LuzernerZeitung_09.03.16_Jagd auf falsche Rechnungen

Auflage: 75518
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9. März 2016
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WIRTSCHAFT SEITE 15
Jagd auf falsche Rechnungen
GESUNDHEITSKOSTEN ⋅ Die Suva kontrolliert Rechnungen mit Hilfe einer klugen Software.
So spart sie 200 Millionen Franken. Auch die Kranken-kassen schauen genau hin.
RAINER RICKENBACH
Beim Unfallversicherer Suva flattern in einem Jahr zweieinhalb Millionen Rechnungen
ins Haus. Absender sind Ärzte, Spitäler oder Therapeuten. Darunter finden sich nicht
wenige Einzahlungsscheine, die beim grössten Unfallversicherer der Schweiz mit Sitz
in Luzern an der falschen Adresse gelandet sind. «Es handelt sich zum Beispiel um
Rechnungen für Medikamente gegen Migräne, Gicht, Grippe oder für Insulin gegen
Zuckerkrankheit, Antidepressiva und sogar Mundspülungen. Also alles Leistungen, die
nicht als Folge eines Unfalls verschrieben wurden», sagt Suva-Sprecherin Gabriela
Hübscher.
Fast jede achte Rechnung ist falsch
Ab und zu kommt es auch vor, dass ein und dieselbe medizinische Massnahme gleich
zweimal in Rechnung gestellt wird. Oder dass sich die Suva mit Geldforderungen
konfrontiert sieht, für deren Begleichung sie sich bereits zuvor als nicht zuständig
erklärte.
Geht es um Medikamente, die für eine Krankheit notwendig sind, schickt die Suva die
Rechnungen an die Rechnungssteller zurück. Er leitet sie in der Regel an die
Krankenkassen weiter, die für Krankheitskosten zuständig sind. Handelt es sich um
Abrechnungen, die zum zweiten Mal oder sonst ungerechtfertigt gestellt werden, gibt
es ebenfalls einen abschlägigen Bescheid. Fast jede achte Rechnung an die Suva ging
im zurückliegenden Jahr zurück an den Absender.
Vitamintabletten für alle Fälle
50 Personen sind in der Rechnungskontrolle der Suva beschäftigt – nicht eben viel bei
einer Menge von zweieinhalb Millionen Einzahlungsscheinen. Dass es dem Team
alleine im vergangenen Jahr gelang, falsche Rechnungen in der Höhe von satten 200
Millionen Franken zu erkennen, hat seinen Grund in einer ausgeklügelten Software.
Sie erkennt, wenn ärztliche Behandlungen und Medikamente aus der Norm fallen, die
bei Unfallversicherer üblich ist. Rolf Schmidiger, Strategiemanager der Suva, nennt ein
Beispiel: «Verschreibt ein Arzt jedem seiner Patienten Vitamintabletten, egal ob
zweckmässig oder nicht, macht uns das System darauf aufmerksam und wir klären
diesen Fall ab.» Die Heilkostenspezialisten gehen dann den verdächtigen
Geldforderungen auf den Grund. 2015 überprüften sie Rechnungen von 600 000
Fällen.
Flunkernde Akteure bildeten bei faulen Zahlungsforderungen im komplexen
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Gesundheitswesen indes die Ausnahme, sagt Hübscher. Meist werde versehentlich
falsch zugeordnet und addiert. Vor allem bei Spitalaufenthalten ist der Grat oft
schmal, wie Strategiemanager Schmidiger erläutert: «Es gibt Fälle, die liegen an der
Grenze zwischen den zwei Diagnosegruppen Unfall und Krankheit. Sie fallen durch oft
minimale Unterschiede entweder in die eine oder andere Kategorie.»
Die Folgen können den Unfallversicherer mehrere 10 000 Franken kosten.
Kostentreiber kann etwa die Reihenfolge der Diagnosen – die erste Diagnose wird
fälschlicherweise als Hauptdiagnose interpretiert – oder zusätzliche Übernachtungen
im Spital sein. Der Computer analysiert aus Millionen von Daten den typischen Verlauf
medizinischer Fälle, bevor er Alarm schlägt.
Software wird ausgebaut
Zwei Millionen Franken investierte die Suva bislang in ihr IT-System zur
Kostenkontrolle. Die Investition hat sich gelohnt: Schon vor drei Jahren trug sie dazu
bei, 120 Millionen Franken einzusparen, vor zwei Jahren waren es bereits 160
Millionen Franken. Die Suva lässt die Software laufend weiterentwickeln. Ab Mitte Jahr
ist sie in der Lage, die Medikamentenrechnungen der verschiedenen Player im
Gesundheitswesen zu vergleichen. «Das System erkennt dann, ob Vitamintabletten,
Schmerzmittel oder Viagra zu Recht oder unnötig verschrieben wurden», sagt
Hübscher.
Ab dem kommenden Jahr wird die Software auch fähig sein, Medikamentenmissbrauch
auf die Spur zu kommen. Etwa dann, wenn ein Patient bei verschiedenen Ärzten oder
Apotheken Schmerzmittel erschleicht. Was steht am Ende der Entwicklung? Die totale
Überwachung der Patienten? Hübscher: «Alle Daten, die den Patienten identifizieren,
sind für die Analysen der Suva nicht von Bedeutung und bleiben ungenutzt.» Ein
Ethikrat wacht zudem über die Big-Data-Aktivitäten. Die Auswirkung der Software auf
die Prämie beschreibt die Suva übrigens so: «Die Kontrolle von heute ist die Prämie
von morgen.»
Krankenkassen gehen gleich vor
Auch die grossen Krankenkassen nehmen bei der Prüfungen von Rechnungen digitale
Hilfe in Anspruch. Sowohl bei der CSS als auch bei der Concordia durchlaufen die
Geldforderungen von Ärzten, Spitälern, Reha-Kliniken oder Therapeuten zuerst einmal
eine systematische Prüfung durch den Computer, der mit Fakten zu den üblichen
Kosten für Gesundheitsprobleme gefüttert ist. Fallen der Software Abweichungen auf,
machen sich die Mitarbeitenden ans Werk. Sie scheiden nicht versicherte Leistungen
aus, kommen Versicherungsbetrug auf die Spur, retournieren fehlerhafte Rechnungen
und beanstanden sowie korrigieren falsche Tarifanwendungen.
Bei der Concordia gehen jährlich 6,6 Millionen Rechnungen ein. Von ihnen wies sie im
vergangenen Jahr mehr als jede fünfzehnte zurück. «Insgesamt wurden durch
Rechnungskontrollen 227 Millionen Franken eingespart, was rund 9 Prozent der
eingereichten Leistungen entspricht», heisst es bei der Concordia. Bei der CSS weist
jede zehnte der jährlich 15 Millionen Rechnungen ungerechtfertigte Positionen aus.
Das macht 546 Millionen Franken aus, die der Krankenversicherer dank der Kontrolle
nicht unnötig vergütet hat.
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Heisser Sommer – mehr Unfälle
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STATISTIK rr. Die Suva hat im vergangenen Jahr mehr Unfälle und
Berufserkrankungen registriert als 2014. Mitverantwortlich für die Unfälle ist das
schöne Sommerwetter. Es findet seinen Niederschlag bei den Unfällen während der
Freizeit. Sie nahmen um 1,5 Prozent auf 265 297 Fälle zu. Als mögliche Gründe für die
häufiger aufgetretenen Nichtberufsunfälle nennt die Suva das schöne Wetter im
Sommer 2015. «Die Menschen haben mehr in der freien Natur unternommen als in
anderen Jahren. Das führte zu mehr Unfällen», sagt Suva-Sprecherin Gabriela
Hübscher.
Weniger Neurentner
Die Zahl der registrierten Unfälle und Berufskrankheiten stieg um 0,7 Prozent auf 463
186. Die Vorfälle während der Arbeitszeit nahmen dabei ab, und zwar um 1,0 Prozent
auf 180 376. Einen Zuwachs von gut 2 Prozent verzeichnete die Suva auch bei den
Kosten. Für ärztliche und therapeutische Leistungen zahlte die Versicherung im letzten
Jahr 1,19 Milliarden Franken. Rückläufig war die Zahl neuer IV-Rentner. Die Suva
vermeldet 1605 neue Invalidenrenten, 109 weniger als im Vorjahr. Die Gesamtkosten
der neuen Invalidenrenten sanken ebenfalls und betrugen noch 517 Millionen Franken.
© Neue Luzerner Zeitung
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