EU Referendum: Wie wird UK entscheiden und welche Folgen sind

Februar 2016
EU Referendum: Wie wird UK
entscheiden und welche Folgen
sind möglich?
Soll das Vereinigte Königreich Mitglied der Europäischen Union bleiben oder sie verlassen? Diese Frage wird die britische
Öffentlichkeit am 23. Juni dieses Jahres zu beantworten haben.
Mit welchem Ausgang des Referendums AllianzGI rechnet
Den Ausgang einer Volksbefragung in einer traditionsreichen
Demokratie vorherzusagen, ist eine riskante Angelegenheit. So
ausgefeilt Meinungsumfragen auch geworden sind, haben sie
sich doch in den vergangenen Jahren wiederholt als ungeeignet
zur Prognose des Wahlverhaltens erwiesen. So erscheint es nur
im Nachhinein ein naheliegendes Resultat gewesen zu sein, dass
die konservative Partei bei den britischen Parlamentswahlen im
Jahr 2015 eine klare Mehrheit gewonnen hat.
Wir rechnen zwar mit hitzigen Diskussionen im Vorfeld des Referendums. Doch die Briten sind ein pragmatisches Volk und
daher sind wir der Ansicht, dass die Wähler am Ende für den
Verbleib in der EU stimmen werden. Dafür sprechen folgende
Gründe:
Es herrscht kein Fraktionszwang unter den konservativen Parlamentsmitgliedern, doch wird das Votum des Premierministers,
weiter Teile des Kabinetts und der Oppositionsparteien zugunsten der EU-Mitgliedschaft erhebliche Signalwirkung haben (auch
wenn einige wichtige konservative Politiker, beispielsweise Boris
Johnson, sich für einen Ausstieg ausgesprochen haben).
Die Befürworter eines Verbleibs in der EU haben im Rahmen ihrer
Kampagne die Möglichkeit, einige der Mythen zu entzaubern, was
die Ursachen einiger Probleme angeht, mit denen Großbritannien
konfrontiert ist (diese haben weniger mit der EU-Mitgliedschaft zu
tun, als dies allgemein angenommen wird).
Im Unterschied zu der Kampagne zugunsten der Unabhängigkeit Schottlands vor der Abstimmung im Jahr 2014 sind die
Befürworter eines EU-Austritts nicht in der Lage, ein positives
Bild der Situation Großbritanniens außerhalb der Europäischen
Union und seines Verhältnisses zu seinen engsten Nachbarn
und Handelspartner zu zeichnen.
Die EU zu verlassen, würde in mancher Hinsicht einen Schritt
in unbekanntes Gelände bedeuten. Ein erheblicher Teil der
Wähler – einschließlich derer, die den Nutzen der EUMitgliedschaft skeptisch sehen – werden lieber auf Nummer
sicher gehen und von zwei möglichen Übeln das bekannte
wählen. Tatsächlich hat die Kampagne zugunsten eines Verbleibs in der EU das gegenteilige Votum bereits als „Sprung ins
Ungewisse“ gebrandmarkt.
Wir sehen aber durchaus, dass es auch gegenläufige Strömungen gibt und dass eine gewisse Wahrscheinlichkeit für „Unfälle“
besteht:
Die Unterstützer eines Verbleibs können sich nicht auf die
britischen Medien stützen, die bereits in der Vergangenheit die
gegen die EU gerichtete Stimmung verstärkt haben.
Sollte die britische Regierung den Erfolg ihrer Verhandlungen
mit der EU zu stark betonen und diesen als Grund für einen
Verbleib in der Union anführen, könnte sich das als Bumerang
erweisen. So sind die von David Cameron ausgehandelten
Zugeständnisse in Großbritannien kritisiert worden, da sie weit
hinter der fundamentalen Reform zurückgeblieben seien, die
die Konservativen versprochen hatten.
Sollte die Zuwanderungskrise anhalten, könnte auch dies die
Stimmung der Wähler zugunsten eines Verlassens der EU
drehen.
UK EU referendum
Einschätzung von AllianzGI
AllianzGI vertritt die Auffassung, dass Großbritannien als Mitglied
der Europäischen Union besser fährt. Dieser Ansicht waren wir
bereits vor Bekanntgabe der von der britischen Regierung erzielten Verhandlungsergebnisse im Hinblick auf die EU-Mitgliedschaft. Zwar glauben wir, dass es gute Gründe dafür gibt, Teile
der EU zu reformieren. Doch steht Großbritannien 1. auch in
einer unreformierten EU besser dar, es hat 2. als Mitglied weit
bessere Chancen, auf Veränderungen hinzuwirken als außerhalb
der EU, und 3. ist für Europa der britische Einfluss segensreich,
was auch in weiten Teilen Europas so wahrgenommen wird.
Bei allen Unzulänglichkeiten hat die Mitgliedschaft in der EU für
Großbritannien zahlreiche Vorteile, von denen viele als selbstverständlich angesehen werden:
Was die wirtschaftliche Ebene anbelangt,
ist der Warenaustausch Großbritanniens mit der EU (der größte Absatzmarkt britischer Exporteure) dank der EUMitgliedschaft um schätzungsweise 55 % höher,
profitieren die britischen Dienstleister, die 78 % des BIP erwirtschaften, vom Zugang zu 500 Millionen Verbrauchern in der
ganzen Europäischen Union, gegenüber der Großbritannien
einen Handelsüberschuss von 17,1 Milliarden £ aufweist
Ein besonderer Nutznießer der EU-Mitgliedschaft ist der britische
Finanzsektor, der für 1,1 Millionen Arbeitsplätze steht. Derzeit
hat Großbritannien über seine Mitwirkung an der Entwicklung
regulatorischer Vorgaben erheblichen Einfluss auf diesen wichtigen Markt. Dies wäre bei einem Verlassen der EU nicht mehr der
Fall, gleichzeitig bestünde weiterhin der Wunsch nach vollständigem Zugang zum gemeinsamen Markt.
Übertriebene Sorgen hinsichtlich des Zuwanderungsdrucks, der
aus der EU-Mitgliedschaft resultiert
In der Debatte um den Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union hat das Einwanderungsthema erhebliche Bedeutung. Jedoch sind einige der diesbezüglichen Sorgen in Großbritannien weniger Ergebnis der EU-Mitgliedschaft, als die Europaskeptiker dies den Wählern weismachen wollen. Im Wesentlichen resultiert der Zuwanderungsdruck in Großbritannien heute
aus drei Quellen:
Zuwanderung aus EU-Staaten
wirtschaftlich begründete Zuwanderung aus Ländern außerhalb der EU
Flüchtlinge/Asylsuchende
Die zweite und die dritte Kategorie spielen nicht wegen der Mitgliedschaft in der EU eine größere Rolle in Großbritannien, denn
das Land ist nicht dem Schengen-Abkommen beigetreten. Tat-
sächlich ist bereits die Auffassung vertreten worden, dass Frankreich bei einem EU-Austritt Großbritanniens versuchen könnte,
das gegenseitige Abkommen aufzuheben, wonach sich die britische Außengrenze auf französischem Boden befindet (was dazu
geführt hat, dass sich eine Gruppe von Zuwanderern aus Ländern außerhalb der EU, die nach Großbritannien wollen, in einem speziellen Lager in Calais aufhält).
Nur die erste Einwanderungskategorie steht im Zusammenhang
mit der EU-Mitgliedschaft. Die Kritik an dieser Form der Einwanderung richtet sich darauf, dass sie mehr Kosten in Form von
Sozialausgaben verursache als Nutzen (in Form von beruflichen
Fähigkeiten, Wirtschaftswachstum, Produktivität, Steuereinnahmen). Die verfügbaren Daten hinsichtlich der zu veranschlagenden Kosten deuten darauf hin, dass das Problem weit geringer
ist, als die öffentliche Auseinandersetzung dies erscheinen lässt:
Die staatlichen Zuschüsse für Einwanderer aus der EU mit geringem Einkommen (die in vielen Fällen mit einem britischen
Staatsangehörigen verheiratet oder dessen Elternteil sein dürften) machen lediglich 1,6 % der steuerlichen Begünstigung in
Großbritannien aus bzw. nur 2,5 % der Fälle, in denen das britische Arbeits- und Sozialministerium Leistungen erbringt.
Dennoch ist die offensichtliche Auswirkung der Verfügbarkeit
von Sozialleistungen für Personen mit Wohnsitz in Großbritannien eines der emotionalsten und kritischsten Themen, dem die
Befürworter eines Verbleibs in der EU begegnen müssen. Dabei
liefern die Ergebnisse der Verhandlungen des Premierministers
die Grundlage für eine deutliche Botschaft – sie muss aber klar
und überzeugend formuliert werden.
Welche Implikationen hat das Referendum für Anleger?
Die größten Auswirkungen auf Geldanlagen in Großbritannien
hat die Unsicherheit im Vorfeld des Referendums über die britische EU-Mitgliedschaft. Dies ist bereits im zunehmend abwärtsgerichteten und schwankungsanfälligen Kurs des britischen
Pfund in den letzten Wochen deutlich geworden. Auch bei den
Vermögenspreisen könnte es zu höheren Schwankungen kommen, wobei dies weniger auf die Fundamentaldaten als vielmehr
die Stimmungslage zurückzuführen sein dürfte.
Wie würde sich ein Votum zugunsten des Verbleibs Großbritanniens in der EU auswirken?
Sollten sich die britischen Wähler für einen Verbleib in der EU
aussprechen, wird voraussichtlich zutagetreten, wie stark die
Unsicherheit über den künftigen Mitgliedsstatus die Vermögenspreise und die Konjunktur belastet hat. Sofern die Entscheidung
eindeutig ausfällt und auch von den Europaskeptikern respektiert
wird (wie das nach dem Referendum im Jahr 1975 der Fall war),
könnte sich die Vertagung der Frage nach der EU-Mitgliedschaft
UK EU referendum
für eine weitere Generation moderat positiv auf die Wirtschaft
auswirken.
Welche Folgen hätte ein Votum zugunsten eines EUAusstiegs?
Folgen für Großbritannien
In diesem Fall würde man sich tatsächlich auf unbekanntes Gelände begeben, und der Abkopplungsprozess würde sich über
mehrere Jahre hinziehen. Die Europäische Union ist kein Verein,
zu dem Großbritannien nur eine lockere Beziehung aufweist.
Vielmehr ist Großbritannien seit seinem Beitritt zur Vorgängervereinigung, der europäischen Gemeinschaft, im Jahr 1973 ein
maßgebliches Mitglied mit beträchtlichem Einfluss gewesen.
Würde Großbritannien als erstes Mitglied die EU verlassen, würde dies außerdem bedeuten, dass es noch keinen Präzedenzfall
hinsichtlich des Austrittsverfahrens und keine Gewissheit über
die zukünftige Gestaltung der Handelsbeziehungen gäbe.
Zwar könnten sich die unmittelbaren Auswirkungen als relativ
gering erweisen, doch könnten die Sekundäreffekte (die von
einem stetigen Tröpfeln bis hin zu einer Welle an Problemen in
der Zukunft reichen können) erheblich sein.
Die Rolle Großbritanniens als „Tor zu Europa“ für beträchtliche
Investitionssummen aus der übrigen Welt würde zweifellos infragegestellt (wovon die anderen europäischen Staaten zu profitieren versuchen würden).
Einige britische Großunternehmen wären mit steigenden Kosten
ihrer Geschäftstätigkeit auf dem Kontinent konfrontiert (sei es in
nominalen Beträgen oder in Form verpasster Chancen). Wie
stark sich dies auswirkt, würde davon abhängen, in welchem
Umfang Großbritannien weiterhin der EU-Regulierung folgt und
wie sich die neuen Handelsbeziehungen gestalten.
Weitreichender könnten die möglichen politischen Auswirkungen sein. Ein Votum zugunsten des EU-Austritts würde mit hoher Wahrscheinlichkeit eine wichtige Bruchlinie innerhalb Großbritanniens wieder deutlich werden lassen: so sind die Wähler in
Schottland (und vielleicht auch in Wales) der Europäischen Union gegenüber weit positiver eingestellt, als dies in England der
Fall ist. Vorausgesetzt, dass die schottischen Wähler zugunsten
des Verbleibs in der EU votieren, dass Ergebnis in Großbritannien
aber insgesamt gegenteilig ausfällt, dann würde das Interesse an
einer zweiten Volksabstimmung über die schottische Unabhängigkeit stark zunehmen (beim letzten Referendum im Jahr 2014
stimmten 55 % der Bevölkerung für einen Verbleib in Großbritannien). Dann wären die Chancen größer, dass sich die Schotten für einen Austritt aus dem Vereinigten Königreich aussprechen. Ein Auseinanderbrechen Großbritanniens würde die Problemlage noch verschärfen.
Aus diesen Gründen kommt man kaum umhin, ein Votum zugunsten eines EU-Austritts aus kurzfristiger Sicht als Gefahr für
die britische Wirtschaft, die Arbeitsplätze und das Wachstum
anzusehen. Langfristig wäre mit weiteren möglichen Belastungen zu rechnen.
Folgen für die EU
Auch wenn die übrigen EU-Mitglieder – speziell diejenigen im
Euroraum – der britischen Sonderwünsche und Verzögerungen
müde sind, stünde die Europäische Union ohne Großbritannien
deutlich schlechter da. Das starke Interesse Großbritanniens am
gemeinsamen Markt und am Wettbewerb hat einige besitzstandswahrende Arrangements verhindert, zu denen es sonst
über die Jahre vermutlich gekommen wäre. Bei einem britischen
EU-Austritt würde vermutlich auch die europäische Wirtschaft
kurzfristig beeinträchtigt werden, da vermehrt Ressourcen zu
Austrittsverhandlungen umgeleitet würden. Die Frage bleibt
offen, ob alle derzeitigen Vorteile, die Europa einschließlich
Großbritanniens in Bezug auf den Handel und in politischer Hinsicht genießt, bei einem EU-Austritt weiterhin gegeben wären.
Außerdem würden politische Rahmenbedingungen, die nicht
nachhaltig sind oder die Wettbewerbsfähigkeit der EU schwächen, weniger auf den Prüfstand gestellt.
Jenseits politischer Erwägungen würde bei einem britischen
Austrittsvotum auch die Integrität des EU-Projekts vermehrt
infragegestellt. Ein solcher Präzedenzfall würde die Büchse der
Pandora öffnen, da andere Länder nun ebenfalls ein Verlassen
der Europäischen Union als Option ansehen würden. In denjenigen Ländern, die diesbezüglich als anfällig gelten können, könnten daher die Kursschwankungen am Kapitalmarkt zu nehmen
und die Rendite-Spreads in Europa könnten sich ausweiten.
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