Das große Geheimnis des „kleinen“ Tenors John Thade

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Vier- und Marschlande / Bergedorf
Das große Geheimnis des
„kleinen“ Tenors John Thade
DONNERSTAG
15. OKTOBER 2015
ANNKATRIN ISAACS BEGLEITET DEN TENOR
„Er hat den Retro-Charme“
STERNSTUNDE Im Zollenspieker Fährhaus wird Operettengeschichte geschrieben
Von Carsten Neff
Zollenspieker. Berühmte Eltern
können ein Segen sein – aber
auch ein Fluch. Besonders
dann, wenn man als Künstler
in die vermeintlich viel zu gro
ßen Fußstapfen sehr promi
nenter Eltern tritt.
35 Jahre lang hatte der ame
rikanische Tenor John Thade
seine Herkunft in der Öffent
lichkeit geheim gehalten, trat
unter dem in seinem Pass ex
tra geänderten Namen in Hun
derten Konzertsälen in den
USA und auch der Schweiz
mit Melodien aus großen
BroadwayMusicals auf und
wurde dort frenetisch gefeiert.
Ausgerechnet bei einem ganz
kleinen, fast familiären Auf
tritt vor nur 120 Zuschauern
im Kaminzimmer des Zollen
spieker Fährhauses hat Thade
nun sein bestgehütetes Ge
heimnis offenbart.
Bereits im Februar hatte
der 71jährige Sänger, der in
zwischen in der Schweiz lebt,
das Deutschlanddebüt seines
neuen OperettenProgramms
in Kirchwerder gegeben – der
Heimat seiner Pianistin Ann
katrin Isaacs (Text rechts).
Am Wochenende nun kehrte
er zurück, eroberte die Herzen
des durchweg älteren Publi
kums mit unvergessenen Lie
dern aus den Operetten „Die
lustige Witwe“ oder „Das Land
des Lächelns. Thade erntete
tosenden Applaus, BravoRu
fe, viele hatten Freudentränen
in den Augen, forderten Zu
gaben.
Da trat der Tenor,
mit einer Schweiß
perle auf der Stirn,
vors Mikrofon. Seine
sonst so voluminöse
Stimme klang eher ver
zagt: „In meinem Pass
steht John Thade.
Aber ich bin nicht
als John Thade
geboren. Meine
Eltern waren
Legenden. Kurz be
vor Richard Tauber
starb, schrieb er einen
Brief an seine lieben Kolle
gen Marta Eggerth und Jan
Kiepura. Er schrieb: Gratula
tion! Ich höre, der kleine Te
nor ist angekommen.“ Thade
rang sichtlich um Fassung.
„Meine sehr verehrten Damen
und Herren... ich bin der klei
ne Tenor!“
Sie waren das Traumpaar der
der Operette und des Musikfilms der 30er-Jahre: Marta Eggerth aus Ungarn und der polnische Tenor Jan Kiepura.
Ein Raunen ging durch den
Saal, dann Applaus – nur weni
ge Zuschauer konnten offen
bar einordnen, was Thade
nach 35jährigem Schweigen
offenbart hatte.
1944 wurde John Thade als
Jan Tadeusz Kiepura geboren.
Seine Eltern waren damals
schon lebende Legenden. Das
musikalische
Wunderkind
Marta Eggerth hatte sich mit
Glanz und Gloria zur Operet
tendiva emporgesungen und
galt mit ihrer hinreißenden
Bühnenerscheinung und ihrem
gleichsam smarten Ehemann,
dem weltbekannten polni
schen Tenor Jan Kiepura, als
das Traumpaar des Unterhal
tungstheaters und noch jungen
Tonfilms. Doch die NaziBar
barei beendete das Märchen.
Die „Halbjüdin“ Eg
gerth und Kiepura
flüchteten
nach New York, wo sie 1943 in
322 Aufführungen der „Lusti
gen Witwe“ am Broadway bril
lierten.
Das Künstlerpaar kehrte
nach Kriegsende auch nach
Berlin zurück, feierte neue Er
folge. Kiepura starb 1966. Eg
gerth sang noch mit 84 in
Wien Mozartarien und starb
mit 101 Jahren in New York.
John Thade hatte die Ge
sangsstimme offenbar geerbt,
das Talent als charismatischer
Entertainer mit der Mutter
milch aufgesogen. Als „Jan
Kiepura Junior“ wurde er in
den USA gefeiert. „A zestful
entertainer with an exuberant
manner and ringing voice“,
schrieb die „New York Times“
(Ein begeisternder Künstler
mit mitreißendem Auftreten
und eindringlicher Stimme).
„Ich wollt sichergehen, dass
nicht mein Name, sondern
mein Können gelobt wird“, er
klärte Thade in Zollenspieker.
Er änderte seinen Pass, gab
240 Konzerte in Vermont.
Auch als John Thade erntet er
überall Lob als brillianter Sän
ger und Entertainer.
2008 zog Thade in die
Schweiz, arbeitet nach wie vor
hart an seiner Stimme und ent
deckte das musikalische Ver
mächtnis seiner Eltern neu:
Die Operetten
John Thade ist ein Chameur
alter Schule: „Reich mir zum
Abschied noch einmal die
Hände“ aus der Operette
„Victoria und ihr Husar“
singt er zum Abschluss seines Konzerts in Zollenspieker und verteilt rote
Rosen an die Damen im
Foto: Neff
Publikum.
von Franz Lehár oder Emme
rich Kálmánn. „Jetzt ist meine
Stimme weitgehend perfekt,
die Zeit reif“, so John Thade
In Zollenspieker saß auch
Dr. Farhang Logmani im Publi
kum. Der Vorsitzende der Ber
gedorfer Musiktage zögerte
nicht lange, engagierte den
Tenor noch am selben Abend:
„Wir holen ihn wieder nach
Hamburg. Nicht wegen seiner
Herkunft, sondern wegen sei
ner überzeugenden Operetten
Darbietungen“, sagte Logmani:
„Wenn John Thade die alten
Melodien singt, dann interpre
tiert er nicht nur die Texte,
sondern lässt die damalige
Zeit auferstehen.“ Längst sei
der „kleine Tenor“ selbst eben
ein ganz großer.
Die Pianistin Annkatrin Isaacs aus Kirchwerder.
A
nnkatrin Isaacs ist für
John Thade mehr als nur
eine Begleitpianistin. „Er
nennt mich immer seinen
Schatten“, sagt die aus Kirch
werder stammende, nun in
Winterthur in der Schweiz le
bende Musikerin. „Beim Be
gleiten muss man einerseits
ein gleichberechtigter musika
lischer Partner sein, anderseits
dem Solisten schnell und flexi
bel folgen – das ist wie beim
Tanzen, wo der Mann führt.“
Seit Jahren proben Thade
und Isaacs ein bis zwei
Mal pro Woche, treten
gemeinsam bei Kon
zertabenden auf und
spielen auch Studio
aufnahmen gemein
sam ein. „John hört
sehr auf meinen Rat,
manchmal bin ich so
gar sein Coach, auch
was die deutsche Spra
che betrifft“, verrät die
Pianistin: „Er arbeitet
immer noch sehr intensiv
an sich, ist nicht abge
Foto: Neff
hoben oder verprofessionali
siert, sondern gibt sein ganzes
Herz in die Musik.“ Manchmal
erzähle er auch von alten Zei
ten, von Magda Schneider,
John F. Kennedy oder Thomas
Mann. Isaacs: „Ich habe auch
mit Johns Mutter, Marta Eg
gerth, gesungen und sie am
Flügel begleitet – wenn auch
nur übers Telefon. Das waren
für mich Sternstunden.“
Sie hatte Thade schon lange
begleitet, bevor sie von seiner
Herkunft erfuhr. Als er es
dann preisgab – unter dem Sie
gel der Verschwiegenheit –
„fiel es mir wie Schuppen von
den Augen“, berichtet Annka
trin Isaacs: „John verkörpert
den Schmelz, der 20erund
30erJahre wie kaum ein ande
rer Künstler heute. Das macht
die Zusammenarbeit für mich
besonders. In unseren Konzer
ten lebt der RetroCharme
wieder auf. Das alte Publikum
schwelgt in Erinnerungen,
aber auch Junge sind begeis
tert.“
 John Thade erleben
John Thade kommt am 3. Juni
2016 wieder nach Hamburg. Im
Rahmen der Bergedorfer Musiktage tritt der Tenor mit einem
gemischten Programm aus Operetten-Melodien und Songs bekannter Broadway-Musicals auf.
Begleitet wird er auch dort von
der Pianistin Annkatrin Isaacs.
„Dieses besondere Konzert
wird nicht in Bergedorf, sondern
im wundervollen Spiegelsaal des
Museums für Kunst und Gewerbe stattfinden, da wir hierfür mit
einer sehr großen Nachfrage
rechnen“, so Organisator Dr.
Farhang Logmani.
Beginn ist 19 Uhr, die Karten kosten 28 Euro. Obwohl
der offizielle Vorverkauf erst
im neuen Jahr startet, können
Interessierte schon jetzt ihre
Tickets per E-Mail unter
info@bergedorfermusikta
ge.de vorbestellen und sich so
einen der Plätze sichern.Weitere Infos zu John Thade, auch
Studioaufnahmen und eine Videoaufzeichnung seines ersten
Konzerts im Zollenspieker Fährhaus, gibt es auf der Webseite
des Tenors: www.johnthade.ch.