DRAMA UND THEATER IM ELISABETHANISCHEN ENGLAND

DRAMA UND THEATER IM ELISABETHANISCHEN ENGLAND
1. ABRISS
Erst Mitte des 16. Jahrhunderts, während der Regentschaft von Elisabeth I.1,
setzte sich der Humanismus und der Gedanke der Renaissance auch in England
durch. Dafür kam es dann zu einer beispielhaften kulturellen Blüte.
Das säkularisierte Weltbild, das Interesse am diesseitigen Menschen und die
daraus resultierenden Probleme im Zuge der anglikanischen Reformation wurden auf den elisabethanischen Bühnen exemplarisch durchgespielt. Überzeitlich gültig im Werk William Shakespeares.
England erfuhr einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung, wodurch das Bürgertum an Reichtum und an Macht gewann, wohingegen der Adel daran verlor.
Der Drang nach territorialer Machtausübung, die ständig zu kriegerischen Auseinandersetzungen führte, stand dem Wunsch nach friedlichem Handel innerhalb eines einheitlichen nationalen Marktes entgegen. Elisabeths Leistung bestand vor allem auch darin, in
diesen Interessenskonflikten diplomatisch zu vermitteln, derart, dass der Hof selbst einen maximalen Nutzen daraus ziehen konnte. Dies tat sie, indem sie ihren Untertanen jeweils das wirtschaftliche Gedeihen
und den Aufschwung zusicherte. Und solange ihr das gelang, war alles in Ordnung.
Zugleich kam es auch in England zu einem steilen Aufstieg der Wissenschaften und Künste. Und so wie in
der Politik zwei Gesellschaftsschichten Relevanz hatten, so auch bei den Künsten – und die jeweiligen Traditionen flossen zusammen.
Jakob I.2, der nach ihrem Tod die Regentschaft übernahm, war der protestantisch erzogene Sohn Maria Stuarts. Er verfolgte ein streng absolutistisches Regierungsprinzip, das die Macht des Parlamentes unbedingt schwächen wollte.
Die Lebensfreude des elisabethanischen Zeitalters musste sowohl frivoler Genusssucht der Oberschicht als auch (logische Gegenbewegung) puritanischer
Lebenshaltung des Bürgertums weichen. Dies führte knapp 50 Jahre später
(1642) zur Schließung aller Londoner Theater.
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The Virgin Queen oder The Maiden Queen („Die jungfräuliche Königin“), Gloriana oder Good Queen Bess (* 7. September 1533 in
Greenwich; † 24. März 1603 in Richmond), war von 1558 bis 1603 Königin von England
2
(* 19. Juni 1566 in Edinburgh, Schottland; † 27. März 1625 in Theobalds Park, Grafschaft Hertfordshire, England), englisch James,
war seit 1567 als Jakob VI. König von Schottland und seit 1603 bis zu seinem Tode zusätzlich als Jakob I. König von England und
König von Irland.
Drama und Theater im elisabethanischen England
Bedingt durch die Bemühungen des Humanismus entwickelte sich ein ansehnliches Schulwesen, dessen
Lehrer nicht mehr primär von der Geistlichkeit gestellt wurde, sondern von weltlichen Gebildeten. Dadurch
und durch das Grundkonstrukt des Renaissance-Denkens bedingt wurde nach und nach antike wie auch
zeitgenössische Literatur zum Allgemeingut einer ziemlich breiten Gesellschaftsschicht; Geschichtskenntnisse nahmen zu; ebenso die der Mythologie. Ein breites, gemeinsames Fundament wurde geschaffen, um
der Fantasie der Geschichtenerzähler freien Lauf zu lassen.
1
2. THEATER
a) Berufsschauspieler
Absolut wichtig für die Theaterentwicklung in England war, dass der Stand des Berufsschauspielers wiedergeboren war. Etwa Mitte des 15. Jahrhunderts, als man von Ackerbau auf Viehzucht umstellte, wurden
viele Landarbeiter arbeitslos, die sich deshalb zum Teil als Schauspieler betätigten, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Um den enormen Anstieg der Zahl an Schauspieltruppen zu begrenzen, erlaubte das
Vagabundengesetz von 1572 in London nur mehr Auftritte von Truppen, die unter der Patronage eines Adligen standen. Diese Entwicklung nahm unter Elisabeth I. noch weiter zu. (Zu ihrer Regierungszeit mehr als
150 solch professioneller Ensembles mit 8-12 Spielern.) Ihr Ansehen war durchaus hoch und so fanden auch
mehr und mehr Männer aus dem Bürgertum diesen Weg. Sie brachten zudem eine umfassendere Bildung
und Kenntnisse des frühen Kapitalismus mit. Und somit gab es bald feste Kompanien, die als Aktiengesellschaften strukturiert waren.3
Dramatik war Gebrauchskunst, die gute Unterhaltung eines breiten Publikums war das Ziel.
b) Feste, öffentliche Theater
Durch unternehmungsfreudige Bürger entstanden feste Theatergebäude,
so dass die Kompanien sesshaft werden konnten.
Die älteste Bühnenanlage ließ der (Theater-)Unternehmer und spätere
Schauspieler James Burbage in einer Arena in Shoreditch, London (The Lord
Chamberlain's Men, denen Shakespeare angehörte, nutzen es von 1594 bis
1596) errichten:
THE THEATRE (1576)4.
Abb.: Rekonstruktion von „The Theatre“
[http://beardofavon.blogspot.com/2011/11/all-worlds-stage-first-elizabethan.html]
3
Die Hauptschauspieler waren als Aktionäre direkt am Gewinn beteiligt; die jüngeren bzw. weniger wichtigen Darsteller wurden im
Lohnverhältnis beschäftigt. Um Teilhaber zu werden, musste man sich einkaufen. Während der florierenden Tage des elisabethanischen Theaters konnte man als Teilhaber aber durchaus ein sehr reicher Mann werden.
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Ursprünglich für Stierkämpfe, Bärenhatzen, Schwertspiele und sonstige Volksbelustigen genutzt.
5
Die Bauten hatten die Form eines runden oder achteckigen Turms; massives Mauerwerk
Drama und Theater im elisabethanischen England
Es folgten weitere: THE CURTAIN (1577), THE ROSE (1588), THE SWAN (1595), THE GLOBE (1599), THE HOPE (1613).5
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Globe Theatre
Abb.: Rekonstruktion des Original-Globe-Theatres
Dieses wohl prächtigste elisabethanische Theater brannte 1613 bei einer Aufführung von HENRY VIII. bis
auf die Grundmauern nieder – und wurde 1614 noch prächtiger wieder aufgebaut. Nach dem Theaterverbot unter Jakob I. wurde es 1644 abgerissen.
Drama und Theater im elisabethanischen England
Im Globe Theatre wurden die meisten Dramen
Shakespeares uraufgeführt.
3
[Peter Simhandl „Theatergeschichte in einem Band“, Henschel Verlag, © 2007, Seiten 77/78]
„Die meisten öffentlichen Theater lagen im traditionellen Vergnügungsviertel der kleinen Leute am Südufer
der Themse, also außerhalb der Londoner Stadtmauern und somit des Einflussbereiches der puritanisch eingestellten, theaterfeindlichen Stadtregierung. Die Bauten hatten die Form eines runden oder achteckigen
Turmes, dessen massives Mauerwerk von mehreren Fenstern durchbrochen war. Auf der einen Seite erhob
sich das hohe Bühnenhaus mit den Garderoben und der Requisitenkammer. Wenn gespielt wurde, wehte auf
dem Dach eine weiße Fahne. Der offene Innenhof war umgeben von dreistöckigen umlaufenden Galerien“
(Laubengänge, die in die Zimmer führten), wo das bessere Publikum seine Plätze hatte.
„Wie eine Zeichnung des SWAN THEATRE zeigt,
sprang vom Bühnenhaus her eine auf niedrigen
Säulenstümpfen liegende Plattform ins Parkett
vor. Im Raum darunter, der entsprechend den
noch immer nachwirkenden Konventionen des
mittelalterlichen geistlichen Spiels als »Hölle« bezeichnet wurde, befanden sich technische Einrichtungen wie eine Hebemaschine, mit der zum Beispiel die Hexen in Macbeth durch einen Ausschnitt
im Bühnenboden auf die Spielfläche befordert wurden. Die Versenkung diente aber auch der »magischen« Erscheinung von Versatzstücken und konnte die Bedeutung einer Wasserfläche oder eines
Grabes annehmen.
Die neutrale Spielfläche wurde in engem Kontakt mit den Zuschauern bespielt. In der publikumsnahen
Position agierten vor allem die Narren und die Bösewichter, die in ihren Reden oft direkt auf die Lebenswelt
der sie umgebenden plebejischen Zuschauer anspielten. Die Versatzstücke, wenn überhaupt welche gebraucht wurden, imitierten nicht die Realität, sondern gaben zeichenhafte Hinweise auf sie. Ein Baum
zum Beispiel konnte für einen Schlossgarten stehen oder für einen Wald, je nachdem, welche Bedeutung
ihm durch die Figurenrede zugewiesen wurde.“
Den Londoner Theatermachern gelang etwas Außergewöhnliches: die soziale Nivellierung des Publikums
während der Vorstellungen. Protegiert vom Adel spielten die Kompanien oft am Hof. Aber der Adel war
sich auch nicht zu schade Vorstellungen in den öffentlichen Spielstätten in den Vergnügungsvierteln zu
besuchen. (Dennoch hatten sie selbstverständlich ihre eigenen, teuren, vom gemeinen Volk abgetrennten
„gentlemen’s rooms“, Logen in unmittelbarer Bühnennähe.)
Die Vorstellungen waren Volksfeste, die Atmosphäre glich der eines heutigen Fußballspiels. Man spielt bei
Tag. Es durfte gegessen und getrunken werden.
Drama und Theater im elisabethanischen England
Zur Hinterbühne führten zwei Türen; weil in einer
ganzen Reihe von Dramen der Zeit plötzliche Entdeckungen eine wichtige Rolle spielen, wird vermutet, dass es dahinter einen beweglichen Vorhang
gab. Darüber sind auf der Zeichnung des Swan
Theatre sechs Logen zu sehen, die wohl für hochstehende Besucher vorgesehen waren. Eine davon
diente wahrscheinlich zur Darstellung von BalkonSzenen, eine andere vielleicht als Raum für die Musiker. Das von zwei Säulen getragene Dach über der
Plattform (Soffitte) hatte die Funktion, die Schauspieler vor Regen und Sonne zu schützen; durch seine Bemalung mit Sonne, Mond, Sternen und Tierkreiszeichen symbolisierte es den Himmel. Über dem Plafond erhob sich noch eine Art Hütte, aus welcher der Trompeter heraustrat und den Beginn der Vorstellung ankündigte.
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c) Feste, private Theater
Nach Möglichkeit wurde in geschlossenen Räumen gespielt: Unabhängigkeit von Jahreszeiten, Wetter
und Tageslicht, sowie intimere Spielatmosphäre. Höhere Eintrittspreise sorgten für eine gewisse Exklusivität. Dadurch war aber auch ein erhöhter technischer Aufwand möglich – sowie die Wiedereinführung
der Musiktradition der Chorknaben. (Bis 1608 traten in den privaten Theatern nur Kinder auf.)
d) Höfische Theater
Kennzeichnend für die Aufführungen am Hofe Elisabeths ist die Verwendung von bis zu einem halben
Dutzend „mansions“, die dem Simultanprinzip gehorchend auf einer Plattform (oder bei Maskenspielen
mit Tanz übers gesamte Parkett) verteilt waren, während die Zuschauer auf Gerüsten an der Wand saßen. INIGO JONES (Hofarchitekt der Stuarts) entwarf vor allem für die Maskenspiele („masques“) eine
Bühne nach dem Vorbild der italienischen Höfe mit Proszeniumsrahmen, Bühnenvorhang, beweglichen
Seitenkulissen, Tiefenprospekt und einer Maschinerie, die einen raschen Szenenwechsel erlaubte. (Guckkastenbühne wurde vorweggenommen.)
Am Hofe
Drama und Theater im elisabethanischen England
„mansions“ im Mittelaltertheater
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3. DRAMATIK
Grundsätzlich ordnete sich die Dramatik der antiken Aufteilung in Komödie und Tragödie unter, obgleich
Mischformen immer beliebter wurden. Hauptsache: kommerzieller Erfolg!
Erlaubt war, was gefiel! Da erscheinen edle und gemeine Menschen auf ein und derselben Szene; das
Komische steht unmittelbar neben dem Tragischen; und die Forderung nach den 3 Einheiten war solange
gut, bis ein Orts- oder Zeitenwechsel eben besser war.
Mit einigen Ausnahmen (Ben Jonsons Werke etwa) lässt sich eine Abkehr von der strengen aristotelischen
Poetik zugunsten möglichst spektakulärer Plots beobachten.
TRAGÖDIEN
Großen Anklang fanden Rachedramen. Z. B. Thomas Kyd6 SPANISH TRAGEDY (lässt Shakespeares Hamlet
vorausahnen: angefangen bei einer in einer Liebeslaube schaukelnden Leiche enthielt es alles, was man
sich an Mord und Totschlag wünschen konnte.) oder John Webster7 DUCHESS OF MALFI – blutige Inszenierungen der verschiedensten Gewalttaten.
Auch großer Beliebtheit erfreute sich die Ehetragödie, z.B. Shakespeare8 OTHELLO.
KOMÖDIEN
Vertreter der „city comedy“ sind z.B. Thomas Decker9 (THE SHOEMAKER’S HOLIDAY) und Thomas Middleton10 (A CHASTE MAID IN CHEAPSIDE): diese Form setzte sich satirisch mit dem Stadtleben auseinander.
Ben Jonson11 (VOLPONE): seine Lustspiele thematisieren den Konflikt des Individuums mit der Gesellschaftsordnung. Jonson gilt als Autor, der vor allem für den höfischen Rahmen schrieb. Er sprach der Satire in Anlehnung an Cicero korrektive Fähigkeiten zu.
John Lyly12 hingegen schuf vornehmlich Liebeskomödien, die sich in ihrem Handlungsaufbau an Romanen
orientierten: Die komplexe Fabel zeigt hier ein Paar, das zahlreiche Hindernisse (= Peripetien) überwinden
muss, ehe es zueinander kommen kann.
HISTORIEN
6
Thomas Kyd (* 3. November 1558 in London; † 16. Juli 1594 ebenda) war ein englischer Dramatiker und gilt neben William Shakespeare und Christopher Marlowe als einer der bedeutendsten elisabethanischen Dramatiker.
7
John Webster (* um 1579 in London; † um 1634 ebenda) war ein englischer Dramatiker.
8
William Shakespeare (getauft am 26. April 1564jul. in Stratford-upon-Avon; † 23. Apriljul./ 3. Mai 1616greg.[1] ebenda) war ein
englischer Dramatiker, Lyriker und Schauspieler. Shakespeare gehört zu den bedeutendsten und am meisten aufgeführten und
verfilmten Dramatikern der Weltliteratur. Seine überlieferten Werke umfassen 38 Dramen, außerdem Versdichtungen, darunter
eine Sammlung von Sonetten.
9
Thomas Dekker, auch Thomas Decker oder Thomas Dekkar, (* um 1572 in London; † 25. August 1632 ebenda) war ein englischer
Dramatiker.
10
Thomas Middleton (getauft 18. April 1580; † 1627) war ein englischer Schriftsteller und Poet.
11
Ben Jonson, eigentlich Benjamin Jonson (* 11. Juni (unsicher) 1572 in London; † 6. August 1637 ebenda), war ein englischer
Bühnenautor und Dichter.
12
John Lyly (* 1553 in Kent, England; † November 1606 in London) war ein englischer Schriftsteller der Renaissance und Begründer
des Euphuismus (intellektualisierte Form des Schwulstes), außerdem Angestellter im Haushalt von Edward de Vere, dem Earl of Oxford.
Er schrieb mehrere Dramen und prägte in den 1580er-Jahren das Repertoire von Kindertheatergruppen u.a. der Chapel Royal
13
Christopher Marlowe (getauft 26. Februar 1564 in Canterbury; † 30. Mai 1593 in Deptford), Spitzname „Kit“, war ein englischer
Dichter, Dramatiker und Übersetzer des elisabethanischen Zeitalters.
Drama und Theater im elisabethanischen England
Shakespeares Königsdramen fallen ebenso in diese Kategorie wie viele Stücke von Christopher Marlowe13, dessen Tragödien seinen Ruhm begründeten (THE TRAGICAL HISTORY OF DR. FAUSTUS [nahm in groben
Zügen Goethes Faust vorweg], THE JEW OF MALTA).
6
MASKENSPIELE
Maskenspiele (masques) sind eine höfische Form, die vor allem unter Jakob I. blühte – sie sollten die
Macht des Königs darstellen. Es handelt sich dabei um Darbietungen auf der Bühne mit spektakulären
Effekten und Tanzeinlagen. Häufig partizipierten Mitglieder des Hofes an den Aufführungen. Bekannte
masques sind u. a. die MASQUE OF BLACKNESS (1605) und die MASQUE OF QUEENS (1609).
Ben Jonson
Thomas Middelton
Christopher Marlowe
Drama und Theater im elisabethanischen England
William Shakespeare
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a) Grundlagen und Einflüsse aufs elisabethanische Theater
i) „morality plays“
Neben dem mittelalterlichen Mysterienspiel entstand im 14.
JH die Moralität („morality play“). Es wurden in Allegorien
Tugenden, Laster und personifizierte menschliche Eigenschaften in einfachen Handlungen auf die Bühne gebracht. Im Mittelpunkt stand der Mensch („mankind“) in einer Konfliktsituation.
Diese Ausgangssituation war fürs elisabethanische Theater
sehr ergiebig! Gutes Beispiel Shakespeares HENRY IV. Der
Prinz steht zwischen Falstaff, der ihn zu verantwortungslosem Leben (reiner Genuss des irdischen Daseins) verführen
will – und Hotspur, der die Verkörperung des egoistischen
Ehrgeizes und Machtstrebens ist.
Während in den „mystery plays“ der Teufel eine äußerst
wichtige Rolle hatte, so trat in den „morality plays“ das Laster
(„vice“) an sein Stelle, die die Aufgabe hatte, die Zentralfigur
zum Lasterleben zu verführen. Oftmals in Verkleidung, als
scheinbarer Freund. Das „vice“ sorgte auch oft durch derbe Späße und Zoten und eine witzige Sprache
zur Auflockerung der ansonsten erbaulichen Handlung, zur Unterhaltung des Publikums. Dazu gehörte
auch das direkte Ansprechen des Publikums inklusive Einweihens in die lästerlichen Pläne.
Während des 16. JHs wurde das „vice“ aus seinem ursprünglichen Kontext heraus und in andere Gattungen hinein genommen; meist im Narrenkostüm. Nach und nach wurde aus dem Seelenkampf die
Intrige zum Zentrum des Geschehens. Und „vice“ zettelte diese an. Dazu benötigte er kein Motiv(!!!),
es geschah aus der puren Freude daran, anderen Leid zuzufügen oder aus dem Ehrgeiz, im verbrecherischen Tun absolute Perfektion zu erreichen.
ii) Shakespeare und „vice“
Titus Andronicus:
Richard III.:
Othello:
Wie es euch gefällt:
Was ihr wollt:
Henry IV.:
Aaron
Titelfigur
Jago
Touchstone
Feste
Falstaff
iii) „Interludes“
Kennzeichen: witziger, pointierter Dialog; zweitrangige, kurze, einfache Handlung; geringe Figurenzahl
Vieles deutet darauf hin, dass die „interludes“ bei Festlichkeiten als dramatische Einlagen unter Verzicht auf eine Bühne und Bühnenausstattung gespielt wurden.
Zum 1. Mal (Henry Medvall: Fulgens and Lucres) wurden die Vorgänge der Haupthandlung in einer
Nebenhandlung auf sozial niedrigerer Ebene gespiegelt. Shakespeare verwendete dieses Verfahren
meisterlich.
iv) lateinische Komödie
Plautus/Terenz  zusammenhängende, logische Handlung; Einteilung in Akte und Szenen;
klare Trennung zwischen Komödie und Tragödie; Erweiterung der Bühnentypen
Drama und Theater im elisabethanischen England
Gegen Ende des 15. JHs und im frühen 16. JH entstand in England eine neue dramatische Gattung:
die (zum 1. Mal !!!) rein weltlichen Interludien („interludes“). Sie dienten vor allem der Unterhaltung!
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v) Shakespeare und Plautus/Terenz
HENRY V./HENRY IV./ROMEO & JULIET/WINTER’S TALE:
Einführung von Prologfiguren
HENRY IV./AS YOU LIKE IT:
Epiloge
COMEDYS OF ERRORS/WINTER’S TALE/CYMBELINE:
wiedervereinigte Familie, Auftauchen verschwundener Kinder
Allgemein:
Frauen als Männer verkleidet
Brautentführung
Miles Gloriosus
vi) Einflüsse der Commedia dell’arte
Die Verwendung von meist 2 Liebespaaren und 2 komischen Dienern, von denen der eine durch
Schlagfertigkeit und Geistesgegenwart seinen Herrn unterstützt und der andere durch Stumpfsinn
und Tölpelhaftigkeit Verwirrungen stiftete.
Sowie der plautinische Miles Gloriosus, der in der CdA zum großsprecherischen und eitlen Gecken
weiterentwickelt worden war – und der Pedant und der Quacksalber.
vii) Shakespeare und die CdA
LOVE’S LABOUR’S LOST:
Holofernes = Pedant, Don Armado = Miles Gloriosus, Moth = witziger Diener,
Costard = tölpelhafter Diener
TAMING OF THE SHREW / MERCHANT OF VENICE / MERRY WIVES:
3 Liebhaber werben um eine Frau
TWO GENTLEMEN / TAMING OF THE SHREW:
kontrastierende Dienerpaare (Speed/Launce und Tranio/Grumio)
vii) lateinische Tragödie: Einfluss Senecas
Seneca wählte mit Vorliebe sensationelle Episoden aus der Mythologie mit MORD, RACHE, INZEST und
EHEBRUCH. Von der griechischen Tragödie hatte er Chor und Protagonist übernommen – und fürs
Personal Gottheiten, Furien und Geister. Charakteristisch ist das Berichten der Handlung: Monologe,
Dialoge und Botenberichte in kunstvoller Rhethorik.
Vor allem im Frühwerk lange Passagen in kunstvoller Rhethorik sowie Botenberichte
TITUS ANDRONICUS:
Rache in Verbindung mit Kannibalismus ( Thyestes); 13 Tote
RICHARD III.:
Werbeszene Richards um Lady Anne ( Hercules Furens)
KING JOHN:
dessen Sterberede ( Hercules Octaeus)
HAMLET:
Hamlets zur Rache gemahnender Geist
ABER AUCH PARODIEREND mit Pistol und Falstaff
ix) „history/historical plays“
Im 16. JH erwachte in England Nationalbewusstsein und Patriotismus. Dadurch beschäftigte man sich
verstärkt mit der eigenen Vergangenheit, insbesondere mit dem ausgehenden MA und der beginnenden Neuzeit. -> Chroniken -> Quellen für die neue Gattung der „history plays“. Sie lassen sich nicht
immer eindeutig von den anderen dramatische Gattungen abgrenzen. Ein wesentlicher Unterschied ist
aber, dass in den „history plays“ Vergangenheit deswegen lebendig wird, um ein umfassendes Bild der
gesellschaftlichen Situation zu präsentieren, anhand dessen Politik demonstriert werden kann und eigene Kommentare abgegeben werden können – und nicht um lediglich historische Einzelschicksale auf
die Bühne zu bringen. – Shakespeare hat diese Gattung wie kein anderer entwickelt:
2 Tetralogien (YORK: HENRY VI. Pt. 1, Pt. 2, Pt. 3 & RICHARD III. - - - LANCASTER: RICHARD II. & HENRY IV Pt.
1, Pt. 2 & HENRY V.) mit KING JOHN als Prolog und HENRY VIII. als Epilog.
Drama und Theater im elisabethanischen England
viii) Shakespeare und Seneca
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b) Prinzip »Gesprochene Dekoration« oder »Wortkulisse«
Hieraus resultierten Ansprüche an das Drama: Die Stückeschreiber mussten über eine besonders suggestive Sprache verfügen, die dem Zuschauer sowohl die Atmosphäre als auch die Gegenständlichkeit des
Schauplatzes vor Augen führte. Auch außerirdische Räume konnte man so imaginieren.
Einen Ausgleich zur sparsamen Dekoration der Bühne boten die opulenten Kostüme. Sie unterschieden
sich nicht wesentlich von der Mode ihrer Zeit; das belegen Hinweise, nach denen die Diener oft Kleider
von ihren Herrschaften erbten, sie aber aus Standesgründen nicht tragen konnten und darum an Schauspieltruppen verkauften. Jedenfalls waren die Kostüme prächtig und reich verziert.
Die rote Farbe symbolisierte Gewalt, die weiße Unschuld, die schwarze Trauer und Melancholie. Stand
und Nationalität wurden durch typische Zutaten angedeutet: Brustpanzer und Röckchen charakterisierten den römischen Soldaten, der Turban den Türken, lange Gewänder den Orientalen und der Kaftan den
Juden.
Die wichtigsten Rollentypen: Held, Schurke, Narr, Liebhaber, junges Mädchen (von männlichen Jungschauspielern vorm Stimmbruch dargestellt). Selten Mütter
c) Schauspieler
An die Schauspieler wurden hohe Anforderungen gestellt. Hohe Komplexität und Differenziertheit waren
Grundsätze, die, wie alle Regeln, nur durch die Praxis weitergegeben wurden. Schriftliche Zeugnisse gibt’s
nur in Form von Lobreden, die generell den Realismus der großen Darsteller rühmen. (Vgl. die Anweisungen
an die Schauspieler, die Shakespeare Hamlet in den Mund legt.)
Zwei einander geradezu ausschließende Expertenmeinungen:
1) man habe sich an mehr oder minder feststehende Zeichen gehalten habe, so dass nur wenig Raum für
eine individuelle Interpretation blieb
2) es sei ganz naturalistisch, aus dem subjektiven Empfinden heraus, gespielt worden.
Sicher ist, dass die Akteure über eine breit gefächerte Ausdrucksskala und eine große körperliche und stimmliche Leistungsfähigkeit verfügten. Auch ihr Gedächtnis muss phänomenal gewesen sein, wurde doch täglich das Programm gewechselt und alle zwei Wochen ein neues Stück herausgebracht. Selbst die erfolgreichsten Dramen konnten nicht öfter als einmal im Monat aufgeführt werden. Von einer Truppe weiß man, daß sie
38 Stücke gleichzeitig im Repertoire hatte. Dieses System konnte nur funktionieren, weil die Schauspieler auf
bestimmte Fächer festgelegt waren.
Souffleur, Inspizient und vor allem der, der für jeden Schauspieler ein BOOK erstellte, das den Plot enthielt,
aus dem der Gesamtzusammenhang der Rolle hervorging, sowie eben die jeweilige Rolle inklusive der
Stichworte. Den kompletten Text bekamen die Schauspieler nicht, damit ein unerwünschtes Verbreiten der
Theaterstücke verhindert werden konnte.
e) Der Niedergang unter Jakob I.
Das Theater entfernte sich immer mehr von dem auf alle Schichten bezogenen Volkstheater der Elisabethanischen Epoche und wurde ein Theater der Elite. Immer mehr Stücke wurden einzig für die höheren
Schichten geschrieben. Vor allem die von Francis Beaumont / John Fletcher in Zusammenarbeit verfassten
Tragikomödien (vor allem Überraschungseffekte und erotische Pikanterien). Am bekanntesten DER RITTER
VON DER FLAMMENDEN MÖRSERKEULE.
Eine Pestepidemie von 1592-1594 war für die Puritaner Auslöser für ein Aufführungsverbot. Unter Jakob I.
bekamen sie Oberhand und setzten nach 1642 die endgültige Schließung und anschließende Zerstörung
aller öffentlichen Theater durch.
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d) Der >Bookkeeper<
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