Arbeitskreis Deutsche England-Forschung Bd. 7

Arbeitskreis Deutsche England-Forschung
Bd. 7
1988
Copyright
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Institute im Ausland (DGIA), zur Verfügung gestellt. Bitte beachten
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unerlaubte Verwendung, Reproduktion oder Weitergabe einzelner
Inhalte oder Bilder können sowohl zivil- als auch strafrechtlich verfolgt werden.
\
U .
o - q-
Arbeitskreis Deutsche England*Forschung
hrsg. im Auftrag des Vorstandes
Gustav Schmidt, Bochum
Veröffentlichung 7
„Victorian Values"
Arm und Reich im Viktorianischen England
Bernd Weisbrod (Hg.)
„VICTORIAN VALUES"
ARM UND REICH IM VIKTORIANISCHEN ENGLAND
Beiträge: Thomas Sokoll (Hagen)
Bernd Weisbrod (Bochum)
Karl H. Metz (Erlangen)
Alastair Reid (Cambridge)
Sidney Pollard (Bielefeld)
Pat Thane (London)
Studienverlag Dr. N. Brockmeyer
Bochum 1988
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Victorian Values : Arm u. Reich im viktorian. England / Bernd
Weisbrod (Hg.). Beitr.: Thomas Sokoll... - Bochum :
Studienverl. Brockmeyer, 1988
(Veröffentlichung / Arbeitskreis Deutsche England-Forschung ; 7)
(Jahrestagung ... / Arbeitskreis Deutsche England-Forschung ;
1987)
ISBN 3-88339-658-3
NE: Weisbrod, Bernd [Hrsg.); Sokoll, Thomas [Mitverf.]; Arbeitskreis
Deutsche England-Forschung: Veröffentlichung ; Arbeitskreis
Deutsche England-Forschung: Jahrestagung...
Bayerisch«
Staatsbibliothek
München
ISSN 0724-715-X
ISBN 3-88339-658-3
Alle Rechte vorbehalten
© 1988 by Studienverlag Dr. N. Brockmeyer
Querenburger Höhe 281,4630 Bochum 1
Gesamtherstellung: Druck Thiebes GmbH & Co. KG Hagen
INHALTSVERZEICHNIS
Vorwort
Einleitung
Thomas Sokoll
"Alte Armut". UnterstUtzungspraxis und Formen
lebenszyklischer Armut unter dem Alten Armenrecht,
1780-1834
Bernd Weisbrod
"Neue Armut". Markt und Moral unter dem Neuen
Armenrecht
Karl H. Metz
"Selbsthilfe". Anmerkungen zu einer
viktoria-
nischen Leitidee
Alastair Reid
Viktorianische Werte
in der
Arbeiterbewegung
Sidney Pollard
Viktorianische Werte
im Bildungssektor.
Logik des viktorianischen
Zur
Elementarschulwesens
Pat Thane
Weltlicher
und himmlischer Lohn.
system der viktorianischen
Verzeichnis der Autoren
Das W e r t e -
Mittelschichten.
iv
Vorwort
Der vorliegende
restagung
am 29.
Band enthält
des Arbeitskreises
die Beiträge
Deutsche
für die
Jah-
England-Forschung
Mai 198? in Mülheim/Ruhr. Die Referate, die alle
auf Englisch gehalten wurden,
erfuhren bei der Übertra-
gung ins Deutsche nur geringfügige Änderungen.
Lediglich
das Referat von Karl H. Metz, der aus persönlichen G r ü n den
verhindert
war,
wird
hier
in
der
Originalfassung
aufgenommen. Der Beitrag von Sidney Pollard entstand aus
einem
längeren Diskussionsbeitrag
auf der Tagung
selbst
und wurde vom Verfasser freundlicherweise für diese Veröffentlichung zur Verfügung
Für die finanzielle
gestellt.
Unterstützung
der Stiftung
genwerk, ohne die solche internationalen
renzen nicht stattfinden
ausdrücklich
Teil
der
gedankt.
könnten,
Frau
Schreibarbeiten,
sei an dieser
Susanne
Frau
Axt
Übernahm
Michaela
Charle
Text Ruhr) fertigte die
Computer-Druckvorläge.
Bochum/Hagen,
1988
im Januar
Volkswa-
workshop-KonfeStelle
einen
(Expo
Bernd weisbrod
v
vi
Einleitung
"Victorian Values" üben
im Großbritannien
Jahre eine eigenartige
schworen
und
Faszination
denunziert,
idealisiert
Sie sind zu einem Schlüsselbegriff
einandersetzung,
zu
aus:
einem
der
achtziger
sie werden beund
persifliert.
der politischen Aus-
Prüfstein
der
nationalen
Selbstvergewisserung und zu einem Brennglas der
schen Rückschau
Historiker,
geworden.
Schuld
daran
sind
sondern Margaret Thatcher,
neu geprägt
und in Umlauf gebracht
rungshandeln
historisch
zu
hat,
um ihr
um in Anknüpfung
an die Erfolgsgeschichte der viktorianische
die
"permissive
society"
der
Gesellschaft
sechziger
siebziger Jahre, sondern auch den als Krisenursache
gemachten sozialen Konsens der Nachkriegszeit
zu können.
zu
angetreten,
und eine neues na-
tionales Selbstbewußtsein zu schaffen,
nur
Regie-
und national
überhöhen. Sie war mit der erklärten Absicht
nicht
die
die den Begriff
legitimieren
eine moralische Wende herbeizuführen
histori-
nicht
und
aus-
überwinden
Unter dem Motto der "Victorian Values" ver-
ordnete sie der Nation eine Rückkehr
culture", d5e Großbritannien
frei, reich und mächtig gemacht
eine
zu der
"enterprise
in ihren Augen schon einmal
Zweifellos
wird
Jahrzehnts
recht unterschiedlich
hatte.1
politische
Bilanz
des
ausfallen.
ThatcherSicher
er-
scheint nur jetzt schon, daß der Ertrag, wie immer er zu
beurteilen sein wird,
kaum den propagierten
moralischen
Werten wird zugeschrieben werden können. Trotz der feststellbaren
Verschärfung
des
öffentlichen
in Fragen des "law and order",
1
Meinungsklimas
der Abtreibung
oder
der
Homosexualität,
ist
dem
Großbritannien
Jahre eine politisch relevante,
der
achtziger
moralisch-religiöse
weck ungsbewe gun g nach dem Muster der Vereinigten
Er-
Staaten
erspart geblieben. Auch die Beschneidung des staatlichen
Sektors in der Wirtschaft wie in den sozialen Dienstleistungen
scheint
weniger
den
moralischen
Vorzügen
des
"Individualismus" gegenüber dem "Kollektivismus" zu verdanken zu sein,
als den ökonomischen
Imperativen einer
mehr oder weniger offenen Umverteilungspolitik.
diesem Prozeß die zentralstaatlichen
Instanzen
Daß
in
entgegen
der offiziellen anti-etatistischen Doktrin gestärkt, die
kommunalen
SelbstVerwaltungsorgane
Gewerkschaften
Zunahme
geschwächt wurden,
und Isolierung
Unterklasse
aber
bewußt
einer
sprunghafte
verarmenden
erteilt wurde,
Stellung
schen Nord
und Süd,
mit
einer
Arm und
die
daß die
in Kauf genommen,
nationalen
wie
relativ weiter
Gesellschaft" aber offen Absolution
tes Gewinnstreben
ebenso
der
für
daß
"Zweidrittel-
ihr ganz priva-
die
nationalen
Stärkung
der
Spaltung
zwi-
Reich erkauft wurde,
all
dies sollte vor einer Überbewertung der moralischen werte im politischen Haushalt der Thatcher-Jahre warnen. Im
Konflikt zwischen den beschworenen traditionellen werten
und den ebenfalls beschworenen Marktkräften,
so scheint
2
es, setzten sich bisher doch immer letztere durch.
Insgesamt dürfte es noch nicht ausgemacht
langfristigen Folgen die Aufkündigung
senses
wird.
für
Die
die
Akzeptanz
des
sein,
welche
des sozialen
Wohlfahrtstaates
Meinungsumfragen zeigen jedenfalls,
Konhaben
daß die
Mehrheit der Briten - trotz eines weit verbeiteten
popu-
lären Thatcherismus - an der wohlfahrtsstaatlichen
Defi-
nition ihrer Staatsbürgerschaft festhält und von der geo
wünschten
"enterprise culture" noch weit entfernt
ist.
Auch über die möglichst weitgehende Ausgrenzung der Ge-
2
werkschaften
in den
ist
trotz der eindeutigen
industriellen
MachtVerlagerung
Arbeitsbeziehungen
noch
nicht
das
letzte Wort gesprochen,
wie die jüngsten Lohnauseinan4
dersetzungen zeigen.
Obwohl also die Bilanz in vieler
Hinsicht
offener
ist,
Thatcherismus vorgibt,
von
der
politischen
als
die
Selbststilisierung
der
stellt sich doch auch unabhängig
Brauchbarkeit
die
Frage
historischen Fundierung des Wertekanons, der
nach
der
der vikto-
rianischen Gesellschaft zugeschrieben wird.
Für Historiker
genheit
ist der Versuch von Politikern,
zu besetzen
sieren,
und parteipolitisch
weder neu noch verwunder lieh.
keineswegs
nur
einer
manipulativen
zu
Vergan-
funktionali-
Er enstpricht ja
Absicht,
sondern
einem breiten gesellschaftlichen Bedürfnis nach historischer
Standortbestimmung.
Die
andauernde
Beschäftigung mit der Vergangenheit
rem jeder Generation wieder
neu,
Öffentliche
erlaubt unter
ande-
sich eigene Zukunfts-
visionen zu erschließen. Der moralische Feldzug Margaret
Thatchers
zur
Regeneration
der
Nation beruht
in diesem
Sinne auf einem historischen Identitätsangebot,
lerdings unter Ausschaltung
aller störender
die vermeintlich
guten
Der
Begradigung
Versuch
zur
das al-
Aspekte
"Victorian Values" verkürzt
schichte und die öffentliche
der
nationalen
Erfolgsge-
ihrer
Grund-
werte müssen jedoch in einer offenen Gesellschaft
unwei-
gerlich zur Wiederkehr des
bes führen:
Kanonisierung
auf
ist.
verdrängten historischen
Er-
Die Beschwörung der "Victorian Values" kann
somit sowohl die nostalgische Verklärung des viktorianischen Zeitalters als auch dessen Entzauberung
zur Folge
haben.
Der etwas verspätet einsetzende Versuch von Historikern,
die
politische
Metapher
historisch
3
zu
überprüfen
und
den
vermeint liehen
tisch fruchtbar
Es
ist
viktorianischen
zu machen,
kein Zufall,
daß
Wertewandel
sich
Öffentliche
Auseinandersetzung
erwünschten
Geschichtsbild,
die
mit
eine
bisher
dem
den
großen
sozialpolitischen
aufwendigste
regierungsseitig
mehrteilige
serie Uber die "Victorian Values",
mit
analy-
scheint dies zu bestätigen.
fast
Fernseh-
ausschließlich
Errungenschaften
der
viktorianischen Zeit befaßte. Unter der Prämisse, daß es
allgemeinverbindliche Werte nie gegeben habe,
wurde da-
bei der Ausbau des öffentlichen Gesundheits- und Erziehungswesens
und die
Befriedung
sozialer
Konflikte
doch
durchgängig auf die wachsende Bereitschaft des viktorianischen Gemeinwesens zurückgeführt,
die politische Vei—
antwortung für die "soziale Frage" zu übernehmen.
die großen Leistungen und Defizite der privaten
Auch
Philan-
thropie erschienen somit als Begründungszusammenhang
5
für
einen
Die
wachsenden
politischen
Sozialstaatsinterventionismus.
Revisionisten des
des waren jedoch angetreten,
schrittsdenkens,
pretation
of
die
History"
englischen
Geschichtsbil-
gerade diese Art des Fort-
in der Tradition der "Whig Intersteht,
unter
Berufung
auf
die
"Victorian Values" auszuräumen.
Margaret Thatchers eigene Version der "Victorian Values"
läßt diese Stoßrichtung deutlich erkennen.
Ihr kommt es
vor allem,
Tiefenschär-
unabhängig von der historischen
fe, auf die individualistischen Werte im viktorianischen
Wertekanon an. Es handelt sich im Grunde um die historische Zuschreibung
die
im
von allgemeinen
nach-viktorianischen
der Erziehungs- und Lebensstile
insbesondere
Sozialisationsregeln,
England
bis
zur
Umwälzung
in den sechziger
in Aufsteigerfami 1ien als
Jahren
verbindlich
gel-
ten dürfen:
"I was brought up to work jolly hard.
We were
taught to live within our income, that cleanliness
4
is next to godliness. We were taught self-respect.
You were taught tremendous pride in your country.
All those are Victorian virtues..."
Diese Lebensweisheiten
seien,
so proklamierte
Margaret
Thatcher schon ig81, weder neu, revolutionär oder spezifisch viktorianisch
sondern ganz einfach ewige Wahrhei-
ten :
"We have discovered the old verities.
Individual
freedom and repsonsibility are the springs of our
prosperity, as well as the foundations of our moral
order." Oder noch prägnanter:
"Victorian Values
aren't Victorian,
they're really, I think, fundamental truths."
Aus
sich
dieser
Trivialfassung
jedoch
schließen,
auf
der
einen
nicht
viktorianischen Zeit,
tungsversuchen
eine
der
Set
nur
"Victorian
von
Values"
Werthaltungen
in den
Selbstzeugnissen
hervorragende
Rolle
gespielt
"activism,
"the
sie
entrepreneurial
Eingang
unter
spirit","the
hat.
voluntarism,
p
respectability and the pursuit of liberty."
fanden
der
sondern auch in den späteren Deu-
Nach Brian Harrison sind dies:
storiographie
läßt
zurück-
In der Hi-
anderem
self-help
als:
ideolo-
gy","the cult of respectability","the civilizing mission
of the English race".
Unternehmensgeist,
Freiheitsliebe
Wertekanons
Selbsthilfe,
mögen
gebildet
den
Respektabilität
identifizierbaren
haben,
Kern
und
eines
dessen die Viktorianer
zur
eigenen Selbstverständigung bedurften. Man kann sogar argumentieren,
für
die
bildeten.
Kitt
für
daß solche Werthaltungen
spezifische
Sie
den
politische
lieferten
Schlußstein
Staatsbildungsprozesses,
Liberalismus
als
Kultur
gewissermaßen
im großen
indem sie
sozio-kulturelle
5
das Unterfutter
Großbritanniens
den
Bogen
moralischen
des
modernen
Individualismus
Normen
der
und
Marktge-
sellachaft etablierten
rianer
als
große
eigenen Erfolgs
einzuklagen,
und a b s i c h e r t e n . 9
Moralisten
und
jedoch nicht
müde
Daß die
Vikto-
Propagandisten
ihres
wurden,
Werte
diese
läßt allerdings auch den Schluß zu,
"that
they were often proclaimed not because they were conspiabsent."10
cious but because they were
Unabhängig von der historischen Verifizierung dieser Interpretationen gilt allgemein, daß der moralische Appell
an
sich
immer
gleichzeitig
eine
Identifikations-
wie
auch eine Ausgrenzungsstrategie beinhaltet. Er gilt primär
den Anderen
rung der
und dient
in der
Selbstrechtfertigung,
impliziten
nicht ohne
Distanzie-
gleichzeitig
die soziale Offenheit und Allgemeingültigkeit des Wertesystems zu bekunden.
bestand
in dieser
Der Vorzug der "Victorian
Hinsicht gerade
darin,
daß
Values"
sie eine
umfassende Aufstiegserwartung stifteten, ohne die soziale Hierarchie
der dadurch
freigesetzten
dynamik opfern zu müssen.
einen
Teil
tungsleistung
rian
Values"
dar,
die
schaftlichen
Prosperität
Mobilisierungs-
Insofern stellten die "Victojener
kulturellen
langfristig
-
die
-
Selbstdeu-
neben
alle
der
wirt-
Lebensbereiche
durchdringende "class competition" mit der
Legitimitäts-
grundlage ausstattete, die für eine "viable class society" erforderlich
Eine
war.11
Schlüsselfrage
für
die
moralische
entwickelten Martktgesellschaft
stellt
Legitimität
zweifellos
der
- da-
mals wie heute - das Problem der Armut dar. Es ist daher
naheliegend,
menwesen
des
den großen Umbruch
zum Ausgangspunkt
behaupteten
Anspruchs
im viktorianischen
der historischen
und
der
Ar-
Überprüfung
vermeintlichen
wir-
kunsgweise der "Victorian Values" zu machen. Dabei zeigt
sich,
daß die Grundsätze
der Reform
6
von 1834
zu einer
eklatanten
Fehlwahrnehmung
des vor-viktorianischen
ten Armenrechts" geführt haben, dessen Grundlagen
im Hinblick
struktur
auf
als
die
auch
lebenszyklisch
im Hinblick
auf
bedingte
die
manche Ähnlichkeiten mit den modernen
Bedürfnis-
Transferleistung
Wohlfahrtssystemen
aufwiesen. Das auf dieser falschen historischen
aufbauende
Arbeitshaussystem
des
"Al-
sowohl
"Neuen
Prämisse
Armenrechts"
folgte einer rigorosen Marktdoktrin, die den moralischen
Erfordernissen
Alten
der Massenarmut
in keiner Weise gerecht
von Kindern,
Frauen
zu werden vermochte.
und
Die
zentrale Kategorie der "Selbsthilfe", die den
sozialphi-
losophischen
Armenpoli-
Kernbestand der
tik ausmachte,
Wandel
zu
viktorianischen
geriet darüber
einem
neuen
in eine
liberalen
die
den
Staatsverständnis
Krise,
an-
zeigte.
Auch im Bereich der industriellen Arbeitsbeziehungen
des Erziehungswesens
läßt sich zeigen,
rian Values" zu einer Fehlwahrnehmung
xis
ließ
und der
die
von ihr
viel
beschworene
Staatsferne
führten.
des
für
PraSo
viktoriani-
marktgesteuer-
kollektive Konfliktregulierung und Bedürfnisbefrie-
digung unter staatlichem Schutz und mit gezielter
licher
sich
und
"Victo-
der sozialen
transportierten Werte
schen Individualismus durchaus Platz
te,
daß die
Förderung.
In der hochviktorianischen
staat-
Zeit
läßt
jedenfalls kein historisches Vorbild für eine neo-
liberale
Politik
Gewerkschaftsrechte
finden,
die
zu einem
die
Beschneidung
Prüfstein
der
marktwirtschaft-
licher Verfassung macht. Der zügige Ausbau des öffentlichen Schulwesens in der zweiten Hälfte des 19.
Jahrhun-
derts und insbesondere die gezielte staatliche
Förderung
naturwissenschaftlich-technischer
darüberhinaus
auf
die
Bildungsinhalte
spezifische
eines Bildungsmarktes hin,
dessen staatliche
7
weisen
Leistungsfähigkeit
Engführung
die für das industrielle Vorreiterland erforder liehe Innovationsfähigkeit
und
adäquate
Zweck-Mittel-Relation
der Bildungsinvestitonen gewährleistete, ohne die private oder staatliche Trägerschaft zum Dogma zu erheben.
Beide Beispiele belegen anschaulich, wie wenig
tig eine Interpretation ist,
viktorianischen
stichhal-
die den seit dem Ende der
Zeit beschleunigten,
relativen
gang der britischen Wirtschaft primär
auf die
Nieder-
Preisgabe
von "Victorian Values" zurückführt. Die englische Krise,
die heute mit Hilfe
der alten
Werten überwunden
werden
soll, scheint jedenfalls in der spätviktorianischen
nicht
durch
einen
wirtschaftlichen
Mangel
an
Unternehmensgeist
Führungsschicht
oder gar moralisch determiniert
und
somit
und
der
kulturell
gewesen zu sein.
mehr eröffnen gerade die religiösen
Zeit
in
Viel-
geschlechtsspe-
zifischen Erfolgsparamter der bürgerlichen Familien eine
zusätzliche
Dimension
der
wieder
heute
der
"Victorian
nostalgisch
Values",
verklärten
die
mit
häuslichen
Frauenrolle und individuellen Moral nichts zu tun hat.
Es kann bei einer historischen
Sondierung
des Begriffs-
horizonts der "Victorian Values" nicht darum gehen,
den
heutigen politischen Gebrauch des Begriffs zu widerlegen
oder zu bestätigen.
dere
ausgemacht werden,
der
Selbstverständlich könnten auch an-
Bedeutungsfelder
viktorianischen
des
viktorianischen
Wertewandels
die Zusammenhalt und "national mood"
Gesellschaft
in
ihrer
Widersprüch-
lichkeit und Dynamik kennzeichnen, so die tiefe Religiosität
angesichts eines
ses,
der naturwissenschaftlich-technische
glaube
oder
vor
der
dem
rasanten
Hintergrund
Säkularisierungsprozes-
eines
Freihandels-Internationalismus
8
Fortschritts-
romantischen
als
Revival
Nährboden
für
ein
wachsendes
nationalistisches
und
12
sogar rassistisches Uber legenheitsgefühl.
schließlich
Die hier in den Vordergrund gestellte Schlüsselfrage des
gesellschaftlichen
zeigt jedoch,
bereich
des
Verhältnisses
von
"Arm
und
Reich"
daß die "Victorian values" in einem Kernnationalen
Selbstverständnisses
auf
einem
moralischen Code beruhten, dessen ideologische und politische Aufladung damals ebenso umstritten war wie heute,
"Victorian Values" sind
weder ewige Wahrheiten noch das
Ergebnis einer bürgerliehen,
eigentlicher
erst
Sinn
offenbart
im Kontext einer
kulturellen Hegemonie, ihr
sich,
politischen
und
damals
die sich in ihrem Zeichen zu legitimieren
9
wie
sozialen
sucht.
heute,
Praxis,
Anmerkungen
1
Aus der Flut der Literatur zur "Thatchei—revolution"
vgl. zur Einführung D. Kavanagh, Thatcherism and British Politics: The End of Consensus?, Oxford 1986.
2
Vgl. den knappen Abriß bei Colin Crouch, Großbritannien unter der Regierung Margaret Thatchers,
in: Aus
Politik und Zeitgeschichte B 38(1987), S. 3-14. Ein
drastisches Bild der Umverteilungseffekte der konservativen Wirtschsftspolitik gibt der Bericht der Child
Poverty Action Group (Hg), The Growing Divide - A Social Audit 1979-87, London 1987.
3
Vgl.
den letzten Bericht des unabhängigen Institute
for Social and Community Planning:
Roger Jowell u.a.
(Hg), British Social Attitudes: The 1987 Report, London 1987\
4
Vgl. zur Gewerkschaftspolitik den Sammelband von Otto
Jacobi und Hans Kastendiek (Hg), Staat und industrielle Beziehungen in GroßbritanniTn
(Sehriftenre ihe
der Deutsch-Britischen St iftung für das Studium der
Industriegesellschaft), Frankfurt 1985.
5
Vgl. James Walvin, Victorian Values. A Companion to
the Granada Television Series^
London 1987 (in Kurzfassung als Beilage zu History Today,
April 1987);
vgl, a. Victorian Values. Historians take issue with
Mrs.Thatcher, in: New Statesman,
27. März 1983.
6
Margaret Thatcher, in: The Standard, April 1983, zit.
als Motto in: walvin, Victorian Values, S. 1.
7
Zit. in: Brian Harrison, Old Verities, in: London Review of Books, 19. Juni 1986.
8
Ebenda.
9
So etwa Philip Corrigan und Derek Sayer,
The Great
Arch. English State Formation as Cultural R e v o l u t i o ~
London 1985.
10 So schon Asa Briggs,
The Age of Improvement 17831867,
(1959) überarbeitete Neuauflage London 1979,
S. 450. Briggs zählt hier "the gospel of work,
seriousness of character, respectability and self-help"
zum Kernbestand des "Victorianism".
10
11 Zur Konzeption der "viable class society" vgl. Harold
Perkin,
The Origins of Modern English Society 17801 8 8 0 f London 1969.
12 Vgl. z.B. schon die Hinweise in dem EinfUhrungskapitel von Asa Briggs,
Victorian People (1955),
Harmondsworth 1965.
11
12
Thomas Sokoll
"ALTE ARMUT".
UNTERSTÜTZUNGSPRAXIS UND FORMEN LEBENSZY-
KLISCHER ARMUT UNTER DEM ALTEN ARMENRECHT,
1780-1834
Für die Herausbildung des sozialen Selbstbewußtseins der
viktorianischen
des
Neuen
zu,
Mittelschichten
Armenrechts
von
1834
kommt
der
eine
Durchsetzung
Schlüsselfunktion
und zwar in einem zweifachen Sinne.
Zum einen mar-
kierten die "principles of 1834" eine neue Form der Arbeitsethik,
dung
die auf der vermeintlich klaren Unterschei-
zwischen
dem
per" beruhte.
"independent
labourer" und dem
"pau-
Nach diesem Verständnis war das Alte
Ar-
menrecht deshalb gescheitert, weil es genau diese Unterscheidung
dung,
zunehmend
die es
einfacher wie
ten galt:
verwässert hatte - eine
in Zukunft
durch Anwendung
zuverlässiger
Prinzipien
Unterschei-
zweier
aufrechtzuerhal-
dem Grundsatz der "less eligibility",
die materielle
Lage des
mann klar ersichtlich
"paupers"
ebenso
immer
und für
wonach
jeder-
unterhalb desjenigen Standards
zu
halten sei,
der dem am.schlechtesten bezahlten Arbeiter
entspreche;
und dem "workhouse test", wodurch
stellt werde,
daß sich
jemand tatsächlich
sicherge-
in einer
ausweglosen Lage befinde, daß er auf öffentliche
ge
(unter den bewußt abschreckend gestalteten
gen
eines
"wohlgeordneten"
Arbeitshauses)
so
Fürsor-
Bedingunangewiesen
sei.1
Zum anderen kommt der Armenrechtsform
politische
Verlauf
des
Bedeutung
zu,
kündigte
Gesetzgebungsverfahrens
13
auch eine
sich doch
selbst
formal-
durch den
der
Beginn
der viktorianischen
denfalls wurden
die
"revolution
neuen
in government" an.
prozeduralen
Spielregeln
den Beteiligten durchaus in diesem Sinne gewertet,
Jevon
etwa
wenn Edwin Chadwick, neben Nassau Senior der eigentliche
Architekt der Armenrechtsform, den Anspruch
formulierte,
das Gesetz von 1834 sei "the first piece of
based
upon
scientific
or
economical
legislation
2
principles".
Auch
aus dieser Perspektive stellte sich das Alte Armenrecht
als negative Kontrastfolie dar,
tete
Verwaltungsstrukturen
fugnisse der zentralen
als Beispiel für veral-
und
mangelhafte
Kontrollbe-
Regierungsinstanzen.
Es ist die Absicht dieses Aufsatzes,
des Alten Armenrechts,
das negative
schwebte und sich bis heute in einem Teil der
zur
Sozialgeschichte
gehalten hat,
der
läßt,
System
das
englischen
richtigzustellen.
sich das Alte Armenrecht
kungsvolles
den
Bild
das den Reformern von 1834 vor-
der
Literatur
Industrialisierung
Meine These
ist,
daß
als äußerst flexibles und wirArmenunterstützung
ökonomischen
Bedingungen
begreifen
seiner
Zeit
durchaus angemessen war. Diese These enthält sicher eine
gute Portion
ideologiekritischen
Zündstoffs,
läuft
sie
doch dem traditionellen Verdikt diametral entgegen.
In-
sofern
als
lassen
Beitrag
zu
sich
einer
die
nachfolgenden
historisch
fundierten
Überlegungen
Ideologiekritik
des viktorianischen Leitbildes von der
selbstverschulde-
ten Armut
die Tugenden
und
ihrer
Bewältigung durch
Arbeit und des Fleißes,
verstehen.
Zugleich
der
der Sparsamkeit und Selbsthilfe
aber geht
es mir,
unabhängig
von
diesem sozusagen Ubergeordneten Bezugspunkt, auch darum,
die Unterstützungspraxis unter dem Alten Armenrecht
einfach möglichst
einer
ten",
empirisch
die
aus
ganz
konkret darzustellen - als Beitrag zu
gesättigten
Sozialgeschichte
forschungsstrategischen
14
Gründen
"von
un-
von
der
Analyse
typischer
Handlungsfelder
sucht und dem Verlangen,
gischen Haushalt
"vor
Ort"
auszugehen
die großen Umbrüche im ideolo-
der Gesamtgesellschaft
nachzuzeichnen,
bis auf weiteres mit einer gewissen methodischen
Skepsis
begegnet.
I. Einige
grundsätz1iche
Bemerkungen
zum
Alten
Armen-
recht und seiner Verwaltung
Das
Alte
Prinzip:
Armenrecht
beruhte
auf
der Verantwortlichkeit
einem
der
für die Unterstützung ihrer Armen.
tionellen
Gemeinde
Systems
die
der
lokalen
finanziell
sehr
einfachen
einzelnen
Selbstverwaltung
unabhängige
rechtlich autonome Einheit der
Gemeinde
Im Rahmen des tradiund
öffentlichen
war
die
verwaltungsWohlfahrts-
pflege. Dies galt insbesondere im Hinblick auf drei Faktoren:
Das Amt des Armenpflegers war ein gemeindliches
Ehrenamt,
das aus dem Kreise der vermögenden
Gemeinde-
mitglieder
zu bekleiden war.
wurde di-
Die Armensteuer
rekt von der Gemeinde, durch Veranlagung des
besitzes innerhalb der Gemeinde,
potentiellen
erhoben. Der Kreis der
Armenunterstützungsempfänger
sich auf die ortssässige
Immobilienbeschränkte
(niederlassungsberechtigte)
Be-
völkerung.
Zwar
unterstanden
die
gemeindlichen
Armenpfleger
der
Aufsicht durch die Friedensrichter. Doch deren Befugnisse beschränkten
male Kontrolle,
stellen,
sich im wesentlichen
auf eine rein
deren Funktion darin bestand,
for-
sicherzu-
daß die gemeindliche Armenpflege innerhalb des
lokalverwaltungsrechtlich
spezifizierten Rahmens besorgt
wurde. Dieser Rahmen war ziemlich weit, und es war nicht
die Sache des Friedensrichters,
15
darüber zu entscheiden,
ob die innerhalb dieses Rahmens getroffenen
gen
oder
beschlossenen
Maßnahmen
Entscheidun-
sinnvoll
seien
oder
nicht.3
Für
eine
Diskussion
der
Unterstützungspraxis
Alten Armenrecht ist es entscheidend,
gemeindlichen Selbständigkeit
Auch
sollte
man
sein,
welche
sind.
Um
von
gab
es
der
in
Gemeinden,
darüber
Analyse
England
mit
rund
einer
um Größenordnungen
4
maximal 150 Haushalten.
ließe sich
Praxis
so weit
"das"
Alte
im
damit
klaren
impliziert
15.000
solcher
durchschnittlichen
Bevölkerung von weniger als 500 "Seelen",
im wesentlichen
dem
immer im Kopf zu behalten.
vornherein
Dimensionen
1800
selbständigen
sich
unter
diesen Aspekt der
von
d.h.
es geht
vielleicht
100,
Mit einer gewissen Berechtigung
gehen
zu behaupten,
Armenrecht
im
daß es
in
der
Kollektivsingular
gar
nicht gab, sondern nur 15.000 sozialstaatliche
Einheiten
im Kleinstformat.
Daß wir gleich zu Beginn unserer Darlegungen den Aspekt
des
"parochalism"
unter
dem
Alten
Armenrecht
so
stark
betonen, hat zwei Gründe: einen sachlichen und einen methodischen.
Was die Sache betrifft, so ist stets zu beachten, daß es
hinsichtlich
Armenrecht
der
Unterstützungspraxis
beträchtliche
zelnen Gemeinden gab.
reits
angedeutet,
Unterschiede
unter
dem
Juristisch fixiert war,
lediglich
der
Alten
zwischen den
ein-
wie be-
verwaltungstechnische
Rahmen der Armenpflege (Bestellung der Armenpfleger, Erhebung der Armensteuer usw.),
Ausgestaltung.
gesunde (able-bodied),
arbeitsfähige
nicht aber deren konkrete
Auf der Basis einer groben Einteilung
in
sprich: arbeitsfähige und nicht-
(impotent)
Armen
16
bestimmten
die
Armen-
gesetze
Arbeit
Bei
von
zu
1597
und
setzen"
dieser
ziemlich
Neuen Armenrecht
1601
und
lediglich,
letztere
vagen
zu
Bestimmung
von 1834,
nun
die
arbeitsfähigen
Daraus erklärt
beklagte fortwährende
Arbeitshauspolitik
Armen
Unterstützungspraxis
der
es bis
zum
in welcher weise denn
"in
Arbeit
zwischen
einen
auch
"in
seien.
beispielsweise
sich das von vielen
Schwanken
auf
erstere
blieb
und es wurde
niemals verbindlich spezifiziert,
seien.
daß
unterstützen
zu
einer
und einer
gegenüber
setzen"
Zeitgenossen
den
strikten
großzügigen
Arbeitsfähigen
auf der anderen Seite.
In diesem Zusammenhang ist es besonders wichtig,
aufmerksam
der
zu machen,
daß
Unterstützungspraxis
schiedenen Gemeinden,
die enormen
nicht
nur
darauf
Unterschiede
zwischen
den
in
ver-
sondern oft auch zu verschiedenen
Zeiten innerhalb ein und derselben Gemeinde
ten s i n d . 6 Daher geht es auch nicht an,
zu
beobach-
zu meinen, alle
Gemeinden seien mehr oder weniger gleichzeitig durch die
verschiedenen
Stadien einer klar
erkennbaren
Gesamtent-
wicklung gegangen, wie überhaupt eine der größten Gefahren
für
ein
angemessenes
Alten Armenrechts
historisches
darin besteht,
Verständnis
des
stadientheoretisch
zu
argumentieren. Dieser Gefahr ist leider fast die gesamte
ältere Literatur erlegen,
reichen
Präambeln
zialplaner ischen
phletliteratur
der
indem sie sich von den
zahlreichen
Leitbildern
blenden
der
Gesetze
ließ und von den
der
tatsächlichen
wort-
den
zeitgenössischen
soPam-
Schwerpunktver-
lagerungen der öffentlichen Diskussion auf
Veränderungen
und
entsprechende
Unterstützungspraxis
schließen zu können meinte. Beispielsweise wurde für das
18. Jahrhundert
ein grundlegender
Umschwung
in der
Hal-
tung gegenüber den Armen ausgemacht, von einer durch die
settlement
laws und die Arbeitshausgesetzgebung
17
bestimm-
ten "harten" Linie des Arbeitszwangs
ehen
Einkerkerung
Gewährung
von
zur
"out-door
"able-bodied".
hen
relief"
18, Jahrhundert
der
auch
der
gemeindligroßzügigen
an die Masse
lassen sich die
Arbeitshausdiskussion
ebensowenig
aus dem Gesetz
und der
Praxis
Tatsächlich aber
plinierungsphantasien
wie sich
"weichen"
für
von 1782
bare
im
Münze
der
Diszifrü-
nehmen
(Gilberts Act) per
se
der Übergang zu einer weniger repressiven Praxis herleiten läßt. Vielmehr markieren solche Entwicklungen in erster
Linie
den Wahrnehmungs-
nerhalb der
Bewußtseinswandel
politischen und ideologischen
len der Gesellschaft,
bleme,
und
in-
Schaltzentra-
während sie über die realen Pro-
vor denen die eigentlichen
Verantwort1ichen
für
die Armenunterstützung, also die agrarischen und gewerblichen Mittelschichten
keine verläßliche
"vor Ort",
Auskunft
standen,
so gut wie
zu geben vermögen.
Wieviele
Arbeitshäuser tatsächlich eingerichtet wurden,
wieviele
Insassen sie tatsächlich hatten, in welchem Umfange dort
tatsächlich
ab-
schreckend auf die übrigen Armen und disziplinierend
tatsächlich
gearbeitet
wurde,
ob
sie
auf
die Insassen wirkten, und ob sie tatsächlich über
re Zeiträume
Jahren
bestanden
wieder
oder
geschlossen
nicht
oder
schon
nach
in einfache
länge-
ein
paar
Armenhäuser
umgewandelt wurden - solche Fragen lassen sich nur durch
das genaue Studium der gemeindlichen
Armenverwaltungsak-
ten b e a n t w o r t e n , 7
wenn wir vom "paro-
chialism"
in
Dies meinen wir,
methodischer
sollte
keiner
nichts
mit
weiteren
Hinsicht
Erläuterung
lokalgeschichtlicher
sprechen,
bedürfen,
und
daß
Kleinkrämerei
zu
es
dies
tun
hat, sondern daß sich, sofern es um die tatsächliche Gestalt
der
Unterstützungspraxis
unter
dem
Alten
Armen-
recht geht, das Heruntergehen auf den analytischen Level
der einzelnen Gemeinde ganz einfach als methodischer
perativ
darstellt.
18
Im-
II. Strategien
der
Armenunterstützung
unter
dem
Alten
Armenrecht1780-1834
Nachdem
in
punkt der
den
einleitenden
Bemerkungen
lokalen Variabilität
unter dem Alten Armenrecht
der
der
Gesichts-
Unterstützungspraxis
besonders hervorgehoben
wur-
de, mag es ein wenig widersprüchlieh erscheinen, wenn im
folgenden
das
Augenmerk
auf
spezielle
praktiken gelegt werden soll,
den
Unterstützungs-
die, so behaupten wir, in
letzten fünfzig Jahren seines Bestehens eine allge-
meine Bedeutung erlangten: das Speenhamland- System, das
"roundsman"-System
und die "labour
rate".
Diese
Positionen schließen sich jedoch nicht aus,
beiden
sofern eine
Reihe von Einschränkungen beherzigt werden.
1. wir werden uns nicht auf England als ganzes beziehen,
sondern nur auf den Süden und Osten; ferner nicht auf
Städte oder Industriegebiete,
ausgerichtete
Gemeinden
ts
treideanbauregionen.
2. Wenn gesagt
hätten
men,
wird,
sondern
innerhalb
bestimmte
agrarisch
führenden
Ge-
Unterstützungspraktiken
nach 1780 eine übergreifende
so heißt das nicht,
auf
der
Bedeutung
sie seien überall
genomund die
ganze Zeit über angewandt worden. Ganz im Gegenteil eines
unserer
wichtigsten
das Speenhamland-System
unter
ist.
ganz
bestimmten
Dennoch läßt sich behaupten,
wahrscheinlich
zum
in
3. Diese
nach
ihrer
in dem
Einführung
Sinne
andere
19
daß
Phasen
und
praktiziert
worden
daß die genannten
meisten
Zeit-
ländlichen
Ge-
sind.
Unterstützungspraktiken
ausschließlich
sein,
einen oder anderen
den
meinden übernommen worden
wird
in bestimmten
Umständen
Unterstützungspraktiken
punkt
Argumente
nur
dürfen
keinesfalls
verstanden
Formen
der
werden,
als
daß
Armenunter-
Stützung aufgegeben wurden. Sie sind als stärker
tematisierte
und
stützungsformen
"normale"
läuft,
strategisch
anzusehen,
alltägliche
Letztere
durchgebildete
neben
sichts
auf
läßt sich
der
der
als
von
die der
Grundlage
besonderen
Summe
seiner
Umstände
im vorhinein
durch
Einzelent-
jeweilige
des
die
die
weiter-
Erfahrung
"Falls" ad hoc trifft, ohne daß damit
se einer
jedoch
Unterstützungspraxis
scheidungen charakterisieren,
menpfleger
denen
sys-
üntei—
Ar-
ange-
vorliegenden
notwendigerwei-
Gemeindeversammlung
Q
beschlossenen Unterstützungsstrategie gefolgt wird,
4. Wir werden aus heuristischen Gründen die Gemeinde als
in sich abgeschlossene
Vorteil,
chen
Einheit ansehen.
Das hat den
daß die ökonomische Funktion der gemeindli-
Unterstützungsstrategien
Andererseits
besser
greifbar
ist diese Einschränkung
wird.
im Vergleich
zu
den drei vorhergehenden besonders unrealistisch, denn
wir
wissen,
daß
bereits
das
sich durch ein ausgesprochen
frühzeitliche
hohes Ausmaß
England
geographi-
scher Mobilität auszeichnete, auch wenn wir dabei für
die Masse der einfachen Bevölkerung
grenzten
Migrationsfeldern
von regional
müssen.10
ausgehen
kommt, daß im Bereich der Armenrechtsverwaltung
beHinzu
durch
die settlement laws ein Steuerungssystem gegeben war,
das aus der Sicht der Armenpfleger
tische
und
einander
zu
arbeitsmarktpoli-
niederlassungsrecht1iche
verknüpfen
unter allen Faktoren,
erlaubte
Strategien
und
mit
mit-
Sicherheit
die im Einzelfall die über die
eigene Gemeinde hinausgehende Perspektive der Betroffenen
(und dies heißt:
nicht
sondern aller potentiellen
nur der
tatsächlichen,
Armenunterstützungsempfän-
ger) bestimmte, der wichtigste war. Gleichwohl müssen
wir
von
den Komplikationen
gebung abstrahieren,
der
Niederlassungsgesetz-
denn in seinen praktischen Aus-
20
Wirkungen
Alten
Armen-
rechts am allerwenigsten erforscht. Fest steht
ledig-
lich,
ist
daß
settlement
gerade
die
dieser
ältere
des
Auffassung,
laws nachteilig
beitskräfte
Teil
ausgewirkt
wonach
sich
hätten,
nicht zu halten
denn tatsächlich boten sie eine ganze Reihe
bevorzugt
nicht,
wurden,
wissen
wir
Varian-
einfach
noch
11
Doch nun zu den drei genannten
Unterstützungspraktiken,
die nach 1780 eine besondere Bedeutung erlangten.
wir
sie
nen,
in einen
größeren
historischen
mag es hilfreich sein,
in der
ist,
gegentei-
liger Optionen gegenüber stärker restriktiven
ten
die
auf die Mobilität der Ar-
Sprache der
Kontext
Bevor
einord-
sie kurz idealtypisch
modernen
SozialVersicherung)
(und
zu
be-
schreiben .
Das sog. Speenhamland-System
de in Berkshire)
an
die
läßt
Entwicklung
sich
der
(benannt nach einer Gemeinals
einkommensabhängige
Lebenshaltungskosten
Familienbeihilfe char akterisieren.
lage
dient
ein
(von
der
von
vorab
der
(sorich; Kinderzahl) und vom Preis der
tel (in p r a x i:
hängt.
vom Weizen-,
gekoppelte
Als Bemessungsgrund-
de»" Gemeinde)
Mindesteinkommenssatz,
und
festgelegter
Familiengröße
Grundnahrungsmit-
Mehl- oder Brotpreis)
Bleibt das tatsächliche
Familieneinkommen
in der Regel:
der Lohn des Mannes)
einkommenssatz
zurück, so wird die Differenz als Beihil-
(
Das
als Lohnzuschüsse
hier
letztlich
desteinkommens,
und
die
gewährt.
labour-rate
zu klassifizieren.
um die
Sicherung
dagegen
sind
Zwar geht es auch
eines
bestimmten
aber die Leistungszumessung
21
Mindest-
1 2
i o w a n c e ? von der Gemeinde
roundsman-System
hinter dem
ab-
(also
als
Minsolche
erfolgt unabhängig
von der Familiengröße
entwicklung.
allem
beiden
Vor
aber
Unterstützungspraktiken
dadurch,
daß
sie
die
vom
roundsman-System
werden
des
diese
Lohnsatzes
Stoßrichtung
die
Preis-
sich
Speenhamland-System
Festsetzung
einer beschäftigungspolitischen
Beim
und der
unterscheiden
mit
verknüpfen.
Arbeitslosen
und/oder
Unterbeschäftigten eines Ortes von den Armenpflegern "on
the
round"
von
einem
zum anderen
der Gemeinde geschickt,
versammlung
festgesetzten
wobei zumeist
ein Teil
rückerstattet
wird.
Zeitgenossen
als
Arbeitgeber
innerhalb
wo sie zu den von der GemeindeLöhnen
zu
des Lohnes
Ähnlich
labour
beschäftigen
funktioniert
rate
sind,
von der Gemeinde
das
bezeichnete
zu-
von
den
System.
Hier
muß zwar nicht notwendigerweise jeder Arbeiter "die Runde machen",
aber dafür ist die proportionale Umlage der
"überschüssigen"
Arbeitszeit
genau
spezifiziert.
Jeder
zur Armensteuer veranlagte Haushaltsvorstand hat nämlich
von allen in Frage kommenden Arbeitern genau so viele zu
beschäftigen
setzten
(und zwar wiederum zu einem vorher
Lohn) wie
es seinem
Anteil am
festge-
gesamten
Steuer-
aufkommen der Gemeinde entspricht, oder anderenfalls den
13
entsprechenden Betrag an die Gemeinde abzuführen.
Wie gesagt,
dies sind idealtypische Beschreibungen.
der Praxis begegnen wir häufig Mischformen,
überhaupt
im Einzelfall
meindlichen
bleibt
Armenpflege
nämlich
die
schlossenen Maßnahmen
Näheres
aus
erschließen
konkrete
den
Akten
läßt.
der
Häufig
Operationsweise
undeutlich,
fern hat die klare begriffliche Unter Scheidung,
vorgenommer
sich.
Von
längst
nicht so
haben,
durchaus
den Zeitgenossen
eindeutig
selbst
und
22
etwas
der
be-
vor allem
für
Insodie wir
Künstliches
wurden
ge-
genug
was insbesondere
die vielen Spielarten des roundsman-Systems gilt.
hier
In
sofern sich
an
die
Begriffe
nicht
einheit-
lieh verwendet. In der Polemik gegen das Alte Armenrecht
begegnen
wirrung,
wir
sogar
wobei
1834 dahinter
sich
ziemlichen
im Falle des
fahrlässige,
rung verbirgt.
schaftlichen
einer
Oarüber
hat sich
dieses
Ver-
Poor Law Reports von
wenn nicht bewußte
hinaus
Literatur
begrifflichen
Irrefüh-
in der
wissen-
terminologische
Durch-
einander fortgeschleppt, und obwohl die neuere Forschung
hier
vieles
heute
noch
Hinsicht
zur
Klärung
keine
ist
beigetragen
begriffliche
unsere
hat,
besteht
14
Einigkeit.
idealtypische
In
dieser
Beschreibung
extrapolierende Lesart des gegenwärtigen
auch
als
Forschungsstan-
des zu verstehen. Gleichwohl zeichnen sich die entscheidenden historischen und ökonomischen Konturen der Unterstützungspraxis
in den letzten fünfzig Jahren des Alten
Armenrechts immer deutlicher ab.
1^
sie sich wie folgt skizzieren.
In groben Zügen
lassen
Das Speenhamland-System war im wesentlichen auf die Zeit
der Napoleonischen Kriege beschränkt und ist als Antwort
auf
die
im
ausgehenden
schweren Subsistenzkrisen
der
Zuschüsse
bildet
es den
direkt
18. Jahrhundert
zu werten.
an die
logischen
einsetzenden
Indem es die Höhe
Preisentwicklung
Schlußpunkt
einer
koppelte,
Entwicklung,
die bereits um 1760 mit dem Beginn des säkularen Preisanstiegs einsetzte und zunächst in Form von weniger
geklügelten Maßnahmen
in Erscheinung getreten war,
runter etwa die Bewilligung von Sonderleistungen
money")
ventioniert wurde,
zu rechnen sind.
wo-
("bread
an die Armen oder die Verteilung von Mehl,
von der Gemeinde in größeren Mengen eingekauft
aus-
und
das
sub-
Aus solchen Unter-
stützungsf ormen entwickelten sich schließlich die "bread
scales",
die
tung fanden,
in den akuten Krisenjahren weite Verbreiin denen es zu einem besonders
drastischen
Preisanstieg kam, also vor allem während der drei großen
23
Krisen
von
Abb. 1 ) . 1 6
den
1795/96,
Dagegen
"normalen"
1800/1801
scheint
das
und
1809-12.
(Vgl.
Speenhamland-System
Jahren eine weitaus
geringere
in
Bedeutung
besessen zu haben, obwohl es nach wie vor unklar ist, in
welchem Umfang es zwischen den Höhepunkten der Preisentwicklung jeweils zurückgenommen und, vor allem, wann genau es endgültig fallengelassen wurde.
Demgegenüber
labour
rate
lassen
als
sich
das
typische
roundsman-System
Erscheinungen
der
und
die
Nachkriegs-
zeit deuten, und zwar als Antwort auf die nach 1815 vorherrschende
der
Arbeitslosigkeit
Landwirtschaft,
nachweisbar sind.
und
während
Unterbeschäftigung
sie
zuvor
nur
in
vereinzelt
Dabei war die anfängliche Zunahme der
Arbeitslosigkeit
durch
die
Überschwemmung
des
Arbeits-
marktes mit demobilisierten Soldaten durchaus das geringere Problem.
Als weitaus schwieriger zu bewältigen er-
wies
saisonale
sich die
Arbeitslosigkeit,
die
erst
Verlauf der 1820er Jahre als strukturelles Problem
in Erscheinung trat,
d.h.
nach der inzwischen
im
voll
erfolgen
Anpassung des Arbeitsmarktes an die neuen, durch die Demobilisierung hervorgerufenen Bedingungen.
Die
stigen
in
Ursachen
veränderungen
dieser
der
Entwicklung
Landwirtschaft,
liegen
die
durch
langfriStruktur-
den
Krieg
eine Beschleunigung erfuhren, aber bereits vorher eingesetzt
hatten.
weitung
des
Nach 1750 war es zu einer ständigen AusGetreideanbaus
gekommen,
also
derjenigen
landwirtschaftlichen Produktionsform, die sich durch besonders krasse saisonale Unterschiede des Arbeitskräftebedarfs auszeichnete. Der kriegsbedingte Boom hatte
mal bei gleichzeitigem
Arbeitskräftemangel
zenzeiten der Produktion)
(zu-
in den
Spit-
die Auswirkungen dieses
lang-
fristigen Umstellungsprozesses auf die
landwirtschaftli-
che Beschäftigung zunächst noch verdeckt,
24
doch nach dem
Krieg brachen sie dann um so deutlicher
hatten,
hervor,17
Zudem
mit dieser Entwicklung eng zusammenhängend, die
Einhegungen des Gemeindelandes während des Krieges ihren
Höhepunkt erreicht,
Teil
der
breite
und
wodurch in der Folgezeit ein großer
bäuerlichen
Masse
der
squatters)
Kleinbesitzer
unterbäuer1ichen
endgültig
verwandelt wurden,
in ein
und
vor
allem
Schichten
(cottagers
ländliches
Proletariat
das nicht nur besitzlos war, sondern
auch seine traditionellen kommunalen Nutzungsrechte
loren
die
ver-
hatte.18
Beide Faktoren
zogen
insbesondere während der
Wintermo-
nate ein zuvor unbekanntes Ausmaß an saisonaler
Arbeits-
losigkeit innerhalb der Landwirtschaft nach sich, und es
war angesichts dieser neuen Erfahrung, daß die Farmer in
ihren Gemeinden zum roundsman-System und zur labour rate
übergingen.
Diese
Formen der Armenunterstützung
wenn auch nur im lokalen Maßstab, öffentliche
gungsprogramme,
hauptsächlichen
"guten"
Steuerzahler
Jahreszeiten
beitgeber
satzweise
waren)
die
Landarbeiterschaft
die
verteilen
trostlose
zu
Situation
der
zumindest
Ökonomisch
sinnvollste
und
treideproduktion
beitskräftebedarf
die
Mehrzahl
festhielt,
der
Aran-
pauperisierten
gesehen
billigste
dem Problem der saisonalen Arbeitslosigkeit
solange
"überauf die
hauptsächlichen
und damit
lindern.
die
gleichmäßig
(die natürlich während der
wiederum
zu
dies wahrscheinlich
jedenfalls
Beschäfti-
die dazu dienten, die periodisch
schüssige" Arbeit mehr oder weniger
waren,
Farmer
war
Art,
beizukommen,
der
Ge-
die einen extrem hohen
an
Ar-
während der Erntezeit mit sich
brach-
te.19
Die einzige Alternative
wäre die saisonale
auswärtiger Arbeiter gewesen.
25
Rekrutierung
Tatsächlich hat es Versu-
che in dieser Richtung gegeben.
Die Anfänge des berüch-
tigten
die
"gang
system"
fallen
in
1820er
Jahre,
und
auch die geschickte Ausnutzung der settlement laws durch
die Abschottung der eigenen Gemeinde zum "closed parish"
bei
gleichzeitiger
kräftereservoirs
Ausschöpfung
umliegender
des
"open
verarmten
parishes"
Arbeitsgehört
diesen Zusammenhang. Doch solche Steuerungspraktiken
in
des
regionalen Arbeitsmarktes waren nur unter außergewöhn 1ichen Bedingungen
meinden
möglich und
außerhalb
des
lagen für
die meisten
organisatorisch
wie
Ge-
finanziell
PO
Machbaren.
III. Die
Kosten
der
Armenrecht,
Auch wenn
man
ArmenunterStützung
unter
dem
Alten
1790-1833
die
Entwicklung
der
Armenunterstützungs-
ausgaben einer genaueren Analyse unterzieht, zeigt sich,
daß die traditionelle Vorstellung, wonach die zunehmende
Ausbreitung
des Speenhamland-Systems
plosion geführt habe,
Neuen Armenrechts gestoppt
der
Langzeitdatenreihen,
die
Diskussion
nicht zu halten ist.
die
nachhaltig
zusammengefaßt.
verschiedenen
Serien
in der
neueren
beeinflußt
{Um
direkt
den
liegen
über die
für
ganz
als kontinuierliche
Zeit davor
Wales
Serie vor,
(Serie 1).
in
der
vergleichen
zu
unterteilt.)
Armenunterstützungsausgaben
und
mit verstreuten
begnügen müssen
sind
Wachstumsrhythmus
miteinander
jährlichen
England
rückEinige
Forschung
haben,
können, ist die Ordinatenachselogarithmisch
Angaben
Kostenex-
und schließlich wieder
gängig gemacht worden sei,
Abb. 1
zu einer
die erst durch die Einführung des
leider
erst
ab
1812
während wir uns für die
Angaben
für
drei
Zeitpunkte
Immerhin belegen aber selbst
26
diese Daten,
daß von einer stetigen Zunahme der
Unter-
stützungskosten vor 1834 keine Rede sein kann. Ein steiler Anstieg zeigt sich,
dem Krieg,
kaum verwunder lieh, direkt nach
und der herausragende Höhepunkt der gesamten
Serie liegt im Jahre 1817. Die weitere Entwicklung
nach
einem
Abschwung
einem
langsamen
Jahre
1831,
in
Anstieg
den
auf
frühen
einen
1820er
zweiten
führt
Jahren
zu
Höhepunkt
im
aber von da an geht es in steigendem Tempo
abwärts, und diese Bewegung ist bereits in vollem Gange,
bevor
es
das Neue Armenrecht
zu
keiner
überhaupt wirksam wird.
langfristigen
hier nur am Rande
Kostendämpfung
(Daß
führte,
sei
vermerkt.)
Ferner belegen diese seit langem verfügbaren Daten, wenn
man sie nach dem Verbreitungsgrad
tems aufschlüsselt,
lung
ab
1812
des
Speenhamland-Sys-
daß der Verlauf der
kaum
auf
dessen
Kostenentwick-
angeblichen
"Schneebai1-
effekt" zurückgeführt werden kann. Zwar lagen die Unterst ützungsausgaben pro Kopf der Bevölkerung
schaften,
in
denen
nach
das Speenhamland-System
im
Durchschnitt
höher
zeitgenössischer
in den GrafEinschätzung
besonders stark verbreitet
als
in den
übrigen
war,
Grafschaften
(12s 3d gegenüber 8s 4d im Jahre 1802). Doch erstens ist
dieser Befund als solcher kaum verwunder lieh,
bedenken,
daß
die Gruppe der
im wesentlichen mit den
fällt,
in denen vor
saisonaler
natürlich
Getreideanbauregionen
allem wegen
Arbeitslosigkeit
schwerwiegender
industriellen Wachstums.
scheidende Punkt,
fristigen
das
war
wenn wir
Speenhamland-Grafschaften
zusammen-
des hohen Ausmaßes an
Problem
als
in den
der
Verarmung
Gebieten
des
Zweitens, und das ist der ent-
zeigen sich beim Vergleich der
Kostenentwicklung
keine
wesentlichen
langUnter-
schiede zwischen den Speenhamland- und den übrigen Grafschaften (Serien 2 und 3).
Der prozentuale Anstieg zwi-
27
Abb. 1: Armenunterstützungsausgaben und Weizenpreise,
1771-1850
ro
<o
1
Ausgaben für ArmcnunterStützung in dor Gemeinde Ardfeigh, 177O-1033. Angaben pro Kirchenjahr in Pluml
Sterling x 10.
Quellen: 1770-1789: Essex Record Office, Chelmsford, D/P 263/8/1-2 (Ardleigh Vestry Minutes); 1790-1833:
unveröffentlichte Daten von Professor D.A. Baugh, Cornell University, zusammengestellt naet»
derselben Quelle wie 1770-89 sowie D/P 263/12/1-16 (Ardleigti Overseers' Accounts). Entsprechend
der von Baugh vorgenommenen Bereinigung wurden die Rohwerte für 1770-1789 um lO Prozent reduziert, um die dokumentierten Gesamtausgaben der Armenpfleger in solche ausschließlich für
Armenunterstützung (d.h. ohne Verwaltungskosten, County Rates u.a.) zu verwandeln. An dieser
Stelle mein herzlicher Dank an Prof. Baugh für die bereitwillige Überlassung seines gesamten
Essexer Materials.
Ausgaben für Armenunterstützung in der Grafschaft Essex, 1790-1833. Angaben pro Kirchenjahr in Tausenden
Pfund Sterling.
Quelle; O.A. Baugh, The Cost of Poor Relief in South-East England, 1790-1834, in: Economic History Review, 2nd ser., 28 (1975), S. 55 (nach Fiq. 2).
Jahresdurchschnittpreise für Weizen in England und Wales, 1771-1850. Angaben pro Kalenderjahr in Schillingen pro Quarter x 10 (1 Quarter * 2,91 Hektoliter).
Quelle: Mitchell/Deane (wie Serie 1), S. 488.
Index der Ausgaben für Armenunterstützung in Speenhamland- und Nicht-Speenhamland-Grafschaften, 1802 und
1812-1833. Angegeben sind Blaugs Indexwerte x lO, wie bei Serie 1 bezogen auf Kirchenjahre (Basis: 1802
« l.OOO). Für die Klassifizierung der einzelnen Grafschaften, siehe S. 178-79 des Artikels von Blaug.
Quelle; Mark Blaug, The Myth of the Old Poor Law and the Making of the New, in: Journal of Economic
History 13 (1963), S. ISO. (Auch in: M.W. Plinn/T.C. Smout, Hrsg., Essays in Social History,
London 1974, S. 146)
Ausgaben für Armenunterstützung in England und Wales, 1775-1850. Angaben pro Kirchenjahr {Jahresbeginn
25. März) in Tausenden Pfund Sterling. Der für 1783 notierte Punkt gibt den Durchschnittswert der Jahre
1782-84 an.
Quelle: B.R. Mitchell/l'hyllis ücauo, Abstract of British Historical Statistics, Cambridge 1962, S. 4to.
Quo 11 co und Anmerkungen zu den einzelnen Serien: -
Abb. 1: Ariwcnunterstntxungsausgaben und Woir.cnpreise, 1771-1850.
sehen 1802
und auch
und 1812
die
ist für
Wendepunkte
beide Gruppen fast
der
nachfolgenden
bis zum Neuen Armenrecht sind identisch.
Untersuchungszeitraumes
Gegen Ende des
liegen die Indexwerte
cherweise sogar in den Grafschaften höher,
Speenhamland-System keine Rolle
Es
ist klar,
daß diese
erstaunli-
in denen das
spielte.
hochaggregierten Daten
äußerst grobes Bild zu vermitteln vermögen.
wir
vom
Problem
gleich,
Entwicklung
regionaler
Unterschiede
nur
einmal
absehen
und uns mit einer Analyse der Entwicklung
im
Durchschnitt
erscheint
eine
zufriedengeben
angemessene
rücksichtigung
wollen,
historische
so
Deutung
ein
Selbst wenn
nationalen
zumindest
der Bevölkerungsentwicklung
die
und
der
wicklung der Lebenshaltungskosten unumgänglich.
für
BeEnt-
Bekannt-
lich fällt in den behandelten Zeitraum der größte Wachstumsschub der englischen Bevölkerungsgeschichte
sie rekonstruierbar
tung des
(sagen wir)
um
1770
erreichten
dards der Armenfürsorge wäre
ten
ein
(so weit
ist), d.h. allein zur Aufrechterhal-
kontinuierlicher
Leistungsstan-
in den folgenden Jahrzehn-
Anstieg
der
Armenunterstüt-
21
zungsausgaben
erforderlich gewesen.
Andererseits
läßt
bereits ein flüchtiger Vergleich der Serie 1 mit Serie 4
die Annahme gerechtfertigt erscheinen,
terstüt zungsausgaben
ebenso
haltungskostenentwicklung
nicht
nur
1817),
ders
bei
daß die Armenun-
nachhaltig
beeinflußt
Aufschwüngen
(etwa
von
der
Lebens-
wurden,
und
zwischen
1814
sondern auch bei rückläufigen Bewegungen
deutlich
beim
Abschwung
nach
1831).
zwar
und
(beson-
Tatsächlich
aber sind diese beiden Faktoren weniger entscheidend als
man zunächst meinen könnte,
oder genauer gesagt: im Zu-
sammenspiel gleichen sie sich weitgehend aus und zwingen
allenfalls
zu geringfügigen Modifikationen
herigen Interpretation,
ohne diese
30
im Kern
unserer
bis-
anzutasten.
Beispielsweise
Serie 1
in
verschiebt
sich bei einer Umrechnung
wöizenpreisbereinigte
Pro-
Nachkriegshöhepunkt von 1817 nach 1822
Kopf-Werte
(weil,
wie
an Abb. 1 leicht ablesen läßt, der Preisverfall
1817
und
1822
stärker
stützungsausgaben).
ist
als
der
Rückgang
daß dieser frühzeitige Höhepunkt,
punkt
einer
telbaren
sich
zwischen
der
Unter-
Aber abgesehen davon bleibt es da-
bei,
durch
von
der
die
ökonomischen
Nachkriegszeit
bedingten
der den Schluß-
Probleme
der
unmit-
Kostenexplosion
bil-
det, im Hinblick auf den Verlauf der Entwicklung im ganzen zugleich einen eindeutigen Wendepunkt markiert.
der
zweiten
Hälfte
der
1820er Jahre
stabilisieren
In
sich
auch die "berichtigten" Werte auf einem deutlich niedrigeren Niveau»
ten
das bis in die frühen 1830er Jahre
Der eigentliche
Nachteil
stik
verfügbaren
Zeit
vor
Die
erhal-
bleibt.22
1812
Daten
nur
Zeitgenossen
die Jahre 1775,
der über die offizielle
liegt
darin,
bruchstückhaft
besaßen
nur
die
sie
Auskunft
Stati-
über
die
vermitteln.
isolierten
1782-84 und 1802.
Armenunterstützungsausgaben
daß
Werte
für
Die Entwicklung
der
zwischen
diesen
Punkten
kannten sich nicht, und insofern kann man es ihnen nicht
einmal verdenken, daß sie der Vorstellung eines stetigen
Wachstums, die diese punktuellen Daten in der Tat suggerieren
(zumal
sich
die
fiktive
Trendlinie
nahtlos
bis
1817 verlängern läßt), erlagen und demgegenüber den komplizierteren
verlauf
der
Linie
ab
1817
gar
nicht
zur
23
Kenntnis nahmen.
Das gleiche gilt (oder galt zumindest
bis vor zehn Jahren)
es nicht Wunder,
der
auch für die Historiker.
daß innerhalb der früheren,
traditionellen
Methologie
verhafteten
sich selbst die "Linken" wie Tawney,
Webbs oder
Generationen
die Hammonds,
Polanyi bei aller wohlbegründeten
31
So nimmt
noch ganz
die
ideologie-
kritischen
nern des
Skepsis
Alten
gegenüber
Armenrechts
den
zeitgenössischen
Geg-
vernichtendem Verdikt
24
doch nicht ganz entziehen konnten.
Und was die jüngere
Generation der statistisch
deren
versierten Sozial- und Wirt-
schaf tshistor iker betrifft,
so war selbst Blaug» dem es
durch die sorgfältige quantitative Analyse der offiziellen Daten gelang, den überkommenen "Mythos des Alten Armenrechts" sozusagen vom "Schwanz" seiner
lung her aufzubrechen,
traditionellen
schätzung der
nicht
Kostenentwick-
in der Lage,
Interpretation
die mit
einhergehende
Armenunterstützungspraxis
der
Fehlein-
in ihrem
vollen
25
Umfang
Eine
einzuschätzen.
positive
Neubewertung
der Erweiterung
dagegen
der bisherigen
ergab sich
Datenbasis
erst
für
die
vor 1812. Baugh legte 1975 für die drei Grafschaften
sex,
Kent und Sussex eine auf den Akten der
chen Armenpfleger
fußende Berechnung
menunterst ützungsausgaben
Seine
Angaben
stellt,
für
für
Essex,
verdeutlichen
die
ab
Es-
gemeindli-
der jährlichen
Jahre
aus
Zeit
1790
Ar-
vor.^6
in Abb. 2 als Serie 5 darge-
exemplarisch die veränderte
Per-
spektive. Als Charakter istisches Merkmal der Entwicklung
vor 1815 erweist
sich nunmehr die auffällige
Paralleli-
tät in der Bewegung
von Armenunterstützungsausgaben
Weizenpreisen,
ihr
Anstieg
und
als
zu Beginn
1800/1801,
schwung folgt.
auch
das
Aber
diese
bestimmendes
der beiden
dem
jeweils
Moment
großen Krisen
ein
ebenso
der
von
und
steile
1795/96
deutlicher
Ab-
Zwar steigt von einer Krise zur anderen
"normale"
Niveau
Verschiebung
der
folgt
Trend der Preisentwicklung,
Unterstützungsausgaben.
genau
stechendste Befund liegt darin,
Unterstützungsausgaben
im
dem
langfrist igen
und der vielleicht
Jahre
32
hervor-
daß der Gipfelpunkt der
1800
in
der
gesamten
Folgezeit auch nicht annähernd mehr erreicht
denn überschritten)
Zu
ergänzen
wenn die
ist,
daß sich
auch dieses
Unterstützungsausgaben
Kopf-Werte
(geschweige
wird.
umgerechnet werden.
Bild
verändert,
in preisbereinigte
Baugh
Konnte
Pro-
diesbezüg-
lich in allen drei Grafschaften drei Phasen der
Kosten-
entwicklung ausmachen: vor 1813 liegen die realen Unterstützungsausgaben
Niveau;
pendeln
pro Kopf auf einem relativ
von 1813 bis 1822 steigen sie an;
sie
sich
nach
einem
deutlichen
konstanten
und ab 1823
Abschwung
einem gegenüber der Zeit vor 1813 leicht erhöhten,
27
wiederum konstanten Niveau ein.
unserer
eben
nur scheinbar
vorgetragenen
der Gesamtentwicklung
Dieser Befund steht zu
Interpretation
im Widerspruch.
Zwar
der
liegt der
Serie 5
Höhepunkt
nun nicht mehr im Jahre 1800, son-
dern (wie bei der bereits bereinigten Serie 1)
1822.
auf
aber
im Jahre
Doch der bereits ein Jahr später erreichte
Level,
der bis 1833 gleich bleibt, liegt wieder deutlich darunter. Zu einer kräftigen Aufwärtsbewegung kommt es nur in
der
mittleren
kriegsbedingte
Phase,
in
die
nicht
Umstrukturierung
zufällig
des
die
nach-
Arbeitsmarktes
fällt, auf die wir bereits hingewiesen haben. Im übrigen
interpretiert
Baugh das
leicht erhöhte Niveau der drit-
ten Phase ebenfalls in unserem Sinne,
druck
eines
gegenüber
der
Levels chronischer Unterbeschäftigung
28
liehen Sektor.
33
nämlich als
Kriegszeit
im
Aus-
angestiegenen
landwirtschaft-
c*>
'Floor bill1
1756
1757
1758
Lapp ape's
Familien, be ih ilfen
1793
list\
1500
ISO!
(Quellen und Anmerkungen am Fuß der folgenden Seite.)
2: Ardleigh, Jan. 1794 - Dez. 1801: Ausgaben der Armenpfleger (Gesamtausgaben und ausgewählte Einzelposten) in Vergleich zum Weizenpreis in Essex (jeweils in gleitenden
5-Monats-Durchschn i tten)
OUL
JFMAMJJASftJlP
179h
1795
50-
Wtiztnpreis
100- Essex
150" Gesamtausjabtn
der Armenpßi
250-
£
Oa
5'
-32
et
36
ur
w»
n>
• 129
- 160
S/q
IV. "Speenhamland"
und der Lebenszyklus der Armut:
das
Beispiel Ardleigh, 1794-1801
Unsere bisherige Darstellung
hat,
entsprechend der
die neuere Forschung zum Alten Armenrecht
schen
Orientierung,
ihr
besonderes
für
Charakteristi-
Auggenmerk
auf
die
ökonomische Logik der zwischen 1780 und 1834 angewandten
Unterstützungspraktiken
gelegt.
Aus dieser
Perspektive
erweisen sich der um 1760 einsetzende und zwischen
gerechnet)
1790
und
1815
durch
akute
akzentuierte Preisanstieg einerseits,
verstärkt hervortretenden saisonalen
(rund
Subsistenzkrisen
und die nach 1815
Nachfrageschwankun-
gen auf dem ländlichen Arbeitsmarkt andererseits als die
entscheidenden Faktoren.
Wir haben behauptet,
das Speenhamland-System,
das "roundsman"-System und die
"labour
rate"
als
diese
Faktoren
sen.
Als weitere
spezifische
hervorgerufenen
These
daß sich
Antworten
auf
Probleme
verstehen
läßt sich,
die
insbesondere
sichts der Kostenentwicklung des Alten Armenrechts,
durch
lasangeda-
ran anschließen, daß diese Antworten in der Tat höchst
Quellen und Anmerkungen zu Abb. 2
Ausgaben der
Armenpfleger
Essex Record Office, Chelmsford, D/P 263/8/2 (Ardleigh Vestry Minutes) und D/P 263/12/1-3 (Ardleigh
Overseers1 Accounts). Angaben in Pfund Sterling. Die
Ausgabenposten "Flour Bill", "Familienbeihilfen" und
"Mrs.
Lappage's list" sind nicht in gleitenden
Durchschnittswerten, sondern in Höhe der einzelnen
Monatsbeträge angegeben.
Weizenpreis
Essex
Gentleman's Magazine und London Gazette (letztere
nur für die Monate, in denen ersteres keine Notierung liefert). Notiert wurde der monatliche Durchschnittspreis auf dem Kornmarkt von Colchester, die
Angaben sind in Schillingen pro Winchester Quarter
(« 2,82 Hektoliter).
35
angemessen
waren»
um die
anstehenden
Probleme
in
den
Griff zu bekommen.
Um diese These näher zu begründen,
rer Darstellung
müssen wir
sere Argumentation
verlagern.
Als Beispiel diene Ardleigh,
von
Essex,
un-
auf die Ebene der einzelnen Gemeinde
nordöstlich
schaft
in unse-
noch einen Schritt tiefer gehen und
Colchester
dessen
gelegenes
ein etwa 8 km
Dorf
in der
Graf-
Armenunterstützungsausgaben
zwiOQ
sehen 1771
und 1833 in Abb. 1 als Serie 6 erscheinen.
Allerdings
wollen
zunächst
riode,
Auf
außer
wir
acht
diese
lassen
längerfristige
und
uns
einer
Entwicklung
kürzeren
nämlich den Jahren von 1794 bis 1801,
die
Zeit
vor
1794
unten zurückkommen,
demographischen
wir erst
dann
und nach
1801 werden
Charakteristika
dieses
stellen,
weiter
in einen größeren
Zusammenhang einzuordnen.
gen der "kurzen Dauer",
Dorfes
für die
und
wollen
wenn es gilt,
Bedeutung der "Speenhamland"-Erfahrung
in dieser Gemeinde
wir
und auch die sozialökonomischen
in Rechnung
Pe-
zuwenden.
die
Menschen
sozialhistorischen
Den Blick auf die Entwicklundie sich für die acht Jahre von
1794 bis 1801 rekonstruieren lassen, eröffnet Abb. 2.
Die beiden oberen Kurven zeigen,
der Armenpfleger
abhingen.
Natürlich
Korrelation
deshalb,
beider
den
kosten
es
unsinnig,
eine
Serien
zu
erwarten,
nicht
erfaßt sind,
kurzfrist igen
gar
vielmehr,
von
Weizenpreises
wäre
perfekte
zuletzt
weil hier sämtliche Aufwendungen der gemeind-
lichen Armenpflege
von
wie stark die Ausgaben
vom Stand des regionalen
nicht
daß
1795/96
Preisanstieg
tangiert
während
und
also auch solche,
Schwankungen
Entscheidend
der
großen
auf
eine entsprechend
36
beiden
die
Lebenshaltungs-
werden.
jeder
1799-1801
der
ist
Krisen
den
explosionsartigen
starke
Erhöhung der Aus-
gaben
für
die
schließende
Armenpflege
Rreisverfall
erfolgt,
daß
aber
ebenfalls mit einer
der
an-
deutlichen
Ausgabenkürzung beantwortet wird.
Den
Schlüssel
Musters
zum
liefern
Verständnis
die
während
dieses
der
bemerkenswerten
Krisenperiode
auftau-
chenden Ausgabenposten des Typs "Speenhamland",
terhalb
der
zeigen,
zu
beiden
Hauptkurven
in welcher weise
dieser
aufgeführt
im Oktober
Armenpfleger
1795,
einen
in
Sie
Ardleigh
übergingen.
finden wir Hinweise auf die Zahlung einer
beginnend
sind.
die Armenpfleger
Unterstützungspraxis
die un-
Zunächst
"flour
bill",
als die Rechnungsbücher
Betrag
von
£60
4s
Od
der
ausweisen:
"Paid the Poor 4 Weeks to help them buy Flower in Har30
vest".
Es folgen Ausgaben desselben Typs in ähnlicher
31
Höhe
für
jeden
erscheint,
der
Anfang
drei
anschließenden
Januar
1796,
Monate.
Dann
eine namentliche
Liste
von 83 armen Familien mit Kindern, mit dem prosaischen
d
r
Titel:
Child
"The
under
über die
Paying
the
Poor
12 years",
Zahlung
242 Kindern).
von
6 p .
begleitet
£12 2s Od
Offenbar
zwei
pr.
die
ab.
mit
bei
Beihilfesatz
(Hervorhebung von mir),
meisten der
Kinder
(und
wöchentliche
im April
danach
33
Wochen,
später
und
selbst
erhöhte Satz wurde in der Praxis großzügiger
hielten
die
one
Child for all C h i l d 0 ,
handhabt als es auf dem Papier stand,
ihrer
above
Eintragung
denn bereits drei Wochen
ist die Rede von "giving 1 s .
under 12 years old"
(für
Child
einer
erwies sich dieser
bald als unzureichend,
dieser
von
1796
bricht
Da
Bezug
nicht
nur
für
Unterstützung
wurde
dieser
diese
bereits
auf
betroffenen
die
Ende
Form
von
der
37
unter
für
12
1 Schilling.
Doch
wieder
der
Familienbeihilfe
1795
die
halbiert,
erste
Armenfamilien
jedes
Jahren)
32
Satz
Dezember
Liste
denn de facto erFamilien
die
ge-
und
ganz
Zahlung
verzeichnet
ist (also noch bevor die Liste selbst auftaucht),
nen wir sagen,
daß diese systematischen
leistungen
vier
gut
Monate
maximal sieben Monate,
lang
Unterstützungs-
gewährt
wurden,
Ausgabenposten
jedenfalls tauchen
vor
Oktober
1795
April 1796 nicht mehr auf,
schen
diesen
beiden
und
1794
und Sommer
Fa-
solche oder ähnliche
noch
nicht
und
ein vergleich
Zeitpunkten
blocks mit den Gesamtausgaben
Anfang
oder
wenn wir davon ausgehen, daß die
meisten der Zahlungen per "flour bill" an dieselben
milien gingen.
kön-
des
liegenden
zwi-
Ausgaben-
der Armenpfleger
1799 zeigt,
nach
zwischen
daß der enorme
An-
stieg der Gesamtausgaben während der Krise von 1795/ 96
eindeutig
auf
die
grundnahrungsmittelbezogenen
Famili-
enbeihilfen zurückzufUhren
ist.
Dasselbe Muster wiederholt
sich noch einmal während der
Krise 1799-1801.
Zwar
sind
Listen von Armenfamilien
der nicht sagen können,
diesmal
dokumentiert,
Praxis
fen wurde,
tionen
sind.
in einer
Familienbeihilfen
sondern
lei-
Familien
Krise
Form,
nicht
zurückgegrif-
in der Mehlsubvenmehr
aufeinander
von vorneherein miteinander
kombiniert
In den Rechnungsbüchern der Armenpfleger sind die
entsprechenden
Zahlungen unter
aussagekräftigen Titel
fen,
so daß wir
Aber es ist klar, daß
vorangegangenen
und zwar
und
folgen,
der
namentlichen
wie viele (und welche)
in den Genuß der Beihilfen kamen.
auf die
keine
in
fast
"flour
perfekter
dem ebenso einfachen wie
list" verbucht.
Dieses Verlaufsmuster
lau-
die
ist bereits in sich,
der
ohne daß wir
etwa über den genauen Kreis der Unter-
stützungsempf änger ,
bestätigt
mit
Sie
Weizen34
Preisentwicklung, von Oktober 1799 bis Oktober 1801.
weitere Details,
Parallelität
kennen,
Ergebnisse
höchst aufschlußreich.
bisheriger
38
Es
Langzeitanalysen,
macht
aber
zugleich
sichtbar,
Feinstruktur
(breite Zeitintervalle
hindurchfallen
mikroanalytischen
messen,
der
bei hohem
mußten.
Perspektive
Die
läßt
wenn wir unser Beispiel
Aggregations-
Bedeutung
sich
am
"Revolution der steigenden
eine
Erhöhung
der
sah darin die
OK
Erwartungen".
Armenunterstützung
Krisenzeiten
sei zwar an sich nichts einzuwenden;
das
sei,
Problem
daß
eine
anschließende
sich nur um den Preis gewaltsamer
diese
Report
erreichen
Art
der
lasse.36
Argumentation
von 1834,
sozialer
Ein
bezeichnenderweise
liege und
Auseinander-
schönes
findet
in
doch
Verringerung
jenseits der Grenze des sozial Durchsetzbaren
setzungen
er-
betrachten.
Eines der subtileren Argumente der Kritik
Gefahr einer
dieser
besten
im Kontext der zeitge-
nössischen Kritik am Speenhamland-System
Gegen
Entwicklung
die durch das grobmaschige Datennetz solcher
Analysen
grad)
die
Beispiel
sich
im
Poor
für
Law
gegen Ende des Ab-
schnitts über "out-door relief to the able-bodied",
wo
es um die Gründe für den Ausbruch der Swing-Revolte
von
1830 geht. Dort heißt es:
"Whatever addition is made to allowances (...) excites the expectation of still further allowances,
increases the conception of the extent of the
right (to relief - Th.S.),
and ensures proportionate disappointment and hatred if that expectation
J
is not s a t i s f i e d . " '
Daß dies
auf lange
reits gesehen.
ber hinaus,
Sicht nicht stimmte,
daß die Armenunterstützungsausgaben
innerhalb kürzester
Zeiträume dem Verlauf der
wicklung angepaßt werden konnten.
der Auf- und Abschwünge
Preisen zogen
haben wir
be-
Das Beispiel Ardleigh belegt aber darü-
die
Ein genauer Vergleich
ist instruktiv.
Armenpfleger
mit
den
Bei steigenden
Unterstützungs-
ausgaben erst mit einer gewissen zeitlichen
39
selbst
Preisent-
Verzögerung
nach
-
wird,
was
kaum
verwundert,
terung
der
Lebensbedingungen
standen werden kann.
gibt sich
davon
ausgegangen
genau das
umgekehrte
Verhaltensmuster
bensturz während
lesbar,
einfachen
Bild:
Verbesserung
Unterstützungsausgaben
Dieses
der
Leute
ver-
Bei fallenden Preisen dagegen er-
nur eine geringfügige
die
wenn
daß ihr Verhalten als Antwort auf die Verschlech-
sofort
ist
der ersten
am
sobald sich
abzeichnete,
drastisch
reduziert.
deutlichsten
Hälfte des
auch
wurden
am
Ausga-
Jahres 1800
ab-
der einen tiefen Einschnitt zwischen den beiden
Höhepunkten im Winter 1799/1800 und
im Winter
1800/1801
markiert.
Unsere
Analyse
läßt sich
noch weiter
verfeinern,
wenn
wir die von solchen Entwicklungen
Betroffenen,
men selbst,
in den Blick nehmen.
Im Zeitraum, der hier
zur Debatte
steht,
bildeten
Kindern
weitaus
größten
den
zungsempfänger.
in Ardleigh
Kreis
Es wäre aber
der
die
Familien
Armit
Armenunterstüt-
falsch,
hierbei
nur
die
bisher angesprochenen Zahlungen während der beiden großen Subsistenzkrisen
sie
ger,
die
auch
in
im Auge
"normalen"
zu haben.
Zeiten
in den
am konkreten Bedarf orientierter
in den Rechnungsbüchern
Überschrift "occasional
Vielmehr
Genuß
der Armenpfleger
relief" aufgeführt
Standard entsprechen,
den wir aus anderen,
kennen
alltägliche
rend
Bettzeug)
der
ebenso
Schwangerschaft
die Ausbildungsförderung
Übernahme
der
als
unter
ähnlich gut
typisch
für
unter dem Alten
Möbel und Hausrat
bewilligt
wie
oder
längerer
bei
der Kinder
Beerdigungskosten
40
und
(insbe-
Beihilfen
die
die
Armen-
wäh-
Krankheit,
(Lehrgeld) oder
durch
der
sind und dem
Danach wurden Kleidungsstücke
Schuhe (besonders im Winter),
sondere
und
Unterstützungspraxis
recht ansehen können.
vielfälti-
Einzelleistungen,
dokumentierten
Fällen
kamen
die
Gemeinde
(einschließlich des
3R
Trauergästen)..
Daneben
(aber
gab
Bieres
es für
auch
junge
"pensions",
für
ältere
Leute,
Witwen
und damit
die
mit
sind wir
Armenunterstützungsempfängern:
in
wurden,
pro
"weekly
überdies
dieser
Witwen
zweiten
"weekly
gesonderten
Gruppe
paupers",
Liste
geführt
im Schnitt 20 Personen, von denen die meisten 2
Schillinge
als
einer
den
wöchentliche
bei der
von
auf
unter
insbesondere
Kindern),
die
Ardleigh
Armen
Woche
list"
einen
Liste
Stichwort
erhalten.
besonderen
wurden
Titel.
von
den
Lappage's
andernorts
wird,
hat
Die
Ardleigh
Zahlungen
Armenpflegern
list"
zumeist
in
gemäß
unter
dem
verbucht,
so benannt
nach der Frau des dörflichen Ladeninhabers.
Ob dies be-
deutet,
"Mrs.
Was
bezeichnet
daß die Betroffenen
im Dorfladen
liche Unterstützung abholten,
land Rentner
wir
leider
Jedenfalls
erstmals
im Oktober
gesamten
Zeitraum
Die
leichten
stanten
die
der
veränderte,
Woche
sind
auf
und
für
Woche
blieb.
2
Die
Schillingen
"weekly
in
heißt,
war also nicht der
auf diese
sen.
in
doch waren
regelmäßigen
stärkerem
über
den
qq
weiterverfolgen.
insgesamt
ab
wissen
Zahlungen
sich
und
relativ
pro
zu
Kopf
wie
57
kon-
daß
sich
geringfügig
Unterstützung
phonetischer
von
weitgehend
es an
einer
Schreibweise
Lebenshaltungskostenentwickihre Empfänger
nicht
Unterstützungszahlungen
Daneben bezogen auch sie,
weitaus
lassen
lowance",
charakter istisch
angepaßt,
gehen,
diese
zurückzuführen,
paupers"
Stelle
lung
des
darauf
"weekly
Postamt
tauchen
während die wöchentliche
durchschnittlich
gleich
1794
Verschiebungen
Niveaus
Zahl
so wie noch heute in Eng-
zum nächstliegenden
nicht.
ihre wöchent-
Maße
als
41
allein
angewie-
und zwar pro Kopf wohl
die
Armenfamilien
mit
Kindern,
vielfältige Leistungen aus dem grcßen Topf des
"occasional
relief".
Durch eine inoffizielle,
Volkszählung
Ardleighs
im Oktober 1796
kennen wir
unterstützungsempf änger
genauer
untersuchte Armenpopulation
als
daß keine
page's
älteren
geführten
sondern die meisten von ihnen
rateten
Töchter.
daß
Ardleigh
in
Familienhaushalte
Und
im
das
Jahre
unter
te hier
derer
Stelle
bereits
falls
von
entnehmen
höchstem
eines
bisher
einer
1796
der
den
So wis-
"Mrs.
Lap-
allein
lebte,
ihrer
verhei-
Gründe
dafür,
der
Anteil
erweiterter
ArmenunterstützungsempfänBevölkerung.
die Struktur der
geschehen
Armenhaushal-
zumal dies an an40
die
Daten
die sich dieser Volkszählung
eben-
lassen,
Interesse.
lebenszyklischen
sind
ist.
in
Sie
erlauben
so unser Verständnis der
unter
Alten Armenrecht
extremen Bedingungen
Doch
unserem
Armutsprofils
erweitern
dem
Armen-
im Haushalt
ist
im einzelnen zu analysieren,
zur Altersstruktur,
der
andere
der auf
Witwen
gern höher war als in der übrigen
Es würde zu weit führen,
jede
Englands vor 1800.
sen wir beispielsweise,
list"
aufgezeichnete
den Kreis
Zusammenhang
die
der
Darstellung
Gemeinde
und
Unterstützungsformen
(Abb. 3).
Selbst
der Subsistenzkrisen
unter
des
den
ausgehen-
den 18. Jahrhunderts erweist
sich hiernach das Alte Ar-
menrecht
sozialen
gezielt
als
Höhepunkten
nicht
Im
System
etwa
Falle
im
zu
Lebenszyklus
einer
Ardleighs
gesellschaftlich
in
der
der
Sicherung,
an den für die jeweilige Situation
Familien,
deren
finden
anerkannter
Altersgruppe
der
wahllosen
noch
42
ansetzte
Ausgabenpolitik
wir
die
Armut
zwischen
Kinder
Armut
30
zu
das
spezifischen
und
führte.
höchsten
Raten
bei
den
Kindern
und
und
50,
d.h.
bei
jung waren,
um
durch
Abb. 3: Lebenszyklusprofile der Armut in zwei englischen Gemeinden
Ardleigh,
%
70
1736
\
pop.m1096
60
50
HO
-
30
20
, 1 1 1 I I I !1
1
1
1
£l
I I II I I I
Quellen: Essex Rccord Office, D/P 263/
1/5 (nichtoffiziell« Volkszählung im Pfarregister)}
D/P 263/12/1 (Rechnungsbuch
der Armenpfleger).
Agt group
Braintrti,
1821
5:
o
«ar
group
i i i i ii rp
O
«n
Age
i
Quellen: Essex Record Office» D/DU 65/
83 (Ausführliche Rohfassung
der offiziellen Volkszählung)t
D/DO 09 ("Poor Book", 1821).
\
43
Arbeit
zum
Jugendliche
ihre
und
familiären
einem
Kind)
dagegen
Dabei
ist dies
eben
Einkommenspool
erst
waren
noch nicht
land"-Lebenszyklusprofil
deutlich
einmal
der
Dennoch wäre es falsch,
(mit
weniger
ein
Armut,
Armenunterstützungsempfänger,
älteren "weekly paupers",
41
schlössen haben.
beizutragen.
Verheiratete
reines
da
also auch
maximal
betroffen.
"Speenham-
wir
die
sämtliche
vorwiegend
in unsere Berechnungen
einge-
hierin den für das Alte Armen-
recht typischen Lebenszyklus der Armut zu vermuten.
ser Kontrastbeispiel
die
sich
Anglia
nach
zum
dem
zeigt Braintree,
Untergang
regionalen
trum entwickelte.
der
Handels-
ten
Kern"
in
East
Dienstleistungszen-
Im Jahre 1821, einem "guten" Jahr
vgl.
nur 12 Prozent der
der
Un-
Kleinstadt,
Tuchindustrie
und
Ende einer Deflationsperiode,
gehörten dort
eine
Abb. 1,
Bevölkerung
Armenunterstützungsempfänger,
zum
im
"harUnter-
schied zu den 43 Prozent Ardleighs 25 Jahre zuvor.
hier
finden
alte
Menschen,
troffen
wir
vornehmlich
die
sind.
von
Jugendliche
der
Die prekäre
Armut
den kann.
Profils
Doch
des regionalen
das charakteristischste
Und
allem
stark
Jugendlichen
die hier nicht weiter
Alter.
zungsempfänger
sondere Witwen.
Der
größte
Teil
sind ältere Ehepaare
42
gegenwärtigen
vermessen,
Stand
Armenrechts
der
be-
hängt
Arbeits-
erläutert werMerkmal
dieses
Armenunterstüt-
und Frauen,
unseres
sagen zu wollen,
schen Verteilungen
ten
vor
ist ohnehin der Anstieg der Armutsquote mit zu-
nehmendem
Beim
besonders
Lage der
in diesem Fall mit der Struktur
marktes zusammen,
und
(am
Serie 4),
Wissens
welche dieser
insbe-
wäre
der Armut das für die Epoche des
"klassische"
44
Profil
es
lebenszykli-
darstellt.
AlDoch
wahrscheinlich
falsch
ist
gestellt.
zifisch für
eine
die
Frage
bestimmte
bestimmten
sozialen
Armut
und
Bewältigung,
"Speenhamland-Kontext"
verarmung,
ohnehin
und
ist
spe-
Situation,
und ökonomischen
für
Kontext
der
sowohl
der
beide,
als auch der Kontext der Alters-
Eher wäre zu fragen,
lebenszyklischen
denn
Form
dürfen durchaus als typisch für die Zeit vor
1834 gelten.
zifische
dieser
beiden Profile
historische
einen
ihrer
in
Jedes dieser
Akzentuierung
Erscheinungen
junge
Familien
ob diese Formen der
von Armut überhaupt
"vor industrieller"
mit
Kindern
und
spe-
Armut
alte
sind,
Menschen
scheinen zu allen Zeiten zu den Gruppen zu gehören,
nen es am ehesten an dem fehlt,
schaftlich
anerkannter
wendigen" Gütern
und
Minimalstandard
Dienstleistungen
an
im
17. Jahrhundert
sehr wohl bewußt
pflege
"vor
stützung
von
verweisen,
tree
spricht,
war.
Und
genau dem
Beispiel
sellschaften
auf einer
innerhalb
gilt
umgekehrt
gesetzlich
läßt
entwickelten
kapitalistischer
und auch
sich
gar
darauf
Modell
für das
44
ist.
heutige
Rownent-
Armuts-
IndustriegeGroßbritan-
Zwar bestand Rowntree noch
"objektiv" definierbaren,
absoluten
"poverty
während wir uns hier an den Maßstab dessen halwas
innerhalb der
als Subsistenzstandard
tem öffentlicher
weder
Unter-
solche
rund 80 Jahre später von
Yorks)
nien bestätigt worden
ten,
Armen-
obwohl die
das seitdem als "klassische" Form des
lebenszyklus
line",
als
Problemgruppen
gemeindliche
ihrer annahm,
Armenfamilien
43
Wales
daß man sich be-
beiden
daß die
Tim
daß unser Lebenszyklus der Armut für Brain-
ziemlich
(am
und
Ort" sich
nicht vorgesehen
tree
war,
dieser
"lebensnot-
gilt.
hat an Beispielen aus Norfolk gezeigt,
reits
de-
was jeweils als gesell-
von uns
galt,
Unterstützung
im Falle Braintrees noch
45
untersuchten
Gemeinden
unterhalb dessen das Syseinsetzte.
Doch gibt
es
in dem Ardleighs Hinwei-
se darauf,
daß durch diese gesellschaftlich
Armutsgrenze
definierte
zugleich bestimmte Gruppen von Armen "aus-
gegrenzt" wurden,
schen" Ausmaß
die an sich, d.h. gemessen am "physi-
ihrer Verelendung,
der Unterstützung
durft hätten.
Im Gegenteil - es sieht so aus,
ten
beiden
in diesen
recht
die
für
die
Verantwortliehen
tatsächlichen
Gemeinden
unter
Organisation
ein wohlwollend
Ausmaß
der
dem
der
Alten
sozialen
Armen-
Fürsorge
realistisches Bild
Bedürftigkeit
be-
als hät-
unter
den
vom
"la-
bouring poor" gehabt.
Zugegeben,
diese Schlußfolgerung erscheint ebenso aben-
teuerlich wie
zwei
naiv.
isolierte
auf eines,
ben);
Abenteuerlich,
Beispiele
da wir
stützt
Braintree
(im
nur
sich
auf
sogar
nur
berührt
ha-
Grunde
am Rande
und naiv, weil sie ein Bild friedlicher
ziehungen suggeriert,
entsprechen mag,
durch
Klassen
das aber der historischen Realität ei-
massive
ich diesen
Alte Armenrecht
Kapitel
einer
Ausbeutung
und
Unterdrückung
Beitrag mit
beschließen,
positiven
einem Plädoyer
Neubestimmung
im
Hinblick
auf
unser
Leistungen des "modernen"
V. Ausblick:
gekenn-
Gleichwohl
da mir scheint,
"für"
das
daß
das
seiner
histori-
ist,
insbeson-
schen Bedeutung noch nicht abgeschlossen
dere
Selbst-
im 18. Jahrhundert
zeichneten Gesellschaft völlig widerspricht.
möchte
Sozialbe-
das dem paternalistischen
verständnis der herrschenden
ner
weil sie
Verständnis
der
sozialen
Wohlfahrtsstaates.
"Moderne" Seiten der "Alten Armut" und
ih-
rer Bewältigung
So wenig
ein einzelnes
zes Land sein kann,
Dorf
repräsentativ
so erstaunlich
46
für ein
gan-
ist es, daß Ardleigh
in vielen Punkten durchaus als ein verkleinertes
Abbild
des
frühen
agrarischen
19. Jahrhundert
seiner
rung
Größe
nach)
dersetzungen
ten,
Englands
im
späten
gelten kann.
der
Fläche
lediglich
die
Tatsache,
um die enclosures
als auch
die
typischen
Merkmale
die
hier keine
und zwar einfach deshalb,
Grafschaft
der
daß
neben
BevölkeAuseinan-
Rolle
spiel-
weil Ardleigh wie
Essex
bereits um
gut wie vollständig eingehegt war.
es
und
Außergewöhnlich war
(sowohl
alle Gemeinden der
18.
eines
fast
1600 so
Ansonsten aber
Dorfes
auf,
wies
das
den
Übergang vom alten System des open field farming zu m o dernen
landwirtschaftlichen
hatte.
reiche
Produktionsformen
Variante
selwirtschaft ,
zeigte
sich
der
und
klassischen
kein
Auch die
Sozialstruktur
von
"moderne"
1800
Form
bereits
um
profitorientierter
voll
der
Dorfbevölkerung
Arthur
Young
Frotschrittlichkeit
Experimentierfreude.
wies
keine
Besonder-
ist allenfalls,
ländlichen
Klassenstruktur
ausgeprägt
ländliches Proletariat
ertrag-
Fruchtwech-
Verblüffend
der
Gruppe
als
der
Ardleighs
heiten auf - im Gegenteil.
die
Norfolker
Geringerer
beeindruckt
ihrer Anbaumethoden und ihrer
daß
vollzogen
Um 1800 betrieben Ardleighs Farmer eine
tenant
gegenüber,
ausmachte,
war.
Einer
farmers
kleinen
stand
ein
das den größten Teil
und
bestechenderweise
bestand zwischen diesen beiden Klassen dasselbe Größenverhältnis von 1:5,
1851 ausmachen läßt.
das sich für ganz England
Ähnliches gilt für die demographi-
sche Entwicklung Ardleighs,
lelität
zur
im Jahre
Entwicklung
die in erstaunlicher
im nationalen
zügiges Bevölkerungswachstum ab 1760,
Maßstab
mit einer
45
gen Beschleunigung zwischen 1790 und 1820.
47
Paral-
verlief:
kräfti-
weitere
Elemente
der
ließen sich nennen,
ses
Ortes
"politischen
unterstreichen.
wir
wiederum durch Arthur Young,
beiter,
die
Jahrhundert
dort
nennenswert
dem
zu
für
sein.
(und
Ardleighs
ausgehenden
der
18.
Sie
anderen
für Landar-
und
frühen
entsprachen
Essex',
Situation
zahllose
der
wiederum
Gerade
vielleicht
in
dieser
das
des
Hinsicht
ist
"Normalität" Ardleighs von Belang:
Süd-
poor"
Gemeinden
eindrucksvollste)
da-
nicht
bezüglich
"labouring
ländliche
19.
dem
Grafschaften
seiner
andere
die-
beispielsweise,
Demnach scheint Ardleigh auch
ökonomischen
pisch
kennen
die Lohnsätze
wurden.
innerhalb
von
ostens abwich.
der
im
gezahlt
maligen Standard
Ökonomie"
die den Durchschnittscharakter
ein
Indiz
ty-
gewesen
weiteres
für
die
die Serie 6 unserer
Abb. 1, auf die wir nun kurz zurückkommen müssen.
Ein Vergleich
wicklung
der Serien
der
weitgehend dem
für alle
ermittelten Muster
weichungen gibt,
tengerüst
5 und
6 zeigt,
einer
ren Aggregat ionsebene
Gemeinde
zusammen)
ökonomische
Kontext,
gezwungen sahen,
wirtschaftlichen
Daß
Essex
ist
Ab-
denn im Da-
immer
mit
immerhin
Zuhöhe-
die
Daten
ausgleichen.
Ent-
übereinstimmen wie
Darüber hinaus entspricht
innerhalb
pfleger Ardleighs sich zu einer
haben.
in
daß die markanten Punkte der Entwicklung
in beiden Serien ebenso deutlich
auf
Ent-
Ardleigh
die sich auf einer
(Serie 5 faßt
ren langfristiger Trend.
marktes,
die
Daß es geringfügige
ist nicht verwunderlieh,
einzelnen
von mehr als 250 Gemeinden
scheidend ist,
in
agrarischen Gemeinden
entspricht.
fallsschwankungen zu rechnen,
der
daß
Armenunterstützungsausgaben
dessen
solchen
den allgemeinen
die
wir
oben
dem Beispiel
Armen-
Ausgabenpolitik
Bedingungen der
Produktion und des ländlichen
die
(Abschnitt
II)
land-
Arbeits-
hingewiesen
Ardleighs zum Verständnis
48
deauch
des
"Speenhamland"-Systems
im
1795-96 und 1799-1801
kommt,
Zusammenhang
der
eine grundsätzliche
Krisen
dürfte deutlich genug geworden sein;
nicht schwierig,
und es ist
dasselbe auch im Hinblick auf die Pro-
bleme der Nachkriegszeit zu zeigen.
meindeversammlung
Ardleighs
im
gesetzlich
vorgeschriebenen
gern
"assistant
einen
von
Bedeutung zu-
So beschloß die G e -
März
1832,
den
ehrenamtlichen
overseer"
zur
beiden
Armenpfle-
Seite
zu
stellen,
für den eine jährliche Vergütung von £ 25 vorgesehen
-
unter der Bedingung,
"that he attends
pect to the paupers and unemployed".
res-
Und ein Jahr
spä-
ter einigte man sich auf eine "labour rate",
le Farmer,
deren Land mit einem Pachtwert
£5 oder mehr
zur Armensteuer
wonach al-
von
jährlich
veranlagt wurde,
ein
schäftigungsvolumen von 4s pro veranlagtem Pfund
wert zu übernehmen
hatten,
bei
einem Lohnsatz
chentlich 10s für den erwachsenen Arbeiter.
veranlagter
Farmer
hatte
demnach
war
in every
die
Be-
Pachtvon w ö -
Ein mit £ 1 0
Wahl,
entweder
(mindestens) vier Arbeiter zu beschäftigen oder 40s di~
4fi
rekt an die Armenpfleger abzuführen.
Dieses Beispiel ziegt zweierlei.
schließen,
daß
schaftliche
Unterbeschäftigung
zu
einem
nur
durch
beitsmarktes
licht
es,
war,
auch
strukturellen
noch
Rahmen
sich
der
eine
der
die
landwirt-
außerhalb
der
Erntezeit
Problem
entwickelt
war.
angewandte
gegebenen
Erstens läßt es darauf
Ardleigh
systematische
beizukommen
daß
in
Zweitens
dem
des
aber
Ar-
verdeut-
Steuerungsmechanismus
Möglichkeiten
ökonomisch
im
sinnvoll
wie überhaupt die Unterstützungspolitik dieser G e -
meinde
dem
ideologischen
Zerrbild
tungslosen Armenrechtsverwaltung,
1834 vorschwebte,
eine
hatte,
Steuerung
kleine
Gruppe
völlig widerspricht.
von
wohlhabenden
49
einer
verantwor-
das den Reformern von
Davon etwa, daß
Farmern
das
Alte
Armenrecht
"labour
nere
korruptiv
rate"
Farmer
instrumentalisierte
einen Teil
und
Gewerbetreibende
kaum die Rede sein.
keine
fremde
versteckte
über
abwälzte,
die
auf
klei-
kann
hier
Denn diejenigen Dorfbewohner,
Arbeitskraft
nicht betroffen,
und
ihrer Arbeitskosten
beschäftigten,
die
waren
gar
vielmehr wurde diese "labour rate" als
Form der Arbeitslosenunterstützung
von denen
finanziert,
die zugleich die führenden Arbeitgeber
47
in-
nerhalb
Gemeinde
sie
der
waren.
aus Ökonomischem Interesse,
daß es
"unterm Strich"
Natürlich
handelten
wenn sie sich ausrechneten,
das Günstigste
sei,
"überschüssiger" Arbeitskräfte zu haben,
den Spitzenzeiten
der
Produktion
greifen konnten.
Aber
indem sie
rend
Monate
der
stungen
flauen
finanzierten,
Landarbeitern
men",
das
als das,
werden
bei
hier
das
wäh-
Armenunterstützungslei-
Familien
sie
den
zugleich
Dürftigkeit
eingenommenen
immer
Perspektive
Alte Armenrecht
auf
scheint
tion,
zurück-
auch
besitzlosen
ein
noch
"Auskomhöher
was ihnen unter dem Neuen Armenrecht
"Pauperismus
blick
aller
Belieben
diesen Pool
sicherten
ihren
Pool
lag
zugemutet
sollte.
Aus der
Sinn,
und
durch
nach
einen
auf den sie in
der
seine
es
eher
als letzten
Rückständigkeit"
ökonomische
als
eine
es
wenig
Ausläufer
48
macht
eines
Im
Hin-
Steuerungskapazität
anzusehen.
er-
ziemlich
"moderne"
mit einem hohen Maß an Rationalität
lität,
wenn
Rahmen der
auch
nur
einzelnen
Gemeinde.
Neuen Armenrecht wesentliche
Für
diese
weil
sie den
treideproduzierenden
Farmer
in der
50
Einschätzung
Strukturelemente
ökonomischen
Flexibi-
beschränkten
daß auch unter dem
Armenrechts unter der Hand weiterliefen,
deshalb,
und
im zugegebenermaßen
spricht nicht zuletzt die Tatsache,
Institu-
des
Alten
und zwar genau
Interessen
gleichen
der
Weise
geent-
4g
gegenkamen wie
soziale
bereits vor
Seite' des Alten
1834.
Was
Armenrechts
schließlich
betrifft,
der Begriff des "Pauperismus der Rückständigkeit"
minder
problematisch.
gung,
wenn
der Bedürftigkeit
geht.
Natürlich hat er seine
es um die Unterschiede
Es wäre absurd,
endgültige
Beseitigung
storische
Konto
halb
voll
der
der
bestreiten
Armut auf
sozialstaatlichen
entfalteten
Ausmaß
ihrer Linderung
zu wollen,
der "nackten"
daß
die
das
hi-
Agenturen
inner-
Industriegesellschaft
geht.
Dennoch besteht keine Veranlassung,
die
keit
überzubewerten
des
"modernen"
gar historisch
d.h.
gemessen
am
gesellschaftlichen
mens,
Umfang
des
Reichtums
Leistungsfähig-
Denn relativ
zur
oder
gesehen,
Umverteilung
in Frage kommenden
des
Einkom-
erscheinen die Errungenschaften des modernen Sys-
tems der
läufer
Sozialstaates
zu mystifizieren.
ist
nicht
Berechti-
im absoluten
und den Möglichkeiten
die
so
sozialen Sicherung
durchaus
im Vergleich
als mager.
Den
zu seinem
gesamten
Vor-
Einkommensum-
verteilungseffekt des Alten Armenrechts kennen wir
noch
nicht.
Doch für zwei "Problemgruppen" der sozialen Für-
sorge,
nämlich
hende Eltern,
den.
für alte
ist
Menschen und
die Probe
für
aufs Exempel
alleinerzie*gemacht
In beiden Fällen wurden die heute üblichen
stüt zungssätze
mit
denen
unter
verglichen,
jeweils
kommen
Arbeitnehmers.
eines
in Relation
dem
Alten
zum
DurchschnittseinFällen
war
war
51
in beiden
Armenrecht
unter dem Alten Armenrecht
50
die Unterstützung großzügiger als heute.
das Resultat eindeutig:
Und
wor-
Unter-
Anmerkungen
1
Vgl.
die Schlüsselpassagen zum "less eligibility"Prinzip und zum "workhouse test" im Armenrechtsreport
von 1834: The Poor Law Report of 1834, hg. v. S.G. u.
E.O.A. Check land, Harmondsworth 1974 (Pelican Classics), S. 335 u. 377-78. Ich zitiere den Report nach
dieser Ausgabe,
die leichter zugänglich ist als das
Original (in:
Par1iamentary Papers 1834 XXVII) und
überdies dessen editorische Mängel beseitigt.
Zum
ideologischen Hintergrund der Armenrechtsreformbewegung siehe J. R. Poynter, Society and Pauperism: English Ideas on Poor Relief,
1795-1834,
London 1969;
Gertrude Himmelfarb,
The Idea of Povirty. England in
the Early Industrial Age, London 1984; Brian Inglis,
Poverty and the Industrial Revolution, London 1972.
2
Zit. nach Asa Briggs,
The Age of Improvement 17831867, London 1959, p. 278. Die Materialsammlung der
Untersuchungskommission war in der Tat bahnbrechend,
insbesondere, was die Erhebung gemeindlicher Rohdaten
auf der Basis standardisierter Fragebögen betrifft.
Siehe dazu die umfangreichen Anhänge des Reports:
Parliamentary Papers 1834 XXVIII-XXXVIII. (Der Report
mit Anhängen ist jetzt als Nachdruck komplett verfügbar in der 1. OOO-bändigen British Parliamentary Papers-Serie bei Irish Universitiy Press, als Bde. 8-18
der Unterserie "Poor Law").
Daß die Kommission anschließend das Material nicht systematisch auswertete,
sondern sich bei der Niedersehr ift des Reports
hastig aus den eingehenden Berichten der Assistant
Commissioners die Fälle herauspickte,
die ihre bereits vorher feststehende Position stützte, steht auf
einem anderen Blatt. Der Report war bereits im Druck,
bevor die Rohdaten überhaupt komplett vorlagen.
In
dieser Hinsicht wird man also kaum sagen können,
die
Untersuchung
habe
"wissenschaftlichen
Prinzipien"
entsprochen.
3
Mit Abstand der beste Überblick:
Geoffrey W.
Oxley,
Poor Relief in England and Wales 1601-1834,
Newton
Abbot 1974 (mit reichhaltiger Bibliographie der bislang weitgehend vernachlässigten Lokal- und Regionalstudien). Daneben, vor allem unter dem Aspekt der Lokalverwaltung:
W.E. Tate, The Parish Chest. A Study
of the Records of Parochial Administration in England, Cambridge,
3. Aufl.
1969. Die ausführlichste
Gesamtdarstellung ist nach wie vor Sidney und Beatrice Webb, English Poor Law History, Part I, The Old
52
Poor Law, London 1927 (repr. London 1963). Ob es aber
noch als Standardwerk zu betrachten ist, darf bezweifelt werden, und zwar weniger hinsichtlich der vielen
Details,
in denen es mittlerweile überholt ist,
als
vielmehr wegen seiner "institutionalistischen"
Gesamtkonzeption, die wenig Spielraum für ein adäquates
Verständnis der Armenunterstützungspraxis "vor Ort"
läßt.
4
Noch 1831 betrug die durchschnittliche Einwohnerzahl
pro Gemeinde in ganz England und Wales 898 (bei einem
Median von 368),
in den landwirtschaftlichen Grafschaften sogar nur 534 (Median « 394).
Mark Blaug,
The Poor Law Report Reexamined, in: Journal of Economic History 24 (1964), S. 244. Siehe auch Peter Laslett, The World We Have Lost - further explored, London 1983,
Kap. 3 zur Dorfgemeinde im fruhzeit 1ichen
England.
5
Für eine Zusammenstellung der wichtigsten Passagen
der Armengesetze von 1601 bis zum Neuen Armenrecht
siehe Maurice Bruce (Hrsg.), The Rise of the Welfare
State. English Social Policy, 1601-1971, London 1973,
S"I 39-49 (und S. 50-68 zum Neuen Armenrecht); für die
Zeit ab 1780 auch Michael E. Rose (Hrsg.), The English Poor Law 1780-1930, Newton Abbot 1971.
6
Vgl. nach wie vor die Pionierstudien von W.A. Ashby,
One Hundred Years of Poor Law Administration in a
Warwickshire Village, Oxford 1912 (Oxford Studies in
Social and Legal History,
hg. v. Paul Vinogradoff,
III);
F.G. Emmison, The Relief of the Poor at Eaton
Socon,
1706-1834,
in: Publications of the Bedfordshire Historical Record Society 15 (1933i , S"I 1-98.
Emmison kam unter anderem zu dem Ergebnis,
daß "no
connection between legislation and the changes of
methods (of poor relief - Th.S.) can be traced at
Eaton"(S. 7).
7
Das Beispiel der Arbeitshäuser ist besonders instruktiv,
weil es scheinbar so gut zur landläufigen Vorstellung von der Zunahme des Arbeitszwangs in der
Übergangsphase zum industriellen Kapitalismus paßt.
Dabei wird leicht übersehen,
daß z.B. das Gesetz von
1723 überhaupt nicht als Vorläufer des "workhouse
test"-ModelIs gelten kann,
da es nichts dergleichen
verbindlich machte,
sondern nur den Zusammenschluß
mehrerer Gemeinden zum Betrieb eines Arbeitshauses
sanktionierte.
Auch wäre es verfehlt,
das Netz der
immerhin rund 4.000 "workhouses" um 1800 als Indiz
für den Stand der frühkapitalistischen Disziplinierung der "labouring poor" anzusehen. Tatsächlich wa-
53
ren die meisten nämlich einfache "poorhouses", in denen jeweils eine relativ kleine Anzahl von Waisen,
Behinderten und älteren Leuten untergebracht und von
der Gemeinde versorgt wurden.
Siehe James S. Taylor,
The Unreformed Workhouse,
1776-1834, in: E.W. Martin
(Hrsg.),
Comparative Development in Social Weifare,
London 1972, S. 57-84; Oxley, Poor Relief, Kap. 5.
8
Zur Veranschaulichung: wir meinen in etwa die Gebiete
südöstlich der Linie Boston-Exeter.
Auf Cairds berühmter Karte der englischen Landwirtschaft um 1850
liegen sie südlich der "high wage"/"low wage"-Linie
und östlich der "pasture"/ "arable"-Linie: J.H. Clapham,
An Economic History of Modern Britain, Bd. 1,
Cambridge 1939, S. 467.
9
Instruktive Beispiele bei K.D.M. Snell, Annals of the
Labouring Poor.
Social Change and Agrarian England,
1660-1900, Cambridge 1985, S. 104-06. Gute zusammenfassende Darstellung bei Oxley, Poor Relief, Kap. 4.
10 Peter Clark,
Migration in England during the Late
Seventeenth and Early Eighteenth Centuries,
in: Past
and Present,
Nr. 83 (1979), S. 57-90; Peter Laslett,
Clayworth and Cogenhoe (zuerst 1963), erweiterte Fassung in seinem Band Familiy Life and Illicit Love in
Earlier Generations,
Cambridge 1977, Si 50-101, und
zwar dort S. 65-77;
Laslett,
world We Have Lost,
S. 75-77. Siehe auch die wichtigen Untersuchungen zur
regionalen Mobilität der jungen Landarbeiter von Ann
Kussmaul:
The Ambiguous Mobility of Farm Servants,
in: Economic History Review,
2nd series, 34 (1981),
S. 222-35; Servants in Husbandry in Early Modern England , Cambridge 1981, Kap. 4.
11 James S. Taylor, The Impact of Pauper Settlement, in:
Past and Present, Nr. 73 (1976), S. 42-74, markiert
den wesentlichen Neuansatz. Für die ältere Auffassung
besonders notorisch Dorothy Marshall,
The English
Poor in the Eighteenth Century,
London 1926, S. 2463T; Webb, Old Poor Law, S. 315, 396, 399. Unter den
wenigen älteren Arbeiten, die der traditionellen Orthodoxie mit wohlbegründeter Skepsis begegneten, ragt
hervor:
E.M. Hampson, Settlement and Removal in Cambridgeshire,
1662-1834,
in:
Cambridge Historical
Journal 2 (1928), S. 273-89.
12 Der klassische "Speenhamland scale",
den die Friedensrichter von Berkshire am 6. Mai 1795 im Pelican
Inn in Speenhamland (einem Tithing der Gemeinde Speen
in der Nähe von Newbury) beschlossen,
ist häufig zitiert worden,
z.B.
in Webb, Old Poor Law, S. 178;
54
J. L. und Barbara Hammond, The Village Labourer (zuerst 1911), London 1978 (nach der revidierten Ausgabe
von 1927), S. 108-09; Karl Polanyi, The Great Transformation (zuerst 1944), Boston 1957, S. 78.
Jedes
dieser Werke enthält zudem eine Diskussion des historischen Kontextes, doch die genaueste Darstellung ist
die bei Mark Neumann, Speenhamland in Berkshire, in:
Martin (Hrsg.),
Comparative Development,
S. 85-89,
und in erweiterter Fassung in seinem Buch: The Speenhamland County.
Poverty and the Poor Laws in Berkshire 1782-1834, New York 1982, S. 72-109. Die beste
Analyse der zeitgenössischen Diskussion liefert Poynter, Society and Pauperism, Kap. 3.
Anzumerken bleibt, daß der Begriff "Speenhamland-System" neueren Datums ist.
Die Zeitgenossen sprachen
von "allowances" oder vom "allowance system" (auch,
mit Bezug auf die lineare Anpassung der "allowances"
an die Preisentwicklung,
vom "allowance scale") und
machten übrigens bis zum Ende der
Napoleonischen
Kriege wenig Aufhebens davon.
Auch war der "scale"
von Speenhamland beileibe nicht der erste.
Doch "Speenhamland" wurde zum Synonym für "allowance
system",
nachdem der Report von 1834 im Kapitel über
die vermeintlichen
paternalistischen
Entgleisungen
der Friedensrichter
der
"Speenhamland
scale"
vom
6. Mai 1795 argumentationsstrategisch geschickt plaziert hatte (Poor Law Report of 1834,
S. 206-17 für
die Argumentationslinie,
der
"scale"
selbst
auf
S. 209),
und er dann von George Nicholls,
einem der
vehementesten Armenrechtsforscher "von unten",
als
Prototyp des systematischen "out-relief to the ablebodied" zum dramatischen Wendepunkt der Geschichte
des Alten Armenrechts hochstilisiert wurde (A History
of the English Poor Law,
London 1854, Bd. 2, S. 13739), Siehe hierzu auch den interessanten historiographischen Abriß bei Neumann,
Speenhamland in Berkshire, S. 89-99.
13 Gute Darstellung bei Neumann,
Speenhamland County,
S. 185- 88.
Beispiele im Poor Law Report of 1834,
S. 102-06 (roundsman system! und S. 294-333 (labour
rate). Doch diese sind, ebenso wie die Beispiele für
"allowances" (S. 90-102),
mit Vorsicht zu genießen,
denn es wurden vornehmlich solche ausgewählt, die den
Mißbrauch der Unterstützungspraktiken durch einzelne
Interessengruppen (z.B.
bei der "labour rate" durch
größere Farmer auf Kosten der kleineren) zeigen.
Die
ältere Literatur bietet, im auffälligen Gegensatz zum
Speenhamland-System,
relativ wenig zu diesen Unterstützungsformen.
Eine Ausnahme bilden die Webbs, Old
Poor Law, S. 189-96, wo sie eine erstaunlich positive
Darstellung liefern, während sie, offensichtlich ohne
55
es selbst zu merken,
in ihrer Darstellung des Speenhamland-Systems (S. 170- 89) die Vorurteile der Reformer von 1834 voll übernehmen. Mehr dazu weiter unten.
14 Unklar ist vor allem die Zuordnung der modelltheoretischen Begriffe des Lohnzuschusses (wage subsidy)
und der Familien- oder Kinderbeihilfe (familiy allowance; child allowance),
und zwar vor allem deshalb,
weil das Speenhamland- System in gewisser weise beide
Momente miteinander
verknüpfte.
Insofern war
es
durchaus zutreffend,
wenn die Zeitgenossen von "allowances in aid of wages" sprachen und damit zwei unterschiedliche Aspekte begrifflich kurzschlössen.
Es
scheint,
daß genau darauf die anhaltende Verwirrung
zurückzuführen ist.
So klassifiziert etwa Blaug das
Speenhamland-System ausschließlich als "wage subsidy"
und besteht darauf, es dürfe nicht mit "familiy allowances" verwechselt werden (Poor Law Report Reexamined,
S. 231-32);
an anderer Stelle geht er sogar
noch weiter und spricht vom Roundsman-System als dem
"Speenhamland System pure and simple" (S. 238).
Demgegenüber scheint es mir sinnvoller,
im Hinblick auf
die eindeutige Einbeziehung der Kinderzahl das Speenhamland-System als "familiy allowance" zu verstehen,
selbst wenn es durchaus die Form eines Lohnzuschusses
annehmen konnte.
(Dann nämlich, wenn die "allowance"
an einen beschäftigten Arbeiter ging;
doch dies war
keineswegs zwingend,
denn einem Arbeitslosen stand
sie ebensogut zu). Umgekehrt ging es beim RoundsmanSystem und der Labour Rate ausschließlich um die (beschäftigungspolitisch ergänzte) systematische Subventionierung der Löhne,
völlig unabhängig von der Kinderzahl .
Eigenartigerweise sind diese begrifflichen Unstimmigkeiten bisher kaum diskutiert worden. Fast alle Autoren sind Blaug unbesehen gefolgt.
Eine Ausnahme bildet Karel Williams, From Pauperism to Poverty, London
1981, S. 44-51 und 147- 55, dessen wichtige Einwände
gegen Blaug allerdings dadurch weitgehend vernebelt
werden,
daß er sich als strukturalistischer "antiempiricist" (seine eigene Einschätzung,
S. 41 ü.ö.)
offenbar unsicher ist, ob er sie selber ernst nehmen
soll oder nicht.
Dagegen hat Donald N.
McCloskey die Analyse Blaugs
von einer anderen Seite her kritisiert.
Er wirft ihm
vor, die Frage offengelassen zu haben, ob Speenhamland als "wage subsidy" oder als "income subsidy" zu
interpretieren sei (McCloskey entscheidet sich für
letzteres): New Perspectives on the Old Poor Law, in:
Explorations in Economic History 10 (1973),
S. 41936. Doch seine Argumentation ist rein theoretisch und
56
führt hinsichtlich der Frage nach der konkreten
gestaltung und Wirkungsweise des Speenhamlandtems kein "Stück weiter.
AusSys-
15 Sofern nicht anders vermerkt,
bezieht sich die folgende Darstellung auf Mark Blaug, The Myth of the Old
Poor Law and the Making of the New,
in:
Journal of
Economic History 23 (1963), S. 151-84, auch in: M.W.
Flmn/T.C.
Smout (Hrsg.), Essays in Social History,
Oxford 1974, S. 123-53 (Zitate nach der Erstpublikation); Blaug, Poor Law Report Reexamined;
James S.
Taylor, The Mythology of the Old Poor Law, in: Journal of Economic History,
ig (1969), S. 292-97; Neumann, Speenhamland in Berkshire; J.D. Marshall, The
Old Poor Law 1795-1834,
London 1972 (inzwischen 2.
Auf 1. (erweitert?)) , die mir leider nicht zugänglich
war);
D.A. Baugh, The Cost of Poor Relief in SouthEast England, 1790- 1834,
in: Economic History Review, 2nd ser., 28 (1975), S. 50-68; K.D.M. Snell,
Agricultural Seasonal Unemployment,
the Standard of
Living,
and Women's Work in the South and East,
1690-1860,
in: Economic History Review, 2nd ser., 34
(1981), S. 407-37; George R. Boyer, The Economic Role
of the English Poor Law ca. 1780-1834, Diss.
Univ.
Wisconsin/ Madison 1982; Neumann, Speenhamland County,
Teile II und III;
Anne Digby,
The Poor L a w T n
Nineteenth-Century England and Wales^
London 1982
(Historical Association Pamphlet); Snell, Annals of
Labouring Poor, Kap. 1 und 3; George R. Boyer, An
Economic Model of the English Poor Law ca. 1780-1834,
in:
Explorations in Economic History 22
(1985),
S. 129-67. Angemerkt sei, daß ich die begrifflich und
sachlich kontroversen Punkte bewußt ausgeklammert habe und sozusagen den kleinsten gemeinsamen Nenner der
auch methodisch sehr unterschiedlichen Beiträge präsent iere .
16 Zu betonen ist, daß keine dieser drei großen Subs istenzkrisen des ausgehenden 18. Jahrhunderts dem "type
ancien" entspricht.
Die klassische Verbindung von
Mißernte und Getreidepreisexplosion auf der einen,
steigender Mortalität und Abnahme von Geburten und
Eheschließungen auf der anderen Seite fehlt - was
übrigens nicht nur für diese Jahre gilt, sondern vermutlich als spezifisches Charakteristikum der "Bevölkerungsweise"
des
frühneuzeitlichen
Englands
schlechthin gelten kann; Laslett, World We Have Lost,
Kap. 6 und S. 325- 36; E.A. Wrighley/R.S. Schofield,
The Population History of England,
1541-1871: A Reconstruction,
London 1981,
S. 332-42 und 645-93;
Roger Schofield, The Impact of Scarcity and Plenty on
Population Change in England,
1541-1871, in: Journal
57
of Inderdisc iplinary History 14 (1983), S. 265-91. Zu
den Subsistenzkrisen und Tnren sozialen Auswirkungen
vgl.
im übrigen John Stevenson,
Food Riots in England, 1792- 1818, in: R. Quinault/J. Stevenson (Hg.),
Popular Protest and Public Order, London 1974, S. 3374; John Stevenson,
Popular Disturbances in England
1700-1870, London 1979, Kap. 5, bes. S. 91-112; Walter M. Stern, The Bread Crisis in Britain, 1795-96,
in: Economica, N.S., 31 (1964), S. 168- 87.
17 A.H. John, Farming in Wartime:
1793-1815, in: E.L.
Jones/ G.E. Mingay (Hrsg.), Land, Labour and Population in the Industrial Revolution,
London 1967,
S. 28-47; E.L. Jones, The Agricultural Labour Market
in England,
1793-1872,
in: Economic History Review,
2nd ser.,
17 (1964-65),
S. 322-38; n I
Gash, Rural
Unemployment,
1815-34,
in: Economic History Review,
1st ser., 6 (1935-36), S. 90-93; E.J.T. Collins, Harvest Technology and Labour Supply in Britain,
17901870,
in:
Economic History Review,
2nd ser.,
22
(1969), S. 453-73; G.W. Fussell/M. Compton, Agricultural Adjustments after the Napoleonic Wars, in: Economic History 3, Nr. 14 (Feb. 1939), S. 184-204; G.
Huckel, Agriculture during Industrialisation, in: Roderick Floud/Donald McCloskey (Hrsg.),
The Economic
History of Britain since 1700, Bd. 1, Cambridge 1981,
S. 198-^01.
18 Zu den Einhegungen und ihren Auswirkungen auf den Umbruch der
ländlichen Klassenstruktur
siehe
jetzt
Snell, Annals of the Labouring Poor,
Kap. 4.
Nach
dieser gründlichen Abrechnung mit der "optimistischen" Interpretation, wie sie etwa in J.D. Chambers/
G.E. Mingay,
The Agricultural Revolution 1750-1880,
London 1966,
Kap. 4 oder G.E. Mingay, Enclosure and
the Small Framer in the Age of the Industrial R e v o l ~
tion, London 1968 zum Ausdruck kommt, wird sich die
Auffassung, die Einhegungen hätten sich, insbesondere
durch ihre positiven Arbeitsmarkteffekte,
letztlich
positiv auf die Lage der agrarischen Unterschichten
ausgewirkt, schwerlich aufrecht erhalten lassen.
19 In dieser Richtung argumentiert vor allem Boyer, Economic Role, Kap. 4; Economic Model, S. 46-62, wobei
es letzten Endes noch nicht einmal entscheidend ist,
ob die beschäftigungsorientierten Formen des Roundsman-Systems oder der Labour Rate voll zum Zuge kamen.
Seiner am Modell der "implicit contracts" orientierten Analyse zufolge war selbst die "offene" Arbeitslosenunterstützung während der Wintermonate,
ohne
jeglichen Beschäftigungszwang,
also z.B. die Zahlung
einfacher "allowances",
für die landwirtschaftliehen
58
Arbeitgeber noch billiger als z.B. der Abschluß jährlicher Arbeitsverträge.
Genau daraus erklärt sich ja
auch die Tatsache, daß in den ländlichen Regionen die
Praxis des "outrelief to the able-bodied" selbst nach
1834 erhalten blieb, obwohl dies dem Neuen Armenrecht
und den fortgesetzten Anordnungen der Poor Law Commission direkt widersprach.
Siehe dazu die wichtigen
Arbeiten von Anne Digby:
The Labour Market and the
Continuity of Social Policy after 1834:
the Case of
the Eastern Counties,
in:
Economic History Review,
2nd ser., 28 (1975), S. 69-83; The Rural Poor Law,
in:
Derek Fräser (Hrsg.),
The New Poor Law in the
Nineteenth Century,
London 1976,
S. 49-70;
Pauper
Palaces, London 1978, S. 3-7 und 105-14; Poor Law in
Ninetee'nth-Century England and Wales, S. 19-26.
20 B.A. Holderness, "Open" and "Close" Parishes in England in the Eighteenth and Nineteenth Centuries,
in:
Agricultural History Review 20 (1972),
S. 126-39;
Dennis R. Mills, Lord and Peasant in Nineteenth-Century Britain, London 1980, S. 23-25 und 119-20; Cambers/Mingay,
Agricultural
Revolution,
S. 193-94;
Clapham,
Economic History^
Bd. *l, S. 468-69; Bd. 2,
Cambridge 1932, S. 291-92.
21 Nach Wrigley/Shofield, Population History, S. 208-09,
stieg die Bevölkerung Englands zwischen 1771 und 1831
von (rund) 6,5 auf 13,3 Millionen. Der größte Wachstumsschub,
mit jährlichen Wachstumsraten von 1,30 %
und mehr,
fiel in die ersten drei Jahrzehnte des
19. Jahrhunderts.
22 Eigene Berechnungen unter Verwendung der bei B.R.
Mitchell/ Phyllis Deane,
Abstract of British Historical Statistics,
Cambridge 1962,
S. 8 angegebenen
Bevölkerungsdaten für England und Wales.
23 Die Ausgaben für die Armenunterstützung in den Jahren
1775, 1782-84 und 1802 (jeweils Kirchenjähre, beginnend am 25.
März) waren die Zeitgenossen Uber die
Parlamentsberichte zugänglich,
und zwar: Abstract of
the Returns made by the Overseers of'the Poor,
17777
Abstracts of Overseers' Returns,
1787;
Abstract of
Answers and returns relative to the Expense and MaiTP
tenance of the Poor,
in: Parliamentary Papers 1803-4
XIII. Diese drei Abstracts enthalten oie Armenunterstützungsausgaben für jede Gemeinde in England und
Wales. Die für 1777 und 1787 wurden komplett nachgedruckt in Reports from Committtees of the House of
Commons
( = Parliamentary
Papers,
First
»
Bd. 9, Provisions; Poor: 1774 to 1802 (ersch. 1803).
(Sie sind mittlerweile auch verfügbar in House of
59
Commons Sessional Papers of the Eighteenth Century,
hg. v. Sheila Lambert, Bde. 31 und 60). Die "Summary
Statements" aller drei Abstracts, mit den Armenunterstützungsausgaben für jede Grafschaft und für England
und Wales im Ganzen wurden nochmals nachgedruckt, und
zwar im Abstract of Returns relative to the Expense
and Maintenance of the Poor" in: Parliamentary Papers1818 XIX. Dort fand sich auch eine Schätzung der Armenunterstlitzungsausgaben in den Jahren 1747-49,
die
aber auf lükkenhaften Angaben beruht und nicht als
verläßlich angesehen werden kann. Die Armenunterstützungsausgaben ab 1812 schließlich waren den Zeitgenossen für jedes Jahr (und wiederum für jede Gemeinde) bekannt, fortlaufend verfügbar (mit geringfügiger
Wartezeit) in den Par 1iamentary Papers,
und zwar:
1818 XIX (Daten für die Jahre 1812-14);
1822 V (für
1815-20);
1825 IV (für 1821-23);
1830-31 XI (für
1824-28),
1835 XLVII (für 1829-33). Auch diese Angaben gelten
für Kirchenjahre
mit Jahresbeginn
am
25. März, während die Daten in den Quellen selbst und
auch die meisten Autoren sich auf das Jahresende am
25. März beziehen.
24 R.H. Tawney, Religion and the Rise of Capitalism (zuerst 1926), Harmondsworth 1938, S. 251-70; Hammond,
Village Labourer,
S. 110-11 und 164-75;
Webb,
Old
Poor Law, S. 418 und 424-25; Polanyi, Great Transformation,"*Kap. 7 und 8. Selbst Eric Hobsbawm/George Rude, Captain Swing, Harmondsworth 1973, S. 27-31 teilen diese Sicht: nach Speenhamland sei die "traditional social order degenerated into a universal pauperism of demoralized men who could not fall below the
relief scale whatever they did (and) who could not
rise above it" (S. 30). Interessant ist ihre Entgegnung auf Blaug.
Zwar bescheinigen sie ihm,
daß die
Interpretation des Alten Armenrechts als eines ökonomisch sinnvollen Systems zur Steuerung agrarischer
Unterbeschäftigung durchaus etwas für sich habe ("on
paper this makes sense"). Doch dann heißt es: "Speenhamland was not intended to achieve the results which
Keynesxan or socialist economists have in mind. (...)
It was an instinctive escape of country gentlemen into the world they knew best - the self-contained parish dominated by squire and parson - and indeed it
reinforced that supremacy,
by making the village totally dependend on the decision of
its
rulers"
(S. 30).
25 Blaug, Myth of the Old Poor Law; Poor Law Report Reexamined. Diese beiden Aufsätze markieren den eigentlichen Beginn der modernen Forschung zum Alten Armenrecht.
60
26 Baugh, Cost of Poor Relief.
Für die Jahre 1800-1816
hat Baugh die 1817 vom Select Committee of the House
of Lords on the Poor Laws angeordneten Aufstellungen
über die Armenunterstützungsausgaben in jeder Gemeinde ausgewertet.
Diese Aufstellungen scheinen das
House of Lords nie erreicht zu haben und fanden sich
in den von Baugh untersuchten Grafschaften unter den
Akten des Clerk of the Peace.
Sie dürften auch für
andere Grafschaften verfügbar sein,
doch erstaunlicherweise gibt es bislang keinerlei Folgestudien. Für
die Jahre 1790-99 hat Baugh eine Auswahl besonders
gut dokumentierter Gemeindeakten (Rechnungsbücher der
Armenpfleger) konsultiert und die daraus gewonnenen
Daten hochgerechnet.
27 Baugh, Cost of Poor Relief. S. 56-57.
28 Ibid., S. 64.
29 Zu allem, was Ardleigh betrifft, vgl. demnächst ausführlich:
Thomas Sokoll, Household and Familiy among
the Poor:
the case of two Essex communities in the
late eighteenth and early nineteenth centuries, Diss.
Univ. Cambridge, Kap. 3-6.
30 Essex
Record
Office,
E.R.O.),
D/P 263/12/1,
(unpaginiert).
Chelmsford
(im
folgenden
Ardleigh Overseers'Accounts
31 E.R.O., D/P 263/12/1,
Eintragungen vom 14. Nov. und
26. Dez. 1795 und vom 25. Jan. 1796.
32 Ibid., Eintragungen vom 4. Jan. und 27. Jan.
1796.
Eine weitere Liste von Armenfamilien mit Kindern unter dem Datum 24. Feb.
1796.
Daß tatsächlich alle
noch im elterlichen. Haushalt lebenden Kinder der betroffenen Familien berücksichtigt wurden und nicht
nur die unter 12 Jahren, geht aus einem Vergleich der
in diesen Listen aufgeführten Kinderzahl mit den Angaben einer im Oktober 1796 aufgezeichneten inoffiziellen Volkszählung Ardleighs hervor,
in der alle
Bewohner der Gemeinde,
nach Haushalten gegliedert,
mit ihrem vollen Namen und ihrem Alter auftauchen. Zu
dieser Volkszählung weiter unten mehr.
33 Die letzte Eintragung im Rechnungsbuch der Armenpfleger,
die sich auf die Liste der Armenfamilien mit
Kindern bezieht,
datiert y.om 26. April 1796:
"Paid
the Poor 2 weeks pay at 6. p. Child - 11-0-0" (D/P
263/12/1).
34 Um
die
Darstellung
der
61
gleitenden
5-Monats-Durch-
schnitte ebenfalls im Oktober 1799 beginnen und im
Oktober 1801 enden zu lassen, wurden die Eckwerte jeweils um zwei Monate weitergeführt.
An dieser Stelle noch ein Wort zu den Weizenpreisen.
Sie wurden den verschiedenen
Lebenshaltungskostenindizes,
die für diesen Zeitraum berechnet worden
sind
(Schumpeter/Gilboy,
Phelps/Brown/Hopkins
und
Gayer/Rostow/Schwarz),
nicht nur deshalb vorgezogen,
weil diese (abgesehen von letzterem) nicht auf einer
monatlichen Basis verfügbar sind.
Einfache Weizenpreise sind in unserem Fall darüber hinaus ein besserer Indikator der Lebenshaltungskosten,
weil Getreide (produkte)
in den Warenkörben
der
gängigen
Preisindizes mit einer im Vergleich zu den Konsumgewohnheiten der ländlichen Bevölkerung um diese Zeit
viel zu geringen Gewichtung vertreten sind. Vgl.
zu
diesem Punkt N.F.R. Crafts, Regional Price Variations
in England in 1843:
An Aspect of the Standard-ofLiving-Debate,
in: Explorations in Economic History
19 (19825, S. 58-59.
35 Zum Argumentationsmodell der "revolution of rising
expectations" siehe James C. Davis, Toward a Theory
of Revolution,
in:
American Sociological Review 27
(1962),
S. 5-19 (deutsche Ubers.:
Eine Theorie der
Revolution,
in: Wolfgang Zapf (Hrsg.), Theorien des
sozialen Wandels, Köln '1971, S. 399-417).
36 In gewisser Wiese ist dies nur eine Variation des alten Themas,
daß Löhne nach Möglichkeit nicht erhöht
werden sollten, weil sie anschließend nur schwer wieder zu reduzieren seien.
37 Poor Law Report of 1834, S. 123.
38 Reichhaltiges Material bei F.H.
Erith,
Ardleigh in
1796. Its Farms, Families and Local Government, East
Berholt 1978.
An dieser Stelle möchte ich es nicht
versäumen, mich ganz herzlich bei Felix Erith zu bedanken - für seine vielen Hinweise zur Geschichte
Ardleighs und zur Landwirtschaft in der Region,
für
die Überlassung von reichhaltigem Archivmaterial, und
schließlich für seine Gastfreundschaft auf vince's
Farm in Ardleigh, seinem Zuhause seit über 50 Jahren.
39 Die erste "weekly list" taucht am 12. Feb.
1796 in
den Rechnungsbüchern der Armenpfleger auf, es folgen
acht weitere bis zum Jan. 1800. Zahlungen unter dem
Titel "Mrs. Lappage's list" sind aber bereits ab September 1794 verzeichnet (für die Zeit davor sind keine Bücher erhalten geblieben) und lassen sich bis Januar 1803 weiterverfolgen. Vermutlich geht "Mrs. Lap-
62
page's list" auf die wöchentliche Armenkollekte zurück, deren Einnahmen bis 1780 im Pfarregister dokumentiert sind.
40 Thomas Sokoll, The Pauper Household Small and Simple?
The Evidence from Listings of Inhabitants and Pauper
Lists of Early Modern England Reassessed,
in: Ethnologia Europaea 17 (1987), S. 33-36.
41 Dargestellt ist für jede Altersgruppe der Prozentsatz
der Armenunterstützungsempfänger an der Gesamtbevölkerung.
Die Daten wurden durch die Kombination der
Armenlisten mit der inoffiziellen Volkszählung ermittelt.
Dieses Verfahren ist aussagekräftiger als die
einfache Darstellung der Altersstruktur einer Armenpopulation, wie sie bei der Auswertung sog.
"Pauper
censuses" bereits verwandt worden ist, da es die Altersstruktur der übrigen Bevölkerung mit in Rechnung
zu stellen erlaubt.
Es setzt aber den seltenen Fall
voraus, daß die Volkszählung jeden Einwohner namentlich und mit Alter registriert, und daß für den gleichen Zeitpunkt eine komplette Aufstellung aller Armenunt erstützungsempf änger vorhanden (oder zumindest
rekonstruierbar) ist. Für weitere Einzelheiten, nebst
einer Kritik der bisherigen Forschung auf der Basis
von "pauper censuses",
siehe Sokoll,
Pauper Household, S. 30-33; für eine Zusammenstellung des bisher
vorliegenden Materials zur Altersstruktur von Armenpopulationen,
Richard M. Smith, Some Issues Concerning Families and their Property in Rural England
1250-1800,
in: Richard M. Smith (Hg.), Land, Kinship
and Life-Cycle, Cambridge 1984, S. 75-78.
42 Für alle weiteren Einzelheiten zu Baintree vgl.
demnächst Sokoll, Household and Family, Kap. 7-10. Die
Zusammenstellung der Daten für das Armutslebenszyklusprofil erfolgte nach dem gleichen Verfahren wie im
Falle Ardleighs.
43 Tim Wales,
Poverty,
Poor Relief and the Life-cycle:
Some Evidence from Seventeenth-Century Norfolk,
in:
Smith (Hrsg.), Land, Kinship and Life-Cycle, S. 351404. Vgl. auch, im selben Band, W. Newman Brown, The
Receipt of Poor Relief and Family Situation:
Aldenham,
Hertfordshire 1630-90,
S. 405-42,
vor allem
aber, in übergreifender Perspektive, die Arbeiten von
Richard Smith: Some Issues, S. 68-86; Transfer Incomes, Risk and Security: The Roles of the Family and
the Collectivity
in Recent Theories of Fertility
Change,
in: David Coleman/Roger Schofield (Hg.), The
State of Population Theory: Forward from Malthus, Oxford 1986, S. 188-211.
63
44 8« Seebohm Rowntree, Poverty: A Study in Town Life,
London 1901, S. 171. Zu beacnten ist, daß unser graphisches Profil das Spiegelbild desjenigen von Rowntree ist,
da sich bei ihm der Einzelne oberhalb der
"primary poverty line" befindet,
wenn er nicht arm
ist, während unsere Linie an den Stellen des Lebenszyklus ihre Höhepunkte erreicht, wenn sich besonders
viele in Armut befinden. Übrigens ist Rowntrees Profil nur eine graphische Veranschaulichung des Zyklus,
und der Verlauf seiner Linie ist nicht berechnet. Für
Darstellungen des Lebenszyklus der Armut heute,
vgl.
z.B. Peter Townsend, Poverty in the United Kingdom,
Harmondsworth 1979, S. 285-88; A.B. Atkinson,
TKe
Economics of Inequality, Oxford 1975, S. 199-202.
45 Die vorangegangenen Bemerkungen stützen sich auf die
ausführliche
demographische
und
sozialökonomische
Analyse Ardleighs in Sokoll,
Household and Family,
Kap. 3-5.
46 E.R.O., D/P 263/12/3,
tragung 23. März 1832;
Rate, 14. Feb. 1833.
47 Einzelheiten
Kap. 5.
bei
Ardleigh Vestry Minutes, EinD/P 263/11/7, Ardleigh Labour
Sokoll,
Household
and
Family,
48 So, wenn auch nicht explizit auf das Alte Armenrecht,
sondern auf den Pauperismus des frühen 19. Jahrhunderts als gesamteuropäische Erscheinung bezogen,
die
Argumentation bei Wolfram Fischer,
Armut in der Geschichte, Göttingen 1982, S. 56-62, und natürlich bei
Wilhelm Abel, Massenarmut und Hungerkrisen im vorindustriellen Europa. Versuch einer Synopsis, Hamburg/
Berlin 1974; Massenarmut und H u n g e r k r i s e n T m vorindustriellen Deutschland, Göttingen 1972.
49 Vgl, dazu insbesondere Digby,
Labour Market;
Poor Law; Pauper Palaces, S. 3-7 und 105-14.
Rural
50 David Thomson. The Decline of Social Welfare: Falling
State Support for the Elderly since Early Victorian
Times,
in: Ageing and Society 4 (1984), S. 451-82;
K.D.M. Snell/J. Millar, Lone-parent Families and the
Welfare State: Past and Present,
in: Continuity and
Change 2 (1987), S. 387-422, insbes. S. 398-414. Siehe auch den programmatischen Aufsatz von David Thomson, Welfare and the Historians, in: Lloyd Bonfield/
Richard M. Smith/Keith Wrightson (Hg.), The World We
Have Gained.
Histories of Population and Social
Structure, Oxford 1986, S. 335-78.
64
Bernd Weisbrod
"NEUE ARMUT". MARKT UND MORAL UNTER DEM NEUEN ARMENRECHT
I
"The Poor Law Reform of 1834 did away with this obstruction of the labour market:
the "right to live"
was abolished... Never perhaps in modern history has a
more ruthless act of reform been perpetrated;
it
crushed multitudes of lives while merely pretending to
provide a criterion of genuine destitution in the
workhouse test.
Psychological torture was cruelly advocated and smoothly put into practice by mild philanthropists as a means of oiling the wheels of the labor
mill ," 1
So beschrieb
Karl Polanyi die zentrale Rolle des
rianischen Armenrechts
men
Vorgang,
Übergang
den
er
für den welthistorisch
"The
Great
Transformation",
zum "regime of economic man",
klassische
Urteil
eines
vikto-
bedeutsa-
radikalen
nannte.
Kritikers
der
den
Dieses
Markt-
wirtschaft steht in seinem moralischen Pathos dem Urteil
des
viktorianischen
nichts
nach.
"offenste
Er
sah
Zeitgenossen
Friedrich
Engels
in
Armenrecht
die
der englischen Bourgoisie
ge-
im viktorianischen
Kriegserklärung
gen das Proletariat", die damit ihren eigentlichen, menschenverachtenden Charakter
offenbarte:
"So ist die Ausstoßung des Proletariats aus Staat und
Gesellschaft ausgesprochen:
so ist es offen erklärt,
daß die Proletarier keine Menschen s i n d p u n d nicht als
Menschen behandelt zu werden verdienen."
Das Neue
Act",
Armenrecht
von
1834,
das
"Poor Law
Amendment
das derartige Verdammungsurteile der Zeitgenossen
wie der Nachwelt auf sich zog,
fer und Kind der neuen Zeit,
65
war zugleich Geburtshelder Königin Victoria ihren
Namen gab.
Es erhob die beiden Eckpfeiler des viktoria-
nischen Wertesystems, Arbeitsamkeit und Respektabi 1ität,
zu gesamtgesellschaftlichen Normen, indem es ein öffentliches
System
schuf,
das die Anpassung
sozialer
Sicherung
und
Disziplinierung
an die Gesetze des freien
Ar-
beitsmarktes zur moralischen Pflicht jedes Einzelnen erhob. Es zeigte aber auch, in der sozialen Theorie wie in
der sozialen Praxis,
Die "Two Nations",
beschrieb,
waren
das Bild einer gespaltenen Nation.
die Disraeli in seinem Roman "Sybil"
nur
notdürftig
unter dem
Dach
dieses
viktorianischen Wertesystems zu vereinen.
Erst
im Verlauf der
langen
viktorianischen
Epoche
ver-
mochte die Krone jenen traditionellen Nimbus für sich zu
gewinnen,
der
das
britische
3
symbolisch
befestigt.
Als
Nationalgefühl
die
1837 die Thronfolge antrat,
junge
im
Sommer
des
heute
im
Jahre
Königin
hielt sich die Begeisterung
ihrer Untertanen noch in Grenzen. Die
keiten
bis
folgenden
Krönungsfeierlich-
Jahres
offenbarten
die
Zerrissenheit der Nation: Während London der Königin zujubelte,
seits.
Industriestädte
Nordenglands
ab-
Große Teile der Arbeiterschaft
standen
die
in Manchester
und
Leeds boykottierten die Feier1ichkeiten,
kleineren
Textilstädten
tungen abgehalten.
Proteste
galten,
wurden
sogar
Das unpopuläre
sollte
in zahlreichen
Protestveranstal-
Armenrecht,
einen
langen Schatten
4
gesamte Viktorianische Zeit werfen.
dem die
auf die
Bis heute steht das viktorianische Armenrecht als Wendemarke für die Entwicklung der modernen Wirtschafts- und
SozialVerfassung
durchaus
Mit
in
Großbritannien.
widersprüchliche
seiner
Dabei
Auswirkungen
individualistischen
werden
ihm
zugeschrieben.
Sozialphilosophie,
die
den Empfänger öffentlicher Unterstützungsie istungen sys-
66
tematisch
stigmatisierte,
Marktgesellschaft
nierungsapparat
stellte
nelle Grundausstattung
bereit.
verhalf
zum Durchbruch,
es
einerseits
mit
seinem
es andererseits die
institutio-
für den modernen
Wohlfahrtsstaat
Das Viktorianische Arbeitshaus,
abschreckendes
Sinnbild des Zwangs zur freien Lohnarbeit, fand
lich
nach
Pflegeheim
einer
und
langen
historischen
Krankenhaus
seinen
Das Neue Armenrecht scheint
Platz
gen neu entdeckt wird:
und
im
als
Nationalen
für all jene "Victorian
lues" zu stehen, deren Hinterlassenschaft
pektabilität
schließ-
Metamorphose
Nachkriegszeit.6
Gesundheitsdienst der
Gleichzeitig
jene viktorianischen
die man in einem modernen
Va-
in unseren Ta-
Arbeitsamkeit, Selbsthilfe,
Freiheitsliebe.
aber auch als Beleg für
dienen,
der
Diszipli-
Res-
kann
es
Untugenden
wohlfahrtsstaatlichen
Gemeinwesen überwunden zu haben glaubte: soziale Diskriminierung,
moralische
Unmenschlichkeit
tuelle
und
Idealisierung
schen Wertekanons
soziale Logik
Selbstgerechtigeit,
und
Politisierung
des
Die
Kontext
ak-
viktoriani-
sollte jedoch nicht den Blick
und den historischen
zes verstellen,
kalkulierte
politische Unterdrückung.
auf die
eines Geset-
das den rasanten Wandlungsprozesses zur
Marktgesellschaft
quasi, vom Rande her zu definieren und
abzusichern versuchte und damit selbst maßgebend an der
Umorientierung der moralischen Werthierarchien
im vikto-
rianischen England beteiligt war.
II
Das
"Poor
Law
umfangreichen
Amendment
Act"
Bestandsaufnahme
von
1834
des
beruhte
Alten
durch eine königliche Untersuchungskommission,
67
auf
der
Armenrechts
die
von
Edwin
Chadwick,
dem
wohl koordiniert
letzten
Sekretär
Jeremy
Benthams,
und mit Hilfe der theoretischen
Vorga-
ben des Oxforder Ökonomen Nassau Senior zu dem berühmten
"Poor
Law
Report"
ein Klassiker
gilt
allgemein als
o
and wildly unhistorical".
der
sich
Dieser
der "wissenschaftlichen"
inzwischen
pitulation
wurde.7
kondensiert
der
"brilliant,
Pauperismus-Debatte,
inspirierte
genüberstanden.
Er
Friedensrichter
gewann
seine
Philanthropen
der Basis eines
lich Objektiven, statistisch untermauerten
Das
Alte
Armenrecht
Prinzipien
spruchs
der
und unÜbersicht 1 ich.
schiedentlich mit
viktorianischen
of
hatte
und
war
jedoch
"calcu-
die
des
Industry"
Armenrechts
eingerichtet,
zur
in der
etabliert.
die
der
späteren
worden.
So
"Houses
ursprüngliche
einzulösen.
zugunsten der
Blütezeit
des
übergemeindliche
um
Die
uneinheitlich
Jahrhundert war ver-
experimentiert
Arbeitsbeschaffung
kantil ist ische Kalkül
nur
bahnbrechenden
Unterstützungsan-
durchaus
Schon im 18.
eco-
vermeint-
Befundes.
einzelnen Versatzstücken
in einigen Grafschaften
pflichtung
jedoch
1601
im Armenwesen auf Gemeindeebene
Unterstützungsprax is
wurden
von
Steuerpflicht
ge-
sozialphilosophischen
lus of pleasure and pain" mit der neuen "political
the free market" auf
und
andererseits
Maximen aus der Verbindung des utilitaristischen
nomy of
in
Abolitionsten
leidgeprüfte Steuerzahler einerseits sowie
und sicherheitsbewußte
influential
Er verzichtete auf eine Reka-
traditionellen
malthusianisch
Bericht,
Politikberatung,
Ver-
Das mer-
Gemeindekassen
ging
Verlagsindustrie
vor-
übergehend auf. Der eigentliche Wert des Unterstützungswesens mußte sich jedoch in Krisenzeiten zeigen,
der
Zeit der
schiedenen,
napoleonischen
Kriege,
klassichen Armutsursachen
als sich
wie in
die
verhängnisvoller Weise bündelten: die lebenszyklisch
68
ver-
auf dem Lande
in
be-
dingte Armutserwartung,
gung
in den vollständig
die chronische
eingehegten
Unterbeschäfti-
Getreidegraftschaf-
ten im Süden und Osten England und die allgemeine
Q
rung.
Teue-
In
Berk-
dieser
Situation
zeigten
die Magistrates
von
shire als letzte Instanz in Armenfragen einen Ausweg aus
der drohenden Verpflichtung,
Mindest löhnen
zu
das
sichern,
durch die Festsetzung
Überleben
indem
der
sie 1795
landlosen
von
Unterschicht
die Einführung
einer
inde-
xierten Unterstützungsskala empfahlen. Dieser erste Vorläufer der modernen "scala mobile",
der als "Speenham-
land-system" in die Literatur einging,
stellte
faktisch
eine einkomensabhängige, an die Lebenshaltungskosten
koppelte Familienbeihilfe dar,
sich
aus
dem
ortsüblichen
der Kinderzahl
deren
Lohn,
ge-
Unterstützungssatz
dem Getreidepreis
und
errechnete.
Die "Speenhamland-allowances",
nicht die Rechtsgrundla-
gen des Alten Armenrechts insgesamt, gerieten der Königlichen Untersuchungskommission
von 1832 zum eigentlichen
Feindbild. Dabei hätten sie aus ihren eigenen
Erhebungen
entnehmen können,
in den Ge-
daß sich die "allowances"
treide -Grafschaften
längst
rückentwickelt hatten,
zu einer
Art
Kindergeld
zu-
um kinderreichen Familien in der
"child poverty period" - der Phase des Lebenszyklus mit
dem geringsten
Familieneinkommen
und den höchsten
lienausgaben - das Überleben zu sichern.
mographische
keineswegs
Befund
den
entsprach,
alarmierenden
wie
wir
Fami-
Auch der deheute
wissen,
des
Berichts
Behauptungen
über die demoralisierenden Folgen des Alten Armenrechts.
Weder
für die vermeintliche
dent marriages",
der
Arbeitskräfte
Immoralität,
die
noch für die vermeintliche
läßt
sich
69
ein
direkter
"improvi-
Immobilität
Bezug
zu
der
Unterstützungspraxis festellen,
die selbst in den soge-
nannten Speenhamland-Grafschaften
in Süd- und Ostengland
12
von Ort zu Ort
Das Alte
variierte.
Armenrecht
Organisation
erwies
jedoch
sich
insgesamt
mit
nicht
seiner
parochial'en
nur als
ein
bles Instrument der sozialen Sicherung in Alter,
heit und Not.
soziale
ty",
auf
Rechten und
Krank-
Es gewährleistete darüber hinaus auch die
Ordnung
die
flexi-
der
traditionellen
Unmittelbarkeit
Pflichten
"deferential
und
in einem
socie-
Gegenseitigkeit
streng
hierarchisch
von
ge-
gliederten und überschaubaren Ortsverband gegründet war.
Die Kostenexplosion
des Armenwesens
krise
dem
von
mag der
17g5
Anlaß der
Der politische
aus der
und
Ende
großen
zwischen der
Agrar-
napo leon ischen
Kriege
11
Reformdebatte
Reformdruck
zunehmenden
der
erwuchs
Erosion
jener
gewesen
jedoch
sein.
hauptsächlich
systemstabi1iserenden
Funktion und dem wachsenden Bedürfnis einer
marktgläubi-
gen "gentry elite" nach einer Konsolidierung
der
sozia-
len Herrschaftsverhältnisse nicht auf der Grundlage der
"customary rights",
sondern auf der Grundlage der "pro14
perty rights".
Vor allem die "Swing riots" von 1830 in Süd- und Ostengland machten unmißverständlich deutlich,
wie gefährlich
das Subsidiäritätsprinzip der "allowances" war. Die Aufständischen forderten sowohl
als
auch
ihre
menser gänzung
"regular wages wet or
traditionellen
für
"allowances"
ihre Familien.
sich der Versuch der Magistrates,
Darüber
dry"
als
Einkom-
hinaus
erwies
die sozialen Unruhen
durch paternal istische Konzessionen abzufedern,
nur als
ein trügerischer, wenn nicht gar gefährlicher
Notbehelf.
Der Grenznutzen
erschöpft,
des alten Systems hatte sich
nämlich die Löhne niedrig,
die Leute
70
am Leben
und die
soziale Ordnung in Takt zu halten und gleichzeitig alle
Vorzüge der kapitalistischen Entwicklung auszunutzen:
"at bottom an attempt to maintain the ancient ideal of a
stable but unequal society, while combining it with concepts of agrarian capitalism advantageous to landlords
15
and farmers."
Der
unmittelbare
Alten Armenrechts
ten
oder
Grund
die
umfassende
lag somit nicht primär
relativen
meintlich
für
Höhe
der
Armenlasten
mobilitätsfeindlichen
und
Reform
in der
oder
des
absoluder
ver-
demoralisierenden
Wirkung der "allowances", einem Urteil des "Poor Law Report",
dem sich erstaunlicherweise
liberale wie
marxi-
stische Historiker bis heute anschließen, sondern in der
bedrohlichen
politischen
Leistungsschwäche
des
alten
Systems:
"Almost from the moment the Swing rioters took their
revenge for years of deprivation and the erosion of
their customary rights,
the deep concern of the Whigs
for the sources of social cohesion in r u r a l England
stood at the heart of the poor law problem."
Vor
diesem
Hintergrund
formulierten
former von 1832 ein Programm,
die
Armenrechtsre-
das versprach,
eine neue
soziale Ordnung auf der Grundlage von freien Marktbeziehungen zu errichten.
Öffentliche Unterstützungsie istun-
gen sollten in Lohn, bedürftige Arme in freie Lohnarbeiter
verwandelt
werden.
Das
Entpauperisierungsprogramm
beruhte im Kern auf der Annahme, daß die Armut
letztlich
der Verfälschung der freien Lohnbildung durch "relief in
aid of
wages" anzulasten
sei.
War
erst das
Unterstüt-
zungssystem selbst, von den Reformern irrtümlich mit den
"Speenhamland-allowances"
identifiziert, als Ursache der
Armut ausgemacht, so schien aus deren Beseitigung
los die
system
Beseitigung
has made
the
der
Armut
class
and
71
selbst
...
zwang-
zu folgen:
if You
destroy
"The
the
the class will cease' 1 ,
system,
mer.
17
so glaubten die
Refor-
Die sozialen Kosten und Umverteilungsfolgen
die-
ses Paradigmawechsels von der traditionellen "moral economy"
(E.P.Thompson)
"political
economy"
zur
neuen
wurden
marktwirtschaftlichen
dabei
ignoriert
oder
bewußt
in Kauf genommen.
Der ökonomische Schlüssel für die gesamte
Armenrechtsre-
form lag somit in der radikalen Beseitigung
subsidien
für
Schlüssel
und der
sten
in
arbeitsfähige
der
einer
auf
lokalen
und
des
zentral
Das Instrument,
Arme
nicht
wie
Lohn-
Armenwesens
zugun-
überwachten
Ebene
in den
Ar-
neuen
das beides ermögli-
war das Arbeitshaus. Solange
arbeitsfähige
aller
administrative
Friedensrichter
übergemeind1 icher
"Poor Law Unions".
für
der
professionellen
chen sollte,
der
Entparochialisierung
Entmachtung
menverwaltung
Arme,
bisher
Unterstützung
als
"outdoor
allowances" sondern nur im Arbeitshaus gewährt wurde und
die
Lebensbedingungen
schlechter
-
waren
dort
als
"less
eligible"
diejenigen
des
-
ärmsten
Lohnarbeiters, war ein automatischer Armutstest
fen:
Wer
nicht
wirklich
bedürftig
zum Marktpreis
verkaufen,
der
sich
vom
geschlossenen
Arbeitshaus
Anstalt
und
abschrecken
mußte
seine
wer sich dem
unterwarf,
geschaf-
ließ,
war
Arbeitskraft
Zwangsreglement
war
markt entzogen und gleichzeitig moralisch
d.h.
freien
dem
Arbeits-
diskreditiert.
In den Augen der Reformer hatte der "worhouse-test" aber
vor allem den Vorteil,
system
über
versprach:
den
daß er das ganze
Marktmechanismus
Einerseits
entzog
das
Unterstützungs-
überflüssig
zu
Arbeitshaus
machen
dem
Ar-
beitsmarkt die überzähligen Arbeitskräfte und verteuerte
damit die Ware Arbeitskraft, andererseits verschärfte es
den Steuerdruck,
weil die Arbeitshausverwahrung
72
bedürf-
tiger Familien teuerer kam als die traditionellen
subsidien. Nach dem marktwirtschaft1ichen
entstand somit für die Arbeitgeber
reiz, statt der Armensteuern
len.
Die Abschreckung
erhoffte
der zusätzlichen
des arbeitsfähigen Armen und die
Lohnerhöhungsautomatik
Arbeitshäuser
für
An-
lieber höhere Löhne zu zahdurch
das
Arbeitshaus
sollten gleichzeitig die Voraussetzungen dafür
die
Lohn-
Glückskalkulus
die
Arbeitsunfähigen
schaffen,
und
damit
wirklich Bedürftigen, vor allem elternlose Kinder, Kranke und Alte als professionelle Pflege- und Bewahranstalt
nutzen zu können.
Trotz der
widersprüch1ichen
Doppelfunktion des
Arbeits-
hauses - Abschreckung und Fürsorge - bestach der Entpauperisierungsplan
der
frühviktorianischen
Reformer
durch
seine Einfachheit und Radikalität. Er beruhte jedoch auf
einer recht kruden Lohnfondstheorie
chanizistischen Verständnis von
sowie auf einem me-
gesamtgesellschaftlicher
Steuerung. Hinter der neuderdings wieder von neo-liberaler
Seite
geprießenen
Ökonomisierung
des
Armutsbe18
griffs
verbarg sich letztlich ein grandioses Zwangserziehungsprogramm
dessen
keit
Die
höchste
zur Verfertigung
moralische
Tugend
des
"economic
in seiner
man",
Marktfähig-
bestand.
sozialdisziplinierende
Funktion
des
viktorianischen
Armenrechts trat in dem Maße in die Erscheinung,
in dem
die selbstgestellte Zivilisationsaufgabe auf politischen
Widerstand stieß
und die marktwirtschaft1iche
Erwartung
an der sozialen Praxis gemessen werden konnte. Schon die
Beratung
dem
und Implementierung
Hintergrund
eines
populären Widerstands.
des Gesetzes erfolgten
weitverbreiteten
Mißtrauens
Im Parlament hatte eine
vor
und
Minder-
heit von Radikalen, Konservativen und Vertretern des in-
73
dustrialisierten
Nordens
unter Führung William
Cobbetts
ohne Erfolg gegen die Gesetzesvorlage opponiert. Cobbett
sah nicht nur verheerende wirtschaftliche Folgen für die
Arbeiterschaft
the
land-
lords to receive more and the labourers to receive
voraus
- "...namely
to cause
less"
- er kritisierte darüber hinaus die Beschneidung der unveräußer liehen Rechte des "freeborn Englishman" und die
Zerstörung
der
lokalen
Selbstverwaltung
durch
dieses
un-englische und diktatorische Gesetz, das mit dem Recht
der
Armen
auf
Unterstützung
alle
Besitztitel
auf denen der Gesellschaftsvertrag
zerstöre,
beruhe:
"..to pass any law to abrogate, to nullify, or to lessen this right of the poor was a violation of the contract upon which all the real property of the Kingdom
was h e l d . " 1 9
In den Getreidegrafschaften
in Süd-und Ostengland,
zuerst mit einem Netz von Arbeitshäusern
den,
regte sich nach den schmerzlichen
Erfahrungen
"Swing-riots" kaum organisierter Widerstand.
häusern behindert,
wohner
fremden
sogar
dem
in eini-
an den Arbeits-
vereinzelt stellten sich die DorfbeAbtransport
Arbeitshäuser
ihrer
entgegen.
Alten
Der
in
rasche
die
Absicht
sogar noch
in der
orts-
Ausbau
Arbeitshaussystems auf dem flachen Lande enthüllte
provokatorische
der
Es kam je-
doch zu zahlreichen kleineren Boykott-Aktionen:
gen Marktstädten wurden die Bauarbeiten
die
überzogen wur-
des
seine
architektoni-
schen Gestaltung der festungsartigen Neubauten: der Prototyp des ländlichen Arbeitshauses wies mit Ausnahme des
Sitzungszimmers
über
dem
Tor
keine
Außenfenster
Tatsächlich fürchteten einige ArmenVorsteher,
System könne durch die
sinnfällige
auf.
das ganze
Herrschaftsarchitek-
tur der Arbeitshäuser gefährdet werden:
"If there be riots this winter they will be the points
of attack and the centres of discontent,
and when the
paupers see in the single new building of a Union the
single instrument (in their apprehension) with which
74
this change is to be effected,
it wants but very
little to persuade them that in the destructi»on of
that they effect the destruction of the system."
Solche Befürchtungen erwiesen sich als unbegründet.
Deportation
der
Aufständischen
von
1830
sichtlich ihre Wirkung nicht verfehlt.
hatte
Die
offen-
Die Beschneidung
der traditionellen Rechte und die Aufkündigung des moralischen
Wertgefüges
der
"deferential
society"
jedoch zu elementaren Existenzängsten,
führten
die sich in wil-
den Gerüchten niederschlugen: angeblich sollten die Kinder
in den
gast,
die
Arbeitshäusern
sterilisiert oder
Alten zu Dünger
verarbeitet
sogar
oder nach
verihrem
21
Tod
tomy
für
Anatomie-Studien
Act"
von
1832
Law Commissioners",
London,
verwendet
und die
ersten
werden.
Die
"Ana-
Maßregeln
der
"Poor
der neuen Zentralbehörde
im fernen
schienen die schlimmsten Befürchtungen der Pro-
vinzbevölkerung zu bestätigen, jedenfalls trug die tiefsitzende
Verunsicherung
durch
das Neue
Armenrecht
zu einzelnen gewaltsamen Aktionen mit chiliastisch
auch
über-
höhten Erwartungen bei, etwa im Zusammenhang mit den w a lisischen
. 22
Wood".
"Rebecca-riots"
oder der "Battle of
Bossenden
Erst als der Verwaltungsapparat des Neue Armenrechts gegen Ende der 30er
Jahre auch
Nordens ausgedehnt wurde,
auf die
Text i lstädten
entwickelte
politischer Widerstand. Die Führer der
sich ein
des
breiter
Fabrikschutzbewe-
gung, wortgewaltige Prediger und lokale Honoratioren mobilisierten in den Industriestädten und -dörfern im West
Riding
von
Yorkshire
Volksbewegung,
und
in
Lancashire
eine
breite
deren Versammlungs- und Agitationsformen
dem Chartismus im Norden den Boden bereiten sollten. Dabei widersetzten sich einige Gemeinden recht
den
Anweisungen
der
Zentralbehörde
und
erfolgreich
ihrer
Inspekto-
ren, indem sie die vorgeschriebenen wählen für die neuen
75
Armenvorstände
boykottierten,
die Ernennung
von
Armen-
pflegern verweigerten oder in den Steuerstreik und - wie
in Todmorden - in den politischen Ausstand traten.
Einsatz
der
neuen
Londoner
Polizei,
die
Süden Angst und Schrecken verbreitete,
im
Der
ländlichen
wirkte hier eher
als Provokation.
Es war kennzeichnend für diese Protestbewegung, die eine
breite
Volksallianz
zwischen
Radikalen
und
Tories
schmiedete und sich rasch mit chart istischen
Forderungen
politisch aufzuladen
Beteiligung
begann,
daß sie unter
von Frauen und Kindern den traditionellen armenrecht 1ichen Familienschutz
in denen
zur
die
einklagte.
Heimweber
Sicherung
der
ums
Gerade
Überleben
Familieneinkommen
in den
und
unerlässliche
derarbeit in den Fabriken den konjunkturellen
gen schutzlos preisgegeben war,
Gegenden,
kämpften
Schwankun-
schien die Rezeptur des
Neuen Armenrechts völlig unagemessen. Tatsächlich
die örtlichen Armenvorsteher
die
Kin-
in Notlagen
hatten
Unterstützungen
zur Aufrechterhaltung des Gewerbes oder zum Zusammenhalt
der Familien gezahlt.
wesen wären,
Arbeitshäuser, die groß genug ge-
um das Heer der Konjunkturarbeitslosen
ab-
zuschrecken - von der Flut der Iren ganz zu schweigen
waren offensichtlich
Die
Krise
Anfang
der
40er
Jahre
einerseits
Scheitern des von den Chartisten halbherzig
ten ersten Generaistreiks in der Geschichte
verhalfen
folg.
der
Protestbewegung
zu einem
Die städtischen Armenverbände
ten Norden
nahmen
"workhouse-test"
ersatzweise
ebenfalls
arbeitsfähige
aus.
einem
kaum
zu
-
unrealistisch.
im
Frauen
realisieren
76
Er-
industrialisierprinzipiell
mußten
unterziehen,
war.
das
andererseits
verspäteten
Arbeitsfähige Männer
"labour-test"
und
unterstütz-
Als
der
vom
sich
aber
Abschreckung
diente in den rasch wachsenden Städten vielmehr das Heimat-Prinzip des Armenrechts,
das allen zugereisten
Be-
dürftigen die Abschiebung androhte - den Iren und Schotten sowieso.
der
Aber angesichts der rasanten
städtischen
rechtlichen
In den
Arbeitsmärkte
erwiesen
Steuerungsinstrumente
60er Jahren
stützungswohnsitzes.
galt überall
24
als
Umschichtung
sich
die
wenig
armen-
hilfreich:
das Prinzip des
Unter-
III
Die Konflikte, die mit der Implementierung des Neuen Armenrechts verbunden waren, gaben der
Armenrechtsreform die
in der
als
frühviktorianischen
politische Bedeutung
Verwaltungswissenschaft
zurück,
verkleideten
ideologie seiner Erfinder verborgen lag.
Darüber
die
Markthinaus
enthüllte die soziale Praxis des Neuen Armenrechts schon
bald,
daß dessen Kritik
unbegründet war.
am Alten Armenrecht
verfahren konnten,
sahen sie sich in ihren hochfliegen-
den Erwartungen enttäuscht.
So mußte schon nach wenigen
Monaten das Experiment eingestellt werden,
Familien
aus dem
weitgehend
Selbst dort, wo die Reformer nach Plan
Süden
dens zu vermitteln,
kinderreiche
in die Industriestädte
des
wo insbesondere die Mädchen
Nor-
in den
Fabriken mehr verdienen konnten als ihre Väter oder Mütter auf
dem Land.
Sie wurden
als Lohndrücker
gemieden
und mußten schon bei den ersten Krisenanzeichen
Heimatorte
zumal
25
Arbeit finden konnten.
Die
zurück,
Probleme
dieser
ihre
Eltern
zahlenmäßig
kaum
völlig
in ihre
langfristig
unbedeutenden
"home migration" unter dem Neuen Armenrecht machten
grundlegende
Dilemma
der
ländlichen
77
Massenarmut
das
deut-
lieh, das auch die Reste des Speenhamland-Systems am Leben erhalten hatte:
In einer "family-wage-economy"
hing
das Überleben der Familie von den Zusatzverdiensten
Frau
und
Kindern
ab,
da
die
Löhne
auf
die
von
Mindest-
Bedürfnisse des alleinstehenden Mannes zugeschnitten w a ren. Anders als in den Gegenden mit Weide- und Viehwirtschaft
oder
im Einzugsbereich
der
aber in den Getreide-Grafschaften
Erwerbsmöglichkeiten
Intensivierung
für
Frauen
großen
Städte
waren
im Süden und Osten die
und
der Landwirtschaft
Kinder
infolge
langfristig
der
zurückge-
gangen.26
Die Beseitigung der "allowances" als Familienunterstützung für arbeitsfähige Arme mußte daher nicht nur zu
einer bewußten Umwandlung von chronischer Unterbeschäftigung in Arbeitslosigkeit führen. Sie trieb auch Frauen
und Kinder zu verstärkter Arbeitsmarktpartizipation, wodurch die Arbeitsmarktposition von Männern weiter ver27
schlechtert
wurde.
Tatsächlich
in landwirtschaftlichen
nahm
die
Frauenarbeit
Gangs zu und Kinder verließen -
durchaus im Sinne des Arbeitserziehungsprogramms der Reformer
einen
- früher
kleinen
zahlte
als
sonst
die
Zusatzverdienst
Hilfsarbeiten
wurden
Schule,
sofern
erzielen
konnten.
Unbe-
Weise
einen
auf
diese
recht bescheidenen "cash-nexus" einbezogen,
dings die entgangene Familienunterstützung
sie
in
nur
ohne allervoll ersetzen
zu können.
Selbst dort, wo das Armensteueraufkommen nach der Beseitigung der "allowances" drastisch zurückging,
verharrten
die Löhne ganz entgegen der Erwartung auf ihrem unzureichenden
Niveau.
chungsausschuß
von
Vor
einem
parlamentarischen
1837 gestand
78
ein
Großbauer
Untersuaus
Kent
auf die Frage,
ob die Löhne für männliche
Landarbeiter
nicht entsprechend angehoben worden seien:
"No, we could get them at our price.
- Before the New Act came into operation?
Yes, and so we can now."
Der als Folge des Neuen Armenrechts prophezeite
trieb blieb jedenfalls aus.
den
marktwirtschaftlichen
Alten Armenrechts,
Lohnauf-
Selbst die als Sünde wider
Geist
denunzierte
ein örtliches
Praxis
des
Arbeitskräftereservoir
durch Beschäftigungsquoten zu erhalten, lebte vielerorts
wieder
auf.
Unbeschäftigte
Kinder
nach der Art des alten "roundsman
wurden
gelegentlich
system" reihum
unter-
gebracht, anderenorts mußten arbeitslose Männer erst den
Nachweis führen, daß sie sich mehrmals vergeblich um Arbeit zum ortsüblichen
den
Genuß
solcher
Die Männerlöhne
im späten
19.
Lohn bemüht hatten,
bevor sie in
29
Arbeitsstreckungsmaßnahmen
in der Landwirtschaft
Jahrhunderts der
kamen.
sollten sich erst
"male-breadwinner-norm"
annähern. Dies war aber sicherlich weniger dem viktorianischen
Armenrecht
als
den
veränderten
dingungen und der wiedererstandenen
Arbeitsmarktbe-
Landarbeiterbewegung
zu verdanken.
Neben
den
lohnpolitischen
lienpolitischen
Annahmen
der
als fragwürdig erweisen.
sammenhalt
sollten
sich
auch
die
fami-
Armenrechtsreformer
rasch
Sie hatten versichert, der Zu-
der Familien werde durch die Beseitigung der
"allowances"
gestärkt,
aus
"domestic
animals"
verantwortungsbewußte Familienmitglieder,
terhalt
nur
Praxis zwang
ihrer
freien
Lohnarbeit
verdankten.
jedoch zu dem Eingeständnis,
weigerung der "family-allowances"
79
Die
daß die Ver-
die Gefahr des
ly-breakdown" eher noch vergrößerte,
würden
die ihren Un30
"fami-
als sie zu verrin-
gern.
Das armenrechtliche
Instrumentarium,
das
primär
auf den arbeitsfähigen Ernährer einer Normalfamilie
aus-
gerichtet war,
ver-
sprochenen
vermochte offensichtlich weder den
Lohnauftrieb
spezifischen
Problemen
herbeizufUhren,
von
Teil-
und
noch
mit
Restfamilien
den
fer-
tigzuwerden.
Dies
zeigte sich
deutlich
in der Auswirkung
der
Reform
auf die neben den Alten absolut größte Gruppe der Unterst ützungsempf änger:
bedürftige Frauen und
ihre
Kinder.
Wo die "allowances" für kinderreiche Familien wegfielen,
litten sie unter dem Zwang, zu beinahe jedem Preis Lohnarbeit suchen und annehmen zu müssen, um den Ausfall des
öffentlichen Teils des Familieneinkommens
"Cottage
industries"
Strohflechten
über
fallverwertung,
und
Nebenerwerb
auszugleichen.
jeder
private Dienstleistungen
waren
jedoch
schon
immer
Art,
vom
bis zur
eine
zichtbare zusätzliche Einkommensquelle in den
Ab-
unver-
ländlichen
Regionen gewesen. In gewissem Sinne hatten die traditionellen
"allowances"
marktfernen
solche
Gebieten
nur
Nebenerwerbsmöglichkeiten
substituiert.
Nun
in
verstärkte
die vaterzentrierte Marktlogik des Neuen Armenrechts den
31
Konkurrenzdruck auch auf diesem Gebiet.
Frauen und Kinder litten darüber hinaus direkt unter dem
Druck,
übte,
den die Reform auf den Ernährer der Familie auswenn dieser es vorzog,
eine Familie, die er ohne
öffentliche Unterstützung nicht mehr ernähren konnte, zu
verlassen.
Die
familiäre Notbehelfswirtschaft
des Exestenzminimums,
schon
immer von einem nur prekären
gekennzeichnet
gewesen.
am Rande
die "economy of makeshift",
war
Familienzusammenhalt
Der Zwang zur Wanderarbeit
für
Männer, zur frühzeitigen Auflösung der Familienbande für
Kinder und die pragmatische
Adaptation an durch Tod und
80
Krankheit bedingte Krisen der Familienkonstellation
ten Uberall im vorindustriellen Europa eine
op
ge "Kultur
der Armut" entstehen
es
fami 1ialistischen Werte
zu den
den
Entwicklungsländern
poverty",
weit
daß Überzählige
die
Vaterfigur
Die
viktorianischen
lassen.
machen,
familienpolitisch
Dies galt
ihr
im Hinblick
auf
"culture
mußten
auf
ver-
die
Er-
Sanierungsfeldzug
zeitigte.
auf die erzwungene
von Frauen und Kindern,
die
in
of
oder
vollständig
Nebenwirkungen
im Hinblick
beitsmarktpartizipation
auch
oder
moralischer
unerwünschte
nicht nur
gehörte
noch
Kinder preisgegeben
Armenrechtsreformer
daß
Dabei
heute
verbreiteten
zwischenzeitlich
33
ziehtet werden konnte.
fahrung
dieser
hat-
eigenständi-
abschreckende
Ar-
sondern
Arbeitshausver-
wahrung von Familien. Die Richtlinien sahen nämlich vor,
daß jede Unterstützung für Frau oder Kind eines arbeitsfähigen Familienvaters
als dessen Unterstützung
zu
gel-
ten habe und deshalb nur im Arbeitshaus zu gewähren sei.
Eine
verheiratete
befugt,
Frau
war
juristisch
überhaupt
nicht
für sich und ihre Kinder Unterstützung zu bean-
spruchen,
solange
ihr
Mann
arbeitsfähig
und
am
Leben
war.
Konnte sie jedoch glaubhaft machen, daß er die Fa-
milie
verlassen
hatte,
was
unter
einer
Strafandrohung der "Vagrancy Act" stand,
und
halb
ihre
des
Kinder
Anspruch
Armenhauses.
verlockend:
entweder
auf
Die
über
den Umfang
so hatten
Armenunterstützung
Alternative
war
Arbeitshausverwahrung
Familie oder Außenarmenunterstützung
Obwohl
beträchtlichen
in der
der
sie
außerTat
ganzen
der Teilfamilie.
der "desertion
rate" nur
Mutma-
ßungen angestellt werden können, so verraten die Quellen
der
zentralen
nis.34
Die
Armenbehörde
Armenfamilien
doch
wurden
81
eine
wachsende
durch
den
Besorg-
verstärkten
SelbstversorgungsdrucK
Keineswegs automatisch zu Verant-
wortungsgemeinschaften
zusammengeschweißt,
former gehofft
einer
steigenden
tiert,
ten.
hatten.
die für
vielmehr
Zahl
von
wie
die
Re-
sahen sie sich nun mit
verlassenen
Frauen
ihre Familien Unterstützung
konfron-
beanspruch-
Man einigte sich schießlich darauf, verlassene
Fa-
milien wie Witwenfamilien zu behandeln, wobei allerdings
nur
verlassene
unterstützung
Frauen
mit
rechnen
Kleinkindern
konnten,
auf
Außenarmen-
Unterstützung
für
sie
selbst oder für ältere Kinder, sofern sie marktfähig waOK
ren, sollte es nur im Arbeitshaus geben.
Arbeitsfähige
alleinstehende
Frauen
galten
prinzipiell
als ebenso marktfähig wie alleinstehende Männer,
die
Frauenlöhne
ja
Familieneinkommen
stieß
die
in der
Regel
nur
als
obwohl
Ergänzung
zum
in Betracht kamen. Im Falle von Witwen
strikte
Marktdoktrin
jedoch
heftigen Widerstand der örtlichen
sofort
auf
den
Armenvorstände.
Eine
für Witwen zugunsten
einer
Arbeitshauseinweisung wäre undurchführbar gewesen.
Auch
Beseitigung
der "allowances"
arbeitsunfähigen
älteren
Arbeitshaus erspart,
ebenfalls
auf
der
Paaren blieb
obwohl man
strikten
beitsfähige
beitshaus
von der
Frauen
wie
unterstützt
Regel
Witwen mit mehreren
Zwangsvorschrift,
Männer
werden
das
in ihrem Fall zunächst
Geschlechtertrennung
beitshaus bestanden hatte.
Kindern wurden
in der
nach
prinzipiell
durften,
von
im
Ar-
kleinen
der
ar-
im
Ar-
nur
vornherein
ausgenommen. AIleinstehenden arbeitsfähigen Witwen
räum-
te man darüber hinaus nach dem Tode des Mannes eine Gnadenfrist
von einigen Monaten ein,
bis sie sich auf die
Notwendigkeit der Erwerbsarbeit eingestellt hätten. Dies
führte
im großen
und
Unterstützungspraxis,
ganzen
so daß
zur
Fortsetzung
im Zensusjahr
der
1851
alten
schät-
zungsweise etwa 40% aller Witwen zwischen 20 und 45 Jah-
82
ren Armenunterstützung erhielten,
und zwar in der Regel
außerhalb des Arbeitshauses.
Auf diese Weise war sichergestellt,
den
anderen
Teilfamilien
daß
Witwenfamilien
nicht
mit
gleichgestellt
den,
die der Armenpflege am häufigsten zur Last fielen:
den Familien unverheirateter Frauen. Im Fall der
Mütter,
wur-
ledigen
deren Rechtsposition durch das Poor Law Amend-
ment Act von dem Unterstützungsanspruch abgekoppelt wurde,
zeigte
sich die moralische Brechung des Marktprin37
zips besonders deutlich.
ter,
Beide, Witwen und ledige Müt-
galten prinzipiell als arbeitsfähig. Witwen wurden
aber, insbesondere, wenn sie Kinder zu versorgen
hatten,
generell außerhalb des Arbeitshauses unterstützt,
Mütter
auf
und
ihre
Kinder
Unterstützung
konnten
in der Regel
dagegen
nur
ihren
im Arbeitshaus
tend machen. Auch in den Fällen, in denen
Frauen,
sich
der
auf
und räumliche
nächst
gel-
alleinstehende
Witwen und ledige Mütter, zusammen in den Frau-
enabteilungen
setzte
ledige
Anspruch
Arbeitshäuser
Dauer
eine
Trennung durch,
erfolgreich
gegen
untergebracht
moralische
äußere
obwohl
wurden,
Diskriminierung
die
Reformer
Zeichen der
zu-
Schande
in
Kleidung und Haarschnitt Einspruch erhoben hatten.
Von einer "Ökonomisierung des Armutsbegriffs" konnte somit im Hinblick auf die Unterstützung von arbeitsfähigen
Frauen und
cher
trat
ihren Kindern
der
moralische
keine Rede sein.
Zwangscharakter
menrechts in den Fällen zutage,
gitimen
und
spruchten:
illegitimen
in
der
Noch
deutli-
Neuen
Ar-
in denen Witwen mit
le-
Kindern
des
Unterstützung
f rühv iktor ian ischen
Zeit
galt
beandie
Faustregel, daß eine Witwe, die mit ihren legitimen Kindern "outdoor allowances" erhielt, sofern sie ein weiteres illegitimes Kind gebar,
nur zusammen mit ihrer gan-
83
zen
Familie
Verstarb
im
Arbeitshaus
jedoch
dieses
unterstützt
illegitime
Kind
was leider nur zu oft der Fall war,
werden
im
durfte.
Arbeitshaus,
so mußte sie wieder
entlassen werden.
Die Begründung
der Diskriminierung
zwischen
ledigen
und
verwitweten Müttern und zwischen deren legitimen und illegitimen Kindern
ließ erkennen,
daß der Marktwert der
Frau offensichtlich einer moralischen Nachprüfung
unter-
lag:
"The allowance of out-relief to widows with only legitimate children does not tend to increase the number
of widows,
whereas the allowance of out-relief to
mothers of bastards tends directly and powerfully to
increase the number of bastard,
and t h u ^ to produce
extensive evils, both economic and moral.
Auch die Behandlung
der Armenkinder,
deren
keit ja nicht im einzelnen zu testen war,
moralischen
Kategorien.
Dies ergab
Marktfähig-
folgte primär
sich schon
aus der
Diskriminierung der ledigen Mütter: 1851 erhielten etwas
mehr
als
300.000
Armenkinder
Armenunterstützung
(38%
aller ünterstützungsempfänger), 40.000 davon im Arbeitshaus (42% aller Arbeitshausinsassen),
alle
der
120.000
Witwenkinder
während aber fast
zuhause
unterstützt
wur-
den, war die Mehrheit der unehelichen Kinder auf das Arbeitshaus
angewiesen:
Armenkinder
etwa 60%
der
13.000
3Q
lebten 1851 im Arbeitshaus.
unehelichen
Die Arbeitshauskarriere von unehelichen Kindern war aber
keineswegs vorgezeichnet.
Über die
Unterstützungsquote
der unehelichen Kinder insgesamt können leider keine genauen Angaben
gemacht werden.
Die Altersverteilung
der
im Arbeitshaus versorgten unehelichen Kinder legt jedoch
den Schluß nahe,
und
uneheliche
daß das Arbeitshaus für
Kinder
nur
ein
84
ledige
vorübergehender
Mütter
Aufent-
haltsort war;
1862 stellten die unehelichen Kinder fast
60% der Arbeitshauskinder unter 3 Jahren,
30% der
rend
3-7jährigen und
die
Mütter
zusammen mit
der
unehelichen
ihren Kindern
aber nur noch
Uber 7 j ä h r i g e n . 4 0
15% der
Kleinkinder
im Arbeitshaus
dies bei den über 7 jähr igen nur für
fast
waren,
etwas mehr
Das heißt, daß ledige Mütter,
sie
entbinden
Arbeitshaus
mußten,
nur
galt
als die
Hälfte der Mütter.
im
sofern
während
Stillphase der Armensteuer zur Last fielen,
Wähalle
der
danach aber
schrittweise als arbeitsfähige Arme entlassen wurden, um
zu ihrem Unterhalt selbst beizutragen, und zu einem großen Teil
ihre Kinder mit fortschreitendem Alter dem Ar-
beitshaus wieder
entzogen.
Dieser Befund, der aus Bruchstücken der
Statistik
erschlossen werden kann,
anhängern,
sprach.
weil
er
ihrem
Arbeitsfähige
zeitgenössischen
entging den
moralischen
Eltern,
die
Reform-
Weltbild
wider-
ihre Kinder dem Ar-
beitshaus überantworten mußten, hatten in ihren Augen ja
schon
wirkt.
allein
dadurch
Kinder
-
ebenso
strikt
Männer
von
mit
Ausnahme
von den
den
Doktrin gingen
ism" aus,
den
ihr
moralisches
Elternrecht
ver-
Die Reformer hatten deshalb auch keine Bedenken,
der
Säuglinge
Erwachsenen
Frauen.
Ganz
sie dabei
von
zu
entgegen
einem
der nur auszurotten sei,
moralischen
-
im
Arbeitshaus
trennen,
der
wie
die
offiziellen
"hereditary
pauper-
wenn die Kinder von
Ansteckungsherden,
und
seien
es
die
eigenen Eltern, ferngehalten würden. Sie glaubten daher,
nicht nur
für Waisenkinder,
Arbeitshauskinder
Grundsatz
der
in
"loco
Kinderfürsorge
sondern
parentis"
generell
zu
alle
Als
im Arbeitshaus
"parental substitution" und nicht "parental
85
für
stehen.
galt
daher
41
support".
Während sich die Armenrechtsreformer
hung
die
der
Außenarmenkinder
Erstattung
Eingriff
das
Schulgeld
in die elterliche
Lohnzuschuß
sie
von
sogar
aus
bei
heraushielten
Armensteuern
Autonomie
ausdrücklich
Elternrecht
aus der Schulerzie-
vollständig
war
als
und als indirekter
verboten
-
usurpierten
Arbeitshauskindern,
auch
wenn
von diesen nur etwa jedes fünfte beide Elternteile ver42
loren hatte.
Immerhin konnte aber auf diese Weise die
Notwendigkeit
stalt
einer
begründet
staatlichen
werden.
Die
Entpauperisierungsan-
Armenkindererziehung
des
Neuen Armenrechts geriet damit unter der Hand zum
Expe-
riment ierf eld der viktorianischen Erziehungreformer, die
das
bunte
schafts-
Elementarschu1-Gemisch
und
Kirchenschulen
europäischem
Vorbild
als
privaten
nach
verstaatlichen
staatliche Armenschulen
haus
von
endlich
wollten.
sollten unabhängig
pädagogische
Modellanstalten
43
and moral training" dienen.
Dieser groß angelegte moralische
zug verlief
nach beträchtlichen
Nachbar-
kontinentalGroße
vom
für
Arbeits-
"industrial
EntpauperisierungsfeldAnfangserfolgen
im San-
de. Er scheiterte am politischen Widerstand der
sen
Schulgesellschaften
Steuerzahler,
die
das
und
auch für die Ware Erziehung
in
der
Nachbarschaft
Grundlage bestehender
der
Prinzip
der
Empfindlichkeit
der
gelten
großen
"less
Nur
Städte
der
und
schools"
sierungsschub
de3
Lehrerberufs,
durchschlug.
86
der
kam
die
es
jedoch
diskreditiert
profitierten
mehr von dem staatlicherseits geförderten
Arbeitshausschulen
auf
in London
zu solchen armenrecht 1ichen Modellanstalten,
bald zurecht als "barrack
44
wurden.
Die Arbeitshauskinder
der
eligibility"
lassen wollten.
Schulfarmen wie
schon
religiö-
letzlich
Professionali-
indirekt
auch
auf
Der
moralische
Entpauper isierungsfeldzug
schon deshalb zum Scheitern verurteilt,
war
aber
auch
weil die Armen-
recht sreformer trotz des statistischen Befundes an ihrer
Fehlwahrnehmung der Zielgruppe festhielten:
Marktdoktrin
und
die
Idee
der
"parental
produzierten
ein statisches Bild
der
Die strikte
substitution"
Arbeitshauspopula-
tion. Die Wirklichkeit war nicht nur im Hinblick auf die
wichtige Gruppe der
ledigen Mütter und unehelichen Kin-
der weit davon entfernt. Noch in den 60er Jahren
rechne-
te man mit jährlichen Fluktuationsraten bis zu 100%, bis
zu zwei Drittel aller Arbeitshauskinder galten als "ins
45
and outs",
Angesichts solcher Fluktationsraten waren
nicht
nur
alle
armenrecht 1iche
Scheitern verurteilt,
Erziehungsreformen
zum
auch die Funktion des "workhouse-
test" als Wasserscheide
zwischen
"poverty" und
"labour"
stand in Frage.
IV
In der
Frühzeit
des
Neuen
Armenrechts
scheint
beitshaus trotz - oder gerade wegen - der
Abschreckung
nur
eine
kleine
einer größeren fluktuierenden
das
Stammbelegschaft
Klientel
Ar-
beabsichtigten
gehabt zu
neben
haben.
Viele der festungsartigen Neubauten, in denen selbst der
Schrift-
und
verboten war,
Blickkontakt
aus den Namen "poor
tisch
gesinnte
auch
das
zwischen
den
Geschlechtern
verdienten mit ihrem Hunger-Regime
law bastille",
Opposition
verpaßt
philanthropische
durch-
den ihnen die polihatte.
Daran
konnte
Selbstdarstellungsbedürfnis
nichts ändern, das sich beispielsweise in East Anglia in
pompösen Bauten niederschlug,
"pauper
palaces"
schreckung
und
für
sich
die den Gegenbegriff
46
reklamierten.
Zwangsregelment
87
fanden
die
Trotz
Insassen
der
Abdes
Arbeitshauses jedoch» wie diejenigen anderer
ner Anstalten auch,
geschlosse-
Wege der Kommunikation und - in be-
schränkten Maße - der eigensinnigen Nutzung. Davon zeugte
schon
der
deutlich
höhere
Belegungsstand
sowie die große Fluktuation der
Wie
das
Abschreckungsprinzip
einzelnen
durch
funktioniert
eine
neue
hat
des
und
Nachfrage
im
Winter
Arbeitshausinsassen,
nach
Neuen
ob es
Armenrechts
vielleicht
öffentlichen
im
sogar
Leistungen
etwa im Bereich der medizinischen Versorgung
unterlaufen
wurde, ist schwer nachzuweisen. Die wenigen Befunde sind
durchaus widersprüchlich.
So sollte das Angebot, Kinder
aus kinderreichen Familien als Ersatz für die entgangene
Familienunterstützung
in
zweifellos abschrecken.
das
Arbeitshaus
aufzunehmen,
In einem Fall wurde
befriedigt
registriert, daß nur drei von 152 EinweisungsVerfügungen
47
angenommen wurden.
Andererseits fürchtete man die Vei—
suchung
zur
Kindesaufgabe,
so daß schließlich
nur die
moralische Einzelfallprüfung übrigblieb. Auch die Androhung der Arbeitshausverwahrung
umfunktioniert werden:
für ganze Familien konnte
In einem Fall tauchten auf Anra-
ten des Ortsgeistlichen
alle bisher
lien im Arbeitshaus auf,
unterstützten
Fami-
um das System ad absurdum zu
führen.48
Die zweifellos beabsichtigte Sozialdisziplinierung funktionierte hier wie anderenorts keineswegs nur als Ein49
bahnstraße.
lisierung
Die Institutionalisierung
der
viktorianischen
und Professiona-
Armenpflege
schuf
darüber
hinaus langfristig auch die Möglichkeit zur Anpassung an
die sich wandelnde Bedürfnisstruktur der Armut.
Arbeitshaus
stalt,
so
zunächst
noch
entwickelte
multifunktionale
es
später
Zweckanstalt für Alte und Kranke,
88
sein
War das
Zwangsan-
Potential
als
Kinder und Irre, Pro-
stituierte und Obdachlose. Dabei ging die Nachfrage nach
solcher institutioneller Fürsorge keineswegs nur von den
um Markt und Moral besorgten Sozialreformern aus.
liche Arbeitshäuser,
Länd-
wie das der Bridge Union in Kent,
hatten besipielsweise 1837/38 einen relativ hohen, fluktuierenden Anteil
von jüngeren Familien zu
die oft mehrmals im Jahr Schutz
verzeichnen,
im Arbeitshaus
suchten.
Fünfzig Jahre später diente es fast nur noch als Alten50
heim und Refugium für ledige Mütter und ihre Kinder. w
Trotz der
ingeniösen
automatisches
Erfindung des "workhouse test" als
Entpauperisierungsinstrument
bot
Aremnrecht in der Praxis für große Teile der
schen Unterschichten,
der,
die
der
insbesondere
letzte Zuflucht,
Markt
die
für Frauen und
Kin-
wenn weder die Familie
noch
erforder 1iche
Subsistenzsicherung
währleisten vermochte. Zwar schuf das rasch
de
Netzwerk
privater
das Neue
viktoriani-
"charities"
eine
zu
ge-
expandieren-
gewisse
Entla-
stung. Die Grundsätze der christlichen Nächstenliebe
ge-
rieten jedoch auch hier zunehmend in den Bann der armen51
rechtlichen
Marktprinzipien.
Dabei
Ausmaß der Armutsproblematik
durch die offizielle Statistik,
geschlechtsspezifische
wurde
das
im viktorianischen
ganze
England
die weder alters- noch
Langzeitreihen aufwies, eher ver-
schleiert. Bis zur Mitte des Jahrhunderts zählte man nur
die Unterstützungsfälle
im Winterquartal. Das Ergebnis -
8-10% der Bevölkerung - wurde
stigeren
noch
der
in den konjunkturell
50er Jahren einfach dadurch halbiert,
Mittelwert
Winterst ichtag
zwischen
festgestellt
einem
wurde.
SommerUnter
gün-
daß nur
und
einem
Berücksichti-
gung der Fluktuation kann man jedoch davon ausgehen, daß
selbst in der hochviktorianischen Zeit die Zahl derjenigen,
die im Laufe eines Jahres in irgend einer Form Ar-
menunterstützung
in Anspruch
89
nahmen,
drei bis vier mal
höher lag:
52
keryng.
Erst
die
etwa ein Sechstel bis ein Fünftel der Bevöl-
Verbesserung
der
Arbeitsmarktchancen
infolge
der rasanten Urbanisierung und die Angleichung der familiären Lebenszyklus-Erwartungen führten im letzten Viertel des 19.
Jahrhunderts zu einem Rückgang der Fluktua-
tion und damit zu einer gewissen Verfestigung der unterstützten
veau,
Armutspopulation
auf
deutlich
Gleichwohl stellten die ersten
Armutsenqueten
um die
Jahrhundertwende
ein Drittel der Bevölkerung
unterhalb
der
Einkommen
sowie
"poverty
niedrigerem
fest,
daß
etwa
von London und York an oder
KO
line"
lebten. *
und
Altersarmut
Kinder-
Ni-
wissenschaftlichen
Unregelmäßiges
blieben
nach dem Siegeszug der Industrialisierung
rakter ist ika der Massenarmut.
die
auch
Hauptcha-
Das viktorianische
Armen-
recht hatte weder das Problem des "casual labour market"
noch das der "life cycle poverty" zu lösen vermocht.
bedurfte eines neuen politischen und moralischen
ses,
der
Es
Konsen-
bis - nach der Empfehlung des Minderheitsberichts
königlichen
viktorianische
"framework
Untersuchungskommission
"framework
of
von
1909
repression"
of prevention" ersetzt
und die
-
durch
das
ein
Fürsorge-Ele-
mente des Neuen Armenrechts unter dem Schutz der gleichzeitig einsetzenden Versicherungsgesetzgebung
in den mo54
dernen Wohlfahrtsstaat überführt werden konnten.
Vielleicht
und
war
der
populäre
menschenverachtenden
Mythos
des
unbarmherzigen
viktorianischen
langfristig wirkungsmächtiger
als die
Armenrechts
keineswegs
rosige
Realität. Die moralische Stigmatisierung des Marktversagers
war
jedenfalls
gewollt,
auch
wenn
Frauen und Kinder für das zu zahlen hatten,
insbesondere
was
Nassau
Senior als das Hauptziel des Neuen Armenrechts definier-
90
te:
"to destroy the mischievous and oppressive
tion
between
the
single
"workhouse-test" diente
die
Beseitigung
selbst
einer
and
the
married
distinc55
man."
Der
als moralische Legitimation
Familienunterstützung,
im modernen Wohlfahrtstaat
die
als unverzichtbar
für
sich
er-
wiesen hat:
"It is quite legitimate to point out that the architects of the New Poor Law of 1834 were attacking not
only the abuses of the Old Poor Law,
but al1 welfare
payments to families whose breadwinner is at work,
i.e.
the vecv principle on which modern Britain is
constructed."5,6
Das Neue Armenrecht erwies sich nur insofern als erfolgreich, als es den arbeitsfähigen männlichen
langfristig
drückte,
aus
der
traditionellen
Lohnarbeiter
Armenpflege
allerdings nur zu dem Preis einer
Stigmatisierung, Feminisierung und
heraus-
zunehmenden
Institutionalisierung
der Armut.
Das
viktorianische
Armenrecht
spiegelte
somit
die
dop-
pelte Utopie der viktorianischen Gesellschaft, die heute
wieder mit
der Berufung
schworen wird:
auf die
"Victorian values"
be-
die Moralität des Marktes und die Markt-
fähigkeit der Moral.
schen Armenrechts
Die soziale Logik des
zeigt
jedoch,
daß der
viktoriani-
selbstregulie-
rende Markt ebenso wie die selbstregulierende
Normalfa-
milie
geblieben
eine
Illusion
gewesen
sind.
91
und
wohl
auch
Anmerkungen
1
Karl Polanyi, The Great Transformation,
1957, S. 82.
(1944) Boston
2
Friedrich Engels, Die Lage der arbeitenden Klassen in
England,
MEW 2,
Berlin 1962,
S.493ff.
Zitat auf
S. 502.
3
David Cannadine, The Context, Performance and Meaning
of Ritual: The British Monarchy and the 'Invention of
Tradition' c.1820-1977,
in: Eric Hobsbawm,
Terence
Ranger (Hg),
The Invention of Tradition,
Cambridge
1983, S. 101-164.
4
John Knott,
Popular Opposition to the 1834 Poor Law,
London 1986.
5
Sidney und Beatrice Webb,
History of the Poor Laws.
The Last Hundred Years,
Bd. 2,
London 1929;
Derek
Fraser (Hg), The New Poor Law in the Nineteenth Century, London 1976.
6
M.A. Crowther, The Worhouse System 1834-1929. The History of an English Social Institution, London 1981.
7
S.G. und E.A.O. Checkland (Hg), The Poor Law Report
of 1834, Harmondsworth 1974. Der Bericht umfaßte mit
allen Anlagen 13 Folio-Bände:
Report from His Majesty's Commissioners on the Administration and Practical Operation of the Poor Laws,
Par1iamentary Papers
(P.P.), 1834 XXVII-XXXIX.
8
R.H.
Tawney,
Religion and the Rise of Capitalism,
(1938) Harmondsworth 1977, S. 269; vgl. Mark Blaug,
The Poor Law Report Re-examined,
in: journal of Economic History 24 (1964), S. 229-245.
9
Den besten Gesamtüberblick über das Alte Armenrecht
liefert Geoffrey W. Oxley, Poor Relief in England and
Wales 1601-1834, Newton Abbot 1974.
10 Vgl. den Beitrag von Thomas Sokoll in diesem Band.
11 Mark Blaug,
The Myth of the Old Poor Law and the Making of the New,
in: journal of Economic History 23
(1963), S. 149-184.
12 James P.
Huzel, Malthus, the Poor Law and Population
92
in Early 19th Century
Review
2nd ser. 22
Demographic Impact of
tions on Malthus, in:
England,
in: Economic History
(1969), S. 430-452; ders., The
the Old Poor Law: More Reflecebenda 33 (1980), S. 367-381.
13 J.R. Poynter, Society and Pauperism. English Ideas on
Poor Relief,
1795-1834, London 1969; Raymond G. Cowherd, Political Economists and the English Poor Laws.
A Historical Study of the Influence of Classical
Economics on the Formation of Social Welfare Policy,
A
Athens/Ohio 19?7.
14 Anthony Brundage, The Making of the New Poor Law. The
Politics of Inquiry,
Enactment and Implementatio7T7
1832-391
London 1 9 7 8 ;
Peter Dunkley, The Crisis of
the Old Poor Law in England 1 7 9 5 - 1 8 3 4 .
An Interpretative Essay,
New York 1982;
Peter Mandler,
TKe
Making of the New Poor Law Redivivus,
in:
Past and
Present 117 ( i g 8 7 ) , S. 1 3 1 - 1 5 7 .
15 E.J.Hobsbawm,
S. 48.
G.
Rude,
Captain Swing, London 1969,
16 Peter Dunkley, Whigs and Paupers. The Reform of the
English Poor Laws 1830-1834,
in: Journal of British
Studies 20 (1981), S. 124-149, Zitat auf S. 128.
17 Assitant Commissioner Gilbert in:
Second Annual Report of the Poor Law Commissioners, P.P. 1836 XXIX/1,
S. 3 « .
18 Gertrude Himmelfarb,
The Idea of Poverty. England in
the Early Industrial Age, London 1984, S. 147ff.
1 9
Parliamentary Debates,
und 386.
Hansard 3rd series XXIV,
335
20 Zit.
im Bericht des Armeninspektors Tufnell an die
Poor Law Commissioners,
24.
Febr.
1836,
PRO M.H.
32/69.
21 Knott, Popular Opposition, S. 225ff.; vgl. jetzt auch
Ruth Richardson, Death, Dissection and the Destitute,
London 1987.
22 David Williams,
The Rebecca Riots. A Study in Agrarian Discontent, Cardiff 1953; P.G. Rogers, Battle of
Bossenden Wood, London 1961.
23 Knott, Popular Opposition, S. 87ff.
24 David Ashforth,
The Urban Poor Law, in: Fräser
93
(Hg),
The New Poor Law, S. 128-148; Michael E. Rose (Hg),
The Poor and the City:
the English Poor Law in its
Urban Context 1834-1914, Leicester 1985,
25 Arthur Redford,
Labour Migration in England 18001850, (1926) 3. Aufl. Manchester 1976, S. 97ff.
26 Keith D.M. Snell, Agricultural Seasonal Unemployment,
the Standard of Living and Women's Work
in the
South-East 1760-1860, in: Economic History Review 2nd
ser.
34 (1981),
S. 407-43?;
ders. , Annals""oT the
Labouring Poor:
Social Change in Agrarian England
1660-1900, Cambridge 1985.
27 Osamu Saito, Labour Supply Behaviour of the Poor in
the English Industrial Revolution, in: The Journal of
European Economic History 10 (1981), S. 633-651.
28 Report from the Select Committee on the Administration of the Relief of the Poor under the Provisions
of the Poor Law Amendment Act, P.P. 1Ö37 XVII/1, 8.
29 Anne Digby,
The Rural Poor Law, in: Fraser (Hg), The
New Poor Law, S. 149-170;
dies., The Labour MarFet
and the Continuity of Social Policy after 1834.
The
Case of the Eastern Counties,
in:
Economic History
Review 2nd ser.28 (1975), S. 69-83.
3 0
Poor Law Report, S, 177.
31 Ivy Pinchbeck, Women workers and the Industrial Revolution 1750-185Ü1
(1930) London 1969, S. 67ff.; Pat
Thane,
Woman and the Poor Law in Victorian and Edwardian England,
in:
History Workshop 6 (1978),
S. 29-51.
32 Olwen H.
Hufton,
The Poor of Eighteenth Century
France 1750-1789, Oxford 1974; Stuart Woolf, The Poor
in Western Europe in the Eighteenth and Nineteenth
Centuries^
London 1986.
VgTT
auch Volker Hunecke,
Uberlegungen zur Geschichte der Armut im vorindustriellen Europa,
in: Geschichte und Gesellschaft 9
(1983), S. 480-512.
33 Oscar Lewis, The Culture of Poverty, in: J.J. TePaske, S.N. Fischer (Hg), Explosive Forces in Latin America, Ohio 1964, S. 149-173.
3 4
P o o r
L a w
Continuance Report, P.P. 1840 XVII, S.235ff.
35 Die rechtliche Gleichstellung mit den Witwen erfolgte
im Poor Law Amendment Act von 1844.
94
36 Karel Williams,
1981, S. 198f.
From
Pauperism
to Poverty,
London
37 Ursula Henriques, Bastardy and the New Poor Law, in:
Past and Present 37 (1967), S. 103-129.
38 PLC Minute, 5. März 1839, PRO M.H. 4.2.
39 4 AR PLB App.22, P.P. 1852 XXIII.
40 Return of the Number of Children in Workhouses,
1862 XLIX/1, S. 268.
P.P.
41 A.M. Ross, The Care and Education of Pauper Children
1834-1896, Ph.D. London 1955; Francis Duke, Pauper
Education,
in: Fräser (Hg), The New Poor Law, S. 6786.
42 Report on the Training of Pauper Children,
London
1841;
Returns o? the Number o? Chi ldren in Workhouses, P.P. 1849 XLVII.
43 D.G. Paz, The Politics of Working-Class Education in
Britain 1830-1850, Manchester 1980; Richard Johnson,
Educational Policy and Social Control in Early Victorian England,
in: Past and Present 49 (1970), S. 96111.
44 Patrick McCrory,
Poor Law Education and the Urban
Pauper Child:
The Theory and Practice of the Urban
District School 1840-1896, in: John Hurt (Hg), ChildhftrtH Ynnth ariH Friuratiftn in the Late Nineteenth Cen—
45 Reports made to the Poor Law Board on the
of Pauper Children, P.P. 1862 XLIX.
Education
46 Anne Digby, Pauper Palaces, London 1978.
47 Report from the Select Committee on the Administration of the Relief of the Poor, P.P. 1837 XVII/1,
18345.
48 Ebenda, 7204 und 7208.
49 F.M.L. Thompson, Social Control in Victorian Britain,
i n :
Economic History Review 34 (1981), S. 189-208.
In
selbstkritischer
Absicht:
Michael
Ignatieff,
State, Civil Society, and Total Institutions: A Critique of Recent Social Histories of Punishment,
in:
Stanley Cohen und Andrew Scull (Hg.), Social Control
and the State.
Historical! and Comparative E s s a y ~
95
Oxford 1983, S. 75-105.
50 Crowther, The Workhouse System, S. 232ff.
51 Zur Bedeutung der "Charity Organisation Society" vgl.
den Beitrag von Karl H. Metz in diesem Band.
52 Webb, Poor Law History, S. 1036ff.; Williams, From
Pauperism to Poverty, S. 145ff.;
P.F.Aschrott,
Das
englische Armenwesen in seiner historischen Entwicklung und in seiner heutigen Gestalt,
Leipzig 1886,
S. 411ff.
53 P. Seebohm Rowntree,
Poverty. A Study of Town Life,
(1901) London 8 1 9 0 2 ;
Charles Booth, Life and Labour
of the People of London, 18 Bde., London 1889-1903.
54 Gerhard A. Ritter, SozialVersicherung in Deutschland
und England.
Entstehung und Grundzüge im Vergleich7
München 1983.
55 Nassau Senior an Lord Normanby,
Febr./März 1840,
University College London, Chadwick papers, box 23.
56 Hobsbawm, Rude, Captain Swing, S. 50.
96
Karl H. Metz
"SELBSTHILFE". ANMERKUNGEN ZU EINER VIKTORIANISCHEN IDEE
1
* Die Apologie der Selbsthilfe
"I do not know any thing more dreadful than a state
of mind which is,
perhaps,
the character istic of
this country and which the prosperity of this country so miserably fosters.
I mean that ambitious
spirit ... that low ambition which sets everyone on
the lookout to succeed and to rise in life."
Was
einer
der
großen
Moralisten
des
viktorianischen
Zeitalters, Henry Newman, in diesen Worten so bitter beklagte,
war die Umkehrung des sozialen Wertemusters und
seiner Begründung,
wie sie sich im Zusammenhang des In-
dustrialisierungsprozesses
gann.
immer mehr
durchzusetzen
be-
In den Beziehungen zwischen Menschen ging man nun
vom Wettbewerb als Maxime aus und wenn es sich dabei um
Lebensziel und Lebensführung handelte, so sprach man vom
Erfolg in der Welt,
hen.
gemessen an Geld und sozialem Anse-
Von einer "Seele" des Menschen war nicht mehr
Rede,
was die Kritiker dazu veranlaßte,
die
die Verfolgung
der Ambition mit der Anti-Ethik Kains zu vergleichen, in
der
jeder nur
noch Selbstzweck
war und
ein
"Mitmensch"
nicht mehr vorhanden zu sein schien. Sie alle, ein Henry
Newman ebenso wie ein Charles Dickens,
ridge wie ein Thomas Carlyle,
den
"Mitmenschen"
unfähig
sein werde,
auskommende
ein Samuel C o l e -
fürchteten, daß eine ohne
Gesellschaftsverfassung
ihre moralische Ordnungsaufgabe
zu
erfüllen. Aus der Idee der Mitmenschlichkeit, dem A l t r u ismus,
sahen sie gewissermaßen jenes moralische
r
» *Bayerische
Staatsbibliothek
0?
^
Surplus
hervorgehen,
nerlich
das als Gesamtgefühl eine Gesellschaft
zusammenhielt
und
ihr
über Krisen
der
in-
Zweckmä-
ßigkeitseinschätzungen hinweghalf.
Die freigesetzte
bition schien lediglich über solche
Zweckmäßigkeitserwä-
gungen
integrieren
machte.
zu
können,
was
sie
krisenunfähig
Das zumindest fürchteten die Kulturkritiker
nicht wenige der Freunde der neuen Gesellschaft
ihnen insgeheim bei,
Am-
und
stimmten
auch wenn sie nicht recht zu sagen
wußten, wie dieser Altruismus beschaffen sein sollte. Zu
leicht
verband sich
für sie
ein solcher
dem verabscheuten Paternalismus,
Altruismus
mit
wie denn auch die Kul-
turkritiker erklärten, eine derartige Verbindung sei natürlich, weil ursächlich
begründet.
In der neuen Gesellschaft hatte die "ambition" als Ethik
der Unzufriedenheit
mit dem persönlichen
status quo die
Ethik statusbezogener Zufriedenheit abgelöst.
Der Wett-
bewerb war damit zum regulativen Mechanismus einer flexiblen Sozialverfassung
des
18. Jahrhunderts
geworden.
wie
Hannah
Hatten
Philanthropen
More oder
Jonas
Hanway
in ihren Traktaten die Armen noch ermahnt, mit ihrem Los
zufrieden zu sein,
so ging es in der entstehenden
sozialen Pathosidee darum,
der bürgerlichen Wettbewerbsgesellschaft
also zur Verinner1ichung
neuen
sie zum Ergeiz im Wertgefüge
zu
bewegen
von deren ambitionöser
und
Psycho-
logie. Hier begann also eine neuartige Moral Gestalt anzunehmen,
individualistisch
angelegt,
doch ohne eigentlich altruistische Idee, wes-
halb die
sprachen.
Kritiker
ihr
um den Ambitionskern
den Namen
einer
herum
"Moral" auch
ab-
Wo es Altruismus gab, blieb er in der älteren
Form der Philanthropie, die freilich zunehmend ihre persönliche
Färbung
einbüßte,
die andere Barzahlung
Beziehung
zur
neuen
zum
auch,
Pathosidee
98
"cash nexus" wurde
und die keine
besaß.
Denn
wie
reflektierte
von
dieser
Idee aus,
keine
dem Individualismus der Selbsthilfe,
eigentlich
altruistische
bezüglich der Armen.
Armut wurde
Bewußtseinszustand aufgefaßt,
gab es
Wahrnehmungsmöglichkeit
in ihr wesentlich
d.h. als mangelnder
zur ambitionösen Bewältigung der eigenen Lage,
im
Fehlen
bestimmter
Tugenden
- wie
britische
Gesellschaft
des
Wille
was sich
Sparsamkeit,
beitsamkeit oder Vorsorge - bemerkbar machte.
die
als
Ar-
Diese für
19. Jahrhunderts
kenn-
zeichnende Charakterdefinition der Armut gründete in der
Erfahrung
wachsender
Mobilitätschancen
eben der den Armen zugeschriebenen
einerseits
fehlenden
und
Ambitions-
bereitschaft andererseits. Die Armen entzogen sich weitgehend
der
moralischen
Auseinanderlaufen
des Moralismus
die
Distanz
des
Vergesellschaftung,
Altruismus
der Selbsthilfe.
zu den
Armen erneut
daher
das
der
Philanthropie
und
Von
letzterer
war
diskursfähig
her
geworden,
nicht freilich von der Philanthropie her. Diese Diskursfähigkeit der Distanz aber war bedeutsam für die "besseren Leute",
wenn eine Mehrheit der Bevölkerung
genössischen Sinne als "arm" gelten mußte,
von
der
brachte
Hand
die
in
den
Mund
lebte.
Charakterdefinition
im zeit-
weil sie nur
Pädagogisch
der
Armut
gedeutet
die
soziale
Frage zum Verschwinden, indem sie jene als vorrangig
dividuellen
auch
Sachverhalt
bestimmte;
ihre weltanschauliche
zenden Klassen.
darin
Attraktivität
bestand
für die
indann
besit-
Der Altruismus blieb abseits, eine Pri-
vatangelegenheit ,
versehen mit dem alten Glanz
kratischer Gnade,
doch ohne rechten Platz in der neuen
individualistischen
Ideologie.
Sozialphilosophisch
gründete
verwandten Denkansätzen,
hams und den Überlegungen
der utilitaristischen
diese
Ideologie
dem Menschenbild
2
Adam Smiths.
Im
auf
Jeremy
zwei
Bent-
Mittelpunkt
Menschen lehre stand das,
99
aristo-
was man
den
"homo
benthamiticus"
nennen
könnte,
den
Menschen
nämlich des glatt ablaufenden "felicific calculus",
dem asozialen
mit
Residuum des "homo panopticus" zur
Erklä-
rung und Behandlung nicht-funktionaler Störfälle.
Ratio-
nalität
bedeutet
hier
die
Fähigkeit
des
individuellen
Glücksrechnens, das vom Glückshandeln der anderen eingegrenzt wurde,
nicht
durch
über die
"unsichtbare
den Altruismus
der
Allerdings gab es Personen,
Hand"
etwa,
aber
Menschenfreundlichkeit.
die hartnäckig
versuchten,
ihr Glück unter Mißachtung der Mechanismen von Markt und
Leistung zu erreichen und ihnen mußte eine Unglücksrechnung aufgemacht werden, in Form von züchtigenden
ten wie Gefängnis oder Arbeitshaus.
die Abwägung
von Lust und Leid,
Anstal-
Dort versuchte man,
"pleasure" und "pain",
für den abweichenden Menschen, den "homo panopticus" also, so zu instrumentieren, daß künftige Abweichungen
den erwünschten
Die
sozialen Verhaltensregeln
"schweigende
verinner licht,
zugewiesen
hier das
chische
Allgegenwart"
unterblieben.
des Wärters
wurde
eine Aufgabe, die der Erziehung
blieb.
Aus
dem christlichen
Respektabilitätsbewußtsein
Mechanismus des
sichtbare Hand
Optimierungszwecke
dabei
generell
"Gewissen"
geworden,
"man within",
von
der
der wie
erfüllte.
die
war
psyun-
"Ambition"
und "propensity to trade and barter" bedingten sich demnach gegenseitig. Das dabei entstehende Sozialwesen wurde
dann
als
"free
individual
agent"
festgelegt,
Mensch,
der seine Interessen selbständig,
stimmung
mit
der
regulativen
Wertidee
doch
verfolgte.
solchem Verhalten wuchs ihm soziales Ansehen,
als
in AbAus
"respecta-
bility" zu, und um sie ging es da, wo Menschen mehr verlangten als schiere Subsistenz.
"Ambition" war
demnach
kaum mehr als Streben nach Respektabilität, und all jene
in dieses
Streben einzubinden,
"mehr zu verlangen",
die
in der Lage
waren,
mußte Ziel der neuen Sozialverfas-
100
sung sein. Gelang ihr das, so konnte der Altruismus ohne
Gefahr vernachlässigt werden, als Beschäftigung mit Personen
außerhalb
formierenden
Kind
und
der
die
artikulationsfähigen
Gruppen
Selbsthilfe-Idee.
Pauper
waren
gleichermaßen
die
Gegenfiguren
dieser Idee, wobei nicht zufällig ökonomische und soziale Eigenständigkeit
fehlten.
sche Souveränität,
wenn er
Ein Mensch besaß
nicht bloß
ökonomi-
von der Hand
in
den Mund lebte. In Bezug auf einen lohnabhängigen Arbeiter hieß das,
daß er bei zeitweisem Lohnausfall
infolge
von Krankheit oder Erwerbslosigkeit über Reserven
gen mußte,
einer
als Ersparnisse
Hilfskasse.
verfügte er,
Über
verfü-
etwa oder als
Unterstützung
gesellschaftliche
Souveränität
wenn er als sein eigener Erzieher
im sozi-
al- konformistischen Sinne zu wirken vermochte und nicht
unter äußerer Überwachung stand.
war Teil des "self-help";
bürgerliche
Variante
des
Das
"self-improvement"
es verkörperte
"achievement"
sozusagen die
für
den
kleinen
Mann. Für die neuen Mittelklassen ging es beim Ringen um
die
neue
Macht
Orientierungsmoral
und
um die
ökonomischen
Ausgehend
rischen
Stellung
von
Standes,
um
einen
ideologische
der
gegen
Kampf
Absicherung
Adel
Vorstellung
wie
eines
um
soziale
ihrer
sozio-
Armenbevölkerung.
"ganzen"
Dritten
in welcher der Unterschied hin zum unternehmeBürgertum
für
die
arbeitende
Bevölkerung
als
Orientierungsdifferenz wirken sollte, war es Aufgabe der
Leistungsethik,
heranzufUhren
scharfe
für
die Arbeiterschaft an die Mittelklassen
und
die
Abgrenzung
welche
eine
zeichnend war,
Abdie
Erwerb und Leistung
te.
Diese
wesentliche
von
der
bzw.
Einheit
Aristokratie
beider
Ausgrenzungsdifferenz
lediglich durch Gnade,
individuell
Mittelklassen-Idee
101
ganzen
kenn-
nicht durch
überbrückt werden
vom
durch
darzustellen,
Dritten
konnStand
mündete folgerichtig in den Arbeiter1iberalismus ein, in
die Absage an Sozialismus und Arbeiterpartei und in die
Verbindungsaufnähme
beiterschicht
Europa
der
mit dem
war
diese
artikulationsfähigen
liberalen Bürgertum.
Verbindung
wirksamer
oberen
Ar-
Nirgends
in
und
dauerhafter
gewesen als in Großbritannien.
Erinnert man sich kurz der Erfahrungen der anderen europäischen Länder so stellt man fest,
daß ihr jeweils de-
mokratisches Potential von der Rolle - oder der Schwäche
-
des
Arbeiterliberalismus
nachhaltig
was wiederum davon abhing,
zung eine
ob der
politische Modernisierung
Dabei
wird
lich,
daß
im
Falle
die
einerseits
war.
gleichfalls
deut-
der
Selbstzuständigkeit
in Verbindung mit dem protestantischen
vidualbezug
stand,
andererseits mit der
3
dieses Bezuges zu tun hatte.
drückte,
war,
Umwäl-
vorausgegangen
Großbritanniens
Moralisierung
beeinflußt
industriellen
hatte
der
Schreckens abgelöst.
Wie Thomas Carlyle es aus-
Mißerfolg
4
die
Hölle
Menschen gilt,
einer
der
derartigen
in
Umdeutung
eine
als
Ort
des
Ernsthaftigkeit, die gemeinhin als
5
Merkmal des viktorianischen
"salvation"
Indi-
Profanisierung
bürgerliche
wurzelte
christlichen
der
Moral
in
der
"respectability",
Ihr entsprach das demonstrative Tätigsein, die ernsthaft
verrichtete
Arbeit.
tete nicht einfach,
Denn der respektable Mensch
arbei-
um sich am Leben zu halten bzw.
er
hörte nicht auf, zu arbeiten, wenn er auf andere Art leben konnte.
Das wäre die Verächtlichkeit der Aristokra-
ten oder des Pauper. Arbeit ist Voraussetzung wie Demonstration der Selbsthilfe,
druck
innerer
racter"
die
Nichtarbeit hingegen der Aus-
Zuchtlosigkeit
hauptsächliche
und
als
Ursache
"poorness
von
of
"poverty"
chaund
"pauperism". Dabei dient die Ethisierung der Arbeit ganz
entschieden der Einbeziehung
102
der
respektablen
Arbeiter-
schaft in die bürgerliche Erwerbsgesellschaft• Denn jede
Kollektivierung
des Gleichheitsgedankens
als
Behauptung
einer Klassenstruktur der Ungleichheit hätte die Universalgeltung
müssen
des
und
Erwerbsindividualismus
ihm somit
als
in
integrierende
Frage
stellen
Sozialidee
ge-
sprengt .
Die wirkungsvollste Verteidigung dieser Idee kam von Samuel Smiles, der in seinem Buch "Self-Help" von 1859 anhand zahlreicher biographischer Beispiele die Vernetzung
von Selbsthilfe
len suchte.
und "elevation of character"
Nicht die quasi-aristokratische
scheinung des Genies stand im Mittelpunkt,
schen
mit
"ordinary
durch Aneignung
qualities",
root of
all genuine
woraus sich ergab,
gleichwohl
zu
"The spirit of
growth
in the
Höchst-
self-help
individual",^
daß jede Hilfe von außen die Betrof-
fenen längerfrist ig nur schwäche,
zur Selbsthilfe
sondern Men-
sich
der Tugenden der Selbsthilfe
leistungen befähigen k o n n t e n . 6
is the
die
darzustelAusnahmeer-
nur abtöte.
weil sie den
Der Charakter
Antrieb
von Menschen
werde im wesentlichen von diesen selber gestaltet, nicht
von der Gesellschaft, wie das Robert Owen behauptet
te.
So zeigte sich Smiles tief beeindruckt
nossenschaftlichen
schaft,
die
Selbsthilfeversuchen
eine
Verbesserung
der
der
ein hervorgegangen.
cieties" und
glaubte
er
die
Mittel
für
Improvement
erschein
Rechtsgleichheit
die
als
soziale
auf
So-
Selbsthilfe-Vereinigungen
eine
immer
umfassendere
Selbsthilfe unter den Arbeitern zu erblicken.
nommen,
Lage
Sein eigenes
Arbeiterbildungsver-
In solchen "Mutual
den ökonomischen
ge-
Arbeiter-
individuellen
durch Zusammenarbeit zu erreichen suchten.
Buch war aus einem Vortrag in einem
hat-
von den
Problematik
bei
Wie angeformaler
innergesellschaftliche
Weise
lösbar und eben nicht (sozial)politisch über die Beizie-
103
hung des Staates.
Dieser Nachweis aber galt dem klassi-
schen Liberalismus als wesentlich.
führen,
Smiles suchte ihn zu
indem er die Hoffnungen der Arbeiterschaft,
nauer:
ihres sozial aktiven,
nach Aufstieg
ge-
strebenden
Teils, mit dem Aufstiegswillen der unteren Mittelklassen
und dem
Interesse
Verallgemeinerung
te.
der
gehobenen Mittelklassen
ihrer
Moraleinstellung
an einer
zusammenbrach-
Die Enttäuschung der Arbeiterschaft über das Versa-
gen der
charakteristischen Methode
und die mit dem
Boom der
spürbar werdende
einer
fünfziger
Verbesserung
Klassenpolitik
und sechziger
der Lebensumstände
Jahre
insbe-
sondere des oberen Arbeitersegments und der unteren Mittelschichten unterstützen ihn dabei.
Das außerordentli-
ehe Wachstum der ökonomischen Selbsthilfe-Vereinigungen,
der Hilfskassen 8 und der Konsumvereine, 9 wies in die
gleiche Richtung.
Doch blieb die Mehrzahl der arbeiten-
den Bevölkerung von Ideologie und Praxis der Selbsthilfe
nahezu unberührt.
tätslinie
ihrer
Damit verschob sich die Respektabi 1i-
in die Arbeiterschaft
Artikulations-
wie
hinein.
Sie
hielt
Organisationsfähigkeit
die
wegen
wichtigen höheren Schichten der Arbeiter im weiteren Zusammenhang
der
Ausbildung
des Arbeiterliberalismus
Entstehung
scharfer
ideologisch
Mittelklassen
und
beförderte
Klassenlinien
zu
somit
ebenso wie
den
sie
die
die
Mittelklassen
überdeckte.* 1 0
II. Die Krise des Selbsthilfe-Gedankens
Gegen
Ende
des
19. Jahrhunderts
Infektion"
der
britischen
schien
die
Arbe iterschaft
"bourgeoise
allmählich
an
Wirksamkeit zu verlieren. Die Bewegung unter den bis dahin schweigenden
ter,
Massen der
un- und
angelernten
die offenkundig werdende Abwanderung weiter
104
ArbeiTeile
der
Mittelklassen
eines
zu den
Konservativen
sich umgestaltenden
waren
gesellschaftlich-
Anzeichen
politischen
Verhältnisses. Das Vorhandensein ausgeprägter
sozialöko-
nomischer
rechtlich-
Ungleichheit
politischer
Gleichheit
unter
dem
Vorzeichen
wurde
immer
mehr
derung kollektiver Natur aufgefaßt,
dividuell
die
geprägte
vielmehr
che.
Selbsthilfe
staatliche
begegnet
Anstrengungen
Die Sozialpolitik
begann ihre
zipatorische" Bedeutung
einzubüßen
als
Herausfor-
der nicht durch inwerden
könne,
erforderlich
ma-
instrumentell-"emanund bekam
immer mehr
wohlfahrtspolitische Züge. Damit erhielten die "ordinary
contingencies of life", insbesondere Krankheit, Arbeitslosigkeit
und
Altersgebrech 1 ichkeit,
politisches
Ge-
wicht. Dieser Vorgang lief offensichtlich den Voraussetzungen des Selbsthilfegedankens zuwider und mit ihm auch
der Grundüberzeugung
des klassischen
Liberalismus,
der
die umfassende Ich- Zuständigkeit des Einzelnen zum Ausgangspunkt seiner Freiheitsidee gemacht hatte. Ohne eine
derartige,
heit
galt
grundsätzlich
ihm
jede
von jedermann ausübbare
Freiheit
im Politischen
als
Freisozial
und ökonomisch in der Luft schwebend. Im Sozialen wie im
Politischen
blieb
demnach
die
Freiheit
etwas
Formales,
sie wurde inhaltserfüllt erst als Freiheit "für mich" in
ihrer jeweils personengebundenen Ausgestaltung. So gesehen lebte freilich ein bedeutender
weiterhin
im
Zustand
bloß
wachsende n Zahl
Teil der
formaler
von
Bevölkerung
Freiheit
Zeitgenossen
und
es
schien
einer
zwe ifel-
haft,
ob sie sich je aus eigener Kraft in einen Zustand
der materiell erfüllten Freiheit würden fortbewegen können.
Sie verstanden das als Herausforderung an die Ge-
sellschaft,
der sie - wie einst die Kulturkritiker
industriellen
Revolution
- eine
nicht
nur
der
funktionale,
sondern ebenso eine altruistische Zweckbestimmung
unter-
stellten.
Provo-
Die Armut wurde so erneut zur sozialen
105
kation,
erörtert
einer
die
Drei
Argumentationsmuster
das
bald
in
zung,
heftige
armensoziologische,
rale.
Ihnen
stand
der
Selbsthilfe
in
drei
genannten
schieden,
um
die
sie
dem
eingetretenen
ihren
anonymen,
Der
solch
riesigen,
stand
die
hilflosen
das
weil
Frage
er
nach
den
oder
Unglück
wie
ist,
ging
Menschen
von
das
Thema
Auslese
Gedanken
in d e r m o d e r n e n
wiederum
heitsbegriff
den
und
denn
schlössen
von
Struk-
agierte.
Auswirkungen
als
die
in
derart
In
von C h a r l e s
um
einer
variierte
mangelnden
12
den
Booth
Wirkungen
Eugenik
Gesellschaft.
biologi-
Die
Neuli-
allgemeinen
sozialkritisch
um
der
"Residuum1
das
ihm a u s g e h e n d e n
Die
Dabei
Sorge
Menschen.
allem
verinhalt1ichten
im
mit
Kreuzungspunkt
dem Namen
Gruppen.
sie
Verhältnisse
Beziehungsgeflechten
wirklicher
und die
unter-
Vorrangstellung
Abhängigkeit
Blickpunkt
vor
die
Verstädterung
winziger
es
nachbarschaft1iche
sehen
und
von
sich
entsprachen
sozialen
negativen
im
sehr
in d e r
zappelte
sie m i t
auf
beralen
eher
eher
durch
als
Verbindung
voneinander
unüberschaubaren
Daseins
11
asozialer
der
altliberalen
So
Damit
kollektiven
wurde
in d e n e n
Armensoziologie,
verbunden
Wandel
Einzelne
Glück
doch
Industrialisierung
turen.
aufgefaßt,
schwierige
einig.
neulibe-
Philanthropismus
bemühte.
sich
heraus,
das
des
Argumentationsmuster
so w a r e n
dabei
und
rationale
Altruismus
Gesellschaftsbezuges
von
sich
Verteidigung
des
Fortgang
bildeten
der
sich
und
Auseinanderset-
annahm.
das eugenische
Selbsthilfe-Gedankens
entgegen,
öffentlichen
Formen
vom
Freigesell-
13
schaftlichen
Reichtum
Allenthalben
erschien
sozialer
Verhältnisse
Selbstbestimmung
auf die
der
Mensch
denn
bemühtes
fortbestehende
als
mehr
das
Ergebnis
ich-bestimmtes,
Individuum.
106
als
Armut.
Hiergegen
nun
um
be-
zogen
sich
jene Liberalen
selbst
in der
immer entschiedener
Nachfolge des
Stellung,
"klassischen"
die
Libera-
lismus der Gladstone-Ära sahen, freilich nicht verhehlen
konnten,
führte
daß die weltanschauliche
und
auch
innerhalb
des
disch zu werden begannen,
Drift von ihnen weg-
liberalen
wie Carles
Lagers
S.
Loch
altmoes voll
Mißmut zugestand.
Dieser Loch war Sekretär der "Charity
14
Organisation Society" (C.O.S.),
die zum Sprachrohr des
altliberalen
Widerstandes
sellschaftung
der
sog.
gegen
sozialen
die
zunehmende
Probleme
während die Kritiker des sozialpolitischen
mus
diese
chen,
Probleme
als
Erscheinungen
in der Gesellschaftsverfassung
Verge-
wurde.
Denn
Individualis-
eines
einheitli-
liegenden Mißstan-
des deutete, gingen seine Verteidiger davon aus, daß die
Ursachen ebenso vielfältig seien wie die Probleme,
sie eben wesentlich
dem
Charakter
wie
individueller
der
Lebensführung
Personen zugeschrieben werden müßten.
satz
der
Problembewältigung
ein
weil
Natur wären und damit
der
betreffenden
Damit war der An-
völlig
verschiedener.
15
Die Philanthropen setzten auf Sozialarbeit (case work)
und sie bestanden darauf,
daß die sog. gewöhnlichen Un-
sicherheiten
die
des
Lebens,
"ordinary
contingencies"
also, weiterhin in die volle Verantwortung des Einzelnen
gehören sollten. Die Neuerer hingegen setzten auf staatliche Sozialpolitik und verlangten, diese
in die Zuständigkeit
Unsicherheiten
des Staates zu überführen.
ging es um die Gestaltung
der
Gesellschaft
im
Beiden
weiteren
Sinne und nicht bloß um die rechte Art, der Hilfsbedürftigkeit zu begegnen. Das macht die Auseinandersetzung
die
Zukunft
wie sie
wende
der
in dem
sozialen
Jahrzehnt
geführt wurde,
weil
Hilfeleistungen
vor
und nach der
so
um
bedeutsam,
Jahrhundert-
es dabei zugleich um die Zu-
kunft der Gesellschaftsordnung
107
ging.
Charles S. L o c h , 1 6 der Philosophieprofessor Bernard Bo17
1ß
sanquet
und seine Frau Helen Bosanquet,
sowie Octa19
via Hill,
alles wichtige Mitglieder der C.O.S.,
waren
die hauptsächlichsten Vertreter einer auf der altliberalen Freiheitsidee
als
deren
gegründeten
Leitsatz
die
rationalen
"Hilfe
zur
Philanthropie,
Selbsthilfe"
Weltanschaulich war sie demnach der überfällige
Selbsthilfe und Altruismus zusammenzubringen,
Altruismus einen
legitimen Platz
hilfe-Gesellschaft zuzuweisen.
von aus,
verursachenden
der
dem
Selbst-
den die Hilfsbe-
Charakterdefekt
zu
befesti-
schob dann aber ihre Methode der Sozialarbeit ein,
die mit der alten sentimentalen
darauf abzielte,
Philanthropie
abzuhelfen.
ihrer
Lebensumstände
Notstand
Das geschah
eine genaue Untersuchung des Einzelfalles.
Kenntnis
brach und
mit der Hilfe zugleich einem
wie einem Charakterdefekt
che
Versuch,
d.h.
So ging sie zunächst da-
daß jede Hilfe Gefahr laufe,
dürftigkeit
gen,
im Gefüge
galt.
über
Die gründli-
ermöglichte
es
zum
Beispiel, Arbeitsscheue abzuweisen, den Familien von Alkoholikern nur Lebensmittel,
kein Geld zuzuweisen, oder
einer Wäscherin mit abhängigen Kindern durch einen kleinen Kredit die Führung eines Geschäftes zu ermöglichen.
Kurzum,
richtet,
auch die Wohltätigkeit mußte pädagogisch ausgeselbst
im Altruismus sollten "habits of self20
control" eingeübt werden.
Denn die eigentliche Ursache
der Vorsorgeunfähigkeit
Leistungsfähigkeit,
der Armen sei deren
mangelhafte
was wiederum mit einem Fehlen
cher "habits" zu tun habe.
"It
sol-
is the man who must
be
21
changed if his 'circumstances' are to be avoided."
her
hatte
die
rationale
etwa zu verlangen,
Philanthropie
vom Armen
"moralische" Anstrengung
Daebenso
eben,
als
22
ihm etwas zu geben.
Der Arme brauchte nicht mehr seine
demütige Dankbarkeit zu zeigen, wie in der
gefühlsbeton-
ten alten Philanthropie, er sollte sich schämen und über
108
die Scham den weg zur Selbständigkeit finden. Eine Wohltätigkeit,
die
es
nur
sentimental
gebe,
erzeuge
die
hilfsbedürftigen Armen
selbst und zwar im genauen Ver23
hältnis zu ihrer Großzügigkeit.
Besonders heftig wand-
ten sich die altliberalen
Verlangen
dem
nach
aus
populärsten
Philanthropen dabei gegen das
Steuern
sozialpolitischen
Die Altersgebrechlichkeit
sicherheit,
bezahlten
Altersrenten
Anliegen
sei eine
bleiben.
Gerade
letzteres
innerhalb der
bedeutete
der
thropie viel, spielte doch die Festigung der
ziehung eine
sozialen
Lebensun-
ihr abzuhelfen müsse Sache der privaten Vor-
sorge und der Generationensolidarität
milie
der
erwartbare
als
24
Zeit.
große Rolle
bei der
Eigenständigkeit
eines
Fa-
Philan-
Familienbe-
Wiederherstellung
hilfebedürftig
der
geworde-
nen Menschen.
Kaum
sonstwo
wird
die
Innenseite
des
weltanschaulichen
Selbst Verständnisses der neuen, rationalen
Philanthropie
so deutlich wie hier. Diese Innenseite entsprach dem Altruismus,
dem Wunsch,
mit
"Wir-Beziehung" zu treten,
sierung
der
Wohltätigkeit
den
Armen
in eine
um so die wachsende
in den Großstädten
Art
von
Anonymizu durch-
brechen, die ein Ergebnis der Abwanderung der wohlhabenden Mittelklassen in die Vororte war. Dieser Impuls
deutlich daran,
Tradition
des
persönlichen
wird
daß die Methode der Sozialarbeit an die
25
"friendly visiting"
anknüpfte,
an den
Kontakt
zwischen
Geber
und
Empfänger
von
wohltätigen Leistungen.
Um so zu werden "wie wir", muß-
ten
Werte
die
Armen
zwar
schaft anerkennen,
bi 1itätsherrschaft
die
der
bürgerlichen
Gesell-
sich sozusagen unter deren Respektabeugen.
Selbsthilfe-Ideologie
Das war der Machteffekt
und zugleich das
der
Entree-Billet
diese Gesellschaft. Anders als etwa das Armengesetz
in
ver-
mochte die Wohltätigkeit aber ein derartiges Respektabi-
109
litäts-"Wir" nicht zu erzwingen.
Das führte sie auf ih-
ren eigentlich altruistischen Kern zurück:
ein
"Wir"
anknüpfen,
das
bereits
Sie mußte an
menschlich
vorhanden
war, wo es gesellschaftlich noch fehlte. Man könnte dies
das "Wir
der Mitmenschlichkeit"
Consympathie,
Armen als Vater,
sprach,
Bruder,
Verhältnisse,
waren.26
eine
Ebene
der
Gatten, Sohn oder Tochter an-
die ihm selber "menschlich" nahe
Die Sozialarbeit
lung bzw.
nenne,
auf der der philanthropische Besucher den
zielte auf die
Wiederherstel-
Festigung des Altruismus der Verwandtschafts-
beziehungen
als
der
elementarsten
schaftlicher Solidarität,
Form
innergesell-
sodann auf den Ausbau der ge-
nossenschaftlichen Selbsthilfe, kurz, sie zielte auf die
Stärkung der gewissermaßen
der Nächstenhilfe.
lanthropie
und
horizontal
liegenden
Quellen
Deren vertikale Einrichtungen,
Armenpflege,
sollten
hingegen
gehalten werden; sie durften die horizontale
allenfalls unterstützen,
keinesfalls
sie
Phi-
marginal
Solidarität
irgendwie
er-
setzen. Die Absage an den Gedanken einer Wohlfahrtspolitik war damit eindeutig und wurde so auch
zuletzt noch
einmal
im Mehrheitsbericht
ausgesprochen,
der
Royal
Com-
mission on the Poor Laws von 1909.
Diese
Kommission
hatte
die
Regierung
an der
Wende
des
Jahres 1905 eingesetzt, um sich über die Lage der Armenpflege
in England
und Wales
berichten
zu
lassen.
Die
C.O.S. war in ihr insbesondere durch Helen Bosanquet und
Charles
Loch
vertreten,
die
beide
einen
nachhaltigen
Einfluß auf die Mehrheit der Kommissionsmitglieder
übten.
In Abgrenzung
regten Minderheit
von der reformsozialistisch
und ihrem Gesellschaftsbezug
ausange-
betonten
die Philanthropen erneut den Individualbezug für die Lösung der sozialen Probleme,
dem zufolge ein "failure of
social maintenance" bei einem Menschen die Vermutung auf
110
einen "defect in the citizen character" nahelege und
eben nicht auf einen derartigen Defekt in der sozialen
27
Organisation.
Daraus ergab sich,
daß die Hilfsbeziehung moralisch
und also zugleich ganzheitlich
werden müsse.
Bei jeder Hilfeleistung für einen einzel-
nen
Menschen
hatte
man
seine
familiären
aufgebaut
Verhältnisse
ebenso zu berücksichtigen wie seine Wohnsituation,
Beschäftigung,
schaft,
seinen
heit sauffassung
sein
Einkommen,
Umgang mit
Geld usw.
Aber diese
Das "Ganze" war das
nicht die Gesellschaft.
Individualismus
Die Kritiker des
behaupteten
seine
Arbeitsbereit-
bezog sich stets auf die Person,
auf eine soziale Lage.
schen
seine
Ganznicht
Individuum,
sozialpoliti-
gerade
das
Gegenteil
und forderten demgemäß eine gegliederte Organisation der
sozialen Dienstleistungen,
durch den Staat,
stehen sollten.
schiedenheit
finanziert
die praktisch
und
kontrolliert
jedermann zur Verfügung
Das lehnten die Philanthropen mit
ab;
sie
traten
für eine
Ent-
Beibehaltung
der
bisherigen, marginalisierenden Dienste ein. Hierin kommt
in der Tat ein entscheidender Unterschied zum Vorschein.
Die Philanthropen banden das Staatsbürgertum an die stete Aufrechterhaltung
Einzelnen,
die Reformisten
bereits
der
sozialen
Eigenständigkeit
an seine "social self- maintenance",
in Umkehrung
gegebenen
dieses Gedankens von einem
(politischen)
Anspruch auf soziale Absicherung
Staatsbürgertum
ableiteten.
sehen bestand der Struktur nach zwischen der
nahme
sozialpflegerischer
Leistungen
Gefängnisstrafe Vergleichbarkeit,
überlieferte
tionen,
jemand
seine
des
während
und
einen
Genau
be-
Inanspruch-
dem Modus
der
denn in beiden Fällen
Eigenständigkeit
an
Institu28
die sich "in loco parentis" um ihn kümmerten.
Das war die klassische liberale Begründung der Interpretation
der
gewinnenden
sozialen
Hilfe
und
sie war
wohlfahrtspolitischen
111
mit
der
Begründungen
Gestalt
nicht zu
vereinbaren,
die - wie Winston S.
Churchill es einmal
nannte - die "Moral" durch "Mathematik" ersetzte,
durch
Sozialversicherung, die bilanzierte und im klassifizierten Versicherungsfalle zahlte, ohne sich um den "Charakter" der Betroffenen zu sorgen.
Nicht alle unter den Gegnern der C.O.S. wollten indes so
weit in ihrer Ablehnung gehen. Darin aber waren sie sich
einig, daß nämlich der Individualbezug zur Erklärung und
Behandlung des "sozialen Problems" gänzlich
sei.
Dabei
nahmen sie
alle
unzureichend
"soziologisierend"
von
Klassenlage der betroffenen Personen ihren Ausgang.
der
Das
alte Owensche Schlagwort vom Charakter als etwas von den
Umständen,
nicht dem individuellen willen Geformten er-
hielt neuen Zuspruch. Beide Seiten waren sich des Grundsätzlichen in ihrer Auseinandersetzung wohl bewußt, weshalb sie trotz mancher Übereinstimmung
in den Einzelhei-
ten der sozialen Hilfe zu keiner Übereinstimmung
kommen
wollten. So stimmten die Philanthropen den Kritikern der
bestehenden
Armenpflege
darin
von 1834" ihres "negativen",
zu,
daß
die
"Prinzipien
die Armen abwehrenden Cha-
rakters wegen unzeitgemäß seien, aber sie schlössen daraus lediglich auf deren "positive" Erweiterung,
wegs
jedoch
abzuschaffen
auf
ein
und
satz Uberzugehen.
Erfordernis,
zu einem
das
keines-
Armengesetz
wohlfahrtspolitischen
ganz
Neuan-
Die gesamte soziale Hilfe sollte auch
weiterhin marginalisierend angelegt sein, d.h. auf Randgruppen
und
ungewöhnliche
Notfälle
Wo jedoch Hilfen gegeben wurden,
chend
sein
sten stehen,
dann
der
und
beschränkt
in Verbindung mit
"restaurativen"
mit der Sozialarbeit also.
positive
Aspekt
einer
bleiben.
da sollten sie ausreiDien-
Hierin bestand
zeitgemäßen
Fortbildung
des Armenwesens. Von einer "Less Eligibility" der Armenpflege war nicht länger die Rede, wohl aber von der Auf-
112
rechterhaltung marginalisierender Mechanismen,
der Einzelfalluntersuchung,
liensolidarität
oder
der
wie eben
der Reaktivie rung der Famifortbestehenden
gesellschaft-
lichen Verächtlichkeit der Abhängigkeit.
Die Sozialarbeit war demnach die methodologische
rung aus der Überzeugung,
sentlichen
spiel
Charakterreform
von Octavia Hill
zeigen,
alle Sozialreform
und
in den
die
Tätigkeit
Slums
von
Folge-
sei im wezum
London
Bei-
sollte
daß es sich beim Bestreben nach Beseitigung der
Elendsviertel
um eine eher moralisch-regenerierende
um eine strikt städtebauliche
als
2Q
handelte.
Angelegenheit
Dennoch erweist gerade dieses Beispiel die Schwierigkeit
des ganzen philanthropischen bzw. marginalisierenden
An-
satzes.
am Rande
der
Armutslinie
le-
Durch
Gesellschaft
und
benden Gruppen
zialen
seine Beschränkung
an
oder
unterhalb der
erhielt die
Verbesserung
auf die
einen
ganze
Angelegenheit
pauperistischen
der
so-
Beigeschmack:
sie erschien als Beschäftigung mit sozial minderwertigen
Personen.
Eine Politik der sozialen Sicherung der
abhängigen Bevölkerung
Staates,
der sich
insgesamt
entstehenden
Massengesellschaft neue Legitimität erwarb,
blieb damit
die
kung
obgleich unverkennbar geworden war, daß
genossenschaftliche
"ordinary
Selbsthilfe
Abdek-
andererseits der Gedanke einer derartigen Abdeckung
von
vorgängig
immer
vorhandenen
mehr
als
nicht
breiten
und
Arbeiterschaft
contingencies"
zur
ausreichte
der
der
Weise
des
in der
ausgeschlossen,
auf diese
lohn-
als Dienstleistung
Bestandteil
ihres
- Staatsbürgerturns aufgefaßt
-
wur-
de. Octavia Hill etwa begab sich mit ihrer Ablehnung
je-
der
der
Art
von
sozialem
Wohnungsbau
Wirk lichkeitsverweigerung
philosophische
Wahrheit
die lediglich Störfälle,
im
der
in eine
Vertrauen
eigenen
auf
die
sozial-
Gesellschaftsidee,
keine inhaltlichen
113
Position
Korrekturen
zuließ. Daß das Wohnungsproblem
letztlich
die
Entstehung
der
in den Großstädten - und
Slums
- mit
einem
ausge-
prägten Mangel an Wohnraum in den unteren Mietklassen zu
tun hatte,
dem nur durch massiven
- und bezuschußten
Neubau solcher Wohnungen begegnet werden konnte,
30
sie
auf keinen
ihre
Fall zugestehen,
Sozialarbeiterischen
gigem gemacht
hätte,
nicht
zu etwas
bloß
Zweitran-
sondern mehr noch einen Bruch mit
dem Weltanschauungssatz
tenance"
weil dies
Bemühungen
-
wollte
herbeigeführt
von der umfassenden
haben
würde.
Zum
"self-main-
anderen
blieb
selbst der Bezug auf die an oder unter der Armutslinie
lebenden Menschen,
wie Charles Booth sie 1889 erstmals
31
definiert hatte,
marginalisierend,
eben auf die bloße
Notfallhilfe
ausgerichtet.
Wenn Octavia Hill
nach
rund
vier Jahrzehnten angestrengter Tätigkeit kaum 4.000 M e n schen in ihren Häusern untergebracht hatte, so bedeutete
dies für
sie gewiß
nenswerten
nungsnot
Beitrag
der
einen Erfolg;
zur
ärmeren
einen
Linderung
Schichten
der
in
irgendwie
nen-
bedrückenden
Woh-
London
kann
man
das
aber kaum nennen.
Freilich
Krise
lag hierin nicht der
des
Krise
der
Philanthropismus,
viktorianischen
20. Jahrhundert
die Ausweitung
eigentliche Grund
der
nur
werte
die
am
für die
umfassendere
Übergang
zum
nachvollzog. Ein Moment dieser Krise war
der sozialen
Kluft
und die damit
einher-
gehende Beschädigung der Respektabilitätsvorstellung
Orientierungsideologie.
te
von
auf
die
Die rationale Philanthropie
Überbrückung
Altruismus
und
dieser
Selbsthilfe
Kluft
ihr
als
hat-
durch
Verbindung
soziales
Selbstvei—
32
ständnis gerichtet.
Ihr soziales Problem war der
perism", nicht die "poverty", die Armut jener 31
an
der
amongst
Armutsgrenze
lebenden
riches" aber war
diese
114
"Bürger".
Armut
Als
zu Ende
"pau-
Prozent
"poverty
des
Jahi—
hunderts
provokativ
Reichtum einer
Armut an
geworden:
Der
industrialisierten
außerordentliehe
Gesellschaft
sich zu einem Paradox werden.
ließ die
Es ging
in den
sozialpolitischen Erörterungen zunehmend um die Abschaffung der Armut und nicht - wie früher - um die
fung der bloßen
Diesen
Wandel
Einige
ihrer
schaft,
Abschaf-
Hilfsbedürftigkeit.
vermochte
die
Mitglieder
C.O.S.
verließen
nie
zu
deshalb
begreifen.
die
Gesell-
so Samuel Barnett, der Gründer der Bewegung zur
Errichtung von Universitätssiedlungen
in den städtischen
33
Slums.
der
Was
nottue,
staatlich
sei
ein
gewährleistete
"practicable
socialism",
Mindeststandards
dienstausfällen oder zu geringem Verdienst
bei
Ver-
sicherstelle.
Solche Hilfen würden die Armen nicht demoralisieren, wie
das behauptet werde. Eine derartige Demoralisierung
ge vielmehr
von einem "abschreckend" gestalteten
wesen und einer
inquisitorischen
Philanthropie
gin-
Armen-
aus.
Um
die Gefühle der sozialen Zusammengehörigkeit zu stärken,
mußte der Staat altruistische Aufgaben übernehmen, wobei
Barnett an eine staatlich bezuschußte
Arbeitslosenunter-
stützung, an freie Altersrenten, öffentliche Arbeiten in
Zeiten
größerer
Arbeitslosigkeit
sowie
an die
Abschaf-
34
fung der Arbeitshäuser dachte,
in
völligem
standen.
Gegensatz
In
Gesellschaft
alles Forderungen,
den Vorstellungen
verloren
freiwillig
und
der
wohlfahrtspolitisch
hätte die freie Wohltätigkeit
punk t st el lung
Armen
einer
zu
und
aus
was
Gnade
gegründeten
ihre
die besseren
gaben,
die
C.O.S.
Mittel-
Kreise
den
dann
zur
wäre
stumpfen Steuerpflicht und zu einem Anspruch der Empfänger geworden, wenn man weiß, daß in London etwa Ende der
sechziger
Jahre
gesetzlichen
Pfund
von
der
zwei
Millionen
Armenpflege,
freien
Pfund
hingegen
Wohltätigkeit
115
jährlich
sieben
ausgegeben
von
der
Millionen
wurden,
dann
wird
die
35
klar,
auch
wenn
wohltätigen
war.
eines
als
help"
et
im T o p f e
Barnett
sich
für
fen.
finden
sie
den
Deutschen
Mit
ihrer
immer
weniger,
Partei
sen
denen
nicht
geöffnet
stoneschen
chen,
und
glaubten,
ohne
die
einem
sich
bei
Zuckungen
Für
der
ausging,
allen
möglich
den
eigentlich
hatte
in d e r
wie
V.
nicht
ihre
Klagen
das Wort
freilich
einem
wäre.
116
oder
"Feu-
womöglich
Briten.
hingegen
die
bei
den
immer
im
mehr
des
zu
Altliberale
Kritiker
der
des
soziLager,
handelte
die
es
letzten
Selbsttäuschung,
einigen
Glad-
beanspru-
liberalen
um
mehr
Mittelklas-
Erbschaft
redeten,
den
fühlten,
konservative
im S c h a f s p e l z
individualistischen
was
neuen
verbunden
bittere
Widersacher
ergab
bedür-
sozialpolitischen
enttäuschte
der
Al-
Samuel
zu
der
Innenpolitik
viele
ihn
freilich
sich
die
Dicey,
Liberalism"
daß,
wie
und
der
Freiheit
freien
erfolgreich
dabei,
das
Bosanquets
in e i n e n
eines
"Kollektivismus"
solchen
davon
führe
aber
doch
nun
das zurecht,
"New
der
Sinne
für
zwischen
Staates
Konservativen
Liberalismus
Reform.36
des
Zeiten
Mühe,
so A l b e r t
Weg
Philanthropen
sich
den
und war
die
Ethik
Abweisung
sie
Peels
heraufziehenden
alen
Die
nicht
die
bei
Seit
Loch,
durch
im
Freiheit
"Staatssozialismus",
anstehe,
fanden
Politik
"Abhängigkeit",
vom Staate
einen
unbedingten
Neuansatzes
Anklang.
oder
suchte.
derartige
"self-help"
dem die
mit
ausgestattet
eine
der
dritten
aus dem Stolz,
oder
Liberalen,
bei
werde.
keinen
Anhängigkeit
dalismus"
von
Wandels
natürlich
reich
buchstabierten
circensis",
sahen
Hauptstadt
besonders
Korrumpierung
"Freiheit"
zu
als
vorgeschlagenen
Ersetzung
als
verhökert
Hill
ternative
die
und
"panem
Octavia
London
Philanthropen
Veränderung
"state
dieses
Einrichtungen
Die
Huhn
Bedeutung
möglich
die
sei,
Für den vermutlich gewichtigsten
Intellektuellen,
unter den
neuliberalen
für John A. Hobson, bildete die Spren-
gung dieser allgegenwärtigen "individualist fallacy" die
Voraussetzung
für jede das Leben der arbeitenden Bevöl-
kerung nachhaltig verbessernde Reformpolitik, sei es nun
als
wirtschaftswissenschaftliche
sätzlichen
auf
Hochschätzung
die Selbsthilfe
Frage.
durch
Demgemäß
den
des
als Mittel
ersetzte
Hobson
indem
der
oder
der
den
er
grund-
als
zur Lösung
auch
Gesellschaftsbezug
daß die Armut zuerst
Zerstörung
Sparens
Angriff
sozialen
Individual-
darauf
bestand,
und vor allem ein Ergebnis der
zialökonomischen Verhältnisse sei,
dem individuellen Charakter eine gewisse Bedeutung
me.
So
habe
die
Arbeitslosigkeit
einfach mit einem Überangebot
so-
innerhalb derer dann
als
soziales
zukä-
Problem
an Arbe itskräften zu tun,
aber wer im Einzelfall arbeitslos werde, hänge unter anderem davon ab,
er sei.
wie
leistungsfähig
und
leistungswillig
Beobachtungen dieser Art wurden von den Philan-
thropen gerne als Beweis ihrer Charakterthese
angeführt,
sie gingen jedoch - Hobson zufolge - an den eigentlichen
37
Ursachen
stände
vorbei.
und das
Alle Reform
soziale
Problem
sei
Reform
sei daher
sozialer
ein
problem, kein um Personendefekte angeordnetes
blem.
Um-
SingularPluralpro-
Daraus folgerte er, daß "die Gesellschaft nie zu-
viel für das Individuum tun kann",
da nur sie die indi38
viduelle
Freiheit
umfassend
substantivieren
könne.
Erst über eine neue Sozialpolitik wurde also aus der negativen
Freiheit
des
eines Tun-Könnens.
sons Vorstellungen
ralismus werden
cherheit
und
Tun-Dürfens
die
positive
Freiheit
Eine solche Politik sollte nach Hobzum Jungbrunnen des britischen
ihn
herausführen,
aus seiner
die
sich
gegenwärtigen
aus
Krise der viktorianischen werte ergab.
der
LibeUnsi-
einsetzenden
Der individualistische Liberalismus war - das glaubten
die Neuliberalen - in einer von den arbeitenden Massen
zunehmend beeinflußten Gesellschaft reformunfähig geworden, d.h. er verfehlte - im Wettbewerb mit den Konservativen - seine funktionale Aufgabe, eine Partei der Bewe3Q
gung
zu sein.
Die
neue,
"bewegende"
Politik
Hobson als Streben nach Verwirklichung einer
deutete
umfassenden
Gleichheit der Lebenschancen durch Abbau der krassen Ungleichheit der Vermögensunterschiede
und möglichst weit-
gehende Demokratisierung. Die soziale Absicherung
gehör-
te selbstverständlich dazu.
Den Sozialismus im engeren
Sinne lehnte er als der Idee der persönlichen Freiheit
40
entgegenstehend ab,
denn das,
was den Liberalismus den alten wie den neuen - von einem derartigen
Sozialis-
mus trenne, sei das Verlangen nach individueller
Selbst-
bestimmung und Freizügigkeit, das im Sozialismus zu kurz
komme.
Die Behauptung der Alt 1iberalen,
eine derartige
Freiheit sei nur im Rahmen einer Ordnung der Selbsthilfe
möglich,
wiesen die Neuliberalen
der Industriewirtschaft
zurück.
Der
Reichtum
erlaube die Abschaffung der
Ar41
mut als Abschaffung der Ungleichheit der Lebenschancen
und damit die Überwindung der in den Umständen
Leistungsschwäche
der
Deutung
wurde
der
Armut
so von Beatrice Webb,
quets
in
der
Armen.
Diese
von anderen
liegenden
soziologisierende
Kritikern
geteilt,
Gegenspielerin Helen Bosan42
Armenkommission.
Es war die Sichtweise
des anbrechenden
20.
der
Jahrhunderts,
in dem die
thropen von Anfang an auf verlorenem Posten
III. Schlußbemerkung
Philan-
standen.
Die Ursache dieses Wandels ist unschwer zu erkennen. Sofern es die Funktion einer verschiedene
Gruppen
zu einem
Gesamtgefühl
verbindenden
sozialökonomisch
Ideologie
führenden Gruppe
ist,
als
die Werte der
allgemeinverbind-
lich erscheinen zu lassen, dann gerät diese Ideologie in
eine Krise,
wenn sie diese Funktion nicht mehr oder nur
mehr unzureichend
dem,
von
zu erfüllen vermag.
einer
entschiedenen
statt konsensfähig.
ses
Sie schrumpft
was sie einmal war, eine Fokus-Ideologie,
auszudrücken
sucht;
digung
und
damit
dissens-
In ihrer Angriffsperiode hatte die-
Dissenspotential
schaft
Minderheit
zu
geglaubt
die
Zukunftserwartung
- und
in Beschlag
zu
der
Gesell-
nehmen
-
ge-
nun diente es der - nicht unkritischen - Verteides Bestehenden
Sozialkonservatismus
"im Prinzip",
die
alte
so wie
Ordnung
gegen
einst
den
der
wirt-
43
schaftsliberalismus verteidigt
Wo eine Gruppenideologie
strukturierte,
ihr
wo
ausrichteten,
da wuchs
gruppe soziale Macht zu.
stimmte
den
sich also
hatte.
gesellschaftlichen
die
sozialen
der
entsprechenden
Ihre Ideologie,
soziale wie wirtschaftliche
drückte,
erhielt
Konsens
Leitideen
Verbindlichkeit
die ihre
Interessen läge
auch
für
an
Trägerbeaus-
Gruppen
mit
anderen Interessen lagen, zumindest solange es keine eine
solch abweichende Lage wirksam ideologisierende
Dissens-
theorie gab. je weiter damit eine Gruppe vom Interessenbezug der vorherrschenden Ideologie entfernt war,
"defekter" mußte sie erscheinen.
mochte
sie
sich
als Ganzes
desto
Von diesem Defekt ver-
nicht
zu
lösen,
wohl
aber
konnten das einzelne ihrer Mitglieder. Daß die Beschreibung dieses Defektes moralisierend
dem
Anspruch
Eigenheit
auf
jeder
Allgeltung
Moral,
zu
erfolgte,
tun,
ist es
hatte mit
doch
die
ideal istisch-imperativisch
zu
verfahren, was macht, daß kaum einer ihr gerecht zu werden vermag,
daß jedoch die Mehrheit der
ziemlich eindeutig an ihr scheitert.
Angesprochenen
Darin
liegt gewissermaßen der Herrschaftseffekt
ral,
genutzt von jenen,
ihr verbreitetster Name ist "Sünde".
Diskurses,
über
die
der
Mound
Im liberalen Indi-
vidualismus war es die "Seif"-Zentrierung
schen
der
die ihr eher entsprechen,
des
ideologi-
Sündennachweis
geführt
wurde. "Self-help", "self-discipline", "self-denial" und
die
sie
wie
Versagen.
umkreisenden
Die
Selbstverständnis
Armut.
Die
Begriffe
C.O.S.
- die
buchstabierten
bekämpfte
"Sünde",
Abstraktheit
ihres
-
nicht
Forderung
nach
eigenem
eigentlich
empirischen
Redens
die Armen ergab sich aus diesem imperativischen
mus,
das
Moralis-
der das Rechte doch so eindeutig benannte und über
unrechte
letztendlich
nur
verwundert
sein
konnte.
Eine "Hermeneutik" des Unrechten konnte es nicht
wie
die
über
denn
auch
die
Auseinandersetzung
mit
den
geben,
Kritikern
durch ihr Bestehen auf Grundsätzlichem den Zweifel
ver-
mied, denn am Grundsätzlichen durfte man nicht zweifeln.
Die Entsprechung zur Erhebung einer Gruppenideologie zur
Allgemeingültigkeit
deren Gruppen.
Seine
die Aufblicksbeziehung
der
während
"Sünde"
einleitenden
mit
an-
Respektabilität
weiterhin
verharrten.
des Emanzipationsgedankens
sie
wurde
die Armen
sozialen Sündhaftigkeit
der
der
Der Arbeiterliberalismus gehört hierher.
Vermeidung
vergolten,
wäre
im Zustand der
Mit der
Neudeutung
vom Kollektivprinzip
Soziologisierung
her
der
und
Armut
schrumpfte die Sünde allmählich auf das eine Prozent der
Asozialen,
deren Verächtlichkeit
Philanthropen
selbst.
Die
mutsschwelle
die soziale
muts- und
kaum
minder
dreißig
von den Kritikern
betont
Prozent
wurde
der nach
wie
von
der
jenen
Booth an der
Ar-
lebenden Menschen zogen auf diese Weise in
Normalität ein;
die Gleichsetzung
Respektabilitätslinie
ständlichkeit.
Damit
wurde
die
verlor
ihre
positive
von
Ar-
Selbstver-
Einbeziehung
dieser Bevölkerungsgruppierung
in die Gesellschaft
mög-
lich, die aus politischen Gründen dringlich schien.
Die Machtlage
in der Gesellschaft
dig im Wandel:
befand sich offenkun-
Ein vager "Sozialismus" lag in der Luft,
den zu einem - im Kontext der bestehenden Gesellschaft "praktikablen" Sozialismus zu machen,
die große weltan-
schauliche Herausforderung der Zeit zu sein schien.
Ideologie
der
der
Lage.
Selbsthilfe war
Im Laufe des
dazu weder
19. Jahrhunderts hatte
wichtige integrative Aufgabe erfüllt,
Die
fähig noch
in
sie die
den Fokus der die
industrielle Revolution tragenden Gruppe zu verallgemeinern
und
damit
die
weltanschaulich
kapitalistische
abzusichern.
Der
Industrialisierung
Arbeiter1iberalismus
war ein wichtiges Ergebnis dieses Vorganges gewesen. Die
durch ihn erleichterte Demokratisierung wiederum
über
zur
schaft
Entstehung
und
damit
einer
proletarischen
längerfrist ig zur Fortbildung
zialreform zur Sozialpolitik.
cherheit
wurde
die neue,
betonte
zu
einer
der
So-
die soziale
Si-
Angelegenheit
und
Kurzum,
politischen
auf die Gesamtgesellschaft zielende
demgemäß
lohnabhängigen
die
Bürgers
Interessenbeziehung
zum
Staat,
leitete
Wahlbürger-
sofern
Ideologie
gerade
dieser
des
Staat
nur Sozialstaat werde. Die Selbsthilfe-Idee trat zurück,
wurde zu etwas Zweitrangigem im Bereich der sozialen Sicherheit, wie die freie Wohlfahrtspflege
Inzwischen
freilich
eine Krise geraten,
ist
der
auch.
Wohlfahrtsstaat
selbst
die nicht allein eine Krise
Finanzen, sondern kaum minder eine solche seiner
gie ist.
in
seiner
Ideolo-
Anonymisierung, Bürokratisierung, eine oftmals
geringe Leistungsbereitschaft der Sozialverwaltung,
Me-
dikai isierung und anderes mehr beschädigten die
Pracht-
fassade
soziale
des
Wohlfahrtsstaates
merklich.
Seine
Teilung,
wie
ohnehin stets vorhanden,
die
verstärkt sich eher,
Erfolge
des
privaten
Versicherungswesens,
Zusatzversorgung
und
der privaten Sozialdienste
Diese Kritik des Wohlfahrtsstaates,
der
zeigen.
in Schweden
so gut
wie den Vereinigten Staaten oder Großbritannien,
nimmt
Denkformen
und Schlagworte
pismus wieder auf,
in der Hoffnung
cherung
des
durch
Philanthro-
variiert sie und artikuliert
auf Konsens.
bei gleichbleibenden
besondere
altliberalen
die
Dissens
Eben weil die soziale Siund hohen Standards,
Wohlfahrtspolitik,
zur
ins-
Mentalität
fast jeden Bürgers geworden ist, und weil mit der Veränderung
der Arbeitswelt
herqualif izierte
erscheint
einer
mehr Menschen
gutbezahlte
heute vielen die
Zwangs-
Debatte
und
um
Selbsthilfe für alles,
kehrt in gewisser weise
unsere
wohlfahrtspolitische
und AIlversicherung
staatliche
historische
denn je zuvor
Tätigkeiten
als
bei
was Mindeststandards
zu jenem
Erörterung
Krise
Die
privater
übersteigt,
Punkt zurück,
der
Methode
fragwürdig.
Grundsicherung
hö-
ausüben,
des
an dem
Selbst-
hilf e-Gedanke ns endete, zur Debatte innerhalb und außerhalb der Royal Commission von 1905-1909 um Selbstzuständigkeit und sozialstaatliche Verantwortung,
um Freiheit
und um die Vereinbarkeit von Individualismus und Kollektivismus in der Sozialpolitik.
Anmerkungen
1
Henry Newman, Parochial and Plain Sermons 8, Nr. 1
(1836), zit. nach Walter E. Houghton, The Victorian
Frame of Mind 1830-1970, New Haven 1986, S. 183.
2
Vgl.
zu diesem Sachbereich meine demnächst in der
Schriftenreihe des Deutschen Historischen Instituts
zu London erscheinende Studie über "Industrialisierung und Sozialpolitik in Großbritannien 1795-1911".
3
Zit. nach Houghton, Victorian Frame, S. 51.
4
Thomas Carlyle,
Kap. 2.
5
Houghton, Victorian Frame, S. 218.
6
Samuel Smiles, Self-Help, With Illustrations of Conduct and Perseverance (1859), London
1906, S. 11114.
7
Ebd., S. 1.
8
P.H.J.H.
Gosden,
The Friendly Societies in England
1815-1875, Manchester 1961, S. 17, 90ff., passim.
9
G.D.H. Cole, A Century of Co-operation,
1945, S. 10, 79ff*, 95, passim.
Past and Present
(1843),
Buch
III,
Manchester
10 Vgl. Robert Gray, The Aristocracy of Labour in Ninetee nth-Century Britain 1850-1914, London 1981,
s: 35ff., passim.
11 Vgl. T.S.
und M.B.
Simey,
Charles Booth.
Scientist, Oxford 1960, bes. Kap. 8 u. 9.
Social
12 Vgl. K.H. Metz, "The Survival of the Unfittest": Die
sozialdarwinistische
Interpretation
der
britischen
Sozialpolitik vor 1914,
in: Historische Zeitschrift
239 (1984), S. 565-601.
13 Vgl. Michael Freeden, The New Liberalism. An Ideology
of Social Reform, Oxford 1978, Kap. 4.
14 Zur Geschichte der 1869 gegründeten C.O.S. vgl. Helen
Bosanquet,
Social Work in London.
A History of the
C.O.S., London 1914; Charles L. Mowat, The Charity
Organisation Society 1869-1914, London 1961; Madeline
Rooff, A Hundred Years of Family Welfare
London 1972.
1869-1914,
15 Vgl. E.T. Ashton/A.F. Young, British Social Work in
the Nineteenth Century,
London 1956, bes. S. 98-111,
passim;
Kathleen Woodroofe,
From Charity to Social
Work in England and the United States,
London
1974,
Kap. 2.
16 Charles S.
1910.
Loch,
Charity
and
Social
Life,
London
17 Bernard Bosanquet (Hg.), Aspects of the Social Problem, London 1895, bes. S. 4-16, 104-11, 294-318.
18 Helen Bosanquet, The Strength of the People. A Study
in Social Economics, London (1902) 1903.
19 Vgl. Ashton/Young, Social Work, Kap. 7.
20 H. Bosanquet, Strength, S. 1f.
21 Ebd., S. 55, VIII, 120.
22 Ebd., S. 98.
23 Ebd., S. 163.
24 Ebd., S. 231-57; C.S. Loch, Pauperism and Old-Age
Pensions,
in: B. Bosanquet, Aspects, S. 127-65; vgl.
auch G. Abbott et. al., Old-Age Pensions. The Case
against Old-Age Pensions Schemes, London 1903.
25 Zur Vorgeschichte vgl. Bernd Weisbrod, "Visiting" and
"Social Control",
in: Christoph Sachf3e/Florian Tennstedt (Hg.), Soziale Sicherheit und soziale Disziplinierung, Frankfurt/M. 1986, S. 181- 206.
26 Octavia Hill, District Visiting, London 1877, S. 6;
B. Bosanquet, The Duties if Citizenship, in: ders.,
Aspects, S. 6.
27 Bernard Bosanquet,
The Majority Report of the Poor
Law Commission,
in:
Sociological Review 2 (1909),
S. 114f; vgl. auch A.W. Vincent, The Poor Law Reports
of 1909 and the Social Theory of the C.O.S., in: Victorian Studies 27 (1984), S. 343-63.
28 Ebd., S. 117.
29 Vgl. Antony S. Wohl, The Eternal Slum. Housing and
Social Policy in Victorian London, London 1977,
S. 183ff.
30 Ebd., S. 194ff•
31 Vgl.
Simey,
Charles Booth,
S. 80-90;
siehe auch
Charles Booth,
The Life and Labour of the People in
London,
London 1902-1903,
Poverty Series,
Bd. I,
S. 33-36.
32 Wohl,
Eternal Slum, S. 198; vgl. auch Gareth Stedman
Jones,
Outcast London.
A Study in the Relationship
between Classes in Victorian Society,
Oxford 1971 ,
S. 241-61.
33 Vgl. Ashton/Young, Social Work, S. 224-34.
34 Samuel A. und Henrietta Barnett,
Towards Social Reform,
London ig09,
S. 63-85,
154, 176. Zur Haltung
der C.O.S. vgl. Mowat, The C.O.S., S. 139-44, 145-57.
35 Stedman Jones, Outcast London, S. 244f.
36 Albert V. Dicey, Lectures on the Relationship between
Law and Public Opinion in England during the Nineteenth Century, London 1909.
37 P.F. Clarke, Introduction, in: John A. Hobson, The
Crisis of Liberalism (1909), New York 1974, S. Xllf.
38 Zit. bei ebd., S. XIX.
39 Hobson, Crisis, S. IX, XI, 3, 92, 113-18.
40 Ebd., S. 95, 155, passim.
41 Ebd., S. 164-67, 216.
42 Vgl. Sidney Webb, The Minority Report of the Poor Law
Commission, in: Sociological Review 2 (1909), S. 12739;
J.S. Clarke"! The Break-up of the Poor Law, in:
Margaret Cole (Hg.), The Webbs and their Work, Brigh2
ton 1 9 7 4 , S. 101-14.
43 K. H. Metz,
The Social Chain of Respect. Zum Topos
des sozialen Konservatismus, in: Archiv für Kulturgeschichte 68 (1986), S. 151-83.
12 6
Alastair Reid
VIKTORIANISCHE WERTE IN DER ARBEITERBEWEGUNG
I
Bis vor
Kurzem wurde
die
Position
in der hochviktorianischen
der
kulturellen
Inkorporation
und
bürgerliche Werte untersucht.
leicht
immer
der
Arbeiterbewegung
Zeit vor allem in Kategorien
Unterwerfung
unter
Am Anfang stand die viel-
noch am weitesten
verbreitete
Lesart
mehr
oder weniger orthodox-marxistischer Historiker, die "Arbeiteraristokratie"
sierten Gewerben
heren
Einkommensniveaus
zichten,
entkommen
bürgerlichen
60er
auf
revolutionäre
der unmittelbaren
vorübergehend
einer
den
in den gewerkschaftlich
Jahren
gut
organi-
habe vor allem dank ihres deutlich höPolitik
kapitalistischen
und
sich
Lebensweise
empfanden
somit
den
Historiker
Zugang
können.*1
eröffnen
ver-
Ausbeutung
insbesondere
zu
Seit
der
Neuen Linken diesen Erklärungsansatz zunehmend als unbefriedigend,
sche
weil er sich zu ausschließlich auf ökonomi-
Kategorien und
Arbeiterschaft
nur auf
eine kleine
Inzwischen hat sich das Augenmerk
kulturellen
Inkorporation
spielsweise
im
Mechanismen
der
2
wurden,
wo
oder
hegemoniale
Minderheit
der
bezog.
Arbeitsprozeß
Überwachung
im Bereich
auf andere Formen
verlagert.
der
selbst
und
Sie
gesucht,
Kontrolle
umfassenden
Wert anforderungen,
wurden
wo
der
beineue
ausgemacht
Systemzwänge,
Strategien
sozialer
Kontrolle oder althergebrachte Verhaltensmuster der Ehr-
erbietung diagnostiziert wurden.
Untersuchungsrichtung
für die Anerkennung
den,
wenn
klasse.
auch
blieb
es
Hauptziel dieser neuen
jedoch,
eine
Erklärung
der bürgerlichen Herrschaft zu
nunmehr
seitens der
gesamten
fin-
Arbeiter-
In diesem Zusammenhang konnte eine reiche sozi-
algeschichtliche Ernte eingebracht werden: so wissen wir
inzwischen erheblich mehr über die Bedeutung der Ausbildungs- und Qualifikationsstruktur
che
Entwicklung
des
schränkte
Reichweite
über
Einfluß
den
für die
19. Jahrhunderts,
volkstümlicher
einiger
wirtschaftliüber
Kultur
bürgerlicher
die
und
be-
Politik,
Pressure
Groups
mit erklärtermaßen moralischer Zielsetzung, über die Bedeutung
von
schaften
klassenübergreifenden
sowie
traditionellen
politischen
selbstverständlich
Gemein-
auch
über
die
wie
Fragen
der
Arbeiterbewegungsthemen
differentiellen Lohnentwicklung oder der
gewerkschaftli-
chen Organisation.
Trotz
über
des
beachtlichen
die Art
und die
Ertrags
der
Formen der
zahlreichen
kulturellen
Studien
Inkorpora-
tion erscheinen deren Voraussetzungen jedoch in mancherlei Hinsicht zunehmend fragwürdig. Erstens gehen sie offensichtlich davon aus,
politischen
daß die gesellschaftlichen
Verhältnisse
in
19. Jahrhunderts
ernsthaft
neue
Inkorporation
Formen
der
des Systems erforderlich
der
bedroht
für
gemacht
und
ersten
Hälfte
des
gewesen
seien,
was
die
habe.
Restabilisierung
Zweitens
setzen
sie voraus, daß sich die industrielle Bourgeoisie um die
Mitte
des
Jahrhunderts
als
dominante
habe,
so daß der Prozeß der Inkorporat ion lediglich als
Verbreitung bürgerlicher Werte
terschaft
Gruppe
etabliert
in den Reihen der
vorstellbar erscheint.
Arbei-
Drittens wird oft
un-
terstellt, die Arbeiterschaft habe, nach der Überwindung
ihrer
früheren,
grundsätzlichen
128
Opposition
gegen
das
neue System den Status quo und das damit verbundene Wertesystem mehr oder weniger passiv hingenommen.
einfachende
Formulierung
solcher
rechtigte Zweifel wecken:
Die ver-
Grundannahmen
muß
war die Arbeiterschaft
be-
wirk-
lich bereit, sich mit dem neuen Status quo mehr oder weniger
passiv
abzufinden,
und
können
die
bürgerlichen
Werte im Lichte der neueren Forschung wirklich als hegemonial betrachtet werden?
Vor
allem aber
muß der
4
Kern der
nahmen neu durchdacht werden,
der
Status
quo
derts
einer
sei,
die nur
bis
in die 40er
ernsthaften
durch eine
Werthaltungen
und
verschiedenen
Grundan-
die Annahme nämlich,
Jahre
Bedrohung
des
ausgesetzt
massive Gezeiten-Wende
Organisationen
der
daß
19. Jahrhungewesen
in den
Arbe iterbewegung
überwunden werden konnte. Dieser Annahme liegt die Übei—
zeugung
zugrunde,
die
immer noch von
und Historikern der Arbeitebewegung
Sozialhistorikern
der
verschiedensten
politischen Couleur geteilt wird, daß der Chartismus eine
über
das System
hinausweisende,
klassenbewußte
und
konsistente Herausforderung gewesen sei, und daß die gemäßigten
und
keinesfalls
der Arbeiterbewegung,
grund traten,
revolutionären
Organisationen
die seit etwa 1850 in den Vorder-
eine genuin revolutionäre Gelegenheit zu-
gunsten der Bourgeoisie verspielt
hätten.
Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren,
als sei es
marxistischen Historikern
seit den 50er Jahren hier wie
in anderen
britischen
Bereichen
der
Geschichte
relativ
erfolgreich gelungen, neue Parameter zu setzen. Entgegen
der traditionellen
sellschaftliche
friedlichen
Whig-Interpretation,
Fortschritt
Reformprozeß
einem
wonach der
allmählichen
zu verdanken sei,
lenkten
geund
sie
die Aufmerksamkeit auf Epochen gewaltsamer Konfrontat ion
und raschen Umbruchs,
17. Jahrhundert
lichen
als
Revolution
vor allem auf den Bürgerkrieg
einer
und
Erscheinungsform
auf
den
der
Chartismus
im
frühen
19. Jahrhundert als Anzeichen zumindest für eine
che proletarische
aus erscheinen
Beziehungen,
Revolution.
Epochen
Von diesem
relativ
im
bürgermögli-
Gesichtspunkt
konfliktfreier
sozialer
wie etwa die hochviktorianische Zeit, eher
als Ausnahme denn als die Regel. Dies ist zweifellos das
Verdienst einer herausragenden Historikergeneration,
die hier nur Christopher Hill,
für
Eric Hobsbawm und Edward
Thompson als drei prominente Vertreter genannt seien. Es
gelang
ihnen,
marxistische Glaubenssätze
mit dem
empirischer Forschung zu erfüllen und zu einem
den
und
herausfordernden
Tatsächlich
rief
Geschichtsbild
ihre
allgemeine
zu
verdichten.
Einschätzung
17. Jahrhunderts lebhaften Widerspruch hervor,
des 19. Jahrhunderts wurde
Leben
anregendes
ihr Bild
jedoch zur herrschenden
Leh-
re: die historiographische Debatte dreht sich seither um
die Frage,
wie die proletarische Herausforderung
dämmt werden konnte,
aber nicht darum,
Herausforderung überhaupt
Erst
in
für
eine
jüngster
Zeit
schichtsbildes:
Es
bestand.
finden
fundamentale
einge-
ob eine solche
sich
Revision
gilt
deutliche
des
inzwischen
Anzeichen
etablierten
beispielsweise
gesichert, daß vom Chartismus als nationaler
Geals
Massenbewe-
gung nur in der relativ kurzen Zeit vom Sommer 1838
bis
zum Sommer 1842 gesprochen werden kann, wonach die Bewegung
einen
andauernden
Verfall
und
Common ihr endgültiges Fiasko erlitt.
auch langsam wieder daran,
bis
1842
keineswegs
nur
1848
in
Kennington
Man erinnert sich
daß die vier Jahre von
im Zeichen
von
und weitreichenden politischen Aktionen standen,
insbesondere
für
die
Arbe iterschaft
von
1838
selbstbewußten
sondern
Arbeitslosig-
keit,
dem Verlust gewerkschaf11 icher Organisationen
politischer Isolierung geprägt waren.
und
Selbst auf seinem
Höhepunkt war der Chartismus wenig mehr als der Ausdruck
des massenhaften
Defensive.
Protests einer Arbeiterbewegung
Schließlich ist bekannt,
in der
daß der Chartismus
in verschiedene Lager gespalten war und daß selbst seine
militantesten
die
Führer,
die
in der kritischen
Anhänger
Phase den
Feargus
rhetorisch auf Gewaltmittel beriefen,
zu lassen,
und sich
demokr at isc hen
immer noch
Diskurses
O'Connors,
Ton angaben,
ohne Taten folgen
im Rahmen
bewegten:
sich nur
des
selbst
radikal-
die
fraktion des Chartismus stand dem liberalen
Gewalt-
Radikalismus
5
näher
als
dem
revolutionären
Sozialismus.
Es
scheint,
als hätten die marxistischen Historiker in ihrer
nung
mit
der
Whig-Interpretation
des
schritts eine kurze Phase verstärkter
nungen
nur
überschätzt
deren
und
Androhung
gewalttätige
mit
der
Abrech-
friedlichen
Fort-
politischer
Span-
Aktionen
sozialen
oder
Revolution
gar
ver-
wechselt.
Die
überwiegende
Mehrheit
der
jüngsten
sozialhistori-
schen Forschung zur Geschichte der Arbeiterbewegung
daher von einem Chartismus-Mythos aus,
geht
der die histori-
sche Bedeutung der beiden Epochen geradezu in ihr Gegenteil
zu
verkehren
Chartismus
wegung
und der
sind
droht.
Die Gegensätze
hochviktorianischen
sicherlich
unübersehbar
Hinsicht aufschlußreich.
Entstehungsbedingungen
stellte,
der
von der
und
des
Chartismus
ein
"eigentlichen
mit
vielerlei
wenn man die
ergründen
Arbeiterklasse"
in den hochviktorianischen
Sozialist
dem
will,
daß er die politische Er-
noch Abweichungen möglich gewesen seien.
immerhin
in
Man muß jedoch,
nicht unbedingt unterstellen,
sehe inungsform
zwischen
Gewerkschaftsbe-
Jahren nur
G.D.H.
revolutionären
darCole,
Sympathien,
fand die 1820er und 30er Jahre um einiges
als seine Vorgänger
interessanter
Sidney und Beatrice Webb und kam in
seinem Klassiker A Short History of the British
Class
Movement
dennoch
über ihre langfristige
zu
einem
Working
realistischen
Urteil
Bedeutung:
"Revolt failed. Vainly did the workers kick against
the pricks of the new order ...
Their movements
were,
for the most part,
reactions of starvation
and despair,
rather than constructive attempts at
economic reorganisation ... It was, indeed, impossible for the working class of the early nineteenth
century to devise a policy at once practical and
constructive. They were too weak ... In this survey
(of the period after 1848, A.R.), we shall be studying the real beginnings of modern organisation
...
These Victorian pioneers built narrow houses;
their plans lacked the space and grandeur of the
earlier conceptions.
But they built on firm foundations - so firm that,
even under the vastly
changed conditions of our own time, their buildings
take a great deal of breaking,
and their policy
still survives,
built round and aver by the exponents of more up-to-date methods."
Dieses Urteil hat auch noch ein halbes Jahrhundert
ter Bestand:
sierten
Anfang
nicht
Die ununterbrochene Geschichte der organi-
Arbeiterbewegung
in
von
der
spä-
in Großbritannien
hochviktorianischen
Anfang
an
"Verrat"
an
Zeit.
den
nimmt
Wenn
ihren
wir
Interessen
ihr
ihrer
Mitglieder unterstellen wollen, muß sie in einem anderen
Licht betrachtet werden, als dies in letzter zeit üblich
war. Einige der folgenden Überlegungen sollten dabei für
ihre
Entwicklung
zwischen
den 40er
in
der
und den
langen
Hochkonjunkturperiode
70er Jahren,
der
Zeitspanne
von den ersten Apassung an die industriestadtischen
dingungen
bis
zum Auftreten
einer
ernsthaften
tionalen Konkurrenz, in Betracht gezogen werden.
1 32
Be-
interna-
II
Das erste und vielleicht wichtigste Phänomen der Gewerkschaftsbewegung
das
man
sich
Größe,
in
der
hochviktorianischen
im Klaren
sein
sollte,
ihr permanentes Wachstum und ihr
Bedeutungszuwachs.
Zwar
bestanden
Mitte des 18. Jahrhunderts lokale
Zeit,
ist
ihre
über
schiere
unübersehbarer
spätestens
seit
die in der Phase von etwa 1790 bis 1820 mit Hilfe
regionalen
Stützpunktsystems
be it smarktregu 1 ie rung
reitstellen
konnten.
und
ein
gewisses
Bildung
von
Ar-
Arbeitslosenunterstützung
be-
In den 1830er Jahren zeigten sich
dauerhaften
überwunden werden
Jahre
sah
Maß
ihres
an
jedoch Auflösungserscheinungen,
der
der
Gese1lenvereinigungen,
konnten:
beispielsweise
die erst nach 1842 mit
nationalen
Die
die
zweite
Gründung
Organisationen
Hälfte
der
der
40er
Amalgamated
Society of Engineers (ASE) aus dem Restbestand einer Anzahl von Berufsverbänden
(1847-1850), die United Society
of Boilermakers verwandelte
Anfängen
in den
sich von
ihren
Eisenbahnwerkstätten
bescheidenen
von Manchester
einer natonalen Organisation von Metallarbeitern
lokale
Drucker-Verbände
gionalen
(1849)
Bünden
und die
Tischler
für
Bauberufe
(Anfang
nationaler
schlössen
London
der
und
sich
die
begannen
50er
Jahre)
Ebene zu koordinieren.
in
zwei
Provinzen
zu
(1852),
überrezusammen
nach dem Vorbild der
ihre
Verbände
Außerhalb
der
auf
tradi-
tionellen Gewerbe bot sich ein anderes Bild: Hier wurden
die
Arbeitskräfte
der
Regel
ohne
bei
relativ
handwerkliche
geringer
Lehre
Fluktuation
angelernt,
in
wodurch
sie in größere Abhängigkeit vom Arbeitgeber gerieten und
trotz hoher regionaler Konzentration nur schwer zu organisieren
ihre
waren.
Trotz
Organisationen
wachsender
nicht
die
Stärke
Statur der "craft societies" erlangen.
133
konnten
festgefügte,
daher
nationale
So blieben etwa
die
Bergarbeiter
in den
70er
Jahren
nationalen Organisationsbemühungen
zirksver bände ,
nach
wiederholten
auf ihre
starken
beschränkt. Die Verbände der Textilarbeiter
wollindustrie
regional
Be-
vor allem in Schottland und im Nordosten
verdankten
ihre
Starke
begrenzten Organisationen
shire Weavers' Association
in der Baum-
notwendigerweise
wie der North
Lanca-
(1858).
Der Wachstumsschub der Gewerkschaften ist schwer in Zahlen
zu
fassen,
fehlen,
nicht
sondern
auch
nur weil
weil
offizielle
viele
Statistiken
Organisationen
erst im Entstehen begriffen waren.
gerade
Der 1868 gegründete
Trades Union Congress verzehnfachte seine Mitgliedschaft
bis 1874
von
g 100.000 auf etwa 1.000.000 angeschlossene
Mitglieder.
Aber auch die alten "craft unions" erlebten
in dieser Zeit ein stürmisches Wachstum,
derzahl verfünffachte
tal1verarbeitenden
höher.
sich in etwa,
Berufen
Die Mitgliedschaft
lag
stieg
im
von
unter
menoch
dritten
von 5.000 auf 44.000,
Kesselmacher-Gewerkschaft
16.000,
Wachstumsrate
in der ASE
Quartal des 19. Jahrhunderts
der
die
ihre Mitglie-
in den neueren
die
2.000
auf
eine Steigerunsrate von etwa 1:8. In den tradi-
tionellen
Gewerben
langsamer
- die
verlief
dieser
Eisenschmelzer
Prozeß
zwar
zählten Mitte
etwas
des
Jahr-
hunderts 4.000 und 1875 12.000 Organisierte, die Drucker
2.500 bzw.
8.000 - insgesamt wuchs aber die kumulierte
Mitg1iederzahl
von
Zeit
mehr
um
etwas
24.737 auf 140.802
15 älteren
als
das
Gewerkschaften
5
Mitglieder.
1/2fache,
30er
den Wandsl
Jahre
zum
unions" zu erklären,
von
hat in ihrem
Be-
von der revolutionären
Pragmatismus
dieser
10
Die jüngere Sozialgeschichtsschreibung
mühen,
in
nämlich
der
Rhetorik
viktorianischen
zu oft übersehen,
der
"craft
daß die Gewerk-
Schäften
gleichzeitig
kräftiger wurden.
Gewerkschaften,
ten,
und
die
vermeintlich
fünfmal
Jahren.
so
Aber
groß
auch
worden
die
Gewerkschaften,
unions",
zu
wie
der
überschätzt
neuen
ihre
Zweifellos
insbesondere
Abkommen
nicht,
daß sie Konflikten
gangen wären.
neuen
zu
schließen.
Gewerkschaften
begleitet:
schaft wurde 1853,
Die
Dies
halbjährigen
hervorgehen,
einer
der
und
bedeutet
jedoch
war
von
heftigen
reorganisierte
Arbeits-
Spinner-Gewerk-
unmittelbar nach ihrer Gründung,
Arbeitskampf
die
dreimonatigen
Society
nationalen
in
die Amalgamated
sollte 1859 sogar aus
im
Arbeitgeber
Amalgamated
und
die Herausbildung der mei-
Society of Carpenters and Joiners
Gründung
sich
"craft
aus dem Wege ge-
Preston in einen großen Streik gezogen,
einem
die
mit den Arbeit-
prinzipiell
Im Gegenteil,
den
scheint
verließen
auf den Ausbau ihres Unterstützungswesens,
gebern
kämpfen
in
Einstellungswandel
sein.
hat-
sie waren
Vorgänger
sie zeigten sich auch nicht abgeneigt,
sten
schlag-
klein beigegeben
nicht mehr um dieselben Organisationen:
mindestens
30er
wesentlich effektiver
Im Grunde handelte es sich bei diesen
Londoner
Baugewerbe
antworteten
auf
die
Engineers
1852
mit
wobei
die
of
Aussperrung,
letzten beiden Konflikte wegen ihrer großen Auswirkungen
auf
London besondere Beachtung in der Öffentlichkeit
11
fanden.
Angesichts von Ausperrungsandrohungen, Streik-
brechern
Arbeit
und
wurde
schwarzen
sogar
Listen
das
- bei Wiederaufnahme
"document",
eine
der
antigewerk-
schaftliche Selbstverpf1ichtung, verlangt - scheinen die
viktorianischen Gewerkschafter keinesfalls
konfliktscheu
reagiert zu haben. Gegenüber der Aufbauphase der Gewerkschaften
in
den 40er
Jahren
erscheinen
die
50er
geradezu als eine Periode der Gewerkschaftshatz,
Jahre
wobei
die berühmten "Sheffield outrages" von 1866 eher als die
Spitze des Eisbergs denn als die Ausnahme von der mode-
raten Regel zu betrachten wären. Die Arbeitgeber
solche Vorkommnisse nur zu gerne auf,
feindliche Gesetze zu fordern,
ihren eigenen Maßnahmen
griffen
um gewerkschafts-
eben weil sie bisher mit
gegen das Anwachsen der Gewerk-
schaften auf Industriebene so erfolglos geblieben waren.
III
Seit
den
40er
Jahren
des
die Gewerkschaftsbewegung
19. Jahrhunderts
erwies
namische Kraft, die es trotz unterschiedlicher
tionsdichte
sich
in Großbritannien als eine dyOrganisa-
in den verschiedenen Gewerbezweigen mit den
Arbeitgebern durchaus aufnehmen und sich in einigen heftigen
Auseinandersetzungen
Dieser
Erfolg
einer
wurde
drastischen
seit
sogar
durchsetzen
der Mitte
Verlagerung
der
der
60er
konnte.
Jahre
politischen
von
Gewichte
auf der nationalen Ebene unterstützt, der es den Gewerkschaften erlaubte,
auch im Bereich der Gesetzgebung und
der ökonomischen Theorie die frühere
antigewerkschaftli-
che Haltung der britischen Gesellschaft
Seit
der
Beseitigung
der
Combination
herauszufordern.
Laws
von
1824/25
stand der Gewerkschaftsbewegung offiziell kein gesetzliches Hindernis entgegen,
jedoch
durchweg
Tatsächlich
mon-Law,
die
bedrohte
die bestehenden Gesetze
gewerkschaftsfeindliche
die
englische
Sie
gewerkschaft1icher
ging
grundsätzlich
aus,
und
daß
einen Bruch der Vertrags- und Handelsfreiheit
ten,
des
Com-
Eigentumsrechte,
Organisation
davon
fanden
Auslegung.
Tradition
ein Bollwerk der bürgerlichen
Grundlage
beit.
eine
Ar-
Streiks
darstell-
und eröffnete damit den Weg für vernichtende Scha-
densersatzforderungen
an
die
Gewerkschaften.
hinaus konnte jedes Kollektivdelikt
Darüber
dieser Art nach den
scharfen
Das
noch
Gesetzen
Common-Law
in
gegen
schob
Verschwörung
der
anderer
Hinsicht
des
persönlichen
Grundsatz
geahndet
gewerkschaftlichen
einen
Riegel
werden.
Aktivität
vor.
Unter
Freiheitsschutzes
dem
erschien
das Streikpostenstehen als Einschüchterung und Nötigung,
die strafrecht lieh verfolgt werden
standen die
Gewerkschftskassen,
konnte.
Schließlich
solange der
rechtliche
Status der Gewerkschaften nicht anerkannt war,
juristischem
Eingriff
sowie
12
dem
Mißbrauch
jeglichem
der
eigenen
Funktionäre offen.
Bei
der
Kampagne
für
die
Abschaffung
Laws war man wohl davon ausgegangen,
sche
Handhabe
unschädlich
gegen
die
gemacht
Gewerkschaften
werden
könne.
sich jedoch bis in die 60er
cher erweisen,
der
damit
daß die Arbeitgeber
immer
gewillt waren,
zur
wehr
zu setzen.
war der Spielraum der Gewerkschaften
worden,
ten,
für
die
Rechtsprechung
Darüber
mit deren Hilfe die konservativen
die Aufhebung des
aus
generellen
kompensieren
dem
zu
Rechtsbeziehung,
als
ein
tung bedroht war,
insofern
Vertragsbruch
Arbeiters als Straftatbestand
mit
durch
eingeengt
Kräfte
hoff-
Organisationsverbots
können.
Arbeitsvertrag
hinaus
gleichzeitig
and Servant Act von 1825 erheblich
Arbeiter
machte
sollte
deutli-
um sich auf diese Weise gegen die wachsende
Gewerkschaftsmacht
die Master
juristiebenfalls
Tatsächlich
Jahre hinein
juristischen Schlupflöcher durch örtliche
auszubauen,
Combi nat ion
daß diese
Dieses
eine
von
Seiten
unmittelbarer
während ein Vetragsbruch
Gesetz
ungleiche
seitens des
Arbeitgebers nur als zivilrechtlicher Verstoß galt.
einseitige
Charakter
der Maßgabe nieder,
gebers gegen
Arbeiter
des Gesetzes
ihre
sich
Der
auch
in
daß wohl Beweismaterial des Arbeit-
seine Arbeiter,
gegen
schlug
des
Verhaf-
nicht
Arbeitgeber
jedoch
zugelassen
solches
war.
der
Neben
der
einseitigen
Behinderung
der
Arbeitskräftemobilität
stellte die Master and Servant Act somit e^n reichhaltiges juristisches
Instrumentarium
beitsverweigerung
zur
gegen jede Art von Ar-
Verfügung,
das
in den
40er
und
50er Jahren auch tatsächlich zunehmend gegen die erstarkende Gewerkschaftsbewegung
ins Feld geführt wurde. Jede
gewerkschaftliche Vertretung von einiger Bedeutung mußte
sich von dieser offensichtlich
herausgefordert
fühlen.
schaftsbewegung
war
Schottland,
de,
ungerechten
Rechtspraxis
Die hochviktorianische
selbstbewußt
genug,
Gewerk-
ausgehend
von
wo das Gesetz noch schärfer gehandhabt wur-
den Kampf gegen das Gesetz aufzunehmen.
hungen wurden
durch die
Beseitigung
Ihre Bemü-
des Gesetzes
(1867
und 1875) und die Verabschiedung des Employers and Workmen Act (1875) gekrönt, in dessen Terminologie schon die
Gleichstellung
des
Arbeitsvertrages
mit
allen
anderen
13
zivilrechtlichen Verträgen zum Ausdruck
Dieser
materiell
und
symbolisch
bedeutsame
nichtsdestoweniger kaum erstaunlich:
die
sich
scheute,
gegen
die
allgemeinen Verbotsgesetzgebung
zum
Schutz
der
heit bekannte,
persönlichen
Wandel
war
Eine Gesellschaft,
Gewerkschaften
mit
einer
vorzugehen, und die sich
Freiheit
und
Rechtsgleich-
konnte sich kaum auf Dauer
ungerechtes Gesetzeswerk
Arbeitgebern,
kam.
leisten.
ein dermaßen
Schließlich blieb den
so könnten Zyniker einwenden,
immer noch
das Instrumentarium des Common Law, so daß diese auf dem
individualistischen Arbeitsmarkt, der sich durch die Beseitigung des Master and Servant Act herausgebildet
te,
immer noch am längeren Hebel saßen.
diesem Gebiet verstand es die hochviktorianische
Gewerk-
schaftsbewegung, in den späten 60er und 70er Jahren
Position auszubauen. Indem gewerkschaftliche
unter einen besonderen
rechtlichen
hat-
Aber auch auf
ihre
Aktivitäten
Schutz gestellt
wur-
den,
verloren die Zugriffsmöglichkeiten
des Common
Law
ihre Bedeutung für die industriellen Beziehungen, die in
Großbritannien
und
nicht
seither
einer
auf
der
Basis
individualistischen
einer
kollektiven
Verhandlungs-
und
Rechtspraxis aufgebaut wurden.
Die Erfolgsgeschichte der viktorianischen
bewegung
in
dieser
Hinsicht
ist
Entscheidend war die sorgfältige
fentlichen
Kampagne,
innerhalb der
die
beiden
die
die
großen
werkschaftlichen
politischen
bekannt.
Koordination einer
verschiedenen
Gewerkschaftsbewegung
eindrucken mußte,
Gewerkschafts-
hinlänglich
zusammenbringen
Parteien
ausreichend
um deren wachsendes Interesse
Stimmen
nach
der
Öf-
Strömungen
und
be-
an ge-
Wahlrechtsreform
von
1867 in einen politischen Erfolg umsetzen zu können. Die
Trade Union Act von 1871 und die Conspiracy and Protection of
Property Act
Gewerkschaften
von 1875
gewährten den
eine in der Geschichte der
britischen
industriellen
Welt einmalige Immunität gegenüber den verschiedenen Zugriff smöglichkeiten
des
Common
Law
und
ihnen einen privilegierten Rechtsstatus,
Thatcher-jahre
hinein
prinzipiell
verschafften
der bis in die
unangefochten
blieb.
Die Bedeutung dieses Umbruchs, wird, wie schon die Webbs
fanden, zu oft
unterschätzt:
"The sustained efforts of this decade,
too often
ignored by a younger generation of Trade Unionists,
are even now referred to by the survivors as constituting the finest period of Trade Union activity. For over eight years the Unions had been subjected to the strains of a prolonged and acute crisis, during which their existence was at stake. Out
of this crisis they emerged, as we have seen, triumphantly successful,
'liberated',
to use George
Howell's words,
'from the last vestige of the.criminal laws specially apertaining to labour'."
Auch weniger begeisterte Befürworter der Gewerkschaften,
wie der anti-kollektivistische
liberale
Staatsrechtsleh-
rer A.V.
und
Dicey,
politischen
mußten den entscheidenden
Durchbruch
der
juristischen
Gewerkschaften
anerken-
nen:
"The combination law of 1875 is, on the face of it,
a compromise between the desire of col lectivists to
promote combined bargaining and the concivtion of
individualists that every man ought to enjoy complete contractual freedom. But the compromise makes
a distinct change in the spirit of English legislation, and, though it contains some provisions for
for the protection of individual freedom,
is,
as
compared with the combination
law of the past,
highly favourable to trade combinations ...
One
thing is at any rate clear. The authors of the compromise of 1875,
and the public opinion by which
that compromise was sanctioned, were very far from
accept^gg the Benthamite ideal of free trade in labour. "
Festzuhalten
ist,
schaftsbewegung
daß
das
enorme Wachstum
in der hochviktorianischen
nur die Kräfteverhältnisse
der
Gewerk-
Epoche
in einzelnen Branchen
nicht
zugun-
sten der Arbeiterschaft veränderte, sondern auch die offizielle
gann,
laisser-faire
Doktrin
in Frage zu stellen
be-
die in den 1820er und 30er Jahren die Politik des
Individualismus bestimmt hatte. Dieser Aspekt der
ideol-
ogischen Umorientierung spiegelte sich nach den neuesten
Forschungsergebnissen auch in den Positionen der zeitgenössischen
den
liberalen
Gewerkschaften
Wirtschaftstheoretiker
wieder.1®
scheinen die Gewerkschaften
tive
"Unterwerfung
oder
geltend
in
gegenüber
dieser
Hinsicht
keineswegs auf die
Alterna-
Ablehnung
schränkt gewesen zu sein,
Einfluß
Auch
des
Status
quo"
be-
vielmehr vermochten sie ihren
zu machen,
um
eine Revision
schaft st heoret isc hen Grundannahmen
der
Wirt-
ihrer Zeit zu errei-
chen .
Bis
in die
1860er
Jahre
blieb
die
Regulierung
des
Ar-
beitsmarktes nach den Gesetzen von Angebot und Machfrage
im Prinzip unbestritten. Die Gewerkschaften suchten dem-
entsprechend
nach
kräfteangebots,
schwerten
wegen
etwa
oder
die
zur
Verringerung
indem
sie
den
Auswanderung
des
Arbeits-
Berufszugang
unterstützten,
er-
um
auf
diese Weise den Preis für die Ware Arbeitskraft zu erhöhen.
Es blieb ihnen angesichts der herrschenden
schaftlichen
Lehre
und
der
einheitlichen
Meinung kaum eine andere Wahl,
zu akzeptieren,
rie nur
setzen
engte
ein,
in eine
Diese
jedoch
lektive
offensichtlich
jeglicher
den,
als
von
den
und
unbestritten
Gesetzen
talfonds zu bestreiten
Das
schiere
Spielraum
Druck
galt,
von
der
Erfolg
Angebot
Lohne
und
we?—
Löhne
aus-
Nachfrage
Kapi-
gängige
und
ihr
li-
stellen
und
pragmatischeren
Arbe itsmarktes
kehren. Am deutlichsten
Orthodoxie
bei
und
in
Frage
mancher
Zeit
gelten
Hinsicht
Adam
Smith
zurückzu-
ist dieser Wandlungsprozeß
kann.
als
der
Zunächst
offizielle
übernahm
seiner Principles of Political
gumente Henry Fawcetts
sowie
einiger
Ökonom
er in der
Economy
zu
Weitsichtigeren
viel-
leicht in den Schriften John Stuart Mills zu sehen,
in
un-
jedoch eine Gruppe
die
des
die
Gewerkschaftsbewegung
veranlaßte
Ökonomen,
Auffassung
höhere
aus einem beschränkten
beraler
der
kol-
seien.
Wachstum
zu
die
empfindlich
denunzuniert
daß
um-
Orthodoxie
für
für
egoistisch
terlägen und noch dazu nur
unübersehbarer
den
Theo-
Strategie
Arbeiterinteressen
organisierter
vergeblich
solange
schließlich
gewerkschaftliche
wirtschaftstheoretische
Vertretung
konnte
Lohnfondstheorie
obwohl sich diese wirtschaft1iche
schwer
ließ.
als die
wissen-
öffentliche
der
seiner
Ausgabe
von 1862 die
Ar-
Gewerkschaftsakti-
visten, wonach der Arbeitsmarkt alles andere als perfekt
und die Lohnhöhe durchaus von kollektiven
zu beinflussen sei.
keln
im
Forthnightly
Organisationen
Sodann zeigte er sich in zwei ArtiReview
von
1869
durchaus
aufge-
schlössen für die Beweisführung W.T. Thorntons gegen die
Lohnfondstheorie
und vertrat die Ansicht,
daß sich die
ausgezahlte Lohnsumme auch aus dem Verhandlungs- und Umverteilungsprozeß
Zwei
Passagen
nungswandel
von
zwischen
1862
Kapital
bzw.
und
1869
mögen
Arbeit
ergebe.
diesen
Gesin-
verdeutlichen:
"Demand and suppply are not physical agencies,
which thrust a fixed amount of wages into a labourer's hands without the participation of his own
will and actions.
The market rate is not fixed for
him by some self-acting instrument,
but is the result of bargaining between two human beings ... I
do not hesitate to say that associations of labourers, of a nature similar to trade unions, far from
being a hindrance to a free market of labour,
are
the necessary instrumentality of that free market."
"The price of labour,
instead of being determined
by the division of the proceeds between the employer and the labourer, determines it ... There is no
law of nature making it inherently impossible for
wages to rise to the point of absorbing not only
the funds which (the employer,
A.R.) had intended
to devote to carrying on his business,
but the
whole of what he allows for his private expenses,
beyond the necessaries for life."
IV
Die
wachsende
Gewerkschaftsmacht
zwang
Rechtssystem der hochviktorianischen
scheidenden Anpassung,
ökonomischen
sie führte
nicht
nur
Zeit zu einer
auch
das
ent-
im Bereich
der
Theorie zur Aufgabe der VuIgärokonomie
der
20er und 30er Jahre zugunsten der intellektuellen
fertigung der kollektiven
Regelung
von
Recht-
Arbeitsverhält-
nissen. Die Überwindung des extremen Individualismus war
Voraussetzung
schen
der
und Vehikel des Annäherungsprozesses
organ isierten
Arbeiterbewegung
und
zwi-
bürgerli-
chen Reformern, der in Gladstones Liberaler Partei seine
Apotheose fand. In dem Maße, in dem die Gewerkschaftsbe-
wegung
als
eine der
Hauptstützen
einer
litischen Partei integriert wurde,
etablierten
po-
erwuchs ihr ein wei-
teres Faustpfand gegen mögliche Unterdrückungs- und Ausgrenzungstendenzen. Der damit verbundene politische
Pro-
zeß kann hier nicht im einzelnen untersucht werden, drei
zentrale Aspekte können jedoch den langfristigen
"18
der Gewerkschaftsbewegung beleuchten.
Erstens ist die Finanzpolitik zu erwähnen,
bis Gladstone
Feld nicht
schichten,
nur für
Freihandel
Lebensmittel
eine Politik,
Ersten
und praktischen
die von Peel
Schritten
im Interesse der
das
Mittel-
sondern auch für geringere indirekte Steuern
und billigere
ebnete,
in kleinen
Einfluß
Weltkrieg
zugunsten der
Arbeiterklasse
die der Liberalen Partei bis zum
einen
Massenanhang
sicherte.
"Glad-
stonianism" in diesem Sinne ermöglichte gleichzeitig die
Beseitigung der Zeitungssteuer und damit die Blüte einer
volkstümlichen
Durch
die
erschwinglichen
Einführung
Friedenszeiten
dem die
und
wurde
Steuerlasten
der
auch
ersten
der
politischen
Einkommenssteuer
Prozeß
langfristig
Presse.
auf
in
eingeleitet,
mit
die Schultern
der
Besserverdienenden verlagert werden konnten.
Zweitens brachte die Wahlrechtsreform von 1867,
sich Disraeli mit fremden,
liberalen Federn
mit ebenso kleinen und praktischen aber
ger
erfo lgreichen
Ausdehnung
der
und
nichtsdestoweni-
zukunftsweisenden
demokratischen
Rechte
bei der
schmückte,
für
Schritten
die
eine
Arbeiter-
klasse. Zwar verabschiedeten die Konservativen die zweite Reform Act, aber Gladstone hatte zusammen mit Russell
im Parlament den Weg bereitet und zusammen mit Bright in
Massenveranstaltungen
im ganzen Land für die Wahlrechts-
reform agitiert. Sie waren damit wohl die ersten
politi-
schen Führer der Nation, die sich für ein Gesetzesvorha-
ben direkt an das Volk wandten.
die Liberalen,
Darüber hinaus waren es
die die Wahlrechtsreform
zu ihrem logi-
schen Ende führten: mit der Einführung der geheimen Wahl
(1872), der Eindämmung des Wahlbetrugs (1883), der dritten Reform Act (1884) und der Demokratisierung
der
Kom-
munalverwaltungen.
Drittens
verdankte
einer Außenpolitik,
Attitüden
der
Liberalismus
und Rüstungsausgaben
bewegungen
und
seine
die wenig wert auf
Popularität
imperialistische
legte und die
unterdrückten
Freiheits-
Minderheiten
in
anderen
Ländern unterstützte. Wenn dies auch wenig zum materiellen Wohlstand
und
politischen
Wohlbefinden
Bevölkerung beigetragen haben mag,
gen dieser Art verschärften die Gegensätze
Parteien
und führten zu erdrutschartigen
der politischen
der
eigenen
außenpolitische
Fra-
zwischen
den
Verschiebungen
Landschaft.
V
Die hochviktorianische
eine
entscheidende
schaften,
Epoche war somit nicht nur durch
Positionsverbesserung
der
Gewerk-
sondern auch durch deren Integration
erfolgreiche
nationale
Politik
progressiven
der
Partei gekennzeichnet,
Besteuerung
und
rung sowie eine großzügige Außenpolitik
politischen
Prioritäten
des
in eine
die
eine
Demokratisie-
betrieb.
Liberalismus
Diese
entsprachen
wohl kaum dem heute gängigen Verständnis von
"Victorian
Values", das, wenn überhaupt, höchstens auf die frühviktorianische Zeit zutreffen mag.
lisierte
sigkeit
Mittelschicht
gegen
Damals war eine radika-
im Zeichen
eine überholte
von
hoher
paternalistische
politik und gegen eine geschwächte
ArbeitsloFürsorge-
Gewerkschaftsbewegung
angerannt, wobei paranoide Vorstellungen über die Arbeiterklasse in elitäre und autoritäre
Gesellschaftsentwür-
fe umgesetzt wurden. Damals hatte sich auch der Marktindividualismus
als
politische
Maxime
durchzusetzen
ver-
mocht. In den ruhigeren und reicheren Jahrzehnten um die
Jahrhundertmitte,
die unser Bild des Viktorianismus bis
heute bestimmen,
fanden dieselben
jedoch
institutionell
wie
liberalen
politisch
eine
Prinzipien
andere
Aus-
drucksform. Fleiß und SelbstVerantwortung wurden weiterhin von jedem Bürger
eines jeden,
gen
und zur
sieren,
mehr
am
Erlangung
eines
politischen
teilzunehmen
neuen
erwartet,
aber
es galt
das Recht
sich zur Verbesserung der Arbeitsbedingun-
und
gerechten Lohns
zu organi-
Willensbildungsprozeß
schließlich
wohlfahrtstaatliehen
auch die
und
mehr
und
Früchte
der
marktwirtschaftliehen
Konzepte für sich zu beanspruchen.
Dieser
Wandel
des
Liberalismus
in
Großbritannien
war
sicherlich verschiedenen Entwicklungsfaktoren zu verdanken,
nicht zuletzt der Wachstumsdynamik
wirtschaf t liehen
Systems.
aber
auch
mit
sicherlich
ihrem
Gewicht.
zunehmenden
die
des
Eine wichtige
industrie-
Rolle
Gewerkschaftsbewegung
wirtschaftlichen
und
spielte
selbst
politischen
In der hochviktorianischen Zeit war die Arbei-
terschaft jedenfalls weit davon entfernt,
vor den wohl-
etablierten kapitalistischen Spielregeln kapitulieren zu
müssen, sie fand sich vielmehr immer mehr in einer Position, in der sie diese Spielregeln zu ihren Gunsten mitbestimmen konnte.
Anmerkungen
1
Eric Hobsbawm,
The Labour
Aristocracy
in Nineteenth-century Britain,
in:
dens.,
Labouring Men,
London 1964, S. 272-315;
dens. , The Aristocracy of
Labour Reconsidered,
in:
ders.,
Worlds of Labour,
London 1984, S. 227-251.
2
John Forster, Class Struggle and the Industrial Revolution,
London 1974,
ST 224-238;
Gareth Stedman
Jones, Class Struggle and the Industrial Revolution,
in:
ders.,
Languages of Class,
Cambridge 1983,
S. 25-75.
3
Gareth Stedman Jones, Working Class Culture and Working Class Politics in London 1870-1900,
in:
ders.,
Languages,
S. 179-238; ders., Outcast London, Oxford
1971;
Patrick Joyce,
Work,
Society and Politics,
Brighton 1980.
4
Vgl. den Beitrag von Pat Thane in diesem Band.
5
Kenneth D. Brown, The English Labour Movement 17001951, Dublin 1982, S. 91-127; Gareth Stedman Jones,
Rethinking Chartism,
in: ders., Languages of Class,
S. 90-178.
6
George D.H. Cole, A Short History of the British Working Class Movement 1789-1927,
Bd.2,
London 1926,
Si 11-20, Zitat auf S. 20. Vgl. auch Sidney und Beatrice Webb, The History of Trade Unionism 1666-1920,
London 1920, S. 113-232; Alan Fox, History and Heritage. The Origins of the British Industrial Relations
System, London 1985, S. 124-173.
7
Webb, History, S. 204-217, 228-232; Cole, Short History , Bd. 2, S. 59-68.
8
Cole, Short History, Bd. 2, S. 61ff. und 69ff.
9
Benjamin C. Roberts, The Trades Union Congress 18681921, London 1958, S. 379.
10 Webb, History, S. 746f.
11 Cole, Short History, Bd. 2, S. 61 und 66; ders., Some
Notes "on British Trade Unionism in the Third Quarter
of the Nineteenth Century,
in:
E.M.
Carus-Wilson
(Hg.),
Essays in Economic History,
Bd. 3,
London
1962, S. 202-221.
12 Hugh A. Clegg, The Changing System of Industrial Relations in Great Britain,
Oxford 1979,
S"! 290-296;
Kenneth D. Brown,
Trade Unions and the Law,
in:
C. Wrigley (Hg.), A History of British Industrial Relations 1875-1914, Brighton 1982, S. 116-134.
13 Webb, History, S. 249-253; Fox, History and Heritage,
S. 139?:
14 Webb, History, S. 233-298, Zitat auf S. 292;
auch Cole, Some Notes, S. 212-217.
vgl.
15 Albert V. Dicey,
Lectures on the Relations Between
Law and Public Opinions in England,
London 1905,
S. 268-270.
16 Vgl. Eugenio F. Biagni, British Trade Unions and Popular Political Economy 1860-1880,
erscheint demnächst in: Historical Journal 30 (1987).
17 Zit. in: ebd,
18 Ich möchte an dieser Stelle E.F.Bagniani dafür danken,
daß er mir die radikale Lesart des Gladstonian
Liberalism wieder näher gebracht hat.
Vgl.
ders.,
Peace,
Retrenchment and Reform;
a Study in Popular
Liberalism in the Age of Gladstone 1866-1886,
unveröffentlichtes Manuskript;
vgl. a. H. Colin G. Matthew, Gladstone 1809-1874,
Oxford 1986, S. 112-139;
Thomas C.
Smout,
A Century of the Scottish People
1830-1850, London 1986, S. 231-251.
Sidney Pollard
VIKTORIANISCHE WERTE IM BILDUNGSSEKTOR.
ZUR LOGIK DES VIKTORIANISCHEN
Die
Schulen
England
für
die
erhalten
in
schlechte Noten.
ELEMENTARSCHULWESENS
ärmeren Klassen
der
im
Literatur
viktorianischen
traditionellerweise
Die einzigen Schulen, die diesen Namen
verdienten, so heißt es in der Regel, seien die der zwei
religiösen
Schulgesellschaften
gewesen,
der
Nat ional
School Society für die Anglikaner und der British School
Society für die Nonkonformisten. Aber auch an denen kann
die Literatur nicht viel Gutes finden:
Zwar sei das üb-
liche "monitorial system" billig gewesen,
dern aber nur auswendig
jedes Verständnis
der kirchlichen
gewesen,
tige
gelernte
beigebracht.
Auch
Gesellschaften
habe den Kin-
Phrasen und Worte
seien
nicht daran
die
ohne
Schulen
interessiert
den Kindern der arbeitenden Klassen eine rich-
Erziehung
angedeihen
zu
lassen,
auf
Grund
derer
diese vielleicht höhere Ansprüche hätten stellen können.
Die Ausbildung der Kinder in diesen Schulen sei ganz auf
das Lesen konzentriert
gewesen,
um ihnen die Bibel und
andere erbauliche Werke zugänglich zu machen, mehr sollte ihnen gar nicht beigebracht werden. Zwar gab es einige "ragged schools" für die ärmsten, verwahrlosten
ßenkinder
in
ebenso wenig
London
und
zu erwarten
Bristol.
Von
gewesen wie
denen
sei
von den als
Straaber
"dame
school" verschrieenen Privatschulen, in denen die Kinder
für ein paar Pennies die Woche unterrichtet wurden.
Lehrkräfte dieser Schulen,
seien
selbst
oft
des
Die
hauptsächlich ältere Frauen,
Schreibens
nicht
mächtig
gewesen
und
hätten
den
Schülern
höchstens
ein wenig
Tatsächlich
kümmerte
Lesen
und
können. 1
den Mädchen Nähen und Stricken beibringen
sich der Staat zunächst so gut wie
gar nicht um das Elementarschulwesen. Zwar erhielten die
Schulgesellschaften
Zuschüsse,
Gemessen
seit
1833
geringfügige
öffentliche
die in den folgenden Jahren rasch anstiegen.
an
den
Gesamtausgaben
war
dies
jedoch
nicht
mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Folgt man der
Literatur,
so wurde der Grundstein
für ein allgemeines
Elementarschulwesen erst mit dem Gesetz von 1870 gelegt,
das
erstmals
öffentliche
Schulbehörden
schuf.
Diese
"school boards" konnten in schulisch unterversorgten Gebieten selbst Schulen einrichten,
um allen Kindern den
Schulbesuch zu ermöglichen. Sie konnten zu diesem Zwecke
sogar
Lokalsteuern
pflicht dazu,
und
etwa
erheben.
Erst
1880
kam
die
Schul-
die jedoch vorerst nur eingeschränkt galt
durch
entsprechende
Schu1leistungen
verkürzt
werden konnte.
Diese Darstellung entspricht in etwa dem Bild des Elementarschulwesens,
das die zeitgenössischen statistischen Unterlagen vermitteln.
Trotz des vermeintlichen
staatlichen Desinteresses wurden nämlich umfangreiche
statistische Daten erhoben und zwar sowohl ad hoc als
auch als Nebenprodukt der zahlreichen parlamentarischen
und königlichen Untersuchungsausschüsse.
Diese Daten
lassen in der Tat erkennen, daß jeweils nur ein kleiner
Teil der Kinder der arbeitenden Klassen die Schule besuchten,
so daß anzunehmen war, daß viele überhaupt nie
2
zur Schule gingen.
doch
schon
von
den
Die Erziehungsstatistiken wurden jeZeitgenossen
kritisiert,
weil
sie
keine stichhaltigen Vergleiche zuließen. Statistisch erfaßt wurde auch das Analphabetentum,
das offensichtlich
weiter verbreitet
war als
beides
in
Staaten,
schon seit
doch
auf
lage.
langem galt.
einer
sehr
die
oder der
allgemeine
Schweiz,
Schulpflicht
Auch diese Zahlen beruhten
fragwürdigen
statistischen
je-
Grund-
3
Insgesamt
impliziert
über
englische
das
Paradoxon,
das
dieses
den
Bildung
für
negative
Zeitgenossen
die
ein
nicht
Mindestmaß
arbeitenden
verstärkten
auch
Klassen
jene
Urteil
allerdings
an
ein
verborgen
Man ging einerseits davon aus,
Industrialisierung
Tatsächlich
klassische
Elementarschulwesen
schon
geblieben war.
die
in Preußen
denen
daß für
schulischer
erforderlich
Staaten,
die
sei.
damals
ihre Industrialisierung vorantreiben wollten, ihre Bemühungen um eine Verbesserung des allgemeinen
Andererseits
schien gerade das Land,
denden Pionierleistugen
Schulwesens.
das die entschei-
vollbracht hatte,
minderwertiges Schulwesen zu verfügen.
nur über ein
Merkwürdigerweise
war man sich jedoch auch darüber einig, daß der relative
Wettbewerbsvortei1
und
schaft ausgerechnet
Vorsprung
der
der Tüchtigkeit
englischen
mangelhaft ausgebildeten Arbe iterschaft und
der Facharbeiterschaft
bildungsstand
gilt
zu verdanken sei.
heute
sogar
Wirt-
seiner angeblich
als ein
rakter ist ikum der britischen Industrie,
letzter Zeit sogar für deren spätere,
so
insbesondere
Der hohe
Aus-
besonderes
Cha-
das man
ihn in
verlangsamte Ent-
4
wicklung verantwort1ich macht.
Wie
läßt
Hat man
sich
die
dieser
Rolle
scheinbare
und
Funktion
Widerspruch
auflösen?
des Schulwesens
in der
Industriegesellschaft überhaupt verkannt? Oder wurde der
Wert
der
Klassen
schulischen
Einrichtungen
im viktorianischen
für
die
England falsch
arbeitenden
eingeschätzt?
Beiden Fragen soll im folgenden nachgegangen werden,
um
zu einer Revision des etablierten Geschichtsbildes
über
das viktorianische Schulwesen zu gelangen.
I
Die zeitgenössische Kritik des E lemertarschu lwesens, insbesondere der privaten Schulen,
stützte sich vor allen
Dingen auf das Urteil der staatlichen Bürokratie. Da die
staatliche
Schulaufsicht
gerade
erst
im
Entstehen
be-
griffen war, dürfte ihre Kritik zu einem nicht unwesentlichen
Teil
von
Ausdehnung des
dem
Interesse
an
der
Etablierung
eigenen Verwaltungsbereichs
und
geleitet
wesen sein. Zweifellos handelten die Schulinspektoren
guten Glauben,
verbindlichen
wenn
sie
Standard
versuchten,
für
die
einen
zen.
im
landesweit
Schulausstattung,
Lehrerqualifikation und die Unterrichtsziele
ge-
die
durchzuset-
Sie folgten dabei jedoch einem gewissen Vorurteil
zugunsten der inspizierten kirchlichen Schulen gegenüber
den
len.
unkontrollierten
Aber
auch die
und
unstandardisierten
anerkannten Schulen
Privatschu-
suchten sie
staatlicherseits verordnete Lehrpläne zu binden.
lag jedoch eine offensichtliche Schwäche der
Schulaufsicht,
niert wurde:
an
Hierin
staatlichen
die auch schon von den Zeitgenossen moDie Schulinspektoren
eine traditionelle
Erziehung
hatten
in der
Regel
an den Oberschulen und den
alten Universitäten genossen,
derungen
des
Ahnung.
Gänzlich verschlossen
von den besonderen Anfor-
Industriezeitalters
hatten
blieben
hungsvorstellungen der Arbeiter selbst,
sie
nur
ihnen die
wenig
Erzie-
die offensicht-
lich bereit waren, für die Erziehung ihrer Kinder an den
offiziell diskreditierten Privatsc hulen zu bezahlen.
Es stellt sich die Frage,
teueren,
wieso selbst arme Eltern
aber vermeintlich minderwertigen
den billigeren und angeblich besseren Schulen der
giösen
Schulgesellschaften
Feldzug gegen
jüngsten
vorzogen.
die privaten
Literatur
Der
Elementarschulen
je nach
politischem
die
Privatschulen
reli-
offizielle
ist
in der
Standort
unter-
schiedlich beurteilt worden: von rechts wurde es auf das
Mißtrauen der staatlichen Bürokratie gegenüber dem freien Wettbewerb im Schulwesen zurückgeführt, von links dagegen als Ausdruck der Angst vor einer selbständigen Arbe iterkultur,
die sich der staatlichen Kontrolle im Er5
Ziehungswesen
entzog,
interpretiert.
In
beiden
Fällen
wird jedoch möglicherweise der eigentliche Grund für die
Popularität
terschätzt:
zeit
ohne
der
Privatschulen
in den Armenvierteln
den Privatschulen konnten die Kinder
großes
Aufsehen
fernbleiben,
um
un-
jederprivate
Dienstleistungen oder andere Arbeiten zu verrichten,
den öffentlichen Schulen unter staatlicher Aufsicht
in
hät-
te dies dagegen zu erheblichen Schwierigkeiten
geführt.
In
der
jedem Falle
vatschulen
dürfte
zu einer
jedoch
Revision
die Neubewertung
der
des englischen Erziehungswesens,
traditionellen
Pri-
Kritik
insbesondere vor 1870,
beitragen.
Schon die offiziellen Erziehungsstatistiken zeigen einen
offensichtlichen Mangel an Verständnis für die Bedingungen der Arbeiterexistenz,
schung der Tatsachen.
von 1861,
bis hin zur bewußten
die den ausführlichsten
über das Elementarschulwesen
te,
bei
ihren
Verfäl-
So legte die Newcastle Commission
statistischen
Untersuchungsbericht
im 19. Jahrhundert
Berechnungen
eine
erstellnormale
Schulzeit von acht Jahren, vom fünften bis zum dreizehnten Lebensjahr,
zu Grunde.
lischen Arbeiterkinder
Tatsächlich gingen die eng-
jedoch nur etwa vier Jahre,
vom
fünften bis zum neunten Lebensjahr, zur Schule. Auf diese Weise
wurde
der
Prozentsatz
der
entsprechenden Bevölkerungsgruppe
Eine
andere
statistische
Schulkinder
glatt
Annahme
verstärkte
noch
Eindruck einer relativ niedrigen Schulfrequenz.
tersuchungskommission
ließ die Schulregister
und kam zu dem Ergebnis,
in
der
halbiert. 6
den
Die Un-
überprüfen
daß die Verweildauer der Schü-
ler nur nach wenigen Jahren, oft sogar nur nach Monaten,
bemessen
war,
woraus
st ungsstandard,
sich
sondern
nicht
auch
der Schüler
in den entsprechenden
Tatsächlich
wurde
jedoch
der
nur
der
de^
geringe
Lei-
niedrige
Prozentsatz
Jahrgängen
erklärten.
Schulbesuch
der
typischen
Arbeiterkinder häufig unterbochen, entweder weil sie mit
den Eltern
wegzogen,
oder
oder das Familienbudget
zu
unregelmäßigen
derselben
oder
und
weil
sie
zu Hause
aufbessern mußten.
unbeständigen
häufiger
noch
aushelfen
Dies
führte
Schulkarrieren
an mehreren
Schulen
an
nach-
einander, die durchschnittliche Verweildauer war dadurch
jedoch deutlich länger als nicht ganz ohne Absicht
ange-
nommen worden w a r . 7
Korrigiert man die offiziellen Daten, so kann die englische Schulbevölkerung wie folgt geschätzt werden:
1834
1851
1859
1.294.000
2.144.000
2.535.000
Im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung
1:7,7)
können
sich
diese
Zahlen
(1851
auch
Preußen (1:6,27) oder den Niederlanden
sehen lassen.
Drittel
der
Unterstützung
1:8,36 / 1859
im Vergleich
mit
(1:8,11) durchaus
Im Jahre 1859 besuchten immerhin etwa ein
Schulkinder
Privatschulen
ohne
staatliche
(860.000), etwa zwei Drittel gingen in die
staatlich
anerkannten
Schulen
der
kirchlichen
Schulge-
sellschaften. In Schottland war die Zahl der Schüler von
177.000 pim Jahre 1818 auf 310.000 im Jahre 1851 angestiegen.
Auch gemessen am Nationaleinkommen standen die
Erziehungsausgaben nicht den entsprechenden
in jenen europäischen Ländern nach,
bautes staatliches
ten.
Der Anteil
Schulsystem mit Schulpflicht
aller
privaten
1920,
nach
Q
Schulsystems:
vielen
Jahren
Alle Kinder
Kinder unter 11 j.
ca.
ca.
verfüg-
und öffentlichen
hungsausgaben am Nettosozialprodukt
als
Aufwendungen
die über ein ausgeErzie-
lag 1833 sogar höher
des
freien
staatlichen
1833
1920
1,00%
0,80%
0,70%
0,58%
Dabei übertrafen die Ausgaben für Privatschulen die
fentlichen Aufwendungen bis 1870 bei weitem,
staatlichen Zuwendungen,
Summe
auf
von
£ 33.000
£700.000
staatlich
die 1833 mit der
jährlich
erhöht
gesteuerten
begonnen
Schulsystems
lächerlichen
hatten,
waren.10
worden
bis 1870
Der
führte
öf-
obwohl die
Ausbau
jedoch
1870 zu einem raschen Anwachsen der öffentlichen
des
seit
Schul-
ausgaben .
Das
Gesetz
zentrale
von
1880
ermächtigte
Erziehungsministerium
schließlich
(Education
das
neue
Department),
säumige lokale Schulbehörden zur Durchführung der allgemeinen Schulpflicht
zu zwingen,
die
allgemein
bis
zum
10. Lebensjahr gelten sollte. 1893 wurde die Altersgrenze auf 11 Jahre angehoben,
1899 auf 12 Jahre,
und bei
Ausbruch des Ersten Weltkriegs hatte man sich auf breiter
1882
Front
dem
schuf man
Abgangsalter
von
die Möglichkeit,
14
Jahren
zusätzlich
angenähert.
zu den
ur-
sprünglich vorgesehenen sechs Klassen eine siebte Klasse
einzurichten,
bevor das Gesetz
für eine allgemeine Mittelschule
von 1902 den Grundstein
legte. 1 * 1 Die tatsächli-
che durchschnittliche Schulzeit wurden wie folgt berech-
Jahrgänge
Geburtsjahre
Schuljahre
im Schnitt
5,4
1862-66
6,1
1867-71
1872-76
1877-86
1887-96
1897-1901
Daraus
ergab
sich
für
die
6,6
7.2
8.3
9,1
männliche
Arbe iterschaft
einem jeden Jahr eine durchschnittliche Schuldauer,
in
die
sich aus den längeren Schulzeiten der jüngeren Jahrgänge
und den
kürzeren
Schulzeiten
der älteren
Jahrgänge
er-
rechnet e :
durchschnittliche
Schulzeit in Jahren
4,21
4,69
5,32
1871
1881
1891
1901
1911
6,02
6,75
Im Schnitt gewann also die männliche Arbeitschaft in jedem Jahrzehnt etwa acht Monate Schulzeit hinzu, eine Zuwachsrate,
die
mit
der
entsprechenden Rate
Schweiz und in Preußen vergleichbar war '13
in
der
Der Vergleich mit den kontinentalen Staaten hinkt jedoch
insofern,
als er nur normale Tagesschulen
erfaßt.
Das
englische Erziehungssystem, das lediglich ein Minimum an
staatlicher
Reglementierung
kannte,
zeichnete
sich
je-
doch gerade durch eine hohes Maß an Flexibilität aus. So
konnten
den,
immer
für die
wieder
neue
es
den etatistisch
in
Schulmodelle
entwickelt
verfaßten
wer-
Ländern
keine Parallelen
gab.
landesweite
der
Netz
Dies gilt beispielsweise
Sonntagsschulen
und
das
für das
differen-
zierte Angebot an Abendschulen.
Die Sonntagsschulen,
neut
Beachtung
die in der jüngsten Literatur
gefunden
haben,
waren
ursprünglich
als religiöse Anstalten zur Indoktrinierung
im
ernur
jeweili-
gen Glauben gedacht. Obwohl sich insbesondere die anglikanische Staatskirche darum bemühte, das Lehrangebot auf
das Lesen religiöser
Schriften zu beschränken,
entwik-
kelten sich die Sonntagsschulen jedoch zunehmend zu allgemeinen
Unterrichtsanstalten
mit
vielseitigem
Angebot
und einer großen Massenwirksamkeit. Geht man von der Annahme aus, daß sie lediglich von Arbeiterkindern
wurden,
so erreichten
möglichen Schüler,
Viertel.
sie
1831
besucht
1801 etwa ein Siebtel
die Hälfte und 1851
Die Zahl der Sonntagsschüler
stieg
aller
sogar drei
im Verlauf
des 19. Jahrhunderts von 206.000 (1801) über 2,6 Millionen (1851) auf 6,2 Millionen
den
Sonntagsschulen
unmittelbaren
als
die
Bedürfnisse
Curricula
Manch einer,
konnte
der
(1901).
Der Unterricht
vielfach
der
sensibler
Arbeiterkinder
kirchlichen
und
einer
in
die
eingehen
Staatsschulen.
der sich im 19. Jahrhundert aus bescheide-
nen sozialen Anfängen emporgearbeitet
seinen
auf
Aufstieg
nicht zuletzt
14
Sonntagsschule.
der
hatte,
verdankte
Grundausbildung
in
Abendkurse für erwachsene Erwerbstätige haben in England
eine lange Tradition. Seit 1823 boten die Mechanics' Institutes naturwissenschaftliche und technische
se für Handwerker an.
sprünglichen
Absicht,
Jahrgängen,
in
Nachfrage
Grundkur-
Zwar scheiterten sie in ihrer ursie
Abendkursen
ermöglichten
ihr
ABC
nach Kursen dieser Art ging
jedoch
älteren
nachzuholen.
Die
in den zwei Jahr-
zehnten nach dem Gesetz von 1870 drastisch zurück, dafür
entstand
eine
dungsklassen
neue
Nachfrage
sowohl
an den
nach
übrig
technischen
gebliebenen
Fortbilalten
In-
stitutes wie auch an den neueren Technical Colleges. Als
nach 1893
auch Abendschulen
für Schüler
über 21
in den Genuß staatlicher Subventionen kamen,
Zahl
sprunghaft
zu,
von
120.000
(1893)
Jahren
nahm deren
über
475.000
(1899) bis auf 708.000 (1911 ) . 1 5
Schließlich
Entwicklung
zu erwäh-
nen, die bei Vergleichen mit den kontinentalen
ist noch eine weitere
Schulsys-
temen häufig übersehen wird:
das System der staatlichen
Prüfungen. Auch hier beschränkte sich die staatliche
tervention
auf
eine
Minimum,
um
der
In-
Privatinitiative
freien Spielraum zu gewähren. Die Prüfungen bildeten den
Schlüssel
für
die
Vergabe
von
staatlichen
Subventionen
und stellten somit für private Schulträger einen wichtigen Anreiz zur Leistungsteigerung dar. Gerade in den naturwissenschaftlichen und technischen Fächern,
fig als relativ
rückständig
gelten,
die häu-
zeigte sich dieser
Effekt besonders deutlich.
Die
Subventionsvergabe
im
Bereich
der
technischen
und
naturwissenschaftlichen Fächer fiel seit 1853 in die Zuständigkeit des neu gegründeten
and Arts (DScA).
und
unter
sofern diese in
annehmbaren
entsprechenden Fächer unterrichteten.
Schutyp keine Rolle,
eine spezielle
chen
und
Science
Seit 1859 konnten Zuschüsse zu Lehrer-
gehältern ausgezahlt werden,
Klassenzimmern
Departments for
so daß sich
Unterstützung
technischen
ihres
Unterrichts
adäquaten
Bedingungen
die
Dabei spielte der
Schulen aller
Art um
naturwissenschaftlibewerben
konnten.
Grund- und Mittelschulen, Mechanics' Institutes, Fabrikschulen und Fachschulen,
selbst Fachhochschulen und Pä-
dagogische
Hochschulen
kamen
so
in
den
Genuß
diesen
staatlichen Subventionen. Zunächst konnten nur für sechs
Fächer
den,
in drei Jahrgangsstufen Zuschüsse
1863 schon für 23 Fächer.
beantragt
1870 wurden
wer-
schließlich
für 1.871 Klassen mit 48.905 Schülern in mathematischen,
physikalischen
und
technischen
Fächern
sowie
für
Klassen in biologischen und geologischen Fächern
343
Subven-
tionen für die Lehrergehälter ausgezahlt. Maßgeblich war
die Zahl der Schüler,
die einen bestimmten,
überprüfba-
ren
erreicht
DScA
mußte
deshalb Prüfungen einrichten, zu denen sich später
Prei-
se,
Leistungsstandard
Das
Stipendien, Inspektionen und Zulagen für technische
Einrichtungen
Der
hatten.
gesellten." 1 6
Subventionsbeschluß
von
1859
legte
das
Ziel
des
staatlichen Förderung wie folgt fest:
"It is hoped that a system of science instruction
will grow up among the industrial classes which
shall entail the least possible .cost and interference on the part of the state."
In der Praxis wurde die
Begrenzung
auf die
"industrial
classes" jedoch nicht so ernst genommen. Als Bemessungsobergrenze
für die
Zahl
der
subventionsfähigen
galt ein jährliches Elterneinkommen
von £ 200
Schüler
(später £
400). Da dies jedoch kaum je überprüft wurde, kamen auch
Lehrer von bürgerlichen Kindern in den Genuß dieser För18
derung.
dieser
Um 1890 profitierten
indirekten
Subvention,
etwa 187.000 Schüler von
die
Zahl
der
Prüflinge
stieg in den dreißig Jahren bis zur Jahrhundertwende von
1Q
16.000 bis auf 151.000.
Diese Aufzählung ist keineswegs vollständig.
Sie soll
lediglich die breite Angebotspalette des
Schulwesens
illustrieren,
die
bei
viktorianischen
einem Vergleich
mit
den behördlichen oder staatlichen
Schulsystemen
Kontinent in der Regel übersehen wird.
sich
lediglich
auf
den
staatlichen
auf dem
Vergleiche,
Sektor
die
beschränken,
sind daher irreführend: in den kontinentalen Staaten unterlag
fast
das
gesamte
Schulsystem
der
behördlichen
oder staatlichen Kontrolle, in England stellte die freiheitliche Tradition sicher,
daß neben dem
Öffentlichen
Schulangebot auch eine ganze Reihe von privaten Einrichtungen verschiedener Provenienz nicht nur für die Kinder
der Ober- und Mittelschichten, sondern auch für die Kinder der Unterschichten zur Verfügung
standen.
Die Voi— und Nachteile des kontinentalen Systems und des
britischen
"Chaos"
stritten.
Zweifellos
im Schulwesen
erlaubte
eine frühe und vollständige
der
Praxis
setzte
setzgebung
Hälfte
sich
des
Ländern
19. Jahrhunderts
Aufbau
des
voll
um-
System
aller Kinder - in
die
frühzeitige
erst
in
durch
Lehrstoffes.
englische System hatte seine Vorzüge.
es,
immer
kontinentale
Erfassung
allerdings
in den meisten
systematischen
waren schon
das
der
-
Aber
Ge-
zweiten
sowie
den
auch
das
Vor allem vermied
wie Henry Cole, der Sekretär des DScA süffisant be-
merkte, die unbritische
Gängelei:
"The State avoids the error of continental systems,
of taking the principal and dominant part in secondary education."
Das schulische Angebot blieb somit flexibler und experiment ierfreudiger,
Städten,
die Auswahl, insbesondere in größeren
breiter als auf dem Kontinent.
betrachtete man es als einen entscheidenen
Vorteil,
daß Privatinitiative
und
tion gestärkt wurden: wer freiwillig
bezahlen müsse,
Vor allem aber
pädagogischen
individuelle
Motiva-
lerne und noch dazu
lerne besser, so meinte man, die Origi-
nalität werde dadurch stärker gefördert
als in den
chendeckenden Zwangssytemen des Kontinents.
Ingsesamt
scheint
die
schulische
viktorianischen Gesellschaft,
stand,
jedenfalls
weniger
als traditionellerweise
lerdings die Frage,
sächlichen Mängel
flä-
21
Rückständigkeit
der
sofern sie überhaupt
ausgeprägt
gewesen
angenommen wird.
sein,
Es bleibt
wieso die vermeintlichen
des Schulsystems der
zu
beal-
oder tat-
wirtschaftlichen
Führungsro1le Großbritanniens ersichtlich keinen Abbruch
getan haben,
tung
der
eine Frage,
die ohne eine nähere Betrach-
Unterrichtsinhalte
schwer
zu
beantworten
sein
wi rd.
II
Bildungsökonomen
und
sich über die besondere
für das wirtschaftliche
teratur zur Frage des
Korrelationsstudien in
ternationalen Vergleich
Wirtschaftswissenschaftier
sind
Bedeutung des Ausbildungsniveaus
Wachstum einig. Die Flut der Li"human capital" und zahlreiche
mehreren Ländern wie auch im inscheinen diesen Zusammenhang zu
22
bestätigen.
Die viktorianischen Unternehmer waren dagegen nicht so sicher. Viele zogen es vor, bei ihren Beschäftigten quasi auf einer fachlichen tabula rasa eine
eigene Ausbildung aufzubauen, manche lehnten es prinzipiell ab,
junge Leute mit theoretischer Schulbildung
23
einzustellen.
Gelegentlich wurde sogar bezweifelt,
ob
Arbeiter unterhalb der Werkmeister-Ebene überhaupt des
24
Lesens
und Schreibens
mächtig
sein
sollten.
Tatsäch-
lich gab es allerdings zu dieser Zeit kaum noch Analphabeten unter der erwachsenen Bevölkerung:
1890 wurde ihr
Anteil in England und Wales auf 7% geschätzt, in Schott25
land sogar nur auf 3%.
Betrachtete man in der Wirtschaft abstraktes Schulwissen
vielerorts als irrelevant, so wußte man doch die schnelle Auffassungsgabe
zen,
Von
und Orientierungsfähigkeit
den
Elementarschulen
Dingen eine Ausbildung
Arbeitertyp,
rable."
für
zu
schät-
die durch das offene Schulsystem gefördert wurden.
26
versprach
man
sich
vor
allen
zur "manual dexterity" und einen
"cheaper to train or otherwise more desi-
Wie immer brachte Alfred Marshall,
Wirtschaftswissenschaften
in
Professsor
Cambridge,
die
weit
verbeitete Meinung am elegantesten zum Ausdruck. Was die
Wirtschaft brauche,
gacity and
so postulierte er, sei "general sa-
energy which
are not
specialised to any one
occupat ion."
"To be able to bear in mind many things at a time,
to have everything ready when wanted,
to act
promptly
and show resource
when anything
goes
wrong,
to accommodate oneself quickly to change in
detail of the work done, to be steady and trustworthy,
to have always a reserve of force which will
come out in an emergency,
these are the qualities
which make a great industrial
Diese
people."
Tugenden
sollten das oberste Lernziel des Erzie27
hungssystems sein,
ein Lernziel,
das auch heute noch
vielerorts für die Entwicklungsländer gefordert wird.
Neben der geistigen und
intellektuellen
erwartete man von den Schulen aber
Disziplinierung
in erster Linie
soziale Disziplinierung, die von den Viktorianern
als "moral training" umschrieben wurde.
Können oder auch nur Lernfähigkeit zu
sondern
um
den
Kindern
insbesondere
eine
häufig
Nach ihren Vor-
stellungen war die Schule nicht primär dazu da,
sen,
28
der
um Wis-
vermitteln,
arbeitenden
Klassen
den
Gehorsam,
Selbstdisziplin
tung
der
die
Anpassungsfähigkeit
beizubringen,
sozialen
Ordnung
für
die
sie
notwendig
Das obige Zitat von Alfred Marshall
gende
gesellschaftliche
Schulen schon
erahnen.
zur
und
die
Aufrechterhal-
erachteten.
läßt diese
Erwartungshaltung
grundle-
gegenüber
Noch unmißverständ1 icher
den
führte
er aus:
"A good education confers great indirect benefits
even on the ordinary workman.
It stimulates his
mental activity;
it fosters in him a habit of wise
acquisitiveness;
it makes him more intelligent,
more ready, more trustworthy in his ordinary work;
it raises the tone of his life in working hours and
out of working hours; it is thus an important means
towards the production of material wealth."
Ähnlich urteilte schon die Königliche Kommission zur Untersuchung der Handelsdepression von 1886:
"We think that the careful and thourough training
in habits of punctuality and order, of alacrity and
diligence,
and of close attention and prompt and
implicit obedience to instructions, ought to occupy
more of the time and thought of teachers in elementary schools."
Gerade
die
besonderen
Sonntagsschulen
Verdienste
schienen
erworben
zu
sich
haben.
hier
So
ihre
schrieb
Thomas Clegg 1854:
"I have always maintained ...
that those parties
who have been educated in the (Sunday) schools that
I have been connected with, will always do more for
the same money and do it better and with less
trouble,
than those that are not educated, or educated without religion."
Henry Ashworth, ein führender Baumwollfabrikant,
1880 diese Haltung lapidar auf den Punkt:
"If they have been at school,
they want less licking."
they're
brachte
obedient,
Aus dieser
Sicht
lag die Bedeutung
der Schule nicht
sehr in der Entwicklung der kognitiven,
so
sondern der af-
fektiven Eigenschaften: Arbeitswilligkeit, Ordnung, Verläßlichkeit,
Pünktlichkeit -
"subordinacy","receptivity
to supervision and discipline","sense of discipline and
31
peaceful order".
Nimmt man diesen typisch viktorianischen Wertekanon ernst, dann ist ein Großteil der Kritik
am viktorianischen Schulwesen fehl am Platze,
wieder den Mangel an systematischem
falsche
intellektuelle
Ausrichtung
die immer
Lehrangebot
des
und die
Unterrichts
be-
klagt hat. Es steht jedenfalls fest, daß sich die englischen
Schulen
nicht
Charaktertraining
minder
bemüht
konsequent
haben
Vorbilder
auf dem Kontinent.
pretation
der
als
um
ihre
ein
solches
vermeintlichen
Akzeptiert man die Inter-
viktorianischen
Schulen
als
Instrumente
der "social control" zur Unterwerfung der Arbeiterkinder
unter die bürgerliche Hegemonie,
so waren sie darin nur
32
allzu oft erfolgreich.
Schließlich erwartete die Industrie nichts anderes.
Selbst
Wertschätzung
der
Schule bei manchen Unternehmern auf die Vermittlung
heute
noch
scheint
sich
die
sol-
cher moralischen Werte zu beschränken, walisische
Unter-
nehmer, so hieß es kürzlich, setzen bei Neueinstellungen
Qualifikationen und Zeugnisse der Schulabgänger so ziemlich ans Ende ihrer Prioritätenliste:
"Am Anfang standen,
in dieser Reihenfolge:
Zuverlässigkeit,
Vertrauenswürdigkeit,
Pünktlichkeit,
Lernwilligkeit, Bereitschaft zur Teamarbeit, Begei33
sterungsfähigkeit."
Auch die
Entwicklungssoziolgie
unterstreicht
Bedeutung dieser Werte, wenn sie den
heute
die
Entwicklungsländern
empfiehlt, sie brauchten
"...
(men) dedicated to hard work, a high pace of
work, and a keen sense of individual responsibility
for performance of assigned norms and tasks ... Indust r ial izat ion requires an ideology and an ethic
which motivates individual workers. Strict supervision imposed on a lethargic workforce will not suffice;
personal responsibility for performance must
be implanted withip.workers, front-line supervisors
and top managers."
Im weitesten Sinne handelt es sich dabei um eine allzeit
erforderliche soziale Kompetenz:
"The object of socialization is to produce competent people, as competence is defined in any given
society.
It aims to develop a person who can take
care of himself, support others, conceive and raise
children,
hunt boar or grow vegetables, vote, fill
out an application form,
drive an auto,
and what
Die
kaum
have
you."35
Wahl
der
eine
Unterrichtsfächer
Rolle,
wenn
oberste Lernziel gilt.
lich und konsequent,
die
spielt
soziale
offensichtlich
Kompetenz
als
Es ist daher durchaus
das
verständ-
wenn die Sozialisationsaufgäbe
heutigen Schule gerade von denjenigen angegriffen
der
wird,
die im gesellschaftlichen und politischen Leben Anarchie
und Industriefeindschaft
gungen folgt,
predigen.36
Aus diesen
daß nicht nur das Angebot,
Überle-
sondern auch
die Aufgaben des viktorianischen Schulwesens für die ärmeren Schichten
worden sind.
häufig verkannt und falsch
Das preußische
eingeschätzt
Schulsystem war
sicherlich
auf die Zwecke des preußischen Staates ebenso gut zugeschnitten wie das französische
auf die Zwecke des
zösischen
freiheitlicheren
Staates.
Unter
schaftlichen Bedingungen
nische Schulsystem
Unüberschaubarkeit,
den
Englands scheint das
jedenfalls,
für
die
fran-
gesell-
viktoria-
trotz seiner Mängel
Bedürfnisse
des
und
technisch
führenden Landes der Industrialisierung nicht minder gut
geeignet gewesen zu sein.
III
Eine differenzierte
Kritik des
viktorianischen
Schulwe-
sens muß darüber hinaus vor allen Dingen die
spezifische
Flexibilität
der
und
die
vielfältigen
Resourcen
vikto-
rianischen Gesellschaft in Rechnung stellen. Großbritannien war bei weitem das reichste
sche Ausbau
des Schul-
hundert zeigte nicht
sich schnell
und
Land Europas.
Prüfungswesens
zuletzt,
daß es
auf neue Anforderungen
Der ra-
im 19. Jahr-
in der
Lage
war,
einzustellen.
Dies
gilt auch für einen anderen, üblicherweise ebenso scharf
kritisierten
Aspekt
des
Unterrichtswesens:
technische und naturwissenschaftliche
Kaum
eine
Schwäche
häufig angeprangert
der
britischen
worden wie
die
höhere
Ausbildung.
Gesellschaft
der
Mangel
an
ist
so
naturwis-
senschaf t 1 ic her und technischer Forschung und Ausbildung
in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg.
organisierte
"science
wußtsein von der relativen Rückständigkeit
diesem
Gebiet
Staaten und
Eine hoch-
lobby" sorgte dafür,
insbesondere
dem Deutschen
gegenüber
Reich
ein
daß das BeEnglands
auf
den
Vereinigten
fester
Bestandteil
der öffentlichen Meinung wurde.
Gleichwohl ließ die Entwicklung der entsprechenden
Märk-
te bis in die letzten Vorkriegsjähre hinein keine Anzeichen
für
einen
derartigen
Mangel
ausgebildete Naturwissenschaftler
erkennen.
Viele
konnten keine
lung finden oder mußten sich, wenn sie Arbeit
gut
Anstel-
beispiels-
weise in der chemischen Industrie fanden, mit geringeren
Einkommen
begnügen
als
ihre
Kollegen
im
Deutschen
37
Reich.
Ein spezifisches Defizit an ausgebildeten Fachkräften
rung der
ist demnach kaum auszumachen.
Ausbildung
hätte
die Lage
166
Eine
Intensivie-
für die
Absolventen
schwerlich verbessert,
ohnehin
ins Ausland
konkurrierender
Überschuß
zumal ein großer Teil von
gehen mußten,
Industrien
relativiert
Bedarfs.
Fachkräften,
Angebot
sie
mithalfen.
sich
ansteigenden
wo
Zwar
zudem
Der
und Nachfrage
Aufbau
scheinbare
angesichts
herrschte
ihnen
beim
des
kein
rapide
Mangel
nahmen jedoch
an
beide
sehr rasch zu.
Es war gerade kennzeichnend für die Lei-
stungsfähigkeit
des
schnell
das Angebot
englischen
Unterrichtswesens,
ohne
staatliche
große
wie
Intervention
verbessert werden konnte.
Zwischen 1871
versität
und 1902 wurden nach dem Vorbild der Uni-
von
Manchester
Provinzuniversitäten
Fast
alle
richtet
waren
und
(1851)
nicht weniger
und University
Colleges
als
naturwissenschaftlich-technisch
somit
eher
den deutschen
zehn
gegründet.
ausge-
Technischen
Hoch-
schulen als den Universitäten vergleichbar. Darüber
aus
richteten
die
älteren
Universitäten
Schottland und Irland zahlreiche neue
liche Lehrstühle
ein,
von
hin-
London,
naturwissenschaft-
und selbst Oxford und Cambridge,
die Hochburgen des traditionellen Bildungswesens, mußten
sich den neuen Anforderungen beugen. Das Cavendish
ratory
in
Cambridge
gewann
gleich
drei
Labo-
Nobelpreise
in
fünf Jahren (1904, 1906 und 1908). Imperial College, als
direkte
Nachahmung
der
Technischen
Hochschule
Charlot-
tenburg geplant, wurde 1907 eröffnet und der Universität
von London angeschlossen. In London zählte man 1914 drei
"Incorporated Colleges", 23 andere Colleges
lich des Imperial College
nomics ) ,
(einschließ-
und der London School of
25 andere angeschlossene Institute und
Eco"aner-
kannte Hochschullehrer" in 30 weiteren Colleges, u.a. im
38
Birbeck College und im Goldsmiths' College.
Daneben
gab es das Finsbury Technical College, das sich durchaus
mit
manchen
Technischen
Hochschulen
im
Ausland
messen
konnte,
11 Polytechnische
Schulen allein in London
und
eine große Anzahl von privaten und städtischen Gewerbe39
und Fachschulen in der Provinz.
Die Absolventenzahl in naturwissenschaftlichen und technologischen Fächern nahm entsprechend
hatten in England gerade
erst 13
schnell zu.
bzw.
Studium in diesen Fächern abgeschlossen,
dagegen schon 800 bzw.
431.
1870
6 Studenten
ihr
1910 waren es
Die kumulierten Zahlen der
jeweils vorhandenen Graduierten
in
beiden
Fächergruppen
zeichnen ein noch deutlicheres Bild von der sprunghaften
Vermehrung
des
naturwissenschaftlich-technischen
Perso-
nals: 1870: 127 / 1890: 1.447 / 1914: 1 4 . 3 3 0 . 4 0 Auch die
Staatsausgaben
für naturwissenschaftliche
Zwecke außer41
halb des Erziehungswesens nahmen sprunghaft zu:
1850-51
1869-70
1899-1900
1913-14
Eine
ca.
inhaltliche
£
34.000
£
271.000
£
618.000
£ 2.000.000
Analyse
der
=
=
=
=
0,9% des Etats
2,8
2,6
3,4% des Ziviletats
Unterrichtsangebots
oder
des erreichten Ausbildungsniveaus kann hier nicht vorgenommen werden.
profil
und
die
Die Auslesekriterien,
Curricula
wurden
das Anforderungs-
jedoch
dauernd
ver-
schärft. Schon auf Grund dieser Tatsachen will es scheinen,
als sei die viktorianische
einiger
Verzögerung
auch der
Gesellschaft
Staat
- sehr
- und mit
wohl
in
der
Lage gewesen, selbst in dem Sektor des Erziehungswesens,
der allgemein als am rückständigsten galt, auf eine entsprechende Nachfrage zu reagieren und den deutschen oder
amerikanischen Vorsprung mit außerordentlichem Elan wieder aufzuholen.
Um so weniger ist anzunehmen, daß man im 19. Jahrhundert
mit Nachlässigkeit
oder gar Inkompetenz
an die Schulung
der
Arbeiterkinder
ging,
die
den
herrschenden
Klassen
wohl eher am Herzen gelegen haben dürfte als die formale
technische Ausbildung
für die
traditionelle
des
Kritik
Industrie.
viktorianischen
sens trotzdem so lange halten konnte,
Daß
sich
ist zunächst
die nicht uneigennützige Propaganda der
Bürokraten und Pädagogen zurückzuführen,
auf
zeitgenössischen
zu einem Teil
aber auch auf das Mißverständnis ausländischer
ter,
die
Erziehungswe-
Beobach-
die nur das suchten, was sie von zu Hause kannten.
Die jüngste Forschung kommt dagegen zu einem anderen Urteil:
das Grundschulangebot
viktorianischen
England
meinhin angenommen,
stungsfähigkeit
für die ärmeren Klassen
nicht
nur
breiter
als
im
ge-
es konnte sich sogar in seiner Lei-
durchaus
hungssystemen messen.
war
mit
den
kontinentalen
Erzie-
Anmerkungen
1
Stellvertretend für die Fülle der Literatur:
Brian
Simon, The Two Nations and the Educational Structure
1780-1870,
London 1974; ders., Education and the Labour Movement 1870-1920, London 1965; Gordon W. Roderick/Michael D. Stephens,
Education and Industry in
the Nineteenth Century:
the English Disease?, London
1976.
2
Siehe Anm. 6.
3
R.S. Schofield,
Dimensions of Illiteracy in England
1750-1850,
in: H.J. Graf (Hg.), Literacy and Social
Development in the west, Cambridge 1981, S. 201 und
213; ders., The Measurement of Illiteracy in Preindustrial England,
in:
Jack Goody (Hg.),
Literacy in
Traditional Socities, Cambridge 1968, S. 312; Michael
Sanderson, Literacy and Social Mobility in the Industrial Revolution in England,
in: Past and Present 56
(1972), S. 96-107;
R.K. Webb, Working-Class Readers
in Early Victorian England,
in:
English Historical
Rev iew 64 (1949), S. 335-351;
ders., Literacy among
the Working Classes in Nineteenth Century Scotland,
in: Scottish Historical Review 33 (1954), S. 107-113.
4
Vgl.
vor allem H.J. Habbakuk,
American and British
Technology in the Nineteenth Century, Cambridge 1967,
und die sich daran anschließende Debatte.
5
E.G. West, Education and the State. A Study in Political Economy,
London 1965; ders., Educational Slowdown and Public Intervention in 19th Century England:
A Study in the Economics of Bureaucracy, in: Explorations in Economic History 12 (1975), S. 61-87;
Phil
Gardner,
The Lost Elementary Elementary Schools of
Victorian England.
The People's Education,
London
1984.
6
J.S. Hurt, Elementary Schooling and the Working Classes 1860-1918,
London 1979, S. 4, 26 und 43; Schofield, Measurement of Illiteracy , S. 317; R.D. Anderson, Education and the State in Nineteenth Century
Scotland,
in: Economic History Review,
2nd ser. 36
(1983), S. 531; Royal Commission on the State of Popular Education in England T= Newcastle Commission),
Reports, Bd. 1, S. 172f.
7
B. Madoc-Jones,
Patterns of Attendance and their So-
cial Significance,
in: Philip McCann (Hg.), Popular
Education and Socialization in the Nineteenth Century , London 1977, S. 41-66.
8
West,
Education and the State, S. 137-140; Anderson,
Education, S. 525; Simon, The Two Nations, S. 347;
Newcastle Commission, Reports Bd. T] S*I 53f. , 79f.
9
West,
Education, S. 161f.; ders., Educational Slowdown, S. 80; ders., Resource Allocation and Growth in
Early Nineteenth-Century British Education,
in: Economic History Review,
2nd ser.
23 (1970),
S. 86;
ders., Literacy and the Industrial Revolution,
ebd.
31 (1978), S. 369-383; J.S. Hurt, Professor West and
Early Nineteenth-Century Education,
ebd. 24 (1971),
S. 624-632; David F. Mitch, the Impact of Subsidies
to Elementary Schooling ...
in Nineteenth Century
England, ebd. 39 (1986), S. 371f.
10 Newcastle Commission, Reports Bd. 1, S. 20-25.
11 D. Rubinstein,
Socialization and the London Schoolboard,
in: McCann, Popular Education, S. 231; Simon,
Education, S. 176; David Wandle, English Popular Education 1780-1970,
Cambridge 1970,
S. 36f.
und 74;
Hans von Nost iz,
Das Aufsteigen des Arbe iterstandes
in England.
Ein Beitrag zur sozialen Geschichte der
Gegenwart, Jena 1900, S. 133f.
12 R.C.O. Matthews/C.H. Feinstein/J.C. Odling-Smee, British Economic Growth 1856-1973, Oxford 1982, S. 573.
13 Nathan Rosenberg,
Inside the Black Box.
and Economics, Cambridge 1982, S. 248.
Technology
14 Thomas Walter Laqueur,
Religion and Respecatbility.
Sunday Schools and Working Class Culture 1780-1850,
New Haven 1976; ders. , working Class Demand and the
Growth of English Elementary Education 1750-1850, in:
Lawrence Stone (Hg.), Schooling and Society. Studies
in the History of Education,
Baltimore 1976, S. 192205; Stanley James Curtis,
History of Education in
Great Britain, London 1963, S. 468.
15 Michael Argles, South Kensington to Robbins. An Account of English Technical and Scientific Education
since 1851, London 1964, S. 41; Curtis, History of
Education,
S. 291;
Roderick/Stephens, Education and
Industry,
S. 19;
Simon,
Education,
S. 186;
N.B.
Dearie, Industrial Training with special reference to
conditions
prevailing
in
London,
London
1914,
S. 315-318;
S.J. Nicholas,
Technical Education and
the Decline of Britain 1870-1914,
in:
Ian Inkster
(Hg.), The Steam Intellect Societies. Essays in Culture,
Education and Industry circa 1820-1914,
Nott ingham 1985,
S~. 84;
Arthur Shadwel 1,
England ,
Deutschland und Amerika.
Eine vergleichende Studie
ihrer Leistungsfähigkeit, Berlin 1908, Kap. TTT
16 Royal Commission on Scientific Instruction and the
Advancement of Science (=Devonshire Commission),
Reports,
London 1873,
Aussagen:
Cole F. 6,
Huxley
F. 285, Bd. 3, S. XIX; Royal Commission on Technical
Instruction (=SamueIson Commission),
Reports, London
1882-1884,
Aussagen:
Cole und Donnelly F. 42,
53,
111, 399-401; Royal Commision on Secondary Education
(- Bryce Commission),
Reports, London 1895, 1st Report, S. 98, 181, Aussagen: Bd. 2, Donnelly F. 1107,
Bd. 3, Forsyth und Bidgood F. 8364f.
17 Zitat in Roderick/Stephens,
Education, S. 13.
Scientific and Technical
18 Samuelson Commission,
Reports,
2nd Report,
Bd. 3,
Aussagen:
Donnelly F. 2844, Bd. 5, S. 185, 194; Devonshire Commission,
Reports, Aussagen: G. Jarmain
F. 8855-8888, 8901; Bryce Commission,
Reports, 1st
Report, S. 27f., Aussagen: Bd. 2, Donnelly F. 1069;
Select Committee on the Provisions for Giving Instruction in Theoretical and Applied Science to the
Industrial Classes (=Samuelson Committee),
Reports,
S*! IV, Aussagen: Cole und Donnelly F. 6-10, 401.
19 Devonshire Commission,
Reports, S. XX, XXI, XXIII;
P.W, Musgrave,
Metallurgy
and the Department
of
Science and Art 1870-1900,
in: ders. (Hg.), Sociology, History and Education, London 1970, S. 268; Roderick/Stephens ,
Scientific and Technical Education,
S. 15.
20 Zitat in Argles, South Kensington, S. 20; vgl. seine
Aussage in: Devonshire Commission, Reports F. 122f.
21 Wardle, Popular Education, S. 211; P.W. Musgrave, The
Labour Force: Some Relevant Attitudes, in: Gordon Roderick/Michael Stephens, Where did we go wrong? Industrial performance, education and the economy in Victorian Britain,
Lewes 1981, S. 63; W.R. Reader, Professional Men.
The Rise of the Professions in Nineteenth-Century England, London 1966, §~. 114; Max Leclerc, L'education des classes moyennes et dirigeantes en Angleterre, Paris 1899, S. 59; Gordon W. Roderick/Michael D. Stephens, The British Malaise. Industrial Performance, Education" and Training in Britain
Today, Lewes 1982, S. 30; dies., Education and Industry , S. 101; Sheldon Rothblatt, The Diversification
of Higher Education in England,
in:
Konrad H. Jarausch (Hg.),
The Transformation of Higher Learning
1860-1930, Stuttgart 1983, S. 135 und 143;
Michael
Sanderson,
The Universities and British Industry
1850-1970, London 1972, S. 64f. und 104f.
22 Stellvertretend für viele Studien:
J.S. Nicholson,
The Living Capital of the United Kingdom,
in: Economic Journal 1 (1890),
S. 95-107;
Peter Lundgreen,
Bildung und Wirtschaftswachstum
im Industrialisierungsprozeß des 19. Jahrhunderts, Berlin 1973; E.A.G.
Robinson/J . E. Vaizey ( Hg. ) , TTTe Economics of Education, London 1966; H. Correa, The Economics of Human
Resources,
Amsterdam 1963,
~sT 172;
Theodore w 7
Schultz, Capital Formation by Education, in: Journal
of Political Economy 68 (1960), S. 571-583; Gary S.
Becker,
Human Capital.
A Theoretical and Empirical
Analysis,
with Special Reference to Education,
New
York 1975; B.F. Kiker, The Historic Root of the Concept of Human Capital, in: ders. (Hg.), Investment in
Human Capital, Columbia S.C. 1971, S. 51-77.
23 Z.B. Devonshire Commission, Reports, Aussage Rees F.
475; Argles, South Kensington, S. 37; Dennis Smith,
Conflict and Compromise.
Class Formation in English
Society 1830-1914, London 1982, S. 224;
P.W.
Musgrave, Technical Change, the Labour Force and Education.
A Study of the British and German Steel Industries 1860-1964, Oxford 1967, S. 51; Moseley Industrial Commission to the United States of America,
Oct.-Dec.
1902, Report of the Delegates, Manchester
1903, S. 29,238 und 337.
24 Vgl. Anm. 3.
25 George Haines,
Essays on German Influence upon English Education and Science 1850-1919,
Hamden Conn.
1969, S. 49; Anthony Howe, The Cotton Masters 18301860, Oxford 1984, S. 288; E.H. Hunt, British Labour*
History 18*^ 5-1914, London 1981, S. 111; W.B. Walker,
Britain's Industrial Performance 1850-1950: A Failure
to Adjust,
in: Keith Pavitt (Hg.), Technical Innovation and British Economic Performance,
London 1980,
S. 25; E.G. West, Literacy and the Industrial Revolution,
in:
Economic History Review,
2nd ser.
31
(1978), S. 377TT.
26 Devonshire Commission,
Reports, Aussagen: Richardson
F. 1808, 1851, 1919; E.W. Evans/N.C. Wiseman, Education, Training and Economic Performance: British Eco-
nomists' Views,
in: Journal of European Economic History 13 (1984), S. 133.
27 Michael D. Stephens/Gordon W. Roderick, Science, the
Working Classes and Mechanics' Institutes, in: Annals
of Science 29 (1972), S. 350 und 359; Colin A. Russel 1,
Science and Social Change 1700-1900,
London
1983,
S. 161;
Charles Babbage,
The Exposition of
1851, nachgedr. London 1968, S. 5f.; Alfred Marshall,
Principles of Economics, London 1964, S. 206f.
28 Russell, Science, S. 162; Charles Moore, Skill and
the English Working Class,
London 1980, S. 209; Mary
Joan Bowman, The Cost of Human Resource Development,
in: Robinson/Vaizey, Economics of Education, S. 446;
Devonshire Commission,
Reports, Aussagen:
Fleeming
Jenkin F. 1704-1706.
29 Marshall, principles, S. 211.
30 Royal Commission on the Depression of Trade,
Final
Report,
London 1886, S. LXIII; Patrick Joyce, Work,
Society and Politics. The Culture of the Factory in
Later Victorian England, Brighton 1980, S. 173; Howe,
Cotton Masters, S. 280.
31 David Mitch, Underinvestment in Literacy? The Potential Contribution of Government Involvement in Elementary Education to Economic Growth in NineteenthCentury England,
in: Journal of Economic History 44
(1984), S. 173f., 218~
Eric E. Rich, The Education
Act 1870, London 1970, S. 78; P.J.D. Wiles, Notes on
the Efficiency of Labour,
in: Oxford Economic Papers
N.S. 3 (1951), S. 159.
32 Auswahl aus dem breiten Literaturangebot:
Richard
Johnson,
Educational Policy and Social Control in
Early Victorian England,
in:
Past and Present 49
(1970), S. 96-119;
ders., Notes on the Schooling of
the Early English Working Class,
in:
Roger Dale/
Geoffrey Esland/Madelaine McDonald (Hg.),
Schoo ling
and Capitalism. A Sociological Reader,
London 1964,
S. 44-54; Steven Shapin/Barry Barnes, Science, Nature
and Control:
Interpreting Mechanics' Institutes, in:
ebd., S. 55-65; Michael W. Flinn, Social Theory and
the Industrial
Revolution,in:
Tom
Burns/S.B.Saul
(Hg.),
Social Theory and Economic Change,
London
1967, S. 14f.; A.P. Wadsworth, The First Manchester
Sunday Schools,
in: M.W. Flinn/T.C. Smout (Hg.), Essays in Social History, Oxford 1974, S. 101.
33 Rudolf
waiter
Leonhardt,
Wo
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Nobelpreist rager
wachsen, in: Die Zeit, 7. Juli 1987, S. 15.
34 Clark Kerr/J.T. Dunlop/Frederick Harbison/Charles A.
Myers,
Industrialism and Industrial Man,
Cambridge
(Mass.) 1960, S. 26.
35 Alex Inkeles, Social Structure and the Socialization
of Competence,
in:
Harvard Educational Review 36
(1966), S. 265.
36 Vgl. Jürgen Zinnecker (Hg.), Der heimliche Lehrplan.
Untersuchungen zum Schulunterricht, Weinheim und Basel 1975.
37 A.J. Meadows, Science and Controversy. A Biography of
Sir Norman Lockyer,
London 1972,
S.88.
Devonshire
Commission,
Reports, Aussagen: Forster F. 7792; Hilary und Steven Rose,
Science and Society,
London
1969, S. 29 und 35; Departmental Committee on the Royal College of Science,
Minutes of Evidence:
W. A.
Tilden F. 2590; Musgrave, Technical Change, S. 36;
Morris Berman,"Hegemony" and the Amateur Tradition in
British Science,
in:
Journal of Social History
(1975), S. 39; John Jewkes, How Much Science?, in:
Economic Journal 70 (1960), S. 2; Evans/Wiseman, Education,
S. 136;
Karl Ballod,
Rezension von Hesse/
Großmann,
in: Schmollers Jahrbuch 40 (1916), S. 482;
Gordon w. Roder ick/Michael D. Stephens,
Scient ific
and Technical Education in Nineteenth-Century England , Newton Abbot 1972, S. 16; F. Musgrove, MiddleClass Education and Employment in the Nineteenth Century, Economic History Review, 2nd ser. 12 (1959-60),
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The University of London
and Technical Progress 1880-1914, in: Journal of Contemporary History 7 (1972), S. 259; ders., Un iversTtles,
S. 27;
D.S.L. Cardwell,
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Science in England. A Retrospect, London 1957, S.169.
38 Cardwell, Organisation, S. 129; Sanderson, Universities, S. 114; Roy MacLoed, The Support of Victor ian
Science:
The Endowment of Research Movement in Great
Britain 1868-1900, in: Minerva 4 (1971), S. 228.
39 Geoffrey Millerson,
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Study in Professionalization,
London 1964; A.J. Engel, From Clergyman to Don. The Rise of the Academic
Profession in Nineteenth-Century Oxford, Oxford 1983,
S~* 9f. ; Ian Inkster, Int roduct ion: Aspects of the History of Science and Science Culture
in Britain
1780-1850,
and Beyond,
in: Ian Inkster/Jack Morell
(Hg.),
Metropolis and Province.
Science in British
Culture 1780-1850,
London 1983, S. 40-42;
Francois
Beland, Du paradoxe professionell
medecins et ingenieurs des annees 1880, in: Archives europeennes de
sociologie 17 (1976), S. 306f.
40 Cardwell, Organisation,
S. 156;
Roderick/Stephens,
Education, S. 108 und 136; Roy Lowe, The Expansion of
Higher Education in England,
in: Jarausch, Transformation , S. 52.
41 Peter Alter, Wissenschaft, Staat, Mäzene. Anfänge moderner Wissenschaftspolitik in Großbritannien 18501920, Stuttgart 1982, S. 46 und 81ff.; Charles Singer
u.a., A History of Technology,
6 Bde. Oxford 19541978, Bd. 6, S.148f.; R.M. McLeod, Science and Treasury:
Principles,
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in: G.L.E. Turner (Hg.), The Patronage of Science in the Nineteenth Century,
Leyden 1976, S. 116,
120, und 161; Cardwell, Organisation, S. 155.
Pat Thane
WELTLICHER UND HIMMLISCHER LOHN.
DAS WERTESYSTEM DER VIKTORIANISCHEN MITTELSCHICHTEN
Dieser Beitrag geht der Frage nach dem dominanten Wertesystem insbesondere
der unternehmerischen
Mittelschich-
ten im spätviktorianischen England nach. Dies scheint um
so notwendiger,
tur
als
auch
als sich sowohl die historische
die
aktuelle Diskussion
Litera-
in Großbritannien
auf eine Reihe liebgewonnener Annahmen stützt, die einer
kritischen Überprüfung bedürfen.
Die jüngste Diskussion
wurde von den Thesen des amerikanischen Historikers Mai—
tin j.
the
wiener entfacht, dessen Buch English Culture and
Decline
of
the
Industrial
Spirit
1850-1980
in
den
Vereinigten Staaten wie in Großbritannien zu einem Bestseller g e r i e t . 1 Angeblich soll sogar Frau Thatcher jedem
ihrer Kabinettsmitglieder
Aber
auch
der
Führer
Zustimmung nicht,
nancial Times,
der
ein Exemplar überreicht haben.
Labour
Party
die seriöse Presse,
verhehlte
seine
wie etwa die Fi-
war voll des Lobes, und selbst das Fern-
sehen widmete Wieners Thesen einige Sendungen.
Reaktion der Wissenschaft blieb fast durchweg
Eine wissenschaftliche These,
die ein solch
Nur die
kritisch.
ungewöhnli-
ches öffentliches Interesse erweckt, verdient unsere besondere Beachtung. Wie konnte Wieners Interpretation der
englischen Geschichte in der Öffentlichkeit einen dermaßen breiten Widerhall finden?
gegenwärtigen Niedergang
auf zurück,
Im Kern führt Wiener
der britischen
Wirtschaft
den
dar-
daß es der Unternehmerschaft in der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht gelang,
rellen Werten
eine
hegemoniale
Stellung
ihren
im
kultu-
Wertesystem
der viktorianischen Gesellschaft zu sichern. Nach seiner
Darstellung begann sich der neue Unternehmensgeist,
er als "the zeal for work,
duction
Hälfte
and
des
inventiveness, material pro2
definiert,
in der zweiten
money-making"
18. Jahrhunderts
19. Jahrhunderts
im
und
der
Zusammenhang
Revolution durchzusetzen.
herrschenden
den
ersten
mit
der
Diese Werte
wirtschaftlichen,
Hälfte
des
Industriellen
schienen zur
kulturellen
und
be-
politi-
schen Norm zu werden.
Aber die
Aristokratie,
so Wiener,
gab
sich nicht
ge-
schlagen :
"... the peculiar flexibility of the English aristocracy snatched a class victory from the brink of
defeat."3
Sie
umgarnte
schichten
die
mit
den
Kinder
der
unternehmerischen
Verlockungen
stokrat ischen Wertesystems,
teil von Professionalität
derte,
des
Mittel-
traditionellen
ari-
das nach Wiener das Gegen-
und
nämlich eine Vorliebe
Wettbewerbsverhalten
für hierarchische
för-
Ordnung
und kultivierten Lebensstil, für politisches Ansehen und
privaten Genuß, industriefeindliche Werte einer Agrargesellschaft inmitten der am meisten urbanisierten
Gesell-
schaft der Weltgeschichte.
Mit
welchen
wurde,
Mitteln
dieser
kulturelle
Triumph
bleibt bei Wiener allerdings unklar,
den elitären
erzielt
obwohl er
Public Schools eine führende Rolle bei der
Indoktrination
der
nachwachsenden
Unternehmergeneration
mit unternehmerfeindlichen Werten zuschreibt. Auch Literatur, Kunst und Architektur werden als Träger des länd1ich-aristokratischen Wertesystems angeführt,
beispiels-
weise
der
neugothische
sichtlich wurde,
Stil,
ohne
daß
allerdings
wie etwa so unterschiedliche
steller wie Charles Dickens,
er-
Schrift-
Mathew Arnold oder
Thomas
Hardy in den Bannkreis der aristokratischen Kultur gezogen wurden. Außerdem besuchten die Söhne der
rischen Mittelschichten
in ihrer
keineswegs die Public Schools,
len,
deren
pädagogisches
durchaus angepaßt war,
unternehme-
überwiegenden
Mehrheit
sondern städtische
Konzept
ihren
wie die herausragende
Rolle
Mathematik, Sprachen und naturwissenschaftlichen
in ihren
Wiener
Lehrplänen
zeigt.
Gleichwohl
Schu-
Bedürfnissen
hatte
von
Fächern
sich
nach
gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine neue kultu-
relle Hegemonie entwickelt, die, national überhöht, auch
das wirtschaftliche Leben
bestimmte:
"... a vision of a tranquilly rustic and traditional national way of life permeated English life and
any understanding of British economic development
must take account of the fact."
Zunächst stellt sich die Frage,
warum diese
historische
Interpretation führenden englischen Politikern von heute
so einleuchtend scheint. Offensichtlich hat sie den Vorteil, die Gründe für die aktuelle Problemlage der britischen Wirtschaft in die Vergangenheit zu verlagern.
storische
Ursachen
in der
zweiten
Hälfte
des
Hi-
19. Jahr-
hunderts liegen nicht nur ersichtlich außerhalb der Kontrolle der heutigen Politikergeneration, sie lenken auch
von dem Versagen der Regierungen
berater ab,
und ihrer Wirtschafts-
die britische Wirtschaft
5
solides Fundament zu stellen.
nach 1945 auf ein
Im Zusammenhang mit der Diskussion um die "Victorian Values" ist die entscheidende
Frage jedoch,
ob Wiener
in
der Sache recht hat. Selbst wenn man bereit wäre, seiner
These zuzustimmen, so kann man doch seiner
nicht immer folgen.
Argumantation
Das Buch leidet vor allem darunter,
daß unbewiesene Behauptungen und unsystematische
Belege,
noch dazu von zweifelhaftem Wert, ohne den Versuch einer
stringenten Beweisführung aneinandergereiht werden. Doch
ganz
abgesehen
vermag
Sie
die
ist
von
These
das
ihrer
auch
unzulänglichen
inhaltlich
Ergebnis
einer
komplexer Zusammenhänge
nicht
Präsentation
zu
unzulässigen
und Prozesse
überzeugen.
Vereinfachung
und führt zu einem
irreführenden Bild des dominanten Wertesystems der
tischen
Gesellschaft
am Ende
des
ist das zentrale Anliegen seines Buches,
britischen
Auffassung
Wirtschaft
ist
jedoch
seit
nicht
1870 zu
ohne
Es
eine Erklärung
für den seiner Auffassung nach unaufhaltsamen
der
bri-
19. Jahrhunderts.
Niedergang
liefern.
weiteres
Diese
zutreffend.
Jedenfalls sind sich die führenden
Wirtschaftshistoriker
in dieser Frage keineswegs einig.
Kaum einer würde
solch
vereinfachtes
Bild
des
andauernden
wirtschaftli-
akzeptieren. 6
chen Niedergangs
Wieners These geht von einem ausschließlich
Erklärungsansatz
schen
aus
Klassenmodell
scheint,
als
ein
sei
und
der
ein
operiert
mit
englischen
vielerprobtes
kulturellen
einem
schemati-
Gesellschaft.
Instrument
Es
aus dem
historiographischen Arsenal der Geschichte der Arbeiterbewegung
einfach
auf
schen Mittelschichten
die
Untersuchung
der
übertragen worden:
viktoriani-
die These
vom
"falschen Bewußstein." 7 Wieners These setzt nämlich voraus, daß die Unternehmerschaft
in einer
schaft eigentlieh hegemonial,
kompetitiv und klassenbe-
Industriegesell-
wußt hätte auftreten sollen, gerade so wie die traditionelle
Arbeitergeschichtsschreibung
davon
ausging,
daß
die Arbeiterklasse eigentlich die Qualitäten eines revolutionären Proletariats hätte aufweisen sollen,
was sie
aber leider nie tat.
Von diesem Ausgangspunkt muß
allerdings
stellen,
die
Frage
wieso
die
sich
historischen
Klassen den Erwartungen der Historiker so wenig entsprachen.
Argumentierten
sch ichtsschreibung,
einige
Vertreter
der
die Arbeiterklasse
Arbeiterge-
habe
in der
er-
sten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein wachsendes Klassenbewußstein entwickelt, so sieht wiener in derselben Zeit
die
Mittelschichten
auf
dem
Weg
zur
Etablierung
einer
"distinctive, production oriented culture". Glaubten
je-
ne, die Zähmung der radikalen Arbeiterklasse um die Mitte des Jahrhunderts mit deren Inkorporation
turelle
Hegemonie
die Herausbildung
ren zu können,
der
der
herrschenden
einer
in die
Klasse - etwa durch
"Arbeiteraristokratie"
- erklä-
so führt Wiener die mangelnde
unternehmerischen
kul-
Mittelschichten
zur
Fähigkeit
hegemonialen
Klassenbildung auf deren seit der Mitte des Jahrhunderts
fortschreitende
Inkorporation
in die
dominante
aristo-
kratisch-ländliche Kultur zurück:
"At the moment of its triumph,
the entrepreneurial
class turned its energies to reshaping itself in
the image of the class it was supplanting."
Von einer
radikalen
Umpolung
der
kulturellen
Werte
zur
Harmonisierung der Klassenbeziehungen zwischen Bourgeoisie und ländlicher Aristokratie
in der
Jahrhundertmitte
kann jedoch keine Rede sein. Von Experten zur Geschichte
des
18. Jahrhunderts
worden,
ist
zu
Recht
darauf
hingewiesen
daß sich all jene industriefeindlichen
lungen
und
späten
19. Jahrhunderts
Werthaltungen,
ansieht,
späten
18.
19. Jahrhundert
und
beispielsweise
frühen
die
Wiener
als
Einstel-
Produkt
genausogut
des
schon
finden
im
lassen,
in Adam Smiths kritischen Kommentaren zum
Unternehmertum oder
in der
in Kunst
und Literatur
weit
g
verbreiteten romantischen Vision des Landlebens.
ergibt sich,
daß eine
stungsniveaus
Element der
der
langfristige
britischen
Erklärung
Wirtschaft
Kontinuität abheben
muß und
gerade
Daraus
des
Lei-
auf
das
nicht etwa
auf
das Element des raschen, noch dazu unerklärten Umbruchs.
Vielleicht, so fragen jene Experten für das 18. Jahrhundert,
lag das Problem des späten 19. Jahrhunderts nicht
so sehr darin,
daß bestimmte Wandlungsprozesse der bri-
tischen Gesellschaft
unter aristokratischer
werkstelligt wurden,
Führung
als vielmehr darin, daß sich über-
haupt so wenig änderte:
in Großbritannien blieb viel zu
viel zu lange beim alten.
Vielleicht konnten die unter-
nehmerischen Werte der Frühindustrialisierung
dernissen
der
be-
Spät Industrialisierung
den Erfor-
einfach
deswegen
nicht mehr gerecht werden, weil sie sich nicht genug gewandelt
hatten.
Schließlich
ist
Großbritanniens
Ge-
schichte in den letzten zwei Jahrhunderten von einem außerordentlichen Maß an Kontinuität
tät
geprägt gewesen,
ohne die
und innerer
Erfahrung
von
StabiliKrieg
und
Invasion oder gar von politischer Revolution, die in anderen
Ländern
den
sozialen
und ökonomischen
Wandel
be-
schleunigt und erzwungen hat,
Ist
schon
Wieners
kultureller
Paradigmawechsel
histo-
risch schwer zu verifizieren, so bleibt auch die soziale
Trägergruppe
diffus.
des von ihm behaupteten Wertewandels
"A straightforwardly,
hegemonic
elite'1
wie
klar
ein
(Wiener)
bourgeois and
läßt
umrissenes
sich
recht
industrial
ebensowenig
revolutionäres
finden
Proletariat.
Vielmehr scheint sich die Aristokratie überall in Europa
bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges kulturell,
tisch und wirtschaftlich gegenüber den
Mittelschichten
behauptet
zu
haben.* 1 0
Wenn dem
so
müssen sich die von wiener als besonders britisch
nierten Werte
finden
in allen Unternehmerischen
lassen,
Hegemonie"
kann
und die
wohl
vermeintliche
kaum
mehr
als
Eliten
ist,
defi-
Europas
"aristokratische
Erklärung
spezifischen Schwächen der britischen Wirtschaft
ten.
poli-
Unternehmerischen
Wieners These beruht in der Tat auf einem
für
die
herhalimplizi-
ten
Vergleich
mit
den
anderen
industrialisierten
Län-
dern, in denen eine theoretisch richtige Entwicklung
genommen
wird,
ohne
daß
dies
im
einzelnen
an-
untersucht
würde.*' 1
Nichts
ist
gewonnen,
für
eine
Analyse
der
Klasenbildungsprozesse
wenn man davon ausgeht,
wie eine Klasse sich
eigentlich hätte verhalten sollen,
ohne das
Selbstver-
ständnis und die Interaktion der Klassen im einzelnen zu
analysieren.
Tatsächlich zeichneten
sich
die
Rollener-
wartungen und -zuschreibungen, die Werthaltungen und gesellschaftlichen
telschichten
Beziehungen
ßere Vielfalt aus,
Zeit
noch
der
im viktorianischen
unternehmerischen
Mit-
England durch eine
grö-
als Wiener annimmt.
vergleichsweise
wenig
über
Wir wissen zur
die
Sozial-
und
Kulturgeschichte des viktorianischen Bürgertums,
insbe-
sondere
neuere
seiner
Untersuchungen
unternehmerischen
Elite,
lassen
vorläufiges
jedoch
einigen wichtigen Fragen zu.
Da ist zunächst die Frage,
weniger
monolithische
vergnüglichen
ein
12
ob überhaupt
"aristokratische
und amateurhaften
vom unternehmerischen
durch die Absorption
einige
eine mehr
des
unabhängig
bestanden
der Unternehmerischen
in
oder
Tradition"
Landlebens,
Wertesystem,
Urteil
hat,
die
Tugenden
zum
dominanten viktorianischen Wertesystem hätte werden können. Alles, was wir über die höchst innovativen und profitablen Geschäfte der Landaristokratie
spätestens
seit
dem 18, Jahrhundert wissen, widerspricht dieser Annahme.
Nicht
selbst,
nur
in
sondern
der
Intensivierung
auch in der
der
Ausbeute
Landwirtschaft
der
Bodenschätze
und der Entwicklung des städtebaulichen Potentials
ihrer
Besitzungen erwies sie sich als Meister.
land-
wirtschaftliche
Ertrag
und
die
Als der
Grundstücksrendite
in
einigen Gegenden seit den 1880er Jahren zurückging,
stand
sie es
profitabler
retten.
des
sogar,
ihre
Wertpapiere
Das
Besitztitel
oder
kolonialer
Profit interesse
19. Jahrhunderts
durch
war
ver-
Ankauf
Ländereien
zweifellos
gegen
zu
Ende
unverzichtbaren
Bestand-
teil der "aristokratischen Tradition" geworden.
Die an-
haltende
Bedeutung
zu einem
den
der Aristokratie
ten Großbritannien
ist eher
im
auf diese
industrialisierGeschäftstüchtig-
keit als auf irgendeinen traditionellen Überhang
zurück-
13
zufuhren.
Wiener räumt durchaus ein, daß die adeligen
sitzer
ebenso wie die
listisch
dachten
und
industriellen
handelten,
Großgrundbe-
Unternehmer
allerdings
kapita-
mit
einem
entscheidenden Unterschied: während sich diese primär um
die Produktion
trachteten
wird
sich
eine klare
und technische
Linie
Unternehmensleitung
gezogen,
anderen
Verfahren
jene grundsätzlich
zwischen
dem
harten
Geschäft
die Aufsicht über seine Einkommensquellen
14
überläßt.
Uberprüft man diese Unterscheidung
der City,
und
wettbewerbsstärksten
um die
Jahrhundertwen-
so ergeben sich erhebliche Probleme.
der City arbeitete
zweifellos ein hoher
Prozentsatz
bürgerlichen Public Schoo1-Abso1venten , die enge
schaftliche
deren
der
der
jedoch auf dem erfolgreichsten
an
beDamit
und dem angenehmen Leben als Rentier
Gebiet der britischen Wirtschaft
de,
kümmerten,
als Rentiers.
Beziehungen
zur
gesellschaftlichen
Fuchsjagden
teilnahmen
und
unterhielten.
Diese Gruppe
die
Kultur
ländliche
Landaristokratie
Leben
oft
mit
selbst
scheint
gesell-
pflegten,
Pferderennen
große
und
Landhäuser
dem Modell einer
inkorporierten
In
von
in
Unternehmerischen
Elite am ehesten zu entsprechen. Gleichwohl gehörten
rade sie zu den erfolgreichsten Unternehmern
ge-
ihrer Zeit,
die die Bürde des täglichen Geschäfts keineswegs
Wiener
umgeht dieses
Problem,
indem
Finanzwelt als "clean" ausgibt,
scheu-
er das Milieu
der
ein Leben von Müßiggän-
gern, "associating with people of one's own class in fashionable surroundings ...
processes
of
well removed from the actual
production".16
Dieses
konventionelle
Bild
ist jedoch ein Zerrbild der realen Arbeitswelt der City:
Selbst so prominente und erfolgreiche Finanziers wie die
Rothschilds, die Barings oder Sir Ernest Cassel
enge Kontakte mit Industriellen,
geschäftlichen
Problemen
sie
pflegten
deren technischen
großes
Verständnis
und
entge-
genbrachten und denen sie erhebliche Geldmittel zur Verfügung
sehr
stellten.
von
der
Ihr
eigener
weltweiten
Geschäftserfolg
Entwicklung
gie-Sektoren wie dem Kohlenbergbau,
der
Rüstungsindustrie
konnten,
als
hing
zu
Hochtechnolo-
den Eisenbahnen und
daß
sie
sich
erlauben
den technologischen Wandel und die geschäftli-
chen Aktivitäten
sie
ab,
der
ih^e
im einzelnen zu vernachlässigen,
eigenen
wollten.
In diesem
technologischen
märkte konnten
Investitionen
relativ
Wandels
und
langfristig
frühen Stadium
der
des
Entwicklung
und mußten sich oft auf ihre eigene Erfahrung
Sir Ernest Cassel,
dertwende der reichste Mann
für
raschen
der
Welt-
sie sich nur auf wenige Experten stützen
kenntnis verlassen.
antwortung
wenn
absichern
die
in der City,
Einführung
und Sach-
um die Jahrhuntrug die
des Bessemer-
Ver-
Verfahrens
in den schwedischen Stahlwerken, an denen er führend beteiligt war. Er kümmerte sich auch um die Weiterentwicklung
des
Afrika,
Eisenbahnbaus
und
der
Bergwerkstechnologie
in
in Nord- und Südamerika sowie in den folgenden
zwei Jahrzehnten auch in anderen Gegenden der Welt. Ausweislich
der
nicht
enden
wollenden
Flut
seiner
Ge-
schäftspost scheute er in dieser Hinsicht keine
gung,
auch wenn er auf seinem Landsitz,
weilte.'' 7
oder einer Mittelmeer-Yacht
Es ist kaum möglich,
Unternehmerische
tatsächlich
integriert waren.
mehr darauf
solchen Männern
Werthaltung
in die
eine
authentische
abzusprechen,
obwohl
ländlich-aristokratische
schließen,
daß die Übernahme
Lebensstils
lassen
des
keineswegs
sie
Lebensweise
Ihr Leben und ihr Erfolg
ar istokrat ischen
Anstren-
einem Jagdhaus
viel-
ländlich-
mit
dem
Ge-
schäft serfolg unvereinbar war. Es mag sein, daß der entsprechenden
Integration
der
industriellen
Elite
größere
Hindernisse entgegenstanden.
Vermutlich erforderte
Tätigkeit
höheres
beispielsweise
cher Präsenz
Geschäfte
Dies muß
Das
im Betrieb,
auch
aus
während
größerer
im einzelnen
behauptet
ein
Maß
ihre
kontinuierli-
reine Finanziers
Distanz
jedoch erst
abwickeln
gezeigt
ihre
konnten.
und nicht
nur
werden.
traditionelle
Mißverständnis
über
die
Arbeitsweise
der City- Finanziers rührt zu einem Teil daher, daß man,
wie Wiener, lediglich den vermeintlichen Mangel an engen
Beziehungen mit der britischen Industrie betont.
tat behauptet
"abgewandt"
er,
und
die City habe
interpretiert
sich von der
dies
als
In der
Industrie
einen
weiteren
Beleg für die Dominanz eines industriefeinclichen
systems.
Dabei wird jedoch nicht nur die führende
der
bei
City
übersehen,
der
raschen
es wird
Expansion
ihr auch eine
der
bewußte
WerteRolle
Weltwirtschaft
Vernachlässi-
gung der britischen Industrie unterstellt.
Auch in d i e -
ser strittigen
in der
Frage
den Nachweis schuldig.
sich die
Industrie
finanzielle
bleibt
die Literatur
Regel
Es scheint jedoch eher, als habe
ihrerseits
Unterstützung
der
ganz
City
bewußt
nicht
bemüht.
Die
um
die
erste
Blüte
der
britischen
Industrie
privater Selbstfinanzierung,
beruhte
weitgehend
indem die
üppigen
auf
Gewinne
reinvestiert oder Geld bei Freunden, Verwandten oder lokalen Banken aufgenommen wurde,
die den lokalen Erfor-
dernissen näher standen: die Industriellen in Manchester
gingen zu ihrer eigenen Bank vor Ort. Auch hierbei gilt,
daß nicht von einem Wertewandel
sondern
ihren
daß
aus
die
der
britischen
gesprochen werden
Unternehmer
auf
Frühindustrialisierungsphase
Verhaltensweisen
treu
blieben,
während
kann,
lange
Zeit
stammenden
die
City
die
Chance ergriff, London als Herz des Empire und Haupstadt
der führenden Handelsmacht
den Finanzplatz
In der
und
der
weitgehenden
britischen
Hauptgründe
zu einem weltweit
operieren-
auszubauen.
gegenseitigen
Industrie
für die
Abschottung
ist
langfristige
sicherlich
der
City
einer
Problemlage der
der
briti-
schen Wirtschaft zu suchen. Sie wird jedoch kaum auf den
Einfluß einer
M
aristokratischen
Hegemonie" oder gar auf
die industriefeindliche Einstellung der
krat ischen
Eliten
zurückzuführen
länd1ich-aristo-
sein.
Vielmehr
man, wie schon ausgeführt, die früh verfestigten
heiten
und
schaft
selbst
Werthaltungen
sowie
expandierenden
die
Weltmarktes
verantwort1 ich machen
angesichts
der
dieses
britischen
alternativen
für
müssen.
Befunds
Unternehmer-
Möglichkeiten
die
City
Jedenfalls
wenig
länd1ich-aristokratischen
des
dafür
erscheint
überzeugend,
meintlichen Niedergang des unternehmerischen
der
wird
Gewohn-
den
es
ver-
Wertsystems
Elite anzulasten.
Sollte
sich die Trennung der industriellen Sphäre von der
land-
wirtschaftlichen und der finanziellen Sphäre in Großbritannien
als größer
beweisen wäre,
erweisen
als
anderswo,
so dürfte dies jedenfalls
was
noch zu
im Wege
einer
simplifizierten
hinreichend
KuIturanalyse,
zu e r k l ä r e n
Großgrundbesitzer,
sich
gegen
Ende
wie
Finanziers
des
bei
Wiener,
nicht
sein.
und
Industrielle
19. Jahrhunderts
fanden
allesamt
in
den
Netzen des expandierenden Weltmarktes gefangen. Dies beeinflußte unweigerlich ihrer aller Lebensstil und
Wert-
horizont auf die ein oder andere Weise. Selbst jene großen
Männer,
scheint,
die
Verwalter
des
schen Weltreichs
in das
zwanzigste
längern trachteten und dabei,
notwendigkeit,
die,
wie
des
Jahrhundert
es
britizu
ver-
fern von jeder Geschäfts-
die aristokratische Hegemonie der Briten
über die Welt aufzurichten
Schicksal
Empire,
den überholten Zivilsat ionsauftrag
nicht
hofften,
verschont.
blieben von diesem
Die diplomatischen
aus China und dem Osmanische
Reich,
Berichte
den beiden Weltre-
gionen, in denen Großbritannien bis zum Ersten Weltkrieg
seine
Vorrangstellung
an die
europäischen
Rivalen
lieren sollte, sind eindeutig von der Überzeugung
gen,
daß Großbritannien ohne industrielle
im Bereich des Eisenbahnbaus,
der Weiterverarbeitung
ver-
getra-
Investitionen
der Elektrifizierung
seinen Wettbewerbern
nicht
oder
würde
Stand halten können. Unternehmensgeist und unternehmerisches Handeln waren diesen Statthaltern des Empire alles
andere als suspekt, im Interesse ihrer Nation hätten sie
lieber mehr davon gesehen.
Lord
Cromer,
Generalkonsul
19. Jahrhunderts,
scheint
den
zu
ersten
Blick
von
die
Ende
des
Inkorporationsthese
auf
bestätigen:
Ägypten
Als
am
ein
Sohn
der
Baring-Familie, einer der führenden Bankhäuser der City,
gelangte
er
über
eine
Public
School-Erziehung
an
die
Spitze der Reichsverwaltung. 1895 bemühte er sich um ein
verstärktes
industrielles
Engagement
in Ä g y p t e n ,
jedoch
vergeblich:
"European
capital
is
certainly
coming
into
the
c o u n t r y , b u t I a m s o r r y to s a y t h a t it r a r e l y c o m e s
from Britain."
Immer
wieder
tische
mußte
des
wies
er
erleben,
britischen
Cromers
gegen
er a u f
Unternehmungen
daß
Deutsche
Hersteller.
Er
fand
und
sie
hin
und
und
Franzosen
Chance
sich
zu
für
immer
ihre
steigerten
inkompetenten
Gelegenheiten
Ägypten
Desinteresses
Beschwerden
die
günstige
in
bri-
wieder
angesichts
wahrnahmen.
wahren
konkurrenzscheuen
Tiraden
britischen
schließlich
"careless,
unenterprising
and sometimes
ignorant
and their m e t h o d s are u 1 t r a - c o n s e r v a t i v e and f r e quently arrogant,
i l l - m a n n e r e d and n e g l e c t f u l of
t h e w i s h e s of t h e i r c u s t o m e r s " .
Cromer
schen
hielt
Unternehmern,
neswegs
hielt
die
offensichtlich
allein
er
er
jedcch
vor
und
unter
von
den
allem
im
Deutschen
zu p r e i s e n
britische
Kollegen
fehlen
ließen.
beklagte,
eklatante
fügen
chelhaften
Bild
These,
kratische
daß
allenfalls
komplexen
che
dieser
des
Empire.
unternehmerischen
Geschäftssinn
sich
nötigen
dies
auf
Begründung
Großbritanniens
Um
eine
wie
der
zu e i n e m
daß
es
die
den
wenig
er
Ge-
schmei-
Leistungsfähigkeit
immer
zu d e r
relative
In
und
deren
versäumte
stützt
britischen
beitragen.
mehr
Franzosen
und
im G e g e n t e i l .
Teil
kei-
so
Wettbewerbsgesinnung
Philippika
kleinen
für
Meinung
nur,
industriellen
- eher
zu e i n e m
heute
briti-
Werthaltungen,
der
störte
den
an U n t e r n e h m e n s g e i s t ,
bis
Cromers
sei
Ihn
der
Inkorporation
zurückzuführen
mit
Fehlentscheidungen
der
Großbritanniens.
von
stand
wußte.
an
viel
Beamten
Der M a n g e l
legenheiten
die
er
den
nicht
jedoch
geartete
Geschäftsleute
Diese
These
kann
notwendigerweise
ökonomische
der
kaum
aristo-
Literatur
Schwäwerden
allzu
häufig
geben,
so
zum
technischen
ter
nur
Beispiel
Vergleich
mit
Staaten
System
inadäquat
Erziehungssystems
Wir
könnten
wenn
wir
uns
einer
der
negativen
Einige
Zunächst
mit
einer
haben,
-große
die
dominante
sollte
sich
deren
von
rung
len
die
Die
genseitigen
zu
die
Erklärung
nicht
Mängel
liefern
einen
in
einem
diese
rückschließen
nach
nicht
müssen
werden,
wir
tun
Unternehmsart
und
Dies
ist
liberalen
um
und
und
ist.
Dessen
und
deren
Werte
der
Industrialisierung
Frau
unternehmerische
aus
Tagen
und
gewissen
der
Be-
Thatent-
Mittel-
praktischen
ländlichen
kompetitiven
so
ihre
evange-
worden
den
hier
zu
Gruppe
Gesellschaft
sich
aus
daß
aufwies.
vom
und
und
widersprachen,
und
annähern,
wüßten
Richtung
Kreditsystems
Logik
Vertrauen
daß
Erklärung
etablierten
des
nämlich
effektiven
inneren
der
Geburt
Vertragsrechts
seiner
je
Wertehierarchie
beruhte
eines
breite
derjenigen
unterschied.
talismus
Im V e r l a u f
eine
briti-
und
Behauptungen
vergessen
geprägt
unterschätzt
mißversteht.
gilt,
heterogenen
und
entscheidend
wiener
schicht,
dieser
viktorianische
deutung
Gründen
in
nicht
regional
Kultur
ob d a s
Hand lunsgwe isen
auf
Unterschiede
Provinzbürgertum
wickelte
konkreten
a u ß e r o r d e n t 1 ich
als die
Erziehungsangebot
der
angemessenen
die
Hinweise
u.a.
des
exak-
können.
likalen
cher
Teil
Unternehmerschaft
deutliche
wichtiger,
hier
Gesamtbilanz
genügen.
ein
ineffizient
daß w i e d e r h o l t e
über
würden.
es
einen
aber
könnte,
und
Auch
ersetzen
mehr
Werthaltungen
einer
war.
ebenso,
nicht
zeigen
ge-
Defizienz
steht
der
des
aber
Noch
entsprechenden
wirklich
Erklärungen
vie1 g e s c h o l t e n e
dem
formverschieden
Nachweis
die
aus,
nur
mögen,
monokausale
Erziehungswesens.
in a n d e r e n
sche
einfache,
Elite
Industriekapi-
vor
der
eines
Grad
auf
nämlich
Kooperation
Etablie-
justitiabWerten,
dem
unter
geGe-
schaftsleuten.
Wollte man vertrauenswürdig sein, so war
es notwendig,
In allen Dingen,
in der äußeren
nung wie im alltäglichen Leben,
scheinen.
Nur
so konnte
man eine
Reputation
die erst die eigene Kreditwürdigkeit
keit
gewährleistete.20
Eine
war
weise,
die Teile der Aristokratie
ternheit
der
zur
der
neuen
Schau
mit
der
trugen.
Lebensführung
bürgerlichen
und
solche
bilität
dertwende
unvereinbar
Erschei-
vertrauenswürdig zu ererlangen,
Vertragsfähig-
sichtbare
Respekta-
leichtfertigen
Lebens-
noch um die Jahrhun-
Respektabilität
dominierten
Mittelschichten
die
und
Nüch-
Werteskala
und drangen
von
dort schließlich auch in den Verhaltenskodex der Aristokratie und der Gentry
vor.
Der Siegeszug der viktorianischen Respektabilität war um
die
Mitte
des
19. Jahrhunderts
noch
keineswegs
vollen-
det. Die spätviktorianische Gesellschaft trug zweifellos
nüchternere
als
ihr
- wohlgeordnetere
frühviktorianischer
den 80er Jahren versteiften
Kontrollmechanismen
und
langweiligere
Vorläufer.
sich die
gegenüber
und
lebens.
Dem öffentichen
anderen
Formen
Insbesondere
abweichendem
eines
Züge
in
gesellschaftlichen
vor allem auf dem Gebiet der Prostitution,
xualität
-
Verhalten,
der Homose-
auffälligen
Privat-
Leben und den privaten Verhal-
tensnormen wurden im Verlauf des 19. Jahrhunderts
zuneh-
mend Zügel angelegt, wobei der Impuls eher von der neuen
bürgerlichen Wertehierarchie ausging als von den aristo21
kratischen Werthaltungen
und Bedürfnissen.
Als
Ergeb-
nis erstand das typische viktorianische Wertesystem, das
auch in die Arbeiterschaft ausstrahlte und die Beziehungen
zwischen
stel 1 te.
den
Klassen
auf
eine
neue
Grundlage
Die Verhaltenskodices
schen
und Werthaltungen der
Geschäftsleute
evangelikalen
sind ohne
die
Erweckungsbewegung
viktoriani-
zentrale
nicht
zu
Hieraus floß eine religiöse Grundhaltung,
Rolle
der
verstehen.
die ein gott-
gefälliges Leben und die Errettung möglichst vieler Seelen
zur
höchsten
Lebensaufgabe
machte.
Immer
Gruppen von Anglikanern und Nonkonformisten
größere
verschrieben
sich im Laufe des 19. Jahrhunderts diesem Ziel, das auch
in der Arbeiterschaft sowie
in der Aristokratie
und der
Gentry zahlreiche Anhänger fand. Für viele Geschäftsleute bestimmte der religiöse Imperativ auch die Regeln des
Geschäftslebens:
"They had their sights set not on gentry emulation
but on a Heavenly Home.
The goal of all the bustle
of the market place was to provide a proper moral
and
religious
life
for
the
family...the «cold
blooded pursuit of profit was deeply suspect."
Diese religiösen
sten
wie
der
Prinzipien behielten
zweiten
Hälfte
des
sowohl
in der
19. Jahrhundert
erihre
Gültigkeit.
Harte Arbeit und ein starkes soziales
fühl,
Verantwortungsge-
das war das Credo der neuen Zeit.
individualistische
hilfe-Ideologie
und
gehöhte
kompetitive
jedenfalls
Die enge, rein
Form
nicht
der
Selbst-
in diesen
tekanon. Dagegen rangierte die persönliche
Wer-
Verantwortung
für Menschen in Not hoch auf der Prioritätenskala.
Daher
rührte auch
Näch-
stenliebe
des
Bedeutung
und der freiwilligen
würfen der
zung
die große
der
Aktion
christlichen
in den Lebensent-
bürgerlichen Mittelschichten.
Neue
Armenrechts
einer Gesellschaft,
Wohlhabenden
glaubte,
von
1834 war
Die
die an die Selbstverpf1ichtung
den
Armen
freiwillig
ohne dazu vom Steuerstaat gezwungen zu sein.
Hintergrund
Durchset-
nur möglich
zu
in
der
geben,
Vor diesem
kann das Neue Armenrecht auch nicht einfach
als der Versuch der Neureichen gewertet werden, sich aus
der Verantwortung für die Armen zu stehlen und diese zur
Selbst-Hilfe zu zwingen.
gung
von
einer
"guten
Die Vision der
Gesellschaft"
persönliche Entscheidung
Erweckungsbewe-
setzte
gerade
die
des Einzelnen für die gute Tat
voraus.
Auch
die
Sozialreform-Debatte
des
späten
19. Jahrhun-
derts
läßt noch eine solche religiöse Grundhaltung er23
kennen.
Es mag sein,
daß den Armen damit weniger geholfen
sen,
war
als mit
einem
staatlichen
Unterstützungswe-
was aber erst noch zu beweisen wäre.
sein,
Es mag auch
daß die Einrichtung eines umfassenden
Zwangssystems,
staatlichen
wenn dies um die Jahrhundertmitte
haupt möglich gewesen wäre,
über-
der Stigmatisierung der Ar-
men weniger Vorschub geleistet hätte als gemeinhin angenommen wird.
Im Prinzip ging das Neue Armenrecht
jeden-
falls davon aus, daß den "würdigen Armen" auf freiwilliger Basis zu helfen sei,
pflege
nur
als
während die öffentliche Armen-
abschreckendes
Sicherheitsnetz
dienen
sollte,
um die "unwürdigen Armen" vor dem Hungertod
zu
bewahren
und
zu
zwingen.
Die
sie
zu
einer akzeptableren
Praxis sah
bekanntlich
Lebensweise
anders
aus,
aber
hier geht es zunächst nur um das Prinzip.
Das Armenrecht der viktorianischen Zeit kann ebensowenig
nur als das Ergebnis des puren Individualismus
interpre-
tiert
bürgerli-
werden
wie
die
chen Mittelschichten
Privatwohltätigkeit
nur als bürger1ich-städtische
tation aristokratisch-länd1 icher Werte,
auflage
eines
traditionellen
gesellschaftlicher
hatte
unabhängige,
der
Instruments
24
Autorität.
vor
allem
wenn sie de facto entscheidend
Die
Imi-
quasi
als Neu-
zur
Sicherung
Privatwohltätigkeit
religiöse
Wurzeln,
auch
zur Sicherung des sozia-
len Status beitrug.
Ihr
lag ein Gesellschaftsideal
grunde, in dem Arme und Reiche durch gegenseitige
zu-
Rechte
und Pflichten im Geiste des christlichen Glaubens aneinander
gebunden
entsprochen
waren.
haben,
Nicht
aber
alle dürften
die
diesem
Wohlhabenden zur Linderung der materiellen Not,
lerdings auch das Recht einschloß,
zu belehren
und auf
den Weg
Ideal
Selbstverpf1ichtung
die Armen
der Selbsthilfe
der
die almoralisch
zu
verwei-
Vor diesem Hintergrund wird auch die Stärke der
libera-
sen, galt als gesellschaftliche
len Opposition
gegenüber
griffen verständ1 ich,
politische
Norm.
vermeidbaren
staatlichen
Ein-
die bis zum Ersten Weltkrieg
Entwicklung Großbritanniens
bestimmte.
die
Zwar
führten die Sozialreformen seit der Jahrhundertwende
zu
einer deutlichen Ausdehnung der staatlichen Sphäre, etwa
durch
die
sorgung,
Einführung
der
ersten
staatlichen
Altersver-
der nationalen Kranken- und Arbeitslosenversi-
cherung, der Schulspeisung oder des Öffentlichen Gesundheitswesens,
im Kern blieb aber die
tung ausschlaggebend dafür,
liberale Grundhal-
daß, wo möglich, freiwilli-
gen Aktionen der Vorrang vor staatlichen und hier wiederum
lokalen
vor
zentralstaat1ichen
Regelungen
gegeben
wurde. Der Lokalismus bildete daher einen weiteren wichtigen
Bestandteil
des
viktorianischen
wertesystems,
drückte sich darin doch das alte Mißtrauen der bürgerlichen Mittelschichten
staat aus,
von
der
gegenüber
dem autoritären
der im frühen 19. Jahrhundert
traditionellen
Aristokratie
Zentral-
ausschließlich
beherrscht
worden
war.
Als Beispiel
für
die Verbreitung
liberal- evange1ikalen
leuten des späten
Wertekanons
19. Jahrhunderts
und Wirkunsgweise
unter den
des
Geschäfts-
kann Birmingham
gel-
ten,
die
den
Exponten
hat.
Stadt,
Zwei
die
bis
zu
bis
den
1880er
sellschaft
gegenüber
machte
den
und
Jahren,
den
Nöten
Dale
und
sparte
für
ein
Gerade
Mitbürger
Bedingungen
auch
von
und
der
so
den
1860er
Ge-
Verpflichtung
vor.
Insbesondere
der
Geschäftswelt
Kanzel
und
predigte
von
den
Birminghamer
nicht
moralisches
Kaufleute
fühlen,
von
moralische
den
kluges
reiche
berufen
der
führen-
Dawson
Dale
hielten
ihre
einen
hervorgebracht
George
R.W.
ihrer
mit
schlägen
sich
Prediger,
allsonntäglich
sich
Chamberlain
Vikorianismus
1870er
vertraut
ren.
Joseph
späten
wortgewaltige
1840er
zu
mit
des
mit
Rat-
Geschäftsgeba-
Fabrikanten
sollten
er,
" . . . to a c t a s G u a r d i a n s o f t h e P o o r . T h e y o u g h t t o
w o r k o n t h e c o m m i t t e e s of H o s p i t a l s .
T h e y o u g h t to
be a l d e r m e n a n d t o w n c o u n c i l l o r s ...
t h e y o u g h t to
s e e to it t h a t t h e t o w n s a n d p a r i s h e s in w h i c h t h e y
live are w e l l d r a i n e d , w e l l l i g h t e d and w e l l p a v e d ;
t h a t t h e r e are g o o d s c h o o l s for e v e r y c l a s s of the
population;
that there are harmless public a m u s e m e n t s ; that all p a r o c h i a l and m u n i c i p a l a f f a i r s are
c o n d u c t e d h o n o u r a b l y a n d e q u i t a b l y ...
self-denial
m u s t be e n d u r e d in t h e d i s c h a r g e o f n e a r l y
every
duty.
Vor
allem
lichem
aber
bestand
Gleichgewicht
zu
aber
wichtiger
Lösung
für
dieses
Aktionen,
bei
spezifischen
zum
Nutzen
Die
örtliche
einstimmung
gerlichen
sein
Dilemma
denen
mit
als
so
als
die
geschäft-
wichtig,
andere.
Dale
und
Armen
Als
verwenden
ferne
er
Lokalismus
auf
ideale
mit
Öffentliche
argumentierte
vermöge
ein
keines
gerne i n n ü t z ige
Geschäftsleute
private
traditionellen
Mittelschichten,
das Gemeinwohl
das
sei
empfahl
ortsansässigen
dem
zwischen
Verpflichtung
Beides
führende
Gemeinschaft,
daß
sozialer
sei.
Sachverstand
der
darauf,
und
halten
sollte
für
er
Gewinnstreben
diese
ihrem
Gelder
sollten.
in
Über-
der
bür-
Weise
mehr
Zentrairegierung.
Joseph Chamberlain
war der Sproß einer tief
nonkonformistischen
Schon
vor
seiner
Unternehmerfami 1ie
Zeit
als
religiösen,
aus
Bürgerme ister
Birmingham.
in den
1870er
Jahren tat er sich mit zahlreichen philanthropischen
gemeinnützigen
Werken
hervor.
schöpfte er die Überzeugung,
Aus
dieser
Erfahrung
daß eine Stadt wie ein ef-
fizientes und humanes Unternehmen zu leiten sei,
Profite
aus
städtischen
und
Gas-
und
dessen
Wasserwerken
für
Verbesserung der allgemeinen Wohlfahrt reinvestiert
die
wer-
den müßten. Auch seine weitreichenden aber letztlich
er-
folglosen
den
Reformvorschläge
auf
nationaler
Ebene
in
1880er Jahren speisten sich aus diesem Geist der
lichen Sozialreform:
Zusammenwirken
gen,
um
er plädierte
in der Regel für
von freiwilligen und staatlichen
auf diese
Weise die
bürger-
elementaren
ein
Leistun-
Bedürfnisse
-
Mindestlohn, Wohnung, Altersversorgung - so zu befriedigen, daß das Prinzip der Selbsthilfe
geschwächt w ü r d e . 2 6
er beispielsweise zunächst,
terstützungsvereinen
einerseits
weil
er
verstärkt und nicht
Im Fall der Altersversorgung
staatlich
die
empfahl
freiwillige Einlagen in Unzu
lobenswerte
subventionieren,
Eigenleistung
hono-
rieren wollte, andererseits aber weil er einsah, daß die
Niedrigverdiener
ausreichenden
27
können.
Chamberlain
später
die
ohne
öffentliche
Hilfe
Unterstützungsanspruch
konnte
zunächst
Konservativen
von
weder
die
seinem
schen und halb- kollektivistischen
dung
sozialer
Ungerechtigkeiten
niemals
würden
Liberalen
zur
Überwin-
wachsender
sozialer
Spannungen überzeugen, wahrscheinlich witterten die
tischen Wähler
in seinen Vorschlägen
spezifische
Ausprägung
des
bri-
immer noch den un-
britischen Geist des Kollektivismus. Sein Beispiel
jedoch die
noch
halb-voluntaristi-
Konzept
und
einen
ansammeln
zeigt
Unternehmerischen
Weltwenn
und
Selbstbildes
auch
in e i n e r
Formierung
falls
den
und
Umsetzung
weitgehend,
der
schwer
mit
wenn
oft
und
der
im
nackten
Der
in
eine
der
Bedeutung
Eine
in
dend
zur
der
der
Die
Ernsthaftigkeit
ment,
wie
der
Werte
und
ihr
allgemein
Wohlstandsdamen
die
bessere
bevormunden.
Linie
auf
in
und
Erfolg
zu
abzutun,
denen
Motiven
und
gewissen
und
gehöriges
Professionalität.
Hand 1unsgweise
nicht
Maß
tangierte,
dieser
daß
vikto-
für
es,
nur
ureigensten
ihr
ihre
Engage-
selbstgefäldaran
und
vielmehr
gelegen
die
in
nur
persönlichem
Es mag
völlig
sein,
das
Armen
erster
zu
ungefährlichen
Frauen
und
die
Frauen,
erforderte
an
28
an
meist
der
ihrer
nachzuäffen
nicht
un-
und
Töchter
Versuch
religiösen
Denk-
die
entsehe i-
Propaganda
verbieten
als den
und
Leben
Frauen.
beruhte
einer
trug
beteiligten
Gesellschaft
ein
sich
festhielten.
Einsatz
Großstadt,
Männer
der
hier
Hege-
kapitalistischen
Gruppe
die
Tat
lagen
ist
verschrieben
Werte
bei:
erbärmlichen
der
Geldes
daß
dem
Ihr
den
in
Vielleicht
finden,
Denken
üblich,
liger
Ruf d e s
öffentliche
Zahl
von
Frühkapitalismus
"aristokratischen
Privatwohltätigkeit
große
jeden-
wettbewerbsf^indlichen,
im
die
war,
etwa
zu
sich
des
der
vernachlässigte
machten
Werke
Aufgabe.
ließen
vollständig
Geschäft1eute
Ehefrauen
guter
Regel
geprägten
rianischen
und
konkurrierender
Verbreitung
religiös
Werte
Mittelschichten
nie
erfolgte
unbeeinflußt
Grundhaltungen.
vermeintlichen
Wettbewerbsprinzip
der
Werte
Profitgier
dafür
England,
gesellschaftliche
gänzlich
miteinander.
Erklärung
ternehmerischen
Die
dieser
Ruf G o t t e s
Widerstreit
nicht
monie"
der
Form.
nicht
viktorianischen
vereinbaren.
zu
spätviktorianischen
ländlich-aristokratischen
Manche
zu
im
extremen
oft,
Slums
Mut
und
daß
die
Leben
ihrer
entgegengesetzte
Wertsysteme
in
existierten,
haft
ein
und
derselben
vielleicht
sollte
über die gegenteilige
Familie
aber
nebeneinander
auch einmal
Möglichkeit
ernst-
nachgedacht
wer-
den .
Noch ein anderes viel beschworenes Ideal der
schen Zeit
die
muß
im Lichte
beispielsweise
1893
der
von
viktoriani-
philanthropischen
etwa
einer
Arbeit,
halben
Million
Frauen regelmäßig und auf halbprofessioneller Basis ver29
richtet wurde,
neu überdacht werden.
Gerade die Vertreter
der
Unternehmerischen
Mittelschichten
gelten
als
die Exponenten eines historisch einmaligen und kulturell
außerordent1 ich wirksamen Frauenideals: der
als weiblicher Berufung.
Mittelschichten
Konflikt
standen
zwischen
den Männern
Die Frauen der
der
jedoch
offensichtlich
Erwartung,
eine Fluchtburg
Häuslichkeit
viktorianischen
in
einem
das Heim zu hüten und
gegen die
Anforderungen
der
Arbeitswelt zu schaffen einerseits, und dem religiös geprägten
Arbeitsethos
und
gesellschaftlichen
tungsbewußtsein andererseits,
Verantwor-
das es ihnen, oft mit el-
terlicher Unterstützung, zur Verpflichtung machte,
moralischen
Einfluß
wirksam werden zu
Es
ist
vielleicht
den evangelikalen
innerhalb wie außerhalb
der
ihren
Familie
lassen.
nicht
verwunderlich,
Mittelschichten
in der
daß
gerade
zweiten
aus
Hälfte
des 19. Jahrhunderts eine Frauenbewegung hervorging,
die
eine
des
stärkere
öffentlichen
fältiger
nicht
auch
nur
Stellung
Lebens
Art,
für
für eine
viele
ihre
der Frau
reklamierte.
Frauen
bessere Wirksamkeit
Bereichen
Die Ziele waren
dürften
persönliche
spruchs gesucht haben.
in allen
jedoch
eine
Emanzipation,
vielChance
sondern
ihres moralischen
An-
Das Häuslichkeitsideal wurde auf
diese
Weise
aus
den
Mittelschichten
heraus
selbst
in
Frage gestellt.
Angesichts
staunlich,
der
konventionellen
Stereotypen
ist
es
daß sich auch die seriöse bürgerliche
er-
Presse
gegen Ende des Jahrhunderts an der Öffnung des entsprechenden Wertehorizontes beteiligte. So schrieb der Daily
Telegraph in einem Leitartikel von 1888:
"The idea that a woman is born either to lounge
through life as a lady or to drudge through it as a
poor man's wife with,
in both cases,
narrow domestic interests is a superstition having its origins
in the east.
Women have souls and aspirations of
their own and if ... they possess personal talents
or tastes we see nothing to object to ir^their e n _
try into a fair and free labour market."
Der Telegraph war ein respektables,
relativ hoher Auflage,
liberales Blatt mit
das in den 80er Jahren seine Le-
serschaft in den Mittelschichten zu erweitern suchte. Es
ist nicht sehr wahrscheinlich,
daß eine solche
Meinung
ohne Aussicht auf breite Zustimmung innerhalb der potentiellen
Leserschaft
vertreten worden wäre.
Tatsächlich
löste der Leitartikel eine Flut von Leserbriefen aus, in
denen Männer und Frauen alle möglichen Befürchtungen und
Hoffnungen zum Ausdruck brachten. Erstaun 1 icherweise war
die Haltung typisch, zu der sich ein "city merchant" mit
bester
Adresse
und
langjähriger
schäftigung von Frauen
Erfahrung
in
der
Be-
bekannnte:
"...
if the movement of women working for themselves goes forward,
as all true men wish,
thousands of women will be far too enlightened and circumstances will not make it necessary for them to
rush into ties of matrinomy without due consideration ...
let mothers bring up their daughters to
think that it is lowering to their womanhood to
look upon matrinomy as the 'one thing needful',
that if they have not the dependency they must work
...
are there no fathers who repent the day they
saw their daughters marry? And how often do we not
hear married women advise their sisters to 'keep as
they are'?
If a woman can marry a worthy man let
her
her
Diese
d o so,
she c a n
Haltung
läßt
"Häuslichkeit
bei
aussetzen,
aber
an
könnte.
Gründe
den
Familien
teten
Töchter
Suche
nach
sitzen,
der.
Auch
sollte
deren
die
tiefe
und
und
uns
auch
der
eigenständige,
werthaltungen
der
die
Werte-
so w e i t
gar
eine
gemacht
primär
wir
ent-
werden
ideologischer
die
des Menschen,
nicht
liauch
unerhebliche
Mittel schichten.
darin,
ihre
unverheira-
unterstützten
eine
sie
Warnung
"viktorianischen
liegen
bei
oft
nicht
der
sein,
zu
ergünden.
weit
Werte
aufzu-
auseinander
vikto-
ohne
weiteres
im
oder
mit
Modell
erschlossen
erwiesen
unterwürfige
davor
werte"
Wurzeln
dabei
Unternehmerischen
dem
werden.
sich
nur
Imitatoren,
konstruktive
und
daß
Religiosität,
historische
Mittelschichten
daß,
oder
geltend
waren
Sinn
verbreitet.
werden,
ohne
Einfluß
Klassenschemas
und
weit
Arbeit.
I n k o r p o r a t ion
beflissene
eine
deren
und
Gesellschaft
rigiden
gerlichen
auszuhalten
können
vor-
viktorianischen
keinen
Wirklichkeit
kulturellen
als
den
Stereotyp
ohne
und
rianischen
eines
in
Ausbildung
Beispiel
nor-
Mittelschichten
von der G l e i c h h e i t
sahen
Wertekanon
viktorianische
Hegemonie
eine
behind
den wir
gezeigt
haben,
Geschlechtern,
Frauenüberschuß
erkennen,
das
hierfür
Art:
Überzeugung
Viele
Schein
kann
geprägt
kulturelle
dem glatten
klassischen
offensichtlich
Beispiel
struktureller
zwischen
Das
sie war
aristokratischer
Die
berale
dem
Mittelschichten
ein
sprechende
von
viktorianischen
entscheidend
wissen,
und
den
diesem
bürgerlichen
system
wenig
und M ü t t e r l i c h k e i t "
malerweise
Auch
b u t w i t h a p r o f e s s i o n <^r t r a d e
look b e f o r e she l e a p s . "
und
Kontext
der
Die
zu o f t
bürnicht
sondern
innovative
Verhaltensorientierungen
als
Kraft,
lang-
fristig ein großes Maß an Verbindlichkeit
Gesellschaft erlangen
für die
ganze
sollten.
Kehren wir zu dem von wiener erörterten Problem zurück:
es ist nicht zu bestreiten,
daß die relative
Erfolglo-
sigkeit britischer Unternehmer nach einer Erklärung verlangt,
sie wird jedoch kaum mit simplifizierten
rellen Kategorien zu erreichen sein.
historischen Wandels müssen
schaftlicher
Beziehungen
von der Komplexität
ausgehen,
kultu-
Umfassende Modelle
sowohl
gesell-
zwischen wie
innerhalb der verschiedenen sozialen Gruppen. Zweifellos
entwickelte
Netzwerk
sich
bürgerlichen
sitzern.
stehen,
men,
im
19. Jahrundert
gegenseitiger
ein
kultureller
Unternehmern
und
kompliziertes
Adaption
zwischen
aristokratischen
Landbe-
Um diesen kulturellen Austauschprozeß
zu ver-
benötigen wir jedoch einen breiteren
Bezugsrah-
der dessen strukturellen, institutionellen und in-
tellektuellen Bedingungen in Rechnung stellt.
Vor allem
sollten die langfristige Stabilität und relative Homogenität
der
werden,
Position
britischen
in
der
19. Jahrhunderts
diese
für
Gesellschaft
nicht
unterschätzt
die nicht zuletzt mit Großbritanniens
Fragen
zusammenhängen.
angesichts
Vergangenheit
differenziertere
üblich war.
Weltwirtschaft
und
ihrer
Insgesamt
eine
Analyse,
führender
Weltpolitik
Bedeutung
ernsthaftere
als
des
verdienten
herausragenden
Gegenwart
historische
und
dies
und
bisher
Anmerkungen
1
Martin J. Wiener,
English Culture and the Decline of
the Industrial Spirit 1850-1980, Cambridge 1981.
2
Ebd., S. 13.
3
Ebd., S. 14.
4
Ebd., S. 81.
5
Eine gute Diskussion dieses Zusammenhangs bietet Sidney Pollard, The Wasting of the British Economy, London 1982.
6
Siehe die Bandbreite der wirtschafthistorischen Argumentation in: Sidney Pollard, The Development of the
British Economy 1914-1980,
3. Aufl. London 1983; Roder ick Floud/Donald McCloskey (Hg.), The Economic History of Britain since 1700,
vol. 2:
1860 to the
1970s, Cambridge 1981; Bernard E1baum/Wi11iam Lazonick (Hg.) The Decline of the British Economy, Oxford
1986.
7
Siehe
die
Kritik
der
traditionellen
Arbeitergeschichte in: Jonathan Zeitlin, From labour history to
the history of industrial relations, in: Economic History Review, 2nd ser. 40 (1987), S. 159-84.
8
Wiener, English Culture, S. 14.
9
Donald Coleman/Chnistine Mcleod,
Attitudes to New
Techniques:
British Businessmen, 1800-1950, in: Economic History Review 39 (1986), No. 4.
10 Arno Mayer, The Persistence of the Old Regime. Europe
to the Great War, London und New York 1981.
11 Derselbe Vorwurf muß auch Perry Anderson gemacht werden (Origins of the Present Crisis,
in: New Left Rev iew 23 (1964)), der Wieners These in gewisser Hinsicht vorwegnahm.
12 Siehe z.B. William D. Rubinstein (Hg.), Wealth and
the Wealthy in the Modern World,
London 1980; Yousse
Cassis,
Les Banquiers de la City a l'Epoque Edouard ienne, Genf und Paris 1984; Anthony Howe, The Cotton
Masters 1830-1860, Oxford 1984.
13 F.M.L. Thompson, English Landed Society in the Nineteenth Century,
London 1963; ders., English Landed
Society,
in:
Pat Thane/Geoffrey Crossick/Roderick
Floud (Hg.), The Power of the Past. Essays for Eric
Hobsbawm, Cambridge und P a n s 1984, S. 195-214; David
Cannadine,
Lords and Landlords:
the Aristocracy and
the Towns, 1774-1967, Leicester 1980.
14 Wiener, English Culture, S. 8.
15 Cassis, Les Banquiers.
16 Wiener, English Culture, S. 145.
17 Pat Thane, Ernest Cassel, in: Dictionary of Business
Biography,
vol. I A-C,
London ig84,
S. 604-613;
dies., Financiers and the British State: the Case of
Sir Ernest Cassel,
in:
Business History 18 (1986),
No. 1;
Jose Harris/Pat Thane,
British and European
bankers 1880-1914:
an "aristocratic bourgeoisie"?,
in:
Thane/Crossick/Floud (Hg.),
The Power of the
Past, S. 215-234.
18 Thane, Financiers, S. 90.
19 Ebd.
20 Dieser Zusammenhang wird anschaulich diskutiert bei
Leonone Davidoff/Catherine Hall, Family Fortunes. Men
and Women of the English Middle Class 1780-1850,
London 1987, S. 21.
21 F.M.L. Thompson, Social Control in Victorian Britain,
in:
Economic History Review,
2nd ser.
34 (1981),
No. 2.
22 Davidoff/Hal 1, Family Fortunes, S. 21.
23 Katherine
1962.
Heasman,
24 In diesem Sinne bei
London, Oxford 1971.
Evangelicals
Gareth
in
Stedman
Action,
Jones,
London
Outcast
25 E.P. Hennock, Fit and Proper Persons. Ideal and reality in Nineteenth Century Urban Government,
London
1973, S. 158.
26 Peter Fräser, Joseph Chamberlain, London 1966.
27 Pat Thane,
Contributary versus non-contributary old
age pensions 1878-1908,
in: dies. (Hg.), The Origins
of British Social Policy, London 1978, S .
89-93.
28 Frank Prochaska, Women and Philanthropy in Nineteenth
Century England, Oxford 1980.
29 Die Zahl der Frauen,
die sich unregelmäßig in den
verschiedensten
Zweigen
der
Privatfürsorge
engagierten, war noch wesentlich größer.
Prochaska,
Women and Philanthropy, S. 224.
30 Daily Telegraph, 22. März 1888.
31 Ebd., 3. April 1888.
VERZEICHNIS DER AUTOREN
Karl
H.
Sidney
Metz
Pollard
Alastair
Thomas
Pat
Reid
Sokoll
Thane
Bernd
Weisbrod
P r o f e s s o r für N e u e r e G e s c h i c h t e
Universität Erlangen-Nürnberg.
an
der
Professor für S o z i a l - und W i r t s c h a f t s g e s c h i c h t e an d e r U n i v e r s i t ä t B i e l e f e l d
Fellow
am G i r t o n
College,
Cambridge.
Wissenschaftlicher
Mitarbeiter
an
der
F e r n u n i v e r s i t ä t H a g e n und D o k t o r a n d bei
der C a m b r i d g e G r o u p for the H i s t o r y of
P o p u l a t i o n and Social S t r u c t u r e .
Principal
Lecturer
am
Goldsmiths'
C o l l e g e , U n i v e r s i t y of L o n d o n .
P r o f e s s o r f ü r N e u e r e G e s c h i c h t e an d e r
Ruhr-Universität Bochum. Z.Zt. Fernuniversität Hagen.
VERÖFFENTLICHUNGEN DES
ARBEITSKREISES DEUTSCHE ENGLANDFORSCHUNG
Bd. 1 G. Schmidt/ K. Rohe (Hrg.)
Krise in Großbritannien?
Historische
und aktuelle Dimensionen, Bochum 1982
Grundlagen
Bd. 1 K. Rohe/ G. Schmidt (Hrg.)
Krise in Großbritannien?
Studien zu Strukturproblemen der britischen Gesellschaft und Politik im
20. Jahrhundert, Bochum 1987
Bd. 2 G. Schmidt (Hrg. )
"Industrial Relations" und "Industrial
in Großbritannien, Bochum 1984
Bd. 3 B. J. Wendt (Hrg.)
Das britische Deutschlandbild im
und 20. Jahrhunderts, Bochum 1984
Democracy"
Wandel
des
19.
Bd. 4 G. Niedhart (Hrg.)
Großbritannien als Gast- und Exilland für Deutsche
im 19. und 20. Jahrhundert, Bochum 1985
Bd. 5 K. Rohe (Hrg.)
Englischer Liberalismus
dert, Bochum 1985
im 19.
Bd. 6 J. Osterhammel (Hrg.)
Britische Übersee-Expansion
vor 1840, Bochum 1987
und
und 20.
Jahrhun-
britisches
Bd. 7 B. Weisbrod (Hrg.)
"Victorian Values".
Arm und Reich
schen England, Bochum 1988.
im
Empire
viktoriani-