Titelthema | Report I Über eine Spezialvorrich tung werden Emissionen, die bei der Schmelze behandlung entstehen, abgesaugt und gefiltert. Weltweit einzigartig! Nach langer Vorplanung war es im März endlich soweit: Der Kurtz Ersa-Konzern hat seine neue Eisengießerei „Smart Foundry“ am Standort Hasloch offiziell in Betrieb genommen. Rund zwölf Millionen Euro sind in den Bau der neuen Gießerei geflossen. Ganz wichtig: Die Projektplaner haben viele Elemente von „Gießerei-Industrie 4.0“ bei diesem Vorhaben realisiert. Von Michael Franken, Düsseldorf I rgendetwas ist hier anders. Nur was? Sind es die Transportwege? Könnte schon sein! Sie sind auffällig breit angelegt. Wirken durchdacht, exzellent miteinander verbunden. Was ist sonst noch auffällig? Ist es der in der Tat fast staubfreie Bodenbelag? Sicher, findet man auch nicht jeden Tag in einer gut ausgelasteten Gießerei, die in Handformguss macht. Fakt ist: Für eine Eisengießerei ist der Anblick schon recht ungewöhnlich. Und auch das fällt auf: Für eine klassische Handformerei ist die neu gebaute Produktionshalle nicht nur licht- durchflutet sondern im wahrsten Sinne des Wortes klar strukturiert, sie wirkt regelrecht aufgeräumt. Hier ticken die Uhren anders, so der erste Eindruck. Und dann taucht am Ende der Halle, in der unzählige Formkästen in Reih und Glied aufgereiht zwischengelagert sind, LENA auf. LENA blinkt rhythmisch im Sekundentakt. Links und rechts außen leuchten Signallampen und zeigen jedem, der es sehen will, hier kommt ein mächtiges, tonnenschweres „Etwas“ auf den Betrachter zugeschwebt. „Wir haben lange getüftelt, überlegt und uns Blick in die systemgesteu erte Auskühlhalle, die ebenfalls über ein ausge feiltes Be- und Entlüf tungssystem verfügt. Fotos: Klaus Bolz/Kurtz Ersa LENA mit Transportpalette 10 BDG report 02/15 und Formkasten auf dem Weg zur nächsten Bear beitungsstation. Das Sys tem funktioniert seit sei nem offiziellen Startschuss reibungslos. BDG report 02/1511 Titelthema | Report I Man steht dabei und glaubt es nicht: vollauto matisch laufen die Trans portsysteme von einem abgekühlten Formkasten zum nächsten. Während LENA sich noch zentimetergenau unter das Transportgestell schiebt, schwebt MARIE fünf Meter weiter schon mit dem nächsten abge gossenen Formkasten in die Abkühlhalle. viele Transportsysteme in der Praxis angesehen, bis wir auf diese Lösung, die bereits in der Luftfahrtindustrie eingesetzt wird, gekommen sind“, erklärt Rainer Kurtz, Vorsitzender der Geschäftsführung der Kurtz Holding GmbH & Co. KG. Während der CEO der Kurtz-Gruppe seinen Blick rechts in die Formerei wirft, rauscht von hinten, in knapp 30 Meter Entfernung, TINA heran. Ebenfalls schwergewichtig, satte 9,6 Tonnen bringt das von vier Elektromotoren angetriebene Transportsystem auf die Waage. Beide, LENA und TINA, tragen in diesem Moment tonnenschwere abgegossene Formkästen huckepack. Im Flugzeugbau bei Airbus sind die „Mädels“ Garanten für eine kontinuierliche Fließproduktion. Bei Airbus treffen die kooperativen Transportsysteme ihre Entscheidungen autonom, sie ordnen sich dennoch dem gemeinsamen Produktionsziel unter und tragen ihren Teil zur Lösung der fließenden Fertigung bei. Wenn man mit den kubischen, stets blinkenden orangefarbenen Dingern Airbussteile vollautomatisch Just-in-time in Serie produzieren kann, warum sollte dies dann nicht auch mit Gussteilen möglich sein? „Auf diese Frage haben wir eine passende, eine überzeugende Antwort mit der Smart Foundry gefunden“, erklärt Rainer Kurtz selbstbewusst. Alles passt perfekt zusammen Rainer Kurtz ist stolz auf die Leistung seines Teams. Innovationen, dazu zählt aus seiner Sicht auch die Smart Foundry, sind für ihn Motor des Fort schritts. 12 BDG report 02/15 Wie von Geisterhand getrieben manövrieren die schwebenden Transportsysteme des Herstellers WFT die mächtigen Formkästen zum Abkühlen an ihre vorgesehene Position. Es geht praktisch von A nach B, von dort nach C und dann weiter nach D. Wobei jeder Großbuchstabe für eine mögliche Station, einen zuvor berechneten ausgewählten Platz in der Produktionskette steht. Was so einfach aussieht ist bestens getimt. Alles ist bis ins kleinste Detail berechnet und per SAP-Datenpool gespeichert. Und alles passiert nahezu vollautomatisch! TINA und LENA wissen durch sorgfältige Programmierung, wo es in der fast 3000 Quadratmeter großen Abkühlhalle in den nächsten Minuten langgeht. Sie ecken nirgendwo an. Die Kollisionsgefahr ist gleich Null. Das ist auch wichtig! Denn die mobilen Transporteinheiten können einiges heben. Bis zu 80 Tonnen Nutzlast macht den Systemen nichts aus, schränkt ihre Bewegungsfreiheit nicht ernsthaft ein. Neben TINA und LENA sind mit MARIE und EMMA noch zwei weitere „schwere“ Mädels mit dem Transport von wuchtigen Formkästen an diesem Tag während der Frühschicht beschäftigt. Es blinkt, es surrt und zwischendurch rast eine Kehrmaschine über den fast blank polierten Betonboden. Im Gegensatz zu den mannlosen Transportsystemen wird die nagelneue Kehrmaschine von Menschenhand durch die Hallen gescheucht. Die „starken Vier“ schweben im Schneckentempo zwischen den logistischen Epizentren der Kurtz´schen Gussproduktion, also zwischen Formerei, Gieß-, Auskühl- und Ausleerhalle, hin und her. Einziges Manko: Die vier Hubsysteme sind staub- und schmutzempfindlich. Genau deswegen ist die Kehrmaschine mehr oder weniger regelmäßig im Einsatz,und zieht hektisch ihre Runden. Fließfertigung perfekt getaktet Seit 2007 ist in einer internen Arbeitsgruppe an diesem völlig neuen Materialflusskonzept gearbeitet worden. „Die Zielsetzung war klar vorgegeben: eine getaktete HandformgussFließfertigung auf der Grundlage des in der Automobilindustrie längst bekannten ToyotaPrinzips“, sagt Geschäftsführer Rainer Kurtz. Das Kunststück ist der Kurtz-Truppe gelungen. Aus einem ambitionierten Projekt ist eine echte smarte Gießerei geworden. Kurzer Blick zurück: Am Anfang existierte zunächst nur der nachvollziehbare Wunsch, die abgegossenen Formkästen nach dem Gießen so schnell wie möglich aus der Gießhalle herauszubekommen – um Platz zu schaffen. Kein Stau in der Gießhalle war das oberste Gebot! Mit SAP-gesteuertem Produktionskonzept, parzellierter Produktionsfläche und einem fahrerlosen, universell beweglichen Transportsystem ist dann nach und nach eine flexible Prozesskette konzeptionell gewachsen, in der sich manuelle Fertigungsschritte und das automatisierte Logistiksystem optimal kombinieren lassen. Wie das in der Praxis, in der rauen Umgebung der Gießerei funktioniert, sieht der Besucher in diesem Moment im Hintergrund in der „aufgeräumten“ Abkühlhalle. Langsam und sehr behutsam schiebt sich LENA seitwärts unter eine Transportpalette, auf dem ein ausgekühlter Formkasten zum Abtransport bereit steht. „Die Fahrzeuge wissen immer exakt ihre Position“, klärt uns Graziano Sammati, Geschäftsführer der Kurtz Eisenguss GmbH & Co. KG auf. Sammati, so erzählt er am Rande, habe es gereizt, bei diesem Projekt eingefahrene Pfade zu verlassen, eben Neues zu schaffen. TINA & Co. verfügen über autonomes Wissen, sie entscheiden, gestützt auf Daten der SAP-Programmierung, wo es langgeht. Kommunikationsund Sensortechnologie ermöglichen es, dass sie kollisionsfrei agieren und zu kollektivem Verhalten fähig sind. Alle paar Meter werden die knapp zehn Zentimeter über dem Boden schwebenden Transportsysteme der Firma WFT neu ausgerichtet. Es gibt fest definierte Pacours, also klar vorgegebene Strecken, von denen die vier fahrerlosen Transportsysteme nicht abwei- chen. Diese Pacours enden immer an bestimmten Punkten, die nummeriert sind, ein ausgefeiltes System, das sich als sogenannte Fahrkursübersicht auf dem zentralen Leitrechner darstellen lässt. Dank generalstabsmäßiger Planung durch das Kurtz Ersa-Projektteam „Smart Foundry“, dazu zählten auch Experten aus der konzerneigenen IT-Abteilung, konnte eine der weltweit modernsten Handformgießereien ein Jahr und einen Monat nach dem ersten Spatenstich Anfang März dieses Jahres in Betrieb gehen. Seit ungefähr acht Jahren ist im Hause Kurtz Ersa intensiv diskutiert worden, wie die Handformgießerei des 21. Jahrhunderts aussehen könnte. Das Hammer Innovation Programm, kurz HIP, beschäftigte sich mit den Zukunftsfragen am Standort in Hasloch. Auf den Punkt gebracht lautet die Arbeitsgrundlage: Maschinenbau hat in Deutschland Zukunft und damit hat auch eine effiziente äußerst flexibel atmende und produzierende Handformgießerei am Industriestandort Deutschland eine gute Perspektive. „Es kommt nur darauf an, die internen Prozesse und Abläufe zukunftsfähig zu organisieren“, weiß Rainer Kurtz. Völlig unaufgeregt Nach dem Füllen der Formkästen übernimmt MARIE den Transport in die Gießhalle. Geschäftsführer Graziano Sammati hat im Leitstand der Smart Foundry alle Teilprozesse genau im Blick. Klar zu erkennen: der „schwebende“ Transport in diesem Fall mit LENA durch das Rolltor, das die Gießhalle von der Abkühl halle trennt. BDG report 02/1513 Titelthema | Report I hat. Gesunder Pragmatismus, der sich an den Bedürfnissen der laufenden Gussproduktion orientiert, ist in Zeiten von Industrie 4.0 schlussendlich auch weiterhin gefragt. Die Steuerung des gesamten Produktionsprozesses läuft über das Herzstück, über das Logistiksystem – ohne Papier! Unmittelbare arbeitsgangbezogene Informationen gibt es weiterhin auf Papier – das ist die aktuelle Trennlinie, die sich in der Smart Foundry in Hasloch derzeit bewährt hat. Die automatisierten Logistikprozesse sind dabei nur ein Schritt in einem übergeordneten Innovationsprozess, der in Richtung Industrie 4.0 weist. Dass unter der Federführung von Graziano Sammati die Smart Foundry Gestalt annehmen konnte, hat auch etwas mit der Innovationstradition und der Vision des kleinen Konzerns Kurtz Ersa zu tun. Im Team will man dort gemeinsam die Zukunft gestalten, und zwar so, dass die Produktivität in der Fertigung nahezu verdoppelt werden konnte und zudem die Qualität der Arbeitsplätze um ein Vielfaches zugenommen hat. Neue Maßstäbe gesetzt Durch die entkoppelten Produktionsprozesse konnte das Klima in den einzelnen Abteilungen spürbar verbessert wer den. plaudert der Kurtz-Chef über den Werdegang der Smart Foundry. Der CEO der Kurtz Holding ist mit dem Ergebnis zufrieden. „Alles läuft bisher nach Plan“, so sein knapper Kommentar. Man braucht schon etwas mehr als einen Moment, um die gesamte Komplexität und die volle Dimension des Projektes Smart Foundry zu durchdringen. Doch die Beschäftigung mit den ausgeklügelten Details, die das HIP-Team in die Praxis umgesetzt hat, lohnt sich. Wie ein Puzzle fügt sich ein Teil zum anderen. Die enge Verzahnung der Teilprozesse ist ein Schlüssel zum Erfolg der gesamten Smart Foundry. Halten wir fest: Es geht um eine effektive Verkopplung von SAP-System, ausgefeilter Transportlogistik, Schmelzbetrieb und den übrigen angedockten Produktionsabläufen wie kontrolliertes Ausleeren der Formkästen, Rohgussnachbearbeitung bis hin zum Versand der Gussteile. Die Formulierung „alles aus einem Guss“ gewinnt mit der neuen Kurtz-Eisengießerei eine neue Qualität und Bedeutung. Nichts läuft ohne Software Ganz ohne Begleitpapiere läuft die Gussproduktion in Hasloch noch nicht. Man wird sehen, wie es in einigen Jahren aussieht. 14 BDG report 02/15 Über einen zentralen Leitstand, der den kompletten Produktionsprozess einschließlich sämtlicher Prozessbestandteile abbildet, wird die Smart Foundry gesteuert und kontrolliert. „Wir haben durch die Kombination der Einzel- elemente eine extrem flexible Prozesskette erhalten, in der manuelle Fertigungsschritte wie das Füllen der Formkästen mit einem automatisierten Logistiksystem optimal kombiniert werden können“, erklärt Geschäftsführer Sammati. Der Leitstand ist mit acht Monitoren bestückt, jeder einzelne liefert kontinuierlich Prozessdaten, die optimale Durchlaufzeiten ermöglichen. Links oben auf dem Monitor ist die Visualisierung der einzelnen Plätze des fahrerlos gesteuerten Transportsystems erkennbar. Auf dem dritten Monitor in der oberen Reihe erfährt Geschäftsführer Sammati auf einen Blick, wie der Zustand der Schmelzöfen ist und wie es um das Feuerfestmaterial bestellt ist. Auch die einzelnen Arbeitsaufträge werden elektronisch an die Fertigung übermittelt. „Noch sind wir nicht ganz weg vom Papier gekommen. Auftragsbezogen am Arbeitsplatz wird es auch mittelfristig noch Begleitpapiere geben“, ist sich Sammati sicher. Die Frage, welche Kernstütze der Mitarbeiter verwenden soll, wird also in absehbarer Zeit noch klassisch mit Begleitpapieren und Zetteln geregelt. „Kann sein, dass irgendwann mal jeder in der Produktion mit einem iPad herumläuft“, orakelt Sammati. Aktuell sei man davon jedenfalls noch weit entfernt. Fakt ist: In der augenblicklichen Ausbauphase der Smart Foundry gibt es eine klare Trennung, die sich bisher auch bezahlt gemacht So ganz nebenbei setzt die erste Ausbaustufe der „Gießerei 4.0 made by Kurtz Ersa“ noch neue Maßstäbe in Sachen Arbeitsschutz. Beispiel: die neue Gießhalle. Dort, wo heute in schöner Regelmäßigkeit tonnenschwere Maschinenbauteile wie Maschinenbetten oder Pumpengehäuse abgegossen werden, befand sich früher die Altsandaufbereitung. Heute ist die Gießhalle durch Rolltore vom Schmelzbetrieb und von der Auskühlhalle getrennt. Die Entkoppelung der einzelnen Arbeitsbereiche hat sich positiv auf die Betriebsabläufe ausgewirkt. Gleichzeitig ist modernste Absaugtechnik in der Gießhalle verbaut worden. „Dadurch hat sich das Arbeitsklima in der Gießhalle spürbar verbessert“, weiß Rainer Kurtz. Unterm Strich zählt für die 120 Mitarbeiter in Hasloch nur das Ergebnis, und das lautet: Die Gesundheitsbelastung für den Einzelnen ist erheblich reduziert worden, die Emissionsbelastungen konnten drastisch gesenkt werden, Hitze und räumliche Enge gehören im weitesten Sinne der Vergangenheit an. Durch die intelligente Steuerung und Taktung der Gussproduktion werden Schmelzen in höchster Qualität termingerecht zur Verfügung gestellt. Ob Formerei, Gießhalle, Auskühlbereich oder Auspackhalle: Alle Teilsegmente sind als separate entkoppelte Produktionseinheiten organisiert. Wie das in der Praxis funktioniert, sieht man gerade im hinteren Teil der Abkühlhalle. LENA schiebt sich vorne links unter ein I N F O : Der Kurtz Ersa-Konzern ist ein Traditionsunter nehmen in Familienbesitz. 1779 als Hammerschmiede in Hasloch gegründet und 1852 um eine Eisengießerei erwei tert, hat sich das Unternehmen im Lauf von über 235 Jah ren zu einem international agierenden Hightech- und Zulieferkonzern entwickelt. Das Produkt- und Leistungs spektrum umfasst die Business-Segmente „Electronics Production Equipment“, „Metal Components“ und „Moul ding Machines“. Mit der Marke Ersa aus Wertheim bietet das Unterneh men Komplettlösungen für die Elektronikfertigung und das weltweit umfassendste Leistungsspektrum an Schablonendruckern, Lötmaschinen, Handlötwerkzeugen und Reworksystemen unter einem Firmendach. Unter der Marke Kurtz baut und vermarktet die Kurtz GmbH erfolg reich Maschinen zur Verarbeitung von Partikelschäumen und Gießereimaschinen. Mit der SMART FOUNDRY betreibt die Kurtz Eisenguss GmbH & Co. KG die wohl weltweit modernste Handformgießerei, in der im Kundenauftrag Gussteile aus Eisen gefertigt werden – in erstklassiger Qualität und mit überzeugender Lieferperformance. Das Angebot wird komplettiert durch die MBW Metallbearbei tung Wertheim GmbH, die anspruchsvolle Blechbaugrup pen an zwei Standorten fertigt. Der Kurtz Ersa-Konzern beschäftigt weltweit rund 1150 Mitarbeiter und hat 2014 einen Umsatz von 203 Mio. Euro erzielt. Das Unternehmen ist dort tätig, wo in den wesent lichen Wertschöpfungsketten im Drittvergleich Topleistungen erbracht werden können. Daher ist man in vielen Bereichen Technologie- bzw. Weltmarktführer. Weitere Informationen: www.kurtzersa.de www.smart-foundry.de Transportgestell, das Rolltor zwischen Abkühlund Auspackhalle ist geschlossen. Dahinter wird das Gussteil vom Restsand befreit. Sämtliche dynamischen Vorgänge, die über das mannlose Transportsystem abgewickelt werden, unterliegen der Feinsteuerung des Logistiksystems. „Wir können mit Fug und Recht behaupten, dass wir ein vernetztes System im Sinne von Industrie 4.0 geschaffen haben“, sagt Rainer Kurtz. Im selben Moment ist TINA schon wieder weitergefahren, dreht sich, bringt sich erneut in BDG report 02/1515 Titelthema | Report I „DIE SMART FOUNDRY ERMÖGLICHT EINE FLEXIBLE PROZESSKETTE, IN DER MANUELLE FERTIGUNGSSCHRITTE UND AUTOMATISIERTES LOGISTIKSYSTEM OPTIMAL KOMBINIERBAR SIND.“ „Wenn wir investieren, dann müssen wir die modernste Handformerei der Welt werden!“ Rainer Kurtz, Vorsitzender der Geschäftsführung der Kurtz Holding GmbH & Co. KG, Kreuzwertheim, im Gespräch mit dem BDG report. Im Bild klar zu erkennen: die Interaktion zwischen Mensch und Maschine funktioniert reibungslos. In der Ausleerhalle sind im Zuge der Planung der Smart Foundry mit einer optimierten Sandgenerie rung neue Maßstäbe gesetzt worden. Position und schwebt wie ein Hovercraft-Vehikel an das andere Ende der Halle, während gleichzeitig EMMA zwei Formkästen aus der Formerei abholt und in Richtung Gießhalle dahinsurrt. It‘s a kind of magic, frei nach dem Songtext von Queen, könnte man an Magie glauben, wenn man es nicht besser wüsste. TINAs Fracht wird zum Abkühlen abgestellt, und ab diesem Zeitpunkt beginnt die in SAP eingestellte, programmierte Abkühlzeit zu laufen. Man könnte auch sagen, im gesamten fließenden Prozess ticken die digitalen Uhren eben anders als in einer herkömmlichen, vergleichbaren Handformgießerei. Erst dann, wenn die 16 BDG report 02/15 vorgegebene Abkühlzeit abgelaufen ist, erst dann und nicht vorher, übergibt das SAPgesteuerte System einen Befehl an das fahrerlose Logistiksystem zur Übernahme des abgekühlten Formkastens und zur Weiterfahrt Richtung Auspackhalle. Kann sein, dass dann EMMA oder MARIE oder LENA und nicht unbedingt TINA den Weitertransport übernehmen. Das spielt im Ergebnis aber überhaupt keine Rolle, denn letztlich sagt das Gussteil dem Mann am Leitstand, wo es steckt und in welchem Zustand es sich befindet. Gießerei-Industrie 4.0 heißt für Kurtz Ersa, man setzt noch stärker als bisher auf den Dienstleistungsgedanken in der Wertschöpfungskette seiner Kunden. Damit ist letztlich auch eine getaktete durchgängige Gussproduktion über SAP R3 verbunden, die über das innerbetriebliche schienenlose Transportsystem abgewickelt wird. „Wir bringen so die Arbeit zum richtigen Zeitpunkt an den richtigen Arbeitsplatz“, erklärt Graziano Sammati, und wirft noch einmal einen letzten prüfenden Blick auf die Monitore des Leitstandes. Sammati ist zufrieden, die Systeme laufen – störungsfrei und reibungslos! Wie ist es überhaupt zu diesem Projekt Smart Foundry gekommen? Wir hatten am Anfang nicht unbedingt vor, ein Projekt Smart Foundry oder Industrie 4.0 zu machen. An diesem Standort in Eisenhammer betreiben wir seit 1852 eine Eisengießerei. Wir mussten vor ein paar Jahren eine grundsätzliche Entscheidung treffen, was wir mit der Gießerei in Zukunft machen werden. Es gab drei Möglichkeiten: Wir hätten die Gießerei verkaufen können, wir hätten sie zumachen können oder wir investieren und machen sie fit für die Zukunft. Wir haben alle drei Alternativen durchgespielt, denn wir standen in der Tat vor der Alternative dichtmachen oder kräftig investieren. einen nahezu idealen Materialfluss realisieren konnten, ist das wichtigste Ergebnis der Umsetzung unserer Pläne. Wir haben physisch etwas geschaffen, was wir auf der grünen Wiese auch nicht besser hätten schaffen können – unter Nutzung möglichst vieler bestehender Gebäude und Einrichtungen. Als speziell smart bezeichne ich, dass wir die Fertigungsfläche konsequent segmentiert haben. Im Ergebnis haben wir ganz klar die Arbeit zu den Mitarbeitern gebracht. Es gibt ja im Handformguss Tätigkeiten, da braucht es gute und sehr gut ausgebildete Fachkräfte. Die Fähigkeit der Menschen kombiniert mit der Just-in-time-Philosophie der Smart Foundry, also die Arbeit dort hinzubringen, wo sie sofort stattfinden und erledigt werden kann, das ist ohne Zweifel smart. Nach getaner Arbeit wird der Job, zum Beispiel die abgegossene Form, abgeholt und der nächste Job, der ansteht, wird quasi automatisch dort wieder hingebracht. Das würde ich ebenfalls als besonders smart bezeichnen. Warum haben Sie sich entschieden, zu investieren? Aus Traditionsgründen haben wir die Entscheidung getroffen, ein Investitionsvorhaben in zweistelliger Millionenhöhe aus der Taufe zu heben. Wir haben uns auch unseren Mitarbeitern gegenüber verpflichtet gefühlt, den Standort Hasloch zu retten, zu erhalten. Sie wissen selber, Gussproduktion ist ein schwieriges Geschäft am Industriestandort Deutschland. Hohe Löhne, hohe Energiekosten und dann auch noch personalintensiver Handformguss. Nach reiflicher Überlegung haben wir gesagt, wenn wir investieren, dann müssen wir die modernste Handformerei der Welt werden. Das Ziel war von allen Beteiligten klar definiert worden. Und daraus ergab sich zwangsläufig, dass wir uns mit dem Thema Industrie 4.0 beschäftigt haben. Das Ergebnis kann sich heute sehen lassen. Hasloch entwickelt sich zum deutschen Mekka der Handformgießer. Wer sich mit dem Thema Gießerei-Industrie 4.0 beschäftigt, der pilgert nach Hasloch. Was ist so besonders smart an dieser Gießerei? Das Smarte ist sicher das spezielle Layout der Fabrik. Wir haben eine bestehende Gießerei mehr oder weniger systematisch entkernt. Und gleichzeitig haben wir versucht, möglichst viel von dem alten Bestand zu belassen, um die Investitionskosten im Rahmen zu halten. Dass wir aber trotzdem Auf den Punkt gebracht: Was unterscheidet die Smart Foundry von anderen Handformgießereien aus Ihrer Sicht? In herkömmlichen Handformgießereien hat man im Regelfall viele Tätigkeiten, die mit Kranen erledigt werden. Und diese Krane kommen sich dann häufig ins Gehege, wenn man von A nach B will. Wenn man dazwischen eine krangebundene Tätigkeit hat, dann entstehen Wartezeiten, die unnötig, unproduktiv und nicht wertschöpfend sind. Der Medienrummel rund um das Projekt Smart Foundry hat sich ein wenig gelegt. Wie sieht Ihre Zwischenbilanz aus? Es ist ruhiger geworden. Aber viele Gießerkollegen wollen sich unsere Produktion live ansehen. Unterm Strich haben wir mit unserem Projekt Smart Foundry einen Beitrag dazu leisten können, dass in der Gießereibranche nun auch über das Thema Industrie 4.0 intensiver diskutiert wird. Die anderen Unternehmen bekommen nun einen Eindruck davon, wie Gießerei-Industrie 4.0 in der Praxis, in unserer deutschen Gießereibranche aussehen könnte. BDG report 02/1517
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