Isartour Alles am Fluss Seit die Isar aus ihrem Betonkorsett befreit wurde, wächst hier eine neue Artenvielfalt – nicht nur in Flora und Fauna: Fischer und Stadtindianer, Picknicker und Partymenschen genießen das Lebensgefühl am Ufer TEXT: Barbara Esser Denger Foto: FOTOS: Dietmar 30 å∂åç Reisemagazin Randbedingungen: An Sommerabenden verwandeln sich die Kiesbänke der Flaucher-Anlagen in große Gelage. Erlaubt ist das Zündeln aber nur im Grill, ein Bodenfeuer wie dieses ist zwar romantisch, aber streng verboten å∂åç Reisemagazin 31 Flussgenuss (im Uhrzeigersinn): Die Ufer mitten in der City sind als Flaniermeile unter Alleebäumen ebenso beliebt wie als Kinderspielwiese und Radpiste mit PausenOasen wie dem Isarwahn. Direkt vor der St.-Lukas-Kirche, die auch Isar-Taufen abhält, werden Kiesbänke zum Stadtstrand – ganz naturnah genießen das „Nackerte“ auf den Flaucher-Inselchen. Zum Kulturstrand mit Musik ist der Vater-Rhein-Brunnen avanciert, zum Kultkiosk Markus Thierers Bude an der Reichenbachbrücke. Auch ein Kulturklassiker thront am Foto: Isar-Ufer: das Deutsche Museum 32 å∂åç Reisemagazin å∂åç Reisemagazin 33 Foto: Holzweg: Wirkt wie Wildnis, ist aber mitten in der Millionenstadt. Der Steg führt durch die naturnahe Auenlandschaft der Flaucher-Anlagen, nicht weit vom Traditionsbiergarten, dessen Wirt Johann Flaucher dem Areal einst den Namen gab 34 å∂åç Reisemagazin å∂åç Reisemagazin 35 Feierabend: An der Floßlände enden Ausflugsfahrten mit Holzflößen, häufig in feuchtfröhlicher Stimmung. Unten: Isar-Sommertage können auch ruhig ausklingen, wie hier an der Kirche St. Maximilian K anada kann nicht viel anders sein. Man steht in der Mitte des Flusses. Die Strömung reißt an den Beinen und unterspült die Füße. Man wirft die Fliegenschnur aus. Wie ein Notenschlüssel schreibt sich ihre dünne Glitzerlinie in den Morgenhimmel. Um einen herum nichts als das satte Grün der Bäume. Und das alles mitten in der Stadt. „Man ahnt sie eher, als dass man sie sieht“, sagt der Isarfischer mit dem unglaublichen Namen Franz- Xaver Huber. Wer so heißt, kann fast nicht anders als ein stolzer Bayer sein. Bei Huber reicht die Liebe über bloße Heimatverbundenheit hinaus. Sie gilt dem Fluss, an dessen Ufern er aufgewachsen und der sein Leben ist. „Ein Tag ohne Isar“, sagt der Fischer, „ist kein guter Tag.“ Er spricht nicht nur für sich. Wohl keine Stadt der Welt pflegt ein 36 å∂åç Reisemagazin so inniges Verhältnis zu ihrem Fluss wie München. Seit er nach Abschluss der Renaturierung 2011 aus seinem Betonkorsett befreit wurde, siedelt sich dort eine neue Artenvielfalt an, die ihresgleichen sucht. Nicht nur, was Flora und Fauna betrifft. Auch menschlich. Nun, wer die Isar erkunden will, macht das am besten mit dem Rad. Wir starten am Südrand der Stadt. Am frühen Morgen treffen wir Franz-Xaver Huber ein Stück unterhalb der Großhesseloher Brücke. Breit strebt die Isar der noch unsichtbaren Stadt entgegen, gerahmt von ausladenden Auen und baumdichten Hochufern. Hier beginnt der acht Kilometer lange, renaturierte Abschnitt, an dem Stadtplaner aus aller Welt die Erfolgsgeschichte eines rückverwandelten Gebirgsflusses bestaunen, der neues Leben in der Stadt verströmt. Foto: Fließarbeit: Fischer Franz-Xaver Huber fühlt sich wie in Kanada, wenn er nahe der Großhesseloher Brücke die Angelschnur auswirft. Rechts: Heinz Duka und Andreas Schneider (r.) lieben Prärieromantik vor der Blockhütte des Cowboy-Clubs München Huchen gebe es seit einiger Zeit wieder, erzählt der Fischer, während er einen Fliegenköder an dem Haken befestigt, um die Schnur im weiten Wurf über das flirrende Wasser zu lassen. Lange Zeit waren die zur Familie der Lachs fische zählenden Huchen in der Isar verschollen. Vergangenen Winter hat Huber ein 1,17 Meter langes Exemplar geangelt, sein bislang größter Fang. Aber ihm geht es nicht um Trophäen, mehr um das Leben im Fluss. Sein Verein „Die Isarfischer“ setzt jedes Jahr eine Tonne neuen Laichbesatz ins Wasser – Bachund Regenbogenforellen und Huchen. Die Angelquoten sind begrenzt auf 25 Fische pro Mitglied und Jahr. Wenn Huber einen besonders dicken Fisch am Haken hat, „eine wunderschöne Forelle mit klaren Augen und einem von Laich prallen Bauch“, lässt er sie meist wieder aus – und kauft sich einen Fisch auf dem Viktualienmarkt. widmete sich fortan der Wildwestromantik. „Die Renaturierung ist das eine“, sagt er, So kurios dieser aus der Zeit gefallene Ort „aber wir müssen auch um das natürliche mit Lasso-schwingenden Cowboys und im Gleichgewicht ringen.“ Lederschurz herumlaufenden Indianern Zum Gleichgewicht der Isar, die auch in auch sein mag, er ist doch exemplarisch für der Stadt als Landschaftsschutzgebiet aus- das Credo der Stadt – „leben und leben gewiesen ist, gehören viele, und das macht lassen“. „Morgens am Ufer entlangreiten, das Ringen zur ehrgeizigen Aufgabe. Fi- wenn alles noch still ist, das ist das pure scher, Bootsfahrer und Badende. Griller, Idyll“, sagt Andi Schneider. Muss man erSurfer, Naturschützer und Anwohner. So- wähnen, dass es ein Originalwesternsattel gar Cowboys und Indianer zählen zu der ist, auf dem er in die Isarprärie trabt? eigentümlichen Artenvielfalt. Andi SchneiWir überqueren den Fluss über die Mader lehnt an einer Saloontür, den Cowboy- rienklausenbrücke. Die Sonne schickt hut tief ins Gesicht gezogen. Er ist Spre- Wärme und Wasserfunkeln herab, auf den cher des Münchner Cowboy-Clubs, der an Kiesbänken haben Badende ihre Handtüder Floßlände residiert, ein paar Minuten cher ausgebreitet. Etwas weiter lagern die stadteinwärts von Hubers Angelstelle. Nackerten, ihr Revier mit einer BayernDie wenigsten Münchner kennen dieses flagge markiert. Fast hätte man sie vergeseingewachsene Areal am Ufer, auf dem sen. Natürlich, die Nudisten zählen auch Blockhütten und Indianerzelte stehen und zur Flusspopulation. Seelenruhig waten es immer nach Pferdedung riecht. Dabei nackte Menschen, oft älteren Jahrgangs gäbe es viel zu entdecken. Einen Saloon, und offenbar entsprechend frühaktiv, wie aus einer Westernstadt geklaut. Einen durchs flache Isarwasser und platzieren Cowboy, der Lasso werfen und auf Ahnen- den blanken Hintern auf einem Stein. Leben und leben lassen. Die Marienklause auf der anderen Flussseite gemahnt vor allem an Letzteres. 1866 errichtete der Schleusenwärter Martin Achleitner die kleine Holzkapelle zum Dank dafür, dass die Muttergottes ihn immer wieder vor dem Tod in den Fluten bewahrt hatte. Der Eingang zu der in den Ufersteilhang gesetzten Kirche ist mit einer Gittertür verriegelt, die einen Blick ins art Felle gerben kann. Indianer, die vor ih- Innere gewährt. Am Fuß der Tür flackern ren Tipis sitzen und sich unterhalten. In Kerzen, irgendwer hat Blumen hingelegt. tiefstem Bairisch natürlich. „Wir sind ein Eine elegant gekleidete Dame hält für ein kulturhistorischer Verein“, erklärt Andi, kurzes Gebet. Ein Mann mit Zopf streift der seit 30 Jahren das alte Leben im Wilden seine Jesuslatschen ab und beugt schnell die Knie. Unter der mächtigen RosskastaWesten so original wie möglich nachstellt. Im Jahr 1911 gründeten drei Amerika- nie auf der anderen Wegseite knutscht ein sehnsüchtige Münchner den Losverein nicht mehr ganz junges Paar. Das friedliche Nebeneinander der Wild West in München, mit dem Ziel, dank schiedlichsten Gattungen setzt sich einem entsprechenden Losgewinn nach unter Amerika auszuwandern. Leider entpuppte im benachbarten Tierpark fort. Wir passiesich der Los- als Loser-Verein. Der einzig ren die Gehege, deren Zäune an den Isarnennenswerte Gewinn waren 40 Mark aus radweg grenzen. Raubtiergeruch mischt einer Vogelschutzlotterie. Um den großen sich mit dem Duft der ersten HolzkohlenTraum gebracht, gründete das Gespann grillfeuer, die von Isar-Picknickern entfacht zwei Jahre später den Cowboy-Club und werden. Jeden Sommerabend > Ein Saloon wie aus der Westernstadt. Indianer, die sich vor ihren Tipis unterhalten – in tiefstem Bairisch natürlich å∂åç Reisemagazin 37 verwandeln sich die Ufer zwischen Brudermühlbrücke und südlicher Stadtgrenze in eine Festzone mit vielen Feuerchen – erlaubt sind die allerdings nur im Grill, nicht direkt am Boden. Wer dort entlangflaniert, begegnet den unterschiedlichs ten Kulturen: türkischen Großfamilien, Pärchen, Studentencliquen und Kollegen-BBQs. Gettoblaster stehen neben Teekesseln und Wasserpfeifen. Und alle paar Meter eine Kiste Bier im kühlen Wasser. Auf den Flaucherinseln sonnen sich Städter; in flachen Gumpen, die der Strom ausgegraben hat, planschen Kinder, über einen quer übers Wasser liegenden Baum balanciert ein junger Held. Die Kiesbänke am Flaucher gehören zu den beliebtesten Baderegionen der Millionenstadt. Da 17 Isar-Kläranlagen rund um München mit UV-Licht-Desinfektionsanlagen ausgerüs tet wurden, ist die Wasserqualität top. Das lang geltende Badeverbot konnte 2006 aufgehoben werden. An heißen Tagen erreicht die Wassertemperatur rund 18 Grad. Unser Weg führt weiter zum FlaucherBiergarten. In einer Waldlichtung auf der linken Isarseite steht diese vormalige Jagd hütte der Wittelsbacher, erreichbar nur zu Fuß oder mit dem Rad. Ein hausgemachter Obazda, dazu eine Breze und ein Radler – mehr braucht es nicht. Es ist wahrscheinlich diese Reduktion auf das Einfache, mit dem die Isarkultur ein Gegenbild entwirft zum Klischee des Schickimicki-München. Mit der neuen Isar, beobachtete kürzlich die „Süddeutsche Zeitung“, habe die Stadt eine Bühne für ihre Lässigkeit gefunden. 38 å∂åç Reisemagazin Im Rosengarten spielt sich alles Leben auf mittlerer Wuchshöhe ab. Unter Obstbäumen lagert ein Hipsterpärchen beim Prosecco-Picknick, zwischen den Rosenbeeten schnauft ein älterer Jogger, ein smarter Radler hat sein Retrorennrad an einen der herumstehenden Gartenstühle gelehnt und sich in ein Buch vergraben – ein stilles, einvernehmliches Nebeneinander unterschiedlichster Stadtgewächse. Die 85 000 Rosenstöcke, die hier fast angeberisch blühen, nicht mitgezählt. Unten, am jetzt breiter ausufernden Flussrand, sieht man Jongleure, Slackliner, tollende Hunde, spielende Kinder. Eine Mutter sitzt töpfernd mit ihrer Tochter unter einer Die Isarkultur entwirft ein einfaches Gegenbild zum Klischee der Schickimickistadt Kulturstrand Museumsinsel Wittelsbacherbrücke Reichenbachbrücke Rosengarten Brudermühlbrücke Flaucher Biergarten Zum Flaucher Tierpark Weide. Den Ton hat die Stadt gestellt, mit Floßlände Hellabrunn einer Vielzahl anderer Spielgeräte, die im Sommer an der Reichenbachbrücke zur Marienklause Verfügung stehen. „Es wird so viel geboten an der Isar“, sagt die Yummy-Mami. „Wir Von der südlichen Stadtgrenze fahren gar nicht mehr an den See.“ mitten durch die City bis zur Die Institutionalisierung der ImprovisaMuseumsinsel im Norden führt tion macht die Isar zu einem urbanen Uniunsere Radtour am Isarufer kat. Alles fließt, und so wie der Fluss mit jedem Hochwasser sein Bett neu gestalten, Startpunkt südlich der Großhesseloher Brücke hier Kiesbänke aufschütten und dort - keit mahnen und dies auch mehrheitlich beherzigt wird – es reichen ein paar Dreckschleudern, um das Bild zu trüben. Wie vorbildlich der River-Surfer an der Reichenbachbrücke. Er hat seinen beiden Grazien, die auf der Insel am Fuß des Brückenpfeilers thronen, einhändig übers Wasser paddelnd eine Pizza angeliefert und transportiert jetzt die leeren Kartons auf dem Brett zurück. Warmes Abendlicht vergoldet die Steinstufen am Ufer vor der Museumsinsel, wo sich die Menschen zum Sunset-Bier versammeln. Wir lassen die Füße in den Fluss baumeln, wie die meisten hier. Willy Michl kommt einem in den Sinn, der bayerische Bluessänger, und die legendäre Zeile aus seiner Ode an den Fluss: „Isarflimmern mitten im Paradies.“ Er könnte diesen Platz gemeint haben. Aber genauso gut Hunderte andere am Fluss. Vielleicht auch den Vater-Rhein-Brunnen am nördlichen Ende der Museumsinsel, wo man sich zum Sundowner in einen Isarflimmern: Mit dem Schlauchboot auf Romantikkurs (links oben) Liegestuhl setzt und die nackten Füße in Oben: Abends, am Flaucher, wird der Fluss bei schönem Wetter zur Partyzone für alle den aufgeschütteten Sand streckt. LoungeMusik dringt aus den Boxen, an der Bar werden Aperitifs ausgeschenkt. Die Urbanauten, ein Verein von Isar-Engagierten, haben hier den „Kulturstrand“ geschaffen, an dem es während der drei SommermoBaumwurzeln unterspülen darf, so passen trotzdem oder gerade drum zweireihig an. nate fast jeden Abend Veranstaltungen und sich die Rahmenbedingungen an seinen Oft reicht die Schlange bis auf die Brücke. Livemusik gibt. „Wir wollen, dass neue Ufern den unterschiedlichen Kräften an. Menschenstudien könne man da betreiben, Kulturräume an der Isar entstehen“, erRecht geschmeidig mäandern, das kann sagt Thierer. Über die Champagner- klärt Ulrike Bührlen. Mehr Raum für Fußder Bayer aller Sturschädeligkeit zum Käufer, die im Vorbeifahren eine Kiste gänger und Radler, mehr Zugänge zum Trotz dann doch. Der Kultkiosk an der Veuve Cliquot erstehen und keinen Cent Wasser, die Aufhebung des innerstädReichenbachbrücke ist ein hübsches Bei- aufrunden. Und die unter der Wittels tischen Badeverbots und sogar die Einspiel dafür. 23 Stunden am Tag geöffnet, bacherbrücke lebenden Obdachlosen, die richtung eines Flussbads haben sich die 2200 Artikel im Sortiment, darunter 117 ihre letzten Heller für eine Schachtel Ziga- Urbanauten auf die Fahnen geschrieben. Biersorten. Bis 20 Uhr gilt der Kiosk als retten zusammenkratzen und trotzdem „Ein Naturfluss mitten in der Stadt, das Laden. Danach, wenn er qua deutsches versuchen, ein Trinkgeld draufzulegen. gibt es sonst nirgends“, sagt Bührlen, die Ladenschlussgesetz schließen müsste, firLeere Flaschen werden selten zurück an der Isar aufgewachsen ist und ihre miert er als Gaststätte ohne Konzession, getragen. Sie alimentieren eine Mikro- Tochter einen Naturkindergarten in den für welche die Sperrzeit von fünf bis sechs Ökonomie von Sammlern, die entlang der Isarauen besuchen lässt. Auch in ihrem Uhr früh gilt. Bier gibt’s nur flaschenweise, Partyzone Pfandflaschen auflesen und so Leben gibt es kaum einen isarfreien Tag. Ausschank ist verboten. „Wir dürfen“, sagt die täglich anfallenden Müllberge dezimie- Der Fluss fließt eben nicht nur mitten Markus Thierer, der den Kiosk gemeinsam ren. Dennoch sind die am Fluss ein großes durch die Stadt. Und mitten durchs Leben. mit Harald Guzahn betreibt, „nicht mal ei- Thema. 200 000 Euro lässt sich die Stadt Auch mitten ins Herz. . nen Öffner hinlegen.“ Und wenn schon. die Säubertrupps kosten. Auch wenn über- >> Info Stadttouren ab Seite 40 Freitag- und Samstagabend stehen sie hier all Plakate von „Deiner Isar“ zur Sauberå∂åç Reisemagazin 39
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