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Jesus
D O SDSOI ES RS :I EFaszination
R : FA S ZI N ATION JESUS
Ein Liebesbrief
Reisenotizen von meinem Pilgerweg
mit diesem Jesus
Von Stefanie Andreas
8 2 F 10
I
ch erinnere mich noch an die Nacht, als wir uns zum ersten Mal persönlich
begegneten. Ich hatte schon einiges von Dir gehört, nur Gutes, muss ich sagen.
Aber Du erschienst mir so groß, klug und irgendwie auch alt, ich hatte nie das
Gefühl, dass Du Dich für mich persönlich interessierst. Und dann standest Du
plötzlich vor mir und riefst meinen Namen. Ich wusste gleich, dass ich gemeint
war, obwohl mein Name gar nicht so selten ist. Du fragtest, ob ich eine Beziehung mit Dir eingehen wolle, und ich sagte ja, selbstverständlich – ohne groß nachzudenken. Es war das Natürlichste von der Welt für mich. Bei meiner Taufe trug ich
ein weißes Kleid, so, als wollten wir heiraten. Und ich strahlte. Alle sagten das! Ich
war die glücklichste Braut an diesem Tag. Ich las Geschichten über Dich, ich wollte
Dich besser kennenlernen. Ich verehrte und bewunderte Dich.
Foto: 12frames, photocase.com
D
och dann passierte etwas Seltsames. Ich weiß gar nicht, wie es kam, aber
anstatt dass Vertrautheit wuchs, fühlte ich mich irgendwann so, als sei ich
Deine Angestellte. Hast Du mir gesagt, was ich alles tun soll? Oder haben
Menschen mir das gesagt – oder ich mir selbst? Hatte ich Deine Worte so falsch
verstanden? Ich habe mich abgerackert für Dich, ehrlich, ich wollte es Dir unbedingt recht machen. Es lag mir so viel daran, dass Du mich beachtest. Ich wollte so
gerne geliebt werden. Aber anscheinend war ich nicht gut genug. Denn immer wieder brach Unglück über mich herein – in meiner Familie, in meinem Job, in meiner
Gemeinde, und ich dachte, das sei Deine Strafe. Ich hatte es befürchtet und es heimlich erwartet, und nun war das Unvermeidliche tatsächlich eingetroffen. Das
machte mich unendlich traurig. Und dann machte es mich wütend. In einem dramatischen Treffen mit Dir schleuderte ich Dir meinen ganzen Frust entgegen und
ich sagte in etwa folgendes: „So habe ich mir das Leben mit Dir nicht vorgestellt!
Mir geht es so schlecht, da ging es mir ohne Dich besser. Also, entweder zeigst Du
mir, dass Dir an unserer Beziehung etwas liegt, oder – das war`s!“ ▶
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I c h s trahl te. Al l e s agten das! Ich wa r
di e gl üc kl i c hs te Braut an di e se m Ta g .
N
ie, in meinem ganzen Leben, werde ich diesen Krach mit Dir vergessen. Ich weinte und weinte,
und ich glaube, Du weintest auch. Und dann nahmst Du mich einfach in den Arm und wartetest, bis der Sturm vorbei war. Ich schlief ein, noch mit Tränen auf dem Gesicht, und als ich
aufwachte, warst Du immer noch da. Ich glaube, in dieser Nacht begann ich erst richtig, Dich zu lieben.
Und das geschah nur, weil Du so bist, wie Du bist – anders, als ich denke. Du bist mir so nah, aber eben
doch nicht von dieser Welt. Das, was ich denke, was Menschen denken, ist für Dich kein Maßstab. Du
bist so radikal in Deiner Liebe und Deiner Gerechtigkeit, dass ich nie aufhören kann, darüber zu staunen. Du rechnest nicht Tat gegen Tat und Liebe gegen Liebe auf, sondern Du hast immer noch mehr
für mich, mehr als ich Dir jemals zurückgeben könnte.
I
ch habe dieses Gefühl, dass Du da bist, seitdem nie wieder verloren. Im Gegenteil, ich wäre verloren
ohne Dich. Aber natürlich musste ich trotzdem weiterleben, hier auf dieser Welt, wo nichts so ist, wie
es sein sollte. Und ich wurde verletzt. Ich hatte gedacht, dass Du Schmerzen von mir fernhältst, doch
Du hast sie zugelassen. Alte Wunden wurden aufgerissen und neue wurden geschlagen. Ich verstand
das nicht. Ich wollte keine Schmerzen. Ich hatte Angst. Immer wieder sagte ich Dir, dass ich Dir vertrauen wolle – aber ich fühlte mich ein bisschen wie vor einer schweren Operation, vor der man dem
Arzt sagt: Ich vertraue Ihnen! Aber man weiß eben trotzdem nicht so genau, ob alles gut ausgeht.
Manchmal dachte ich, dass Du die Ursache meiner Schmerzen bist, und dann wurde ich wieder
wütend. Doch Du hieltest das aus, und Du hieltest zu mir und stelltest mir Menschen an die Seite, die mir
erklärten, was in mir passiert. Sie ermutigten mich, an Dir festzuhalten. Und Stück für Stück wurde meine
Seele heil. Und meine Liebe und mein Vertrauen zu Dir wurden tiefer und größer.
H
eute komme ich mir vor wie nach langer Krankheit genesen, noch etwas wackelig auf den
Beinen neben Dir her stolpernd, immer wieder Deine Hand fassend. Manchmal trete ich mir
einen Splitter in den Fuß oder ich stoße mich an einem Stein. Ich weiß nicht so genau, warum
Du das nicht verhinderst. Irgendwie glaube ich, Dir ist es wichtiger, dass ich mich an Dir festhalte,
wenn ich gefallen bin, als dass ich unversehrt als strahlender Sieger weitergehe. Und so wandern –
stolpern – wir weiter, auf einem Weg, den nur Du kennst. Manchmal schaue ich auf und dann erfasst
mich eine Welle von Dankbarkeit, dafür dass Du mich kennst und dass ich Dich kenne, dass Du mich
nicht nur liebst, sondern dass Du mich auch magst. Ja, ich weiß, Du hast die Welt bewegt, Du hast den
Lauf der Menschheitsgeschichte verändert, Du warst schon dabei, als die Meere geschaffen wurden. Ich
schaue deshalb voller Staunen und Ehrfurcht zu Dir auf. Und dann sehe ich plötzlich dieses Zwinkern
in Deinen Augen, und ich lache befreit. Weil ich Dir so wichtig bin, dass Du Dich um mich persönlich
kümmerst. Welcher Gott tut das schon?
D
u kanntest mich schon, als ich noch im Bauch meiner Mutter war und Du bist bis heute an meiner Seite. Du wirst weiter neben mir gehen, wirst vorausgehen und wirst mir entgegengehen,
wenn mein letztes Stückchen Weg kommt. Du wirst mir die Hand hinstrecken und mir helfen
bei dem letzten Schritt, bis ich ganz und endgültig bei Dir sein darf. Dafür liebe ich Dich.
Bis dieser Tag kommt, gebe ich mein Bestes, bei Dir zu bleiben, in dem Wissen, dass Du bei mir
bleibst. Rechts und links von mir gehen andere, und wenn ich sie ansehe, sehe ich etwas von Dir in
ihrem Gesicht. Manche gehen vor mir und sind schon fast am Ziel angekommen, und manche gehen
hinter mir, zu denen ich mich umdrehe und ihnen ermutigende Worte zurufe: „Gebt nicht auf! Er lässt
uns nicht im Stich!“ Und die neben mir gehen, fasse ich an der Hand, und wenn wir ins Straucheln
kommen, stützen wir uns gegenseitig. Und wir wissen, dass Dein Herz groß genug für alle ist. Und groß
genug für mich. Mein Herr, mein Freund, mein Bruder. ◀
Lesezeit: 10 Minuten
STEFANIE ANDREAS lebt mit ihrer Familie in Drochtersen
(Elbe) und engagiert sich im Verein KiGuTu – Kindern Gutes
Tun (www.kigutu.de).
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