Maria Nicolaus

Maria Nicolaus: Frau mit Rose (Auguste Renoir) 1876
VERMISSTENANZEIGE
Wer hat diese Frau gesehen? In der Nacht zum 29. August 1875 verschwand sie spurlos. Sie
war auf der Fähre von New York, Amerika nach Calais, Frankreich und hätte dort eigentlich
von ihrem Ehemann Jean-Jacques abgeholt werden sollen.
Als das Schiff anlegte, wurde Margot Legrand allerdings nicht an Bord aufgefunden.
Sie ist ca. 1,65 groß, trug bei Abreise ein blaues Kleid mit weißem Kragen und einen grünen
Pelzmantel.
Sie hat dunkle, wellige Haare, die sie normalerweise mit einer farbigen Blume zurücksteckt.
Sie trägt gerne Schmuck (vor allem Ohrringe) und hat leuchtend blaue Augen. Ihr Lachen ist
besonders hell, man hört es von weitem. Außerdem bringt es ihre Augen zum Leuchten, man
kann sie nicht übersehen. Wenn sie alleine ist, schweift ihr Blick auch oft suchend in die
Ferne, als würde ihr etwas fehlen.
Ihr Ehemann, der Aufgeber der Anzeige vermisst sie sehr, bei einer Sichtung der oben
genannten Frau bitte ein Eiltelegramm an sein Domizil bei Abbeville.
„Er hat mich gut getroffen.“ Ein wenig musste sie lächeln, als sie die Zeitung auf den
heruntergekommenen Schreibtisch legte und ihr Blick sich durch die zerlöcherten Gardinen
nach draußen stahl.
Zweifelnd mustert Charles sie mit einem durchdringenden Blick. Er war schon wieder so
furchtbar nervös und musste die ganze Zeit im Zimmer hin und her laufen. Hin und her. Und
wieder Hin.
Das machte Margot ganz schön aufgewühlt.
„Warum musst du denn immer auf solche furchtbaren Pläne kommen?! Immer werde ich in
deine üblen Miseren mit rein gezogen! Das war schon früher so, als wir noch klein waren und
ich dich immer aus allen schlimmen Situationen retten musste!! Wenn das so weiter geht,
suche ich mir eine neue Schwester!“ brachte er schließlich aufgebracht zustande.
„Ach du übertreibst doch wieder! So schlecht fand ich unseren Plan gar nicht. Ich meine... mit
einem gestohlenen Rettungsboot von Bord der Fähre abzuhauen … darauf muss man erst mal
kommen! Jean-Jacques und ich, wir haben sowieso nicht aus Liebe geheiratet, sondern nur
weil die Eltern es so wollten. Er wird über mich hinweg kommen.“ konterte Margot schnell.
Sie stand auf und fing an, gekonnt die im Zimmer verstreute Kleidung und die Gegenstände
einzusammeln. Dabei pfiff sie eine kleine Melodie, die sie am Abend zuvor noch an Bord des
Schiffes im unteren Deck gespielt hatten.
Charles mit immer noch stark gerunzelter Stirn erwiderte: „Denkst du eigentlich nie nach,
bevor du etwas tust? Sieh dich doch an! Das erwartet doch kein gescheiter Mann von so
einem jungen Ding wie dir! Was möchtest du von diesem Künstler? Warum musst du dich
immer mit ihm treffen? Wie willst du jetzt überhaupt von diesem billigen Hotelzimmer
ungesehen zu ihm kommen? Denkst du nie daran was dir alles passieren könnte??“
Margot drehte sich um und machte einen Schritt in seine Richtung. „Du darfst dir nicht so
viele Sorgen machen! Sie mich an! Ich lebe in den Tag und gestalte mein Leben so, dass ich
stolz darauf sein kann gelebt zu haben! Schau mich an! Ich muss mich hinterher nicht
schämen nicht jede Chance genutzt zu haben! Du kannst dir ruhig mal ein Beispiel an mir
nehmen und dein Leben mehr genießen! Mach zur Abwechslung mal, was du willst, und nicht
das, was alle anderen wollen!“
Mit vor Aufregung leicht geröteten Wangen wandte sie sich wieder ab und fuhr fort den Koffer
zu packen.
„Ist ja gut, ist ja gut. Ich werde mal darüber nachdenken. Und wo wollen wir jetzt gleich hin?“
kommt die ein wenig kleinlaute Antwort von ihrem Bruder Charles.
„13, Rue des Maguerites, 75003, Ile-de-France, Paris. Da müssen wir hin. Wir reisen jetzt ab.
Unter dem Mantel der Nacht, so erkennt uns niemand.“
„Nun gut.“ antwortete Charles noch, daraufhin folgte ein schweres Schweigen.
Margot hasste diese Art von Schweigen ebenso, wie sie die laute Musik, die geschäftigen
Geräusche der Pariser Innenstadt und die Kunst liebte.
Die Stille wurde durch ein hartes, kaltes Pochen an der Hotelzimmertür unterbrochen. Beide
erstarrten in ihrer gerade ausgeführten Bewegung und lauschten in Richtung Tür. „Was nun?“,
las sie in seinem geschockten Blick. Es war die Sécurité, keine Frage. Sie mussten da vorbei,
nur wie?
Blitzschnell schnappte sie geräuschlos ihren kleinen Koffer und entriegelte das Fenster.
Damit entschwanden sie und ihr Bruder in die Nacht.