Die Emanzipation der Frau auf der Hochschaubahn

Die Emanzipation der Frau auf der Hochschaubahn
Statt einer steten mehr oder weniger effektiven Verbesserung der Gleichstellung und Gleichberechtigungen von Frauen in unserer Gesellschaft befindet
sich die Entwicklung in einem ständigen auf und ab. Gesamttendenz abwärts.
Der Höhepunkt des Sinkfluges die erste frauenfreie Landesregierung. Was um
die Jahrhundertwende mit der Frauenbewegung begann wird um die Jahrtausendwende wieder zu Grabe getragen.
Ende des 19. Jahrhunderts drang die Ungerechtigkeit im Verhältnis zwischen den Geschlechtern zunehmend ins öffentliche Bewusstsein. Literatur und
Theater widmeten sich Frauenschicksalen. Frauen in der Gefangenschaft der
Ehe, vom eigenen Mann unterdrückt, die den Ausbruch wagen.
Bea Brocks (Kristine), Florian Teichtmeister (Jean,
Sona MacDonald (Fräulein Julie)
und Jan Plewka (Vogel) © Astrid Knie
August Strindberg, der sich selbst
seine Freiheiten rücksichtslos erlaubte, hat mit Fräulein Julie eine
der Frauen auf die Bühne gebracht,
die ausbrechen und daran zerbrechen. Gut 120 Jahre später nimmt
sich die junge Regisseurin Anna
Bergmann der Geschichte wieder
an und inszeniert sie im Theater in
der Josefstadt (Premiere 6. Oktober). Das Fräulein (Sona MacDonald in der Titelrolle) muss heute
ihre Liebschaft über die Standesgrenzen hinweg nicht mehr mit dem
Leben bezahlen. Jetzt ist es der besitzergreifende
Diener
(Florian
Teichtmeister als Jean). Anna
Bergmann zeigt den Weg dahin. Das
Drama wird in drei Etappen vorgeführt. Zunächst hinter der durchscheinenden Leinwand (als wäre es
auf der Leinwand) die Stummfilmdarstellung mit Texteinblendungen
im Outfit der Zeit Strindbergs.
Dann als längere Rezitative und schließlich als schrilles Gehabe des DiscoZeitalters. Doch bevor man glauben möchte, die Girlie-Kultur habe gesiegt und
der Feminismus ist überholt, wird die dunkle Seite der Spaßgesellschaft offenbart. Der Pelzmantel fällt und zeigt einen zerschundenen mit Einritzungen beschrifteten Rücken der „Heldin“. Die Szene geht unter die Haut. Der Preis der
vermeintlichen Unabhängigkeit und der ungehinderten Bedürfnisbefriedigung
sind tiefe Wunden verborgener Ängste, Frust, Verletzungen, Enttäuschungen,
Verunsicherungen, Leid und unterdrückte Schmerzen. Die weinende Seele
sucht ihr Ventil.
Die noch so frechen und schamlosen jungen Leute können die Verunsicherung nicht verbergen. Ganzkörperenthaarung, die das Erwachsenwerden
verdrängt. Tattoos und Piercing als codierte Körpersignale der Zugehörigkeit
und des Rangs. Ritzen und Branding als Selbstkasteiung und Eigenstrafe für
die misslungene Identitätsfindung, das eigene ich und die Rolle als Mann und
Frau.
Ein besonderes Kapitel der Geschichte der Emanzipation der Frau präsentiert das Bank Austria Kunstforum Wien derzeit (bis 31. Jänner) mit den
Werken von Künstlerpaaren der russischen Avantgarde unter dem irritierenden
Titel „Liebe in den Zeiten der Revolution“. Die vermeintlich goldene Zeit
der Gleichberechtigung der Frauen. Durch Auflösung der Ehe, freie Partnerschaften - gern auch hochgejubelt als „freie Liebe“ – und die Entscheidungsfreiheit der Schwangeren, auszutragen oder abzutreiben, sollte die Gleichstellung der Frau ermöglichen. Tatsächlich ist es eine Gleichschaltung der Frauen
geworden, die wie Männer von Familie und Kindern unabhängig sich unbehindert den höheren Zielen der Partei opfern sollten. Dennoch fanden sich in der
Zeit Künstler und Künstlerinnen, die als Paar zusammenlebten und zusammenarbeiteten. Sie prägen den künstlerischen Aufbruch, die russische Avantgarde,
die bis in die Pariser Szene reicht. Die Bilder zeigen wie sich die beiden jeweils
in ihrer Eigenständigkeit und geschlechtsspezifischen Ausdrucksweise gegenseitig beeinflusst, bereichert und auch zu gemeinsamen Wegen gefunden haben. Manchem Werk verweigern sie die Zuweisung zu nur einem von beiden.
Gleichberechtigt und auf Augenhöhe herausfordernd und befördernd haben sie
eine neue Sprache des künstlerischen Ausdrucks geschaffen, die nach wie vor
anspricht.
Fahrende Musiker,
erstes Doppelporträt von Stepanowa
und Rodtschenko, 1921
(Fotograf unbekannt)
Silbergelatine-Print, 23,5 x 16,5 cm
Privatbesitz
© A. Rodtschenko & W. Stepanowa Archiv
Umso tragischer die Fortsetzung des kreativen und partnerschaftlichen Aufbruchs. Die Exponate der Folgejahre beschreiben den Missbrauch der Künstlerinnen und Künstler für die Propaganda des Stalinismus. Verführt von den Idealen und getäuscht durch die schamlose Lüge haben sind immer noch kreative
und ausdrucksstarke Werke in einer klaren Sprache entstanden, die das Werk
eines der größten Verbrecher der Menschheitsgeschichte betrieben. Einige haben sich dem entzogen. Manche sind ins Exil gegangen. Andere sind im Zuge
der stalinistischen Säuberungen ermordet worden. So wie Gustav Kultsis, der
nach seiner Rückkehr als offizieller sowjetischer Delegierter von der Pariser
Weltausstellung unter dem Vorwand, zu einer ausländischen faschistischen Organisation zu gehören, ermordet wurde. Während seine Frau Valentina Kulagina unablässig und vergeblich nachfragte und suchte, erhielt sie weiterhin
Staatsaufträge, die sie eifrig erfüllte.
Die Geschichte der gleichberechtigten Künstlerpaare ist schnell in Vergessenheit geraten. Erst hat die Partei die Frauen wegen des signifikanten Geburtenrückgangs zurück an den Herd geholt, Scheidung und Abtreibung verboten. Dann sind die Künstlerinnen in ihrem Beitrag zum gemeinsamen Werk
übergangen und von der Kunstgeschichte als Schülerinnen und Musen ihrer
Eigenständigkeit beraubt worden. Die goldenen Zeiten der Emanzipation eine
bittere Erinnerung.
Das Wiener Burgtheater hat mit der Inszenierung von Maxim Gorkis
Wassa Schelessnowa eine Geschichte über das zwangsläufige Hineinwachsen
von Frauen in die Männerdomäne. In Zeiten des Verfalls und des Krieges waren es Frauen, die die Männer ersetzen mussten. Entweder waren und blieben
diese im Krieg. Oder sie haben sich gehen lassen und den Pflichten und der
Verantwortung entzogen.
Dietmar König (Michailo Wassiljewitsch), Sabine Haupt (Dunjetschka), Frida-Lovisa Hamann (Natalja),
Martin Vischer (Semjon), Christiane von Poelnitz (Wassa Schelesnowa), Peter Knaack (Prochor Schelesnow), Andrea Wenzl (Anna)
Gorki erzählt eine Familiengeschichte (Buddenbrucks á la Russe), die mit dem
Niedergang des Familienbetriebes kaputt geht. Der Vater, Familienoberhaupt
und Firmenchef liegt im Sterben. Sein Bruder Prochor Schelesnow (Peter
Knaack) ist nur an dem Verkaufserlös der Firma interessiert. Die Söhne Pawel
(Martin Vischer) und Semjon (Tino Hillebrand) sind in ihrer Selbstüberschätzung bzw. geistigen Bedarftheit ungeeignet zur Übernahme der Verantwortung. Die Hoffnung liegt allein auf Enkeln, für die sie und Tochter Anna
(Andrea Wenzl) sorgen könnten. Die Mutter muss es richten. Christiane von
Poelnitz gibt in selten gezeigter stiller und fast zurückgezogener Manier eine
eiskalt berechnende und konsequent handelnde Herrin, der man jedoch die
Unsicherheit, Ängste und Sehnsucht abspürt. Während die wie ein Geist ständig herumstreifende und mitmischende Verwandte (Sabine Haupt als Dunjestschka) sich des allzu lange im Sterben Liegenden annimmt und ein Ende
macht, wird der Schwager kurzerhand vergiftet und werden die schuldbeladenen Söhne verjagt. Die Mutter selbst hat es so gerichtet, die Intrigen eingefädelt. Kindsmord und Selbstmord des missbrauchten Dienstmädchen Lipa
(Alina Fritsch) eingerechnet. Am Ende bleiben allein die Frauen übrig. Der
letzte verbliebene Mann, der Verwalter Michailo Wassiljewitsch (Dietmar König), den sich die Schelessnowa noch fürs leibliche und seelische Wohl gehalten hat wird auch noch aus der Szene gestoßen, stürzt den Abhang hinunter.
Dietmar König (Michailo Wassiljewitsch), Aenne Schwarz (Ljudmila), Sabine Haupt (Dunjetschka), Christiane von Poelnitz (Wassa Schelesnowa), Andrea Wenzl (Anna) © Georg Soulek
Andreas Kriegenburg (Regie) und Eva-Maria Voigtländer (Dramaturgie)
haben mit der Inszenierung der ersten Fassung des Stückes aus dem Jahr
1910 das Stück von der Propaganda befreit, in die es der zum Vorzeigedichter
der Sowjetunion gewordene Gorki nach der bolschewistischen Machtübernahme umgeschrieben hat und das seitdem fast ausnahmslos die Bühnen beherrscht. Die Urfassung atmet die Reife eines des großen Russen, die im kritischen Realismus Abgründe der Gesellschaft und der Seele vorführen. Das
Bühnenbild (Harald B. Thor) als verbogener Bretterverschlag, der ständig
schwankt, sich senkt und hebt und fast zur Steilwand aufzieht, gibt dem Szenario eine außergewöhnlichen Nachdruck und tiefe Bewegung. Die teils heftigen verunsichernden Schwankungen, die den „Lebenskünstlern“ einiges abverlangen, werden kontrastiert durch sanfte Hintergrundmusik von zwei Klavieren,
an die sich dieser und jene der Spielerinnen setzt.
Drei Spots auf die wechselhafte und längst nicht ausgegorene Geschichte
der Gleichberechtigung der Geschlechter. Drei künstlerische Beiträge zu einem
gesellschaftlichen Diskurs, der weder durch Quoten noch hedonistische Gleichgültigkeit zu beenden ist.
Johannes Langhoff