"Ohne Bücher würde nichts funktionieren. Gar nichts. Die Leute glauben nicht allzu sehr an Bücher, ich weiß. Bücher sind Sternenstaub. Hätten wir keine Bücher, hätten wir auch kein Leben. Es sind die Geschichten, die uns über die Nächte bringen." - Pressekontakt edel & electric Ein Verlag der Edel Germany GmbH Laura Sonnefeld Neumühlen 17 D-22763 Hamburg +49 40 89085 153 / +49 175 2930 120 [email protected] www.edel.com - Inhalt Begrüßung ...................................................................................................................................................... 3 edel & electric ................................................................................................................................................ 4 Presseanfragen ............................................................................................................................................. 5 edel & electric - Startprogramm .......................................................................................................... 7 ...................................................................................................... 8 Interview mit Richard Lorenz ............................................................................................................... 9 .......................................................................................... 12 Interview mit Markus Heitz................................................................................................................ 13 .............................................. 17 Interview mit Candy Bukowski .......................................................................................................... 18 ....................................................................................................................... 21 Interview mit Tina Voß ........................................................................................................................ 22 2 Begrüßung Liebe Leserschaft, Autoren, Agenten, Kollegen und Journalisten, das große Rätsel wird gelüftet: Wir freuen uns sehr, dass wir Ihnen unser Digitalprojekt edel & electric präsentieren dürfen. Im ersten Zug erblickt Anfang Oktober der gleichnamige Digitalverlag das Licht der Onlinewelt. Natürlich sind wir sowohl auf der Webseite als auch in den Shops und in den sozialen Netzwerken zu finden. Sie erwartet - und dafür lege ich als Verlegerin jetzt und in Zukunft meine Hand ins Feuer - ein spannendes Programm mit starken Titeln. Wir werden Sie gut unterhalten, sachlich begeistern, und wir werden uns auch ab und zu mit Ihnen streiten. So erwächst Neues, alles bleibt in Bewegung. Denn wir wollen schnell und flexibel sein, uns weiterentwickeln, und das gilt für uns wie für alle Kooperationspartner und Mitarbeiter sowie die beteiligte Autorenschaft. edel & electric ist der Beginn eines sich stetig transformierenden Digitalprojekts rund um Literatur. Wie werden wir digital schreiben, verkaufen und lesen - all dies ändert sich, und wir möchten begleiten sowie vorangehen. Der Verlag ist der erste Schritt und ein wichtiger Teil davon, er wird in den kommenden Monaten und Jahren um weitere Stationen und Felder ergänzt. Autoren und Leserschaft haben vielfältige Bedürfnisse. Darauf wollen wir die Antworten finden - im Idealfall in einem Jahr Wünsche erfüllt haben, von denen die Buchbranche bisher noch gar nichts wusste. Was der zweite Schritt sein wird? Das erfährt man bald. Seien Sie mit dabei - wir freuen uns, Karla Paul Verlagsleitung 3 edel & electric Wir sind edel. Wir sind wild. Wir schaffen Literatur in Herzschrift. * edel & electric ist eine neue Marke der Edel Germany GmbH. Im Oktober 2015 wird das erste Programm, bestehend aus vier Titeln, veröffentlicht. Der Verlag wird zukünftig ausgewählte literarische Texte unter der Leitung der Digital- und Literaturexpertin Karla Paul publizieren. Das Programm wird innovativ, soll neugierig machen und wird nicht an ein bestimmtes Genre oder Format gebunden sein. Ein besonderer Schwerpunkt wird dabei auf neuen starken Stimmen, selbstbewussten, polarisierende Texten und innovativen Kooperationen zwischen Digitalwelt und Literatur liegen. edel & electric möchte neue Trends anstoßen und literarische Experimente ermöglichen. Nadja Mortensen Christian Gogic Sales Projektmanagement Laura Sonnefeld Presse/Kommunikation Mara Giese Marketing γρά α grámma * Das Elektrokardiogramm (EKG) (zu altgr. καρδία kardía ist die Aufzeichnung der Summe der elektrischen Aktivitäten aller Herzmuskelfasern. Elektrokardiogramm heißt auf Deutsch Herzspannungskurve, gelegentlich wird es auch Herzschrift 4 Presseanfragen Gerne sind wir Ihnen jederzeit bei der Berichterstattung zu unseren Autoren, Titeln oder unserem Verlag behilflich. Pressekontakt: edel & electric Ein Verlag der Edel Germany GmbH Laura Sonnefeld Neumühlen 17 D-22763 Hamburg +49 40 89085 153 / +49 175 2930 120 [email protected] www.edel.com Weitere Informationen zu edel & electric finden Sie hier: http://www.edelundelectric.de https://twitter.com/edel&electric https://www.facebook.com/edel&electric Interviewanfragen an Karla Paul bezüglich ihrer Tätigkeit als Verlagsleitung von edel & electric richten Sie bitte ebenfalls an [email protected]. Interviewanfragen an Karla Paul bezüglich Buchempfehlungen, Buchkolumne, ihrem privaten Engagement etc. richten Sie bitte an [email protected]. Alle Interviews in dieser Pressemappe wurden im September 2015 von Karla Paul geführt. Mit Quellenangabe und Beleglink/-exemplar sind die Fragen und Antworten zum Abdruck freigegeben. Fotomaterial darf mit Copyright-Vermerk benutzt werden: https://www.dropbox.com/sh/zra4spajeu82bbe/AABJBHDpwdhSUXB5eDSey3Xna?dl=0 5 edel & electric Startprogramm 6 Richard Lorenz: 978-3-96029-003-2 Seiten Als HC in der Edition Phantasia erschienen. Im Schrank findet der junge Leibrand einen Rückzugsort vor seinen Mitschülern, vor seinem zerrütteten Elternhaus. Er driftet ab in seine eigene kleine Welt, in die Welt der Schrankgeschichten und Amerika-Plakate, die er nach und nach auf seiner Schrankwand und später auch auf Papier verewigt. Der Kuss Suzannes, den sie ihm während eines Jahrmarkts gibt, lässt ihn aus der Welt fallen, doch sie verlieren sich aus den Augen. Jahre später findet er im Fall aus der Welt Suzanne wieder ... "Manches Mal wenden sich die Dinge erst am Schluss zum Besseren, und manches Mal verschwindet erst am Schluss die Einsamkeit eines Menschen. Vielleicht muss im Leben erst ein Sturm zeigen, wie gut es ist, in Sicherheit zu sein, und wie wertvoll es ist, jeden Tag seine eigene Zeit neu zu bemessen. Erst das Sterben zeigt einem, wie kläglich der Versuch ist, erwachsen zu sein." Richard Lorenz wurde 1972 geboren und lebt heute mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in der Nähe von München. Neben seiner Arbeit in der onkologischen Pflege und Palliativmedizin, schreibt er als freier Journalist und Autor bereits seit mehr als 20 Jahren. Seine Kurzgeschichten und Artikel wurden schon in mehreren Tageszeitungen abgedruckt. Seine Frost, Emma Piaf und der Printausgaben bei der Edition Phantasia erschienen. http://www.richardlorenz.de/ https://www.facebook.com/richard.lorenz.5 https://twitter.com/richardlorenz21 7 Verlegerin Karla Paul Der Journalist Frank Duwald schrieb über den Roman: "Amerika Plakate" ist ein kompliziertes Buch, das von der ersten Seite an signalisiert: hier ist etwas, das du nicht alle Tage lesen wirst." Exakt so ging es mir, ich kippte bereits nach wenigen Worten in eine mir völlig fremde Welt mit einer anderen Sprache, wie im Rausch wollte mein Kopf immer mehr davon. Als Leserin und auch als Verlegerin träumt man stets, mal so einen Text zu finden, ihn zu entdecken und ab und zu passiert es tatsächlich, das weiß man dann schon nach den ersten Sätzen. Ich kenne keinen Autor, der so ist und schreibt wie Richard und nur noch ganz selten haben Schriftsteller eine derart eigene und unverbrauchte Stimme, die man aus tausend anderen Texten herausliest. Ich war sehr dankbar, dass ich diesen Roman finden und lesen durfte und freue mich deswegen umso mehr, dass ich ihn nun in das Startprogramm von edel & electric aufnehmen und ihn Euch auch digital zugänglich machen darf. Die Amerika Plakate sind ein kleiner, wortgewaltiger Schatz, hütet ihn gut. Pressezitate schwarz, mal herzblutrot. Fast meint man, der junge Ray Bradbury habe sich in die tiefsten Schatten der bayrischen Provinz verirrt." Kai Meyer "Gute Schriftsteller gibt es viele. Eher selten dagegen stößt man auf ein Buch, von dem man ehrfürchtig denkt, dass kein anderer Autor auch nur annähernd so etwas schreiben könnte, so eigen, so außergewöhnlich und sprachlich so abweichend ist es." Frank Duwald (https://dandelionliteratur.wordpress.com/2014/07/13/richard-lorenz-amerika-plakate-2014/) 8 Interview mit Richard Lorenz Die Süddeutsche Zeitung schrieb über Dich, Du hättest ein Faible für das Absonderliche siehst Du das auch so und woran liegt das? Das ist tatsächlich eine schwierige Frage, denn ich selbst empfinde meine Erzählungen nicht absonderlicher als Werke von Richard Brautigan oder Ken Kesey. Absonderlich und abseitig in einer sehr positiven Art und Weise. Aber auch sogenannte Mainstream-Autoren wie Stephen King, Neil Gaiman oder Paul Auster, dessen Romane sicherlich keine Blaupause einer Lebens-Normalität zeigen, berühren grundsätzlich Absonderlichkeiten. Denn eines ist doch sicher, das Leben ist kein stringenter Ablauf, sondern eine willkürliche Ansammlung von Geschehnissen. Diese Abbildung fehlt mir zunehmend in der aktuellen deutschen Literatur, deren Plot-Genauigkeit mir den Atem oftmals zum weiterträumen raubt. Mir persönlich gefällt jener Tanz mit dem Zwielicht sehr, denn meiner Meinung nach benötigt man das Absonderliche zwingend zum Herausschälen der Realität, der Wahrheit innerhalb einer Dichtung. Vermutlich neige ich deshalb immer schon sehr stark zu dieser Art des Erzählens. Mit dem Glauben, dass hinter jeder Geschichte eine andere Geschichte stecken kann, und ich diese Schatten aufzeigen möchte. Schnell wird das aber als absonderlich im negativen Sinn betrachtet, als zu versponnen, zu unklar, zu eigenartig. Als zu schwierig für die Leser, sobald das Thema eines Buches nicht klar umrissen ist. Seitens der Branche gilt dies als Fahrigkeit bezüglich des Schreibens, als ein hilfloses Weitertreiben der Idee. Letztendlich als kaum verkäuflich. Woher diese Vorliebe kommt ist vermutlich ebenso schwer und einfach zugleich zu erklären. Als Kind der Siebziger wuchs ich mit dem späten RAF-Schrecken auf, mit Film-Experimenten wie Harold und Maude, und eben auch mit verschrobener, eigenartiger Literatur. Aufgewachsen in einem kleinen Dorf mit absonderlichen Menschen, die zu jener Zeit in jeder kleinen Stadt zu finden waren. Mit Schreckgespenstern in Dachgebälken und einer sehr eingeschränkten Vision vom Erwachsenwerden. Leibrand ist eine wunderliche Hauptfigur, er passt nicht richtig in diese Welt, wann ist er in Deinem Kopf entstanden und wie zum zentralen Charakter für Deinen Roman geworden? Leibrand tauchte plötzlich in einer Kurzgeschichte auf, kurz nachdem sich der österreichische Liedermacher Ludwig Hirsch umgebracht hat. Die Lieder von Hirsch beeinflussen mich seit der Kindheit. Seine dunkelgrauen, oft morbiden Texte haben vermutlich unbewusst meine SchreibAnfänge bemalt und bemalen sie, wie ich feststellen muss, auch weiterhin. Das Hadern mit dem Leben und das Liebäugeln mit dem Sterben. Leibrand entzieht sich der Welt und deren Regelwerk ganz bewusst, ist vielmehr auf der Suche nach Herzschlägen und Seelenbildern. Ich wollte von keinem starken Archetyp schreiben, keinem Helden, das liegt mir nicht sonderlich. Für mich viel bewegender ist der Blick auf verlorene Menschen, auf gebrochene Gestalten im Sinne von Hans-Dieter Hüsch. Jene, denen eben nicht alles gelingt, obwohl sie doch alles versuchen. Dieses Motiv beschäftigt mich nach wie vor sehr stark, vermutlich auch 9 durch meine zersplitterte Kindheit. Leibrand ist dadurch auch ein Abbild meiner kindlichen Suche nach Magie, um einen alkoholkranken Vater überstehen zu können. Nun war also Leibrand als Figur vorhanden, im Rahmen einer Short-Story erst grob gezeichnet. In seinem Schatten war damals auch schon Suzanne angelegt. Spätestens als ich herausgefunden habe, dass Leibrand fällt (erst sprichwörtlich, dann in der Realität) offenbarte sich ein weites Spektrum. Eine Umkehr der Realität lag diesbezüglich sehr nahe. Leibrand zeigt uns alles das, was uns als Kind wichtig erschien und was wir im Zuge des Erwachsenwerdens verloren haben. Seine Lebensphilosophie erscheint einfach und schwer zugleich. Die Liebe im Zentrum aller Atemzüge. Zugleich umspannt Leibrand auch alle jene Menschen, die ich beim Sterben begleitet habe. Im Angesicht des Todes offenbart sich eine andere Magie der Mensch zentralisiert erneut die Wichtigkeit der Individualität. Die ja oftmals im täglichen Leben verloren geht. Die Ziele des Erwachsenwerdens kehren sich in der Situation des Abschieds vom Leben in verpasste Träume der Kindheit um. Leibrand offenbart genau diese Sehnsucht. Das Cover zeigt das Kettenkarussell, einen sehr wichtigen Bestandteil eines Jahrmarkts dieser ist Teil einer Schlüsselszene im Roman, der Zirkus kommt in die Stadt, das Kind Leibrand ist verschreckt und verzaubert zugleich. Viele Leser werden sich hier wiederfinden. Was macht für Dich bis heute diese ungebrochene Magie aus, die Zuckerwatte, die Musik, die Lichter? Jahrmärkte haben natürlich eine unglaubliche magische Wirkung. Damit meine ich aber vor allem jene Jahrmärkte der kleinen Städte, die immer etwas heruntergekommen wirken. Das Karussell ist schäbig, die Losbude hat schon viel bessere Zeiten gesehen. Sozusagen jene Jahrmärkte, von denen auch Ray Bradbury schreibt oder zeitweise auch Stephen King. Der Zauber existiert vor allem in den Köpfen und den Herzen, das winzige Riesenrad wird zu einem himmelsberührenden Fahrgeschäft. Der Geruch von Zuckerwatte und Mandeln begleiten uns in den Schlaf hinein, färbt die Träume und lässt uns selbst zu magischen Wesen werden. Je älter man wird, desto schwerer fällt uns, diesen Zauber aufzuspüren. An billige Tricks zu glauben, vermutlich weil wir nicht mehr richtig sehen können. Nicht mehr mit jenen Augen, durch die wir als Kind geblickt haben. Dennoch sehnen wir uns danach. Nach einem letzten Tag voller spätsommerlicher Geheimnisse hinter den Buden, nach den Klang einer ganz anderen Musik. Jahrmärkte haben immer etwas mit Kindheit zu tun, vielleicht sogar mit der ersten Liebe, dem ersten Kuss. Berühren Sehnsuchts-Momente nach Unbeschwertheit und dem Gefühl, dass jeder Spätsommer gefüllt sein kann von Grillengesängen. Bradbury kommt dieser Melange sehr nahe, dem Beschreiben dieser unglaublichen Kraft, und dem Wunsch, dass eben manche Tage niemals enden sollten. 10 Als Schriftsteller passt Du in keine Schublade, es will kaum ein Klischee passen, Du entziehst Dich dem Massenmarkt und lässt lieber Deine Texte für sich selbst sprechen. Beneidest Du andere Autoren manchmal um ihre Marketing- und Starqualitäten? Wie siehst Du den aktuellen Literaturzirkus? Tatsächlich entziehe ich mich nicht bewusst dem Massen-Markt. Während der Arbeit an Amerika Plakate war mir gar nicht bewusst gewesen, dass ich an etwas schrieb, was schwer einzuordnen ist. Für mich war es einfach jene Geschichte, die ich erzählen wollte, musste. Erst viel später, in der Zeit der Verlagssuche, musste ich feststellen, dass es viel einfacher für den Verkauf gewesen wäre, den Roman stringent, einfach zu halten. Das wiederum hätte ich jedoch gar nicht gekonnt und auch nicht gewollt. Der sogenannte Massenmarkt ist darauf nicht vorbereitet, und so fiel es relativ schnell aus dem Raster der Massentauglichkeit. Was ich natürlich bedauere, denn ich glaube nach wie vor, dass es für diese Art der Literatur einen Markt gibt. Und natürlich beneidet man andere deutsche Autoren, wie zum Beispiel im aktuellen Genre-Trend Thriller, um die gewaltige Präsenz im Literatur-Zirkus. Nicht des Geldes, sondern vielmehr der Anerkennung als Schriftsteller wegen. In schlaflosen Nächten fühlt man sich dann doch eher als ein Schreiber, der einfach zu dumm war, es richtig zu machen. Der nicht klug genug gewesen war, sich dem aktuellen literarischen Zeitgeist anzupassen. Das, muss ich sagen, ist eine sehr frustrierende, nahezu bittere Erkenntnis, wenngleich ich natürlich unglaublich dankbar bin, dass meine Romane überhaupt publiziert werden und Leser finden. Wovon träumst Du? Als Autor anerkannt zu werden und weiterhin absonderliche Geschichten erzählen zu können, zu dürfen. Natürlich ist der Traum präsent, in einem größeren Verlag publiziert zu werden. Davon träume ich. Und von dem letzten Sommergeheimnis auf einem Jahrmarkt, während das Riesenrad am höchsten Punkt, nahe dem Mond, stehen bleibt. 11 Markus Heitz: 978-3-96029-002-5 Was hält uns, wenn das eigene Leben in Gefahr ist? Nichts. Der internationale Bestsellerautor Markus Heitz nimmt sich in vier politischen Erzählungen der aktuellen Flüchtlingsproblematik an und bringt den Leser in gewohnt unterhaltsamer aber auch sozialkritischer Form zum Nachdenken. Als die ersten Geschichten entstanden, schrieb er noch von Fiktion - inzwischen hat ihn und unsere Gesellschaft die Realität eingeholt. Egal wie brutal und überspitzt Heitz schreibt, so ist das Leben und oft auch der Mitmensch neben uns im Handeln und Denken ungleich brutaler. "Er hatte nichts gegen Ausländer. Als Touristen brachten sie Geld. Aber als Flüchtlinge brachten sie Probleme. Auch er dachte und redete so und deswegen wählte er seit Jahren rechte Parteien, die seinem Gedankengut entgegenkamen. Er gönnte jedem Menschen Glück, aber in dessen Heimatland. " Markus Heitz wurde 1971 im Saarland geboren und hat mittlerweile mehr als 40 Romane in den Genres Phantastik, Horror und Science-Fiction verfasst. Der studierte Germanist und Historiker schreibt zudem gelegentlich politischsatirische Texte. Seine Romane wurden weltweit übersetzt, die Gesamtauflage liegt bei etwa 2,5 Millionen Exemplaren. In und Top 20 der SPIEGEL-Bestsellerliste. Kein anderer FantasyAutor erhielt mit zehn Auszeichnungen in den vergangenen Jahren öfter den Deutschen Phantastik Preis als er. Den bislang größten internationalen Erfolg hat die Serie Die Zwerge verfassten Fantasyromanreihe, die von Europa bis USA, Japan, Russland und China einmal um den Globus wanderte. http://www.mahet.de https://www.facebook.com/Markus-Heitz-170607349688167/ https://twitter.com/markus_heitz 12 Verlegerin Karla Paul über Gute Literatur unterhält, informiert und fordert den Leser - der Autor lässt uns durch die Charaktere andere Perspektiven und Blickwinkel einnehmen. Markus Heitz beherrscht dieses Handwerk bereits seit Jahrzehnten und ist weltweit bekannt für seine fantastischen Welten. Zufällig stieß ich dann auf seine politische Erzählung "Der Nachbar", in der er bereits 2008 die aktuelle Flüchtlingsproblematik kommen sah damals noch überspitzt beschrieben und eher befürchtet, heute blutige Realität, die massenhafte Flucht vor dem Krieg, die letzte Kleidung am Körper und die Angst um das Leben im Herzen. Diese und noch drei weitere Geschichten aus der Feder des Bestsellerautors sollen nun wortwörtlich elektrifizieren, uns mit den Flüchtlingen "an die Grenze treiben". Interview mit Markus Heitz Die Leser kennen Dich bisher als Autor von fantastischen Sagen sowie spannenden Thrillern wie kam es nun zu diesem Genrewechsel, warum ausgerechnet politische Erzählungen? Ich bin überzeugt, dass die meisten phantastischen Autorinnen und Autoren unterschätzt werden, sowohl was ihr Schreiben als auch die Erdung angeht. Sicherlich erfinden wir Welten, die es nicht gibt, und doch leben wir in der Realität, der wir uns nicht entziehen können. Da ich vorher zehn Jahre lang als freier Journalist im Lokalbereich arbeitete, kam mir das kritische Denken ohnehin nicht abhanden. Ich sehe, beobachte, analysiere und schreibe mir gelegentlich von der Seele, was mich ärgert und was ich gerne anders hätte. Oft waren es die kürzeren Werke, die mich faszinierten, wie von Albert Camus "Les Justes" (Die Gerechten) oder "L'Hôte" (Der Gast), die in knappstem Umfang ein Dilemma auf den Punkt bringen. Novellen sind ein wunderbares Medium und aktueller denn je in unserer schnellen Zeit: rasch lesbar, verknappt etwas darlegen. Ich bin ein sehr großer Fan von intelligent-politischem und gesellschaftlichem Kabarett, von Pispers, Schramm oder Rether bis zu Grebe, doch ich konstatiere: Kein Kabarettist hat durch sein Programm eine Wende ausgelöst. Die wenigen Damen und vielen Herren stehen auf der Bühne, zeigen Missstände auf, das Publikum klatscht begeistert, lacht haha (bei Witzen) und hoho (bei politisch inkorrekten Witzen) und geht nach Hause - aus. Katharsis. "Puh, der Kabarettist hat gesagt, was schief läuft. Wie gut das tat." Merken Sie was, liebe Leserschaft? Genau. Es hat was von Gottesdienst. Der Priester vollzieht die Absolution, alle sind erleichtert und gehen nach Hause. Bis zum nächsten Mal. Hat sich was geändert? Nein. Aber sobald der Arzt sagt: "Oha, da müsste man was dagegen tun, sonst wird das übel enden", wird gehandelt. Weil es um das Persönliche geht. Spannend, nicht wahr? Erschreckenderweise sind die Einzigen, die frustriert auf die Straße gehen, mit fragwürdigen Bannern bewaffnet und haben nicht ganz verstanden, dass Ausländer und Flüchtlinge nicht ihr Problem sind. Es ist -wie so oft im Leben und bei Facebook- kompliziert. So entstand "Kommando Flächenbrand-Militante Kabarettisten". Natürlich engagieren sich einige Menschen in Deutschland und versuchen, Dinge zu verbessern. Meistens sind es Kämpfe gegen Windmühlen. Politik reagiert fast immer nur auf Druck, seltenst aus eigenem Antrieb. Beispiel: Es 13 muss erst ein Atomkraftwerk in Japan aus dem Ruder laufen, um eine Energiewende einzuleiten, Tschernobyl war da schon vergessen, und dass Cattenom regelmäßig wegen Störfällen vom Netz genommen wird, kommt schon gar nicht mehr in die Nachrichten. Und wird es für Wirtschaftsverbände gefährlich, stehen die Lobbyisten Schlange, und es wird latent gedroht und auf Arbeitsplätze gezeigt, die verloren gehen könnten, andere Unternehmen verklagen die Regierung, um an ihr Geld zu kommen. Das ist äußerst bedauerlich. Gleichzeitig bemerke ich bei mir eine Resignation, da ich das System durchschaut habe und bemerke, dass es sich kaum ändern lassen wird. Perfide wird vorgeschlagen: "Los, mecker nicht. Bring dich ein, tritt doch in eine Partei ein und ändere was." Genau. Ich habe als Journalist ein paar Gute mit DEM Vorsatz antreten sehen. Ich weiß, wie es endete. Da bleibt die Wahl: es sich darin einrichten, das Beste draus machen und möglichst wenig bei dem Unsinn mitspielen oder mit Vehemenz dagegen angehen? Auch das muss jeder für sich entscheiden. Die erste Geschichte zur Flüchtlingsproblematik ("Der Nachbar") entstand bereits im Jahr 2008 und damals waren viele Deiner Ideen reine Fiktion, inzwischen hat Dich die Realität überholt. Bist Du damals schon davon ausgegangen, dass es tatsächlich soweit kommen könnte? Was für ein Gefühl ist es, wenn Du aktuell in den Nachrichten genau das siehst, was Du bereits vor Jahren beschrieben hast? Es gibt die alte Autorenweisheit, dass alles, was wir Kreative uns ausdenken können, von der Realität getoppt wird. In 2008 gab es einen größeren Anstieg von Flüchtlingsbooten, die übers Mittelmeer kamen; auch die Zahl der Schiffbrüchigen und Toten stieg. Der Autor dachte sich: Was wäre wohl, wenn das jemand richtig organisieren würde, ein cleverer, gebildeter Mensch, weil er die Schnauze voll davon hat, dass die sogenannte zivilisierte Welt beim Sterben in Afrika zusieht? Nicht mit wackligen Nussschalen, sondern Tanker und Containerschiffe aufbringt, 20.000 Menschen und mehr auflädt, sie kostenlos rüberbringt. Tag für Tag. Was würde Europa tun? Wäre es verboten, einfach so in ein Land zu kommen? Wer kann es einem Menschen übel nehmen, dass er besser leben will? Umgekehrt betrachtet: Was hat Europa denn in den vergangenen Jahrhunderten getan? Den FirstNations das Land geklaut, Millionen Menschen nach Amerika verfrachtet, die in Europa keine Zukunft mehr sahen oder haben durften. Was hätten die Iren bei der Großen Hungersnot 1845-1852 gemacht, wenn sie nicht nach Amerika ausgewandert wären? Verreckt? Zwei Millionen Iren emigrierten. Ich schuf in meiner Geschichte die Kombination aus Wut und Gelegenheit, wobei die Menschen aus Afrika ganz friedlich anlanden. Es sind eben nur sehr viele. Wohlgemerkt: 2008. Insofern fand ich es reichlich albern, dass gesagt wurde, man sei von der Situation jetzt überrascht worden. Man hat abgewartet und gehofft, dass es sich von selbst regelt. Und noch vor wenigen Jahren wurde ein militärisches Eingreifen in Syrien abgelehnt. Nun, da die Menschen in Massen nach Europa flüchten, wird plötzlich nach einem Ende des Krieges in Syrien geschrien. Zynisch. Und leider doch wie immer. Gerade geschah alles das, was ich mir in meiner Geschichte ausdachte: Grenzbefestigungen, der Ruf nach Ausweitung der Kontrollen im Mittelmeer durch Kriegsschiffe, umherirrende Menschen und verunsicherte Einheimische, die leicht Opfer von Propaganda verschiedenster Seiten werden können. Ich hoffe sehr, es geht nicht so weiter wie in meiner Story. 14 In "Kommando Flächenbrand" beschreibst Du die Möglichkeiten jedes Einzelnen, wie wir als Teil der Demokratie positiv als auch negativ Einfluss üben können. Was erwartest bzw. wünschst Du Dir von Deinen Lesern? Wie ich schon andeutete - das muss jeder für sich entscheiden. Aber wer begriffen hat, dass unser System selbstkonservierend ist, kann schnell frustriert sein. In einer etablierten Partei etwas zu ändern ist unmöglich. Man wird schneller abgesägt als man schauen kann, sobald man unbequem wird. Das ist gar nicht böse gemeint, sondern eine nüchterne Beobachtung. Spiel mit oder du bist raus. Reformen sind nur schwer durchzusetzen, sogar kleine haben es schwer. Ein Beispiel: Ich schrieb vor einigen Jahren an Herrn Gauck, dass ich mir auf Wahlzetteln ein Feld "Enthaltung" wünsche, um ein Statement bei der Wahl abgeben zu können. Denn außer JA und NEIN bleibt mir nur das UNGÜLTIG, was meistens falsch ausgefüllte Wahlzettel sind. Also könnte man sagen, dass 90% der "Ungültigen" zu doof zum Ausfüllen waren. Ich möchte aber zur Wahl gehen, ein ENTHALTUNG ankreuzen können, um zu zeigen, dass ich Demokrat, aber unzufrieden mit der geleisteten Arbeit bin. DAS ist eine Rückmeldung an die Parteien, die jammern, dass die Wahlbeteiligung so schlecht wäre. Ja, logisch. Weil ich keine Alternative habe. Ich will nicht meine Stimme (die übrigens bares Geld ist, weil es einen Verteilerschlüssel von Euros nach errungenen Wählerstimmen gibt) dem kleineren Übel geben und verschleudern, ich will sie NIEMAND geben und sagen: Macht es besser und haltet eure Versprechen. Das wäre in meinen Augen eine Stärkung des demokratischen Prinzips. Das Geld aus dem Topf ENTHALTUNG kann man prima in soziale Projekte stecken. Übrigens sieht jede Satzung bei eingetragenen Vereinen in Deutschland bei Neuwahlen die Möglichkeit vor, mit JA, NEIN und ENTHALTUNG zu stimmen. Und ein Verein ist demokratisch geführt. Ach ja, das Gauck'sche Büro antwortete. Sinngemäß sei es nicht die Aufgabe des Bundespräsidenten, ich solle mich selbst kümmern. Tja. Gut abgeschmettert vom obersten Demokraten Deutschlands. Vielleicht braucht man einen neuen Begriff für die aktuelle Regierungsform. Mit den Erzählungen kritisierst Du auch die Politik und zeigst viele Fehler auf, sowohl national als auch international. Was verlangst Du von der aktuellen Regierung? Keine Regierung hat jemals einen einfachen Job, sogar nicht in den Zeiten, die rückblickend als "gut" bezeichnet werden. Irgendwas geht immer schief oder es treten Turbulenzen auf. Was jeder verlangen sollte, ist eine gewisse Weitsicht, die eine Regierung haben sollte. Beispiel Energiewende: Windräder einfach flächendeckend bauen, wo die Voraussetzungen passen, und AKWs abschalten, fertig. Klar sieht das nicht schön aus - ja, und? Ein Windrad fällt um - ein Atomkraftwerk geht hoch. Das ist ein gravierender Unterschied, und schön aussehen tut ein explodiertes AKW übrigens ebenso wenig wie das verstrahlte Umland. Es gibt gerade bei guten Projekten immer zu viele Bedenkenträger, die auf Zeit spielen, bis alle keine Lust mehr haben. Dann ist das Thema bis zur nächsten Katastrophe vergessen. Und dann sagen sie wieder: "Ach, hätten wir doch mal..." Dazu gehört auch, sich als Regierung von den Abhängigkeiten äußerer Einflüsse und Einflüsterungen zu lösen. Ganz klar: Das Gehalt von Bundestags- und Bundesratsabgeordneten verdoppeln, alle Nebeneinkünfte verbieten. Zack. Manchen ist leider sehr deutlich anzumerken, dass sie ein Mandat haben, um abzukassieren. Doppelt und dreifach und mehr. Ohne dass sie genau offenlegen müssen, von wem sie Kohle beziehen. Daran müsste gedreht werden. Ich will wissen, wenn ein "Vertreter des Volkes" zu seinem Einkommen, dass wir Steuerzahler leisten, nebenbei von 15 x Firmen das zehnfache einkassiert. Da muss man sich dann fragen, für wen er abstimmt. "Dess' Brot ich ess, dess' Lied ich sing", so hieß es mal. Du bist für Deine große Musikleidenschaft bekannt und twitterst regelmäßig Deinen jeweiligen Schreibsoundtrack zu den verschiedenen Projekten. Welche Lieder empfiehlst Du passend zu "Kommando Flächenbrand"? Ganz klar von den Ärzten "Deine Schuld", weil es genau trifft, um was es geht. Das Hazy Osterwald Sextett "Konjunktur Cha-Cha" und "Der Fahrstuhl nach oben ist besetzt". "Das Lied der Partei", weil es für jene herrlich ironisch ist, die einen Funken Geschichtswissen haben. Rainald Grebe mit "Ich bin der Präsident" und "Der Kandidat". Metallica mit "Master of Puppets", Clawfinger mit "Nigger", Megadeth "Symphony of Destruction" und im Grunde das komplette Album von Queensryche "Operation Mindcrime". Man sieht, die Bands aus der oft verkannten Metal-Sparte hatten schon immer das kritischere Denken. 16 Candy Bukowski: 978-3-96029-001-8 "Man muss erst einige Male sterben um wirklich leben zu können." so schrieb einst Charles Bukowski. Seine Namensvetterin Candy findet dafür mehr Worte und keines zu viel - in dreißig Erzählungen berichtet sie von den schönsten und schlimmsten Nichtigkeiten des Lebens, der Liebe, dem Sterben, von alkoholgetränkten Nächten voller Träume, die wir in der Realität nicht auszusprechen wagen. Wie stark ist Dein Mut? Wie weit reichen Deine Träume? Wie viel Lieben und Sterben hältst Du aus? "Ja, das machen wir alle, sich tot leben. So wie fast alle essen und trinken, mittelprächtige Jobs erledigen, ein paar Träume hüten, andere verwerfen und in manchen Nächten ihren Nächsten lieben. All das kleine Glück und auch das große. Die Schnappatmung von Zeit zu Zeit und die Suche nach dem Ankommen, ohne etwas aufzugeben, obwohl du dir doch bereits zehntausendfach selbst bewiesen hast, dass das Glück nur ein Hochplateau sein kann, ein erklommener Aussichtsfleck zum Atemholen und Vertrauen schöpfen." Candy Bukowski (geb. 1967) bemerkte zu spät, dass sie gerne Dramaturgin geworden wäre. Weshalb sie in willkürlicher Reihenfolge Buchhändlerin, Verlagsvertreterin, freie Redakteurin, schmuddelfreie Erotik-Fachfrau ihres eigenen Magazins, Reiki-Lehrerin, Bloggerin und Autorin wurde. Heute lebt sie sturmerprobt, alleinerziehend, mehrfach liebend und weiterhin nur schwer in Schubladen passend in ihrer Wahlheimat Hamburg. Sie schreibt ebenso messerscharf wie literarisch unter ihrem Pseudonym, das ihr mittlerweile zur zweiten Haut geworden ist. Candy Bukowski steht für Lesungen zur Verfügung. http://candybukowski.com/ https://www.facebook.com/candy.bukowski https://twitter.com/CandyBukowski 17 Interview mit Candy Bukowski Du schreibst über das Leben mit all seinen Höhen und Tiefen und dass man eben manchmal auch gemeinsam sehr einsam sein kann. Was hält Dich an schlechten Tagen oben, was erhellt die schwärzesten Nächte? An ganz normalen, schlechten Tagen reicht es völlig, mich selbst und die Welt nicht zu ernst zu nehmen. Einen Schritt zurückzugehen, das Groteske zu sehen, über den manchmal dreckigen Humor meines Schwärzeste Nächte gibt es nicht. Sie sind Teil einer schwärzesten Etappe. Wenn du weißt, es wird dauern und das ist erst der Beginn des Vermissens. Es ist immer Vermissen. Einen Menschen, eine (verpasste) Chance, Sicherheit, sich selbst. Immer dasselbe und immer wieder so schmerzhaft wie beim ersten Mal. Was hilft? Leiden, hadern, Wunden lecken, schreiben. Und dann hoch und erinnern, dass es immer wieder weiterging. Dankbar sein. Meine besten Texte stammen aus schwarzen Nächten. Das Coverfoto zeigt eine Hamburger Bar und auch Du bist eine nordische Kiezlady - wie viele Deiner Stories sind an einem Tresen in St. Pauli entstanden? Wie und wo schreibt Candy Bukowski und hat sie mit ihrem Namensvetter Charles auch die Liebe zu gutem Alkohol gemein? Ich glaube, wer schreibt, der schreibt immer. Man lebt, man erlebt, man schaut hin, fühlt und denkt. Den ganzen Tag über, egal wo man ist. Viele meiner Texte haben sich über Minuten oder Tage gedacht, wurden dabei schon in Form gebracht oder ordnen sich um. Und dann setze ich mich irgendwann hin und schreibe sie herunter. So wie sie längst da sind, der Rest ist dann Feinschliff. Kürzen! Oder finde das passende Bild! Schreib das Gefühl! Schone Dich nicht, weiche nicht aus! All sowas. Das ist dann leicht, das ist Schreiben, wie ich es liebe. Anders ist es, wenn das Thema vorgegeben ist, ein Text sich einpassen soll. Das ist Arbeit, bei der ich mich immer wieder neu zurückpfeifen muss. Dann heißt es: konzentriere dich! Komm zurück zum Thema! Schreibe verdammt nochmal nicht stimmungsabhängig! Ganz anders also. Was stets gleich bleibt: ich schreibe zuhause am PC, wenn ich alleine bin. Ohne Musik oder Ablenkung. Vertraute Menschen kann ich dabei nicht um mich haben, das ist völlig verrückt. Fremde am Nebentisch dagegen, inspirieren mich eher. Vom ersten Verlagshonorar habe ich mir ein leichtes, kleines Notebook geleistet. Das macht mich glücklich! Jetzt kann ich überall schreiben, wo ich will! Und dass es mit Autorenblut bezahlt wurde, ist das besonders Großartige dabei. Zur letzten Frage: ja, ich trinke. Nicht so konsequent wie Charles, aber für dieses Leben musst du trunken sein. Wie soll es dir seine Abgründe zeigen, wenn du dich an der Begrenzung festklammerst und Salbeitee trinkst? Wie definierst Du Liebe? Lässt sich Liebe definieren, nach Erich Fried? Ich suche sie zu greifen, ja. Immer wieder neu, immer wieder anders, immer wieder auf der Suche nach neuen Worten für etwas, das mit zartem Schmetterlingsflügel eine Welt durch die Galaxie drischt und mit brutaler Faust eine Wange streichelt. Liebe ist alles, alles was wir brauchen und sie tut weh. Zum Glück tut sie das, sonst 18 könnten wir sie nicht spüren. Sie tut im Wundervollen weh und im Schrecklichen, wir verletzen uns, weil das Tier tief drinnen eben auch immer mitspielen will. Und wie schlimm wäre es, wenn wir es verstecken müssten, um dem anderen ein glattes Abziehbild zu sein? Liebe ist still und brüllt, ich könnte mich in Rage schreiben, wenn Menschen Liebe mit beständiger Harmonie gleichsetzen. Liebe ist ein wundervoller Derwisch und morgen hätte ich an dieser Stelle sicher schon wieder etwas anderes gesagt. Vermutlich definiert sich Liebe immer wieder selbst aufs Neue, deshalb können wir sie ja nicht zähmen und eintüten, wie alles andere. Deine Erzählungen verursachen beim Lesen ein Kribbeln auf der Haut, wir leiden und lieben mit den jeweiligen Charakteren. Du schreibst sehr authentisch und findest Worte für die härtesten Emotionen. Wie sehr leidest und liebst Du selbst beim Schreiben? Hm. Wenn das so ist, dann ist es größtes Glück für mich, das sind mein Wunsch und meine Hoffnung ans Schreiben. Aber die Wahrheit ist, es fällt mir nicht schwer, die Härte von Emotionen in Worte zu packen. Es sind die einzigen, die mich auf Papier interessieren, ob selbst verfasst oder gelesen. Wenn ein Autor es schafft, mich in seine Abgründe schauen zu lassen, mich mitnimmt, wenn er nackt und schonungslos durch den Morast taucht, weit unter der abgesicherten Oberfläche, dann möchte ich in die Knie gehen vor Ehrfurcht. Ehrfurcht vor der Blöße, dem Gefühl, dem Gelebten, und dem Verschmerzten gegenüber. Und wenn er es dann noch schafft, in einem Satz, einem einzigen, die Emotionsbilanz eines Kapitels zu ziehen, dann ist das orgiastisch gut. So möchte ich lesen und im besten Fall schreiben. Nicht immer, soll ja keiner erschlagen werden, aber beharrlich immer wieder. Wie sehr ich dabei leide und liebe? *lach* Das kommt darauf an, wieviel Sepia das Gefühl hinter dem Text schon trägt. Aber nein, ich kämpfe mich sicher nicht leidend durch die Nächte. Das wäre ja schrecklich. Man mag es nicht glauben, aber ich bin in letzter Konsequenz ein überaus optimistischer, lebensbegeisterter Mensch. Einer meiner Liebsten hat mir kürzlich bescheinigt, dass ich niemals erwachsen sein werde, das halte ich mit Ende Vierzig für ein großartiges Kompliment. Trotz hält anscheinend jung. Deine Literatur knallt bis in die letzte Nervenbahn, im Guten wie im Schlechten, Du findest für uns die richtigen Worte für kaum fassbare Situationen und Wünsche. Welcher Text hat das zuletzt bei Dir geschafft, welche Autoren liest Du selbst gern und warum? Das schafft bei mir immer wieder die Bloggerin Sarah Riedeberger, trotz oder wegen ihrer Jugend, was mich jedes Mal aufs Neue völlig fassungslos macht. Alex Winter von talkinggiants.com steppt wortgewaltig und grenzignorierend am Abgrund. Jeder Text ein Treffer. Sven Heuchert, gerade sind seine ersten Stories im Bernstein Verlag erschienen, ein ganz großer Amerikaner mitten aus dem Pott. Gnadenlos gut. Von den Großen hat mich zuletzt natürlich Wolfgang Herrndorf mit seinem Können und seiner geworden, wir teilen uns das Schlafzimmer. Angelika Schrobsdorff wird mich mi muss ich nichts zu sagen, oder? Alles knallharte, wundervolle Autoren. Nicht zu vergessen, die LyrikerInnen: Die große Dame Hilde Domin, unbedingt und immer, immer wieder Mascha Kaleko, aber auch Till Lindemann der Sänger von Rammstein wird mit großartigen Gedichten verlegt. Rilke ist unersetzlich und wenn man mal 19 abseits des Bekannten schaut, wird auch nicht mehr an Blümchen geschnuppert. Ein winziger Abriss von so vielen großen Geistern. Alle schreiben über die Liebe und das Leben und dennoch ist beides nie zu Ende erzählt und berührt immer wieder neu. Was ist Buch doch für ein geniales Medium, oder? Das Leben birgt oft kaum fassbare Momente, positiv als auch negativ. Wir bringen Wünsche und Träume mit und kämpfen dafür, trotz aller Rückschläge gibt selbst das schwächste Herz nicht freiwillig auf. Im Idealfall finden Autoren für solche Erlebnisse die richtigen Worte und diese Erzählungen sind voll von eben diesen. Candy Bukowski steht ihrem berühmten Vorbild Charles in Nichts nach, weder in den rauchgeschwängerten Barnächten noch in den Geschichten, die davon erzählen. Sie packt uns ein bisschen Melancholie in den Bauch, lässt uns mit der Trauer nicht allein und - gibt Hoffnung. Hoffnung darauf, dass jedes gebrochene Herz heilt, dass wir es zusammen schon irgendwie schaffen werden. 20 Tina Voß: 978-3-96029-000-1 Bei einer Recherche stößt Journalistin Liv Mika auf einen Fall von Zwangsprostitution, der sie über Deutschland bis in die Ukraine führt. Je weiter sie vordringt, desto grauenhafter werden ihre Entdeckungen - die Täter sind einflußreich und die mit ihnen verbundenen Verbrechen mit Milliardengewinnen verbunden - Zeugen werden ermordet und Freier vorsätzlich infiziert. Doch je weiter Liv bei ihren Ermittlungen rund um den Mädchenhandel vordringt, desto mehr bringt sie sich gleichzeitig selbst in Lebensgefahr ... "Deutlich waren Blutspritzer auf dem Bett zu erkennen. Livs Herzschlag beschleunigte sich und sie fühlte, wie sich ein Zittern aus ihrem Inneren auf die Hände übertrug. Mühsam löste sie sie von der Schreibtischkante und fuhr sich durch die Haare. Längst vergessene Bilder und Gefühle kratzten am Rand ihres Bewusstseins..." Tina Voß wurde 1969 in Seesen/Harz geboren. Sie lebt seit den neunziger Jahren als Unternehmerin in Hannover und leitet dort ihre Firma für Personaldienstleistungen. Nach der Veröffentlichung einer Kurzgeschichte in der Krimischrieb sie nach vier Jahren Belletristik-Fernstudium die beiden -Debüt. https://www.facebook.com/tinavoss1977 https://twitter.com/vos_tina 21 Seit vielen Jahren schlägt mein Herz für blutige Literatur, für Spannung, die alles gefrieren lässt und starke, schwierige Ermittlertypen. Aber warum in die (nordische) Ferne schweifen, wenn das Gute so nah liegt und zufällig landete das Manuskript von Tina Voß auf meinem Schreibtisch. Ich las und las und ermittelte mit Liv Mika und hatte das gleiche Gefühl wie damals bei Liz Marklund und ihrer Annika Bengtzon Reihe - genau die richtige Unterhaltung für düstere Herbstnachmittage. Zudem tausche ich mich nun seit Wochen fast täglich mit Tina über ihre diversen Recherchen und die fast unerträgliche und weit schlimmere Realität aus, die sie zum Roman gebracht hat glaubt mir, diese Frau weiß genau, von was sie da schreibt. Allerdings gibt es ein großes Manko: wir müssen jetzt ein Jahr bis zur Fortsetzung warten ... Interview mit Tina Voß Der erste Fall von Liv Mika wirft sie mitten in einen Mädchenhandelring. Für dieses Thema hast Du lange recherchiert, um die Problematik glaubwürdig beschreiben zu können. Is t die Realität grausamer oder harmloser als im Thriller beschrieben? Ich musste leider feststellen, dass ich mir kaum etwas ausdenken kann, was es so oder ähnlich nicht schon gibt. Hinter dem an sich unfassbaren Mädchenhandel steht ja noch etwas Ungeheuerlicheres. Als ich anfing, mich damit intensiv zu beschäftigen, stellte ich erschüttert fest, dass solche Grausamkeiten von hochzivilisierten Nationen in Auftrag gegeben werden. Früher ürzlich las ich ein Fachbuch über Psychopathen und stellte fest, dass einer der geschilderten Fälle die Grundlage der Romane von Thomas Harris war. Das reale Leben hält mehr Abgründe bereit, als ein Autor erfinden kann. Spannend wird es, wenn man einige Dinge miteinander verknüpft und dann weiterdenkt. Die Journalistin hat nicht nur mit ihrem Fall zu kämpfen, sondern auch mit sich selbst problembeladene Ermittler gibt es aber inzwischen schon dutzendfach. Was macht Liv besonders? Die Figur hatte ich als Erstes im Kopf. Ich wollte keinen polizeilichen Ermittler, der in der Realität bestimmten Zwängen unterliegt. Unsere Behörden haben viele Vorschriften, die während einer Ermittlung beachtet werden müssen. Ich mag zwar eine gewisse dichterische Freiheit, aber es dürfen keine groben Fehler drin sein. So war mir das Korsett für eine Polizistin zu eng. Ich habe alle 22 Fakten im Thriller von Pathologen, Polizisten, Ärzten, Chemikern, Tierärzten, Journalisten, Molekurlarbiologen, einem Prof. der Kriminologie usw. checken lassen. Auch in Kiew selber hatte ich einen sachkundigen Führer, mit dem ich mich in die dunklen Ecken gewagt habe. Welche Berufsgruppe ist neugierig, gibt sich nicht mit den ersten Antworten zufrieden, ist motiviert, den Dingen auf den Grund zu gehen? Journalisten! So war Livs Beruf auch von Beginn an klar. Früher gab es in der Literatur recht eindimensionale Helden, die nur in dem Fall zu leben schienen. Z.B. Miss Marple. Das hat sich radikal gewandelt. Viel spannender ist doch, was eine Figur bewegt? Warum hat sie Angst vor bestimmten Dingen? Was motiviert sie bis in die Haarspitzen, niemals aufzugeben? Wie liebt und lebt sie? All das muss für mich in eine Geschichte mit einfließen. Wir Menschen wollen andere Menschen begreifen und das können wir nur, wenn wir sie als Ganzes kennen. An dem Lebenslauf von Liv habe ich Monate gearbeitet, habe Aktienverläufe geprüft, Redaktionssitzungen besucht, Chefredakteure befragt und mit Psychologen über die Grundlagen ihrer Ängste gesprochen. Nach unterhaltsamen Frauenromanen ist dies Dein erster Thriller. Warum der Genrewechsel? Ich bin seit frühester Jugend ein Thriller-Fan. Mit dreizehn habe ich meinen Schülerausweis alle Teile des Weißen Hai oder Stephen King-Romane viel zu langweilig. Liv war lange vor den Frauenromanen da, sie musste nur ein wenig reifen, da der Plot und Figurenbau im Thriller viel komplexer ist als im Chicklit. Zumindest für mich. Allerdings machen die lustigen Frauenromane auch unglaublich Spaß. Der Handlungsrahmen ist viel freier und ich durfte albern und absurd sein. Jede Verrücktheit, die ich mal erlebt habe, konnte ich noch weiter drehen und mir chaotische Situationen einfallen lassen. Ein Thriller ist Arbeit. Alles muss sitzen. Die Spuren müssen sinnvoll gesetzt sein, aber dürfen nicht zu viel verraten. Die Motive aller Figuren und das damit verbundene Handeln müssen glaubhaft sein. Jede Figur hat bei mir einen Lebenslauf, ein persönliches Interview, das ich fiktiv geführt habe und auch eine Ausarbeitung zu Vorlieben, Familie, Beruf und allem drum herum. An den Wänden kleben beim Plotten und Schreiben überall große Flipchart-Blätter mit Zeitabläufen, Fragen, Pfeilen und Ideen. Gerade wenn ich die Handlung mit verschiedenen Perspektiven und/oder Zeitebenen ausstatte, wird es schnell sehr komplex und ich versuche mit großen Schaubildern alle Fäden in der Hand zu halten. Es dauert einige Monate, bis ich mit dem eigentlichen Schreiben anfange. Bis dahin habe ich ca. 80% der Geschichte skizziert. Erst, wenn ich weiß, wo ich hin möchte, fang ich auch wirklich an zu schreiben. Du liest selbst auch sehr viel - welche Autoren bzw. Bücher waren für Dich ein Vorbild, hast Du besonders spannende Empfehlungen? Mein Held der Jugend ist Thomas Harris mit den Hannibal-Lector-Romanen, aber mein großes Vorbild ist eindeutig Stieg Larsson. Seine Figuren haben eine unglaubliche Tiefe, sind spannend, glaubhaft und das alles hat er in komplexe Handlungsstränge verwoben. Bei seinen Büchern hatte ich mich schon vor zehn Jahren gefragt, was macht er anders? Warum ist er so spannend? Weil mir das keine Ruhe gelassen hat, habe ich das Handwerk Schreiben von Grund auf gelernt. Ich habe aber auch Mo 23 Hayder verschlungen, vor a Eschbach, von denen ich mein Handwerk gelernt habe. Tess Gerritsen, Elizabeth George, Lee Child, Karen Slaughter, Jo Nesbo usw. Es gibt so viele grandiose Autoren! "Weggeworfen" ist der erste von drei geplanten Fällen der Journalistin - was erwartet Liv und damit auch den Leser im nächsten Roman? Vor drei Jahren erzählte ich einer Freundin von einer völlig ausgeuferten Nacht auf einer Klassenfahrt im Rahmen einer Erwachsenenweiterbildung. Sie stellte damals die Frage zu einer eine unglaubliche Geschichte da war. Sofort schrieb ich alles auf. Was kann nach einer schicksalhaften Nacht mit den Menschen passieren? Wenn man schockiert herausfindet, dass zwei Menschen nicht mehr leben? Um die Lebenswege zu zeichnen, bin ich auf ein russisches Containerfrachtschiff gegangen und habe eine Reise als geduldeter Passagier mitgemacht. Im Januar fliege ich noch auf eine kleine, seltsame Inselgruppe in der Nähe von Afrika, um einer meiner Figuren in ein anderes Leben zu folgen und dann lasse ich das alles aufeinander prallen. Ich freue mich wahnsinnig darauf, Liv wieder loszuschicken. Zumal ich auch schon ahne, dass sie im dritten Teil in ihre eigene Vergangenheit zurück muss und dabei schlimme Dinge rausfindet, die ihre Welt in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen. 24
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