Hausarbeit SoSe2015

Hausarbeit in der Übung Strafrecht für Anfänger SoSe 2015
Lösung:
Erster Handlungsabschnitt: „Lambrusco“
A. Strafbarkeit des G
Anmerkung: G nimmt alle tatbestandsrelevanten Handlungen selbst vor. Daher ist er
vorzugsweise als Erster zu prüfen. G und T können auch zusammen geprüft werden.
Allerdings muss das Problem, ob T einen wesentlichen Tatbeitrag vornimmt, ebenfalls
angesprochen werden.
I. Totschlag nach § 212 I StGB in 23 Fällen
G könnte sich nach § 212 I StGB schuldig gemacht haben, indem er die Bombe mit Fernzünder
im Lokal „Lambrusco“ deponierte.
Anmerkung: Ausführungen zum Verhältnis von §§ 212 und 211 StGB zueinander sind
an dieser Stelle nicht angebracht, da keinerlei Probleme bestehen und dieser Streit keine
Rolle spielt.
1. Objektiver Tatbestand
23 andere Menschen sind tot. Dafür war die Bombe kausal, denn ohne das Deponieren der
Bombe wären die Menschen nicht tot. Ebenfalls wurde eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen, die sich im Tod der Menschen realisiert hat.
2. Subjektiver Tatbestand
G handelte mit Wissen und Wollen um die Tatbestandsverwirklichung und damit vorsätzlich.
3. Rechtswidrigkeit und Schuld
Weder Rechtfertigungs- noch Entschuldigungsgründe sind ersichtlich.
4. Ergebnis
G hat sich nach § 212 I StGB des Totschlags zu Lasten von 23 Personen schuldig gemacht.
II. Mord nach §§ 212 I, 211 StGB in 23 Fällen: PROBLEM 1
Möglicherweise liegen Mordmerkmale vor. In Betracht kommt das Merkmal der Heimtücke.
Die Auslegung dieses Merkmals ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Nach überwiegender Ansicht handelt heimtückisch, wer die auf Arglosigkeit beruhende Wehrlosigkeit des
1
Opfers in feindlicher Willensrichtung bewusst ausnutzt. 1 Eine starke Literaturauffassung verlangt - stattdessen oder zusätzlich - einen besonders verwerflichen Vertrauensbruch. 2 Alle Gäste
des Lokals hatten keinen Anlass, mit einem Angriff auf ihre Person zu rechnen, und waren
daher arglos. Infolge dieser Arglosigkeit waren sie auch nicht in der Lage, dem Angriff zu
entgehen und sich zu wehren. Dies nutzte G in feindlicher Willensrichtung bewusst aus. 3 Nach
überwiegender Auffassung liegt damit objektiv Heimtücke vor.
Für das Bestehen einer besonderen Vertrauensbeziehung gibt es jedoch keine Hinweise, weshalb die Literaturauffassung hier Heimtücke verneinen müsste. Gegen eine restriktive Auslegung des Heimtücke-Merkmals über dieses Kriterium spricht jedoch, dass der Begriff des Vertrauens sehr vage ist. 4 Zudem führt diese Auffassung zu einer derart erheblichen Verengung des
Mordmerkmals, dass der für heimtückisches Vorgehen geradezu typische Fall des Meuchelmordes nicht erfasst sein würde. 5 Dies spricht im Ergebnis gegen das nach der Literaturmeinung
erforderliche Kriterium des verwerflichen Vertrauensbruchs. Es ist vielmehr der ersten Auffassung zu folgen. G handelte somit heimtückisch.
Weiter könnte G mit der Bombe ein gemeingefährliches Mittel verwendet haben. Mittel sind
dann gemeingefährlich, wenn ihre Wirkung auf Leib oder Leben einer Mehrzahl von Menschen
vom Täter nach den konkreten Umständen nicht mehr beherrscht werden kann. 6 Wie viele Menschen letzten Endes durch die Bombe getötet werden, konnte von G nicht beherrscht werden.
Damit ist ein gemeingefährliches Mittel gegeben. 7
Zudem könnte hinsichtlich X ein niedriger Beweggrund gegeben sein, da G sich für die
schlecht bewertete Studienarbeit rächen möchte. Dies ist der Fall bei Motivationen der vorsätzlichen Tötung, die nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und deshalb
besonders verwerflich, ja verachtenswert sind. 8 Dabei sind die Umstände der Tat insgesamt,
die Lebensverhältnisse des Täters und seine Persönlichkeit zu würdigen. 9 Die Beweggründe
müssen menschlich nicht verständlich, sondern Ausdruck einer niedrigen Gesinnung des Täters
1
Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl., § 211 Rndnr. 6; Rengier, Strafrecht BT II, 15. Aufl., § 4 Rdnr. 23.
Eser/Sternberg-Lieben in: Schönke/ Schröder, StGB, 29. Auflage, § 211, Rn. 26.
3
Vgl. BGH NStZ-RR 1997, 294 (295); BGH NJW 1994, 267 (271).
4
Vgl. BGHSt 30 , 105ff. (116).
5
Neumann in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 4. Auflage, § 211, Rn. 49; Krey/Hellmann/Heinrich, BT 1,
15. Aufl., Rdnr. 65, wobei eine Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit in tückisch-verschlagener Weise verlangt
wird.
6
Schneider in: Münchener Kommentar, 2. Auflage, § 211 Rn. 121f.
7
Es liegt kein Fall der sog. „Massentötung“ vor, da G das Tatmittel so einsetzt, dass über die von ihm als Tötungsopfer anvisierte Person, den X, Dritte in Lebensgefahr geraten können, vgl. Schneider in: Münchener Kommentar,
2. Auflage, § 211 Rn. 121f.
8
BGHSt 3, 132 (133); Wessels/Hettinger, Strafrecht BT 1, 37. Aufl., Rdnr. 95.
9
BGH NStZ 2012, 691 (692); Rengier, Strafrecht BT 2, 15. Aufl., § 4 Rdnr. 16 mwN.
2
2
sein. 10 Dabei ist auch das Verhältnis zwischen dem Anlass und der Tat ausschlaggebend. 11
Rache kommt nur dann als niedriger Beweggrund in Betracht, wenn sie selbst auf niedrigen
Beweggründen beruht. 12 Grundsätzlich ist es verständlich, wenn sich G über die schlecht bewertete Studienarbeit ärgert und sich rächen möchte. Allerdings besteht hier ein grobes Missverhältnis zwischen dem Anlass und der Tat, dem Platzieren der Bombe, womit ein niedriger
Beweggrund gegeben ist.
Anmerkung: Eine andere Ansicht ist vertretbar. Insbesondere im Hinblick auf die restriktive Auslegung der Mordmerkmale.
Folglich hat sich G nach §§ 212 I, 211 StGB des Mordes in 23 Fällen schuldig gemacht.
B. Strafbarkeit des T
I. Mord nach §§ 212 I, 211, 25 II StGB in 23 Fällen
Indem T das Material besorgte und beim Zusammenbauen der Bombe half, könnte er sich nach
§§ 212 I, 211, 25 II StGB des Mordes in Mittäterschaft schuldig gemacht haben. T hat die
Bombe selbst nicht platziert und damit die Tathandlung nicht vorgenommen. Diese könnte ihm
aber über § 25 II StGB seitens G zugerechnet werden. Dazu müssten T und G Mittäter sein,
einen gemeinsamen Tatplan haben und die Tat gemeinsam ausführen.
1. Mittäterschaft PROBLEM 2
a) Subjektive Theorie
Die Rechtsprechung 13 folgt mittlerweile einer subjektiven Teilnahmelehre, die man als gemäßigte subjektive Theorie bezeichnen kann. Danach ist Täter, wer mit seinem Tatbeitrag nicht
nur fremdes Tun fördern will (animus socii), sondern die Tat als eigene will (animus auctoris).
Dabei sind die gesamten Umstände zu betrachten. Wesentliche Anhaltspunkte dafür können der
Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft
oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft sein, so dass Durchführung und Ausgang der Tat
maßgeblich auch vom Willen des Beteiligten abhängen. 14 Auch T wollte sich für die schlecht
bewertete Studienarbeit rächen und wollte damit die Tat als eigene. Dies zeigt sich ebenfalls
darin, dass er das Material für die Bombe besorgte und sich beim Zusammenbauen engagierte.
Damit wäre T Täter.
10
BGH NStZ 2013, 337 (338).
Eser/Sternberg-Lieben in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Auflage, § 211, Rn. 18a mwN.
12
BGH, StV 1998, 25; ausführlich dazu Kühl, JuS 2010, 1041 (1044).
13
Ausführliche Aufzählung dazu bei Schünemann in Leipziger Kommentar, § 25 Rdnrn. 180f.
14
Vgl. Kühl, Strafrecht AT, 7. Aufl., § 20 Rdnrn. 31ff.; Rengier, Strafrecht AT, 6. Aufl., § 41 Rdnr. 8.
11
3
b) Tatherrschaftslehre
Die herrschende Meinung in der Literatur sieht in Anlehnung an den Wortlaut des § 25 I
Var. 1 StGB die Tatherrschaft als Abgrenzungskriterium. Im Fall der Mittäterschaft kommt
es auf die funktionelle Tatherrschaft 15 an. Tatherrschaft meint „das vom Vorsatz umfasste in
den Händen Halten des Geschehensablaufs“ 16. Täter ist, wer das Geschehen planvoll lenkt und
mitgestaltet, Teilnehmer hingegen, wer die Tat nur als Randfigur veranlasst oder auf andere
Weise fördert. 17 Das subjektive Tatherrschaftskriterium ist der Wille zur Tatherrschaft. Demnach bedarf es für die Tatherrschaft auch eines planenden und mitgestaltenden Willens. Nur
wenn auch dieser gegeben ist, kann von einem gleichberechtigten Partner/Täter gesprochen
werden und nicht nur von einem untergeordneten Helfer. 18 Innerhalb dieser Lehre ist jedoch
umstritten 19, wie das Merkmal des „in den Händen Haltens“ des Geschehensablaufs auszulegen
ist:
aa) formelle / strenge Tatherrschaftslehre
Von einem Teil der Lehre wird gefordert, dass eine wesentliche Mitwirkung im Ausführungsstadium gegeben ist. 20 Dies ist bei T nicht gegeben, da allein G die Bombe platzierte.
bb) materielle / gemäßigte Tatherrschaftslehre
Ein anderer Teil verlangt für den gesamten Geschehensablauf einheitlich eine funktionelle Tatherrschaft. Dies bedeutet, dass auch der, der im Vorbereitungsstadium mitwirkt, Täter sein
kann, solange er sein „Minus“ bei der Tatausführung durch ein „Plus“ im Vorbereitungsstadium
ausgleichen kann (Planungs- und Organisationshoheit). 21 T hat das Material für die Bombe besorgt. Dies war nur ihm möglich, da er allein über die notwendigen Quellen verfügt. Weiter hat
er mit G zusammen die Bombe gebaut. Damit hat er einen wesentlichen Tatbeitrag erbracht, da
ohne seinen Einsatz die Bombe nie hätte gebaut werden können.
cc) Streitentscheidung 22
Für die formelle Tatherrschaftslehre spricht, Die Tat als Gesamtgeschehen darf nicht in
dass derjenige, der nur bei der Vorbereitung engen zeitlichen Grenzen gesehen werden.
15
Vgl. Rengier, Strafrecht AT, 6. Aufl., § 41 Rdnr. 13.
Maurach, Strafrecht AT, 4. Aufl., § 49 II C 2.
17
Vgl. Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, 43. Aufl, Rdnr. 512f.
18
Vgl. Kühl, Strafrecht AT, 7. Aufl., § 20 Rdnrn. 26ff.; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, 43. Aufl, Rdnrn.
517f.¸ Rengier, Strafrecht AT, 6. Aufl., § 41 Rdnrn. 11ff.
19
Ausführliche Darstellung der Meinungen mit umfassenden Nachweisen bei Heinrich, Strafrecht AT, 3. Aufl.,
Rdnrn. 1227ff.
20
Vgl. Schünemann in: Leipziger Kommentar, § 25 Rdnrn. 182ff.
21
Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 510 ff; Beulke, Klausurenkurs im Strafrecht III, 4. Aufl., Problem Nr. 65,
Rndnr. 285.
22
Vgl. ausführlich dazu Beulke, Klausurenkurs im Strafrecht III, 4. Aufl., Problem Nr. 65, Rndnr. 285.
16
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mitwirkt, zwar das Geschehen beeinflussen, Daher ist die formelle Tatherrschaftslehre abes aber nicht beherrschen kann. Daher muss zulehnen. Insbesondere der Bandenchef ist
eine tatbestandliche Handlung vorgenommen infolge seiner Tatplanung und des Gehorwerden, um Täter sein zu können. 23 Strafbar- sams, den ihm die Bandenmitglieder bei der
keitslücken entstehen nicht, da zumindest der Ausführung des Planes entgegenbringen, als
Anstifter tätergleich nach § 26 StGB bestraft Mittäter einzustufen. 25 Der Erfolg einer Tat
wird. 24
kann ebenso von der genauen Planung und
Organisation abhängen. Bei wertender Betrachtung sind daher auch entscheidende
Vorbereitungsakte dem körperlich erbrachten
Tatbeitrag
im
Ausführungsstadium
gleichrangig. 26 Seine geistige Leistung verschafft ihm eine Herrschaft über das Geschehen, welche bis in das Ausführungsstadium
weiterwirkt. 27
 Dieser Meinung wird gefolgt.
A.A. vertretbar, dann ist Beihilfe zu prüfen
Damit liegt ein wesentlicher Tatbeitrag seitens T und folglich Mittäterschaft vor.
2. gemeinsamer Tatplan und gemeinsame Tatausführung
Der gemeinsame Tatplan setzt voraus, dass zwei oder mehr Personen (ernsthaft) verabredet
haben, im gegenseitigen Einvernehmen gemeinsam eine bestimmte Vorsatztat zu begehen. 28
Dies ist zwischen T und G gegeben. Weiter wurde die Tat gemeinsam ausgeführt, da auch T
einen wesentlichen Tatbeitrag erbracht hat (s.o.).
3. Rechtswidrigkeit und Schuld
Weder Rechtfertigungs- noch Entschuldigungsgründe sind gegeben.
23
Vgl. Schünemann in: Leipziger Kommentar, § 25 Rdnr. 182; Roxin, Strafrecht AT II, § 25 Rdnrn. 198ff.
Vgl. Saliger JuS 1995, 1004 (1007).
25
Vgl. Rengier, Strafrecht AT, 6. Aufl., § 41 Rdnr. 19.
26
Vgl. Kühl, Strafrecht AT, 7. Aufl., § 20 Rdnrn. 111f.
27
Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, 43. Aufl, Rdnr. 529; Beulke, Klausurenkurs im Strafrecht III, Problem
Nr. 63, Rn. 285.
28
Vgl. Rengier, Strafrecht AT, 6. Aufl., § 44 Rdnr. 11.
24
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4. Mordmerkmale
Auch T erfüllt die Mordmerkmale der Heimtücke, des gemeingefährlichen Mittels und niedrigen Beweggrundes.
5. Ergebnis
T hat sich nach §§ 212 I, 211, 25 II StGB des Mordes in 23 Fällen schuldig gemacht.
C. Strafbarkeit der B
I. Totschlag nach § 212 I StGB zum Nachteil des V
Indem B den V ins „Lambrusco“ bestellte, könnte sie sich des Totschlags schuldig gemacht
haben.
1. Abgrenzung Täterschaft / Teilnahme PROBLEM 3
Problematisch ist hierbei, ob B überhaupt Täterin sein kann. Schließlich lockt sie V nur ins
Lokal, hat daneben aber keinerlei Einfluss darauf, ob G die Bombe tatsächlich platziert oder ob
V wirklich zum Date erscheint.
a) Subjektive Theorie
Nach der bereits oben dargestellten gemäßigten subjektiven Theorie handelt B mit Täterwillen, da sie ein eigenes Interesse an der Tötung des V hat. Zudem bestellt sie ihn ins Lokal und
hat damit eine gewisse Tatherrschaft, denn ohne die Verabredung mit B wäre V zum Tatzeitpunkt nicht im Lokal gewesen.
b) Tatherrschaftslehre
Nach der Tatherrschaftslehre gestaltet sich die Annahme von Täterschaft der B problematisch. So erbringen den zentralen Tatbeitrag T und G (s.o.), indem sie das Material der Bombe
besorgen, diese erst bauen und dann vor Ort platzieren. Fraglich ist damit, ob B das Tatgeschehen planvoll lenkend in den Händen hält.
aa) Mittäterschaft
Mittäterschaft scheitert am nicht vorhandenen gemeinsamen Tatplan. Auch liegt zwischen B,
G und T kein bewusstes und gewolltes Zusammenwirken vor. G und T wissen vom Plan der B
nichts.
bb) mittelbare Täterschaft
Überlegt werden kann, ob G und T als Tatmittler für B gehandelt haben und eine Konstellation
der mittelbaren Täterschaft gegeben ist. Allerdings bedarf es für die mittelbare Täterschaft eines
Vordermanns, welcher aufgrund eines Defekts vom Hintermann als Werkzeug „benutzt“
6
wird. 29 Ein solcher Defekt ist jedoch nicht ersichtlich. T und G handeln voll verantwortlich,
wodurch eine Wissens- oder Willensherrschaft der B ausscheidet. Ebenfalls liegen keine Anhaltspunkte vor, die auf die Konstellation des Täters hinter dem Täter schließen lassen. Weder
handelt B kraft Organisationsherrschaft, noch liegt ein manipulierter error in persona vor. T und
G wollten zwar insbesondere den X töten, nahmen andere Opfer aber billigend in Kauf. 30
Dadurch war auch V vom Vorsatz umfasst. Andere Irrtümer scheiden ebenfalls aus. 31 Folglich
liegt keine mittelbare Täterschaft vor.
cc) Nebentäterschaft
In Betracht kommt möglicherweise eine Nebentäterschaft der B. Diese kennzeichnet sich
dadurch, dass mehrere Personen unabhängig voneinander den Taterfolg herbeiführen. 32 Weiter
ist sie möglich beim Ausnutzen eines fremden Tatentschlusses für eigene Zwecke. 33 Indem B
den V ins Lokal bestellte, schuf sie einen eigenen Tatbeitrag und handelte als Nebentäterin.
Sicherlich wäre der Erfolg ohne Zutun von G und T nicht eingetreten. Doch liegt ein Fall der
sog. kumulativen Kausalität vor, bei welcher zwei unabhängig voneinander gesetzte Handlungen durch ihr Zusammenwirken zum Erfolg führen. 34 B hat folglich ein rechtlich missbilligtes
Risiko für V geschaffen, welches sich letztlich in dessen Tod realisiert hat.
dd) Beihilfe
Eine bloße Beihilfe scheidet aus. B fördert die Tat nicht nur durch ihren Beitrag, sondern hat
ein ganz eigenes Interesse an der Tat. Dieses zeichnet sich in ihrem eigenständigen Tatbeitrag
aus, allein B bestellte V ins Lokal. Dies als bloße Gehilfentätigkeit anzusehen, überzeugt unter Tatherrschaftsgesichtspunkten nicht.
ee) Ergebnis
Folglich hat B als Nebentäterin gehandelt und einen eigenständigen Tatbeitrag erbracht.
c) Ergebnis
Sowohl die subjektive als auch die Tatherrschaftstheorie kommen zu einer täterschaftlichen
Beteiligung der B. Ihr Verhalten führte kausal und objektiv zurechenbar zum Tod des V.
29
Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, 43. Aufl, Rdnr. 535.
Dies ist vorliegend der Unterschied zum sog. Dohna-Fall, bei dem ein falsches Opfer vor die Flinte geschickt
und getötet wurde. Ausführlich dazu Vogel/Fad, JuS 2002, 790. Hier wird dagegen ein zusätzliches Opfer „vor
die Flinte geschickt“.
31
Ausführliche Übersicht zu möglichen Konstellationen bei Kühl, Strafrecht AT, 7. Aufl., § 20 Rdnrn. 72ff.
32
Vgl. Roxin, Strafrecht AT II, § 25 Rdnrn. 265f.; Rengier, Strafrecht AT, 6. Aufl., § 43 Rdnr. 3.
33
Vgl. Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, 43. Aufl, Rdnr. 525.
34
Vgl. Rengier, Strafrecht AT, 6. Aufl., § 13 Rdnr. 34; Heinrich, Strafrecht AT, 3. Aufl. Rdnrn. 231f.
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2. Subjektiver Tatbestand
B handelte mit Wissen und Wollen um die Verwirklichung des objektiven Tatbestandes. Es
kam ihr gerade auf den Tod des V an, womit dolus directus 1. Grades (Absicht) gegeben ist.
3. Rechtswidrigkeit und Schuld
Mangels Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründen handelte B rechtswidrig und schuldhaft.
4. Ergebnis
B hat sich nach § 212 I StGB zum Nachteil des V schuldig gemacht.
Anmerkung: Eine mittelbare Täterschaft der B in der Konstellation des V als sich selbst
schädigendes Werkzeug ist fernliegend. V möchte sich selbst nicht töten, sondern T und
G nehmen die Tathandlung vor.
II. Mord §§ 212 I, 211 StGB zum Nachteil des V
B handelte heimtückisch, da auch sie die Arg- und Wehrlosigkeit des V in feindlicher Willensrichtung bewusst ausnutzt. Ebenfalls liegt ein Vertrauensbruch vor, da B gerade den sozialen
Kontakt und das Vertrauen, welches V ihr gegenüber aufbringt, ausnutzt. 35
Weiter setzt B keine gemeingefährlichen Mittel ein. Dazu ist mehr erforderlich als eine bereits
vorhandene gemeingefährliche Situation auszunutzen. Zwar macht sie sich die Situation
zunutze, setzt das Mittel aber selbst nicht ein. 36
Anzunehmen sind allerdings niedrige Beweggründe. B will V allein deswegen loswerden, da
er ihr lästig ist. Dies steht auf sittlich niedrigster Stufe und ist besonders verachtenswert.
Anmerkung: Auch hier ist eine andere Auffassung vertretbar.
III. Totschlag durch Unterlassen §§ 212 I, 13 I StGB zum Nachteil der 22 anderen getöteten Personen
Indem B Kenntnis vom Plan von T und G hatte und nichts gegen die Tötung der anderen Gäste
unternommen hat, liegt keine Strafbarkeit durch Unterlassen. Es fehlt an der Garantenstellung
der B im Hinblick auf diese Gäste.
35
Vgl. Eser/Sternberg-Lieben in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 211, Rdnrn. 26f. Ausführlich dazu Schneider in: Münchener Kommentar, 2. Auflage, § 211 Rdnrn. 196ff.
36
Vgl. BGH NJW 1986, 1503; Hecker, JuS 2010, 360; Schneider in: Münchener Kommentar, 2. Auflage, § 211
Rdnr. 128.
8
D. Strafbarkeit der E
I. Totschlag durch Unterlassen zum Nachteil des Ehemannes M nach §§ 212 I, 13 I StGB
Indem E es unterließ ihren Ehemann zu warnen, könnte sie sich des Totschlags durch Unterlassen schuldig gemacht haben.
1. Objektiver Tatbestand
a) Erfolgseintritt
Der tatbestandliche Erfolg ist eingetreten. M ist tot.
b) Nichtvornahme der gebotenen Handlung
E hat nicht aktiv gehandelt, sondern gerade nichts unternommen. Damit kommt allein eine
Strafbarkeit durch Unterlassen in Betracht.
c) Individuelle Möglichkeit der Gefahrenminderung
Für E bestand die physisch-reale Möglichkeit tätig zu werden. So hätte sie M warnen oder die
Polizei benachrichtigen können.
d) Garantenstellung PROBLEM 4
Weiter stellt sich die Frage, ob E als Garantin zum Handeln zu Gunsten des M verpflichtet war.
Dazu könnte sie die eheliche Garantenpflicht als besondere Rechtspflicht verpflichten. Grundsätzlich besteht zwischen Ehegatten eine Garantenpflicht aus der gegenseitigen Zusage durch
das Eingehen der Ehe dem anderen gegebenenfalls beizustehen. 37 Gesetzlich bestimmt findet
sich dies in § 1353 BGB wieder. 38 Fraglich ist aber, ob diese Pflicht bei getrennt lebenden
Ehegatten noch besteht. Hierzu werden mehrere Ansichten vertreten, die an unterschiedliche
Gesichtspunkte anknüpfen:
(1) Die Garantenstellung erlischt erst mit der Rechtskraft des Scheidungsurteils, wenn man mit
der formellen Rechtspflichttheorie auf den juristischen Bestand der Ehe abstellt. 39 Als Argument kann der Gedanke der Rechtssicherheit angeführt werden. 40 M und E waren noch nicht
rechtskräftig geschieden, womit die Garantenstellung nach dieser Ansicht noch besteht.
37
Vgl. RG 64, 273 (278f.); BGHSt 2, 150 (153f.); Stree/Bosch in Schönke/Schröder, 29. Auf., § 13 Rdnr. 18;
Freund, NJW 2003, 3384 (3385). Zusätzlich begründet Ingelfinger, NStZ 2004, 409 (411) die Garantenpflicht auf
einer gewissen Verminderung des Schutzes der Eheleute im Außenverhältnis. Denn die Gesellschaft verlasse sich
darauf, dass sich die Ehegatten in Notlagen gegenseitig helfen und greift selbst erst später oder zurückhaltend ein.
38
Vgl. BGH NStZ 2004, 30; a.A. Ingelfinger, NStZ 2004, 409 (411) ; Weigend in Leipziger Kommentar, 12. Aufl.
(2007), § 13 Rdnr. 28.
39
Vgl. Jakobs, Strafrecht AT, 2. Aufl.; 29/64; Geilen, FamRZ 1961, 147 (148f.).
40
Vgl. Ingelfinger, NStZ 2004, 409.
9
(2) Die Garantenstellung erlischt bereits mit der Trennung der Ehegatten. Dafür lässt sich anführen, dass sich die Garantenpflicht allein aus der gelebten Gemeinschaft der Eheleute ergibt
und diese mit der Trennung nicht mehr gegeben ist. 41 Damit wäre vorliegend die Garantenstellung mit dem Auszug der E erloschen.
(3) Die Garantenstellung erlischt mit der endgültigen Trennung der Ehegatten, sofern beide um
die Trennung wissen und kein potentieller Rückkehrwille besteht. 42 Hierfür spricht, dass es
durchaus Trennungen geben kann, bei denen eine Rückkehr zum Ehegatten noch nicht ausgeschlossen ist und es sich um eine „Trennung auf Probe“ handelt. Es fehlt zwar die häusliche
Gemeinschaft unter den Ehegatten. Allerdings muss dies nicht gleichzeitig bedeuten, dass die
eheliche Lebensgemeinschaft aufgegeben wurde. 43 Folglich wäre die Garantenstellung zwischen M und E nicht mehr gegeben. Denn E hatte keinen Rückkehrwillen mehr, sondern zog
bereits vor Monaten aus der ehelichen Wohnung aus, hat einen neuen Partner und will die
Scheidung. Dies war M bekannt.
(4) Streitentscheidung: Die erste Ansicht kann nicht überzeugen, da nicht das Bestehen der Ehe
allein dazu führt, dass eine Garantenstellung entsteht. Vielmehr ist hierfür eine gegenseitige
Zusage der Ehegatten maßgeblich. Diese gegenseitige Hilfszusage, einander beizustehen, wird
regelmäßig konkludent erklärt und sollte so auch wieder zurückgenommen werden können. Auf
ein rechtskräftiges Scheidungsurteil kann es daher nicht ankommen, da die gegenseitige Hilfszusage bereits vorher widerrufen worden sein kann. Bei der ersten Ansicht besteht die Ehe
demnach nur noch auf dem Papier, ohne dass sich die Ehegatten an ihre Hilfszusage gebunden
fühlen. 44 Im Folgenden stellt sich aber die Frage, ab wann von einem solchen Widerruf ausgegangen werden kann. Ausschlaggebend kann allein die Trennung mit endgültiger Trennungsabsicht sein. Denn die Ehegatten können sich auch trennen, um ihre Beziehung zu retten. Dabei
ist das gegenseitige Eheversprechen noch nicht aufgehoben, sondern es besteht für beide Ehegatten die Hoffnung, wieder zu einer funktionierenden Ehe zu finden. 45 Vorliegend ist mit der
räumlichen Trennung der Ehegatten seit einigen Monaten und der Zuwendung der E zu einem
41
Vgl. Rudolphi in: Systematischer Kommentar, 8. Aufl., 119. Lfg. (Stand 2009), § 13 Rdnr. 51.
Vgl. BGH NStZ 2004, 30; Weigend in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl., § 13 Rdnr. 28.
43
Vgl. BGH, NStZ 2004, 30.
44
Vgl. BGH NStZ 2004, 30; Weigend in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl., § 13 Rdnr. 28; Ingelfinger, NStZ 2004,
409 (410).
45
So BGH NStZ 2004, 30; zustimmend: Freund, NJW 2003, 3384(3385f.); kritisch zur dogmatischen Herleitung:
Ingelfinger, NStZ 2004, 409 (410ff.).
42
10
neuen Partner, sowie dem Scheidungsverlangen der E kein Rückkehrwille zu erkennen. Die
Garantenpflicht und eine sich daraus ergebende Garantenstellung sind nicht mehr gegeben.
Anmerkung: Mit entsprechender Argumentation kann eine Garantenstellung der E bejaht werden. Allerdings ist dann zu fragen, ob eine Nebentäterschaft der E anzunehmen
ist oder ob allein eine Beihilfe in Betracht kommt. Wird dann die Nebentäterschaft bejaht, ist die Risikoerhöhungslehre in der Quasi-Kausalität zu diskutieren. Sollten die
Studierenden hierzu stimmige Ausführungen machen, ist dies positiv zu werten. Ist dies
nicht der Fall, so soll von einem Punktabzug abgesehen werden.
2. Ergebnis
Mangels Garantenstellung ist der objektive Tatbestand nicht erfüllt. Eine Strafbarkeit der E
nach §§ 212 I, 211, 13 I StGB scheidet aus.
II. Totschlag durch Unterlassen nach §§ 212 I, 13 I StGB zum Nachteil der anderen Gäste
Auch bei E fehlt es an einer Garantenstellung, womit eine Strafbarkeit entfällt.
E. Gesamtergebnis
G hat sich nach §§ 212 I, 211 StGB in 23 tateinheitlichen Fällen schuldig gemacht.
T hat sich nach §§ 212 I, 211, 25 II StGB in 23 tateinheitlichen Fällen schuldig gemacht.
B hat sich nach §§ 212 I, 211 StGB zu Lasten des V schuldig gemacht.
E bleibt straffrei.
Zweiter Handlungsabschnitt: Vor der Neuen Aula
A. Strafbarkeit der F
I. Diebstahl nach § 242 I StGB
1. Objektiver Tatbestand
Indem F auf dem Fahrrad davon fuhr, könnte sie sich des Diebstahls schuldig gemacht haben.
Das Fahrrad ist ein körperlicher Gegenstand und damit eine Sache, vgl. § 90 BGB. 46 Es stand
nicht im Allein-, Gesamthands- oder Miteigentum der F und war für diese fremd. 47 F müsste
das Fahrrad weiter weggenommen haben. Wegnahme ist der Bruch fremden und die Begründung neuen Gewahrsams ohne oder gegen den Willen des ursprünglichen Gewahrsamsinhabers. Gewahrsam ist die tatsächliche Sachherrschaft. Dabei wird auf die soziale Zuordnung der
Sache abgestellt. Maßgebend hierfür ist, dass der Zugriff einer anderen Person auf die Sache
46
47
Vgl. Eisele, Strafrecht BT II, 2. Aufl. 2012, Rdnr. 16; Wessels/Hillenkamp, Strafrecht BT 2, 36. Aufl., Rdnr. 74.
Vgl. Wessels/Hillenkamp, BT 2, 36. Aufl., Rdnr. 79¸ Eisele, Strafrecht BT II, 2. Aufl. 2012, Rdnr. 22.
11
als Tabubruch angesehen würde. 48 Indem F mit dem Fahrrad davon fuhr, hatte sie die tatsächliche Sachherrschaft inne. Der Fahrer wird weiter dem Fahrrad zugeordnet. Somit hatte F das
Fahrrad in ihrem Herrschaftsbereich und damit weggenommen.
2. Subjektiver Tatbestand
F müsste vorsätzlich gehandelt haben. F nahm nicht das Fahrrad der B, sondern das des Studenten Salvatore an sich. Hierbei handelt es sich um einen unbeachtlichen error in objecto, da
es nicht ausschlaggebend ist, in wessen Eigentum das Fahrrad genau steht. 49 Dieses muss lediglich fremd sein. Das ist gegeben und F wusste dies auch. § 16 I 1 StGB greift somit nicht
ein. Allerdings ging F davon aus, dass das Fahrrad der B gehöre und sie es dieser wieder zurückbringe. F nahm daher an, die B sei mit der kurzzeitigen Aufhebung ihres Gewahrsams einverstanden. Sie handelte daher ohne Wegnahmevorsatz. 50
3. Ergebnis
F hat sich mangels Vorsatz nicht nach § 242 I StGB schuldig gemacht.
B. Strafbarkeit der B
I. Diebstahl in mittelbarer Täterschaft nach §§ 242 I, 25 I Var. 2 StGB
Indem B die F bat, das vermeintlich ihr gehörende Fahrrad für sie zurück zu bringen, könnte
sie sich des Diebstahls in mittelbarer Täterschaft schuldig gemacht haben.
1. Objektiver Tatbestand
B selbst hat das Fahrrad nicht weggenommen. Allerdings könnte ihr das Verhalten der F über
§ 25 I Var. 2 StGB zugerechnet werden, sofern die Voraussetzungen der mittelbaren Täterschaft
gegeben sind. Erforderlich ist, dass der Vordermann, hier die F, ein deliktisches Minus aufweist. Dies ist gegeben, da F ohne Vorsatz handelte und damit ein vorsatzloses Werkzeug ist.
Dieses deliktische Minus müsste B für ihre Zwecke ausgenutzt und F dadurch bei der Tatbegehung beherrscht haben. 51 B ging davon aus, dass F aufgrund ihrer Angaben das Fahrrad des J
und nicht ihr eigenes Fahrrad an sich nehmen werde. Somit handelte sie kraft überlegenen Wissens. 52 Damit kann B das Handeln der F zugerechnet werden. Der objektive Tatbestand ist gegeben (s.o.).
48
Vgl. Rengier, Strafrecht BT 1, 16. Aufl., § 2 Rdnr. 23.
Vgl. Kudlich in: Beck’scher Online-Kommentar StGB, Stand: 10.11.2014; § 16 Rdnr. 7.1.
50
Vgl. Wessels/Hillenkamp, BT 2, 36. Aufl., Rdnr. 136; Rengier, Strafrecht BT 1, 16. Aufl., § 2 Rdnr. 36.
51
Vgl. Rengier, Strafrecht AT, 6. Aufl., § 43 Rdnrn. 1f.; Kühl, Strafrecht AT, 7. Aufl., § 20 Rdnr. 38.
52
Vgl. Kühl, Strafrecht AT, 7. Aufl., § 20 Rdnr. 52.
49
12
2. Subjektiver Tatbestand PROBLEM 5
Weiter müsste B vorsätzlich gehandelt haben. Sie wusste, dass das Fahrrad nicht ihr eigenes
war und täuschte die F bewusst darüber. Sie handelte vorsätzlich hinsichtlich der Wegnahme.
Sie müsste ferner mit Zueignungsabsicht gehandelt haben. Diese umfasst den Vorsatz bezüglich
einer dauernden Enteignung und Absicht hinsichtlich einer mindestens vorübergehenden Aneignung. 53 Auch dies ist gegeben, da sie das Fahrrad dauerhaft für sich behalten, den J somit
aus seiner Eigentümerstellung dauerhaft verdrängen und sich das Fahrrad aneignen wollte.
Auch war B bewusst, dass sie keinen fälligen und einredefreien Anspruch hinsichtlich des Fahrrads besaß. Damit liegt auch Vorsatz bezüglich der Rechtswidrigkeit der Zueignung vor. 54
Allerdings stellt sich die Frage, wie es zu bewerten ist, dass F nicht das Fahrrad des J an sich
genommen hat, sondern das des Studenten Salvatore und damit ein anderes fremdes. Für F stellt
sich dieser Irrtum als error in objecto dar, der ohne Folgen bleibt (s.o.). 55 Wie sich dies aber
auf den Vorsatz des mittelbaren Täters auswirkt ist umstritten.56
a) aberratio ictus
Einer Auffassung zufolge liegt in derartigen Fällen eine aberratio ictus vor, die eine Strafbarkeit
wegen vollendeten Vorsatzdelikts ausschließt und lediglich eine Versuchs-/ Fahrlässigkeitsstrafbarkeit zur Folge hat. 57 Demnach würde der Vorsatz der B nach § 16 I 1 StGB entfallen.
b) Irrtum über den Kausalverlauf
Die wohl herrschende Auffassung bewertet diese Konstellation danach, ob es sich um eine wesentliche Abweichung vom Kausalverlauf handelt. Dies hängt davon ab, inwieweit der mittelbare Täter die Tat konkretisiert und das Tatobjekt individualisiert hat. Liegt ein hohes Maß an
Konkretisierung vor und weicht der Tatmittler von den Vorgaben ab, ist eine wesentliche Abweichung vom vorgestellten Kausalverlauf und damit ein beachtlicher Irrtum im Sinne einer
aberratio ictus naheliegend. Wurde die Konkretisierung / Individualisierung des Tatobjekts dagegen dem Tatmittler überlassen, ist die Abweichung vom Kausalverlauf im Sinne eines error
53
Vgl. Eisele, Strafrecht BT II, 2. Aufl. 2012, Rdnr. 64.
Vgl. Wessels/Hillenkamp, Strafrecht BT 2, 36. Aufl., Rdnr. 200.
55
Schließlich wurde eine fremde bewegliche Sache seitens F weggenommen. In wessen Eigentum das Fahrrad
letztlich stand ist unbeachtlicher Motivirrtum.
56
Sehr ausführliche Darstellung im Hinblick auf den Anstifter bei Hillenkamp, 32 Probleme aus dem Strafrecht
AT, 13. Aufl., 26. Problem. Diese Argumentation wird auf den mittelbaren Täter übertragen: Vgl. Joecks in: Münchener Kommentar, 2. Aufl., § 25 Rdnr. 163.
57
Vgl. Schünemann in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl. § 25 Rdnr. 149; Roxin, Strafrecht AT II, § 25 Rdnr. 171;
Heinrich, Strafrecht AT, 3. Aufl., Rdnr. 1267.
54
13
in objecto unbeachtlich. 58 Legt man dies zu Grunde, handelt es sich um eine unwesentliche
Abweichung vom Kausalverlauf. B hatte F gesagt, sie solle das Fahrrad vor der Neuen Aula
mitnehmen. Genau dies hat F getan, es liegt demnach kein „Tatexzess“ der F vor. Darüber
hinausgehende Informationen, beispielsweise über das Aussehen des Fahrrads oder den genauen Standort hat B der F nicht gegeben. B handelte folglich vorsätzlich.
c) Streitentscheidung
Somit kommt die Auffassung, die grundsätzlich eine aberratio ictus annimmt, zu dem Ergebnis,
dass B nicht wegen vollendeten Diebstahls zu bestrafen ist. Der Grund für eine fehlende Vollendungsstrafbarkeit beim Vorliegen einer aberratio ictus liegt jedoch darin, dass der Täter ein
anderes Ziel als das trifft, das er ursprünglich anvisiert hat – auf das sich mithin sein Vorsatz
konkretisiert hat. Zwar mag B sich vorgestellt haben, dass F das richtige Fahrrad mitnimmt.
Die von B gesetzten Vorgaben hat F jedoch vollständig eingehalten. Von einem „Fehlgehen“
des Werkzeugs kann daher im vorliegenden Fall nicht die Rede sein. Die Auffassung, die pauschal eine aberratio ictus annimmt, ist somit abzulehnen. 59 Der error in objecto der F hat keine
Auswirkungen auf den Vorsatz der B.
Anmerkung: Eine andere Ansicht ist vertretbar. Demnach müssten die Folgen des § 16
I 1 StGB berücksichtigt werden: Versuchter Diebstahl hinsichtlich des Fahrrads des J
ist zu prüfen. Fahrlässiger Diebstahl zu Lasten des S scheitert an der mangelnden Strafbarkeit.
3. Rechtswidrigkeit und Schuld
Weder Rechtfertigungs- noch Entschuldigungsgründe sind ersichtlich.
4. Ergebnis
B hat sich des Diebstahls in mittelbarer Täterschaft schuldig gemacht.
C. Gesamtergebnis
F hat sich mangels Vorsatz nicht nach § 242 I StGB schuldig gemacht.
B hat sich nach §§ 242 I, 25 I Var. 2 StGB schuldig gemacht.
58
Vgl. Joecks in: Münchener Kommentar, 2. Aufl., § 25 Rdnr. 163; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, 43.
Aufl, Rdnr. 550; so auch Kühl, Strafrecht AT, 7. Aufl., § 20 Rdnr. 89a für Sonderfälle, in denen die Verwechslung
vom Hintermann erwartbar war.
59
Vgl. Hillenkamp, 32 Probleme aus dem Strafrecht AT, 12. Aufl., 26. Problem, S. 172.
14
Dritter Handlungsabschnitt: Auf dem Parkplatz
A. Strafbarkeit des T
I. Totschlag nach § 212 I StGB zum Nachteil der B
T hat den Tod der B durch das Anfahren kausal und objektiv zurechenbar herbeigeführt. Allerdings nahm er nur schwere Verletzungen in Kauf, vertraute aber auf das Ausbleiben des Todeserfolges. Er handelte nicht mit Tötungsvorsatz. Folglich ist der Tatbestand nicht gegeben und
eine Strafbarkeit entfällt.
Anmerkung: Diese Prüfung sollte kurz gehalten werden, da der fehlende Tötungsvorsatz
deutlich ist.
II. Gefährliche Körperverletzung nach §§ 223, 224 I Nr. 2 Var. 2 und Nr. 5 StGB
Möglicherweise hat sich T der gefährlichen Körperverletzung schuldig gemacht, indem er B
anfuhr.
1. Objektiver Tatbestand
Der Grundtatbestand des § 223 I StGB ist erfüllt. Durch das Anfahren wurde B übel und
unangemessen behandelt und dadurch das körperliche Wohlbefinden der B mehr als nur unerheblich beeinträchtigt 60, da sie schwere Verletzungen erlitt. Zudem wurde bei B ein vom Normalzustand der körperlichen Funktionen nachteilig abweichender krankhafter Zustand hervorgerufen 61, indem sie schwere Verletzungen erlitt.
a) gefährliches Werkzeug
Möglicherweise erfüllt das Anfahren mit dem Pkw das Merkmal des gefährlichen Werkzeugs
nach § 224 I Nr. 2 Var. 2 StGB. Ein gefährliches Werkzeug ist jeder Gegenstand, der nach
seiner objektiven Beschaffenheit und der konkreten Art seiner Benutzung im konkreten Einzelfall dazu geeignet ist, erhebliche Verletzungen hervorzurufen. 62 Der Pkw ist in seiner vorliegenden Art der Benutzung, dem Anfahren der B, dazu geeignet bei B erhebliche Verletzungen
hervorzurufen. Weiter muss die Körperverletzung mittels des gefährlichen Werkzeugs begangen worden sein. Dies ist dann gegeben, wenn die Verletzungen des Opfers unmittelbar durch
eine Einwirkung des Pkw auf seinen Körper verursacht worden sind und nicht erst durch einen
nachfolgenden Sturz. 63 Die schweren Verletzungen der B wurden unmittelbar durch das Anfahren mit dem Pkw verursacht und daher mittels des Pkw begangen.
60
Wessels/Hettinger, Strafrecht BT 1, 37. Aufl., Rdnr. 255.
Wessels/Hettinger, Strafrecht BT 1, 37. Aufl., Rdnr. 257.
62
Rengier, Strafrecht BT 2, 15. Aufl., § 14 Rdnr. 27 mwN.
63
Vgl. BGH, Beschluss vom 30.06.2011 - 4 StR 266/11, BeckRS 2011, 19236; BGH NStZ 2012, 697 (698).
61
15
b) mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
Weiter könnte die Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung herbeigeführt worden sein, indem T die B mit dem Pkw anfuhr. Umstritten ist dabei, ob es einer
konkreten oder einer abstrakten Lebensgefahr bedarf. Jedoch kann dieser Streit dahinstehen, da
vorliegend sogar eine konkrete Lebensgefahr bestand, die letztlich zum Tod der B führte. Folglich liegt eine Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung vor.
Das Anfahren war kausal und der Taterfolg objektiv zurechenbar. Der objektive Tatbestand ist
damit erfüllt.
2. Subjektiver Tatbestand
T handelte hinsichtlich der Verwirklichung des Grundtatbestandes mit Wissen und Wollen, also
vorsätzlich. Weiter wusste er um die Umstände, aus denen die Gefährlichkeit des Anfahrens
mit dem Pkw resultierte und handelte auch hinsichtlich des gefährlichen Werkzeugs vorsätzlich.
Umstritten sind jedoch die Anforderungen an den Vorsatz bei der lebensgefährdenden Behandlung. Die Rechtsprechung lässt es für den Vorsatz genügen, dass der Täter die „Umstände“
kennt, aus denen sich die Lebensgefährdung ergibt, ohne dass insoweit eine „Bewertung“ als
lebensgefährlich erforderlich ist. 64 Der Täter muss sich weiter der Bedeutung seines Verhaltens
bewusst gewesen sein, also die Gefährlichkeit seines Handelns für das Leben des Opfers wenigstens für möglich gehalten und in Kauf genommen haben. 65 T ging davon aus, dass B nur
schwere Verletzungen erleidet. Einen tödlichen Ausgang nahm er nicht an. Damit hat er eine
Lebensgefährdung nicht in Kauf genommen. Die Literatur verlangt dagegen ein substantielles
Gefährdungsbewusstsein, das über die Kenntnis der tatsächlichen Umstände hinausgeht, genauer eine „Parallelwertung in der Laiensphäre“. Auch hier ist festzuhalten, dass T keinen tödlichen Ausgang erwartete, sondern auf dessen Ausbleiben vertraute. Somit ist nach beiden Ansichten ein Vorsatz bezüglich der lebensgefährdenden Behandlung nicht gegeben.
Anmerkung: Eine andere Ansicht ist bei entsprechender Begründung vertretbar.
3. Rechtswidrigkeit
Möglicherweise ist T durch § 32 StGB gerechtfertigt. Dazu müsste eine Notwehrlage, also ein
gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff vorliegen. Angriff ist jedes menschliche Verhalten, das
ein rechtlich geschütztes Individualinteresse bedroht. 66 In Betracht kommt eine Bedrohung des
64
BGHSt 19, 352 (353); BGH NJW 1990. 3156.
Lackner/Kühl, 27. Aufl., § 224 Rdnr. 9; Wessels/Hettinger, BT 1, 37. Aufl., Rdnr. 284.
66
Vgl. Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, 43. Aufl, Rdnr. 325.
65
16
Gemeingebrauchs an öffentlichen Parkplätzen. 67 Zwar gilt für Parklücken das Prioritätsprinzip
nach § 12 V StVO, jedoch ist fraglich, ob daraus für den ersten, der die Parklücke erreicht, ein
notwehrfähiges Individualrechtsgut erwächst. Dagegen spricht, dass die Vorschriften der StVO
in diesem Fall der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dienen und damit
allein polizeirechtlicher Natur sind. 68 Somit ist schon kein notwehrfähiges Rechtsgut gegeben
und damit kein Angriff.
Anmerkung: Wird ein notwehrfähiges Rechtsgut aber bejaht, so ist ein gegenwärtiger,
rechtswidriger Angriff gegeben 69. Weiter müsste das Anfahren der B das mildeste zur
Verfügung stehende Mittel und daher erforderlich zur Abwehr des Angriffs sein. Das
Anfahren war geeignet, den Angriff der B zu beenden. Auch waren mildere Mittel nicht
ersichtlich. T versuchte bereits die B aus der Lücke zu drängen, indem er langsam auf
sie zufuhr. Er gestikulierte wild mit den Armen und hupte vergebens. Allerdings liegt
ein krasses Missverhältnis zwischen dem Prioritätsrecht am Parkplatz, dem damit verbundenen Gemeingebrauch und dem hochwertigen Rechtsgut Leib und Leben der B
vor. 70 Das Recht zur Benützung der Parklücke ist ein verhältnismäßig geringwertiges,
welches nur auf losen Beziehungen vorübergehender Art beruht. 71 Folglich war die Notwehrhandlung nicht geboten.
T ist nicht nach § 32 StGB gerechtfertigt und handelte rechtswidrig.
4. Schuld
Entschuldigungsgründe sind nicht gegeben, weswegen T schuldhaft handelte.
5. Ergebnis
T hat sich nach §§ 223, 224 I Nr. 2 Var. 2 StGB der gefährlichen Körperverletzung schuldig
gemacht.
67
Vgl. Rengier, Strafrecht BT 2, 15. Aufl., § 23 Fall 2, Rdnrn. 63a; Wessels/Hettinger, Strafrecht BT 1, 37. Aufl.,
Rdnr. 434.
68
Vgl. OLG Stuttgart, NJW 1966, 745 (747f.); Krey/Hellmann/Heinrich, Strafrecht BT 1, 15. Aufl. Rdnr. 411;
Wessels/Hettinger, Strafrecht BT 1, 37. Aufl., Rdnr. 434; Perron in Schönke/Schröder, 29. Aufl. § 32 Rdnr. 9
verneint zunächst die Notwehrfähigkeit von Regelungen, die nur Allgemeininteressen berühren, bejaht am Ende
aber einen Angriff auf die allgemeine Handlungsfreiheit in Parklückenfällen; Blum, NZV 2011, 378; Krahl, JuS
2003, 1187 (1188) stellt auf das Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme ab und verneint ein notwehrfähiges Rechtsgut.
69
Vgl. BayObLG NJW 1963, 824 (825); BayObLG NZV 1995, 327: Zu beachten ist, dass mittlerweile keine
Gewalt mehr darin zu sehen ist, dass der Parkplatz mit dem Körper versperrt wird (BVerfGE 92, 1ff.); Rengier,
BT 2, 15. Aufl., § 23 Rdnr. 63a; Heinrich, JuS 1994, 17 (18).
70
Anders die Konstellation bei OLG Naumburg NZV 1998, 163 (164): Maßvolles Einfahren in die Parklücke ist
nicht rechtsmissbräuchlich, solange die dort stehende Person keiner erheblichen Gefährdung ausgesetzt ist. Ebenfalls anders bei OLG Hamburg, NJW 1968, 662 (663).
71
Vgl. BayObLG NJW 1963, 824 (825); BayObLG NZV 1995, 327.
17
III. Körperverletzung mit Todesfolge nach § 227 StGB
T könnte sich durch das Anfahren der B der Körperverletzung mit Todesfolge schuldig gemacht
haben.
1. Vorsätzliches Grunddelikt
Die gefährliche Körperverletzung wurde seitens T verwirklicht (s.o.). Damit ist ein taugliches
Grunddelikt i.S.v. § 227 StGB gegeben.
2. Eintritt und Verursachung des qualifizierten Erfolgs
Der qualifizierte Erfolg, der Tod der B, ist eingetreten. Dafür war das Anfahren mit dem Pkw
conditio-sine-qua-non, denn es kann nicht hinweg gedacht werden, ohne dass der Tod der B in
seiner konkreten Gestalt entfällt.
3. Tatbestandsspezifischer Gefahrzusammenhang: PROBLEM 6
Aufgrund der hohen Strafdrohung ist § 227 StGB restriktiv auszulegen. Verlangt wird daher,
dass sich im Todeserfolg gerade die dem Grundtatbestand anhaftende tatbestandsspezifische
Gefahr niedergeschlagen hat. 72 Fraglich ist, ob dies beim ersten Anfahren, welches vorsätzlich
stattgefunden hat, aber für B nicht tödlich war, gegeben ist. Unter welchen Voraussetzungen
sich die tatbestandsspezifische Gefahr in der besonderen Folge niedergeschlagen hat, ist umstritten. 73
a) Letalitätstheorie
Die Letalitätstheorie stellt dabei auf den Körperverletzungserfolg als Anknüpfungspunkt ab. 74
Entscheidend ist, dass sich im Todeserfolg gerade die Gefahr realisiert hat, die von der Art und
Schwere des Körperverletzungserfolgs herrührt. Dies ist vorliegend nicht gegeben. Erst das unvorsätzliche zweite Anfahren und das Schleudern auf den harten Teerboden waren ausschlaggebend für den Tod der B. Der Gefahrzusammenhang zwischen dem ersten Anfahren und dem
Todeseintritt ist nicht gegeben.
b) Rechtsprechungs- und Literaturansicht
Dagegen lassen es die Rechtsprechung und der überwiegende Teil der Literatur ausreichen,
wenn ein spezifischer Gefahrzusammenhang zwischen der Verletzungshandlung und der Todesfolge besteht. Abgestellt wird auf die gesamte Körperverletzungshandlung und nicht nur auf
72
Rengier, Strafrecht BT 2, 15. Aufl., § 16 Rdnrn. 4f.; Eschelbach, in: Beck'scher Online-Kommentar StGB,
Stand: 01.07.2014, § 227 Rdnr. 7.
73
Ausführlich dazu Kühl, Strafrecht AT, 7. Aufl., § 17a Rdnrn. 19ff.
74
Stree/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder; 29. Auflage, § 227 Rdnr. 5 m.w.N.
18
den Erfolg der Körperverletzungshandlung. In die Betrachtung wird demnach der ganze Vorgang inklusive Ausführungshandlungen einbezogen. 75 „Dieser [der spezifische Gefahrzusammenhang] fehlt nicht schon dann, wenn zunächst nur eine Verletzung eintritt, die für sich genommen – nicht lebensbedrohlich erscheint, sondern erst infolge des Hinzutretens besonderer
Umstände zum Tode des Verletzten führt. Liegt der tatsächliche Geschehensablauf, der Körperverletzung und Todesfolge miteinander verknüpft, nicht außerhalb jeder Lebenswahrscheinlichkeit, dann kann sich im Tod des Opfers jene Gefahr verwirklichen, die bereits der
Körperverletzungshandlung anhaftete“ 76. Indem T die B vorsätzlich anfuhr, hat er eine Handlung begangen, die für B das Risiko eines tödlichen Ausgangs barg. Der Tod der B ist nicht
aufgrund eines Geschehensablaufs eingetreten, der außerhalb jeder Lebenswahrscheinlichkeit
liegt. So widerspricht es nicht jeder Erfahrung, dass das Opfer nach einem erneuten Anfahren
im Zusammenhang mit unglücklichen Folgeabläufen, wie hier dem Aufschlagen auf den harten
Teerboden, verstirbt. 77 Das unvorsätzliche zweite Anfahren realisierte keine neue Gefahr, sondern nur die durch die Körperverletzung selbst gesetzte. Folglich ist der tatbestandsspezifische
Gefahrzusammenhang gegeben.
c) Streitentscheid
Für die Letalitätstheorie spricht der Wortlaut Für die Rechtsprechungsansicht lässt sich andes § 227 StGB. Dort ist von „verletzte Per- führen, dass im Begriff Körperverletzung
son“ die Rede, was einem Anknüpfen an die nicht nur der Erfolg, sondern auch ein Handbloße Körperverletzungshandlung wider- lungsmoment enthalten ist. Dies wird in
spricht. Zudem wird nur diese enge Ausle- § 223 I Var. 1 StGB deutlich, welcher als üble
gung der hohen Strafdrohung von mindestens und unangemessene Behandlung definiert ist.
drei Jahren gerecht. 78 Damit ist der Gefahr- Weiter verweist auch § 224 I Nr. 5 StGB auf
zusammenhang nicht gegeben.
 § 222 StGB ist ausführlich zu prüfen
eine lebensgefährdende Behandlung. Zudem
verweist § 227 StGB auf §§ 223ff. StGB und
damit auf die in § 223 II StGB normierte Ver-
75
Wessels/Hettinger, Strafrecht BT 1, 37. Aufl., Rdnr. 298.
BGH NStZ-RR 2009, 78 (79); BGHSt 31, 96 (100).
77
Vgl. Steinberger, NStZ 2010, 72 (77) der nach Auswertung der Rechtsprechung feststellt, dass § 227 StGB als
Auffangtatbestand von § 212 I StGB eine adäquate Bestrafung des Täters leistet, sofern diesem trotz massiver
vorsätzlicher Körperverletzung ein Tötungsvorsatz nicht nachweisbar ist.
78
Vgl. Stree/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder; 29. Auflage, § 227 Rdnr. 5 m.w.N; Beulke, KK III, 4. Aufl.;
Rdnr. 35.
76
19
suchsstrafbarkeit, bei der gerade kein tatbestandlicher Erfolg gegeben ist. Der Gefahrzusammenhang ist gegeben 79.
 Dieser Ansicht wird gefolgt:
 Es folgen die Fahrlässigkeitsele-
mente der Prüfung.
d) Zwischenergebnis
Der tatbestandsspezifische Gefahrzusammenhang ist gegeben.
4. Objektive Sorgfaltspflichtverletzung
Indem T die B anfuhr und schwer verletzte, ließ er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer
Acht. Diese ergibt sich aus dem allgemeinen Rücksichtnahmegebot im Straßenverkehr,
§ 1 StVO, und aus den Regeln des StGB. Zudem war die tödliche Folge objektiv voraussehbar,
da sich gerade die rechtlich missbilligte Gefahr der Körperverletzung im Todeserfolg der B
realisiert hat. Damit handelte T objektiv sorgfaltspflichtwidrig.
5. Rechtswidrigkeit
Rechtfertigungsgründe sind nicht ersichtlich. Folglich handelte T rechtswidrig.
6. Schuld
Die subjektive Fahrlässigkeit erfordert, dass T bei Begehung der Tat nach seinen persönlichen
Kenntnissen und Fähigkeiten in der Lage war, die Sorgfaltspflicht zu erfüllen und die Tatbestandsverwirklichung vorauszusehen. Zur subjektiven Voraussehbarkeit gehört entsprechend
den Kriterien zur objektiven Voraussehbarkeit die individuelle Voraussehbarkeit der tödlichen
Folge. 80 T war es möglich, die Sorgfaltspflicht zu erfüllen – er hätte B gewähren lassen und
damit der Verkehrssicherheit Vorrang einräumen können. Auch war es für ihn individuell voraussehbar, dass bei einem derart heftigen Anfahren der B deren Tod eintreten kann. Dies liegt
nicht außerhalb des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren.
7. Ergebnis
T hat sich nach § 227 StGB schuldig gemacht.
79
80
Vgl. Eisele, BT 1, 2. Aufl., Rdnr. 354; Wessles/Hettinger, Strafrecht BT 1, 37. Aufl., Rdnr. 299.
Vgl. Rengier, Strafrecht AT, 6. Aufl. § 52 Rdnr. 83.
20
IV. Fahrlässige Tötung nach § 222 StGB
Indem T die B anfuhr hat er ihren Tod fahrlässig herbeigeführt. Kausalität ist gegeben. Die
objektive Sorgfaltspflichtverletzung ist erfüllt (s.o.). Ebenfalls sind Pflichtwidrigkeits- und
Schutzzweckzusammenhang gegeben. Rechtfertigungsgründe sind nicht ersichtlich und die
subjektive Fahrlässigkeit liegt vor (s.o.). T hat sich nach § 222 StGB schuldig gemacht. § 222
StGB tritt jedoch hinter § 227 StGB zurück. § 227 StGB ist lex specialis.
Anmerkung: Wird § 227 StGB nicht gesehen, so sind die Zurechnungsprobleme im
Fahrlässigkeitsdelikt anzusprechen.
B. Gesamtergebnis
T hat sich nach § 227 StGB zum Nachteil der B schuldig gemacht.
Gesamtergebnis
G hat sich nach §§ 212 I, 211 StGB in 23 tateinheitlichen Fällen schuldig gemacht.
T hat sich nach §§ 212 I, 211, 25 II StGB in 23 tateinheitlichen Fällen schuldig gemacht. Dazu
steht die Strafbarkeit wegen § 227 StGB in Tatmehrheit, § 53 I StGB.
B hat sich nach §§ 212 I, 211 StGB zu Lasten des V schuldig gemacht. Die Strafbarkeit wegen
§§ 242 I, 25 I Var. 2 StGB steht dazu in Tatmehrheit, § 53 I StGB.
E bleibt straffrei.
F hat sich mangels Vorsatz nicht nach § 242 I StGB schuldig gemacht.
21