«Gebäude interagieren zunehmend mit dem

Zum NewsLetter vom 13. Mai 2015
Interview mit Prof. Matthias Sulzer
Dozent Gebäudetechnik, Hochschule Luzern - Technik & Architektur
Deputy Head SCCER "Future Energy Efficient Buildings & Districts"
«Gebäude interagieren zunehmend mit dem
Energieversorgungsnetz»
SCCER heisst: Swiss Competence Center for Energy
Research. Das SCCER "Future Energy Efficient Buildings &
Districts" (SCCER FEEB&D) bündelt in der Schweiz
Forschungskompetenz, die sich auf energieeffiziente
Gebäude und Quartiere konzentriert. SCCER FEEB&D-Projekte
befassen sich mit Baumaterialien, dem Energiemanagement
in Gebäuden, mit dezentralisierten Energie-systemen und
den sozio-ökonomischen Zusammenhängen, die sich aus den
Veränderungen im Energiebereich ergeben. Als Gebäudetechnik-Ingenieur hat Prof.
Sulzer in Schaffhausen ein vernetztes Plusenergie-Gebäude realisiert.
Was sind die Hauptaufgaben und Ziele des SCCER FEEB&D?
Die vom Bund zur Realisierung der Energiestrategie 2050 initiierten 8 SCCERs sollen in den
Bereichen Effizienz, Speicher, Industrieprozesse, Mobilität, Stromnetz, Stromversorgung,
Biomasse und Gesellschaft die Energieforschung wirkungsvoll beschleunigen. Dabei werden
neue Ideen für eine sichere, wirtschaftliche und umweltverträgliche Energieversorgung
entwickelt. Das SCCER FEEB&D forscht für die Erneuerung des Gebäudeparks. Zukünftig
sollen Gebäude und deren Quartiere effizient, intelligent und vernetzt sein, damit sich deren
Endenergiebedarf bis ins Jahr 2035 um die Hälfte reduziert.
Seit wann und in welchen Funktionen beteiligen Sie sich an diesem Competence
Center?
Das SCCER FEEB&D ist im Juni 2014 gestartet. Seither bin ich Deputy Head, Dr. Peter
Richner, Vizedirektor der Empa, ist Head. Innert rund 10 Monaten haben wir es geschafft,
ein junges, hungriges und gut funktionierendes Team mit 70 Forschenden aus Empa, ETH,
EFPL, Uni Genf, FHNW und der Hochschule Luzern aufzubauen. Gemeinsam leiten Dr.
Richner und ich dieses Team.
Welches sind die Highlights, die sie bisher an dieser Forschungsstätte erlebt haben?
Die Entwicklung einer breit abgestützten Roadmap mit allen 70 Forschenden und den
Industriepartnern bedeutete eine echte Herausforderung. Der Prozess mit Workshops war
lehrreich, aber vor allem das Resultat beeindruckte mich, nämlich die Art, in der Synergien
zwischen einzelnen Forschungstätigkeiten entstanden sind. Eine öffentliche Kurz-Version
der Roadmap kann auf http://www.sccer-feebd.ch/roadmap/ heruntergeladen werden. Ein
anderes Highlight war der Aufbau und die Inbetriebnahme des Laborprüfstandes für
vermaschte thermische Wärmeverbunde im Gebäudetechnik-Labor der Hochschule Luzern.
Mit diesem Prüfstand können wir in Laborgrösse ein vereinfachtes Quartier und deren
Wärmebezüger simulieren. Dies erlaubt uns, neue Netztypologien für die thermische
Vernetzung zu entwickeln.
Neben Ihrer Forschungs- und Lehrtätigkeit sind Sie auch Partner der Inretis Holding
AG, die im Gebäudetechnikbereich aktiv ist. Welche Bezüge zwischen Forschung und
Praxis können Sie in dieser Doppelfunktion beobachten?
Die Fachhochschulen nehmen als Brücke zwischen Forschung und Praxis eine wichtige
Rolle ein. Diesen Brückenschlag vollbringt die angewandte Forschung, welche wir an den
FHs durchführen. Sie muss immer einen hohen Praxisbezug herstellen oder involviert, was
noch besser ist, einen innovativen Industriepartner. Mit meinem Netzwerk als Unternehmer
einerseits und dem Netzwerk als Forscher kann ich zusammen mit meinem Team
spannende Projekte initiieren und realisieren. Dies bereitet mir ausserordentliche Freude!
Nehmen Sie in der Gebäudetechnikbranche im Zusammenhang mit der
Energiestrategie 2050 eine Änderung im Berufsverständnis wahr?
Ja, die Anforderungen aber auch die Verantwortung gegenüber einer sicheren,
wirtschaftlichen und umweltverträglichen Energieversorgung steigen. Dies bietet neue und
attraktive Chancen für unsere Branche. Früher haben wir uns damit begnügt, dass der
gewünschte Komfort in den Räumen erreicht wird. Heute muss dieser Komfort nach wie vor
eingehalten oder gar gesteigert werden. Die realisierten Lösungen haben aber zusätzliche
Anforderungen bei der Energiebereitstellung, -speicherung und -verteilung zu erfüllen.
Immer wichtiger wird im Zusammenhang mit dem Effizienzgedanken und der
Energieproduktion die Steuerung der Energieströme. Das Überwachen ist schon fast
so wichtig wie das „Machen“. Erleben wir die Geburt einer neuen Berufsgruppe?
Die Berufsgruppe der Gebäudeautomation gibt es schon längere Zeit. Jedoch stellen wir fest,
dass sich deren Aufgabenbereich erweitert. Die Gebäudeautomation wird zukünftig nicht
nur einen effizienten Betrieb der gebäudeeigenen Anlagen sicherstellen, sondern auch das
Gebäude nach verschiedenen, externen Einflussgrössen steuern und regeln, beispielsweise
nach Energiemarktprognosen oder Systemdienstleistungen. Das Gebäude wird netzdienlich.
Es interagiert zunehmend mit dem Energieversorgungsnetz, einmal ist es EnergieProduzent, einmal ist es Verbraucher und dann wieder Speicher.
Welche Rolle spielt das Plusenergie-Gebäude in Ihrer Forschung?
Plusenergiegebäude mit einer positiven Jahresenergiebilanz sind ein spannender Ansatz.
Allerdings lösen sie das Problem der Leistungsspitzen und der Saisonalität noch nicht.
Zudem lässt sich das Plusenergiegebäude zwar technisch realisieren, ist aber vermutlich
nicht in allen Fällen die ökonomisch interessanteste Lösung. Deshalb lohnt es sich, die
Energieversorgung auf Stufe Areal oder Quartier zu betrachten und innerhalb dieser
Systemgrenze die Plusenergiebilanz oder einen hohen Selbstversorgungsgrad
anzustreben. So können Synergien zwischen einzelnen Gebäuden genutzt werden und die
Wirtschaftlichkeit lässt sich verbessern. Die Erarbeitung solcher Lösungsansätze ist eine
zentrale Forschungsaufgabe des SCCER FEEB&D.
Der SIA hat jüngst ein Merkblatt zum Gebäude-Energieausweis in die
Vernehmlassung geschickt, in welchem auch das Plusenergie-Gebäude erwähnt ist.
Wie stellen Sie sich dazu?
Normen und Richtlinien sind wichtig, um die Regeln der Baukunde sowie den Stand der
Technik festzuhalten. Dies bringt einerseits Sicherheit für die Branche, wenn es darum
geht, energieeffiziente, funktionierende Konzepte umzusetzen. Andererseits können dank
solchen Richtlinien diese Konzepte das Image ablegen, nach welchem sie immer noch in
der Pilot- und Demonstrationsphase stecken. Dies schafft Raum für neue Projekte, wie
etwa netzdienliche Gebäude und dezentrale Energiesysteme.
Die Energiewende 2050 ist ein politisches Projekt, dass in den vergangenen Monaten
verstärkt Kritik ausgesetzt war. Hat das einen Einfluss auf die Forschungstätigkeit?
Ja und nein. Ja darum, weil unsere Forschungstätigkeit vom Bund mitfinanziert wird. Nein,
weil die Energiewende nicht durch die Politik entschieden wird, sondern durch markt- und
gesellschaftliche Kräfte. Die Energiewende kommt, bzw. ist schon lange im Gang, ob dies
nun unsere Politiker wollen oder nicht. Wichtig scheint mir, dass sich die Politiker dem
bewusst sind und das Heft bzw. die Mittel der Lenkung der Energiewende nicht aus der
Hand geben. Ein aktives Mitgestalten der Energiewende wird mehr Wertschöpfung in der
Schweiz sicherstellen, als wenn alle einfach tatenlos zusehen wie sich die
Energiewirtschaft europa- und weltweit neu formiert.
Kontakt:
Hochschule Luzern - Technik & Architektur
Zentrum für Integrale Gebäudetechnik
Technikumstrasse 21
6048 Horw
Tel. +41 41 349 39 93
E-Mail [email protected]