Soldat Willi Haupt

Elfie Haupt
Soldat Willi Haupt
Ein Einbecker Junge
Elfie Haupt · Soldat Willi Haupt – Ein Einbecker Junge
Die wahre Geschichte in diesem Buch beginnt mit dem Aufräumen
des Dachbodens im Haus der Autorin.
In einem alten Silberkoffer der verstorbenen Schwiegereltern fand sie
die Fotografie eines jungen Soldaten, der ihrem Sohn wie aus dem
Gesicht geschnitten schien. Schnell wurde klar, es handelte sich um
Willi, den im II. Weltkrieg gefallenen Bruder des Schwiegervaters.
Die Familienähnlichkeit ließ sie nicht mehr los. Eine jahrelange,
nicht alltägliche Recherche nahm ihren Lauf.
Daraus entstanden ist eine ergreifende, in manchen Passagen fast
mystische Geschichte, die das Leben eines echten Einbecker Jungen
wieder zutage brachte, der seine Heimatstadt liebte, bei Einbeck 05
ein bekannter Fußballer seiner Zeit war, und der auch damals schon
das berühmte Bier seiner Heimatstadt zu schätzen wusste.
Sein Leben währte nur sehr kurz, denn er musste in den II. Weltkrieg
ziehen. In anrührenden Feldpostbriefen, die wie eine Nabelschnur
nach Hause waren, berichtete er von seinem Schicksal. In den schweren Kämpfen vor Stalingrad im Sommer 1942 ist er im Alter von 32
Jahren gefallen … doch das ist noch nicht das Ende der Geschichte…
ISBN 978-3-86944-015-6
9 783869 440156
Ein Buch gegen das Vergessen
Elfie Haupt
Soldat Willi Haupt – Ein Einbecker Junge
Für Willi und Matthias
Elfie Haupt
Soldat Willi Haupt
Ein Einbecker Junge
(Erinnerungen an Onkel Willi
recherchiert und dokumentiert von Elfie Haupt)
– Ein Buch gegen das Vergessen –
Mecke Druck und Verlag Duderstadt · 2010
© 2010 Elfie Haupt, Einbeck
Layout: Tristan Horstkotte sen.
Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung
außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne ­Zustimmung
der Autorin unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Kopien,
Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung
und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
ISBN 978-3-86944-107- 8
Herstellung: Mecke Druck und Verlag · 37115 Duderstadt (Eichsfeld)
Verlag Mecke Druck · Postfach 1420 · 37107 Duderstadt (Eichsfeld),
Tel. 05527/981922 · Fax 05527/981939, [email protected]
www.meckedruck.de/verlag
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Alles hat seine bestimmte Stunde, jedes Ding
unter dem Himmel hat seine Zeit.
Geboren werden hat seine Zeit, und Sterben hat seine Zeit.
Pflanzen hat seine Zeit, und Ausreißen hat seine Zeit.
Töten hat seine Zeit, und Heilen hat seine Zeit.
Einreißen hat seine Zeit, und Bauen hat seine Zeit.
Weinen hat seine Zeit, und Lachen hat seine Zeit.
Klagen hat seine Zeit, und Tanzen hat seine Zeit.
Steine wegwerfen hat seine Zeit, und Steine sammeln hat seine Zeit.
Umarmen hat seine Zeit, und sich meiden hat seine Zeit.
Suchen hat seine Zeit, und Verlieren hat seine Zeit.
Behalten hat seine Zeit, und Wegwerfen hat seine Zeit.
Zerreißen hat seine Zeit, und Nähen hat seine Zeit.
Schweigen hat seine Zeit, und Reden hat seine Zeit.
Lieben hat seine Zeit, und Trauern hat seine Zeit.
Der Krieg hat seine Zeit, und der Friede hat seine Zeit.
Buch Prediger Salomo
Altes Testament
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Alles hat seine Zeit ….
Das Aufräumen des Dachbodens unseres Hauses in Vogelbeck vor einigen Jahren, ist
der eigentliche Grundstein für das Erzählen meiner Geschichte….
Zwischen allerlei Trödel, alten Büchern, einer Staffelei und anderen längst vergessenen Dingen, entdeckte ich einen alten Silberkoffer, der einst meinen verstorbenen
Schwiegereltern Anneliese und August gehört hatte. Als es mir gelang, ihn zu öffnen,
fand ich in dem Koffer das verstaubte Bildnis eines jungen hübschen Soldaten. Ich
nahm das Bild in meine Hände, um den Staub etwas abzuwischen, doch wie von Blitz
und Donner gleichzeitig getroffen, entglitt mir das gerahmte Bild aus den Händen, um
klirrend auf dem Holzfußboden zu landen!
Schnell bückte ich mich, um es wieder aufzuheben, denn das junge Gesicht, welches
mir da entgegenblickte, gleicht haargenau den Gesichtszügen unseres Sohnes ­Matthias.
Ein sehr emotionaler Moment für mich!
Schnell wird mir klar: Der junge Soldat auf dem Foto ist Onkel Willi, der im II. Weltkrieg gefallene Bruder meines Schwiegervaters.
Natürlich wussten wir, dass es Onkel Willi gegeben hatte, aber wir hatten noch nie
sein Bildnis gesehen. Ebenso wussten wir, dass Onkel Willi in Russland gefallen war,
aber der Vater sprach so gut wie nie über seinen Bruder, die Erinnerungen an ihn taten
ihm wohl zu weh.
Zwei Jahre später bekamen wir Besuch von einer Cousine meines Mannes aus Jackson, New Jersey, USA. Anlässlich dieses Besuches von Loretta gab es in unserem
Hause einige Zusammenkünfte der Verwandtschaft.
Matthias, Tante Trudchen und Loretta (Foto Elfie Haupt)
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So geschah es, dass auch Tante Trudchen, die seinerzeit letzte noch lebende Schwester
meines Schwiegervaters und des Gefallenen Willi, sich zu einem Besuch nach Vogelbeck aufmachte, gemeinsam mit ihrer Tochter und dem Schwiegersohn.
Als die Tante in ihrem hohen Alter langsam die Eingangstreppe zu unserem Haus heraufkam, ging ihr unser Sohn entgegen, um ihr behilflich zu sein, denn die vielen Stufen
machten ihr doch große Mühe. Unseren Matthias hatte sie schon seit Jahren nicht mehr
gesehen.
Was nun passierte, war für alle Anwesenden ein sehr bewegender Moment.
Tante Trudchen blieb urplötzlich wie angewurzelt auf der Treppe stehen, rang nach
Fassung mit den Worten: „Mein Gott, das ist ja unser Willi!“
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Das zweite einschneidende Erlebnis für mich seit dem Auffinden des Soldatenbildes
auf dem Dachboden….
Seit diesem besonderen Tag steht Willis Bild neu eingerahmt bei uns im Wohnzimmer,
neben welchem stets mit einem frischen Blumenstrauß seiner gedacht wird.
Wieder vergingen die Monate, der Winter war bereits ins Land gezogen, als unser
Sohn uns eines schönen Abends berichtete, er habe via Internet eine Auskunft über
Onkel Willi beim Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge in Kassel erbeten.
Nie hätten wir damit gerechnet, innerhalb kürzester Zeit, es waren knappe vier Wochen, eine umfangreiche und für uns sehr aufschlussreiche Auskunft zu erhalten.
Der Volksbund errichtete nach Beendigung des kalten Krieges für die Kriegsopfer von
Stalingrad den Friedhof „Rossoschka“, ganz in der Nähe des heutigen Wolgograd.
In den 90er Jahren wurde mit dem Bau einer weltweit einmaligen Kriegsgräberstätte
begonnen. 107 Granitwürfel mit den eingemeißelten Namen der Soldaten erinnern an
100 000 Vermisste der Kesselschlacht.
Im Rahmen groß angelegter Umbettungsarbeiten konnte unser Willi jedoch noch nicht
geborgen werden. Die Arbeiten werden noch Jahre andauern, doch die Hoffnung stirbt
bekanntlich zuletzt. Wer weiß, was noch alles geschieht….
Für mich bedeutete diese Nachricht aber, dass ich nun alles über Willi wissen wollte,
was für ein Mensch er gewesen war, wie er gelebt und gearbeitet hatte in Einbeck, ob
es noch Zeitzeugen gibt, die ihn gekannt hatten? In mir begann ein Feuer zu lodern,
es brannten mir so viele Fragen in der Seele, eine ungewöhnliche Recherchearbeit
begann.
Allerdings machte die lange Zeit, die seit damals vergangen war, die Sache für mich
nicht einfach, inzwischen war auch Tante Trudchen leider sehr schwer erkrankt, so
dass ich ihr keine Fragen mehr über ihren Bruder hätte stellen können. Wie bedauerlich, aber für mich wieder ein neuer Anreiz, es auch so zu versuchen…
Wunderbarerweise bildete sich langsam ein Mosaik, Steinchen für Steinchen fügte
sich zusammen….
Eines Abends kam Schwager Gerhard zum Abendessen vorbei und brachte für mich
eine große Überraschung mit. Infiziert von meinem „Onkel-Willi-Syndrom“ hatte
er den schriftlichen Nachlass der Eltern durchforstet, fand darin ein ganzes Bündel
Feldpostbriefe von Willi! Ich kann nicht beschreiben, was mir dieser Fund bedeutete.
All diese Briefe waren in Sütterlin (Deutsche Schrift), wie damals üblich, von Willi
handgeschrieben worden, welchen Schatz hatten wir da vor uns auf dem Tisch liegen!
Dankbar und froh erkannte ich, wie gut es doch war, in meiner Schulzeit noch das
Lesen und Schreiben Deutscher Schrift erlernt zu haben.
Was nun folgte, war eine sehr bewegende, mühsame und zu Herzen gehende Arbeit.
Zuerst las ich Willis Briefe mehrmals, egal wie oft ich sie las, immer wieder trieben sie
mir das Wasser in die Augen. Ich fühlte mich Willi ganz nah, denn seine anrührenden
Briefe nach Hause gaben sehr viel von seinem Wesen preis. Ich lernte ihn durch seine
Briefe kennen, es rührte mich besonders, wenn er die Briefe an seinen Bruder August
mit seinem Spitznamen unterschrieb. Wie unglaublich, lieber Willi, dachte ich, wenn
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Du wüsstest, dass unser Sohn bei seinen Freunden haargenau den gleichen Spitznamen
hat….
Willis Briefe wurden von mir nach Datum sortiert und abgeschrieben, damit sie leichter zu lesen waren. Mir gingen in dieser Zeit so viele Gedanken durch den Kopf, doch
einer davon kam mir immer wieder…- hatten nicht meine Schwiegereltern einen Karton mit Briefen aus ihrer USA-Zeit auf dem Dachboden aufbewahrt? Wo bloß war
dieser Karton geblieben? Ich machte mich auf die Suche, denn irgendein Gefühl sagte
mir, dass es noch mehr Briefe von Willi geben könnte…
Meine Suche war vorerst erfolglos, auf dem Dachboden war nichts Derartiges mehr
zu finden, seit meiner großen Staubaktion war alles, was nicht niet- und nagelfest war,
rigoros aussortiert worden.
Doch wie von einer inneren Führung getrieben, räumte ich an irgendeinem Freitagabend
das alte Küchenbuffet meiner Schwiegermutter im Keller durch. In diesem befand sich
ein hölzernes Fach, darin wiederum war der Karton mit den Briefen meiner Schwiegereltern unversehrt aufbewahrt worden. Auf dem schnellsten Wege machte ich mich ans
Werk, und wie geahnt, fand ich zwölf weitere Briefe von Willi. Welch ein Tag!
Ich war von Dankbarkeit und Freude über ein neues „Stückchen von Willi“ erfüllt,
wenngleich ich auch immer die Trauer im Herzen spürte über das, was er in seinem
jungen Leben damals erdulden musste. Der Hunger, die Kälte, so viele Entbehrungen
und welch große Sehnsucht nach der Heimat quälten seine Seele und seinen ausgezehrten Körper….
Aus heutiger Sicht kommt es mir vor, dass ich immer wieder wie mit sachter Hand zu
einem weiteren Ergebnis „geführt“ worden bin, das mag etwas mystisch klingen, es
war aber so.
Die Familie Haupt gehörte damals zur Neustädter Kirchengemeinde St. Marien. Dort
hatte ich, der Idee meines Mannes folgend, telefonisch nachgefragt, ob man in den
alten Kirchenbüchern wohl noch die Tauf- und Konfirmationsdaten von Willi finden
könnte. Man war sofort behilflich, verwies mich weiter an die Münstergemeinde, wo
alle noch verfügbaren, vom Krieg verschonten Kirchenbücher aufbewahrt werden.
Eines Morgens aber erhielt ich einen Anruf von Doris Gremmel, Sekretärin der Münstergemeinde. Doris und ich kennen uns schon viele Jahre, und so freute sie sich besonders, mir eine positive Nachricht in dieser Angelegenheit geben zu können, denn
sie war fündig geworden. Schnell hatte sie erkannt, wie viel mir diese Recherchen
bedeuteten, schon am nächsten Tag konnte ich mir das Ergebnis ihrer Suche im Pfarrbüro abholen.
Dieses geschah auch so, und gleich beim Durchsehen der Bescheinigungen traute ich
meinen Augen kaum….sofort fiel mir eine schier unglaubliche Besonderheit auf: Willi
und Matthias haben exakt das gleiche Taufdatum, und nicht nur das! Sie haben auch
das gleiche Konfirmationsdatum! Welch wunderbarer Zufall, dachte ich, und war wieder bis ins Mark gerührt. Zufall!! Zufall?? Gibt es solche Zufälle??
Ein gleiches Datum lässt sich gut mit dem Zufallsprinzip erklären, aber dieses hier?
Es gibt eben doch Dinge zwischen Himmel und Erde, die nicht erklärbar sind…
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