Ulrike Bajohr Dossier Mord oder Totschlag?

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DEUTSCHLANDFUNK
Redaktion Hintergrund Kultur / Hörspiel
Redaktion: Ulrike Bajohr
Dossier
Mord oder Totschlag?
Vom Versuch, das Strafrecht zu reformieren
Von Otto Langels
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Sendung: Freitag, 06. November 2015, 19.15 - 20.00 Uhr
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(Musik)
Take 1 Metzler
Die Einlassung der Mandantin ging ja in die Richtung, dass der Ehemann sich für
einen Mittagsschlaf zurückgezogen hatte ins eheliche Schlafzimmer und davor in
einem ziemlichen Wutanfall mit ihr Russisch-Roulette spielte, mit der Pistole, also ihr
die Waffe mit dem Lauf an die Schläfe setzte und sie wiederum aufs Übelste
beschimpfte und dass sie, während er schlief, die Waffe aus dem Schlafzimmer
nehmen wollte, um sich auch zu schützen. Und dass bei diesem Moment, als sie die
Waffe aufnahm, er aufwachte und sah, dass sie nach der Waffe greift und er selber
dann auch nach der Waffe griff.
Susanne B.
Ich habe nicht gezielt, ich habe nur geschossen, bis die Pistole leer war. Ich
wusste nicht mal, ob ich ihn getroffen hatte. Ich hab damit gerechnet, dass er
jede Sekunde um die Ecke kommt. Ich hab mich hinter den Nachttisch gekauert
und gedacht, jetzt kommt er gleich, jetzt bringt er dich um.
Ansage
Mord oder Totschlag?
Vom Versuch, das Strafrecht zu reformieren
Ein Dossier von Otto Langels
Autor
Susanne B. tötete ihren Ehemann, als er schlief. Ein heimtückischer Mord, so
urteilten die Richter im Jahr 2002. Ein Akt der Notwehr, sagt ihr Anwalt. Ein
spektakulärer
Fall
eines
sogenannten
Haustyrannenmordes,
der
Justizgeschichte schrieb und in Fachzeitschriften Debatten zur Reform der
Tötungsdelikte auslöste. Susanne B. hat ihre Strafe abgesessen, will aber aus
Rücksicht auf ihre Familie anonym bleiben und ihre Stimme nicht im Radio
hören.
3
Susanne B.
Ich war auf der Realschule bei uns im Dorf, hab eine Ausbildung im
technischen
Bereich
gemacht
und
dann
meinen
damaligen
Mann
kennengelernt. Wir sind dann eigentlich recht früh zusammen gezogen, ich
war damals gerade 18 und wurde sehr schnell schwanger . Irgendwann kamen
dann aus Eifersucht die ersten Ohrfeigen, er war extrem eifersüchtig.
Zitator 2
Der Ehemann war bereits damals Mitglied einer Rockergruppe. Er wurde
alsbald gegenüber der Angeklagten tätlich.
Autor
Aus dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 25. März 2003 in der Strafsache
gegen Susanne B.
Zitator 2
Gleichwohl heiratete die Angeklagte ihn 1986. Später, nach der Geburt der
ersten Tochter, versetzte er ihr auch Faustschläge ins Gesicht oder in die
Magengegend und trat sie, wenn irgendetwas im täglichen Ablauf nicht seinen
Vorstellungen entsprach.
Take 2
Metzler 0.15
Was die Schwierigkeit war, rational nachvollziehen zu können, was in der Ehe
tatsächlich geschah, was die Mandantin über die Zeit hinweg tatsächlich erduldet
hatte.
Autor Mirko Metzler, Anwalt von Susanne B.
Take 3
Metzler 0.20
Wie konnte es soweit kommen, dass die ehelichen Verhältnisse dermaßen eskaliert
waren und vor allen Dingen sich die Frage stellen musste, weshalb brach die Ehefrau
niemals aus dieser Ehe aus?
4
Susanne B.
Die ganze Zeit hatte ich die Hoffnung, irgendwann wird es besser werden, aber
es ist immer nur schlimmer geworden. Wenn er zuschlug, war er stellenweise
wie von Sinnen. Ich hab schnell festgestellt, wenn ich dabei heule, wenn ich
schrei oder jammer, wird’s noch schlimmer, dann hört er gar nicht mehr auf.
Also hat eigentlich nur eins geholfen: sich zusammen zu kauern, alles über
sich ergehen zu lassen und zu warten, bis es vorbei ist.
Take 4
Metzler
0.15
Bei der Staatsanwaltschaft und beim Gericht war es nahezu unmöglich, ein
Verständnis dafür zu wecken, dass es Menschen gibt, die in einer solchen Situation
tatsächlich sind, dass es das in der Realität tatsächlich gibt und in dem Fall auch
gab.
Susanne B.
Wir saßen am Tisch, plötzlich hatte ich ein Messer am Hals. Keiner hat genau
gewusst, warum. Irgendwas war immer, das Essen war zu heiß, der Kaffee war
zu warm. Mein Körper ist übersät mit Narben, von Stichen mit der Schere, von
Stichen mit dem Messer, von Abschürfungen, von allem Möglichen. Einmal hat
er
mir
den
Kopf
gegen
die
Wand
geschlagen,
da
hatte
ich
eine
Gehirnerschütterung, die habe ich daheim quasi liegend auskuriert. Ich war
mehrfach beim Zahnarzt wegen ausgeschlagener Zähne.
Zitator 2
Als die Angeklagte schließlich mit der zweiten Tochter schwanger war, nahm er
hierauf keine Rücksicht und versetzte ihr auch jetzt Fußtritte und Faustschläge
in den Bauchbereich.
Susanne B.
Ich bin dann irgendwann in einer Nacht- und Nebelaktion ausgezogen. Ich habe
meine Eltern angerufen und die haben mich ins Frauenhaus gebracht.
Allerdings ist man dann doch wieder so blöd und denkt, man ist das zweite Mal
schwanger, man kann den Kindern doch nicht den Papa nehmen und
überhaupt und hin und her. Und daraufhin habe ich mich wieder überreden
lassen, okay, alles wird wieder gut.
5
Zitator 2
Nachdem ihr Mann Besserung gelobt hatte, kehrte die Angeklagte nach vier
Wochen zu ihm zurück. Im Jahr 1993 kam es zu einem weiteren Übergriff, bei
dem er sie so lange schlug, bis sie auf dem Boden liegen blieb. Danach trat er
auf die am Boden Liegende mit seinen Springerstiefeln mehrfach ein; dabei
erlitt sie eine Nierenquetschung. In der Klinik täuschte die Angeklagte zur
Verschleierung indessen einen Sturz vor.
Take 5
Metzler
0.15
Am Anfang kamen auch immer die Entschuldigungen hinterher: Habe ich nicht so
gemeint, tut mir Leid und ähnliches. D.h., da ist eine gewisse Hoffnung, es bessert
sich, es wird anders, und die Sache entwickelt sich dann wirklich tröpfchenweise.
Susanne B.
Er konnte zuvorkommend, er konnte höflich, er konnte freundlich sein. Ich
habe Schmuck gekriegt, ich habe Blumen gekriegt, nicht nur zum Geburtstag
oder Weihnachten, sondern wirklich über das ganze Jahr verteilt. Also er hatte
auch seine lieben, tollen Seiten.
Zitator 2
Schließlich misshandelte und demütigte er sie auch vor seinen Freunden in
seinem Motorradclub: Weihnachten 2000 schlug er sie in Anwesenheit der
versammelten Vereinsmitglieder, zwang sie, vor ihm niederzuknien und ihm
nachzusprechen, sie sei eine „Schlampe“ und der „letzte Dreck“.
Take 6
Metzler 0.20
Diese faktische Möglichkeit, gegen einen wirklich gewalttätigen, gegen einen wirklich
gewaltbereiten und in der Rockerszene tief verwurzelten Mann auszubrechen, die
Möglichkeit bestand faktisch für meine Mandantin seinerzeit nicht.
Susanne B.
Früher hat er immer versucht, mich geschwind auf die Seite zu nehmen, um
mich zu prügeln. Im Lauf der Jahre dann, als die Mädchen fünf, sechs, sieben
Jahre alt waren, hat er sie immer öfter dazu geholt, sie sollten zusehen, wie
blöde ihre Mutter doch ist, dass man sie züchtigen muss. Sie haben dann
geschrien, Papa, Papa, hör auf! Manchmal hat’s – in Anführungsstrichen –
geholfen.
6
Zitator 2
Durch die fortgesetzten Beleidigungen und Tätlichkeiten geriet die Angeklagte
an die Grenzen ihrer psychischen und physischen Belastbarkeit. Die
Angeklagte hielt ihre Situation für vollkommen ausweglos und befürchtete,
dass die Tätlichkeiten auch gegen die Töchter schlimmere Ausmaße annehmen
könnten. Beim Aufräumen in der Wohnung stieß sie auf den von ihrem Mann
illegal erworbenen achtschüssigen Revolver.
Susanne B.
Er ist in der Nacht spät mit der Pistole heimgekommen aus der Kneipe, hat sie
mir an den Kopf gehalten, ich bring dich um, und ist dann zum Glück
eingeschlafen. Die Pistole lag neben dem Bett. Und am nächsten Morgen, wie
ich mitgekriegt habe, dass er aufwacht, war ich einfach schneller an der
Pistole. In dem Moment war es schon der einzige Ausweg, weil er immer wieder
gedroht hat, egal was passiert, ich finde dich überall, dich, die Kinder. Er hat
gedroht, dass er uns weltweit finden würde, egal, wohin wir gehen, und uns
umbringen lassen würde. Ich habe ihm das aufs Wort geglaubt. Ich war
100prozentig sicher, dass es so ist.
Zitator 2
Die Angeklagte feuerte aus einer Entfernung von rund 60 cm den Inhalt der
gesamten Trommel des achtschüssigen Revolvers in Sekundenschnelle auf
ihren schlafenden Ehemann ab. Zwei der Geschosse trafen und führten
umgehend zu seinem Tod.
Take 7 Metzler 0.15
Die eigentliche Sachverhaltsschilderung meiner Mandantin ließ den Rückschluss auf
eine Notwehrsituation zu, dass sie sich verteidigte gegen einen jetzt unmittelbar
bestehenden Angriff des Ehemanns, der nach ihrer Darstellung zur Waffe griff. Und
sie kam ihm nur zuvor.
7
Zitator 2
Soweit die Angeklagte zu ihrer Verteidigung eine Notwehrsituation geltend
gemacht hat, hat die Strafkammer ihre Angaben jedoch als widerlegt
angesehen. Die Angeklagte hat ihren Mann im Schlaf erschossen und ist ihm
nicht
etwa
nach
seinem
Erwachen
mit
dem
Griff
zum
Revolver
zuvorgekommen.
Take 8 Metzler 0.25
Was man wissen muss, war, dass die Mandantin einen kompletten Trommelrevolver
abgefeuert hat auf den Ehemann, der zu diesem Zeitpunkt, und das war an Hand
des Schussgutachtens unzweifelhaft, im Bett lag. Die Einschüsse, die zwei, die ihn
tatsächlich trafen, trafen ihn im Bett. Wenn man der Mandantin in ihrer
Sachverhaltsschilderung geneigt gewesen wäre, Glauben zu schenken, hätte man
ausreichende Indizien auch für eine Notwehr gefunden.
Susanne B.
Ich bin gar nicht von fahrlässiger Tötung, von Mord oder sonst was
ausgegangen. Ich hab zu meinen Kindern gesagt, morgen ist die Mama wieder
da. Als ich im Gefängnis erfuhr, welchen Richter ich haben werde, sagten alle,
oje, oje, alle Richter hättest du haben können, nur den nicht, weil dieser Richter
bekannt dafür war, dass er ganz gerne lebenslänglich verhängt.
Musik
Take 9 Metzler 0.20
Jede vorsätzliche Tötung eines Menschen ist erst einmal per se nur Totschlag und
wird mit Freiheitsstrafe in der Regel zwischen fünf und 15 Jahren bestraft. Ein Mord
wird eine Tötung nur dann, wenn es aus ganz bestimmten Motiven oder
Beweggründen erfolgt, wie sie in §211 des Strafgesetzbuches geregelt sind.
Zitator 1
Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.
Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus
Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam
oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu
ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet.
8
Take 10 Metzler
0.55
Sie wurde wegen Mordes angeklagt und verurteilt unter dem Gesichtspunkt der
Heimtücke.
Zitator 1
Heimtücke: das bewusste Ausnutzen der auf Arglosigkeit beruhenden
Wehrlosigkeit des Opfers.
Take 10a Metzler
Und wenn das vorliegt, werde ich wegen heimtückischer Tötung, wegen Mordes
verurteilt. In dieser Situation befindet sich eigentlich bei Tötungsdelikten von
Ehefrauen jede Ehefrau, weil sie offen gewalttätig nicht auftreten kann, weil der
Mann in aller Regel körperlich überlegen ist. Und hier in diesem besonderen Fall war
der Unterschied sehr krass, d.h. eine offene Auflehnung auch mit körperlicher
Gewalt, eine Auflehnung der Ehefrau, wäre undenkbar gewesen. D.h. sie hat in der
konkreten Möglichkeit, wenn sie sich zu einer Tötung entschließt, zu einer
vorsätzlichen Tötung, nur die Möglichkeit, das heimlich zu machen. Und das erfüllt
nahezu immer den Tatbestand der Heimtücke, des Mordes.
…Zäsur….
Susanne B.
Der Richter hat zu mir gesagt: Sie haben doch gewusst, dass Sie sich jeden
Tag in diese Gefahr begeben, Sie haben doch ganz genau gewusst, was
passieren kann, dass Sie jeden Tag umgebracht werden können. Sie hätten
vorher gehen können, Sie hätten Ihren Mann verlassen können. Es ist Ihre
Schuld, dass Sie solange geblieben sind. Und wenn das so ist und wenn ich
dann meinen Ehemann im Schlaf töte, dann kann es nur heimtückisch sein,
dann ist es Mord.
Zitator 2
Anstelle der bei heimtückisch begangenem Mord an sich zu verhängenden
lebenslangen
Freiheitsstrafe
hat
die
Strafkammer
wegen
Vorliegens
außergewöhnlicher Umstände, unter denen die Angeklagte die Tat begangen
hat, die ausgesprochene Strafe dem entsprechend gemilderten Strafrahmen
entnommen.
9
Autor
Das Landgericht verurteilte Susanne B. zu neun Jahren Gefängnis. Ein
ungewöhnlicher, aber keineswegs einmaliger Fall.
Musik
Take 11
König 0.10
Jetzt ist diese Frau jahrzehntelang misshandelt worden, getreten, geschlagen,
vergewaltigt, beleidigt, erniedrigt.
Autor
Stefan
König,
Vorsitzender
des
Strafrechtsausschusses im
Deutschen
Anwaltverein, über Haustyrannenmorde.
Take 12 König 0.35
Und jetzt weiß sie einfach keinen Ausweg mehr, als dieses Monster zu vergiften oder
nachts im Schlaf zu erstechen, weil sie viel zu schwach ist, um ihm in offener
Konfrontation entgegen zu treten. Das soll jetzt eine lebenslange Freiheitsstrafe
sein? Das ist ein ungerechtes Ergebnis. Was sozusagen der klassische Ausweg ist,
den man ganz viel in der Praxis hat: Man bestellt einen Sachverständigen, na ja, und
der findet dann irgendeinen Weg in den Paragrafen 21, also die verminderte
Schuldfähigkeit, und damit ist man aus der Strafdrohung lebenslang heraus und kann
dann irgendwas finden, was man für einigermaßen gerecht hält.
Take 13 Grünewald 0.10
Die Gerichte haben immer wieder sogenannte Umgehungsstrategien gefunden in
Fällen, in denen die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe evident
inadäquat ist.
Autor Anette Grünewald, Professorin für Strafrecht an der Berliner HumboldtUniversität.
Take 14 Grünewald 0.20
Diese Umgehungsstrategien sind aber problematisch, weil es ja im Gesetz so nicht
vorgesehen ist. Und es gibt eine ganz spektakuläre Umgehungsstrategie, das ist die
sogenannte Rechtsfolgenlösung, die der BGH mal erfunden hat, um die lebenslange
Freiheitsstrafe nicht verhängen zu müssen.
10
Zitator 1 Paragraph 49, Strafgesetzbuch
Besondere gesetzliche Milderungsgründe
(Absatz 1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder
zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes: An die Stelle von lebenslanger
Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter 3 Jahren.
Kurze Zäsur
Autor 1981 musste der Bundesgerichtshof folgenden Fall entscheiden:
Zitator 2
Der Onkel des späteren Angeklagten war in die Wohnung seines Neffen
eingedrungen und hatte dessen Ehefrau mit vorgehaltener Schusswaffe
vergewaltigt. Aus Scham verschwieg sie ihrem Ehemann die Vergewaltigung
und unternahm mehrere Suizidversuche. Schließlich vertraute sie sich doch
ihrem Mann an, der fassungslos war. Als er seinen Onkel zufällig auf der
Straße traf und dieser sich mit der Vergewaltigung auch noch brüstete,
beschloss er, ihn umzubringen. Er suchte den Onkel in seinem Stammcafé auf,
begrüßte den ahnungslos am Tisch Sitzenden und erschoss ihn.
Autor
Die Richter am BGH hatten die Frage zu beantworten, ob das Mordmerkmal
der Heimtücke auch dann vorliegt, wenn das Opfer den Täter oder einen nahen
Angehörigen vorher schwer beleidigt, misshandelt und mit dem Tode bedroht
hat, und entschied:
Zitator 2
In diesem Fall ist eine lebenslange Freiheitsstrafe unverhältnismäßig.
Autor
Der Täter habe zwar die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers ausgenutzt, aber
nicht verwerflich gehandelt. Zu berücksichtigen seien außergewöhnliche,
entlastende
Umstände:
eine
ausweglos
erscheinende
Lage,
Verzweiflung, tiefempfundenes Mitleid, aber auch gerechter Zorn.
große
11
Take 15 Grünewald 0.15
Die Entscheidung wurde in der Literatur auch kritisiert als eine Entscheidung gegen
das Gesetz. Und anlässlich dieser Entscheidung kam auch schon damals der Ruf
wieder nach dem Gesetzgeber und einer Korrektur des Gesetzes hervor.
Musik
Autor
Das Mordmerkmal der Heimtücke ist äußerst problematisch – weshalb Gerichte
es bis heute sehr unterschiedlich handhaben.
Beispiel 1: Offenburg
Zitator 1
Es war Mord. Und es war eine Erlösung – für die Täterin. Und auch für den Ort.
Gedemütigt, geschlagen, wie eine Sklavin gehalten, wusste eine 33-Jährige
sich nicht mehr anders zu erwehren, als ihren Ehemann zu erstechen.
Autor schrieb die Mittelbadische Presse über einen Fall aus dem Jahr 2002.
Zitator 1
Er
war
Metzger,
und
sie
tötete
ihn
im
Schlaf
mit
dem
eigenen
Schlachtermesser, … weil sie es nicht mehr aushielt. Anfang der 90er Jahre
hatten die beiden geheiratet. Damals musste der gelernte Metzger schon in den
Knast. Nie hatte er Arbeit, trank Unmengen, terrorisierte seine Nachbarn,
Bekannten. Am meisten „bekam“ aber seine Frau „ab“. Oft kam sie grün und
blau geschlagen aus dem Haus, verlor den Arbeitsplatz, weil ihr Mann ihren
Chef bedrohte.
Autor
Der Vorsitzende Richter der Offenburger Schwurgerichtskammer sprach bei
der Urteilsverkündung von der „Tat als Endpunkt einer Ehe, die mehr einer
Gefangenschaft und Sklavenhaltung“ geglichen habe. Das Urteil – zwei Jahre
auf Bewährung – war eine Sensation, auch juristisch.
12
Zitator 1
Die Kammer unterschritt sogar die Mindeststrafe für Mord bei erheblich
verminderter Schuldfähigkeit, die bei drei Jahren liegt. Dass die Kammer auch
diese Mindeststrafe noch unterschreiten konnte, führte sie auf einen
sogenannten „vermeidbaren Irrtum“ der Frau zurück. Sie sei in jener Nacht der
Überzeugung gewesen, dass sie der Gefahr für sich und für ihr neun Monate
altes Kind nicht anders habe entrinnen können als durch die Tötung ihres
Ehemannes.
Kurze Zäsur
Autor Beispiel 2: Stuttgart. Lebenslang für Marion T. wegen Mordes an ihrem
Ehemann Zoran T.
Zitator 2
„Am Ende zeigte sich die 3. Strafkammer des Landgerichts rigoros.“
Autor schrieben die Stuttgarter Nachrichten am 19. August 2010:
Zitator 2
„In der Urteilsbegründung gibt der Vorsitzende Richter zu, dass dieser
Mordprozess für den gesunden Menschenverstand eine harte Probe bedeutet
hat. Marion T. litt schon seit Jahren unter der Schreckensherrschaft des
54jährigen Opfers. Blaue Flecken waren bei der gemeinsamen Tochter an der
Tagesordnung, der Mutter trat Zoran T. einmal mit voller Wucht in den Bauch,
als diese hochschwanger war – das Kind verlor sie daraufhin. Trotz der
Umstände bleibt das Gericht bei der lebenslangen Freiheitsstrafe. Aufgrund
jahrelanger Misshandlungen sei eine mildere Strafe möglich gewesen. Die
Voraussetzungen sieht das Gericht aber nicht gegeben, denn der Mord sei von
langer Hand geplant gewesen.“
Kurze Zäsur
Autor: Beispiel 3: Lübeck. Eine Augenzeugin berichtete im NDR:
13
Take 16
Augenzeugenbericht 0.20
Die Mutter kam mit mir rein und guckte zur Anklagebank und sagte, ach, ist ja noch
alles leer. Sie ging dann noch mal raus, und als dann wieder der Saal geöffnet wurde
und offensichtlich die Anklagebank nicht mehr leer war, ging sie als erste wieder rein,
zog eine Pistole und hat das ganze Magazin leer geschossen.
Autor
Der Fall Bachmeier erregte 1981 enormes Aufsehen. Marianne Bachmeier
erschoss
im
Lübecker
Landgericht
den
mutmaßlichen
Mörder
ihrer
siebenjährigen Tochter.
Ein spektakulärer Fall von Selbstjustiz, eigentlich ein klassischer Fall eines
lange geplanten, heimtückisch verübten Mordes. Doch statt der zu erwartenden
lebenslangen Freiheitsstrafe verhängte das Gericht nur eine sechsjährige
Haftstrafe wegen Totschlags.
Kurze Zäsur
Autor: Beispiel 4: Siegen
Zitator 2
„Zwei Schwestern, die ihren betrunkenen Vater erstochen haben, sind vom
Landgericht Siegen zu Bewährungsstrafen von je zwei Jahren verurteilt
worden.“
Autor Die Rheinische Post vom 1. Februar 2002
Zitator 2
„Da eine Pistole nur schwer zu beschaffen war, hatten die beiden 18- und 19jährigen Schwestern ihren arbeitslosen, tyrannischen und fast ständig
alkoholisierten Vater mit einer Vielzahl von Messerstichen in den Rücken
heimtückisch getötet. Das Gericht, das mit seinen Bewährungsstrafen den
Anträgen der Staatsanwaltschaft entsprach, bescheinigte den Angeklagten
eine erheblich eingeschränkte Steuerungsfähigkeit. Durch das jahrelange
negative Verhalten des Vaters sei es zu der Konflikttat gekommen. Zur
14
Strafzumessung meinte das Gericht, es sei keine unangemessen niedrige
Strafe.“
Kurze Zäsur
Autor : Beispiel 5, Frankfurt am Main. Darüber berichtet der Anwalt Stefan
König.
Take 17 König 0.50
Da hat die Mutter einer Tochter, die eine schwer behindert und jahrzehntelang von
der anderen Person, es war die Mutter, gepflegt, bis der auch die Kräfte ausgingen.
Und sie meinte, ich schaff das irgendwann nicht mehr, ich kann andererseits meine
Tochter nicht alleine lassen, hat in einer persönlich verzweifelten Situation, als die
Tochter in der Badewanne saß, ein elektrisches Gerät, Fön oder sowas, rein
geschmissen, hinter dem Rücken der Tochter, und die ist auf diese Weise zu Tode
gekommen. Das war ganz eindeutig ein Heimtückemord, da gibt’s gar nichts zu
diskutieren. Die Frau war auch nicht schuldunfähig, die wusste genau, was sie tat.
Natürlich war es ein Verbrechen, aber ich glaube, die ist sogar mit einer
Bewährungsstrafe, mit einer ganz niedrigen Freiheitsstrafe, die auch rechtskräftig
wurde, ist die weggekommen.
Kurze Zäsur
Autor:
Ein
letztes
Beispiel
für
die
unterschiedliche
Rechtsprechung
bei
Tötungsdelikten. Im Fall Hans-Georg S. aus Bremen war der Haustyrann die
Ehefrau. Dazu schreibt der Bremer Strafverteidiger Gerhard Baisch:
Zitator 2
„Während
der
über
30jährigen
Ehe
verprügelte
die
Ehefrau
den
schwerbehinderten Mann jahrelang, auch sonst misshandelte und verfolgte sie
ihn mit krankhafter Eifersucht. In einer solchen Situation griff S. in einer
"Kampfpause" seine arglose Frau von hinten an und erdrosselte sie mit einem
Handtuch. Anschließend rief er die Polizei. Angeklagt wegen Mordes aus
Heimtücke verurteilte ihn das Landgericht Bremen wegen Totschlags zu einer
Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung.“
Musik
15
Autor
Bei Susanne B., 2002 vom Landgericht verurteilt zu neun Jahren Gefängnis,
legte die Verteidigung Revision ein und verwies auf § 35 Strafgesetzbuch:
entschuldigender Notstand.
Zitator 1
„Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib
oder Freiheit eine rechtswidrige Tat begeht, um die Gefahr von sich, einem
Angehörigen oder einer anderen ihm nahestehenden Person abzuwenden,
handelt ohne Schuld.“
Take 18
Metzler 1.20
Im Kern einfach ausgedrückt, geht es darum, dass jemand eine Tat begeht, um
Schaden, jetzt in diesem Fall bei der Mandantin, um Schaden von ihren Kindern
abzuwenden, d.h. das erstinstanzliche Urteil ging ursprünglich davon aus, dass die
Mandantin den Ehemann tötete, um den Kindern weitere Übergriffe zu ersparen. Und
wenn man in diesem Moment eine Tat begeht, dann ist sie zwar rechtswidrig, sie
kann aber entschuldigen, also die Schuld ausschließen. Interessant war, dass in
vielen juristischen Aufsätzen, die danach dann in der Fachpresse erschienen sind,
unisono die Meinung vertreten wurde, dass es völlig unverständlich ist, wie man bei
so einem Sachverhalt zu neun Jahren als Freiheitsstrafe kommen kann. Und die
Generalstaatsanwaltschaft beim Bundesgerichtshof hat ja auch die Aufhebung des
Urteils in der Strafhöhe beantragt. Der Bundesgerichtshof hat das Urteil im
Schuldausspruch komplett aufgehoben, d.h. der Bundesgerichtshof hat die
Möglichkeit gesehen, dass es in einer weiteren Hauptverhandlung zu einem
Freispruch kommt.
Autor
Nach Ansicht des Bundesgerichtshofes befanden sich Susanne B. und ihre
Kinder in Lebensgefahr. In einer Neuauflage des Strafprozesses im Juli 2003
sollte das Landgericht klären, ob ihr als Ausweg aus der verzweifelten Lage
nur die Tötung des Ehemannes blieb.
Zitator 2
„Als Möglichkeiten kamen hier die Inanspruchnahme behördlicher Hilfe oder
die Hilfe karitativer Einrichtungen in Betracht, namentlich der Auszug der
Angeklagten mit den Töchtern aus dem gemeinsamen Haus und die
Übersiedlung etwa in ein Frauenhaus, aber auch das Suchen von Zuflucht bei
der Polizei mit der Bitte um Hilfe im Rahmen der Gefahrenabwehr.“
16
Take 19 Metzler 0.35
Das sollte geprüft werden im zweiten Durchlauf. Dort kam man allerdings zum
Ergebnis, dass der Irrtum vermeidbar war. Ein Freispruch im zweiten Durchlauf wäre
dann zwingend gewesen, wäre man zum Ergebnis gekommen, dass die Mandantin
sich in einem sogenannten unvermeidbaren Irrtum befand, d.h. dass sie in ihrer
konkreten Situation, in der sie war, in ihrer emotional aufgewühlten Situation nicht in
der Lage war, zu erkennen, dass es auch andere Möglichkeiten gibt, aus der Ehe
auszubrechen.
Autor
Das Urteil im zweiten Verfahren: eine Halbierung der Strafe, viereinhalb statt
neun Jahre Haft für Susanne B.
Take 20 Metzler 0.20
Die Mandantin befand sich zum Spruch des zweiten Urteiles des Landgerichtes seit
zwei Jahren in Untersuchungshaft. Für die Mandantin hatte einfach der Spuk dann
ein Ende, sie konnte dann wenige Monate nach der letzten Hauptverhandlung für
sich ihr neues Leben planen. Sie hat natürlich den Malus, dass sie rechtskräftig
wegen Mordes verurteilt ist.
Musik
Autor
Obwohl Paragraph 211 des Strafgesetzbuches für Mord eine lebenslange
Freiheitsstrafe vorschreibt, blieben die Gerichte auch bei Susanne B. weit unter
dem vorgegebenen Strafmaß.
Die Strafrechtlerin Anette Grünewald:
Take 21
Grünewald 0.20
Bei bestimmten Merkmalen wie Heimtücke kann man sagen, die Situation wird immer
problematischer. Je mehr neue Entscheidungen dazu kommen, desto mehr
Auslegungsvarianten gibt es. Und es gibt dann, ein Kollege hat das mal bezeichnet
als Zickzackkurs, es gibt teilweise einen Wechsel zwischen einschränkender und
ausdehnender Auslegung dieses Merkmals.
Autor:
Dieses Dilemma sieht auch Bundesjustizminister Heiko Maas, SPD: Am…
sprach er darüber vor dem Deutschen Anwaltsverein.
17
Take 22
Maas 0.15
Stellen Sie sich einen gewalttätigen Ehemann vor, der seine Frau jahrelang prügelt
und misshandelt. Irgendwann erschlägt dieser Mann seine Frau. Wegen Mord wird er
dann vermutlich nicht bestraft, weil er kein Mordmerkmal verwirklicht hat.
Zitator 1
Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit
Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.
In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.
Take 23 Maas 0.35
Die gepeinigte Ehefrau dagegen, die in ihrer Not keinen anderen Ausweg weiß, tötet
ebenfalls ihren Peiniger. Aber weil sie ihrem Mann körperlich unterlegen ist, kann sie
die offene Konfrontation mit dem gewalttätigen Peiniger nicht suchen, sie tötet ihn
deswegen im Schlaf und hat dann heimtückisch gemordet. Im Ergebnis hätten wir
Totschlag und eine zeitige Freiheitsstrafe für den Mann sowie Mord und
lebenslänglich für die Frau. Mit dieser offensichtlichen Ungerechtigkeit hat die
Rechtsprechung oft schwer zu kämpfen.
Autor
Die
jahrzehntealten
Schieflagen
der
Rechtsprechung
will
der
Bundesjustizminister beseitigen. Er hat deshalb eine Expertenkommission zur
Reform der Tötungsdelikte eingesetzt. Mitglied der Gruppe, die am 29. Juni
2015 ihren Abschlussbericht vorgelegt hat, ist unter anderen die StrafrechtsProfessorin Anette Grünewald.
Take 25
Grünewald 0.45
Es gab schon 1962 eine Gruppe, die sich mit der Reform des Strafrechts beschäftigt
hat, die einen Entwurf vorgelegt hat, und bereits dort war dann für Mord und
Totschlag eine andere Regelung vorgesehen. Und 1980 hat mein Kollege, der
ehemalige Direktor des Max-Planck-Instituts in Freiburg, Albin Eser, ein Gutachten
erstellt für den Deutschen Juristentag und ebenfalls eine grundlegende Reform der
Tötungsdelikte, also von Mord und Totschlag, vorgeschlagen.
Take 26
Metzler 0.25
Dass der Mordparagraf grundlegend reformiert werden muss, das schreit zum
Himmel, das muss passieren. Das ist der Literatur auch seit Jahrzehnten ein
Anliegen, es bedurfte allerdings eines gewissen Mutes eines Bundesjustizministers,
18
hier zu sagen, ich geh hier ran. Wenn die Rechtsprechung sagt, ich kann da nicht
weiter, dann muss die Gesetzgebung eingreifen und sagen, dann müssen wir
Korrekturen einbauen.
Kurze Zäsur
Autor
Die Vorschriften des Paragrafen 211 des Strafgesetzbuches stammen im
Wesentlichen aus dem Jahr 1941 und gelten bis heute unverändert.
Take 27 Maas 0.30
Maßgeblicher Autor war einer der furchtbarsten Juristen jener Zeit – Roland Freisler.
Berüchtigt als Präsident des sogenannten Volksgerichtshofes, aber zuvor als
Staatssekretär im Reichsjustizministerium an der Gesetzgebung beteiligt. Die
Struktur der Norm mit der Einleitung ‚Mörder ist … ‘ und der Begriff der niedrigen
Beweggründe, sie stammen von Freisler. Der Richter hatte nach diesem Denken nur
noch die Aufgabe, sich anzuschauen, welcher Tätertyp, so Freisler wörtlich, den
Strang verdient. Das Strafrecht wurde so zum Einfallstor der Willkür. Rechtsklarheit,
wie wir sie brauchen, war gerade nicht gewünscht.
Take 28 Schneider 0.10
Die Behauptung, dass die Vorschrift des Paragraphen 211 ideologiebelastet ist,
typische Nazi-Ideologie transportiert, trifft einfach nicht zu.
Autor
Professor Hartmut Schneider, Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof in Leipzig,
Mitglied der Expertengruppe.
Take 29
Schneider
0.30
Das kann man daran erkennen, dass in den 50er Jahren, als das Recht der
Bundesrepublik Deutschland gerade auf solche Implikationen überprüft wurde, dass
diese Vorschrift erhalten geblieben ist, und zwar unverändert. Wenn Sie die
Reformgeschichte anschauen, werden Sie sehen, dass die Nazis sehr stark
zurückgegriffen haben auf Vorschläge aus dem Schweizer Raum, d.h. wir haben
nicht typische Nazi-Ideologie in jedem Mordmerkmal verankert.
Autor
Unter denen, die in den 50er Jahren am BGH das Recht überprüften, waren
freilich 80 Prozent zuvor in der NS-Justiz tätig gewesen.
Take 30 Schneider 0.30
19
Es gibt allerdings Implikationen, es gibt Versatzstücke in der Vorschrift, die typische
Nazi-Ideologie transportieren, beispielsweise die Wendung: Der Mörder wird mit
lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft. Mörder ist wer? Das sind Charakteristika für
eine nationalsozialistische Rechtsideologie. Die Nazis hatten sich das so vorgestellt:
Es gibt bestimmte Menschen, die sind sozusagen genuin geborene Mörder, und die
versuchte man dann, mit diesen Mordmerkmalen zu kennzeichnen.
Take 31
Metzler 0.05
Der überwiegende Teil der Mordmerkmale ist in der Literatur und in der
Rechtsprechung relativ unstreitig.
Autor Rechtsanwalt Mirko Metzler.
Take 32
Metzler
0.25
Also wenn ich aus Mordlust töte oder zur Ermöglichung einer Straftat, dass dann eine
lebenslange Strafe ausgeurteilt werden muss, wurde nie ernsthaft diskutiert. Die
ganze Diskussion hat sich eigentlich nur entfacht bei dem Heimtücke-Mord und auch
bei dem Tatbestandsmerkmal der sonstigen niedrigen Beweggründe, der natürlich
eine offene Klausel ist, wo keiner so genau weiß, was darunter zu verstehen ist.
Take 33 Schneider 0.35
Das Mordmerkmal der Heimtücke beschreibt eine objektive Art und Weise der
Tatdurchführung, die dann als besonders strafwürdig, als höchststrafwürdig erkannt
wird. Diese äußere Beschreibung eines Tatablaufs lässt aber keinen Raum für innere
Befindlichkeiten eines Täters, für seine Motivation, seine Tatantriebe. Das kann man
alles dabei nicht berücksichtigen. Und das führt zu einer gewissen Rigidität, die man
kritisieren kann, aber nicht muss. Haustyrannenfälle gibt es nur sehr, sehr selten, das
ist also eine forensische Rarität. Die Gerichte können das vernünftig in den Griff
bekommen. Wir können derzeit mit den Vorschriften, §212, §211, ganz gut leben. Wir
haben nicht sehr viele Fälle, die ungerecht entschieden worden sind.
Autor
Ist aber nicht jeder ungerecht entschiedene Fall ein Fall zu viel, zumal wenn es
um lebenslange Haftstrafen geht?
Kurze Zäsur
Nicht nur bei Haustyrannenfällen streiten Juristen über das Mordmerkmal der
Heimtücke. Der Strafverteidiger Stefan König:
Take 34 König 0.40
Wir haben ja heute diese etwas bizarre Rechtsprechung, die sagt, z.B. ein
Kleinstkind, das können Sie gar nicht ermorden heimtückisch, weil das ist zwar
wehrlos, aber nie arglos, weil das hat gar keine Vorstellung von sowas. Wie ist das
mit dem Gerechtigkeitsempfinden zu vereinbaren, wenn ich so einen armen,
20
wehrlosen Balg nachts wenn er im Bett liegt, das Kissen ins Gesicht drücke, und
wenn er aber vier ist und ich mach das Gleiche mit ihm, dann ist es Mord. Das ist
eigentlich nicht zu vermitteln.
Take 35 Schneider 0.20
Heimtückisch tötet, wer die Arglosigkeit und die daraus resultierende Wehrlosigkeit
eines Menschen zur Tötung ausnutzt. Kinder bis etwa zum Alter von drei Jahren, so
sagt der Bundesgerichtshof, können nicht arglos sein, sie haben nicht die Fähigkeit,
Argwohn gegenüber einem Aggressor auszubilden. Sie lächeln jeden an.
Take 36
Grünewald 0.25
Gleiches gilt für Bewusstlose, die können auch nicht heimtückisch getötet werden.
Oder wenn Sie Menschen nehmen, die auf Intensivstationen liegen in
Krankenhäusern, die auch wehrlos sind, die können auch nicht heimtückisch getötet
werden. Und das halte ich für sehr ungerecht. Und deshalb ist dieses Mordmerkmal
Heimtücke für mich auch nicht haltbar.
Take 37
Schneider
0.15
Hier sehe ich tatsächlich Reformbedarf, indem extra bestimmte Gruppen, nämlich
Schlafende, Bewusstlose, konstitutionell Wehrlose, das können kleine Kinder sein,
das können aber auch alte Menschen sein, die sich nicht mehr zu helfen wissen,
gesondert im Gesetz erwähnt werden.
Autor
Reformbedarf sehen die Experten darüber hinaus bei Formulierungen, die auf
die Nazi-Terminologie aus dem Jahr 1941 zurückgehen.
Take 38 König 0.50
Das war natürlich eigentlich auch der Aufhänger dieser Kritik an diesem
Mordtatbestand, dass da noch dieses alte nationalsozialistische Tätertypenstrafrecht
im Gesetz steht, das sonst im Strafgesetzbuch heutzutage völlig fremd ist, das muss
natürlich auch weg. Das kann nicht im Gesetz stehen bleiben: Mörder ist, wer …
Zitator 1 „… wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus
Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam
21
oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu
ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet. „
Take 38a König
… sondern es muss dann eben im Gesetz drin stehen, wer einen Menschen unter
den und den Bedingungen oder mit den und den Motiven tötet, der wird mit
lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft. Und das Ganze steht dann oben als Überschrift
drüber: ist Mord. Früher gab’s auch die Unterscheidung zwischen Mord und
Totschlag, bloß der Mord wurde bis 1941 - auch in Deutschland, wie übrigens heute
noch in vielen anderen Ländern – da wurde der Mord umschrieben als die Tötung mit
Absicht, mit Vorbedacht. Also wenn jemand planvoll einen anderen umbringt, das
war das Kriterium, was den „normalen“ Totschlag zum Mord machte.
Autor
Im NS-Regime verlangte § 211 für Mord die Todesstrafe, eine Vorschrift, die
das Grundgesetz 1949 in der Bundesrepublik aufhob. Seitdem schreibt das
Strafgesetzbuch für Mord die lebenslange Freiheitsstrafe vor, als sogenannte
Punktstrafe.
Take 39 Grünewald 0.40
Punktstrafe heißt, wenn ein bestimmtes Mordmerkmal vorliegt, muss diese Strafe
verhängt werden, und es gibt keine Alternative. Es ist unstrittig, dass man diese
lebenslange Freiheitsstrafe als absolute Strafe nicht aufrechterhalten kann.
Autor
Sogar Vertreter der Anklage wie Hartmut Schneider, die nur ungern
Gesetzesänderungen
fordern,
Mordparagrafen
einzelnen
in
plädieren
für
eine
Formulierungen,
Neufassung
um
des
offensichtliche
Ungerechtigkeiten und Umgehungsstrategien zu vermeiden.
Take 40
Schneider 1.15
Die lebenslange Freiheitsstrafe muss als Regelsanktion für Mord, also für
höchststrafwürdige Verbrechen erhalten bleiben. Und zwar nicht als eine Alternative
neben einer zeitigen Freiheitsstrafe, sondern als die prinzipiell einzig vorgesehene
Strafe. Wir müssen dann allerdings dem Umstand Rechnung tragen, dass zuweilen
Mordmerkmale zu weit reichen. Sie erfassen Fälle, die wertungsmäßig nicht
höchststrafwürdig
sind.
Das
sind
beispielsweise
die
Fälle
des
22
Familientyrannenmordes. Und für diese Fälle müssen wir die lebenslange
Freiheitsstrafe als Punktstrafe beseitigen.
Zitator 2 „Wie irre ist diese Reform? Justizminister will das Wort „Mörder“
abschaffen!“
Autor schrieb die Bild-Zeitung am 28. Juni 2015. Und weiter:
Zitator 2 „Bei Mord soll es künftig nicht mehr automatisch „lebenslänglich“
geben. Scharfe Kritik an dem Reformvorhaben kommt aus der Union.“
Autor Die hessische Justizministerin Eva Kühne-Hörmann, CDU.
Take 41
Kühne 0.15
Wer heute über mildere Strafen nachdenkt bei dem Mordparagrafen, der stellt
infrage, dass das höchste Gut, was geschützt werden muss, nämlich das Leben, eine
geringere Bedeutung erhält, als es bisher hat. Ich finde, das ist nicht hinnehmbar.
Take 42
Grünewald 0.45
Es will ja auch niemand die höchste Strafe, die lebenslange Freiheitsstrafe, bei Mord
streichen. Das wurde nicht vorgeschlagen und wird auch nicht vorgeschlagen
werden. Es geht darum, dass man neben der lebenslangen Freiheitsstrafe zusätzlich
die Möglichkeit eröffnet, eine zeitige Freiheitsstrafe zu verhängen, um im Einzelfall
der Tat besser gerecht zu werden und auch dem Täter. Darüber ist sich die
Expertengruppe auch einig, dass neben die lebenslange Freiheitsstrafe auch eine
zeitige Freiheitsstrafe treten muss. Und zwar unabhängig davon, wie der
Mordtatbestand ausgestaltet ist, also ob es bei den mordqualifizierenden Merkmalen
bleibt oder ob die Mordmerkmale ganz abgeschafft werden.
Autor
Die Mehrheit der Experten will an Mordmerkmalen wie Habgier oder Mordlust
festhalten, aber – neben der Heimtücke – auch die sogenannten niedrigen
Beweggründe modifizieren. Hans-Ludwig Kröber, Prof. für Forensische
Psychiatrie an der Charité Berlin:
Take 43 Kröber
0.50
Es gibt eine Sammelkategorie, dass wären die niedrigen Beweggründe, die sollen
neben dem, was explizit genannt ist, wie grausam oder aus Habgier oder zur
Befriedigung des Geschlechtstriebs, die sollen eben die ganzen Fälle fassen, wo wir
uns eigentlich relativ schnell einig werden, dass das – wie das in der Rechtsprechung
heißt – auf sittlich niedrigster Stufe steht, also das wären und sind auch bisher immer
schon rassistische Motive gewesen, politischer Fanatismus und entsprechende
Dinge, oder Tötungsdelikte einfach nur, weil jemand das falsche Geschlecht hat oder
23
weil man ihn als Schwulen oder wie auch immer verachtet. Also man braucht eine
solche Motivgeneralklausel, wie das dann die Juristen nennen, um jetzt nicht jeden
einzelnen Tatbestand auflisten zu müssen.
Take 44
Schneider
0.50
Es gab verschiedene Diskussionen beispielsweise darüber, ob man die sogenannte
Motivgeneralklausel, also die Vorschrift über sonstige niedrige Beweggründe
ersatzlos streicht oder ausbuchstabiert, also weitere Tatantriebe in das Gesetz
aufnimmt. Mehrheitlich haben wir entschieden, dass das nicht erforderlich ist, diese
Motivgeneralklausel soll aus Gründen der Gerechtigkeit beibehalten werden.
Erwogen werden kann, weitere subjektive Mordmerkmale in das Gesetz zu
integrieren, Stichwort hate crimes, also wer aus rassistischen Gründen tötet, ist
Mörder. Wir haben das heute nicht im Gesetz, hätten aber keine Mühe, solche
Straftaten als Mord zu kennzeichnen. Das ist praktisch eine Wertentscheidung des
Gesetzgebers, ob er das Gesetz noch anschaulicher ausformulieren möchte oder
aber ob er es mit der doch relativ abstrakten und manchmal auch nicht ganz präzisen
Wendung des sonstigen niedrigen Beweggrundes sein Bewenden sein lassen
möchte.
Kurze Zäsur
Autor
Im Mai 2014 hatte Bundesjustizminister Heiko Maas die Expertenkommission
beauftragt, Vorschläge zur Reform der Tötungsdelikte zu erarbeiten. Die
inzwischen
vorliegenden,
nicht
immer
einstimmig
beschlossenen
Empfehlungen werden jetzt vom Justizministerium geprüft und sollen
spätestens Anfang 2016 in einen Gesetzentwurf einfließen.
Take 45
Maas 0.10
Das Ziel ist schon, dass wir bis zum Abschluss der Wahlperiode, also innerhalb
dieser Legislaturperiode bis 2017, die Änderungen, zu denen wir uns entscheiden,
auch im Gesetzblatt haben werden.
Autor
Offen ist, welche Änderungen der Bundestag beschließen wird: Kommen am
Ende nur kleine sprachliche Korrekturen und eine Lockerung des Strafmaßes
heraus - oder wagt der Gesetzgeber eine große Lösung wie sie der Deutsche
Anwaltverein vorschlägt. Der DAV - er vertritt 40 Prozent der hierzulande
24
zugelassenen Anwälte und Anwältinnen - will ganz auf die Aufzählung von
Mordmerkmalen verzichten.
Zitator 1
§ 212 Tötung. Wer einen Menschen tötet, wird mit einer Freiheitsstrafe nicht
unter fünf Jahren oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft. § 213 minder
schwerer Fall der Tötung. Im minder schweren Fall der Tötung ist die
Freiheitsstrafe ein bis zehn Jahre.
Take 46
Grünewald 0.40
Meiner Auffassung nach sollte man die Chance nutzen, eine grundlegende Reform
vorzunehmen, weil die einzelnen Mordmerkmale, wenn Sie die Heimtücke nehmen
oder auch die Verdeckungsabsicht, die niedrigen Beweggründe, aus meiner Sicht
erhebliche Probleme aufwerfen, die man auch mit Auslegung nicht korrigieren kann.
Die niedrigen Beweggründe sind problematisch, weil sie über die rechtliche
Bewertung der Tat hinaus eine sozialethische sittliche Bewertung einfordern, was
problematisch ist in einer pluralistischen und freien Gesellschaft. Und deshalb wäre
es aus meiner Sicht die beste Lösung, ganz auf Mordmerkmale zu verzichten.
Take 47
Schneider
0.10
Ich glaube, dass wir aktuell mit der Vorschrift ganz gut leben können, dass die
Mordmerkmale gut auslegbar sind.
Take 48
Grünewald
0.25
Die Frage ist, ob es jetzt eine hinreichende Rechtssicherheit gibt, weil es ja bei den
einzelnen Merkmalen unklar ist, teils auch nicht vorhersehbar, wie sie ausgelegt
werden, weil immer neue Umgehungsstrategien oder Einschränkungsbemühungen,
manchmal auch Ausdehnungsbemühungen zu sehen sind, die die Gerichte
vornehmen.
Take 49
Schneider
0.30
Immer wenn man etwas Neues macht, werden die Rechtsanwender in der
Tatsacheninstanz mit neuen Vorschriften konfrontiert, und man muss sich dann
überlegen, wie handhabe ich die Vorschrift? Es ist dann Aufgabe des
Bundesgerichtshofes, anhand der ihm präsentierten Fälle in der Revision dafür zu
sorgen, dass das Recht dann möglichst schnell einheitlich in der gesamten
Bundesrepublik angewendet wird. 23.40
Take 50
Grünewald
0.20
Ich hoffe und würde mir sehr wünschen, dass es eine große Reform gibt, weil ich
einmal davon ausgehe, dass die Chance, die Tötungsdelikte neu zu regeln, so
schnell nicht mehr kommen wird. Und deshalb wäre es schade, wenn diese große
25
Chance, die wir jetzt haben, vertan würde durch eine minimale Korrektur am
Mordtatbestand.
Take 51
König
0.35
Dass dann ein großes Geschrei in der rechtspolitischen Diskussion losgehen wird,
das wird sich kaum vermeiden lassen bei diesem Thema.
Take 52
Schneider
0.05
Je weiter die Reform geht, desto umstrittener wird sie sein.
Take 53
König 0.10
Den Stein der Weisen, den haben wir da auch nicht gefunden, und den wird
voraussichtlich niemand finden. Es ist ein ziemlich dickes Brett, was da gebohrt wird,
darüber bin ich mir im Klaren. Aber es hat durchaus Realisierungschancen.
Autor
Welche Reform der Bundestag am Ende auch beschließen wird - die
Veränderungen werden Susanne B. nicht mehr zugutekommen. Sie behält den
Makel der heimtückischen Mörderin. Ihr Anwalt Mirko Metzler:
Take 54 Metzler
0.15
Es ist ein Stigma, das ist gar keine Frage, dass sie rechtskräftig wegen Mordes
verurteilt ist. Das ist natürlich für jemanden, der danach wieder versucht, ins
öffentliche Leben zurückzukehren, ein ziemlich heftiger Malus und eine große
Hypothek, die man dann erst mal auf sich nehmen muss.
Autor
Gerade auch wegen dieser großen Hypothek hat Susanne B. den Schritt an die
Öffentlichkeit gewagt.
Susanne B.
Ich hoffe, dass es vielleicht anderen Frauen hilft, die in der gleichen Situation
sind, endlich mal nur noch mit einem blauen Auge davon zu kommen und nicht
immer den Kopf hinhalten zu müssen.
Autor
Susanne B. kam, um im Bild zu bleiben, mit zwei blauen Augen davon. Ihre
Familie hielt zu ihr, als sie im Gefängnis saß. Nach ihrer Entlassung konnte sie
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beruflich Fuß fassen, heute ist sie Inhaberin einer kleinen Dienstleistungsfirma.
Ihre beiden Töchter sind inzwischen berufstätig, sie ist erneut verheiratet, hat
einen fürsorglichen Ehemann und einen kleinen Sohn. Ihm will sie später
einmal, wenn er alt genug ist, die Geschichte ihres ersten Lebens erzählen.
Absage:
Mord oder Totschlag?
Vom Versuch, das Strafrecht zu reformieren
Sie hörten ein Dossier von Otto Langels
Es sprachen: Bernd Rehheuser, Franz Laake und Volker Hengst
Ton und Technik: Gunther Rose und Kiwi Hornung
Redaktion und Regie: Ulrike Bajohr
Eine Produktion des Deutschlandfunks 2015