"Ohne Bücher würde nichts funktionieren. Gar nichts. Die Leute

"Ohne Bücher würde nichts funktionieren. Gar nichts. Die Leute glauben
nicht allzu sehr an Bücher, ich weiß. Bücher sind Sternenstaub. Hätten wir
keine Bücher, hätten wir auch kein Leben. Es sind die Geschichten, die uns
über die Nächte bringen."
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Pressekontakt
edel & electric
Ein Verlag der Edel Germany GmbH
Laura Sonnefeld
Neumühlen 17 D-22763 Hamburg
+49 40 89085 153 / +49 175 2930 120
[email protected]
www.edel.com
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Inhalt
Begrüßung ...................................................................................................................................................... 3
edel & electric ................................................................................................................................................ 4
Presseanfragen ............................................................................................................................................. 5
edel & electric - Startprogramm
.......................................................................................................... 7
...................................................................................................... 8
Interview mit Richard Lorenz ............................................................................................................... 9
.......................................................................................... 12
Interview mit Markus Heitz................................................................................................................ 13
.............................................. 17
Interview mit Candy Bukowski .......................................................................................................... 18
....................................................................................................................... 21
Interview mit Tina Voß ........................................................................................................................ 22
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Begrüßung
Liebe Leserschaft, Autoren, Agenten, Kollegen und Journalisten,
das große Rätsel wird gelüftet: Wir freuen uns sehr, dass wir Ihnen unser Digitalprojekt edel &
electric präsentieren dürfen. Im ersten Zug erblickt Anfang Oktober der gleichnamige Digitalverlag
das Licht der Onlinewelt. Natürlich sind wir sowohl auf der Webseite als auch in den Shops und in
den sozialen Netzwerken zu finden. Sie erwartet - und dafür lege ich als Verlegerin jetzt und in
Zukunft meine Hand ins Feuer - ein spannendes Programm mit starken Titeln. Wir werden Sie gut
unterhalten, sachlich begeistern, und wir werden uns auch ab und zu mit Ihnen streiten. So
erwächst Neues, alles bleibt in Bewegung. Denn wir wollen schnell und flexibel sein, uns
weiterentwickeln, und das gilt für uns wie für alle Kooperationspartner und Mitarbeiter sowie die
beteiligte Autorenschaft.
edel & electric ist der Beginn eines sich stetig transformierenden Digitalprojekts rund um Literatur.
Wie werden wir digital schreiben, verkaufen und lesen - all dies ändert sich, und wir möchten
begleiten sowie vorangehen. Der Verlag ist der erste Schritt und ein wichtiger Teil davon, er wird in
den kommenden Monaten und Jahren um weitere Stationen und Felder ergänzt. Autoren und
Leserschaft haben vielfältige Bedürfnisse. Darauf wollen wir die Antworten finden - im Idealfall in
einem Jahr Wünsche erfüllt haben, von denen die Buchbranche bisher noch gar nichts wusste.
Was der zweite Schritt sein wird? Das erfährt man bald. Seien Sie mit dabei - wir freuen uns,
Karla Paul
Verlagsleitung
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edel & electric
Wir sind edel.
Wir sind wild.
Wir schaffen Literatur in Herzschrift. *
edel & electric ist eine neue Marke der Edel Germany GmbH. Im Oktober 2015 wird das erste
Programm, bestehend aus vier Titeln, veröffentlicht. Der Verlag wird zukünftig ausgewählte
literarische Texte unter der Leitung der Digital- und Literaturexpertin Karla Paul publizieren. Das
Programm wird innovativ, soll neugierig machen und wird nicht an ein bestimmtes Genre oder
Format gebunden sein. Ein besonderer Schwerpunkt wird dabei auf neuen starken Stimmen,
selbstbewussten, polarisierende Texten und innovativen Kooperationen zwischen Digitalwelt und
Literatur liegen. edel & electric möchte neue Trends anstoßen und literarische Experimente
ermöglichen.
Nadja Mortensen
Christian Gogic
Sales
Projektmanagement
Laura Sonnefeld
Presse/Kommunikation
Mara Giese
Marketing
γρά α grámma
* Das Elektrokardiogramm (EKG) (zu altgr. καρδία kardía
ist die Aufzeichnung der Summe der elektrischen Aktivitäten aller Herzmuskelfasern. Elektrokardiogramm
heißt auf Deutsch Herzspannungskurve, gelegentlich wird es auch Herzschrift
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Presseanfragen
Gerne sind wir Ihnen jederzeit bei der Berichterstattung zu unseren Autoren, Titeln oder unserem
Verlag behilflich.
Pressekontakt:
edel & electric
Ein Verlag der Edel Germany GmbH
Laura Sonnefeld
Neumühlen 17 D-22763 Hamburg
+49 40 89085 153 / +49 175 2930 120
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www.edel.com
Weitere Informationen zu edel & electric finden Sie hier:
http://www.edelundelectric.de
https://twitter.com/edel&electric
https://www.facebook.com/edel&electric
Interviewanfragen an Karla Paul bezüglich ihrer Tätigkeit als Verlagsleitung von edel & electric
richten Sie bitte ebenfalls an [email protected].
Interviewanfragen an Karla Paul bezüglich Buchempfehlungen, Buchkolumne, ihrem privaten
Engagement etc. richten Sie bitte an [email protected].
Alle Interviews in dieser Pressemappe wurden im September 2015 von Karla Paul geführt. Mit
Quellenangabe und Beleglink/-exemplar sind die Fragen und Antworten zum Abdruck freigegeben.
Fotomaterial darf mit Copyright-Vermerk benutzt werden:
https://www.dropbox.com/sh/zra4spajeu82bbe/AABJBHDpwdhSUXB5eDSey3Xna?dl=0
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edel & electric
Startprogramm
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Richard Lorenz:
978-3-96029-003-2
Seiten
Als HC in der Edition Phantasia erschienen.
Im Schrank findet der junge Leibrand einen Rückzugsort
vor seinen Mitschülern, vor seinem zerrütteten Elternhaus.
Er driftet ab in seine eigene kleine Welt, in die Welt der
Schrankgeschichten und Amerika-Plakate, die er nach und
nach auf seiner Schrankwand und später auch auf Papier
verewigt. Der Kuss Suzannes, den sie ihm während eines
Jahrmarkts gibt, lässt ihn aus der Welt fallen, doch sie
verlieren sich aus den Augen. Jahre später findet er im Fall
aus der Welt Suzanne wieder ...
"Manches Mal wenden sich die Dinge erst am Schluss zum Besseren, und
manches Mal verschwindet erst am Schluss die Einsamkeit eines Menschen.
Vielleicht muss im Leben erst ein Sturm zeigen, wie gut es ist, in Sicherheit zu
sein, und wie wertvoll es ist, jeden Tag seine eigene Zeit neu zu bemessen. Erst
das Sterben zeigt einem, wie kläglich der Versuch ist, erwachsen zu sein."
Richard Lorenz wurde 1972 geboren und lebt heute mit seiner Frau und
seinen zwei Kindern in der Nähe von München. Neben seiner Arbeit in der
onkologischen Pflege und Palliativmedizin, schreibt er als freier Journalist
und Autor bereits seit mehr als 20 Jahren. Seine Kurzgeschichten und
Artikel wurden schon in mehreren Tageszeitungen abgedruckt. Seine
Frost, Emma Piaf und der
Printausgaben bei der Edition Phantasia erschienen.
http://www.richardlorenz.de/
https://www.facebook.com/richard.lorenz.5
https://twitter.com/richardlorenz21
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Verlegerin Karla Paul
Der Journalist Frank Duwald schrieb über den Roman: "Amerika Plakate" ist ein
kompliziertes Buch, das von der ersten Seite an signalisiert: hier ist etwas, das du
nicht alle Tage lesen wirst." Exakt so ging es mir, ich kippte bereits nach wenigen
Worten in eine mir völlig fremde Welt mit einer anderen Sprache, wie im Rausch wollte
mein Kopf immer mehr davon. Als Leserin und auch als Verlegerin träumt man stets,
mal so einen Text zu finden, ihn zu entdecken und ab und zu passiert es tatsächlich,
das weiß man dann schon nach den ersten Sätzen. Ich kenne keinen Autor, der so ist
und schreibt wie Richard und nur noch ganz selten haben Schriftsteller eine derart
eigene und unverbrauchte Stimme, die man aus tausend anderen Texten herausliest.
Ich war sehr dankbar, dass ich diesen Roman finden und lesen durfte und freue mich
deswegen umso mehr, dass ich ihn nun in das Startprogramm von edel & electric
aufnehmen und ihn Euch auch digital zugänglich machen darf. Die Amerika Plakate
sind ein kleiner, wortgewaltiger Schatz, hütet ihn gut.
Pressezitate
schwarz, mal herzblutrot. Fast meint man, der junge Ray Bradbury habe sich in die tiefsten Schatten
der bayrischen Provinz verirrt."
Kai Meyer
"Gute Schriftsteller gibt es viele. Eher selten dagegen stößt man auf ein Buch, von dem man
ehrfürchtig denkt, dass kein anderer Autor auch nur annähernd so etwas schreiben könnte, so
eigen, so außergewöhnlich und sprachlich so abweichend ist es."
Frank Duwald
(https://dandelionliteratur.wordpress.com/2014/07/13/richard-lorenz-amerika-plakate-2014/)
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Interview mit Richard Lorenz
Die Süddeutsche Zeitung schrieb über Dich, Du hättest ein Faible für das Absonderliche siehst Du das auch so und woran liegt das?
Das ist tatsächlich eine schwierige Frage, denn ich selbst empfinde meine Erzählungen nicht
absonderlicher als Werke von Richard Brautigan oder Ken Kesey. Absonderlich und abseitig in einer
sehr positiven Art und Weise. Aber auch sogenannte Mainstream-Autoren wie Stephen King, Neil
Gaiman oder Paul Auster, dessen Romane sicherlich keine Blaupause einer Lebens-Normalität
zeigen, berühren grundsätzlich Absonderlichkeiten. Denn eines ist doch sicher, das Leben ist kein
stringenter Ablauf, sondern eine willkürliche Ansammlung von Geschehnissen. Diese Abbildung fehlt
mir zunehmend in der aktuellen deutschen Literatur, deren Plot-Genauigkeit mir den Atem oftmals
zum weiterträumen raubt.
Mir persönlich gefällt jener Tanz mit dem Zwielicht sehr, denn meiner Meinung nach benötigt man
das Absonderliche zwingend zum Herausschälen der Realität, der Wahrheit innerhalb einer
Dichtung. Vermutlich neige ich deshalb immer schon sehr stark zu dieser Art des Erzählens. Mit dem
Glauben, dass hinter jeder Geschichte eine andere Geschichte stecken kann, und ich diese Schatten
aufzeigen möchte. Schnell wird das aber als absonderlich im negativen Sinn betrachtet, als zu
versponnen, zu unklar, zu eigenartig. Als zu schwierig für die Leser, sobald das Thema eines Buches
nicht klar umrissen ist. Seitens der Branche gilt dies als Fahrigkeit bezüglich des Schreibens, als ein
hilfloses Weitertreiben der Idee. Letztendlich als kaum verkäuflich.
Woher diese Vorliebe kommt ist vermutlich ebenso schwer und einfach zugleich zu erklären. Als Kind
der Siebziger wuchs ich mit dem späten RAF-Schrecken auf, mit Film-Experimenten wie Harold und
Maude, und eben auch mit verschrobener, eigenartiger Literatur. Aufgewachsen in einem kleinen
Dorf mit absonderlichen Menschen, die zu jener Zeit in jeder kleinen Stadt zu finden waren. Mit
Schreckgespenstern in Dachgebälken und einer sehr eingeschränkten Vision vom
Erwachsenwerden.
Leibrand ist eine wunderliche Hauptfigur, er passt nicht richtig in diese Welt, wann ist er in
Deinem Kopf entstanden und wie zum zentralen Charakter für Deinen Roman geworden?
Leibrand tauchte plötzlich in einer Kurzgeschichte auf, kurz nachdem sich der österreichische
Liedermacher Ludwig Hirsch umgebracht hat. Die Lieder von Hirsch beeinflussen mich seit der
Kindheit. Seine dunkelgrauen, oft morbiden Texte haben vermutlich unbewusst meine SchreibAnfänge bemalt und bemalen sie, wie ich feststellen muss, auch weiterhin. Das Hadern mit dem
Leben und das Liebäugeln mit dem Sterben.
Leibrand entzieht sich der Welt und deren Regelwerk ganz bewusst, ist vielmehr auf der Suche nach
Herzschlägen und Seelenbildern. Ich wollte von keinem starken Archetyp schreiben, keinem Helden,
das liegt mir nicht sonderlich. Für mich viel bewegender ist der Blick auf verlorene Menschen, auf
gebrochene Gestalten im Sinne von Hans-Dieter Hüsch. Jene, denen eben nicht alles gelingt, obwohl
sie doch alles versuchen. Dieses Motiv beschäftigt mich nach wie vor sehr stark, vermutlich auch
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durch meine zersplitterte Kindheit. Leibrand ist dadurch auch ein Abbild meiner kindlichen Suche
nach Magie, um einen alkoholkranken Vater überstehen zu können. Nun war also Leibrand als Figur
vorhanden, im Rahmen einer Short-Story erst grob gezeichnet. In seinem Schatten war damals auch
schon Suzanne angelegt. Spätestens als ich herausgefunden habe, dass Leibrand fällt (erst
sprichwörtlich, dann in der Realität) offenbarte sich ein weites Spektrum. Eine Umkehr der Realität
lag diesbezüglich sehr nahe. Leibrand zeigt uns alles das, was uns als Kind wichtig erschien und
was wir im Zuge des Erwachsenwerdens verloren haben. Seine Lebensphilosophie erscheint einfach
und schwer zugleich. Die Liebe im Zentrum aller Atemzüge. Zugleich umspannt Leibrand auch alle
jene Menschen, die ich beim Sterben begleitet habe. Im Angesicht des Todes offenbart sich eine
andere Magie der Mensch zentralisiert erneut die Wichtigkeit der Individualität. Die ja oftmals im
täglichen Leben verloren geht. Die Ziele des Erwachsenwerdens kehren sich in der Situation des
Abschieds vom Leben in verpasste Träume der Kindheit um. Leibrand offenbart genau diese
Sehnsucht.
Das Cover zeigt das Kettenkarussell, einen sehr wichtigen Bestandteil eines Jahrmarkts dieser ist Teil einer Schlüsselszene im Roman, der Zirkus kommt in die Stadt, das Kind
Leibrand ist verschreckt und verzaubert zugleich. Viele Leser werden sich hier wiederfinden.
Was macht für Dich bis heute diese ungebrochene Magie aus, die Zuckerwatte, die Musik, die
Lichter?
Jahrmärkte haben natürlich eine unglaubliche magische Wirkung. Damit meine ich aber vor allem
jene Jahrmärkte der kleinen Städte, die immer etwas heruntergekommen wirken. Das Karussell ist
schäbig, die Losbude hat schon viel bessere Zeiten gesehen. Sozusagen jene Jahrmärkte, von
denen auch Ray Bradbury schreibt oder zeitweise auch Stephen King. Der Zauber existiert vor allem
in den Köpfen und den Herzen, das winzige Riesenrad wird zu einem himmelsberührenden
Fahrgeschäft. Der Geruch von Zuckerwatte und Mandeln begleiten uns in den Schlaf hinein, färbt die
Träume und lässt uns selbst zu magischen Wesen werden. Je älter man wird, desto schwerer fällt
uns, diesen Zauber aufzuspüren. An billige Tricks zu glauben, vermutlich weil wir nicht mehr richtig
sehen können. Nicht mehr mit jenen Augen, durch die wir als Kind geblickt haben. Dennoch sehnen
wir uns danach. Nach einem letzten Tag voller spätsommerlicher Geheimnisse hinter den Buden,
nach den Klang einer ganz anderen Musik. Jahrmärkte haben immer etwas mit Kindheit zu tun,
vielleicht sogar mit der ersten Liebe, dem ersten Kuss. Berühren Sehnsuchts-Momente nach
Unbeschwertheit und dem Gefühl, dass jeder Spätsommer gefüllt sein kann von Grillengesängen.
Bradbury kommt dieser Melange sehr nahe, dem Beschreiben dieser unglaublichen Kraft, und dem
Wunsch, dass eben manche Tage niemals enden sollten.
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Als Schriftsteller passt Du in keine Schublade, es will kaum ein Klischee passen, Du entziehst
Dich dem Massenmarkt und lässt lieber Deine Texte für sich selbst sprechen. Beneidest Du
andere Autoren manchmal um ihre Marketing- und Starqualitäten? Wie siehst Du den
aktuellen Literaturzirkus?
Tatsächlich entziehe ich mich nicht bewusst dem Massen-Markt. Während der Arbeit an Amerika
Plakate war mir gar nicht bewusst gewesen, dass ich an etwas schrieb, was schwer einzuordnen ist.
Für mich war es einfach jene Geschichte, die ich erzählen wollte, musste. Erst viel später, in der Zeit
der Verlagssuche, musste ich feststellen, dass es viel einfacher für den Verkauf gewesen wäre, den
Roman stringent, einfach zu halten. Das wiederum hätte ich jedoch gar nicht gekonnt und auch
nicht gewollt. Der sogenannte Massenmarkt ist darauf nicht vorbereitet, und so fiel es relativ schnell
aus dem Raster der Massentauglichkeit. Was ich natürlich bedauere, denn ich glaube nach wie vor,
dass es für diese Art der Literatur einen Markt gibt.
Und natürlich beneidet man andere deutsche Autoren, wie zum Beispiel im aktuellen Genre-Trend
Thriller, um die gewaltige Präsenz im Literatur-Zirkus. Nicht des Geldes, sondern vielmehr der
Anerkennung als Schriftsteller wegen. In schlaflosen Nächten fühlt man sich dann doch eher als ein
Schreiber, der einfach zu dumm war, es richtig zu machen. Der nicht klug genug gewesen war, sich
dem aktuellen literarischen Zeitgeist anzupassen. Das, muss ich sagen, ist eine sehr frustrierende,
nahezu bittere Erkenntnis, wenngleich ich natürlich unglaublich dankbar bin, dass meine Romane
überhaupt publiziert werden und Leser finden.
Wovon träumst Du?
Als Autor anerkannt zu werden und weiterhin absonderliche Geschichten erzählen zu können, zu
dürfen. Natürlich ist der Traum präsent, in einem größeren Verlag publiziert zu werden. Davon
träume ich. Und von dem letzten Sommergeheimnis auf einem Jahrmarkt, während das Riesenrad
am höchsten Punkt, nahe dem Mond, stehen bleibt.
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Markus Heitz:
978-3-96029-002-5
Was hält uns, wenn das eigene Leben in Gefahr ist? Nichts.
Der internationale Bestsellerautor Markus Heitz nimmt sich in
vier
politischen
Erzählungen
der
aktuellen
Flüchtlingsproblematik an und bringt den Leser in gewohnt
unterhaltsamer aber auch sozialkritischer Form zum
Nachdenken. Als die ersten Geschichten entstanden, schrieb
er noch von Fiktion - inzwischen hat ihn und unsere
Gesellschaft die Realität eingeholt. Egal wie brutal und
überspitzt Heitz schreibt, so ist das Leben und oft auch der
Mitmensch neben uns im Handeln und Denken ungleich
brutaler.
"Er hatte nichts gegen Ausländer. Als Touristen brachten sie Geld. Aber als
Flüchtlinge brachten sie Probleme. Auch er dachte und redete so und deswegen
wählte er seit Jahren rechte Parteien, die seinem Gedankengut entgegenkamen.
Er gönnte jedem Menschen Glück, aber in dessen Heimatland. "
Markus Heitz wurde 1971 im Saarland geboren und hat
mittlerweile mehr als 40 Romane in den Genres Phantastik,
Horror und Science-Fiction verfasst. Der studierte Germanist
und Historiker schreibt zudem gelegentlich politischsatirische Texte. Seine Romane wurden weltweit übersetzt, die
Gesamtauflage liegt bei etwa 2,5 Millionen Exemplaren. In
und Top 20 der SPIEGEL-Bestsellerliste. Kein anderer FantasyAutor erhielt mit zehn Auszeichnungen in den vergangenen
Jahren öfter den Deutschen Phantastik Preis als er.
Den bislang größten internationalen Erfolg hat die Serie Die Zwerge
verfassten Fantasyromanreihe, die von Europa bis USA, Japan, Russland und China einmal um den
Globus wanderte.
http://www.mahet.de
https://www.facebook.com/Markus-Heitz-170607349688167/
https://twitter.com/markus_heitz
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Verlegerin Karla Paul über
Gute Literatur unterhält, informiert und fordert den Leser - der Autor lässt uns durch
die Charaktere andere Perspektiven und Blickwinkel einnehmen. Markus Heitz
beherrscht dieses Handwerk bereits seit Jahrzehnten und ist weltweit bekannt für
seine fantastischen Welten. Zufällig stieß ich dann auf seine politische Erzählung "Der
Nachbar", in der er bereits 2008 die aktuelle Flüchtlingsproblematik kommen sah damals noch überspitzt beschrieben und eher befürchtet, heute blutige Realität, die
massenhafte Flucht vor dem Krieg, die letzte Kleidung am Körper und die Angst um
das Leben im Herzen. Diese und noch drei weitere Geschichten aus der Feder des
Bestsellerautors sollen nun wortwörtlich elektrifizieren, uns mit den Flüchtlingen "an
die Grenze treiben".
Interview mit Markus Heitz
Die Leser kennen Dich bisher als Autor von fantastischen Sagen sowie spannenden Thrillern wie kam es nun zu diesem Genrewechsel, warum ausgerechnet politische Erzählungen?
Ich bin überzeugt, dass die meisten phantastischen Autorinnen und Autoren unterschätzt werden,
sowohl was ihr Schreiben als auch die Erdung angeht. Sicherlich erfinden wir Welten, die es nicht
gibt, und doch leben wir in der Realität, der wir uns nicht entziehen können.
Da ich vorher zehn Jahre lang als freier Journalist im Lokalbereich arbeitete, kam mir das kritische
Denken ohnehin nicht abhanden. Ich sehe, beobachte, analysiere und schreibe mir gelegentlich von
der Seele, was mich ärgert und was ich gerne anders hätte. Oft waren es die kürzeren Werke, die
mich faszinierten, wie von Albert Camus "Les Justes" (Die Gerechten) oder "L'Hôte" (Der Gast), die in
knappstem Umfang ein Dilemma auf den Punkt bringen. Novellen sind ein wunderbares Medium und
aktueller denn je in unserer schnellen Zeit: rasch lesbar, verknappt etwas darlegen.
Ich bin ein sehr großer Fan von intelligent-politischem und gesellschaftlichem Kabarett, von Pispers,
Schramm oder Rether bis zu Grebe, doch ich konstatiere: Kein Kabarettist hat durch sein Programm
eine Wende ausgelöst.
Die wenigen Damen und vielen Herren stehen auf der Bühne, zeigen Missstände auf, das Publikum
klatscht begeistert, lacht haha (bei Witzen) und hoho (bei politisch inkorrekten Witzen) und geht
nach Hause - aus. Katharsis. "Puh, der Kabarettist hat gesagt, was schief läuft. Wie gut das tat." Merken Sie was, liebe Leserschaft? Genau. Es hat was von Gottesdienst. Der Priester vollzieht die
Absolution, alle sind erleichtert und gehen nach Hause. Bis zum nächsten Mal.
Hat sich was geändert? Nein. Aber sobald der Arzt sagt: "Oha, da müsste man was dagegen tun,
sonst wird das übel enden", wird gehandelt. Weil es um das Persönliche geht. Spannend, nicht wahr?
Erschreckenderweise sind die Einzigen, die frustriert auf die Straße gehen, mit fragwürdigen
Bannern bewaffnet und haben nicht ganz verstanden, dass Ausländer und Flüchtlinge nicht ihr
Problem sind. Es ist -wie so oft im Leben und bei Facebook- kompliziert.
So entstand "Kommando Flächenbrand-Militante Kabarettisten". Natürlich engagieren sich einige
Menschen in Deutschland und versuchen, Dinge zu verbessern. Meistens sind es Kämpfe gegen
Windmühlen. Politik reagiert fast immer nur auf Druck, seltenst aus eigenem Antrieb. Beispiel: Es
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muss erst ein Atomkraftwerk in Japan aus dem Ruder laufen, um eine Energiewende einzuleiten,
Tschernobyl war da schon vergessen, und dass Cattenom regelmäßig wegen Störfällen vom Netz
genommen wird, kommt schon gar nicht mehr in die Nachrichten. Und wird es für
Wirtschaftsverbände gefährlich, stehen die Lobbyisten Schlange, und es wird latent gedroht und auf
Arbeitsplätze gezeigt, die verloren gehen könnten, andere Unternehmen verklagen die Regierung,
um an ihr Geld zu kommen. Das ist äußerst bedauerlich.
Gleichzeitig bemerke ich bei mir eine Resignation, da ich das System durchschaut habe und
bemerke, dass es sich kaum ändern lassen wird. Perfide wird vorgeschlagen: "Los, mecker nicht.
Bring dich ein, tritt doch in eine Partei ein und ändere was." Genau. Ich habe als Journalist ein paar
Gute mit DEM Vorsatz antreten sehen. Ich weiß, wie es endete.
Da bleibt die Wahl: es sich darin einrichten, das Beste draus machen und möglichst wenig bei dem
Unsinn mitspielen oder mit Vehemenz dagegen angehen? Auch das muss jeder für sich entscheiden.
Die erste Geschichte zur Flüchtlingsproblematik ("Der Nachbar") entstand bereits im Jahr
2008 und damals waren viele Deiner Ideen reine Fiktion, inzwischen hat Dich die Realität
überholt. Bist Du damals schon davon ausgegangen, dass es tatsächlich soweit kommen
könnte? Was für ein Gefühl ist es, wenn Du aktuell in den Nachrichten genau das siehst, was
Du bereits vor Jahren beschrieben hast?
Es gibt die alte Autorenweisheit, dass alles, was wir Kreative uns ausdenken können, von der
Realität getoppt wird.
In 2008 gab es einen größeren Anstieg von Flüchtlingsbooten, die übers Mittelmeer kamen; auch die
Zahl der Schiffbrüchigen und Toten stieg. Der Autor dachte sich: Was wäre wohl, wenn das jemand
richtig organisieren würde, ein cleverer, gebildeter Mensch, weil er die Schnauze voll davon hat, dass
die sogenannte zivilisierte Welt beim Sterben in Afrika zusieht? Nicht mit wackligen Nussschalen,
sondern Tanker und Containerschiffe aufbringt, 20.000 Menschen und mehr auflädt, sie kostenlos
rüberbringt. Tag für Tag. Was würde Europa tun? Wäre es verboten, einfach so in ein Land zu
kommen? Wer kann es einem Menschen übel nehmen, dass er besser leben will?
Umgekehrt betrachtet: Was hat Europa denn in den vergangenen Jahrhunderten getan? Den
FirstNations das Land geklaut, Millionen Menschen nach Amerika verfrachtet, die in Europa keine
Zukunft mehr sahen oder haben durften. Was hätten die Iren bei der Großen Hungersnot 1845-1852
gemacht, wenn sie nicht nach Amerika ausgewandert wären? Verreckt? Zwei Millionen Iren
emigrierten. Ich schuf in meiner Geschichte die Kombination aus Wut und Gelegenheit, wobei die
Menschen aus Afrika ganz friedlich anlanden. Es sind eben nur sehr viele. Wohlgemerkt: 2008.
Insofern fand ich es reichlich albern, dass gesagt wurde, man sei von der Situation jetzt überrascht
worden. Man hat abgewartet und gehofft, dass es sich von selbst regelt. Und noch vor wenigen
Jahren wurde ein militärisches Eingreifen in Syrien abgelehnt. Nun, da die Menschen in Massen
nach Europa flüchten, wird plötzlich nach einem Ende des Krieges in Syrien geschrien. Zynisch. Und
leider doch wie immer.
Gerade geschah alles das, was ich mir in meiner Geschichte ausdachte: Grenzbefestigungen, der Ruf
nach Ausweitung der Kontrollen im Mittelmeer durch Kriegsschiffe, umherirrende Menschen und
verunsicherte Einheimische, die leicht Opfer von Propaganda verschiedenster Seiten werden
können. Ich hoffe sehr, es geht nicht so weiter wie in meiner Story.
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In "Kommando Flächenbrand" beschreibst Du die Möglichkeiten jedes Einzelnen, wie wir als
Teil der Demokratie positiv als auch negativ Einfluss üben können. Was erwartest bzw.
wünschst Du Dir von Deinen Lesern?
Wie ich schon andeutete - das muss jeder für sich entscheiden. Aber wer begriffen hat, dass unser
System selbstkonservierend ist, kann schnell frustriert sein. In einer etablierten Partei etwas zu
ändern ist unmöglich. Man wird schneller abgesägt als man schauen kann, sobald man unbequem
wird. Das ist gar nicht böse gemeint, sondern eine nüchterne Beobachtung. Spiel mit oder du bist
raus. Reformen sind nur schwer durchzusetzen, sogar kleine haben es schwer.
Ein Beispiel: Ich schrieb vor einigen Jahren an Herrn Gauck, dass ich mir auf Wahlzetteln ein Feld
"Enthaltung" wünsche, um ein Statement bei der Wahl abgeben zu können. Denn außer JA und NEIN
bleibt mir nur das UNGÜLTIG, was meistens falsch ausgefüllte Wahlzettel sind. Also könnte man
sagen, dass 90% der "Ungültigen" zu doof zum Ausfüllen waren.
Ich möchte aber zur Wahl gehen, ein ENTHALTUNG ankreuzen können, um zu zeigen, dass ich
Demokrat, aber unzufrieden mit der geleisteten Arbeit bin. DAS ist eine Rückmeldung an die
Parteien, die jammern, dass die Wahlbeteiligung so schlecht wäre. Ja, logisch. Weil ich keine
Alternative habe. Ich will nicht meine Stimme (die übrigens bares Geld ist, weil es einen
Verteilerschlüssel von Euros nach errungenen Wählerstimmen gibt) dem kleineren Übel geben und
verschleudern, ich will sie NIEMAND geben und sagen: Macht es besser und haltet eure Versprechen.
Das wäre in meinen Augen eine Stärkung des demokratischen Prinzips. Das Geld aus dem Topf
ENTHALTUNG kann man prima in soziale Projekte stecken. Übrigens sieht jede Satzung bei
eingetragenen Vereinen in Deutschland bei Neuwahlen die Möglichkeit vor, mit JA, NEIN und
ENTHALTUNG zu stimmen. Und ein Verein ist demokratisch geführt. Ach ja, das Gauck'sche Büro
antwortete. Sinngemäß sei es nicht die Aufgabe des Bundespräsidenten, ich solle mich selbst
kümmern. Tja. Gut abgeschmettert vom obersten Demokraten Deutschlands. Vielleicht braucht man
einen neuen Begriff für die aktuelle Regierungsform.
Mit den Erzählungen kritisierst Du auch die Politik und zeigst viele Fehler auf, sowohl national
als auch international. Was verlangst Du von der aktuellen Regierung?
Keine Regierung hat jemals einen einfachen Job, sogar nicht in den Zeiten, die rückblickend als "gut"
bezeichnet werden. Irgendwas geht immer schief oder es treten Turbulenzen auf.
Was jeder verlangen sollte, ist eine gewisse Weitsicht, die eine Regierung haben sollte. Beispiel
Energiewende: Windräder einfach flächendeckend bauen, wo die Voraussetzungen passen, und
AKWs abschalten, fertig. Klar sieht das nicht schön aus - ja, und? Ein Windrad fällt um - ein
Atomkraftwerk geht hoch. Das ist ein gravierender Unterschied, und schön aussehen tut ein
explodiertes AKW übrigens ebenso wenig wie das verstrahlte Umland. Es gibt gerade bei guten
Projekten immer zu viele Bedenkenträger, die auf Zeit spielen, bis alle keine Lust mehr haben. Dann
ist das Thema bis zur nächsten Katastrophe vergessen. Und dann sagen sie wieder: "Ach, hätten wir
doch mal..."
Dazu gehört auch, sich als Regierung von den Abhängigkeiten äußerer Einflüsse und
Einflüsterungen zu lösen. Ganz klar: Das Gehalt von Bundestags- und Bundesratsabgeordneten
verdoppeln, alle Nebeneinkünfte verbieten. Zack. Manchen ist leider sehr deutlich anzumerken,
dass sie ein Mandat haben, um abzukassieren. Doppelt und dreifach und mehr. Ohne dass sie genau
offenlegen müssen, von wem sie Kohle beziehen. Daran müsste gedreht werden. Ich will wissen,
wenn ein "Vertreter des Volkes" zu seinem Einkommen, dass wir Steuerzahler leisten, nebenbei von
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x Firmen das zehnfache einkassiert. Da muss man sich dann fragen, für wen er abstimmt. "Dess'
Brot ich ess, dess' Lied ich sing", so hieß es mal.
Du bist für Deine große Musikleidenschaft bekannt und twitterst regelmäßig Deinen jeweiligen
Schreibsoundtrack zu den verschiedenen Projekten. Welche Lieder empfiehlst Du passend zu
"Kommando Flächenbrand"?
Ganz klar von den Ärzten "Deine Schuld", weil es genau trifft, um was es geht. Das Hazy Osterwald
Sextett "Konjunktur Cha-Cha" und "Der Fahrstuhl nach oben ist besetzt". "Das Lied der Partei", weil
es für jene herrlich ironisch ist, die einen Funken Geschichtswissen haben. Rainald Grebe mit "Ich
bin der Präsident" und "Der Kandidat". Metallica mit "Master of Puppets", Clawfinger mit "Nigger",
Megadeth "Symphony of Destruction" und im Grunde das komplette Album von Queensryche
"Operation Mindcrime". Man sieht, die Bands aus der oft verkannten Metal-Sparte hatten schon
immer das kritischere Denken.
16
Candy Bukowski:
978-3-96029-001-8
"Man muss erst einige Male sterben um wirklich leben zu
können." so schrieb einst Charles Bukowski. Seine
Namensvetterin Candy findet dafür mehr Worte und keines zu
viel - in dreißig Erzählungen berichtet sie von den schönsten
und schlimmsten Nichtigkeiten des Lebens, der Liebe, dem
Sterben, von alkoholgetränkten Nächten voller Träume, die wir
in der Realität nicht auszusprechen wagen. Wie stark ist Dein
Mut? Wie weit reichen Deine Träume? Wie viel Lieben und
Sterben hältst Du aus?
"Ja, das machen wir alle, sich tot leben. So wie fast alle essen und trinken,
mittelprächtige Jobs erledigen, ein paar Träume hüten, andere verwerfen und in
manchen Nächten ihren Nächsten lieben. All das kleine Glück und auch das
große. Die Schnappatmung von Zeit zu Zeit und die Suche nach dem Ankommen,
ohne etwas aufzugeben, obwohl du dir doch bereits zehntausendfach selbst
bewiesen hast, dass das Glück nur ein Hochplateau sein kann, ein erklommener
Aussichtsfleck zum Atemholen und Vertrauen schöpfen."
Candy Bukowski (geb. 1967) bemerkte zu spät, dass sie
gerne Dramaturgin geworden wäre. Weshalb sie in
willkürlicher
Reihenfolge
Buchhändlerin,
Verlagsvertreterin, freie Redakteurin, schmuddelfreie
Erotik-Fachfrau ihres eigenen Magazins, Reiki-Lehrerin,
Bloggerin und Autorin wurde. Heute lebt sie
sturmerprobt, alleinerziehend, mehrfach liebend und
weiterhin nur schwer in Schubladen passend in ihrer
Wahlheimat Hamburg. Sie schreibt ebenso messerscharf
wie literarisch unter ihrem Pseudonym, das ihr
mittlerweile zur zweiten Haut geworden ist. Candy Bukowski steht für Lesungen zur Verfügung.
http://candybukowski.com/
https://www.facebook.com/candy.bukowski
https://twitter.com/CandyBukowski
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Interview mit Candy Bukowski
Du schreibst über das Leben mit all seinen Höhen und Tiefen und dass man eben manchmal
auch gemeinsam sehr einsam sein kann. Was hält Dich an schlechten Tagen oben, was erhellt
die schwärzesten Nächte?
An ganz normalen, schlechten Tagen reicht es völlig, mich selbst und die Welt nicht zu ernst zu
nehmen. Einen Schritt zurückzugehen, das Groteske zu sehen, über den manchmal dreckigen
Humor meines
Schwärzeste Nächte gibt es nicht. Sie sind Teil einer schwärzesten Etappe. Wenn du weißt, es wird
dauern und das ist erst der Beginn des Vermissens. Es ist immer Vermissen. Einen Menschen, eine
(verpasste) Chance, Sicherheit, sich selbst. Immer dasselbe und immer wieder so schmerzhaft wie
beim ersten Mal. Was hilft? Leiden, hadern, Wunden lecken, schreiben. Und dann hoch und erinnern,
dass es immer wieder weiterging. Dankbar sein. Meine besten Texte stammen aus schwarzen
Nächten.
Das Coverfoto zeigt eine Hamburger Bar und auch Du bist eine nordische Kiezlady - wie viele
Deiner Stories sind an einem Tresen in St. Pauli entstanden? Wie und wo schreibt Candy
Bukowski und hat sie mit ihrem Namensvetter Charles auch die Liebe zu gutem Alkohol
gemein?
Ich glaube, wer schreibt, der schreibt immer. Man lebt, man erlebt, man schaut hin, fühlt und denkt.
Den ganzen Tag über, egal wo man ist. Viele meiner Texte haben sich über Minuten oder Tage
gedacht, wurden dabei schon in Form gebracht oder ordnen sich um.
Und dann setze ich mich irgendwann hin und schreibe sie herunter. So wie sie längst da sind, der
Rest ist dann Feinschliff. Kürzen! Oder finde das passende Bild! Schreib das Gefühl! Schone Dich
nicht, weiche nicht aus! All sowas. Das ist dann leicht, das ist Schreiben, wie ich es liebe.
Anders ist es, wenn das Thema vorgegeben ist, ein Text sich einpassen soll. Das ist Arbeit, bei der ich
mich immer wieder neu zurückpfeifen muss. Dann heißt es: konzentriere dich! Komm zurück zum
Thema! Schreibe verdammt nochmal nicht stimmungsabhängig! Ganz anders also.
Was stets gleich bleibt: ich schreibe zuhause am PC, wenn ich alleine bin. Ohne Musik oder
Ablenkung. Vertraute Menschen kann ich dabei nicht um mich haben, das ist völlig verrückt. Fremde
am Nebentisch dagegen, inspirieren mich eher. Vom ersten Verlagshonorar habe ich mir ein leichtes,
kleines Notebook geleistet. Das macht mich glücklich! Jetzt kann ich überall schreiben, wo ich will!
Und dass es mit Autorenblut bezahlt wurde, ist das besonders Großartige dabei.
Zur letzten Frage: ja, ich trinke. Nicht so konsequent wie Charles, aber für dieses Leben musst du
trunken sein. Wie soll es dir seine Abgründe zeigen, wenn du dich an der Begrenzung festklammerst
und Salbeitee trinkst?
Wie definierst Du Liebe?
Lässt sich Liebe definieren, nach Erich Fried? Ich suche sie zu greifen, ja. Immer wieder neu, immer
wieder anders, immer wieder auf der Suche nach neuen Worten für etwas, das mit zartem
Schmetterlingsflügel eine Welt durch die Galaxie drischt und mit brutaler Faust eine Wange
streichelt. Liebe ist alles, alles was wir brauchen und sie tut weh. Zum Glück tut sie das, sonst
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könnten wir sie nicht spüren. Sie tut im Wundervollen weh und im Schrecklichen, wir verletzen uns,
weil das Tier tief drinnen eben auch immer mitspielen will. Und wie schlimm wäre es, wenn wir es
verstecken müssten, um dem anderen ein glattes Abziehbild zu sein? Liebe ist still und brüllt, ich
könnte mich in Rage schreiben, wenn Menschen Liebe mit beständiger Harmonie gleichsetzen.
Liebe ist ein wundervoller Derwisch und morgen hätte ich an dieser Stelle sicher schon wieder etwas
anderes gesagt.
Vermutlich definiert sich Liebe immer wieder selbst aufs Neue, deshalb können wir sie ja nicht
zähmen und eintüten, wie alles andere.
Deine Erzählungen verursachen beim Lesen ein Kribbeln auf der Haut, wir leiden und lieben
mit den jeweiligen Charakteren. Du schreibst sehr authentisch und findest Worte für die
härtesten Emotionen. Wie sehr leidest und liebst Du selbst beim Schreiben?
Hm. Wenn das so ist, dann ist es größtes Glück für mich, das sind mein Wunsch und meine Hoffnung
ans Schreiben. Aber die Wahrheit ist, es fällt mir nicht schwer, die Härte von Emotionen in Worte zu
packen. Es sind die einzigen, die mich auf Papier interessieren, ob selbst verfasst oder gelesen.
Wenn ein Autor es schafft, mich in seine Abgründe schauen zu lassen, mich mitnimmt, wenn er
nackt und schonungslos durch den Morast taucht, weit unter der abgesicherten Oberfläche, dann
möchte ich in die Knie gehen vor Ehrfurcht. Ehrfurcht vor der Blöße, dem Gefühl, dem Gelebten, und
dem Verschmerzten gegenüber. Und wenn er es dann noch schafft, in einem Satz, einem einzigen,
die Emotionsbilanz eines Kapitels zu ziehen, dann ist das orgiastisch gut.
So möchte ich lesen und im besten Fall schreiben. Nicht immer, soll ja keiner erschlagen werden,
aber beharrlich immer wieder.
Wie sehr ich dabei leide und liebe? *lach* Das kommt darauf an, wieviel Sepia das Gefühl hinter dem
Text schon trägt. Aber nein, ich kämpfe mich sicher nicht leidend durch die Nächte. Das wäre ja
schrecklich. Man mag es nicht glauben, aber ich bin in letzter Konsequenz ein überaus
optimistischer, lebensbegeisterter Mensch. Einer meiner Liebsten hat mir kürzlich bescheinigt, dass
ich niemals erwachsen sein werde, das halte ich mit Ende Vierzig für ein großartiges Kompliment.
Trotz hält anscheinend jung.
Deine Literatur knallt bis in die letzte Nervenbahn, im Guten wie im Schlechten, Du findest für
uns die richtigen Worte für kaum fassbare Situationen und Wünsche. Welcher Text hat das
zuletzt bei Dir geschafft, welche Autoren liest Du selbst gern und warum?
Das schafft bei mir immer wieder die Bloggerin Sarah Riedeberger, trotz oder wegen ihrer Jugend,
was mich jedes Mal aufs Neue völlig fassungslos macht. Alex Winter von talkinggiants.com steppt
wortgewaltig und grenzignorierend am Abgrund. Jeder Text ein Treffer. Sven Heuchert, gerade sind
seine ersten Stories im Bernstein Verlag erschienen, ein ganz großer Amerikaner mitten aus dem
Pott. Gnadenlos gut.
Von den Großen hat mich zuletzt natürlich Wolfgang Herrndorf mit seinem Können und seiner
geworden, wir teilen uns das Schlafzimmer. Angelika Schrobsdorff wird mich mi
muss ich nichts zu sagen, oder?
Alles knallharte, wundervolle Autoren. Nicht zu vergessen, die LyrikerInnen: Die große Dame Hilde
Domin, unbedingt und immer, immer wieder Mascha Kaleko, aber auch Till Lindemann der Sänger
von Rammstein wird mit großartigen Gedichten verlegt. Rilke ist unersetzlich und wenn man mal
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abseits des Bekannten schaut, wird auch nicht mehr an Blümchen geschnuppert. Ein winziger Abriss
von so vielen großen Geistern. Alle schreiben über die Liebe und das Leben und dennoch ist beides
nie zu Ende erzählt und berührt immer wieder neu. Was ist Buch doch für ein geniales Medium, oder?
Das Leben birgt oft kaum fassbare Momente, positiv als auch negativ. Wir bringen
Wünsche und Träume mit und kämpfen dafür, trotz aller Rückschläge gibt selbst das
schwächste Herz nicht freiwillig auf. Im Idealfall finden Autoren für solche Erlebnisse
die richtigen Worte und diese Erzählungen sind voll von eben diesen. Candy Bukowski
steht ihrem berühmten Vorbild Charles in Nichts nach, weder in den
rauchgeschwängerten Barnächten noch in den Geschichten, die davon erzählen. Sie
packt uns ein bisschen Melancholie in den Bauch, lässt uns mit der Trauer nicht allein
und - gibt Hoffnung. Hoffnung darauf, dass jedes gebrochene Herz heilt, dass wir es
zusammen schon irgendwie schaffen werden.
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Tina Voß:
978-3-96029-000-1
Bei einer Recherche stößt Journalistin Liv Mika auf
einen Fall von Zwangsprostitution, der sie über
Deutschland bis in die Ukraine führt. Je weiter sie
vordringt, desto grauenhafter werden ihre
Entdeckungen - die Täter sind einflußreich und die mit
ihnen verbundenen Verbrechen mit Milliardengewinnen
verbunden - Zeugen werden ermordet und Freier
vorsätzlich infiziert. Doch je weiter Liv bei ihren
Ermittlungen rund um den Mädchenhandel vordringt,
desto mehr bringt sie sich gleichzeitig selbst in
Lebensgefahr ...
"Deutlich waren Blutspritzer auf dem Bett zu erkennen. Livs Herzschlag
beschleunigte sich und sie fühlte, wie sich ein Zittern aus ihrem Inneren auf die
Hände übertrug. Mühsam löste sie sie von der Schreibtischkante und fuhr sich
durch die Haare. Längst vergessene Bilder und Gefühle kratzten am Rand ihres
Bewusstseins..."
Tina Voß wurde 1969 in Seesen/Harz geboren. Sie lebt seit den neunziger
Jahren als Unternehmerin in Hannover und leitet dort ihre Firma für
Personaldienstleistungen. Nach der Veröffentlichung einer
Kurzgeschichte in der Krimischrieb sie nach vier Jahren Belletristik-Fernstudium die beiden
-Debüt.
https://www.facebook.com/tinavoss1977
https://twitter.com/vos_tina
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Seit vielen Jahren schlägt mein Herz für blutige Literatur, für Spannung, die alles
gefrieren lässt und starke, schwierige Ermittlertypen. Aber warum in die (nordische)
Ferne schweifen, wenn das Gute so nah liegt und zufällig landete das Manuskript von
Tina Voß auf meinem Schreibtisch. Ich las und las und ermittelte mit Liv Mika und
hatte das gleiche Gefühl wie damals bei Liz Marklund und ihrer Annika Bengtzon Reihe
- genau die richtige Unterhaltung für düstere Herbstnachmittage. Zudem tausche ich
mich nun seit Wochen fast täglich mit Tina über ihre diversen Recherchen und die fast
unerträgliche und weit schlimmere Realität aus, die sie zum Roman gebracht hat glaubt mir, diese Frau weiß genau, von was sie da schreibt. Allerdings gibt es ein
großes Manko: wir müssen jetzt ein Jahr bis zur Fortsetzung warten ...
Interview mit Tina Voß
Der erste Fall von Liv Mika wirft sie mitten in einen Mädchenhandelring. Für dieses Thema
hast Du lange recherchiert, um die Problematik glaubwürdig beschreiben zu können. Is t die
Realität grausamer oder harmloser als im Thriller beschrieben?
Ich musste leider feststellen, dass ich mir kaum etwas ausdenken kann, was es so oder ähnlich
nicht schon gibt. Hinter dem an sich unfassbaren Mädchenhandel steht ja noch etwas
Ungeheuerlicheres. Als ich anfing, mich damit intensiv zu beschäftigen, stellte ich erschüttert fest,
dass solche Grausamkeiten von hochzivilisierten Nationen in Auftrag gegeben werden. Früher
ürzlich las ich ein
Fachbuch über Psychopathen und stellte fest, dass einer der geschilderten Fälle die Grundlage der
Romane von Thomas Harris war. Das reale Leben hält mehr Abgründe bereit, als ein Autor erfinden
kann. Spannend wird es, wenn man einige Dinge miteinander verknüpft und dann weiterdenkt.
Die Journalistin hat nicht nur mit ihrem Fall zu kämpfen, sondern auch mit sich selbst problembeladene Ermittler gibt es aber inzwischen schon dutzendfach. Was macht Liv
besonders?
Die Figur hatte ich als Erstes im Kopf. Ich wollte keinen polizeilichen Ermittler, der in der Realität
bestimmten Zwängen unterliegt. Unsere Behörden haben viele Vorschriften, die während einer
Ermittlung beachtet werden müssen. Ich mag zwar eine gewisse dichterische Freiheit, aber es
dürfen keine groben Fehler drin sein. So war mir das Korsett für eine Polizistin zu eng. Ich habe alle
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Fakten im Thriller von Pathologen, Polizisten, Ärzten, Chemikern, Tierärzten, Journalisten,
Molekurlarbiologen, einem Prof. der Kriminologie usw. checken lassen. Auch in Kiew selber hatte ich
einen sachkundigen Führer, mit dem ich mich in die dunklen Ecken gewagt habe.
Welche Berufsgruppe ist neugierig, gibt sich nicht mit den ersten Antworten zufrieden, ist motiviert,
den Dingen auf den Grund zu gehen? Journalisten! So war Livs Beruf auch von Beginn an klar. Früher
gab es in der Literatur recht eindimensionale Helden, die nur in dem Fall zu leben schienen. Z.B. Miss
Marple. Das hat sich radikal gewandelt. Viel spannender ist doch, was eine Figur bewegt? Warum hat
sie Angst vor bestimmten Dingen? Was motiviert sie bis in die Haarspitzen, niemals aufzugeben?
Wie liebt und lebt sie? All das muss für mich in eine Geschichte mit einfließen. Wir Menschen wollen
andere Menschen begreifen und das können wir nur, wenn wir sie als Ganzes kennen. An dem
Lebenslauf von Liv habe ich Monate gearbeitet, habe Aktienverläufe geprüft, Redaktionssitzungen
besucht, Chefredakteure befragt und mit Psychologen über die Grundlagen ihrer Ängste gesprochen.
Nach unterhaltsamen Frauenromanen ist dies Dein erster Thriller. Warum der Genrewechsel?
Ich bin seit frühester Jugend ein Thriller-Fan. Mit dreizehn habe ich meinen Schülerausweis
alle Teile des
Weißen Hai oder Stephen King-Romane viel zu langweilig. Liv war lange vor den Frauenromanen da,
sie musste nur ein wenig reifen, da der Plot und Figurenbau im Thriller viel komplexer ist als im
Chicklit. Zumindest für mich. Allerdings machen die lustigen Frauenromane auch unglaublich Spaß.
Der Handlungsrahmen ist viel freier und ich durfte albern und absurd sein. Jede Verrücktheit, die ich
mal erlebt habe, konnte ich noch weiter drehen und mir chaotische Situationen einfallen lassen. Ein
Thriller ist Arbeit. Alles muss sitzen. Die Spuren müssen sinnvoll gesetzt sein, aber dürfen nicht zu
viel verraten. Die Motive aller Figuren und das damit verbundene Handeln müssen glaubhaft sein.
Jede Figur hat bei mir einen Lebenslauf, ein persönliches Interview, das ich fiktiv geführt habe und
auch eine Ausarbeitung zu Vorlieben, Familie, Beruf und allem drum herum. An den Wänden kleben
beim Plotten und Schreiben überall große Flipchart-Blätter mit Zeitabläufen, Fragen, Pfeilen und
Ideen. Gerade wenn ich die Handlung mit verschiedenen Perspektiven und/oder Zeitebenen
ausstatte, wird es schnell sehr komplex und ich versuche mit großen Schaubildern alle Fäden in der
Hand zu halten. Es dauert einige Monate, bis ich mit dem eigentlichen Schreiben anfange. Bis dahin
habe ich ca. 80% der Geschichte skizziert. Erst, wenn ich weiß, wo ich hin möchte, fang ich auch
wirklich an zu schreiben.
Du liest selbst auch sehr viel - welche Autoren bzw. Bücher waren für Dich ein Vorbild, hast Du
besonders spannende Empfehlungen?
Mein Held der Jugend ist Thomas Harris mit den Hannibal-Lector-Romanen, aber mein großes Vorbild
ist eindeutig Stieg Larsson. Seine Figuren haben eine unglaubliche Tiefe, sind spannend, glaubhaft
und das alles hat er in komplexe Handlungsstränge verwoben. Bei seinen Büchern hatte ich mich
schon vor zehn Jahren gefragt, was macht er anders? Warum ist er so spannend? Weil mir das keine
Ruhe gelassen hat, habe ich das Handwerk Schreiben von Grund auf gelernt. Ich habe aber auch Mo
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Hayder verschlungen, vor a
Eschbach, von denen ich mein Handwerk gelernt habe. Tess Gerritsen, Elizabeth George, Lee Child,
Karen Slaughter, Jo Nesbo usw. Es gibt so viele grandiose Autoren!
"Weggeworfen" ist der erste von drei geplanten Fällen der Journalistin - was erwartet Liv und
damit auch den Leser im nächsten Roman?
Vor drei Jahren erzählte ich einer Freundin von einer völlig ausgeuferten Nacht auf einer
Klassenfahrt im Rahmen einer Erwachsenenweiterbildung. Sie stellte damals die Frage zu einer
eine unglaubliche Geschichte da war. Sofort schrieb ich alles auf. Was kann nach einer
schicksalhaften Nacht mit den Menschen passieren? Wenn man schockiert herausfindet, dass zwei
Menschen nicht mehr leben? Um die Lebenswege zu zeichnen, bin ich auf ein russisches
Containerfrachtschiff gegangen und habe eine Reise als geduldeter Passagier mitgemacht. Im
Januar fliege ich noch auf eine kleine, seltsame Inselgruppe in der Nähe von Afrika, um einer meiner
Figuren in ein anderes Leben zu folgen und dann lasse ich das alles aufeinander prallen. Ich freue
mich wahnsinnig darauf, Liv wieder loszuschicken. Zumal ich auch schon ahne, dass sie im dritten
Teil in ihre eigene Vergangenheit zurück muss und dabei schlimme Dinge rausfindet, die ihre Welt in
einem ganz anderen Licht erscheinen lassen.
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