Sebastian Priwitzer (Gedenkstätte Grafeneck) - Diakonie Kork 23.10.2015 Vortrag in einfacher Sprache: Was geschah in Grafeneck im Jahr 1940? - Ein Thema für Menschen mit Behinderungen Begrüßung Hallo. Mein Name ist Sebastian Priwitzer. Ich arbeite an der Gedenk-Stätte Grafeneck. In einem Projekt, das heißt: Barriere-freie Gedenk-Stätte In dem Projekt möchten wir: Menschen mit Behinderungen unsere Gedenk-Stätte zeigen Und erzählen, was in Grafeneck passiert ist. Grafeneck Grafeneck liegt auf der Schwäbischen Alb. In Grafeneck gibt es ein Schloss. Die württembergischen Herzöge haben dort Urlaub gemacht. Heute ist dort ein Wohn-Heim. Von der Samariter-Stiftung. 80 Menschen wohnen in dem Wohn-Heim. Heute gibt es auch eine Gedenk-Stätte in Grafeneck. Warum gibt es in Grafeneck eine Gedenk-Stätte? In Grafeneck sind vor 75 Jahren mehr als 10 000 Menschen ermordet worden. Sie wurden in einer Gas-Kammer ermordet. Die Leichen wurden verbrannt. Die Gas-Kammer war in einem alten Schuppen eingebaut. Den Schuppen gibt es heute nicht mehr. 75 Jahre 75 Jahre sind eine lange Zeit. Manche Menschen sind 75 Jahre alt. Oder älter. Nur diese Menschen wissen, wie lange 75 Jahre wirklich sind. Täter und Opfer Die Menschen, die in Grafeneck ermordet wurden, nennen wir Opfer. Sie haben zu dieser Zeit in Wohn-Heimen oder Psychiatrien gewohnt. Die Menschen, die die Opfer ermordet haben, nennen wir Täter. Die Täter waren zum Beispiel: Ärzte Kranken-Pfleger Kranken-Schwestern Polizisten Busfahrer Sie haben zu dieser Zeit in Grafeneck gewohnt. Es gab nicht nur Täter in Grafeneck. Sondern auch in Stuttgart, in Karlsruhe und in Berlin. Die Nazi-Zeit Vor 75 Jahren haben die Nazis Deutschland regiert. Die Nazis nannten sich selbst National-Sozialisten. Ihre Partei hieß: NSDAP Alle anderen Parteien haben Sie verboten. Der bekannteste Nazi war Adolf Hitler. Die Nazis konnten damals bestimmen, was in Deutschland gemacht wurde. Sehr viele Menschen haben die Nazis unterstützt Die Nazis sind vor allem für zwei Dinge bekannt geworden: 1. Sie haben einen Krieg angefangen. Den 2. Welt-Krieg. Das war der größte Krieg, den es jemals gegeben hat. Sehr, sehr viele Menschen sind in diesem Krieg gestorben. 2. Und sie haben sehr, sehr viele Menschen verfolgt, gequält und ermordet. Zum Beispiel diese Menschen: Juden Sinti und Roma politische Gegner Homosexuelle Menschen mit Behinderungen Warum haben die Nazis Menschen mit Behinderungen ermordet? Die Nazis haben gesagt: Menschen müssen für uns nützlich sein. Die Menschen sollen: viel arbeiten in den Krieg gehen Steuern zahlen Oder: Kinder kriegen Viele Menschen mit Behinderung konnten das nicht. Die Nazis haben gedacht: Wer das nicht kann, der ist nicht nützlich für uns. Und: der hat auch keine Freude am Leben. Das Leben dieser Menschen ist nicht lebenswert. Es ist besser, wenn wir diese Menschen ermorden. Die Diakonie Kork Das ist eine Land-Karte von Baden-Württemberg. Auf der Karte gibt es viele schwarze und graue Punkte. An diesen Orten waren vor 75 Jahren Einrichtungen. Einer dieser Punkte ist die Diakonie Kork Die Einrichtungen waren Wohn-Heime. So wie zum Beispiel hier in Kork Oder Psychiatrien. So wie zum Beispiel in Emmendingen. Die Täter sind in diese Einrichtungen gefahren. Sie haben viele Bewohner abgeholt. Und in Grafeneck ermordet. Die Geschichte von einem Opfer: Lydia Pfeifer Aus Kork haben die Täter 113 Bewohner abgeholt. Zum Beispiel Lydia Pfeifer. Leider weiß ich nur wenig über sie. Ich weiß, dass sie gerne Harmonium gespielt hat. Dass sie oft sonntags bei einer Familie im Ort Kaffee trinken war. Und dass sie eine Familie hatte, die sich sehr um sie gesorgt hat. Lydia Pfeifer hatte auch epileptische Anfälle. Deshalb hat sie vor 75 Jahren in Kork gewohnt. Die Täter haben Melde-Bogen nach Kork geschickt. Sie haben einen Brief dazu geschrieben: Ein Arzt soll diese Meldebogen ausfüllen. Es ist wichtig wegen dem Krieg. Aber: Das war gelogen. Der Arzt in Kork hat den Melde-Bogen ausgefüllt. Und nach Berlin geschickt. Ein Täter-Arzt in Berlin hat sich den Meldebogen durchgelesen. Und dann entschieden: Lydia Pfeifer soll sterben. Eine Frage auf dem Melde-Bogen war: Was kann Lydia Pfeifer arbeiten? Die Frage war für die Täter am wichtigsten. Die Täter wollten die Menschen ermorden, die nicht arbeiten konnten. Lydia Pfeifer konnte arbeiten. Aber: Für die Täter war das zu wenig Wegen dem Krieg mussten alle Bewohner aus Kork weg-ziehen: Nach Stetten im Remstal. Dort haben die Täter Lydia Pfeifer mit Bussen abgeholt. Und am 23. Mai 1940 in Grafeneck ermordet. Lydia Pfeifer war 45 Jahre alt. Ihre Familie hat danach einen Brief bekommen. In dem Brief stand: Lydia Pfeifer ist an einer Krankheit gestorben. Aber: Das war gelogen. Ihre Familie hat den Tätern nicht geglaubt. Die Schwester wollte herausfinden, was wirklich passiert ist. Die Schwester und ihr Mann haben viele Briefe geschrieben: - An den Heim-Leiter in Kork - An den Bischof in Karlsruhe - An die Täter in Grafeneck - An die Täter im Innen-Ministerium Karlsruhe Die Täter waren sauer. Sie haben die Schwester und ihren Mann bedroht. Und gesagt: Hören Sie auf damit Aber die Schwester und ihr Mann haben weiter gemacht. Sie haben Geschichten von anderen Familien gesammelt. Und aufgeschrieben. So haben sie herausgefunden was in Grafeneck wirklich passiert ist. Heute heißt in Kork eine Straße und ein Haus wie Lydia Pfeifer. Damit wir Lydia Pfeifer und ihre Geschichte nicht vergessen. Schluss Vor 75 Jahren wurden 113 Menschen aus Kork in Grafeneck ermordet. Heute denken wir an diese Menschen. Zum Beispiel an Lydia Pfeifer. Die Täter haben sie ermordet weil sie dachten: Ihr Leben war nicht lebenswert. Aber das hat nicht gestimmt. Denn: Jedes Leben ist lebenswert. Also: Genießen Sie Ihr Leben. Und helfen Sie, damit auch andere ihr Leben genießen können.
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