
In ihrem Institut, das sie ironisch als
„gefährlich feminisiert“ bezeichnet,
gibt es fast nur Mitarbeiterinnen.
Dass dies kein Maßstab für die EKBB
sein kann, räumt sie gerne ein und sie
unterstreicht: „Es gibt in unserer Kirche wirklich keine Hindernisse für das
Engagement von Frauen.“
Dass sich Frauen trotzdem nur zögernd bereitfinden, sich in der kirch-
Mehr Verantwortung für Frauen in
Kirche und Gesellschaft wünscht sich
Jana Nechutová.
Aber vielen fehlt die
Kraft, sich außer für
Familie und Beruf
auch noch in der
Kirche zu engagieren.
lichen Arbeit zu engagieren, hat nach
Meinung von Jana Nechutová etwas
mit dem Erbe des Kommunismus zu
tun. Das sozialistische System habe
erwartet, dass Frauen voll im Arbeitsleben stehen, und gleichzeitig trugen
sie die Hauptlast in Kindererziehung
und Haushalt, während die Männer
sich in der Hauptsache auf ihre berufliche Tätigkeit beschränkten. Diese
Rollenverteilung löse sich erst über
Generationen hinweg nach und nach
auf. „Es fehlt nicht an Interesse und
Fähigkeiten, aber viele Frauen haben
einfach nicht die Kraft, auch noch zusätzliche Aufgaben zu übernehmen“,
beschreibt sie die gesellschaftliche
Situation.
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Gustav-Adolf-Blatt 4/2006
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Heute stellt sich Vera Lukásová bescheiden als „Rentnerin, Witwe und
Großmutter“ vor. Aber so beschaulich, wie man sich ihr Leben nach dieser Beschreibung vorstellen könnte,
ist es nicht. So hat sie die Idee
der Eine-Welt-Läden nach Prag gebracht, von denen es inzwischen mehrere gibt, und sie steht immer noch
jeden Tag der Woche drei Stunden
lang in einem kleinen Geschäft im Gemeindezentrum in Prag-Vinohrady,
um dort Kunsthandwerk, Spielzeug
und Handarbeiten aus Ländern der
Dritten Welt zu verkaufen. Sie macht
mit in der Initiative „Frauen unterwegs für das Leben“, die es sich zur
Aufgabe gemacht hat, über Konfessionsgrenzen hinweg aus dem christlichen Glauben heraus für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der
Schöpfung einzutreten.
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trums erhoben angebliche Erben eines
früheren Eigentümers Besitzansprüche auf das Gebäude. Zehn Jahre lang
kämpfte sie zusammen mit ihrer Gemeinde vor verschiedenen Gerichten
um die Restitution und gewann
schließlich.
Die Weitergabe
von Glaubenstraditionen an Kinder
und Enkel ist in
Tschechien meist
Frauensache.
Darüber berichtete
Vera Lukášová im
Rahmen eines Generationenprojekts
der Evangelischen
Akademie im Rheinland. Hier liest sie
eine geistliche GuteNacht-Geschichte
aus dem „Goldenen
Prag”.
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