Erlacherhof, Junkerngasse 49

Stadt Bern
Direktion Finanzen
Personal und Informatik
Eröffnung des 1. Berner Kulturforums am 18. Januar 2016
REFERAT VON GEMEINDERAT ALEXANDRE SCHMIDT, DIREKTOR FÜR FINANZEN,
PERSONAL UND INFORMATIK
Es gilt das gesprochene Wort
Sehr geehrte Damen und Herren
Geschätzte Kunstschaffende
Ich beginne mit der schöpferische Zerstörung. Die schöpferische Zerstörung ist eine
prägnante Kurzformel, die das Wirken des Menschen erklärt. Der Mensch zerstört
durch Innovation alte Strukturen und schafft dafür neue. Bspw. der Kapitalismus funktioniert so. Sinngemäss hat diese Formel Karl Marx verwendet. Durchgesetzt hat sich
der Begriff mit Josef Schumpeter, einem bedeutenden Ökonomen. Und Nietzsche geht
im Zarathustra noch weiter (Zitat): «Und wer ein Schöpfer sein muss im Guten und
Bösen: wahrlich, der muss ein Vernichter erst sein und Werte zerbrechen.» Dass sich
das Neue nur durchsetzt, wenn das Alte verdrängt und gar zerstört ist: Die Menschheit
wäre eine andere, wenn nicht nur die Wirtschaft oder Kriegsfürsten, sondern auch die
Kultur so funktionieren würde. Zum Glück macht es die Kultur anders.
Die Kultur bietet nämlich mehr als schöpferische Zerstörung. Kultur ist natürlich schöpferisch. Aber: Kultur belässt zugleich das Erschaffene. Kultur verzichtet auf die Zerstörung. Die Kultur ist stattdessen eine ständige Zugabe, eine ständige Ergänzung.
Darum gibt die Kultur der Menschheit so viel Halt. Darum ist Kultur auch mehr als Wirtschaft, die dem Alten keinen Platz lässt. Und darum darf uns die Kultur auch etwas
kosten. Darum darf man sich nicht, nicht für Kultur interessieren. Schon gar nicht als
Politiker, und schon gar nicht als Freisinniger.
Damit wären wir bei der Kulturpolitik. Die Kulturpolitik muss einerseits dem Bestehenden und bereits Geschaffenen Platz einräumen, anderseits muss Platz da sein für das
Neue. Kultur wird oft als Zumutung oder als Provokation verschrien. Das sind Versuche
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der Zensur. Zensur dürfen wir in keiner Form und auch nicht in kleinster Dosis zulassen. Anders gesagt: Wir müssen Vertrauen in die Kunstschaffenden haben.
Platz für neue Kunst. Was das ist, wissen wir immer erst, wenn die Kunst gemacht ist.
Nicht vorher. Darum müssen wir Überraschungsmomente nicht einfach zulassen, sondern wollen. Dank der Kunst erhalten wir einen Mehrgewinn, bspw. in dem wir etwas
zu sehen bekommen, an das wir nicht gedacht haben.
Kunst ist für mich als Liberaler ein Ausdruck der Freiheit, auch ein Refugium der Freiheit. Kunst ist ein Gradmesser der Freiheit, nämlich für das, was die Gesellschaft zulässt. Was Sie wollen, ist Freiheit. Was ich als Politiker Ihnen gewähren will, ist Freiheit. Und Freiheit ist mehr als Geld.
Und da bin ich bei den Fehlern, die man in einer Kulturpolitik machen kann. Falsch ist,
immer wieder allen Akteurinnen und Akteuren etwas mehr Geld zu organisieren. Solches macht viele in der Kultur träge, mundtot, langweilig und damit schlussendlich kaputt.
Ein weiterer Fehler ist, wenn Bern ein Entsorgungsplatz für anderswo auf der ganzen
Linie Gescheiterte wird. Dafür ist Bern zu schade und zu wertvoll. Bern soll nicht das
Opfer von Postenschacherei sein. Bern verdient besseres.
Ich komme zur Kulturstrategie: Das oberste Ziel einer Kulturstrategie muss es sein, ein
Klima der Freiheit zu schaffen:
-
Einwirken auf die Rahmenbedingungen: «Ja»,
-
nicht aber auf die Inhalte.
Die Freiheit ist die bedeutsamste Rahmenbedingung; viel wichtiger als die Mittel. Finanzgarantien können sogar langsam wirkendes Gift sein. Es geht nicht darum, Institutionen fett zu machen, sondern Kreativität zuzulassen, gerade auch jene der freien
Szene.
Eine Kulturstrategie ist kein Gesetzbuch und keine Handlungsanweisung, wie gute
Kultur gemacht wird. Eine Kulturstrategie setzt bloss den Rahmen und gewährt Freiräume. Andere Ansätze kann man in den sogenannten sozialistischen Paradiesen oder
in Diktaturen begutachten, aber auch in konservativen Gesellschaften, wo den Kunstschaffenden neue Wege verbaut werden.
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Geschichtlich gesehen sind der Garant für Freiräume nicht die Kirche oder der Adel.
Sie förderten früher nicht Kultur, sondern bestimmten, was Kultur ist und darf. Ein Garant für freie Kultur ist das Bürgertum. Der Schutz individueller Freiheiten geht auf das
18. und das 19. Jahrhundert zurück: Das Postgeheimnis und diverse Berufsgeheimnisse sind Beispiele wie auch das Stimm- und Wahlgeheimnis. Humanismus und Liberalismus haben uns Freiheit und Privatsphäre gebracht, beides Grundpfeiler unserer modernen Gesellschaft. Das sind Biotope für Innovation und kreatives Schaffen, auch für
die Kultur. Dagegen sind Bestrebungen des Kommunismus oder der Generation der
68er, die beide die Gemeinschaft vor das Individuum stellen wollten, gescheitert.
Weiter müssen wir uns als Ziel in einer Kulturstrategie setzen, dass Berner Künstlerinnen und Künstler hier ihren Heimathafen bauen, von hier aus immer wieder aufbrechen, aber auch zurückkommen. Sodann müssen wir auch auswärtige Künstlerinnen
und Künstler nach Bern locken. Das freie Schaffen braucht Aufmerksamkeit und Orte
der Entfaltung – Räume und Bühnen.
Wir sind Hauptstadt. Dies ist eine besondere Verantwortung für den unseren Kulturplatz und wir haben unsere Ziele entsprechend hoch zu setzen. Und das bedingt besonderes Handeln. Ich habe mich in den letzten Jahren mit einigen von Ihnen unterhalten. Ich bin dabei auf glänzende Ideen gestossen, betrübt hat mich aber immer wieder
die rasche Unterordnung Ihrer Ideen. Kulturpolitik ist nicht Unterwürfigkeit, Kulturpolitik
muss ein ständiges Reiben sein, ein stetiges Herausfordern. Über den Ideenwettbewerb zu Glanz.
Das Ziel von heute ist, Ihre Freiheit fortzuschreiben und Handlungsoptionen zu ermöglichen, Rahmenbedingungen zu schaffen, jedoch keine Vorgaben über Inhalte. Kultur
kostet auch, also muss es mehr sein.
Das gegenseitige Schulterklopfen können wir morgen wieder abhalten. Nicht heute
Abend. Heute wollen wir vorankommen.