Lesung zum 70. Jahrestag der Verhaftung von Hans und Sophie Scholl im Lichthof der Universität München am 18. Februar 1943 Zweites Flugblatt der Weißen Rose Jetzt kommt es darauf an, sich gegenseitig wiederzufinden, aufzuklären von Mensch zu Mensch, immer daran zu denken und sich keine Ruhe zu geben, bis auch der letzte von der äußersten Notwendigkeit seines Kämpfens wider dieses Systems überzeugt ist. Wenn so eine Welle des Aufruhrs durch das Land geht, wenn „es in der Luft liegt“, wenn viele mitmachen, dann kann in einer letzten gewaltigen Anstrengung dieses System abgeschüttelt werden. ein Ende mit Schrecken ist immer noch besser, als ein Schrecken ohne Ende. Monatsbericht des Regierungspräsidenten in München, 9. Juli 1942 Staatsfeindliche Bestrebungen und staatsabträgliches Verhalten Ein Einwohner in Brannenburg (Landkreis Rosenheim) erhielt aus München zwei „Flugblätter der Weißen Rose“ zugeschickt. Der Inhalt der Druckschriften ist in hohem Grade staatsfeindlich. Die Empfänger werden aufgefordert, die Flugblätter „mit möglichst vielen Durchschlägen abzuschreiben und weiter zu verteilen“. Der Verfasser konnte noch nicht festgestellt werden. Die Staatspolizeileitstelle München ist verständigt. 17.1.43 (auf dem Rückzug aus Stalingrad) meine liebe Sophie! Nach langer Zeit wieder einen Gruß. Wir haben sehr schlimme Tage hinter uns. Seit 8 Tagen sind wir in ständigem Rückzug aus Stalingrad. Seit 8 Tagen sind wir bei 30 Grad Kälte im Freien gelegen, ohne eine Möglichkeit, uns aufzuwärmen. Mein Btl. ist vollkommen aufgerieben. Ich selbst habe beide Hände erfroren, davon 2 Finger mit Erfrierungen 3. Grades. Ich war nun eben auf dem Weg zum Hauptverbandsplatz, um in ärztliche Behandlung zu gehen. aber dort werden nur Schwerverwundete angenommen. Nun habe ich endlich einen gastfreundlichen Offizier gefunden, der mich wenigstens in seinen warmen Bunker aufgenommen hat. Ich weiß nicht, wie nun alles weitergehen wird. Die Lage ist hier ziemlich hoffnungslos. Wenn mich nicht ein anderes Schicksal ereilt, vor dem ich mit Gottes Hilfe oft auf wundersame Weise bewahrt worden bin, dann bleibt vielleicht nur noch die russische Gefangenschaft. Doch alle Hoffnung habe ich noch nicht aufgegeben. (…) Sei von ganzem Herzen und in inniger Liebe gegrüßt, meine liebe gute Sofie (…) Ich bleibe Dein Fritz München, 11. Februar 1943 Geheime Staatspolizeileitstelle München an das Reichssicherheitshauptamt Berlin Nachrichtlich an sämtliche süddeutschen Staatspolizeileitstellen, einschließlich Ostmark, sowie Staatspolizeileitstelle Frankfurt/Main und SD-Leitabschnitt München Betrifft: Hochverräterische Umtriebe in München Die im Stadtgebiet München am 4.2.1943 unter Beteiligung aller verfügbaren Stapo- und Kriminalbeamten und unter Einschaltung der Ordnungspolizei, Bahnpolizei usw. durchgeführte Großfahndung nach dem im hiesigen Fernschreiben vom 5.2.1943 näher bezeichneten Flugblattverteiler ist ergebnislos verlaufen. (…) Die kriminaltechnische Untersuchungsstelle bei der Kriminalpolizeileitstelle München hat festgestellt, dass die Flugblätter der sog. „Widerstandsbewegung“ nur auf einer Maschine geschrieben wurde. Nach diesem Gutachten ist ferner mit ziemlicher Sicherheit anzunehmen, dass die Matrizen dieser Flugblätter auf der gleichen Maschine gefertigt wurden, wie diejenigen der bekannten Flugblätter der sog. „Weissen Rose“. Mit dieser Feststellung wir die Ansicht gefestigt, dass der oder die Täter in München oder Umgebung zu suchen sein dürften. (…) Die Schmierereien „Nieder mit Hitler“ und „Freiheit“ sind neuerdings in der Nacht vom 8./9.2.1943 am Universitätshauptgebäude angebracht worden. Bei sämtlichen Schmierereien wurde die gleiche Ölfarbe, diesmal in Grün, verwendet, so dass bei beiden Schmierereien der oder die gleichen Täter am Werk waren. Die chemische Untersuchung der benutzten Ölfarbe wurde veranlasst. Da es der oder die Täter offenbar gerade auf das Universitätsgebäude abgesehen haben, wurde dieses unter entsprechende Überwachung gestellt. Zweites Flugblatt der Weißen Rose Nur als Beispiel wollen wir die Tatsache kurz anführen, die Tatsache, dass seit der Eroberung Polens dreihunderttausend Juden in diesem Land auf bestialischte Art ermordet worden sind. Hier sehen wir das fürchterlichste Verbrechen an der Würde des Menschen, ein Verbrechen, dem sich kein ähnliches in der ganzen Menschengeschichtea n die Seite stellen kann. Wozu wir ihnen dies alles erzählen, da Sie es schon selber wissen, wenn nicht diese, so andere gleich schwere Verbrechen des fürchterlichen Untermenschentums? Weil hier eine Frage berührt wird, die uns alle zutiefst angeht und allen zu denken geben muss. Warum verhält sich das deutsche Volk angesichts all dieser scheusslichsten, menschenunwürdigsten Verbrechen so apathisch? Kaum jemand macht sich Gedanken darüber. 12.2.43 (aus dem Lazarett in Lemberg) Meine liebe Sofie! (…) Ich will Dir erzählen, wie mirs seit meinem letzten Gruß aus Stalino ergangen ist. Am 28. 1. wurde ich mit einem Verwundetentransport nach rückwärts abtransportiert. (…) Wir wurden in Viehwagen so eng wie Heringe eingepfercht, dass nicht einmal alle liegen konnten. (…) Diese Fahrt ging sechs Tage und sollte eigentlich in Lublin enden. Aber am 6. Tag regnete es in Strömen, und tropfte auch durch das Dach unseres Wagons durch, dass wir bald alle im Wasser lagen. (…) Hier in Lemberg habe ich ein sehr gutes Lazarett erwischt, sowohl was die Einrichtung betrifft, wie auch die ärztliche Versorgung. Gleich am anderen Tag nach meiner Ankunft wurden dann meine beiden erfrorenen Finger amputiert, es war gerade mein Geburtstag. (…)Leider können wir vorläufig nicht ins Reich abtransportiert werden, da die Verwundeten aus Stalingrad nicht nach Deutschland dürfen! Man fürchtet wohl, dass durch die Erzählungen dieser Soldaten die Bevölkerung noch mehr in Aufregung gebracht würde, einen anderen Grund kann ich mir nicht denken. (…) Nun habe ich aber genug von mir erzählt. Von Dir konnte ich leider nun schon ein Vierteljahr keine Post mehr bekommen. Was wird sich in dieser langen Zeit bei Dir alles ereignet haben? Sicher bist Du längst wieder in München. Kannst Du Dir denken, wie sehnsüchtig ich auf eine Nachricht von Dir warte? Schreib mir bald und grüße Hans und auch Deine Eltern und Inge, wenn Du wieder nach Ulm kommst. Dir liebe Sophie einen lieben und herzlichen Gruß von Deinem Fritz Drittes Flugblatt der Weißen Rose Viele, vielleicht die meisten Leser dieser Blätter sind sich darüber nicht klar, wie sie einen Widerstand ausüben sollen. Sie sehen keine Möglichkeiten. Wir wollen versuchen, ihnen zu zeigen, dass ein jeder in der Lage ist, etwas beizutragen zum Sturz dieses Systems. Nicht durch individualistische Gegnerschaft in der Art verbitterter Einsiedler wird es möglich werden, den Boden für einen Sturz dieser Regierung reif zu machen oder gar den Umsturz möglichst bald herbeizuführen, sondern nur durch die Zusammenarbeit möglichst vieler überzeugter, tatkräftiger Menschen, Menschen, die sich einig sind, mit welchen Mitteln sie ihr Ziel erreichen können. Wir haben keine reiche Auswahl an solchen Mitteln, nur ein einziges steht uns zur Verfügung - der passive Widerstand München, 16.2.1943 Mein lieber Fritz! Gestern habe ich einen wunderbaren blühenden Stock gekauft, er steht vor mir auf dem Schreibtisch am hellen Fenster, seine graziösen Ranken, über und über mit zarten lila Blüten besetzt, schweben vor und über mir. Er ist meinen Augen und meinem Herzen eine rechte Freude, und ich wünschte mir nur, dass Du kommst, bevor er verblüht ist. Wann wirst Du nur kommen? Meine ersten Briefe werden Dich wohl kaum erreichen, sie waren falsch adressiert. Und ob diese dürftige Adresse genügt? Doch muss ich ja warten, bis Du zuerst mir schreibst. Wir haben hier eine kleine Geyerausstellung hergerichtet. Wir sind sehr oft mit ihm zusammen, man fühlt sich in seiner Nähe riesig behaglich. Wie schade, dass ich Dir davon schreiben muss, dass Du nicht selbst hier bist. Vielleicht können wir bald zusammen irgendwo anfangen! Sei für heute vielmals gegrüßt von Deiner Sophie Das war der letzte Brief, den Sophie Scholl am 16. Februar an Fritz Hartnagel schrieb. Bevor sie ihn zuklebte, legte sie für Fritz ein paar lila Blütenblätter hinein. Tagsüber hatte sie mit ihrer Freundin Gisela in einem Postamt an der Leopoldstraße Briefmarken gekauft und ungefähr 50 Briefe mit Flugblättern in Münchner Briefkästen eingeworfen. Abends ging sie und ihr Bruder Hans mit Wilhelm Geyer, einem befreundeten Maler, gegen 18 Uhr gemeinsam essen. Sie saßen im Schwabinger Lokal Bodega. Dann ging Sophie in ein Konzert. Zum Abschied sagte sie noch: „Es fallen so viele Menschen für das Regime, es ist Zeit, dass jemand dagegen fällt.“ Der 17. Februar ist ein Mittwoch. In der Münchner Gestapo Zentrale laufen die Ermittlungen auf Hochtouren. Der Münchner Altphilologe Prof. Harder wird beauftragt, ein Gutachten über das fünfte und sechste Flugblatt zu erstellen. Er kam zu folgendem Ergebnis: „Zusammenfassend stellt sich der Verfasser als ein begabter Intellektueller dar, der seine Propaganda auf akademische Kreise, insbesondere die Studentenschaft, abstellt (…) Wenn sie auch nicht den Ton eines verbitterten Einsamen haben (…) so sind sie doch nicht der Ausfluss einer machtpolitische aktiven Gruppe: Dazu ist ihre Sprache zu abstrakt; sie will und kann in breiteren Kreisen der Soldaten und Arbeiterschaft keinen Widerhall finden. Sophie sitzt zu Hause und schreibt wieder einen Brief, diesmal an ihre Freundin Lisa Remppis: „Ich lasse mir gerade das Forellenquartett vom Grammophon vorspielen, am liebsten möchte ich da selbst eine Forelle sein (…) man kann ja nichts anders, als sich freuen und lachen, so wenig man unbewegten oder traurigen Herzens die Frühlingswolken am Himmel und die vom Wind bewegten knospenden Zweige in der glänzenden junge Sonne sich wiegen sehen kann. Oh ich freue mich wieder so sehr auf den Frühling.“ Etwa um diese Zeit wird Hans Hirzel in Ulm verhört. Gemeinsam mit Franz J. Müller und seiner Schwester Susanne hatte er ungefähr 2000 Exemplare des fünften Flugblatts der Weißen Rose verteilt. Jemand hatte ihn denunziert. Während des Verhörs gelingt es Hirzel, den Verdacht zu zerstreuen, er gehöre einer Widerstandsgruppe an. Doch mehrmals wird er auf die Familie Scholl angesprochen. Als er nach Hause entlassen wird, versucht er Inge Scholl, die Schwester von Hans und Sophie, zu überreden, sofort nach München zu fahren, um sie zu warnen. Aber Inge versteht die Dringlichkeit nicht. Sie weiß nichts von der Flugblattaktion. So ruft sie lediglich ihren Freund Otl Aicher in München an und trägt ihm auf, Hans Scholl einen Satz, eine Art Stichwort von Hans Hirzel zu übermitteln. Otl ruft Hans Scholl an und verabredet sich mit ihm am nächsten Vormittag, um halb 12 Uhr in seiner Wohnung in der Franz-Joseph Straße 13. Ob er diesen Hinweis, der angeblich als Warnung vereinbart worden war, auch weitergab? Wir wissen es nicht. Er selbst schildert die Situation wie folgt: Der 18. Februar war ein strahlend heller Tag, als wäre der Winter vorbei. Ich klingelte an der Wohnung, ein Doppelzimmer-appartement im Hinterhof, in dem Hans und Sophie wohnten, aber es war niemand da. In der nahen Leopoldstraße, einer Hauptausfallstraße, setzte ich mich auf eine Bank zwischen den vielen schmalen, hohen Pappeln, die die Straße außerhalb des Siegestores zieren mussten, als sie noch nicht bebaut war und übers offene Feld führte, die Leute genossen die föhnig helle Sonne im tiefblauen Himmel und wagten den ersten Ausgang aus den Winterstuben. Eine halbe Stunde später ging ich wieder zur Wohnung. Diesmal öffneten zwei Herren, Gestapo. Ich wurde zum Wittelsbacher Palais gebracht, wo sofort ein Verhör begann. Es drehte sich um Hans und Sophie, aber worum es im Einzelnen ging, bekam ich nicht heraus, konnte mir aber an Hand der Fragen ungefähr ein Bild machen. (...) Offensichtlich war meine Warnung zu spät gekommen. (…) genau zu der Zeit, als ich auf der Bank in der Leopoldstraße saß, entleerten sie ihren Koffer mit Flugblättern in der Universität. Hätte diese Warnung Hans und Sophie Scholl davon abgehalten, mit ihrem Koffer in die Universität zu gehen und die Flugblätter auf Treppen, Fensterbänken und Mauervorsprüngen zu verteilen? Durch die verlorene Schlacht um Stalingrad, den Kriegseintritt der USA und die zunehmende Bombardierung deutscher Städte fühlten sie sich in ihrer Einschätzung bestätigt, der Krieg sei bald zu Ende. Dazu kam die aufgebrachte Stimmung unter der Münchner Studentenschaft. Auf einer großen Veranstaltung des Münchner Gauleiters hatten sie protestiert. Zum ersten Mal war es zu größeren Protesten gekommen, die sich gegen die nationalsozialistische Bildungspolitik richteten. Ein Aufruhr ging seit Mitte Januar durch die Stadt. Oder war es nur ein kurzes Aufflackern, das die Freunde der Weißen Rose überschätzten? War die Zahl der Gleichgesinnten doch nicht so groß? Abgesprochen war der Zeitpunkt der Verteilung der Flugblätter in der Universität jedenfalls nicht. Vermutlich hatten sich Hans und Sophie Scholl am Morgen des 18. Februar kurzfristig dafür entschieden, was auch erklärt, dass sie wichtiges Beweismaterial in ihrer Wohnung zurückließen. Und da passierte schließlich jener Moment, der den beiden zum Verhängnis wurde: Hans und Sophie verlassen das Hauptgebäude der Universität über den Hinterausgang an der Amalienstraße. Plötzlich machen sie kehrt, rennen die Treppenstufen hoch in den zweiten Stock, werfen die Flugblätter von oben in den Lichthof. Nur wenige Sekunden dauert es, bis die Blätter zu Boden flattern. Es ist ein Moment, der in seiner Wirkung bis in unsere Gegenwart reicht. Der Vorlesungsbetrieb endete, die Türen gehen auf, die Studenten verlassen die Hörsäle. Der Hausschlosser Jakob Schmid stellt sich ihnen entgegen, hält sie fest und ruft aufgeregt: „Sie sind verhaftet!“ Sophie und Hans Scholl setzten sich nicht zur Wehr. Sie bleiben stehen, laufen nicht weg. Jakob Schmid, Hausschlosser der Universität: Als ich heute, den 18. 2.43, gegen 11.15 Uhr meinen üblichen Kontrollgang durch das Universitätsgebäude machte und dabei im Lichthof die Treppe hinunterging, sah ich auf einmal, dass von der Rampe des Lichthofs im 2. Stock eine größere Menge Papier hinabgeworfen wurde. Von meinem Standpunkt aus konnte ich nicht an die Abwurfstelle hinschauen. Ebenso war es auch ganz unmöglich, dass mich jemand ohne weiteres sehen konnte, der sich auf dem 2. Stock aufgehalten hat. Ich habe mich nun nicht lange besonnen und auch nicht weiter überlegt, sondern bin gleich auf meiner Treppe bis zum Mittelstockwerk hinabgelaufen, um dann von dort aus auf der anderen Treppe empor zu laufen. Ich war also schon nach etwa einer Minute auf dem Gang im 2. Stock und habe dort einen unbekannten Studenten und eine unbekannte Studentin den Gang entlang gehen gesehen. Weitere Personen waren nicht zu sehen. Ich bin sofort auf die beiden zugegangen und habe ihnen ohne Umschweife gesagt, dass sie mit mir kommen müssten. Dieser Aufforderung kamen sie auch nach. Ich habe ihnen dann gesagt, dass sie soeben dieses Papier hinabgeworfen hätten. Daraufhin machte der Student die Bemerkung: „Lächerlich so etwas, es ist eine Unverschämtheit einem in der Universität herinnen festzunehmen.“ Ich ließ mich aber von dieser Bemerkung nicht irre machen und erklärte den beiden, dass sie verhaftet seien. (…) Mit dem Hausverwalter, Sekr. Scheidhammer, führte ich die Festgenommenen zum Syndikus, RR. Heffner, der die Polizei verständigte. Die herbeigerufenen Kriminalbeamten nahmen dann bei dem von mir festgenommenen Studenten eine körperliche Durchsuchung vor. Dabei wurden in seinen Taschen mehrere Flugblätter vorgefunden und sichergestellt. Weiter habe ich beobachtet, dass der Student mehrere Papierfetzen zu Boden fallen ließ bzw. unter anderes Papier hineinfallen lassen wollte. Nach der Einschließung der 6. Armee in Stalingrad bat Hans Scholl seinen Freund Christoph Probst, ein Flugblatt zu entwerfen, das den Deutschen die Augen öffne. Diesen Entwurf hatte Hans Scholl am 18. Februar in der Manteltasche. Nach seiner Verhaftung versucht er vergeblich, es zu zerreißen. Doch Schmid erwischt ihn dabei. Auch Christoph Probst wird am 21. Februar verhaftet. Sein hochpolitischer Text wird nicht mehr verteilt: Heute ist ganz Deutschland eingekesselt, wie es Stalingrad war. Sollen dem Sendboten des Hasses und des Vernichtungswillens alle Deutschen geopfert werden! Ihm der die Juden zu Tode marterte, die Hälfte der Polen ausrottete, Russland vernichten wollte, ihm der Euch Freiheit, Frieden, Familienglück, Hoffnung und Frohsinn nahm und dafür Inflationsgeld nahm. Das soll, das darf nicht sein! Hitler und sein Regime muss fallen, damit Deutschland weiterlebt. Geheime Staatspolizei, München 21..2.1943 Festnahme und Suchungsbericht Auftragsgemäß wurde am 20.2.43 in Innsbruck die Festnahme des Studenten und z.Zt. Angehörigen der Luftwaffenstud. Kompanie Chistoph Probst in Innsbruck, sowie die Durchsuchung seiner Wohnung durch den Unterzeichneten und KS. Geisser vorgenommen. Von der Festnahme wurde der Führer der Schülerkomp. Oblt. Der Luftwaffe Ratschko in Kenntnis gesetzt. Probst, der sich zufällig zum Löhnungsempfang auf der Geschäftsstelle der Schülerkompanie befand, wurde in Gegenwart von Oblt. Ratschko vorläufig festgenommen. Anschließend an die Festnahme wurde im Beisein von Oblt. Ratschko die Suchung in der Wohnung des Probst nach Beweismaterial geführt. Schriftstücke, Aufzeichnungen oder sonstiges Material das in unmittelbaren Zusammenhang mit den in Frage kommenden Flugblättern und Hetzschriften steht, konnte nicht vorgefunden werden. Beschlagnahmt und sichergestellt wurden verschiedene Bücher in russischer Schrift, sowie die gesamte Korrespondenz des Probst die zur Zeit noch nicht gesichtet ist. Probst wurde im Anschluss an die Diensthandlungen in Innsbruck nach München überführt. Es gibt immer noch so viele Fragen. Warum haben Hans und Sophie die Universität nicht verlassen, als noch Zeit war? Warum sind sie zum Lichthof zurückgekehrt, wo man sie so leicht sehen konnte? Warum hat Sophie Scholl die Flugblätter in den Lichthof geworfen? Warum sind sie Schmid gefolgt und haben nicht versucht zu fliehen? War die Aktion in der Universität nun spontan oder leichtinnig? Hatten sie einfach Pech? Oder haben sie ein Zeichen setzten wollen und es darauf angelegt, dass sie jemand entdeckt? Das ist eher unwahrscheinlich. Beide glaubten an ein baldiges Ende des Krieges, Sophie freute sich doch auf den Frühling, wie sie hoffnungsvoll ihrem Freund Fritz schrieb. Und wenn sie doch riskiert hätten, erwischt zu werden, hätte dann Hans Scholl nicht alles getan, um wenigstens zu vermeiden, seinen Freund Christoph Probst so offensichtlich zu gefährden? Hätte er dann ausgerechnet an diesem Tag seinen handschriftlichen Flugblattentwurf in der Tasche gehabt? Hätten sie dann nicht alle Spuren in ihrer Wohnung beseitigt? Bericht der Geheimen Staatspolizei, München, 18.2.1943 Bei der Suchung wurde eine Anzahl Briefschaften, Notizen und Aufzeichnungen vorgefunden. Auch wurde die im Zimmer von Frl. Scholl befindliche Reiseschreibmaschine sichergestellt. Ferner wurde ein Heft auf dem Schreibtisch von Frl. Scholl gefunden, in dem sich eine große Anzahl Anschriften von in Augsburg und München wohnenden Personen befindet. Es dürfte sich zweifellos um Anschriften von Personen handeln, an denen die Beschuldigten Flugblätter der Widerstandsbewegung in Deutschland durch die Post zugesandt haben. Außerdem wurden im Zimmer bzw. im Schreibtisch von Frl. Scholl 11 Päckchen Patronen für Armeepistole 08 mit je 16 Stück und ein weiteres Päckchen mit 10 Stück gefunden. Es sind dies insgesamt 186 Patronen, Kaliber 9mm. Sodann wurde die Suchung nach der Armeepistole gemacht und eine solche im Schreibtisch des Johann Scholl gefunden. Es handelt sich um eine Armeepistole 08 Kaliber 9mm Nr. 2950, Herstellungsjahr 1937. Die Pistole war mit 5 Patronen geladen. Ein weiteres mit 5 Patronen gefülltes Magazin befand sich in der Pistolentasche. Die Pistole selbst war gesichert. (…) Da die Pistole des Scholl mit 10 Patronen geladen war, sich 5 Patronen auf dem Schreibtisch befanden, ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass er bei seinem hochverräterischen Unternehmen die geladenen Waffe bei sich geführt und hiervon bei allenfallsiger Überraschung Gebrauch gemacht hätte. Viertes Flugblatt Gibt es, so frage ich Dich, der Du ein Christ bist, gibt es in diesem Ringen um die Erhaltung Deiner höchsten Güter ein Zögern, ein Spiel mit Intrigen, ein Hinausschieben der Entscheidung in der Hoffnung, dass ein anderer die Waffen erhebt, um Dich zu verteidigen? Hat Dir nicht Gott selbst die Kraft und den Mut gegeben, um Dich zu verteidigen? Zu Eurer Beruhigung möchten wir noch hinzufügen, dass die Adressen der Leser der Weissen Rose nirgendwo schriftlich niedergelegt sind. Die Adressen sind willkürlich Adressbüchern entnommen. Wir schweigen nicht, wir sind Euer böses Gewissen, die Weisse Rose lässt Euch keine Ruhe! Bericht über das Ergebnis der Ermittlungen Betr. Flugzettel-Streuaktion in der Universität am 18. Februar 1943 Endlich gab Sophie Scholl zu, dass sie auf einem Mauersims im ersten Stockwerk der Universität einen Stoß Flugschriften liegen gesehen und ihn aus Übermut heruntergestoßen habe. Verdächtig erschien sofort, dass sie nicht hinreichende, ja sogar absolut unglaubwürdige Angaben über das Mitführen eines leeren Coupékoffers machte. Später stellte sich heraus, dass die eingesammelten Flugschriften genau den Koffer ausfüllten. Trotz ununterbrochener Vernehmung leugneten die beiden bis 4 Uhr früh. Erst als dem Scholl ein Briefumschlag aus seinem Schreibtisch gezeigt wurde, in welchem sich ein Bogen 8 Pfg.-Marken zu 100 Stück befand, begann er mit seinem Geständnis. Hans Scholl, im Verhör durch die Gestapo Nachdem ich geglaubt hatte, dass die militärische Niederlage an der Ostfront und dem ungeheuren Anwachsen der militärischen Macht Englands und Amerikas eine siegreiche Beendigung des Krieges unsererseits unmöglich ist, gelangte ich nach vielen qualvollen Überlegungen zu der Ansicht, dass es nur noch ein Mittel zur Erhaltung der europäischen Idee gebe, nämlich die Verkürzung des Krieges. Andererseits war mir die Behandlung der von uns besetzten Gebiete und Völker ein Greuel. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass nach diesen Methoden der Herrschaft eine friedliche Aufbauarbeit in Deutschland möglich sein wird. Aus solchen Erwägungen heraus wuchs in mir die Skepsis gegen diesen Staat und weil ich bestrebt sein wollte, als Staatsbürger dem Schicksal meines Volkes nicht gleichgültig gegenüber zu stehen, entschloß ich mich, nicht nur in Gedanken, sondern auch in der Tat meine Gesinnung zu zeigen. So kam ich auf die Idee, Flugblätter zu verfassen und zu verfertigen.“ Fünftes Flugblatt Freiheit der Rede, Freiheit des Bekenntnisses, Schutz des einzelnen Bürgers vor der Willkür verbrecherischer Gewaltstaaten, das sind die Grundlagen des neuen Europa. Unterstützt die Widerstandsbewegung, verbreitet die Flugblätter! Nachdem mir eröffnet wurde, dass mein Bruder Hans Scholl sich entschlossen hat, der Wahrheit die Ehre zu geben und von den Beweggründen unserer Handlungsweise ausgehend die reine Wahrheit zu sagen, will auch ich nicht länger an mich halten, all das, was ich von dieser Sache weiß, zum Protokoll zu geben. Nochmals eingehend zur Wahrheit ermahnt, habe ich das folgende Geständnis abzulegen: Es war unsere Überzeugung, dass der Krieg für Deutschland verloren ist und dass jedes Menschenleben, das für diesen verlorenen Krieg geopfert wird, umsonst ist. Besonders die Opfer, die Stalingrad forderte, bewogen uns, etwas gegen dieses unserer Ansicht nach sinnlose Blutvergießen zu unternehmen. Die ersten Gespräche, die sich mit diesem Problem befassten, fanden im Sommer 1942 zwischen meinem Bruder und mir statt. (…) Bei der gegenseitigen Aussprache mit meinem Bruder kamen wir schließlich im Juli vorigen Jahres überein, Mittel und Wege zu finden, auf die breite Volksmasse in unserem Sinne einzuwirken. Es tauchte damals auch der Gedanke auf, Flugblätter zu verfassen, herzustellen und zu verbreiten, ohne die Verwirklichung dieses Plans schon ins Auge zu fassen. (…) Schlussfrage: Während der Gesamtvernehmung, die sich über zwei Tage erstreckte, haben wir zwischendurch, wenn auch nur streichlichtartig, verschiedene politische und weltanschauliche Fragen besprochen. Sind sie nach diesen Aussprachen nun nicht doch zu der Auffassung gekommen, dass man ihrer Handlungsweise und das Vorgehen gemeinsam mit ihrem Bruder und anderen Personen gerade in der jetzigen Phase des Krieges als ein Verbrechen gegenüber der Gemeinschaft insbesondere aber unsere im Osten schwer und hart kämpfenden Truppen anzusehen ist, das die schärfste Verurteilung finden muss. Antwort: Von meinem Standpunkt aus muss ich diese Frage verneinen. Ich bin nach wie vor der Meinung, das Beste getan zu haben, was ich gerade jetzt für mein Volk tun konnte. Ich bereue deshalb meine Handlungsweise nicht und will die Folgen, die mir aus meiner Handlungsweise erwachsen, auf mich nehmen.“ Sophie Scholl unterschreibt ihr Geständnis und wird in die Zelle zurückgebracht. Ihre Zellengenossin Else Gebel, die wegen ihrer Verbindungen zu kommunistischen Widerstandsgruppen schon länger inhaftiert ist, wird Sophie in den letzten Tagen ihres Lebens zur Vertrauten. In ihren Erinnerungen hielt sie fest, wie erstaunlich ruhig Sophie Scholl trotz der ungeheuren Anspannung und Belastung geblieben ist. Fassungslos soll sie jedoch in dem Moment gewesen sein, als sie erfuhr, dass Christoph Probst verhaftet worden ist. Er war verheiratet und hatte schon drei kleine Kinder. Der Münchner Gauleiter ist zufrieden, dass die Täter nun endlich gefasst worden sind. In einem Schreiben an den Reichsleiter Martin Bormann fordert er bereits am 19. Februar die schnelle Aburteilung, „da die Straftaten zu einer starken Beunruhigung der Zivilbevölkerung Süddeutschlands geführt“ hätten. Er erreicht, dass Hans Scholl und Christoph Probst von Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel aus der Wehrmacht entlassen und gemeinsam mit Sophie Scholl vor den Volksgerichtshof gestellt werden. Und tatsächlich, der erste Senat des Volksgerichtshofes in Berlin interessiert sich für den Fall. Gerichtspräsident Roland Freisler selbst führte die Verhandlung am 22. Februar im Münchner Justizpalast. Er fällt drei Todesurteile. Die von den Familien eingereichten Gnadengesuche wurden abgelehnt. Noch am selben Tag, um 17 Uhr, werden Hans und Sophie Scholl und ihr Freund Christoph Probst mit dem Fallbeil im Gefängnis München Stadelheim ermordet. In den folgenden Tagen und Wochen gelingt es den Ermittlern, immer mehr Personen des Widerstandskreises zu verhaften. Willi Graf wird noch am Abend des 18. Februar festgenommen, Alexander Schmorell nach seinem misslungenen Fluchtversuch am 24. Februar, Prof. Kurt Huber am 27 . Februar. Auch sie werden von Freisler zum Tode verurteilt. Rundschreiben der Reichsstudentenführung über die Vorgänge in München, 23. Februar 1943 An die Gaustudentenführer und an den Verteiler der Reichstudentenführung Betr. Todesurteile wegen Hochverrat Die Verurteilten waren charakteristische Einzelgänger. Sie haben sich über ein Jahr lang wegen Beschmieren von Häusern mit staatsfeindlichen Aufforderungen, und durch die Verbreitung mehrerer hochverräterischer Flugschriften, die zur Sabotage aller Art aufforderten, an der Wehrkraft und dem Widerstandsgeist des deutschen Volkes in wahrhaft schamloser Weise vergangen. (…) Eine am 22. Februar 1943 abend von etwa 3000 Studenten und Studentinnen besuchte Kundgebung hat durch überwältigende Begeisterung und stürmischen Beifall, der den Redner (…) nach fast jedem ihrer Sätze unterbrach, bewiesen, dass die verbrecherische Handlungsweise der Verurteilten keinerlei Verallgemeinerung zuläßt. Die Münchner Studentenschaft steht wie immer und in alle Zukunft geschlossen hinter dem Führer und seiner nationalsozialistischen Bewegung. Erstes Flugblatt der Weißen Rose Goethe spricht von den Deutschen als einem tragischen Volke, (…) aber heute hat es eher den Anschein, als sei es eine seichte, willenlose Herde von Mitläufern, denen das Mark aus dem Innersten gesogen und nun ihres Kernes beraubt, bereit sind, sich in den Untergang hetzen zu lassen. Es scheint so - aber es ist nicht so; vielmehr hat man in langsamer, trügerischer, systematischer Vergewaltigung jeden einzelnen in ein geistiges Gefängnis gesteckt, und erst, als er darin gefesselt lag, wurde er sich des Verhängnisses bewusst. Wenige nur erkannten das drohende Verderben und der Lohn für ihr heroisches Mahnen war der Tod. Über das Schicksal dieser Menschen wird noch zu reden sein. 22.2.43 (aus dem Lazarett in Lemberg) Meine liebe Sophie! Ich danke Dir sehr, dass Du mir so fleißig schreibst, trotzdem Du anscheinend immer noch keine Post von mir erhalten hast. Du tust mir so viel Gutes damit. Wieder hat mich heute ein Gruß erreicht, von dem mir als erstes einige zarte, lilarote Blütenblätter in den Schoß fielen. Und wie ich dann Deinen Brief in Händen hatte, und dazu die Sonne schon ganz warm durchs Fenster hereinstrahlt, muß da nicht der Frühling bei mir einkehren? Oder zumindest eine Vorahnung und eine starke Hoffnung auf seine Nähe? Und wenn ich nicht zu früh oder ohne jeden Urlaub wieder an die Front geschickt werde, dann werden wir ihn sogar gemeinsam erleben dürfen. Diese Vorfreude rankt um mich und macht mich frohen Herzens, wie Dein üppig blühender Blumenstock, der Dich entzückt. Ich verbringe viele Stunden des Tages bei Dir. Nimm dies als ein kleines Zeichen dafür. Herzlichst Dein Fritz
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