Stuttgarter Kinderzeitung vom 18. März 2016

Der Fall Anja Aichele: über diesen
Mord haben Christine Bilger und
Wolf­Dieter Obst schon oft geschrieben.
Er ist bis heute nicht aufgeklärt.
„Mörder werden
fast immer gefasst“
Christine Bilger (von links), Kinderze
itungsredakteur
Markus Brinkmann und Wolf­Dieter
Obst beim
Gespräch mit den Kindern der 5k
des FSG Marbach.
Während der Kinderkrimiwochen hat eine Schulklasse im Stuttgarter Pressehaus die
Polizeireporter Christine Bilger und Wolf­Dieter Obst interviewt.
Jule: Wie lange dauerte euer längster Fall?
Christine Bilger: Es gibt Fälle, die bis heute nicht aufge­
klärt wurden. Zum Beispiel ein Mordfall aus dem Jahr 1987.
Eine 17­Jährige wurde damals umgebracht. Sie war auf dem
Heimweg von einem Konfirmationstreffen.
Wolf-Dieter Obst: Ich habe kurz nach diesem Mordfall als
Polizeireporter angefangen und mittlerweile schon oft über
diesen Fall geschrieben.
Christine Bilger: Ich arbeite noch nicht so lange als Poli­
zeireporterin, aber ich habe auch schon drei Mal über die­
sen Fall geschrieben. Das liegt daran, dass Mord nicht ver­
jährt. Wenn jemand etwas klaut und dabei nicht erwischt
wird, dann hört die Polizei irgendwann auf, nach ihm zu su­
chen. Bei Mord ist das nicht so. Vielleicht habt ihr schon mal
von DNA­Spuren gehört. Das ist der Bauplan des Menschen
– und er ist einzigartig. Früher konnte man diese Spuren
noch nicht auswerten. Heute dagegen schon. Deshalb hat
man vor ein paar Jahren alle Männer, die damals in der Nähe
des Mordfalls gewohnt haben, zum DNA­Test gebeten.
Aber auch dabei ist nichts herausgekommen.
Wolf-Dieter Obst: Der Mann von der Kriminalpolizei, der
die Ermittlungen damals geleitet hat, ist mittlerweile längst
im Ruhestand. Er hat mir mal erzählt, dass es noch immer
Männer gibt, die noch nicht beim DNA­Test waren. Aber
solche Fälle haben wir nicht so oft.
Jule: Konntet ihr der Polizei schon
mal helfen?
Christine Bilger: Vielleicht nicht der Polizei,
aber anderen Menschen auf jeden Fall. Bei mir hat
mal eine Frau angerufen. Ihr Mann war in Stuttgart
und konnte sein Auto nicht mehr finden. Da hat er
sich kurzerhand ein Taxi genommen und hat sich nach
Hannover fahren lassen, wo er wohnte. Die Frau bat mich
bei der Suche nach dem Auto um Hilfe. Ich habe dann einen
Artikel darüber geschrieben – und am nächsten Tag meldete
sich ein Mann, der das Auto gefunden hatte.
Abdullah: Welches war euer leichtester Fall?
Christine Bilger: So etwas wie heute Morgen zum Bei­
spiel. Wir haben nämlich schon einen Anruf von der Polizei
bekommen. Heute Nacht wurde eine ältere Frau ermordet.
Aber die Polizei hat den Täter direkt geschnappt.
Abdullah: Warum hat er die Frau denn ermordet?
Wolf-Dieter Obst: Das Warum steht ganz am Ende der
Fragekette. Manchmal entpuppt sich ein einfacher Fall als
sehr knifflig. Ich habe mal über einen Brand berichtet. Es
hieß, die Kabel seien alt gewesen. Doch die Brandexperten
stellten fest, dass dort, wo der Brand ausgebrochen war, gar
keine Kabel lagen. Am Ende kam heraus, dass die Bewohne­
rin mit einer Zigarette in der Hand eingeschlafen war.
Leonie: Was war euer schwierigster Fall?
Christine Bilger: Am schwierigsten ist es, wenn die Poli­
zei selbst noch nichts weiß und wir niemanden fragen kön­
nen. Es gab mal einen Fall, da hat ein Mann eine Hand in die
Tür einer S­Bahn bekommen. Die Bahn ist losgefahren und
hat den Mann mitgeschleift. Niemand kannte ihn und nie­
mand hatte gesehen, was genau passiert ist.
Wolf-Dieter Obst: Es stellte sich die Frage, wie das pas­
sieren konnte. War die Tür defekt? Eigentlich sollte die Tür
direkt wieder aufgehen, wenn eine Hand dazwischen ist. Bei
Tests machte sie das auch. Was also war genau passiert?
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Markus Brinkmann (Text), Lichtgut/Leif Piechkowski (Fotos)
Jane: Wie viele Fälle habt ihr schon aufgeklärt?
Wolf-Dieter Obst: Wir lassen ja aufklären, denn die Er­
mittlungen führt die Polizei. Und der wollen wir nicht ins
Handwerk pfuschen. Die Polizei weiß viel mehr über die Fäl­
le. Oft mehr, als sie uns Journalisten erzählt, weil sie den Tä­
ter nicht warnen will. Ungeklärte Fälle gibt es gar nicht so
viele. Mordfälle werden eigentlich fast immer aufgeklärt.
Wohnungseinbrüche oder Diebstähle werden dagegen eher
selten aufgeklärt.
Fabian: Was war denn euer brutalster Fall?
Christine Bilger: Im vergangenen Jahr wurde auf einem
Friedhof in Stuttgart ein Mädchen erschlagen. Das war
schon sehr brutal.
Wolf-Dieter Obst: Mein brutalster Fall war der Beton­
mord. Dabei hat eine junge Frau ihren 19­jährigen Freund vor
die Haustür gelockt. Dort wurde er von zwei Tätern erschla­
gen. Um die Leiche loszuwerden, haben die Täter sie in Blu­
mentöpfe einbetoniert.
Christine: Über wie viele Fälle schreibt ihr denn so?
Christine Bilger: Zur Vorbereitung auf das Gespräch
mit euch, habe ich mal in meinem Archiv nachgeschaut. Da
komme ich auf 250 Geschichten im Jahr. Das hat nicht alles
mit der Polizei zu tun, aber irgendwas passiert immer.
Fabian: Warum haben sie das gemacht?
Wolf-Dieter Obst: Das weiß niemand so genau. Vor Ge­
richt haben die Täter darauf keine Antwort gegeben.
Tim: Habt ihr auch Waffen?
Wolf-Dieter Obst: Nein, und ich würde sie auch nicht
nutzen.
Christine Bilger: Ich habe auch keine Waffe. Und selbst
die Polizei schießt sehr selten. Ich habe mich mal mit einem
Polizisten unterhalten. Er meinte, es sei sein Ziel, kein einzi­
ges Mal schießen zu müssen, bis er in den Ruhestand
geht. Das lernen die Beamten so auch in der Ausbil­
dung. Schießen ist für Polizisten die allerletzte Mög­
lichkeit, denn das Leben eines Menschen ist kostbar
– auch wenn es sich um einen Verbrecher handelt.
Christine Bilger...
Während des Gesprächs mit den Polizeireportern
hat unser Grafiker Alexander Schulz den Kindern
eine Tasche geklaut. Die „Täterbeschreibung“ der
Schüler kommt dem Original sehr nah.
...ist 43 Jahre alt und arbeitet seit zehn
Jahren für die „Stuttgarter Zeitung“, seit fünf
Jahren als Polizeireporterin. Mit den Kinder­
zeitungslesern, die zu Gast im Pressehaus
waren, teilt sie bis heute die Begeisterung für
die Drei­Fragezeichen­Hörspiele.
Wolf-Dieter Obst...
...ist 52 Jahre alt und schreibt seit 28 Jahren
für die „Stuttgarter Nachrichten“ als Polizeire­
porter. Er hat zwei Kinder, die mit der Schule
fertig sind, beide haben das Abitur geschafft.
Außerdem hat er einen Patenjungen, der gera­
de in der fünften Klasse ist.
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